Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Darlegungslast zu der Frage, ob ein Unfallgeschädigter erwerbsunfähig ist.

Zumutbare Erwerbstätigkeit nach Verkehrsunfall
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 152/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Verteilung der Darlegungslast, wenn ein Unfallgeschädigter Ersatz für Verdienstausfall begehrt.

Bei einem Verkehrsunfall im August 2001, für dessen Folgen der beklagte Haftpflichtversicherer voll einzustehen hat, ist die damals 48 Jahre alte Geschädigte schwer verletzt worden. Sie verlor deshalb ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau. Mehrere Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass die Geschädigte ab 2006 wieder erwerbsfähig sein werde. Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie nach Begutachtung durch einen Arzt als nicht mehr vermittlungsfähig erachtet wurde. Der klagende Rentenversicherungsträger trug die Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen und zahlte bis 2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er verlangt von der Beklagten Erstattung der erbrachten Zahlungen in Höhe von rund 185.000 Euro.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Klage bis auf einen Betrag von rund 1.300 Euro abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass der auf den Kläger übergegangene Ersatzanspruch gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu kürzen ist, wenn sich die Geschädigte nicht hinreichend um die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit bemüht hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt beim Schädiger. Den Geschädigten trifft aber eine sekundäre Darlegungslast. Er muss vortragen, welche Bemühungen er unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden.

Entgegen der Auffassung des OLG können von einem Geschädigten, den das Arbeitsamt als nicht vermittlungsfähig ansieht, grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und keine weiteren Bemühungen um Rehabilitationsmaßnahmen erwartet werden.

Darüber hinaus hätte das Berufungsgericht einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht zum Anlass nehmen dürfen, den Ersatzanspruch um eine Quote zu kürzen oder durch Ansetzen eines Mitverschuldensanteils von 100 % auf Null zu reduzieren. Vielmehr wären gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen, welche Einkünfte die Geschädigte bei hinreichenden Bemühungen hätte erzielen können, und der zu ersetzende Betrag um diese Beträge zu verringern. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit ebenfalls beim Schädiger. Den Geschädigten kann aber eine sekundäre Beweislast treffen, wenn der Schädiger eine Verdienstmöglichkeit hinreichend substantiiert vorträgt.

Praxistipp: Eine sekundäre Darlegungslast führt nicht zu einem Übergang der Beweislast. Kommt der Gegner seiner sekundären Darlegungslast nach, liegt es an der beweisbelasteten Partei, dieses Vorbringen zu widerlegen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflichten des Inhabers einer Internetanschlusses nach einer Urheberrechtsverletzung

Angabe des Täters einer Urheberrechtsverletzung
Urteil vom 17. Dezember 2020 – I ZR 228/19

Mit der Frage einer Auskunftspflicht des Inhabers eines Internetanschlusses befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen des unbefugten Anbietens eines urheberrechtlich geschützten Computerspiels auf Schadensersatz in Anspruch. Das Angebot war über einen Internetanschluss verbreitet worden, dessen Inhaberin der Beklagte ist. Auf die Abmahnung der Klägerin hatte der Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, zugleich aber mitgeteilt, er selbst habe das Spiel nicht öffentlich im Internet zugänglich gemacht. Auf die von der Klägerin erhobene Klage auf Erstattung von Abmahnkosten und Schadensersatz in Höhe von insgesamt rund 1.900 Euro trug der Beklagte vor, die Verletzung sei durch den Sohn einer Arbeitskollegin seiner Lebensgefährtin begangen worden. Die Klägerin beantragte zuletzt nur noch die Feststellung, dass der Beklagte ihr die Kosten des Rechtsstreits zu ersetzen hat. Dieser Antrag blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, weil die Klägerin die zu erstattenden Kosten nicht beziffern und ihren Anspruch wegen der Rücknahme des Hauptantrags nicht im Wege der Kostenfestsetzung geltend machen kann. Er ist aber unbegründet, weil der Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet war, den Täter zu benennen. Eine Nebenpflicht zur Auskunftserteilung aus dem Unterlassungsvertrag scheidet aus, weil der Beklagte beim Abschluss dieses Vertrags bereits darauf hingewiesen hat, dass er nicht der Täter ist. Aus der Verletzung des Urheberrechts ergibt sich eine solche Pflicht nicht, weil der Beklagte für die Verletzung nicht verantwortlich ist. Die Stellung als Inhaber des Anschlusses, über den die Verletzung begangen wurde, begründet auch kein vorvertragliches Schuldverhältnis, das zu einer Auskunftspflicht führen könnte. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden in dieser Konstellation ebenfalls aus. Eine Ersatzpflicht aus § 826 BGB käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Beklagte vorprozessual wissentlich falsche Angaben über den Täter gemacht hätte.

