Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr.

Vorbeifahren an einem in zweiter Reihe stehenden Lkw
BGH, Urteil vom 4. Juni 2024 – VI ZR 374/23

Der VI. Zivilsenat klärt den Anwendungsbereich seiner so genannten Lückenrechtsprechung.

Der Kläger begehrt Ersatz von Sachschaden nach einem Verkehrsunfall. Der Beklage fuhr auf einer in beiden Fahrtrichtungen jeweils einspurigen Straße an einem Lkw vorbei, der unmittelbar vor der Ein- und Ausfahrt zu einem Unternehmensgelände in zweiter Reihe stand. Der Kläger hatte auf einem Parkplatz vor der Zufahrt geparkt und wollte auf die gegenüberliegende Seite umparken. Hierzu fuhr er rechts an dem Lkw vorbei in den Bereich der Zufahrt und von dort aus auf die Straße, wo es zur Kollision kam. Das LG hat dem Kläger 25 % des geltend gemachten Schadens zugesprochen. Das OLG wies die Klage insgesamt ab.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht hat das OLG angenommen, dass der Kläger gegen die Pflichten aus § 9 Abs. 5 und § 10 Satz 1 StVO verstoßen hat. Nach diesen Vorschriften muss sich derjenige, der sein Fahrzeug wendet bzw. aus einem Grundstück oder einem anderen Straßenteil auf die Fahrbahn einfahren will, besonders sorgfältig verhalten.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG eine besondere Sorgfaltspflicht des Beklagten verneint.

Konkrete Anzeichen für eine Vorfahrtsmissachtung durch den Kläger konnte das OLG nicht feststellen.

Die so genannte Lückenrechtsprechung ist im Streitfall nicht anwendbar. Sie besagt, dass ein vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer, der an einer ins Stocken oder zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne achten und sich darauf einstellen muss, dass diese Lücken vom Querverkehr benutzt werden. In solchen Fällen bilden das Stocken der Kolonne und die Lückenbildung einen konkreten Anlass, besonders besonnen und rücksichtsvoll zu fahren. Der Umstand, dass ein einzelner Lkw in zweiter Reihe abgestellt ist, bildet kein vergleichbares Anzeichen.

Praxistipp: Die Verletzung des Vorfahrtsrechts indiziert nach den Regeln des Anscheinsbeweis ein schuldhaftes Verhalten. Die Beweislast dafür, dass konkrete Anzeichen vorlagen, die aus Sicht des Vorfahrtsberechtigten eine Vorfahrtsmissachtung nahelegten, liegt bei demjenigen, der das Vorfahrtsrecht verletzt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Tätigkeitspflicht eines Notars.

Urkundsgewährungspflicht bei Nachlassverzeichnis
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2024 – IV ZB 13/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen für die Verweigerung der Amtstätigkeit durch einen Notar.

Die Beschwerdeführerin war als Alleinerbin ihres im März 2020 verstorbenen Lebensgefährten gerichtlich zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt worden. Im Februar 2021 beauftragte sie einen Notar mit der Aufnahme des Verzeichnisses. Die Beschwerdeführerin reichte angeforderte Unterlagen ein, äußerte jedoch ihre Unsicherheit hinsichtlich der Verlässlichkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben. Zu Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers konnte sie nahezu keine Angaben machen.

Im Juni 2022 lehnte der Notar die Aufnahme des Verzeichnisses mit der Begründung ab, er sei nicht in der Lage, ein den hohen Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Nachlassverzeichnis aufzunehmen, zumal die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme.

Die auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 BNotO eingelegte Beschwerde der Erbin gegen die vom Notar ausgesprochene Weigerung ist erfolglos geblieben (LG Bad Kreuznach, B. v. 20.4.2023 – 4 OH 11/22, NotBZ 2024, 15).

Der BGH weist den Notar an, ein Verzeichnis über den Nachlass des Erblassers aufzunehmen.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO darf ein Notar seine Urkundstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund verweigern. Ein ausreichender Grund in diesem Sinne liegt vor, wenn der in Rede stehenden Tätigkeit ein gesetzliches Verbot entgegensteht, wenn sich besondere gesetzliche Regelungen dem Notar einen Entscheidungsspielraum einräumen oder wenn die Tätigkeit mit der Stellung des Notars als Organ der vorsorgenden Rechtspflege nicht vereinbar ist. An die Bejahung der zuletzt genannten Voraussetzung sind hohe Anforderungen zu stellen.

Entgegen der Auffassung des LG darf ein Notar die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses auch dann nicht gemäß § 14 Abs. 2 BNotO wegen Unvereinbarkeit mit Amtspflichten verweigern, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Verzeichnis trotz aller gebotenen Nachforschungen nicht vollständig ist.

