Anwaltsblog 26/2025: Signaturpflicht auch bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs!

Mit dem Erfordernis der Wiedergabe des Anwaltsnamens am Ende des Schriftsatzes bei einer einfachen Signatur hatte sich erneut der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 9. April 2025 – XII ZB 599/23):

 

Der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einer Einzelanwältin, ist das Urteil des Landgerichts am 4. August 2023 zugestellt worden. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 4. September 2023 ist auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) Berufung eingelegt und durch Schriftsatz vom 22. September 2023 begründet worden. Beide Schriftsätze enden mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“, ohne dass sich darüber ein Name oder eine Unterschrift befindet. In den Transfervermerken findet sich in dem Feld „Qualifiziert elektronisch signiert“ die Angabe „nein“. Das OLG hat den von der Beklagten gestellten Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung verworfen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 4. Dezember 2023 – 9 U 141/23 –, MDR 2024, 462).

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das OLG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungseinlegung nicht formgerecht erfolgt ist, weil es an der nach § 130 a Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen einfachen Signatur fehlt. Die einfache Signatur besteht aus der Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein. Die einfache Signatur soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Die einfache Signatur soll sicherstellen, dass die von dem Übermittlungsweg beA ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, welche mit der wiedergegebenen Unterschrift die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt. Dem genügen die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsätze nicht. Die Anfügung der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ stellt keine Signatur dar. Damit sind die zwingenden Formerfordernisse nicht erfüllt.

Das Erfordernis der einfachen Signatur kann auch nicht deshalb als entbehrlich angesehen werden, weil die mit ihm verbundenen Zwecke auf anderem Weg erfüllt wären. Zwar spricht die gewählte Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a Abs. 4 ZPO für die Identifizierbarkeit des Urhebers. Dennoch bietet der Briefbogen einer Anwaltskanzlei keine Gewähr für eine vollständige Aufzählung der in einer Kanzlei tätigen Rechtsanwälte und ist daher kein rechtssicherer Bezugspunkt für die Zuordnung der Verantwortlichkeit für einen Schriftsatz zu einem bestimmten Berufsträger. Dass im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist, schließt nicht aus, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat.

Eine Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist kommt wegen des der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens ihrer Rechtsanwältin nicht in Betracht.

 

Fazit: Die bloße Angabe der Berufsbezeichnung am Ende eines Schriftsatzes stellt keine Signatur dar. Erforderlich ist die Wiedergabe des Namens, etwa als maschinenschriftlicher Namenszug oder eingescannte Unterschrift. Auch wenn ein Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht wird, muss die einfache Signatur vorhanden sein. Dies gilt auch dann, wenn im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2024 – V ZR 261/23 –, MDR 2024, 1601).

Anwaltsblog 25/2025: Kein Erfolgshonorar für Vermittlung der Zulassung zum Studium bei Nichtannahme des Studienplatzes

Der BGH hatte die Wirksamkeit einer Klausel in einem Vertrag über die Vermittlung eines Studienplatzes zu beurteilen, nach der die volle Vergütung bereits mit der Studienplatzzusage gezahlt werden muss (BGH, Urteil vom 5. Juni 2025 – I ZR 160/24):

Die Klägerin vermittelt deutschen Studienbewerbern Plätze in medizinisch-pharmazeutischen Studiengängen an ausländischen Universitäten. Der Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Vermittlung eines Medizinstudienplatzes an der Universität Mostar/Bosnien. In den Vermittlungsbedingungen heißt es: „Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung der Klägerin, zahlt der Studienbewerber an die Klägerin ein Erfolgshonorar (netto) in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang.“ In der Folge erklärte der Beklagte, er nehme Abstand vom Vertrag. Die Klägerin macht geltend, die Universität Mostar habe ihn bereits zum Studium zugelassen. Die Pflicht zur Zahlung des Vermittlungshonorars bestehe unabhängig davon, ob der Beklagte das Studium dort auch aufnehme. Das Landgericht wie Berufungsgericht haben die Klage auf Zahlung des Erfolgshonorars abgewiesen. Ein Provisionsanspruch bestehe nicht, weil die Honorarvereinbarung den Beklagten unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei.

Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1) oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2). Voraussetzung ist zunächst eine Benachteiligung des Vertragspartners von einigem Gewicht. Eine solche Benachteiligung ist iSv. § 307 BGB unangemessen, wenn der Verwender durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.

Die gesetzliche Regelung, deren wesentlicher Grundgedanke für die gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmende Inhaltskontrolle der Vermittlungsbedingungen maßgeblich ist, ist dem Maklerrecht iSd. §§ 652 ff. BGB zu entnehmen. Dies gilt, obwohl es sich bei der Vermittlungsvereinbarung um einen gemischttypischen Vertrag handelt, der auch dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist. Ein gemischter Vertrag bildet ein einheitliches Ganzes und kann deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nicht in dem Sinn in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden, dass beispielsweise auf den Mietvertragsanteil Mietrecht, auf den Dienstvertragsanteil Dienstvertragsrecht und auf den Kaufvertragsanteil Kaufrecht anzuwenden wäre. Der Eigenart des Vertrags wird vielmehr grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Überwiegt ein Vertragsbestandteil und ist er deshalb für das Wesen dieses Vertrags prägend, so ist grundsätzlich das Recht dieses Bestandteils für den ganzen Vertrag entscheidend.