Praxistipp: Im Prozess trifft den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, welchen anderen Personen er den Internetanschluss zur Verfügung gestellt hat. Kommt er dem nicht nach, besteht eine tatsächliche Vermutung für seine Täterschaft.

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Diese Woche geht es um eine im Alltag häufig auftretende Fallkonstellation.

Haftung des Fahrzeughalters für erhöhtes Parkentgelt
Urteil vom 18. Dezember 2019 – XII ZR 13/19

Mit den Rechtsfiguren des Anscheinsbeweises und der sekundären Darlegungslast befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Klägerin betreibt einen öffentlichen Parkplatz, auf dem mit Schildern darauf hingewiesen wird, dass die Nutzung auf den dafür gekennzeichneten Flächen für eine Höchstdauer von zwei Stunden kostenlos ist und bei Überschreitung dieses Zeitraums oder Nutzung anderer Flächen ein erhöhtes Parkentgelt von 30 Euro erhoben wird. Die Beklagte ist Halterin eines Autos, das im Lauf von zwei Jahren insgesamt dreimal unberechtigt auf dem Parkplatz abgestellt war. Die Klage auf erhöhtes Parkentgelt und Inkassokosten in Höhe von insgesamt 214,50 Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er tritt dem LG darin bei, dass ein Vertrag über die Nutzung des Parkplatzes nur mit dem Fahrer zustande kommt, der das Fahrzeug auf einer betroffenen Fläche abstellt, nicht aber mit einem Dritten, der Halter des Fahrzeugs ist. Er bestätigt ferner, dass die Vereinbarung mit dem Fahrer über das erhöhte Parkentgelt im Streitfall wirksam geschlossen wurde und einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle standhält. Zu Recht hat das LG überdies entschieden, dass kein Anscheinsbeweis dafür spricht, dass der Halter des Fahrzeugs zugleich dessen Fahrer war. Abweichend von der Auffassung der Vorinstanzen trifft den Halter in der gegebenen Konstellation aber eine sekundäre Darlegungslast. Er kann die gegnerische Behauptung, das Fahrzeug selbst gefahren zu haben, nur dann wirksam bestreiten, wenn er jedenfalls die Personen benennt, die im fraglichen Zeitraum die Möglichkeit hatten, das Fahrzeug als Fahrer zu nutzen.

Praxistipp: Für Abschleppkosten haftet der Halter unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag grundsätzlich schon dann, wenn er das Fahrzeug einem Dritten überlassen hat (BGH, Urt. v. 18.12.2015 – V ZR 160/14 Tz. 21 f. – MDR 2016, 267; BGH, Urt. v. 11.3.2016 – V ZR 102/15 Tz. 6 ff. – MDR 2016, 764).

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Mit der rechtlichen Qualifikation eines nicht alltäglichen Vertragstyps befasst sich der III. Zivilsenat

Laufzeit eines Fernüberwachungsvertrags
Urteil vom 15. März 2018 – III ZR 126/17

Der III. Zivilsenat hatte die Wirksamkeit einer AGB-Klausel zu beurteilen, die für einen Fernüberwachungsvertrag eine Laufzeit von sechs Jahren vorsah.