Ein Notar hat bei der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Er darf und muss hierbei auf Wissen des Erben zurückgreifen. Die Erstellung eines Verzeichnisses auf der Grundlage der gebotenen Nachforschungen ist auch dann nicht amtspflichtwidrig, wenn Unklarheiten verbleiben. Der Notar muss gegebenenfalls verbliebene Zweifel im Verzeichnis zum Ausdruck bringen. Er darf die Erstellung aber nicht verweigern – unabhängig vom erforderlichen Zeitaufwand.

Der BGH lässt offen, ob dem Notar in Ausnahmefällen ein Ermessen zusteht. Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier jedenfalls nicht vor.

Der BGH zeigt ferner auf, dass der Notar seine Nachforschungspflicht im Streitfall nicht vollständig erfüllt hat. Angesichts der von der Erbin geäußerten Unsicherheit hat er Nachforschungen zu Zeitpunkt und Höhe etwaiger Schenkungen durch Einsichtnahme in die Kontoauszüge aus den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall anzustellen. Soweit die Erbin diese Unterlagen nicht beibringen kann, muss er sie anhalten, Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten geltend zu machen, oder selbst Anfragen an diese Institute richten. Darüber hinaus muss der Notar Dritte befragen, die als Empfänger von Schenkungen und ausgleichspflichtigen Zuwendungen des Erblassers in Frage kommen.

Praxistipp: Bei einer erfolgreichen Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO dürfen dem Notar keine Kosten auferlegt werden, weil dieser in solchen Verfahren weder Beteiligter im Sinne von § 81 Abs. 1 Satz 1 noch Dritter im Sinn von § 81 Abs. 4 FamFG ist, sondern die erste Instanz der vorsorgenden Rechtspflege (BVerfG, B. v. 7.2.2013 – 1 BvR 639/12, NJW 2013, 1588, juris Rn. 19). Der Beschwerdeführer hat deshalb seine außergerichtlichen Kosten auch im Erfolgsfall selbst zu tragen. Das Gericht kann aber gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG anordnen, dass das Rechtsmittelverfahren gerichtskostenfrei ist.

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Diese Woche geht es um die formellen Anforderungen an einer Online-Bestellung und die Ansprüche im Falle einer Rückabwicklung.

Online-Bestellung bei Verträgen über mehrere Leistungen
BGH, Urteil vom 4. Juni 2024 – X ZR 81/23

Der X. Zivilsenat befasst sich mit den Anforderungen aus § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB und den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift.

Die Klägerin buchte auf der Online-Plattform der Beklagten eine Flugreise. Im Rahmen des Buchungsvorgangs erschien nach Auswahl des Fluges und Eingabe von Passagier- und Gepäckinformationen ein Auswahlfeld für ein kostenloses 30-tägiges Probeabo. Darunter stand der Hinweis, dass sich das Probeabo nach Ablauf von 30 Tagen automatisch auf ein kostenpflichtiges Abonnement für 74,99 Euro pro Jahr aktualisiert. Bei Auswahl des Feldes konnte der gewählte Flug zu einem günstigeren Tarif gebucht werden.

Am Ende des Auswahlvorgangs erschien eine Maske mit der Überschrift „Ihr Reiseplan“, in der die Flugdaten wiedergegeben waren. Darunter stand: „30-Tage-GRATIS-Probeabo Herzlichen Glückwunsch […]! Mit Ihrem 30-Tage Prime Gratis-Probeabo sparen Sie […] € bei diesem Flug“. Danach erschienen der Preis für den Flug, der Button „Jetzt kaufen“ und ein Hinweis auf die AGB der Beklagten.

Die Klägerin wählte den ermäßigten Preis. In der Folgezeit ließ die Beklagten den neben dem Flugpreis weitere 74,99 Euro als erste Jahresgebühr für das Abonnement abbuchen.

Das AG wies die auf Rückzahlung der Jahresgebühr von 74,99 Euro und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage ab. Das LG sprach der Klägerin 15,40 Euro und den größten Teil der Anwaltskosten zu. Einen weitergehenden Anspruch hielt es für unbegründet, weil sich die Klägerin den aufgrund des Abonnements erlangten Preisvorteil für die Flugreise in Höhe von 59,59 Euro anrechnen lassen müsse.

Der BGH verurteilt die Beklagte zur Zahlung des Restbetrags von 59,59 Euro.

Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der Abonnementvertrag gemäß § 312j Abs. 4 BGB nicht wirksam zustande gekommen ist, weil die Beklagte die ihr nach § 312j Abs. 3 BGB obliegende Pflicht verletzt hat.

Nach § 312j Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Unternehmer die Bestellsituation bei einem entgeltlichen Verbrauchervertrag im elektronischen Rechtsverkehr so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Bei einer Bestellung über eine Schaltfläche muss diese gemäß § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Diese Vorschrift ist im Streitfall auch bezüglich des Abonnementvertrags einschlägig, weil das kostenlose Probeabonnement ohne Kündigung in ein entgeltpflichtiges Abonnement übergehen sollte.

