Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um drei prozessuale Fragen.

Klageerweiterung in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 24. Juni 2025 – VI ZR 204/23

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit § 253 Abs. 2, mit § 264 und mit § 256 ZPO.

Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz von Unterhaltsschaden (§ 844 Abs. 2 BGB) in Anspruch. Der Beklagte ist rechtkräftig wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil der Ehefrau bzw. Mutter der beiden Kläger sowie weiterer Opfer verurteilt. In einem früheren Rechtsstreit haben die Kläger den Beklagten erfolgreich auf Zahlung von Hinterbliebenengeld und Ersatz der Beerdigungskosten in Anspruch genommen.

Im vorliegenden Rechtsstreit haben die Kläger erstinstanzlich die Feststellungen begehrt, dass der Beklagte ihnen zur Zahlung einer Geldrente verpflichtet ist und dass diese Verpflichtung ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat. Das LG hat nur die erste Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Seiten Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren haben die Kläger die Zahlung einer Unterhaltsrente begehrt. Deren Höhe haben sie in das Ermessen des Gerichts gestellt, jedoch mit mindestens 500 bzw. 400 Euro pro Monat angegeben. Das OLG hat die Zahlungsklage als unzulässig abgewiesen, aber die Feststellung ausgesprochen, dass die Verpflichtung des Beklagten ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat. Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom BGH zugelassenen Revision und der Beklagte mit der Anschlussrevision.

Der BGH hebt das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG ist der Klageantrag hinreichend bestimmt. Ein Kläger darf die Höhe des ihm zuzusprechenden Geldbetrags auch dann in das Ermessen des Gerichts stellen, wenn es um den Ersatz materieller Schäden geht. Erforderlich und ausreichend ist insoweit, dass dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 ZPO ein weites Ermessen zusteht.

Dem gemäß § 264 Nr. 2 ZPO grundsätzlich zulässigen Übergang von einem Feststellungs- zu einem Zahlungsantrag steht im Streitfall nicht entgegen, dass das LG dem erstinstanzlichen Begehren der Kläger insoweit stattgegeben hatte. Auch eine nach § 264 ZPO zulässige Änderung setzt in zweiter Instanz allerdings voraus, dass der Kläger einen zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat. Wenn ein Kläger in erster Instanz vollständig obsiegt hat, ist diese Voraussetzung nur dann erfüllt, wenn der Kläger sich einer vom Beklagten eingelegten Berufung frist- und formgerecht angeschlossen hat. Im Streitfall sind die Kläger jedoch in erster Instanz mit ihrem zweiten Feststellungsantrag erfolglos geblieben. Ihre hiergegen frist- und formgerecht eingelegte Berufung durften sie unabhängig von den Voraussetzungen einer Anschlussberufung mit einer Erweiterung ihres in erster Instanz erfolgreichen Begehrens verbinden.

Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Feststellung, dass die Verpflichtung des Beklagten ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat, ist in der derzeitigen Verfahrenslage hingegen unzulässig. Eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge gehört zwar zu den Delikten, bei denen eine solche Feststellung gegebenenfalls auszusprechen ist und die Kläger haben im Hinblick auf § 850f Abs. 2 ZPO auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Feststellung darf aber nur dann ergehen, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die zugrunde liegende Forderung begründet ist. Sie ist mithin nicht zulässig, wenn das Gericht das zugrunde liegende Begehren als unzulässig oder unbegründet abweist.

Praxistipp: Zur Darlegung eines Unterhaltsschadens im Sinne von § 844 Abs. 2 BGB sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchem Grund der Kläger unterhaltsberechtigt war und in welcher Höhe ihm Unterhaltsleistungen zugestanden haben. Für die Schätzung eines Haushaltsführungsschadens kann auf das Werk von Pardey (Der Haushaltsführungsschaden, 10. Auflage 2021) und die zugehörigen Tabellen (Schulz-Borck/Pardey, Entgelttabellen, zuletzt mit Stand Juni 2025) zurückgegriffen werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Einreichung von Schriftsätzen über ein Kanzlei-beA.