Nach den Vermittlungsbedingungen hat der Studienbewerber der Klägerin ein Erfolgshonorar in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang zu zahlen, wenn er unter Mitwirkung der Klägerin einen Studienplatz erhält. Die Vergütungsregelung hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist daher unwirksam, weil sie den Auftraggeber gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Die Vergütung ist als Erfolgshonorar ausgestaltet. Sie sollte nicht erst mit dem Abschluss des Studienvertrags durch den Beklagten, sondern mit der Zulassung zum Studium durch die Universität, das heißt mit dem Nachweis einer Möglichkeit zum Vertragsschluss, verdient sein. Zum Leitbild des Maklervertrags gemäß § 652 BGB gehören die Erfolgsabhängigkeit der Provision, die Entschließungsfreiheit des Auftraggebers, die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Vertragsabschluss und die fehlende Verpflichtung des Maklers zur Leistungserbringung. Klauseln, welche die Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers durch Zahlungsverpflichtungen einschränkten, sind deshalb regelmäßig als unangemessen und unwirksam zu bewerten. Ein Vertragspartner, der die volle Erfolgsvergütung bereits mit der Studienplatzzusage zahlen müsste, ist – gerade auch in Anbetracht der Höhe der Vergütung, die einer Jahresstudiengebühr entspreche – in seiner Entschließungsfreiheit über die Annahme dieses Studienplatzes beeinträchtigt. Dies benachteiligt den Auftraggeber unangemessen, da die Leistung für ihn bei einem Wegfall seines Interesses an dem Abschluss des Hauptvertrags keinen Wert habe.

Die Abweichung von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag ist auch nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zwar führt die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild nicht zur Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, wenn die Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und die Wahrung des gesetzlichen Schutzzwecks auf andere Weise sichergestellt wird. Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich.

 

Fazit: Gemischte Verträge, die Elemente verschiedener Vertragstypen aufweisen, sind nach dem Grundsatz zu beurteilen, dass der Eigenart des Vertrags grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht wird, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Ein gemischttypischer Vertrag, der zwar dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist, im Schwerpunkt aber darauf gerichtet ist, Bewerbern aus Deutschland gegen Entgelt Studienplätze an ausländischen Universitäten zu vermitteln, ist bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung unter dem Gesichtspunkt der Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) am Leitbild des Maklervertrags zu messen.

Anwaltsblog 24/2025: Vertragsstrafe trotz Rücktritts vom Vertrag?

Nach § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24):

Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag, nach dem die Beklagte für netto 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen sollte. Gemäß Ziffer 5.9. hatte die Fertigstellung spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen. Ziffer 6.8. des Vertrags lautet: „Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt.“ Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war („Longstop-Date“).

Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin vom Vertrag zurück. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 365.000 € Vertragsstrafe zu zahlen. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin bis zum Rücktritt 286 Werktage verstrichen seien.

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die vertraglichen Voraussetzungen einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe lagen bis zum Rücktritt der Klägerin vor. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen. Der Rücktritt der Klägerin hat ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen. Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine – wie hier – zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt. Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion). Diese Ziele könnten nicht erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner – sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung – darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens.

 

Fazit: Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.

Anwaltsblog 23/2025: Ist der Verzicht auf einen Zeugen widerruflich?

Ob eine Prozesspartei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hatte, den Zeugen erneut benennen kann, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24):

Die Beklagte veräußerte 2011 an den Kläger eine Grundstücksteilfläche von ca. 1.000 m² zur Bebauung unter Ausschluss der Rechte wegen Sachmängeln aller Art. In einem im Jahr 2004 von der Beklagten mit ihrem damaligen Nachbarn, dem Zeugen Sch., geführten Schiedsverfahren hatte die Schiedsstelle im Juni 2004 festgestellt, durch das Grundstück der Beklagten verlaufe ein „verrohrtes Entwässerungssystem“. Bei den vom Kläger durchgeführten Abrissarbeiten wurde eine über das Teilgrundstück unterirdisch in ca. 13 cm Tiefe verlaufende Abwasserleitung, die der Entwässerung von vier Nachbargrundstücken diente, beschädigt. Die Existenz der Leitung war weder in amtlichen Unterlagen vermerkt noch in dem Lageplan, der der Niederschrift zum Grenztermin zur Neuvermessung des Kaufgrundstücks beigefügt war. Gestützt auf die Auffassung, die Beklagte habe die bestehende Verrohrung gekannt und arglistig verschwiegen, begehrt der Kläger u.a. Erstattung seiner Aufwendungen für die Wiederherstellung der Rohrleitungen.