Die von der Beklagten verwendete Formulierung „Jetzt kaufen“ lässt aus Sicht des BGH auch bei Personenbeförderungs- und Abonnementverträgen hinreichend deutlich erkennen, dass sich der Verbraucher zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet.

Wenn mit dem Klick auf eine Schaltfläche Verträge über zwei unabhängig voneinander zu erbringende Leistungen abgeschlossen werden sollen, muss dies aber aus der Bestellmaske, die die Schaltfläche enthält, hinreichend deutlich hervorgehen. Ein Hinweis in einer vorhergehenden Maske oder in den AGB reicht nicht aus. Im Streitfall ging aus der Bestellmaske nicht hervor, dass sich der Besteller nicht nur zur Zahlung der Flugreise verpflichten soll, sondern auch zur Zahlung der Abonnementsgebühr. Deshalb ist der Vertrag über das entgeltliche Abonnement unwirksam.

Entgegen der Auffassung des LG darf der Unternehmer in einer solchen Situation dem auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB gestützten Anspruch des Verbrauchers auf Rückzahlung des gezahlten Entgelts nicht einen Anspruch auf Ersatz des Werts der Vorteile aus dem unwirksamen Vertrag entgegenhalten. Ein Anspruch auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB darf nicht geltend gemacht werden, wenn dies dem Schutzzweck einer Formvorschrift zuwiderliefe, die einen Vertragsteil durch hinreichende Information über voraussichtlich entstehende Kosten vor einer unüberlegten und übereilten Bindung schützen soll. Die Regelung in § 312j Abs. 3 und 4 BGB soll dem Verbraucher nach der Vorstellung des Gesetzgebers einen vergleichbaren Schutz wie eine solche Formvorschrift geben. Deshalb ist es dem Unternehmer verwehrt, eine Entgeltpflicht, auf die er vor Vertragsschluss nicht in der gebotenen Weise hingewiesen hat, auf dem Umweg über einen Anspruch auf Wertersatz doch noch durchzusetzen, wenn der Verbraucher die Leistung nicht herausgeben kann.

Praxistipp: Auch wenn den Unternehmer zumindest eine sekundäre Darlegungslast treffen dürfte, empfiehlt es sich für den auf Rückzahlung klagenden Verbraucher, den Bestellvorgang möglichst präzise darzulegen, zum Beispiel anhand von Screenshots, die die einzelnen Masken eines exemplarischen Bestellvorgangs darstellen.

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Diese Woche geht es um die erforderliche Form eines Heil- und Kostenplans.

Form eines Heil- und Kostenplans für Zahnersatz bei Kassenpatienten
BGH, Urteil vom 2. Mai 2024 – III ZR 197/23

Der III. Zivilsenat befasst sich mit zahlreichen Vorschriften aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der bei einer Krankenkasse gesetzlich versicherte Beklagte ließ sich von der Streithelferin in Ober- und Unterkiefer je eine Totalprothese auf Basis eines Implantatsystems einsetzen. Der von der Streithelferin vor der Behandlung erstellte und dem Beklagten ausgehändigte Heil- und Kostenplan sah einen Festzuschuss der Krankenkasse von rund 1.000 Euro und einen vom Beklagten zu tragenden Eigenanteil von rund 12.700 Euro vor. Nach Abschluss der Behandlung stellte die Streithelferin dem Beklagten rund 14.800 Euro in Rechnung. Der Beklagte leistete keine Zahlungen. Die von dem klagenden Abrechnungsunternehmen aus abgetretenem Recht erhobene Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrags hatte in den Vorinstanzen nur in Höhe von rund 4.300 Euro Erfolg.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Klägerin an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG bedurfte der Heil- und Kostenplan nicht der Schriftform.

Nach § 630c Abs. 3 BGB muss ein Arzt einen Patienten vor der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten informieren, wenn er weiß, dass die vollständige Übernahme der Kosten durch einen Dritten nicht gesichert ist. Ein solcher Heil- und Kostenplan bedarf der Textform, sofern sich aus anderen Vorschriften nicht weitergehenden Formanforderungen ergeben.

Im Streitfall ist die Textform (§ 126b BGB) eingehalten. Vorschriften, die für einen Heil- und Kostenplan die Schriftform (§ 126 BGB) vorsehen, greifen im Streitfall nicht.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) muss ein Zahnarzt für Wunschleistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen Behandlung hinausgehen, einen Heil- und Kostenplan schriftlich (d.h. in der Form des § 126 BGB) vereinbaren. Wenn die Versorgung mit Zahnersatz zahnmedizinisch geboten ist, geht eine Behandlung aber nicht schon deshalb über das Maß des zahnmedizinisch Notwendigen hinaus, weil sie nicht die wirtschaftlich günstigste ist. Zahnmedizinisch notwendig ist vielmehr grundsätzlich jede Behandlungsmethode, die der Erreichung des gebotenen Behandlungszwecks dient. Diese Begriffsdefinition liegt auch den Vorschriften über befundbezogene Festzuschüsse in § 55 SGB V zugrunde.