Nicht qualifiziert signierter Schriftsatz einer Berufsausübungsgesellschaft
BGH, Beschluss vom 16. September 2025 – VIII ZB 25/25

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit dem Zusammenspiel von § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO und § 31b BRAO.

Die Klägerin begehrt Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung. Das AG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte, eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Vor Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist beim LG eine aus dem besonderen elektronischen Postfach der prozessbevollmächtigten Gesellschaft übersandte Berufungsbegründung eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem Namen eines zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten und als Rechtsanwalt zugelassenen Partners ab, ist aber nicht qualifiziert signiert. Das LG hat die Berufung nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG kann ein Schriftsatz, der nur eine einfache Signatur – also die schriftliche Wiedergabe des den Schriftsatz verantwortenden Anwalts am Ende des Textes – enthält, auch über ein Kanzleipostfach im Sinne von § 31b BRAO wirksam eingereicht werden.

Ein nicht qualifiziert signierter Schriftsatze genügt beim Versand aus einem für einen Einzelanwalt eingerichteten beA allerdings nur dann den Anforderungen des § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO, wenn der Versand durch desjenigen Anwalt erfolgt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist. Beim Versand aus einem gemäß § 31b BRAO eingerichteten Kanzleipostfach – der aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf diese Vorschrift in § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO ebenfalls einen sicheren Übermittlungsweg darstellt – kann diese Anforderung jedoch schon deshalb nicht eingehalten werden, weil eine Berufsausübungsgesellschaft nur durch ihre zur Vertretung berufenen Anwälte handeln kann.

Vor diesem Hintergrund sind die Anforderungen von § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO jedenfalls dann erfüllt, wenn die Nachricht einen Nachweis der vertrauenswürdigen Herkunft (VHN) enthält und aus einem beim Versender erstellten Nachrichtenjournal hervorgeht, dass der Rechtsanwalt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist, derjenige war, der den Schriftsatz über das Kanzleipostfach versandt hat.

Ob es – wie dies für das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) bereits bejaht worden ist (BGH, Urteil vom 6. April 2023 – I ZB84/22, NJW-RR 2023, 906 Rn. 28 ff. [insoweit nicht in MDR 2023, 933]) – ausreicht, dass am Ende des Schriftsatzes der Name eines zur Vertretung berechtigten Rechtsanwalts angegeben ist und ein anderer, ebenfalls zur Vertretung berechtigter Rechtsanwalt den Versand über das Kanzleipostfach vornimmt, lässt der BGH offen.

Praxistipp: Auch wenn der VIII. Zivilsenat – aus Sicht des Bloggers zu Recht – große Sympathie für die Auffassung erkennen lässt, dass für das Kanzlei-beA nichts anderes gelten kann als für das beBPo, entspricht es weiterhin anwaltlicher Vorsicht, wenn derjenige Anwalt den Versand übernimmt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist. Der Versand durch eine Kanzleikraft oder einen zwar zur Vertretung berechtigten, aber nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Gesellschafter reicht nicht aus. Der sicherste Weg besteht darin, dass der Rechtsanwalt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist, diesen zusätzlich mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versieht.

Online-Dossier: Digitalisierung im Prozessrecht – Videokonferenztechnik, Elektronischer Rechtsverkehr, Online-Verfahren

Neue Gesetze im deutschen Prozessrecht – das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeiten, aber auch das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz – befördern den modernen und überfälligen Digitalisierungsprozess in den Gerichten. Einen noch größeren Schritt in die Zukunft unternimmt das BMJ mit der Entwicklung und Erprobung eines vereinfachten, digital unterstützten Verfahren für Zahlungsklagen bis zu 5.000 € an bestimmten Amtsgerichten. Alle Neuregelungen sorgen einerseits für zeitgemäße Verfahrensweisen; andererseits stellen sich neue Fragen bzw. bleiben Probleme ungeklärt. Die Gerichte stehen vor erheblichen Veränderungen und die Anwaltschaft vor neuen Herausforderungen. In unserem stetig anwachsenden Online-Dossier finden Sie zahlreiche Aufsätze und wertvolle Kommentierungen zu den neuen Vorschriften sowie praxisnahe Hilfestellungen und bleiben bei allen Entwicklungen auf den neuesten Stand.