Die Beklagte schloss mit der Klägerin für zwei Geschäftsstandorte einen so genannten Fernüberwachungsvertrag. Zu den von der Klägerin zu erbringenden vertraglichen Leistungen gehörten Lieferung, Installation und Instandhaltung von Bewegungsmeldern, einer Alarmtaste und einem Bedienteil, die Bereithaltung einer permanent besetzten Notruf- und Serviceleitstelle und die Benachrichtigung der Beklagten oder der zuständigen öffentlichen Stellen im Falle eines Alarms. Das monatliche Entgelt betrug rund 300 Euro inklusive Umsatzsteuer. Für die Laufzeit sah das Vertragsformular Ankreuzfelder für 24, 36, 48, 60 und 72 Monate vor; im Streitfall war das Feld für 72 Monate angekreuzt. Einen Tag nach Vertragsschluss kündigte die Beklagte die Vereinbarung. Die Klägerin verlangte das vertraglich vorgesehene Entgelt für die gesamte Laufzeit von sechs Jahren, rund 21.000 Euro. Das LG und das OLG sprachen ihr nur einen Teil des Entgelts für den ersten Monat zu, rund 70 Euro.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er den Vertrag als Dienstvertrag an. Die Klägerin hat sich zwar auch zur Gebrauchsüberlassung der vor Ort zu installierenden Geräte verpflichtet. Der Schwerpunkt der geschuldeten Leistung liegt aber auf der Überwachung der Geschäftsräume. Die – ungeachtet der mit den Ankreuzfeldern eingeräumten Wahlmöglichkeit – als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehende Vereinbarung über die Laufzeit ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Im unternehmerischen Verkehr gilt zwar nicht die in § 390 Nr. 9 Buchst. a BGB vorgesehene Höchstgrenze von zwei Jahren. Eine Laufzeit von sechs Jahren führt in der hier zu beurteilenden Konstellation aber zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden. Den von der Klägerin erhobene Einwand, nur bei dieser Vertragsdauer könne sie wirtschaftlich arbeiten, sieht der BGH mit den Vorinstanzen als nicht begründet an, weil die Klägerin ihre Kalkulation nicht offengelegt hat. Nach der gesetzlichen Regelung (§ 621 Nr. 3 BGB) durfte die Beklagte den Vertrag bis zum 15. jedes Monats zum Ende des Kalendermonats kündigen.

Praxistipp: Für die Frage, welche Laufzeit noch als angemessen angesehen werden kann, ist auch von Bedeutung, ob der Verwender im Gegenzug für eine längerfristige Bindung einen günstigeren Preis einräumt.

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Urheberrechtsverletzung durch volljährige Kinder
Urteil vom 30. März 2017 – I ZR 19/16

Der I. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast des Inhabers eines Internetanschlusses im Falle einer Urheberrechtsverletzung weiter aus.

Über den Internetanschluss der beklagten Eheleute waren elf Musiktitel zum Download angeboten worden, an denen der Klägerin Rechte zustehen. Die Beklagten machten geltend, die Rechtsverletzung sei von einem ihrer drei volljährigen Kinder begangen worden. Dessen Namen wollten sie nicht mitteilen. Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.500 Euro und zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von rund 1.000 Euro. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Er bekräftigt seine Rechtsprechung, wonach eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass eine Urheberrechtsverletzung durch den Inhaber des dafür genutzten Internetanschlusses begangen wurde, und der Anschlussinhaber diese Vermutung nur dadurch entkräften kann, dass er eine konkrete Nutzungsmöglichkeit durch andere Personen aufzeigt. Aufgrund dieser sekundären Darlegungslast hat der Anschlussinhaber nach Auffassung des BGH auch den Namen eines eigenen Kindes anzugeben, von dem er weiß, dass es die Verletzungshandlung begangen hat. Art. 6 Abs. 1 GG stehe dem nicht entgegen. Wenn der Anschlussinhaber seiner Darlegungslast nicht genügt, haftet er selbst für den Verstoß.

Praxistipp: Eine Konsequenz dieser Entscheidung dürfte sein, dass der Anschlussinhaber besser steht, wenn er zwar eine konkrete Nutzungsmöglichkeit durch seine volljährigen Kinder aufzeigen kann, aber nicht weiß, wer der Täter war.

Verjährungshemmung für zusammenhängende Ansprüche
Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 99/16

Die Grenzen des § 213 BGB zeigt der VIII. Zivilsenat auf.