§ 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V schreibt eine schriftliche Vereinbarung für den Fall vor, dass der Versicherte bei Zahnfüllungen eine überobligatorische Versorgung (z.B. Inlays aus Gold oder Keramik statt Plastikfüllung) wählt. Diese Vorschrift ist für Zahnersatzleistungen indes nicht einschlägig.

Die Regelungen über das Verfahren zur Bewilligung von Festzuschüssen für Zahnersatz in § 87 Abs. 1a SGB V sehen die Erstellung eines Heil- und Kostenplans durch den Zahnarzt und dessen Prüfung durch die Krankenkasse vor, nicht aber ein Schriftformerfordernis.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich ein Schriftformerfordernis im Streitfall auch nicht aus § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte (BMV-Z). Diese Vorschrift verweist für Zahnfüllungen auf § 28 Abs. 2 SBG V und für Zahnersatz auf § 55 SGB V und damit auch auf § 87 Abs. 1a SGB V. Ein Schriftformerfordernis stellt § 8 Abs. 7 Satz 3 BMV-Z nur für den Fall auf, dass der Patient seine Anspruchsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nachweist und deshalb eine rein privatärztliche Behandlung stattfindet.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG zu prüfen haben, ob der erstellte Heil- und Kostenplan inhaltlich ordnungsgemäß und die gestellte Rechnung in vollem Umfang berechtigt ist.

Praxistipp: Entspricht ein Heil- und Kostenplan mit einem gesetzlich Versicherten nicht den maßgeblichen Formvorschriften, kann der Arzt die von der Kasse nicht übernommenen Mehrkosten auch nicht auf der Grundlage von Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen. Dem Patienten kann es aber nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf den Formmangel zu berufen (BGH, U. v. 3.11.2016 – III ZR 286/15 – MDR 2017, 18).

Montagspost: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit von Videoaufnahmen in einem Mietshaus.

Erstellung und Verwertung von Videoaufnahmen zu Beweiszwecken
BGH, Urteil vom 12. März 2024 – VI ZR 1370/20

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit Fragen der Datenschutz-Grundverordnung und der Zivilprozessordnung.

Die Klägerin, ein landeseigenes Wohnungsunternehmen, hat an die Beklagten seit dem Jahr 2007 zwei Wohnungen zur eigenen Nutzung vermietet. In den Jahren 2016 und 2017 erhielt die Klägerin von Dritten Mitteilungen, die auf eine unberechtigte Untervermietung hindeuteten. Die Klägerin mahnte die Beklagte deswegen mehrfach ab. Ende 2017 beauftragte sie eine Detektei. Diese überwachte rund einen Monat lang vom Treppenhaus aus den Eingangsbereich der Wohnungen mit versteckten Videokameras. Im Januar 2018 erklärte die Klägerin unter Berufung auf die von der Detektei gewonnenen Erkenntnisse die außerordentliche Kündigung der beiden Mietverhältnisse.

Das AG hat die Beklagten antragsgemäß zur Räumung verurteilt und deren Widerklage auf Zahlung einer Geldentschädigung abgewiesen. Das LG hat die Räumungsklage abgewiesen, einen Anspruch der Beklagten auf Geldentschädigung hingegen wie schon das AG verneint.

Die Revisionen beider Parteien bleiben erfolglos.

Das LG hat die Kündigung zu Recht als unwirksam angesehen. Die als Beweis für die behauptete Untervermietung angeführten Erkenntnisse aus der Videoüberwachung sind rechtswidrig erstellt worden und dürfen nicht verwertet werden.

Der BGH legt zunächst dar, dass die Videoaufnahmen nach der für den Streitfall noch maßgeblichen Regelung in § 4 Abs. 1 BDSG aF rechtswidrig waren. Die überwachten Treppenhausbereiche sind keine öffentlichen Räume iSv § 6b BDSG aF. Die Erlaubnistatbestände in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG aF sind jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil das Interesse der Beklagten und der anderen im Haus wohnenden Mieter an einer Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) und am Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Art. 7 GRCh) das Interesse der Detektei an der Erfüllung ihres Auftrags und das Interesse der Beklagten an der Aufdeckung mutmaßlicher Vertragsverstöße überwiegt. Maßgeblich dafür ist insbesondere, dass der Klägerin und der Detektei mildere Mittel zur Verfügung standen, etwa eine Scheinanmietung oder die Befragung von Nachbarn und anderen Dritten.