 

1. Aufsätze

  • Otte/Richter, Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“, MDR 2025, 553
  • Greger, Neue Regeln für elektronische Schriftsätze – Wie persönliche und rechtsgeschäftliche Erklärungen zu übermitteln sind, MDR 2024, 1013
  • Bacher, Gerichtsverhandlung per Videokonferenz — Neuregelungen durch das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik, MDR 2024, 945
  • Beck, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit, MDR 2024, R161
  • Odrig, Der zivilprozessuale Öffentlichkeitsgrundsatz im Zeitalter digitaler Kommunikation, MDR 2024, 877
  • Dötsch, Das digitale Präsidium, MDR 2024, 11
  • Vanetta/Vogt, Künstliche Intelligenz in der Zivilgerichtsbarkeit – Perspektiven und Herausforderungen, DB 2025, 2148
  • Grothaus/Schmitt/Bär, Rechtsentwicklungen 2024: Rechtsentwicklungen im Verfahrensrecht 2024, DB 2024, 66
  • Schläfke/Hustede, Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit, DB 2024, 3016
  • Huneke/Hörner, Digitalisierung: Anpassung des Prozessrechts, DB 2024, M4
  • Bayreuther, Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz (§ 46h ArbGG, § 130e ZPO): Renaissance der Schriftsatzkündigung?, DB 2024, 1820
  • vom Stein, Die Strukturierung des Prozessstoffs in der digitalen Prozesswelt, GVRZ 2025, 15
  • Beck, Die virtuelle Verhandlung, GVRZ 2023, 6

 

2. Literatur

 

Zöller, Zivilprozessordnung ZPO
Kommentar

— Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Zu den anderen zahlreichen geänderten Normen finden Sie den neuen Gesetzestext unter dem bisherigen Normtext und Annotationen an Ort und Stelle in den Kommentierungen selbst:

 

— Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Annotationen:

 

Hinzu kommt eine Reihe von regelmäßigen Annotationen, vor allem zu wichtiger neuer Rechtsprechung, u.a. auch zum elektronischen Rechtsverkehr:

 

3. Aktuelle Rechtsprechung

  • BVerfG, Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23: Videoverhandlung: Verwendung nur einer Kamera ohne Zoomfunktion, MDR 2024, 320,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1131,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1570 (Greger),

 

4. Blog-Beiträge

Bericht über die 11. Prozessrechtstagung

Vom 5. bis 6. September 2025 fand in Tübingen die 11. Prozessrechtstagung unter dem Generalthema „Gesellschaft im Wandel – Verfahrensrecht im Wandel?!“ statt. Sie wurde von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., Lukas Häberle (beide Universität Tübingen), Annalena Lederer von der Universität Augsburg und Anna Leoni Groteclaes von der Universität Heidelberg organisiert. In der bewährten Tradition der Veranstaltung wurde das Prozessrecht rechtsgebietsübergreifend beleuchtet.

Nach einleitenden Worten des Organisationsteams folgten Begrüßungsworte von Prof. Dr. Dr. h.c. Bernd Heinrich zur Geschichte des Universitätsstandorts Tübingen und dem imposanten denkmalgeschützten Tagungsort, der Alten Aula der Universität, sowie zum rechtshistorischen Umgang mit der Frage der Einheitlichkeit eines Prozessrechts unabhängig von heute fest etablierten Fachsäulen.

Wie bereichernd der Blick auf „das Prozessrecht“ von verschiedenen Positionen aus sein kann, zeigte sich im nachfolgenden Auftakt. Auf einen Impulsvortrag zum Annahmeverfahren des Bundesverfassungsgerichts von Stefan Edenharder und Simon Schlicksupp folgte eine Podiumsdiskussion mit den beiden Referenten und Dr. Stefan Drechsler, Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur. sowie RA Dr. Wolfgang Staudinger. Moderiert von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., diskutierte die Gruppe verschiedene Facetten der Thematik vom Standpunkt des Zivil,- Straf- und Öffentlichen Rechts mit wertvollen Einblicken aus Wissenschaft und Praxis.