Der Kläger hatte von der Beklagten einen Gebrauchtwagen gekauft. Einen Tag nach Übergabe schlossen die Parteien einen Garantievertrag, der die Beklagte verpflichtete, im Falle eines innerhalb von zwölf Monaten auftretenden Defekts für bestimmte Bauteile nur 60 % der Materialkosten zu berechnen. Die AGB des Garantievertrags sahen eine Verjährungsfrist von sechs Monaten nach Ablauf der Garantiefrist vor. Rund ein halbes Jahr nach Übergabe trat ein Defekt an den Einspritzdüsen auf. Der Kläger begehrte eine kostenlose Reparatur; die Beklagte lehnte dies ab. Nicht ganz ein Jahr nach Übergabe nahm der Kläger den Beklagten gerichtlich auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch. Dieses Begehren stützte er zunächst nur auf gesetzliche Gewährleistungsansprüche. Fast ein Jahr später berief er sich ergänzend auf den Garantievertrag. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung, mit der der Kläger nur noch Ansprüche aus dem Garantievertrag geltend machte, blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass Ansprüche aus dem Garantievertrag verjährt sind. Die Verjährung wäre nur dann gehemmt worden, wenn diese Ansprüche von Anfang an zum Streitgegenstand gehört hätten oder wenn einer der Ansprüche im Sinne von § 213 BGB wahlweise neben den anderen Anspruch oder an dessen Stelle gegeben wäre. Die erste Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben, weil die Ansprüche auf unterschiedliche Lebenssachverhalte gestützt werden. Ein Verhältnis elektiver oder alternativer Konkurrenz im Sinne von § 213 BGB besteht ebenfalls nicht. Darüber hinaus beruhen die beiden Ansprüche nicht auf demselben Grund. Dieses Merkmal kann zwar auch bei Ansprüchen greifen, die keinen einheitlichen Streitgegenstand bilden. Es setzt aber voraus, dass die Ansprüche zumindest im Kern auf denselben Lebenssachverhalt gestützt werden. Hieran fehlt es im Verhältnis zwischen Ansprüchen aus gesetzlicher Gewährleistung und Ansprüchen aus einem Garantievertrag.

Praxistipp: Um eine Verjährung auszuschließen, sollten alternativ in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen auch dann von vornherein geltend gemacht werden, wenn das Begehren mutmaßlich schon durch die primär geltend gemachte Grundlage gestützt wird.

BGH: Eltern müssen Namen der rechtsverletzenden Kinder nennen

In Filesharingfällen besteht zunächst die Vermutung, dass der Anschlussinhaber zugleich auch Verletzer der fremden Urheberrechte ist. Es ist Aufgabe des Anschlussinhabers im Rahmen de sekundären Darlegungslast, diese Vermutung zu erschüttern.

In einem typischen Filesharingfall hatte der Anschlussinhaber mitgeteilt, dass ein volljähriges Kind die Verletzung begangen habe, ohne aber den Namen zu nennen. Der Beklagte berief sich auf den grundrechtlichen Schutz der Familie, teilte aber zugleich mit, den Verletzer zu kennen.

Das reichte dem BGH nicht aus, der auch die Eigentumsrechte der Rechteinhaber berücksichtigte, sodass es bei der Haftung des Anschlussinhabers verblieb.

Jens Ferner weist zutreffend darauf hin, dass sich aus den Entscheidungsgründen noch weitere wichtige Erkenntnisse ergeben könnten, die zum Stand der Veröffentlichung dieses Beitrages noch nicht vorlagen.