Der BGH legt sodann dar, dass die Frage, ob die Videoaufnahmen als Beweismittel im Zivilprozess verwertet werden dürfen, gemäß § 286 ZPO zu beurteilen ist. Im Ausgangspunkt sind zwar die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung maßgeblich. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 DSGVO enthält aber eine Öffnungsklausel, die den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Anwendung der Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die öffentliche Hand genauer festzulegen und zu konkretisieren. Zu diesen konkretisierenden Regelungen gehören § 286 und §§ 355 ff. ZPO.

Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist die Verwertung der rechtswidrig erstellten Videoaufnahmen im Streitfall jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Beklagten eine unbefugte Untervermietung bestreiten und eine Auswertung der Aufnahmen zum Zwecke der Würdigung, ob die darin dokumentierten – als solche unstreitigen – Vorgänge als Indiztatsachen den Schluss auf eine unbefugte Untervermietung zulassen, die Verletzung der grundrechtlich (Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) geschützten Interessen der Beklagten vertiefen und perpetuieren würde. Maßgeblich ist dafür insbesondere, dass die Klägerin keiner Beweisnot ausgesetzt ist, weil ihr mildere Mittel zur Verfügung stehen, um den Sachverhalt aufzuklären.

Ebenfalls zu Recht hat das LG einen Anspruch der Beklagten auf Geldentschädigung verneint. Es liegt zwar eine schwerwiegende Beeinträchtigung der räumlichen Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Der Eingriff trifft die Beklagten aber nicht im Kern ihrer Persönlichkeit. Zudem ist der Klägerin nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Praxistipp: Heimliche Videoaufnahmen sollten nur dann als Beweismittel angeboten werden, wenn andere zumutbare Wege der Beweisführung nicht zur Verfügung stehen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um Rechtsfragen aus dem Bereich des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.

Rechtsbeziehungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr
BGH, Urteil vom 14. Mai 2024 – XI ZR 327/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit Fragen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, der Drittschadensliquidation, der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens und der Verjährung.

Die Kläger zeichneten am 3.3.2012 einen Investmentauftrag, mit dem sie sich zur Zahlung von 750.000 Euro auf ein Konto verpflichteten, das die beklagte Bank für eine Tochtergesellschaft der Investmentgesellschaft führte. Die Kläger überwiesen einen Teilbetrag von 350.000 Euro von einem Konto bei einer Landesbank. Diese übermittelte den Zahlungsauftrag über eine weitere Landesbank an die Beklagte. Die Beklagte schrieb den Betrag dem Empfängerkonto am 6.3.2012 gut. Zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten eine Verfügung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) vom 1.3.2012 vor, in der der besagten Investmentgesellschaft jede Entgegennahme von Publikumseinlagen untersagt und sämtliche Kontoverbindungen und Depots gesperrt wurden.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht der beiden Landesbanken Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche aus dem Investmentvertrag. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG die Klage als hinreichend bestimmt angesehen. Ansprüche aus eigenem und aus abgetretenem Recht bilden allerdings unterschiedliche Streitgegenstände. Deshalb muss aus dem Klagevorbringen hervorgehen, in welcher Reihenfolge diese Gegenstände geltend gemacht werden. Im Streitfall ergibt sich die Reihenfolge jedoch schon aus dem materiellen Recht. Die aus abgetretenem Recht abgeleiteten Ansprüche auf Drittschadensliquidation können nur dann bestehen, wenn den Klägern kein eigener Anspruch gegen die Beklagte zusteht. Die Ansprüche aus eigenem Recht haben deshalb Vorrang.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG entschieden, dass die Beklagte eine Warn- und Hinweispflicht verletzt hat. Im bargeldlosen Zahlungsverkehr muss eine Bank einen Beteiligten zwar nur dann auf mögliche Risiken hinweisen, wenn sie aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung schöpft. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall angesichts des Inhalts der behördlichen Verfügung vom 1.3.2012 aber gegeben.

Entgegen der Auffassung des OLG entfaltet das dem bargeldlosen Zahlungsverkehr zugrunde liegende Clearingabkommen zwischen den beteiligten Banken jedoch keine Schutzwirkung für den betroffenen Bankkunden. Der BGH hält insoweit an seiner Rechtsprechung fest, wonach es eines solchen Schutzes nicht bedarf, weil der Bankkunde seine Schäden im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen kann.

Die im Streitfall geltend gemachten Ansprüche aus eigenem Recht sind deshalb unbegründet.

Die Ansprüche erweisen sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch auf der Grundlage abgetretenen Rechts nicht als begründet.

Entgegen der Auffassung des OLG ist der unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten, die beiden Landesbanken hätten einen Hinweis auf die Verfügung vom 1.3.2012 unbeachtet gelassen, entscheidungserheblich. Zugunsten der Kläger spricht zwar die Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens. Die Behauptung, mit der die Beklagte diese Vermutung widerlegen will, ist aber nicht „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt. Die Beklagte hat hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit ihre Behauptung aufgezeigt, indem sie auf eine Vorgabe des von der Finanzmarktaufsicht eingesetzten Untersuchungsbeauftragten Bezug genommen hat, der zufolge nur Soll-Buchungen untersagt waren, nicht aber Gutschriften. Das OLG wird deshalb den Beweisangeboten der Beklagten nachgehen müssen.