Es folgte ein Vortrag von Dr. Jonas Botta zur Reform der Videoverhandlung im Verwaltungsprozess und den Herausforderungen und Chancen eines digitalisierten Verfahrens. Im Anschluss referierte Dr. Stefan Drechsler zum Verfahren der Unionsgerichte und ihren Entwicklungen im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel des 21. Jahrhunderts.

Erstmals wurde die Tagung um ein Schwerpunktthema ergänzt, das sich in diesem Jahr antidiskriminierungs- und prozessrechtlichen Wechselwirkungen widmete. Dabei befasste sich Carolin Heinzel mit der prozessualen Stellung der Gleichstellungsbeauftragten. Chris Ambrosi, LL.M. untersuchte im Anschluss die Beweislastverteilung des § 22 AGG. Parallel erörterte Philipp Roller die verfahrensrechtlichen Neuerungen durch die Entgelttransparenzrichtlinie, worauf ein Vortrag von Dr. Lisa Hahn zur Rolle der Verfahrenslotsen im Antidiskriminierungsrecht folgte.

Der erste Tagungstag endete mit einer Live-Ausgabe des Podcasts „Grundgesetzlich“ der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., der an das Schwerpunktthema anknüpfte.  Podcast-Host Janina Zillekens-McFadden unterhielt sich mit Maria Seitz über den Grundsatz „Equal Pay“.

Der zweite Tagungstag widmete sich vormittags dem Insolvenzrecht. Nach einer Darstellung der Geschichte der Insolvenzzwecke „von der Zerschlagung zur Sanierung“ von Dr. Ansgar Kalle, folgte ein praxisnaher Blick ins europäische Insolvenzrecht und der Abgrenzung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren von RAin Dr. Inga Hogrefe. Den Abschluss des insolvenzrechtlichen Vormittags bildete der Vortrag von Jannik Heine zu den Parteien des Adhäsionsverfahrens, der besonders anschaulich illustrierte, wie die verschiedenen Verfahrensordnungen rechtsgebietsübergreifend untersucht werden können.

Im Anschluss referierte Dr. Elena Waigel über die Bedeutung der Umweltprüfung im Verwaltungsverfahren.

Darauf folgte eine Darstellung der Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie ins deutsche Prozessrecht von Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur.

Anschließend wurden in einem zivil- und einem strafprozessualen Panel aktuelle Herausforderungen und Chancen eines potenziellen verfahrensrechtlichen Wandels diskutiert.

Im Strafrecht bildete ein Vortrag von RA Dr. Wolfgang Staudinger zu Digitalisierung und Protokollierung im Strafprozess den Auftakt. Im Anschluss trug Dr. Annina Eckrich zu einer notwendigen Erweiterung der Zeugnisverweigerungsrechte in modernen Familienformen vor. Sodann präsentierte Dr. Nils Hauser den Einspruch gegen den Strafbefehl im elektronischen Rechtsverkehr de lege lata und de lege ferenda.

Das zeitgleich stattfindende zivilprozessuale Panel begann mit einem Vortrag von Jun.-Prof. Dr. Markus Lieberknecht, LL.M. zur europarechtlichen Disclosure. Daraufhin referierte Christine Heidbrink rechtsvergleichend zum Grundsatz der Gewaltenteilung und strategischen Klimaklagen in Deutschland und den USA. Dr. Karin Arnold hielt im Anschluss einen zwangsvollstreckungsrechtlichen Vortrag zur Intransparenz und Flüchtigkeit des Vermögens im 21. Jahrhundert.

Umrahmt wurden die Vorträge von gewinnbringenden Diskussionen. Es zeigte sich, wie fruchtbar ein fachsäulenübergreifender Austausch im Prozessrecht in Anbetracht vielfältiger Herausforderungen des modernen, effizienten Verfahrens und einer „Gesellschaft im Wandel“ ist.  In welcher Form und Intensität das Prozessrecht jenen gesellschaftlichen Wandel wiederum aufnehmen, bewirken oder gar vorantreiben kann und ob es dies überhaupt sollte, lässt sich in den nächsten beiden Ausgaben der GVRZ detailliert nachlesen.