Das Landgericht hat die Klage ab-, das OLG die Berufung zurückgewiesen. Wegen des wirksam vereinbarten Haftungsausschlusses setze eine Haftung der Beklagten voraus, dass sie dem Kläger die Entwässerungsleitung arglistig verschwiegen habe. Der Kläger habe den ihm obliegenden Beweis für das arglistige Verschweigen der Abwasserleitung durch die Beklagte nicht erbracht. Er habe ausdrücklich auf die Vernehmung des Zeugen Sch. verzichtet. Der Verzicht nach § 399 ZPO habe zur Folge, dass dem erstinstanzlichen Gericht eine Verwertung dieses Beweismittels verwehrt sei. Ob die in erster Instanz zurückgezogenen Zeugen im Berufungsverfahren erstmals zu vernehmen seien, sei nach den Regelungen zur Tatsachengrundlage der Berufungsentscheidung zu beantworten. Der Beweisantritt wäre als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSd. § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Zeuge Sch. von dem Kläger in zweiter Instanz nicht ausdrücklich erneut als Zeuge benannt sei.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Berufungsgericht übergeht das erhebliche, auf Vernehmung des Zeugen Sch. gerichtete Beweisangebot des Klägers prozessordnungswidrig. Es meint zu Unrecht, es mangele an einem Beweisantritt des Klägers, weil er erstinstanzlich gemäß § 399 ZPO auf die Vernehmung des von ihm benannten Zeugen Sch. verzichtet und damit sein ursprüngliches Beweisangebot widerrufen habe. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2018 darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme von einer Kenntnis der Beklagten von der unterirdischen Abwasserleitung auszugehen sei, der Zeuge Sch. nach dem vorgelegten ärztlichen Attest gegenwärtig seiner Ladung wohl nicht nachkommen würde und daher unter Umständen nur eine Vernehmung vor Ort durch einen beauftragten und ersuchten Richter infrage komme, wenn der Kläger nicht auf diesen Zeugen verzichten wolle. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 erklärt, auf den Zeugen Sch. zu verzichten. Nachdem das Landgericht mit Verfügung vom 6. Juli 2022 mitgeteilt hatte, dass sich die Einschätzung des Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung geändert habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2023 klargestellt, dass er auf den Zeugen Sch. allein unter der Voraussetzung verzichtet habe, dass das Gericht den Beweis als erbracht ansehe. Da der Verzicht unter den geänderten Voraussetzungen keinen Bestand mehr habe, weise er darauf hin, dass er an dem Beweisangebot ausdrücklich festhalte.

Nach diesem Prozessverlauf durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, das Landgericht habe alle benannten Beweismittel ausgeschöpft, da der Kläger auf den Zeugen Sch. ausdrücklich verzichtet habe. Der Kläger hat den Verzicht zur Verfahrensbeschleunigung ersichtlich nur angesichts der von dem Landgericht geäußerten Überzeugung erklärt, der Beweis einer Arglist der Beklagten sei nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweisaufnahme bereits erbracht. Dies hat er im Schriftsatz vom 23. Mai 2023 auch ausdrücklich klargestellt. Die Erklärung des Einverständnisses mit dem Unterbleiben der Vernehmung für den Fall, dass das Gericht den Beweis der streitigen Behauptung schon als erbracht ansieht, ist schon kein Verzicht iSd. § 399 ZPO. Eine derartige Erklärung ist nicht von einem endgültigen Verzichtswillen getragen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die erklärende Partei an ihrem Beweisantrag festhält, sofern das Gericht seine Überzeugung ändert. So war es hier. Dementsprechend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Verzicht erklärt habe.

Zudem lässt das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft außer Acht, dass der Kläger bereits in erster Instanz einen etwa erklärten Verzicht widerrufen und erneut Beweis durch Benennung des Zeugen Sch. angetreten hat. In der Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2023, an dem Beweisangebot ausdrücklich festzuhalten, ist bei verständiger Würdigung daher jedenfalls ein erneuter Beweisantritt zu erblicken.

 

Fazit: Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen später erneut zu benennen.

Anwaltsblog 22/2025: Fernabsatzverträge nur bei auf Fernabsatz abgestelltem Vertriebssystem!

Nach § 312c BGB sind trotz der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunkationsmitteln Verträge keine Fernabsatzverträge, wenn der Vertragsschluss „nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ erfolgt. Wann diese Ausnahme für Architektenverträge erfüllt ist, hatte der OLG Frankfurt zu entscheiden (OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Februar 2025 – 29 U 42/24):

 

Die Parteien streiten um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs. Die Klägerin und ihr Partner suchten eine bauliche Begleitung für die Sanierung eines von ihnen erworbenen Anwesens. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals „Zoom“ geführten Gesprächen sodann ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 € netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in L. weilte. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der erste gemeinsame Ortstermin erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss.

Anschließend widerrief die Klägerin den Vertrag und forderte den Beklagten zur Rückzahlung der gezahlten 5.307,40 € auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss erteilt worden. Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Der Klägerin stehe das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zu.

Die Berufung des Architekten hat Erfolg. Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind grundsätzlich einschlägig. Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650 q Abs. 1 BGB). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312 g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gilt auch für Architektenverträge. Es ist jedoch eine Ausnahme anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB). Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern. Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb. Ausweislich des vorgelegten Schriftverkehrs hat der Beklagte selbst ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln war ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden.