Praxistipp:
Der Praxistipp ergibt sich aus der Quintessenz des Urteils: Kennt der Anschlussinhaber den Täter namentlich, muss dieser auch angegeben werden. Nachforschungen auf fremdem PCs z.B. sind nicht vom Anschlussinhaber geschuldet. Anschlussinhaber sollten möglichst wenig zur Sachverhaltsaufklärung unternehmen. Beckmann und Norda kommentieren den Fall zutreffend: „Leider ist der Anschlussinhaber im vorliegenden Fall bei der Abwehr der Ansprüche nicht sonderlich geschickt vorgegangen.“
Aufgrund der höchstrichterlichen Klärung dieser Fallgestaltung, dürfte es in Zukunft nur noch in wenigen Fällen zu einer identischen Konstellation kommen, da das Aufklärungsinteresse des kundigen Anschlussinhabers gegen null tendieren dürfte.
BGH , Urteil vom 30.03.2017 – I ZR 19/16

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Sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers bei illegalen Internet-Downloads
Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 48/15

Der I. Zivilsenat hat seine mittlerweile etablierte Rechtsprechung zur Haftung des Anschlussinhabers für unter Nutzung des Anschlusses begangene Rechtsverletzungen weiter ausgebaut.

Die Klägerinnen nahmen den Beklagten wegen illegalen Zugänglichmachens von 15 Musiktiteln in einer Internet-Tauschbörse in Anspruch. Ein von den Klägerinnen beauftragtes Unternehmen hatte festgestellt, dass diese Titel (zusammen mit knapp 800 weiteren Titeln) zu einem bestimmten Zeitpunkt mittels eines Tauschbörsenprogramms zum Herunterladen verfügbar gehalten wurden. Die betreffende Internetadresse war zu diesem Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesen. Der Beklagte gab nach Abmahnung eine Unterlassungserklärung ab. Dem Begehren der Klägerinnen nach Schadensersatz trat er unter anderem mit dem Vortrag entgegen, er habe die Dateien nicht zum Download angeboten und er verfüge nicht über Anhaltspunkte dafür, dass seine Ehefrau oder seine beiden 15 und 17 Jahre alten Kinder die Rechtsverletzung begangen hätten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sein Internetanschluss – trotz Verschlüsselung und Zugangssicherung mittels Benutzername und Passwort – unberechtigt durch Dritte genutzt worden sei. Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.000 Euro und Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 Euro gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG sprach den Klägerinnen Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe von 3.000 Euro und Abmahnkosten in Höhe von 1.200,40 Euro zu.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Zur Frage der Passivlegitimation knüpft er an seine mittlerweile ständige Rechtsprechung an. Danach trägt der Rechtsinhaber die Darlegungs- und Beweislast für eine Rechtsverletzung. Es spricht aber eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn im Tatzeitpunkt keine anderen Personen den Anschluss benutzen konnten. Hinsichtlich des Bestehens solcher Nutzungsmöglichkeiten trifft den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast.

Der Anschlussinhaber kann die tatsächliche Vermutung zum einen dadurch ausräumen, dass er vorträgt, der Anschluss sei nicht hinreichend gesichert gewesen. Wenn der Rechtsinhaber diesen Vortrag nicht widerlegen kann, haftet der Anschlussinhaber nicht auf Schadensersatz. Wegen der unzureichenden Absicherung seines Anschlusses haftet er aber als so genannter Störer auf Unterlassung, Beseitigung und Ersatz der Abmahnkosten.

Der Anschlussinhaber kann die tatsächliche Vermutung auch dadurch ausräumen, dass er aufzeigt, andere Personen hätten Zugang zu dem Anschluss und Gelegenheit zur Begehung der Rechtsverletzung gehabt. Hierzu reicht aber, wie der BGH in der vorliegenden Entscheidung erneut hervorhebt, die allgemeine Behauptung, ein Dritter könnte Zugang gehabt haben, nicht aus. Im Streitfall blieb dem Beklagten die Berufung auf die mögliche Täterschaft eines Dritten im Ergebnis verwehrt, weil sein Anschluss verschlüsselt und passwortgesichert war und er keine konkrete Zugriffsmöglichkeit für Dritte aufgezeigt hatte.

Soweit der Anschlussinhaber anderen Personen den Zugang ermöglicht hat, muss er konkret vortragen, ob diese im Hinblick auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die Verletzungshandlung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen. Im Streitfall konnte der Beklagte seine Haftung auch auf diesem Weg nicht abwenden, weil er vorgetragen hatte, seine Ehefrau habe die Rechtsverletzung ebenfalls nicht begangen und seine Kinder dürften den Internetanschluss nur für 30 Minuten pro Tag nutzen und würden regelmäßig überwacht.