Die 12. Prozessrechtstagung wird in Augsburg stattfinden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Frage der Gegenseitigkeit der Forderungen bei der Aufrechnung mit einem auf Drittschadensliquidation gestützten Anspruch.

Aufrechnung bei Drittschadensliquidation
BGH, Urteil vom 11. September 2025 – III ZR 274/23

Der III. Zivilsenat bestätigt eine in Literatur und Instanzrechtsprechung etablierte Auffassung.

Die Beklagte betraute den Kläger im Jahr 2010 in einer als Vorvertrag bezeichneten Vereinbarung mit der Unterstützung bei der Einziehung von Forderungen einer insolventen Gesellschaft. Kurz darauf gründete die Beklagte eine GmbH, die die Forderungen der Insolvenzschuldnerin für rund 75 % des Nennbetrags erwarb und eine unter Zwangsverwaltung stehende Wohnung anmietete, in der der Kläger die geschuldete Tätigkeit ausübte. Bis Anfang 2019 zahlte die Beklagte dem Kläger eine monatliche Vergütung von 1.000 Euro. Danach stellte sie die Zahlungen ein und die GmbH kündigte den Mietvertrag über die dem Kläger überlassene Wohnung. Der Kläger nutzte diese rund vier Jahre lang weiter.

Der Kläger verlangt nunmehr Zahlung einer monatlichen Vergütung von 1.000 Euro für den Zeitraum von Februar 2019 bis einschließlich November 2020. Die Beklagte rechnet hilfsweise mit einem Anspruch auf Schadensersatz wegen unbefugter Weiternutzung der Wohnung auf.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der geltend gemachte Vergütungsanspruch begründet ist und dass der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, weil der Kläger die Wohnung unbefugt genutzt hat.

Die Beklagte darf den ihr entstandenen Schaden nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation auf der Grundlage der Nutzungsentschädigung berechnen, die nach der Kündigung des Mietvertrags an den Zwangsverwalter der Wohnung zu entrichten war. Zur Zahlung dieser Entschädigung war zwar nicht die Beklagte verpflichtet, sondern nur die von ihr gegründete GmbH als Mieterin der Wohnung. Die Beklagte darf diesen Schaden aber geltend machen, weil er aus Sicht des zum Ersatz verpflichteten Klägers nur zufällig auf die GmbH verlagert worden ist.

Ebenfalls zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass in dieser Konstellation die für eine Aufrechnung erforderliche Gegenseitigkeit der Forderungen gegeben ist. In den Fällen der Drittschadensliquidation steht der Anspruch nicht derjenigen Partei zu, die den Schaden erlitten hat, sondern derjenigen, die zum Schadensersatz berechtigt ist. Diese Partei darf ihren Anspruch auch zur Aufrechnung gegenüber Forderungen des Schuldners einsetzen.

Das angefochtene Urteil hat (lediglich) deshalb keinen Bestand, weil das OLG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Kläger als freiberuflich Tätiger keinen Pfändungsschutz nach § 850 und § 850c ZPO genießt. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten die genannten Vorschriften auch für freiberuflich Tätige, sofern sie fortlaufend Vergütungen für persönliche Dienste erhalten, die ihre Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen und deshalb ihre Existenzgrundlage bilden (BGH, B. v. 20.5.2014 – VII ZB 50/14, MDR 2015, 1037 Rn. 15). Das OLG wird deshalb nach der Zurückverweisung zu prüfen haben, ob der Kläger im relevanten Zeitraum weitere Einkünfte hatte.

Praxistipp: Wenn nicht klar ist, ob ein eigener Anspruch des Beklagten aus Drittschadensliquidation oder (nur) ein Ersatzanspruch des Dritten besteht, sollte der Dritte seine Forderung vorsorglich an den Beklagten abtreten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit von Grundpfandrechten zugunsten noch nicht gezeugter Personen.