 

Fazit: Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312 g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge. Eine Ausnahme ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).

Anwaltsblog 21/2025: Keine Wiedereinsetzung von Amts wegen gegen den Willen einer Partei!

Unter welchen Voraussetzungen einer Partei von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren ist, hat der BGH entschieden (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZB 44/24):

Nachdem die Frist zur Berufungsbegründung bereits bis zum 12. Januar 2024 verlängert worden war, hat der Vertreter des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 11. Januar 2024 beantragt, die Frist erneut bis zum 26. Januar 2024 zu verlängern, weil der Prozessbevollmächtigte als alleiniger Sachbearbeiter erkrankt sei. Die Beklagte hat am selben Tag kurz zuvor einer weiteren Fristverlängerung nicht zugestimmt. Die Berufungsbegründungsschrift ist am 25. Januar 2024 beim Berufungsgericht eingegangen. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist nicht gewährt worden sei und die Berufung als unzulässig verworfen werden müsse, hat die Klägerin geltend gemacht, über den Verlängerungsantrag sei noch nicht entschieden worden, weshalb eine Verwerfung der Berufung nicht in Betracht komme. Dem nach Ablehnung der Fristverlängerung zu stellenden Antrag auf Wiedereinsetzung werde stattzugeben sein, da der erkrankungsbedingte Ausfall ihres Prozessbevollmächtigten unvorhersehbar gewesen sei und dieser als Einzelanwalt den grundsätzlich vertretungsbereiten Kollegen nicht in zumutbarer Weise mit der Fertigung der Berufungsbegründung habe beauftragen können. Mit Verfügung vom 15. April 2024 hat der Vorsitzende des Berufungssenats mitgeteilt, es sei bereits deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden könne. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. Mai 2024 wiederholt, dass über den Antrag auf Fristverlängerung durch mit Gründen versehenen Beschluss entschieden werden müsse. Demzufolge sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand noch nicht angebracht. Für den Fall der Ablehnung der Fristverlängerung hat sie angekündigt darzulegen, dass ihr Prozessbevollmächtigter mit einem grippalen Infekt bis zum 22. Januar 2024 ans Bett gefesselt gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen; die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Einen Wiedereinsetzungsantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) wurde mit dem Wegfall der eine Erstellung der Berufungsbegründung hindernden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, also mit Ablauf des 22. Januar 2024 in Gang gesetzt (§ 234 Abs. 2 ZPO), und endete mit Ablauf des 22. Februar 2024. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin Wiedereinsetzung nicht beantragt.

Das Berufungsgericht war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gehalten, ihr von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird. Weitere Voraussetzung ist, dass die Gründe für die unverschuldete Fristversäumnis innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO offenkundig sind oder nach einem erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt aber nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält. Die Vorschrift des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO soll lediglich verhindern, dass die Partei einen unverschuldeten Rechtsverlust allein deshalb erleidet, weil sie keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat. Erklärt die Partei, nachdem sie von dem Gericht auf die Fristversäumung hingewiesen worden ist, sie stelle keinen Wiedereinsetzungsantrag, darf ihr über § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Wiedereinsetzung nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden. So wäre es hier. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat, auch nach mehreren Hinweisen des Berufungsgerichts auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, erklärt, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (noch) nicht zu stellen. Er hat die Wiedereinsetzung auch nicht vorsorglich oder hilfsweise beantragt. Im Gegenteil hat er auf seiner mit den prozessualen Vorgaben offenkundig unvereinbaren Rechtsauffassung beharrt, das Gericht müsse die Fristverlängerung durch begründeten Beschluss ablehnen und er sei erst im Anschluss daran gehalten, Wiedereinsetzung zu beantragen. Daran muss er sich festhalten lassen und kann nicht mit der Rechtsbeschwerde geltend machen, das Berufungsgericht hätte von Amts wegen Wiedereinsetzung gewähren müssen.

 

Fazit: Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2023 – VIII ZB 17/22 –, MDR 2023, 861).

Anwaltsblog 20/2025: Nach Richterwechsel (erneute) mündliche Verhandlung notwendig!

309 ZPO bestimmt, dass das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, die der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Wie bei einem Wechsel des Einzelrichters nach mündlicher Verhandlung und vor Verkündung eines Urteils zu verfahren ist, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 16. April 2025 – VII ZR 126/23):