Ebenfalls zu Unrecht hat das OLG angenommen, dass Ansprüche aus Drittschadensliquidation erst dann zu verjähren beginnen, wenn der Geschädigte Kenntnis von Schaden und Schädiger hat. Maßgeblich ist vielmehr der Kenntnisstand des Anspruchsinhabers, hier also der beiden Landesbanken. Diesbezügliche Feststellungen wird das OLG gegebenenfalls noch zu treffen haben.

Praxistipp: Wenn nicht auszuschließen ist, dass sich ein auf abgetretenes Recht gestützter Anspruch aus Drittschadensliquidation wegen einer Pflichtverletzung des ursprünglichen Anspruchsinhabers als unbegründet erweist, empfiehlt es sich, diesem den Streit zu verkünden, um die Möglichkeit eines Regresses offenzuhalten.

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Diese Woche geht es um den ordnungsgemäßen Nachweis einer Prozessvollmacht.

Vorlage der Prozessvollmacht
BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2024 – VI ZB 88/21 und VI ZB 16/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit § 80 Satz 1 ZPO.

Die Klägerin begehrt in zwei Verfahren Schadensersatz wegen angeblich wahrheitswidriger Behauptungen in früheren Rechtsstreitigkeiten. Das LG hat beide Klagen abgewiesen. Das OLG hat die Berufungen (aus unterschiedlichen Gründen) als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat dagegen durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Beklagten haben die ordnungsgemäße Bevollmächtigung dieses Anwalts bestritten.

Die Klägerin hat daraufhin eine auf den Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof lautende Prozessvollmacht vorgelegt. Diese ist von einem anderen Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf eine ihm von der Klägerin erteilte Generalvollmacht unterschrieben. Die Prozessvollmacht liegt im Original vor, die Generalvollmacht als Kopie, die der damalige Geschäftsführer der Klägerin zur Bestätigung seiner damals geleisteten Unterschrift unterschrieben hat.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerden als unzulässig.

Eine Prozessvollmacht ist gemäß § 80 Satz 1 ZPO im Original vorzulegen. Wenn sie durch einen Bevollmächtigten erteilt worden ist, gilt dasselbe für dessen Vollmacht. Ein anderweitiger Nachweis der Bevollmächtigung ist ausgeschlossen.

Im Streitfall hätte deshalb auch die Generalvollmacht im Original vorgelegt werden müssen. Die Unterschrift auf der vorgelegten Kopie ist nicht ausreichend. Sie kann auch nicht als Genehmigung der bisherigen Prozessführung angesehen werden, weil der frühere Geschäftsführer der Klägerin zum Zeitpunkt dieser Unterschrift nicht mehr zur Vertretung berechtigt war.

Praxistipp: Eine vollmachtlose Prozessführung kann mit Rückwirkung genehmigt werden. Die Genehmigung muss durch die Partei erfolgen oder durch einen Vertreter, dessen Vertretungsmacht in der Form des § 80 Satz 1 ZPO nachgewiesen ist.

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Diese Woche geht es um das Verbot von Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen für Rechtsanwälte.

Vermittlung von Anwaltsdienstleistungen im Internet
BGH, Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit Tatbestand und Rechtfolgen von § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO.

Die Klägerin betreibt ein Internetportal, auf dem Dienstleistungen für Betroffene im Zusammenhang mit einem möglichen Verkehrsverstoß angeboten werden. Zur rechtlichen Überprüfung der gegen einen Betroffenen erhobenen Vorwürfe arbeitet sie mit Rechtsanwaltskanzleien zusammen, unter anderem mit der beklagten GmbH. Die Kanzlei, an die die Klägerin den Betroffenen verweist, übernimmt dessen rechtliche Betreuung, prüft die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den erhobenen Vorwurf und übernimmt auf Wunsch des Betroffenen die weitere Vertretung. Sie hat an die Klägerin eine Lizenzgebühr zu zahlen, wenn die Rechtsschutzversicherung des Betroffenen eine Deckungszusage erteilt.

Für ihre diesbezüglichen Vermittlungsleistungen im Zeitraum vom 1.12.2020 bis 30.6.2021 begehrt die Klägerin von der Beklagten Lizenzgebühren in Höhe von rund 230.000 Euro. Die Klage ist in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg geblieben.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Das OLG hat zu Recht entschieden, dass die Vereinbarung zwischen den Parteien gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO verstößt.