Grundpfandrecht für nicht gezeugte Person
BGH, Beschluss vom 26. Juni 2025 – V ZB 48/24

Der V. Zivilsenat entscheidet eine seit Inkrafttreten des BGB umstrittene Frage.

Die 1960 geborene Antragstellerin ist Vorerbin ihrer im Jahr 2003 verstorbenen Mutter. Nacherben sind ihre Kinder, ersatzweise ihre beiden Geschwister. Im Jahr 2003 verkaufte die Antragstellerin ein zum Nachlass gehörendes Grundstück unter der vormundschaftsgerichtlichen Auflage, den Kaufpreis mündelsicher anzulegen. Zur Erfüllung dieser Auflage ließ sie zulasten eines anderen, nicht zum Nachlass gehörenden Grundstücks im Grundbuch eine brieflose Grundschuld über 187.000 zugunsten ihrer Nacherben, d.h. ihrer Kinder und ersatzweise ihrer beiden (namentlich benannten) Geschwister, in Erbengemeinschaft eintragen.

Nunmehr begehrt die Antragstellerin die Löschung der Grundschuld. Ihre Geschwister haben die Löschung bewilligt. Die Antragstellerin hat ferner an Eides Statt versichert, dass weder leibliche noch adoptierte Kinder hat. Einer Aufforderung des AG, eine Löschungsbewilligung für einen für unbekannte Nacherben zu bestellenden Pfleger beizubringen, ist sie nicht nachgekommen. Das AG hat den Löschungsantrag daraufhin zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Zu Recht haben die Vorinstanzen eine Löschung gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 GBO wegen inhaltlicher Unzulässigkeit abgelehnt.

Eine Grundbucheintragung ist allerdings inhaltlich unzulässig, wenn sich aus dem Eintragungsvermerk oder darin in Bezug genommenen Unterlagen ergibt, dass sie für einen nicht grundbuchfähigen Träger bestellt worden sind. Im Streitfall ergab sich zwar aus der im Grundbuch in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung, dass die Erblasserin damals keine Kinder hatte. Ein (bedingtes) Grundpfandrecht kann aber auch zugunsten einer noch nicht gezeugten Person bestellt werden.

Eine noch nicht gezeugte Person ist zwar gemäß § 1 BGB nicht rechtsfähig. Zugunsten solcher Personen können aber aufschiebend bedingte schuldrechtliche Verpflichtungen begründet werden, zum Beispiel durch Vertrag zugunsten Dritter (§ 331 Abs. 2 BGB), durch Vermächtnis (§ 2162 Abs. 2 und § 2178 BGB) oder – wie im Streitfall – durch Einsetzung als Nacherbe (§ 2101 Abs. 1, § 2106 Abs. 2 und § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).

Der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass eine dingliche Sicherung für solche Forderungen möglich sein muss. Dementsprechend hat das Reichsgericht entsprechende Hypotheken für zulässig erachtet. Der V. Zivilsenat tritt dieser Auffassung bei und entscheidet, dass in solchen Fällen auch die Bestellung einer Grundschuld zulässig ist.

Eine Löschung der Grundschuld nach § 19 GBO haben die Vorinstanzen zu Recht abgelehnt, weil es an einer Löschungsbewilligung der möglichen Nacherben fehlt. Diese kann nur ein Pfleger mit betreuungsrechtlicher Genehmigung abgeben (§ 1882 und § 1850 Nr. 1 BGB).

Eine Löschung gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 GBO wegen Unrichtigkeit des Grundbuchs ist ebenfalls nicht möglich. Sie käme nur dann in Betracht, wenn nachgewiesen wäre, dass die Antragstellerin auch in Zukunft keine Kinder haben wird. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der BGH lässt dabei offen, ob es hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Antragstellerin trotz ihres Alters noch leibliche Kinder bekommen kann. Jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass sie ein Kind adoptiert. Ob adoptierte Kinder nach dem maßgeblichen Testament als Nacherben in Betracht kommen, ist unerheblich, weil ein diesbezüglicher Ausschluss aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist.