Die Klägerin verlangt Kostenvorschuss wegen mangelhafter Ausführungen einer Tiefgaragenabdichtung. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat am 16. September 2021 mündlich verhandelt. Als Richterin amtierte Richterin W. als Einzelrichterin, die sodann Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 2. Dezember 2021 bestimmt hat. Richterin W. hat zum 1. Oktober 2021 das Landgericht verlassen. Die nunmehr zuständige Richterin B. hat am 2. Dezember 2021 ein klageabweisendes Urteil verkündet. Dieses ist ausweislich des Urteils durch die Richterin B. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2021 ergangen. Richterin B. hat das Urteil auch unterzeichnet. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zwar sei das angefochtene Urteil unter Verstoß gegen § 309 ZPO ergangen. Dies führe aber nicht zur Begründetheit der Berufung. Insbesondere gebiete dieser Verstoß auch nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Eine Entscheidung im Beschlusswege komme in Betracht, wenn sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte ergäben, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigten. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass die vorzunehmende rechtliche Würdigung angemessen mit der Berufungsführerin nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden könne. Zu Recht habe das Landgericht angenommen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an einen anderen Senat des Berufungsgerichts. In dem vom Berufungsgericht zutreffend als solchen erkannten Verstoß des Landgerichts gegen § 309 ZPO lag zugleich eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das erkennende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist nur durch die Mitwirkung an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung möglich, weil nach § 309 ZPO nur Richter das Urteil fällen können, die dieser Verhandlung beigewohnt haben. Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in der Berufungsinstanz nicht geheilt worden, da das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin entschieden hat. Dadurch hatte die Klägerin weder vor dem Landgericht noch dem Berufungsgericht die Möglichkeit, ihre Argumente in einer mündlichen Verhandlung darzulegen.

Damit hat – auch – das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Zwar folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen. Es durfte nicht annehmen, eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung in jedem Fall geboten.  Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fazit: In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.

Anwaltsblog 19/2025: Überspannung anwaltlicher Sorgfaltspflichten bei Wiedereinsetzungsanträgen

Was bei nicht rechtzeitiger Übermittlung fristgebundener Schriftsätze wegen behaupteter Internetstörungen in Wiedereinsetzungsanträgen vorgetragen werden muss, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 24. April 2025 – III ZB 12/24):

 

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers begründete nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 20. November 2023 die Berufung mit Schriftsatz vom selben Tage. Der Schriftsatz ging am 21. November 2023 um 7.20 Uhr beim zuständigen OLG Dresden ein. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags versicherte die Rechtsanwältin anwaltlich, sie habe aufgrund einer Knieverletzung mit ihrem Laptop im „Homeoffice“ gearbeitet und dabei über das Internet auf den Kanzleiserver zugegriffen. Die Berufungsbegründung habe sie um 22.56 Uhr aus ihrem beA-Postfach – ihrer damaligen Überzeugung nach – an das von ihr in der Empfängermaske ausgewählte zuständige OLG Dresden versandt. Nachdem im Ordner „Gesendet“ des beA-Postfachs die erfolgreiche Übermittlung angezeigt worden sei, habe sie noch einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt. Beim Versuch, diesen anschließend in der e-Akte des Anwaltsprogramms auf dem Kanzleiserver zu speichern, habe sie festgestellt, dass die Internetverbindung zwischenzeitlich abgebrochen sei. Daraufhin habe sie bis gegen 24.00 Uhr mehrfach erfolglos versucht, die Verbindung über die Internet- und Netzwerkeinstellungen an ihrem Computer sowie durch Aus- und Einschalten des Laptops und des Routers wiederherzustellen. Ohne Internetverbindung habe sie auch nicht das Prüfprotokoll zur Übermittlung der Berufungsbegründung aus dem beA-Postfach herunterladen, ausdrucken und die Übermittlungsdaten auf ihre Richtigkeit prüfen können. Dies habe sie erst am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr nachholen können, nachdem sich die Internetverbindung habe wiederherstellen lassen. Dabei habe sie feststellen müssen, dass die Berufungsbegründung am Vorabend um 22.56 Uhr tatsächlich unerklärlicherweise an das unzuständige OLG Nürnberg übersandt worden sei. Daraufhin habe sie deren Übermittlung an das OLG Dresden umgehend nachgeholt.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist komme auch mit Blick auf die angeführten Geschehnisse am Abend des 20. November 2023 nicht in Betracht. Der Kläger habe nicht genügend glaubhaft gemacht, dass die verspätete Übermittlung der Berufungsbegründung an das zuständige OLG Dresden nicht durch ein ihm zurechenbares Anwaltsverschulden verursacht worden sei. Es erschließe sich nicht, dass eine ordnungsgemäße Eingangskontrolle stattgefunden habe. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte im unmittelbaren Anschluss an den Übermittlungsvorgang die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO abrufen und eingehend kontrollieren müssen. Stattdessen habe sie  zunächst noch andere Schriftsatzvorgänge über das beA-Postfach abwickeln wollen, wobei es erst im Zuge dieser weiteren Übermittlungsvorgänge zu technischen Störungen gekommen sei. Nach dem geschilderten Geschehensablauf sei nicht auszuschließen, dass bei einer unmittelbar anschließenden Eingangskontrolle ein Abruf des Prüfprotokolls des unzuständigen OLG Nürnberg noch möglich gewesen wäre und der Übermittlungsfehler rechtzeitig hätte festgestellt werden können. Dessen ungeachtet könne das Vorbringen zu aufgetretenen technischen Störungen die Prozessbevollmächtigte des Klägers ohnehin nicht entschuldigen.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Dass die Prozessbevollmächtigte unverschuldet gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründung an das richtige Gericht zu übermitteln, ist nicht glaubhaft gemacht worden. Ein der Partei zuzurechnendes Anwaltsverschulden an der Versäumung einer Frist liegt vor, wenn die für eine Prozessführung erforderliche, übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts außer Acht gelassen worden ist. Bei Anlegung dieses Maßstabs hat das Berufungsgericht zwar die an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten zu stellenden Anforderungen überspannt. Dies hat sich aber im Ergebnis nicht ausgewirkt. Eine Überdehnung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten liegt darin, dass das Berufungsgericht der Prozessbevollmächtigten angelastet hat, nicht sofort nach dem Versand der Berufungsbegründung um 22.56 Uhr auch die vom Justizserver automatisch erstellte Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO im beA-System abgerufen und kontrolliert, sondern erst noch einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt zu haben. Die anwaltliche Sorgfalt erfordert es, beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per beA zu kontrollieren, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht erteilt worden ist. Danach ist es zwar unerlässlich, dass der Rechtsanwalt die vom Justizserver generierten Eingangsbestätigungen für die von ihm übermittelten fristgebundenen Schriftsätze (überhaupt) abruft und kontrolliert und damit den Übermittlungsvorgang insgesamt abschließt. Allerdings bleibt es seiner eigenen Arbeitsorganisation überlassen, wann er dies tut, sofern er nicht wiederum durch die Wahl dieses Zeitpunkts die anwaltliche Sorgfalt verletzt. Dies ist hier entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht der Fall. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Reicht er ihn nicht rechtzeitig bei Gericht ein, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei einem normalen Verlauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt wird. Schöpft er eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag aus, hat er wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos zudem erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Nutzt ein Rechtsanwalt zur Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes ein Telefaxgerät, hat er das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übertragung begonnen hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit deren Abschluss vor 24.00 Uhr gerechnet werden konnte. Dabei hat er die Belegung des Empfangsgeräts des Gerichts durch andere eingehende Sendungen – insbesondere in den Abend- und Nachtstunden – in Rechnung zu stellen und zusätzlich zu der eigentlichen Sendedauer eine ausreichende Zeitreserve einzuplanen, um gegebenenfalls durch Wiederholung der Übermittlung den Zugang des Schriftsatzes bis zum Fristablauf zu gewährleisten. Dieser zeitliche „Sicherheitszuschlag“ wird allgemein mit ungefähr 20 Minuten bemessen. Entsprechendes gilt bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA, da auch im elektronischen Rechtsverkehr Verzögerungen beispielsweise durch eine Vielzahl vor Mitternacht eingehender und vom System zu verarbeitender Nachrichten, Software-Updates oder Schwankungen bei der Internetverbindung einzukalkulieren sind. Ob dabei ebenfalls eine zeitliche Reserve in der Größenordnung von 20 Minuten zu fordern ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebene Zeitspanne von ungefähr 55 Minuten als Sicherheitszuschlag ausreichend, die ihr ohne den nur wenige Minuten nach 22.56 Uhr erfolgten Internetausfall noch zur Verfügung gestanden hätte, um die Eingangsbestätigung abzurufen und zu kontrollieren, die Fehlübersendung zu bemerken und die Übermittlung der Berufungsbegründung an das richtige Empfängergericht nachzuholen.