Das dort normierte Verbot einer entgeltlichen Vermittlung von Anwaltsmandaten richtet sich nicht nur gegen einen Anwalt, der für die Vermittlung einen Teil seiner Gebühren abgibt oder sonstige Vorteile gewährt, sondern auch gegen Dritte, die solche Vorteile entgegennehmen.

Die Klägerin hat im Streitfall Vermittlungsleistungen dieser Art erbracht. Ihre Tätigkeit erschöpft sich nicht im Betreiben einer Plattform, auf der Anwälte ihre Dienstleistungen anbieten. Vielmehr übermittelt sie der Partnerkanzlei den jeweiligen Fall bereits mit unterschriebener, auf diese lautender Vollmacht.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG entschieden, dass eine gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO verstoßende Vereinbarung gemäß § 134 BGB nichtig ist.

Ein Bereicherungsanspruch ist schon durch § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Die darin vorgesehene Kondiktionssperre greift nach der Rechtsprechung des BGH nur, wenn der Leistende vorsätzlich verbotswidrig gehandelt oder sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns zumindest leichtfertig verschlossen hat. Im Streitfall liegt die zuletzt genannte Voraussetzung in der Person der Klägerin (als Erbringerin der Vermittlungsleistung) vor.

Ein Anspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss besteht ebenfalls nicht. Die Beklagte war nicht verpflichtet, auf Bedenken gegen die Wirksamkeit des Vertrags hinzuweisen, weil sich die Klägerin intensiv und jahrelang mit § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO befasst und nach Möglichkeiten einer rechtswirksamen Vertragsgestaltung gesucht hatte. Dass die Beklagte die erkannte Unwirksamkeit des Vertrags für sich ausgenutzt hätte, ist nicht geltend gemacht.

Praxistipp: Der Rückforderung bereits gezahlter Vergütungen aus solchen Verträgen dürfte ebenfalls die Kondiktionssperre aus § 817 Satz 2 BGB entgegenstehen.

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Diese Woche geht es um die Wirksamkeit einer Vormerkung.

Fortbestand einer Vormerkung bei Verlängerung der Annahmefrist
BGH, Urteil vom 8. März 2024 – V ZR 176/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit einer gehaltvollen Mischung aus internationalem Familienrecht, Sachenrecht und Bereicherungsrecht.

Die Klägerin, eine philippinische Staatsangehörige, lebte seit 2004 mit ihrem späteren Ehemann, einem deutschen Staatsangehörigen, in Südafrika. Im Jahr 2006 heirateten die beiden dort.

Im Jahr 2013 übertrug der Ehemann eine Eigentumswohnung in München, die ihm schon vor der Eheschließung gehört hatte, ohne Zustimmung der Klägerin auf seinen Sohn aus früherer Ehe. Dieser wurde als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. In der Folge bot er der Beklagten, seiner Ehefrau, unwiderruflich die unentgeltliche Übereignung der Wohnung an. Zur Annahme des Angebots setzte er eine Frist bis 31.12.2016. Zur Sicherung des künftigen Anspruchs auf Übereignung wurde im Juli 2014 eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen.

Im Oktober 2016 wurde ein Widerspruch gegen die Eigentümerstellung des Ehemannes der Beklagten eingetragen. Die Klägerin macht hierzu geltend, sie sei nach südafrikanischem Güterrecht mit der Eheschließung Gesamthandseigentümerin der Wohnung geworden und ihr Ehemann habe über diese nicht ohne ihre Zustimmung verfügen dürfen.

Der Ehemann der Beklagten verlängerte einige Tage nach Eintragung des Widerspruchs die Frist zur Annahme seines Übereignungsangebots bis 31.12.2026, also um zehn Jahre.

Die auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung gerichtete Klage hatte in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG hat die Klägerin zu Recht als prozessführungsbefugt angesehen.

Ob die Klägerin Ansprüche aus dem geltend gemachten Gesamthandseigentum alleine geltend machen darf, ist nach dem südafrikanischen Recht zu bestimmen.

Die Prozessführungsbefugnis ist zwar grundsätzlich nach deutschen Prozessrecht zu beurteilen. Soweit es um die Frage geht, ob eine Partei ein ihr nicht oder nicht allein zustehendes Recht im eigenen Namen geltend machen kann, ist jedoch das dafür einschlägige materielle Recht maßgeblich. Dieses ist in Fällen mit Auslandsbezug nach den Regeln des Internationalen Privatrechts zu bestimmen.

Im Streitfall ist danach das südafrikanische Güterrecht anwendbar, weil die Klägerin und ihr Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung dort beide ihren Wohnsitz hatten. Nach dieser Rechtsordnung kann ein Ehegatte Ansprüche aus Gesamthandseigentum ohne Mitwirkung des anderen Ehegatten geltend machen.

Das OLG durfte aber nicht offenlassen, ob die Klägerin tatsächlich Gesamthandseigentümerin geworden ist und ob der Ehemann der Beklagten das Eigentum an der Wohnung gegebenenfalls gutgläubig erworben hat.