Praxistipp: Wenn außer dem Anschlussinhaber selbst nur Familienangehörige Zugang zu dem Internetanschluss hatten, hat der Anschlussinhaber letztendlich nur die Wahl, ob er sich selbst oder aber seine Angehörigen der Tat bezichtigen will. In dieser Lage wird es in der Regel wirtschaftlich vernünftiger sein, nach Abgabe der Unterlassungserklärung eine außergerichtliche Einigung über die Höhe des Schadensersatzes und der Abmahnkosten anzustreben.

Internetnutzung durch volljährige Mitbewohner, Besucher und Gäste
Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 86/15

Dass der Inhaber eines Internetanschlusses nicht immer in der Haftungsfalle sitzt, zeigt eine weitere, am gleichen Tag ergangene Entscheidung des I. Zivilsenats.

In diesem Fall nahm die Klägerin den Beklagten wegen illegalen Veröffentlichens eines Films in einer Internet-Tauschbörse in Anspruch. Im Zeitraum der Rechtsverletzung hatte der Beklagte Besuch von seiner Nichte und deren Lebensgefährten, die beide volljährig sind und in Australien leben. Diesen hatte er das Passwort für den Internetzugang mitgeteilt. Nach der Abmahnung räumte die – wieder nach Australien zurückgekehrte – Nichte ein, den Film ins Internet gestellt zu haben. Der Beklagte gab eine Unterlassungserklärung ab, verweigerte aber die Erstattung von Abmahnkosten. Die auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 Euro gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche, die Klage abweisende Urteil wieder her. Er verneint eine Haftung des Beklagten als Täter, weil die Rechtsverletzung durch dessen Nichte begangen wurde. Abweichend vom LG sieht er den Beklagten auch nicht als Störer an.

Als Störer haftet nach der Rechtsprechung des I. Zivilsenats, wer willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung eines geschützten Rechts beiträgt, etwa dadurch, dass er eine zumutbare Möglichkeit zur Verhinderung der Tat nicht wahrgenommen hat. Beim Inhaber eines Internetanschlusses sind diese Voraussetzungen typischerweise erfüllt, wenn er den Anschluss nicht durch Verschlüsselung und Passwortschutz gegen unbefugte Nutzung sichert oder wenn er minderjährige Familienangehörige oder Besucher nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt und ihnen eine Teilnahme verbietet.

Gegenüber volljährigen Familienangehörigen besteht eine entsprechende Pflicht zur Belehrung nicht, solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den Internetanschluss für rechtswidrige Zwecke nutzen. Dieser Grundsatz gilt nach der vorliegenden Entscheidung auch für volljährige Besucher, Gäste und Mitbewohner.

Praxistipp: Die Möglichkeit, einen volljährigen Dritten als verantwortlichen Täter zu benennen, wird wohl nur in Ausnahmefällen bestehen. Ein Dritter, der seine eigene Inanspruchnahme zu befürchten hat, wird nicht häufig geneigt sein, die Tat einzuräumen. Und eine Nichte aus Australien, die die Tat gesteht, wird eher selten beteiligt sein.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich Hygieneverstößen im Krankenhaus
Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15

Mit Fragen der Beweis- und Darlegungslast befasst sich der VI. Zivilsenat in einer Arzthaftungssache.