Danach steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht schon entgegen, dass seine Prozessbevollmächtigte den korrekten Zugang der Berufungsbegründung nicht unmittelbar im Anschluss an deren Versendung überprüft hat. Dass die Vorinstanz insoweit gleichwohl von einem Sorgfaltspflichtverstoß ausgegangen ist, hat sich indes nicht entscheidungserheblich ausgewirkt. Denn die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist selbständig tragend auch darauf gestützt, dass das Vorbringen des Klägers zum Ausfall der Internetverbindung und zu den von seiner Prozessbevollmächtigten entfalteten Bemühungen zu deren Wiederherstellung unzureichend ist und damit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass das Unterbleiben einer rechtzeitigen „Reparatur“ des Übermittlungsfehlers auf einem Verschulden ihrerseits beruht. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen den Rechtsanwalt nur dann entlastet, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und weder durch regelmäßige Wartungen der Geräte hätte verhindert werden können noch auf einem Bedienfehler beruht. Dies ist substantiiert und nachvollziehbar vorzutragen und glaubhaft zu machen, wobei außer der Art des Defekts und der Maßnahmen zu seiner Behebung auch dargelegt werden muss, dass die Fristwahrung nicht auf anderem Wege – also im elektronischen Rechtsverkehr durch eine gemäß § 130d Satz 2 ZPO zulässige Ersatzeinreichung etwa per Telefax – möglich war. Ob das Berufungsgericht zu Recht beanstandet hat, es werde „lediglich in allgemeiner Form…mitgeteilt“, dass am 20. November 2023 nach 22.56 Uhr das Internet ausgefallen sei, wofür „nachvollziehbare Belege…fehlen“, kann dahinstehen. Dazu ist lediglich anzumerken, dass mit einem – nach allgemeiner Lebenserfahrung gelegentlich durchaus auftretenden – Abbruch der Internetverbindung die Art der technischen Störung hinreichend genau beschrieben (anders als etwa mit einem „Computerdefekt“) und durch die abgegebene anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht sein dürfte. Die Vorinstanz, die die Schilderungen zu den Bemühungen um die Wiederherstellung der Internetverbindung als „rudimentär“ bewertet hat, hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Internetverbindung erfolglos ergriffen hat bzw. aus konkret bezeichneten Gründen nicht hat ergreifen können. Zwar sind insoweit keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, zumal ein Internetausfall vielfältige und nicht immer sicher identifizierbare Ursachen haben kann (z.B. ungünstige Wetterbedingungen, Kabelbrüche durch Straßenbauarbeiten, technische Probleme im Verantwortungsbereich des Internetanbieters, Defekte oder Störungen des Routers, Konfigurations-, Software- oder Hardwareprobleme innerhalb des lokalen Netzwerks oder des Endgeräts). Von einem Rechtsanwalt als professionellem Anwender kann jedoch erwartet werden, dass er diejenigen ganz einfachen, ohne besondere technische Kenntnisse auch von Laien umsetzbaren und weitgehend allgemein geläufigen Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung einer Internetverbindung kennt und ergreift. Dazu gehört nicht nur das Aus- und Einschalten des Routers und des Computers sowie die Überprüfung von dessen Internet- und Netzwerkeinstellungen, sondern jedenfalls auch die Kontrolle, ob die Netzwerkkabel am Router und (bei einer LAN-Verbindung) am Computer noch richtig eingesteckt sind. Dazu ist hier nichts vorgetragen worden. Insbesondere hat die Prozessbevollmächtigte nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie überprüft habe, ob sich die Kabelverbindungen gelöst hätten. Da es schon insoweit an einem ausreichenden Wiedereinsetzungsvorbringen fehlt, muss nicht abschließend entschieden werden, ob auch die einfach zu bewerkstelligende Errichtung eines WLAN-Hotspots über ein Smartphone und dessen Nutzung als Ersatz-Internetverbindung zu den Maßnahmen gehört, zu denen im Wiedereinsetzungsverfahren hätte vorgetragen werden müssen.