Das OLG hat allerdings zu Recht angenommen, dass die Vormerkung kraft guten Glaubens auch dann wirksam entstanden ist, wenn der Ehemann der Beklagten nicht Eigentümer der Wohnung ist. Der Ehemann war als Eigentümer im Grundbuch eingetragen und die Beklagte hatte keine Kenntnis von einer eventuellen Unrichtigkeit. Ein Widerspruch war bei Eintragung der Vormerkung noch nicht eingetragen. Es handelt sich auch nicht um einen Fall der vorweggenommenen Erbfolge, für die ein gutgläubiger Erwerb nach einer verbreiteten Auffassung generell ausgeschlossen sein soll.

Die Vormerkung hat ihre Wirksamkeit auch über die ursprünglich gesetzte Annahmefrist behalten, weil die Frist rechtzeitig verlängert worden ist.

Durch die Verlängerung wird der gesicherte künftige Anspruch selbst nicht verändert. Dass die Verlängerung aus dem Grundbuch nicht hervorgeht, ist unschädlich. Dem Grundbuch kann gegebenenfalls auch nicht entnommen werden, ob das Angebot innerhalb der ursprünglich bestimmten Frist angenommen worden ist.

Das Berufungsgericht hat aber übersehen, dass die Beklagte im Falle eines gutgläubigen Erwerbs nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet ist, den dadurch erlangten Vorteil an den Berechtigten herauszugeben, weil sie ihn aufgrund einer unentgeltlichen Verfügung erlangt hat. Zu den danach herauszugebenden Vorteilen gehören auch die Wirkungen einer gutgläubig erworbenen Vormerkung.

Das OLG wird deshalb zu prüfen haben, ob die Klägerin Gesamthandseigentum an der Wohnung erworben hat und ob der Ehemann der Beklagten gegebenenfalls kraft guten Glaubens Eigentum erworben hat. Ferner wird es zu prüfen haben, welche Auswirkungen es auf die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hat, dass ihr Ehemann im Laufe des Revisionsverfahrens verstorben und für den Nachlass ein Testamentsvollstrecker eingesetzt worden ist.

Praxistipp: Die Verletzung ausländischer Rechtsnormen kann in der Revisionsinstanz nicht gerügt werden. Der BGH überprüft lediglich, ob das Berufungsgericht das ihm bei der Ermittlung des ausländischen Rechts zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine kostenrechtliche Frage.

Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Terminsvertreter
BGH, Beschluss vom 26. März 2024 – VI ZB 58/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Beauftragung eines Terminsvertreters.

In einem vor dem Amtsgericht Würzburg anhängigen Rechtsstreit um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall ließen sich die an einem anderen Ort ansässigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten durch eine in Würzburg ansässige Rechtsanwältin vertreten. Nach einer Kostenentscheidung zugunsten des Beklagten beantragte dieser unter anderem die Festsetzung einer Terminsgebühr für seine Prozessbevollmächtigten und einer an die Würzburger Anwältin gezahlten Pauschale für die Terminsvertretung in Höhe von 200 Euro. Zur Begründung führte er an, bei einer Teilnahme seiner Prozessbevollmächtigten wären Reisekosten in Höhe von 380 Euro angefallen.

Das AG hat den Antrag hinsichtlich der Auslagen für die Terminsvertreterin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Wenn die Partei selbst oder ihr Prozessbevollmächtiger in deren Namen einen anderen Anwalt mit der Vertretung in einem Termin betraut, sind die dafür anfallenden Kosten – die Hälfte einer Verfahrensgebühr (Nr. 3401 VV RVG) und die volle Terminsgebühr (Nr. 3402 VV RVG) – erstattungsfähig, wenn durch die Terminsvertretung Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in vergleichbarer Höhe erspart werden.

Wenn der Prozessbevollmächtigte den Terminsvertreter im eigenen Namen beauftragt, sind die dafür anfallenden Kosten hingegen nicht erstattungsfähig. In diesem Fall stehen dem Terminsvertreter keine Vergütungsansprüche gegen die Partei zu. Der Prozessbevollmächtigte darf seinem Mandanten die Terminsgebühr in Rechnung stellen. Die Kosten, die er für die damit abgegoltene Wahrnehmung des Termins aufgewendet hat, sind dann keine erstattungsfähigen Aufwendungen.

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte die Terminsvertreterin im eigenen Namen beauftragt. Die dafür angefallenen Kosten sind deshalb nicht erstattungsfähig.

Praxistipp: Trotz der geringeren Erstattungsmöglichkeit ist die Beauftragung eines Terminsvertreters im eigenen Namen wirtschaftlich sinnvoll, wenn die dafür anfallenden Kosten geringer sind als die Kosten, die dem Prozessbevollmächtigten für die eigene Teilnahme am Termin entstehen.