Der Kläger ließ sich wegen eines Tennisarms operieren. Nach kurzer Zeit stellten sich erneut anhaltende Schmerzen ein. Bei einer Revisionsoperation wurde eine Wundinfektion mit starker Eiterbildung festgestellt. In der Folgezeit wurden weitere Operationen erforderlich. Dennoch verblieben dauerhafte Schmerzen. Der Kläger nahm deshalb die Krankenhausträgerin auf Schadensersatz in Anspruch, unter anderem mit der Behauptung, zu der Wundinfektion sei es gekommen, weil er nach der ersten Operation in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht gewesen sei, der an einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich gelitten habe. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass die Beweislast für die Ursache der Wundinfektion beim Kläger liegt. Zwar tritt eine Umkehr der Beweislast ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können. Vorgänge im lebenden Organismus und damit Wundinfektionen gehören aber nicht zu dieser Kategorie. Abweichend von der Auffassung des OLG bejaht der BGH aber eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten, weil der Kläger konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen hat. Die Unterbringung zusammen mit einem Patienten, der an einer offenen und infizierten Wunde leidet, stellt zwar nicht per se einen Behandlungsfehler dar. Sie erfordert aber besondere Vorkehrungen, die in einer Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Institutes näher beschrieben sind. Ob diese Anforderungen eingehalten wurden, ist eine Frage der inneren Organisation des Krankenhausbetriebs. Deshalb trifft den Krankenhausträger insoweit eine sekundäre Darlegungslast.

Praxistipp: Um eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten zu begründen, muss der Kläger all das vortragen, was ihm aus eigener Anschauung zugänglich ist.

Stellung des selbstständigen Streithelfers
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZB 96/15

Mit grundlegenden Fragen zur Stellung eines Streithelfers befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte für Forderungen des Beklagten gegen den Streithelfer aus einem Wohnungsmietvertrag eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Auf Verlangen des Vermieters erbrachte sie Zahlungen auf rückständige Nebenkosten. Später begehrte sie Rückzahlung dieser Beträge, weil die Nebenkostenabrechnungen unzutreffend seien. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Gegen diese Entscheidung legte lediglich der Streithelfer Berufung ein, den die Klägerin in der Zwischenzeit auf Regress in Anspruch genommen hatte. Das LG wies die Berufung als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es aus, die zunächst im eigenen Namen als „selbstständiges“ Rechtsmittel eingelegte Berufung des Streithelfers sei unzulässig, weil ein Fall der selbstständigen Streithilfe (§ 69 ZPO) nicht vorliege. Die später zugunsten der Klägerin geführte („unselbstständige“) Berufung sei unzulässig, weil der Streithelfer sie nicht begründet habe und weil die Klägerin durch die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Streithelfer zu erkennen gegeben habe, dass sie die Abweisung der Klage nicht anfechten wolle.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. Mit dem LG hält er die Voraussetzungen für eine selbstständige Streithilfe (streitgenössische Nebenintervention) gemäß § 69 ZPO für nicht gegeben, weil ein Urteil im Prozess zwischen Gläubiger und Bürge grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hautschuldner entfaltet. Er stellt aber klar, dass auch ein selbstständiger Streithelfer durch Einlegung eines Rechtsmittels nicht Partei des  Rechtsstreits wird. Ein selbstständiger Streithelfer kann zwar (abweichend von den für einen einfachen Streithelfer in § 67 ZPO vorgesehenen Beschränkungen) auch gegen den Willen der unterstützten Hauptpartei Rechtsmittel einlegen und Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend machen; deshalb ist ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel gegebenenfalls getrennt von einem Rechtsmittel der Hauptpartei zu beurteilen. Dennoch handelt es sich stets um ein zugunsten der Hauptpartei eingelegtes Rechtsmittel. Wenn sich im Laufe des Berufungsverfahrens ergibt, dass die Voraussetzungen des § 69 ZPO entgegen der Einschätzung des Streithelfers nicht vorliegen, hängt die Zulässigkeit der Berufung deshalb – entgegen den komplexen Überlegungen des LG – allein von der Frage ab, ob die unterstütze Hauptpartei dem Rechtsmittel widersprochen hat. Diese Voraussetzung war im Streitfall entgegen der Auffassung des LG nicht erfüllt. Ein Widerspruch kann zwar auch konkludent erklärt werden. Aus dem Umstand, dass die Klägerin Regressansprüche gegen den Streithelfer geltend macht, kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, sie wolle einer weiteren Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche gegen den Beklagten entgegentreten.

Praxistipp: Ein Streithelfer sollte ein Rechtsmittel stets „zur Unterstützung der Hauptpartei“ einlegen und sich nicht auf Erörterungen zu der Frage einlassen, ob es sich um ein „selbstständiges“ oder ein „unselbstständiges“ Rechtsmittel handelt.