 

Fazit: Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 –, MDR 2021, 896).

Anwaltsblog 18/2025: Darf ein Schriftsatz nur aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt werden?

Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein qualifiziert elektronisch signierter Schriftsatz nur aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz signiert hat, dem Gericht übermittelt werden darf (BGH, Beschluss vom 11. März 2025 – VI ZB 5/24):

Eine fristgemäß eingegangene Berufungsbegründung ist von RA Dr. I. qualifiziert elektronisch signiert. Im zugehörigen Prüfvermerk ist als Absender der Nachricht RA Dr. E. genannt mit dem Hinweis: „Diese Nachricht wurde per EGVP versandt“. Im Briefkopf der Berufungsbegründung sind mehrere Berufsträger angegeben, u.a. Rechtsanwälte Dr. E. und Dr. I. In der Berufungsbegründung wird einleitend RA Dr. E. als „Ansprechpartner“ genannt. Am Ende des Schriftsatzes findet sich nur die Angabe „Rechtsanwalt“, ein Name ist dort nicht angegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der Schriftsatz sei per EGVP, also nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg, eingereicht worden. Es wäre deshalb eine qualifizierte elektronische Signatur des Einreichers notwendig gewesen. Zwar habe Rechtsanwalt Dr. I. die Berufungsschrift qualifiziert elektronisch signiert; es sei aber nicht hinreichend sicher, ob dieses Sozietätsmitglied den eingereichten Schriftsatz auch bewusst eingereicht habe und ihn habe verantworten wollen. Denn eine einfache Signatur am Ende der Berufungsbegründung etwa durch maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens fehle. Die Berufungsbegründung sei lediglich mit „Rechtsanwalt“ unterzeichnet. Hinzu komme, dass die Berufungsbegründung ausweislich des Prüfvermerks „aus dem EGVP“ des Rechtsanwalts Dr. E. versandt worden sei, der im Kopf der Berufungsbegründung als Sachbearbeiter („Ansprechpartner“) aufgeführt sei. Dieser habe auch die Berufung eingelegt und das Verfahren in erster Instanz allein verantwortet. Damit stehe nicht fest, welcher der beiden Anwälte die Berufungsschrift verantworte.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung der Klägerin sei nicht fristgemäß begründet worden, da der beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht genüge, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach, einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht. Ein elektronisches Dokument, das aus einem persönlich zugeordneten beA (§ 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann wirksam eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt.

Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zwar zu Recht angenommen, dass die Berufungsbegründung, die mit dem Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namenszusatz endet, nicht unter den Voraussetzungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ZPO beim Berufungsgericht eingereicht worden ist. Denn die Berufungsbegründung ist weder mit einer einfachen Signatur eines Rechtsanwalts versehen, wofür die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes ausreicht, noch auf einem sicheren Übermittlungsweg iSd. § 130a Abs. 4 Satz 1 ZPO eingereicht worden. Aus den Angaben im Prüfvermerk ergibt sich, dass die Berufungsbegründung zwar aus dem beA des Rechtsanwalts Dr. E. versandt worden ist, aber nicht von ihm persönlich. Rechtsfehlerhaft ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung sei auch nicht nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO wirksam eingereicht worden, da nicht feststehe, welcher der beiden Anwälte die Berufungsbegründung verantworte. RA Dr. I. hat die Berufungsbegründung qualifiziert elektronisch signiert. Mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur ist die Vermutung verbunden, dass er die Verantwortung für die Berufungsbegründung übernehmen wollte; diese Vermutung ist im Streitfall nicht erschüttert. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht im elektronischen Rechtsverkehr der handschriftlichen Unterschrift. Es spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der Unterzeichner sich den Inhalt eines Schreibens zu eigen gemacht hat und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt. Entsprechend bringt der Rechtsanwalt, der ein elektronisches Dokument qualifiziert elektronisch signiert, selbst wenn es von einem anderen verfasst wurde, wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen.

Diese mit der qualifizierten elektronischen Signatur von RA Dr. I. verbundene Vermutung ist nicht erschüttert. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich weder daraus, dass RA Dr. E. das Verfahren in erster Instanz allein verantwortet und die Berufung eingelegt hat, noch daraus, dass er als „Ansprechpartner“ in der Berufungsbegründung angegeben ist. Anders als das Berufungsgericht meint, ist auch unschädlich, dass der Name von RA Dr. I. am Ende des Schriftsatzes nicht genannt ist und der Schriftsatz nicht aus dessen beA versandt worden ist. Das Berufungsgericht verkennt die Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO. Die einfache Signatur eines Schriftsatzes ist neben der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO nicht erforderlich.

 

Fazit: § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO verlangt nicht, dass der Schriftsatz aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt wird (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 6 StR 93/24 –, juris).

Anwaltsblog 17/2025: Für die beA-Ersatzeinreichung reicht die bloße Bezeichnung der Störung nicht aus!

Erneut hatte sich der BGH mit der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO zu befassen, insbesondere mit den Anforderungen an die „aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände“, die zur Ersatzeinreichung berechtigen (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VI ZB 19/24):

 

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat am 21. April 2023 (Freitag) um 11.24 Uhr per Telefax eine Berufungsschrift an das Berufungsgericht übersandt. Darin heißt es einleitend: „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der am letzten Tag der Berufungsfrist übermittelte Schriftsatz sei entgegen § 130d Satz 1 ZPO nur per Telefax und daher nicht formgerecht als elektronisches Dokument gemäß § 130a ZPO eingereicht worden. Die Voraussetzungen einer wegen vorübergehender technischer Gründe zulässigen Einreichung auf anderem Weg seien nicht unverzüglich glaubhaft gemacht worden (§ 130d Satz 2 und 3 ZPO). Die Ersatzeinreichung per Telefax habe lediglich den Hinweis „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ enthalten. Eine Glaubhaftmachung erfordere eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Das gelte auch bei einer allgemeinen Störung des beA, und zwar unabhängig davon, ob diese Störung gerichtsbekannt sei und ob das Gericht sich von ihr Kenntnis verschaffen könne. Die Glaubhaftmachung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine allgemeine, mehrtägige Störung des beA gehandelt habe. Auch bei einer gerichtsbekannten Störung des beA bedürfe es der näheren Schilderung und Glaubhaftmachung der hindernden Umstände.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat durch sein Telefax vom 21. April 2023 nicht formgerecht Berufung eingelegt. Gemäß § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Das gilt auch für die Einreichung der Berufungsschrift beim Berufungsgericht (§ 519 Abs. 4 ZPO). Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Fehlt die Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO, so ist die Ersatzeinreichung unwirksam.

Der Beklagte hat die vorübergehende Unmöglichkeit, die Berufungsschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln, im Telefax vom 21. April 2023 bereits nicht ausreichend dargelegt. Nach § 130d Satz 2 ZPO ist eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dabei spielt zwar keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Möglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist, weil auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen soll. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird jedoch klargestellt, dass professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Eine vorübergehende Unmöglichkeit iSv. § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Für die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf es daher zunächst einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die dargelegten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.

Die der Ersatzeinreichung vom 21. April 2023 beigefügte Erklärung „vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ ist schon deshalb keine ausreichende Darlegung, weil sie keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände enthält. Denn die Darstellung des Defekts beschränkt sich auf die Bezeichnung „Übertragungsstörung“, die ganz verschiedene Auswirkungen und Ursachen haben kann. Auch die zeitlichen Zusammenhänge erschließen sich allein durch den wertenden und konkretisierungsbedürftigen Begriff „dauerhaft“ nicht. Unerheblich ist, ob die EGVP-Kommunikation vom 18. April 2023 um 18.00 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21.20 Uhr gestört war. Auch dann wäre eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände erforderlich. Denn es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine Ersatzeinreichung ausscheidet, weil diese technische Störung nicht kausal für die gescheiterte Übermittlung als elektronisches Dokument gewesen wäre.

 

Fazit: Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, MDR 2023, 862).