Praxistipp: Zur wirksamen Bestellung solcher Rechte bedarf es einer dinglichen Einigung im Sinne von § 873 BGB. Die hierfür erforderlichen Erklärungen können für die noch nicht gezeugten Kinder durch einen gemäß § 1882 BGB zu bestellenden Pfleger abgegeben und entgegengenommen werden. Für die Eintragung im Grundbuch genügt gemäß § 19 GBO die Bewilligung des Eigentümers.

Anwaltsblog 27/2024: Wiedereinsetzung bei Störung des Intermediärs der Justiz

Ob einer Partei Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn die elektronische Einreichung am Tage des Fristablaufs wegen einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts nicht möglich war, hatte das OLG Celle zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 03.06.2025 – 14 U 226/24):

 Für die Beklagte und Berufungsklägerin lief die Frist zur Berufungsbegründung am 20.02.2025 ab. Ihr Prozessbevollmächtigter versuchte an diesem Tag vergeblich um 21:56 Uhr, 22:36 Uhr, 23:06 Uhr, 23:50 Uhr und 23:58 Uhr, die Berufungsbegründung mittels beA an das OLG zu übersenden. Der Intermediär des OLG war zwischen dem 20.02.2025 um 21:56 Uhr und 13:08 Uhr am 21.02.2025 nicht erreichbar. Der Prozessbevollmächtigte erhielt die Nachricht: „Oberlandesgericht Celle (29221 Celle) F001 Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden Fehlerhaft“ Eine beA-Störung des EGVP-Servers des OLG wurde auf keinem der üblichen Portale ausgewiesen, der Prozessbevollmächtigte konnte am Abend des Fristablaufs weitere beA-Nachrichten bei anderen Gerichten erfolgreich einreichen. Ausweislich der vorgelegten Ausdrucke wurde die Störung der Justiz-IT bei dem OLG Celle erst seit dem 21.02.2025 ausgewiesen; dort hieß es: „ACHTUNG: Eingeschränkte Erreichbarkeit der Justiz in Niedersachsen seit 20.02.2025, 20:44 Uhr – Ursache: Störung der Justiz-IT – Seit 20.02.2025, 20:44 Uhr treten Einschränkungen beim Versand an Gerichte und Behörden in Niedersachsen auf.“ Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste an dem in Rede stehenden Abend Schriftsätze mit Umfängen von 75 Seiten bzw. 112 Seiten übermitteln. Da die übliche Fax-Zeit 30 sec. pro Seite betrage, sei ihm eine Ersatzeinreichung per Telefax nicht fristwahrend möglich gewesen, nachdem auch um 23:06 Uhr die Einreichung per beA aufgrund der Störung unmöglich war.

 Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie gemäß § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Störung des Intermediärs der Niedersächsischen Justiz am Abend des 20.02.2025 stellte eine Verhinderung des fristgerechten Zugangs dar, der dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war daher nicht in der Lage, gemäß § 130d S. 1 ZPO den relevanten Schriftsatz fristgereicht einzureichen. Zwar normiert § 130d S. 2 ZPO, dass in diesen Fällen die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibt – eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich daraus jedoch dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist. Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten ist, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Zudem sind die Gerichte nach dem aus Art. 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip verbürgten Recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gehalten, bei der Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht zu überspannen. Vorliegend resultierte die Störung eindeutig aus dem Bereich des Gerichts. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat nach seinem glaubhaft gemachten Vortrag noch bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist versucht, den relevanten Schriftsatz auf dem gesetzlich vorgeschriebenen, elektronischen Wege über das beA einzureichen. Er war auch nicht gehalten, frühzeitig eine Ersatzeinreichung iSd. § 130d S. 2 ZPO zu beginnen, denn zum einen durfte er die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum Ende ausschöpfen, zum anderen durfte er darauf vertrauen, dass die Störung der gerichtlichen Erreichbarkeit bis zum Ablauf der Frist behoben sein würde. Ferner ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass die Störung des Intermediärs noch nicht auf den üblichen Portalen gemeldet war – dies erfolgte erst am Folgetag bei Anhalten der technischen Störung – und es daher für den Parteivertreter offen war, ob er das Vorliegen der nur vorübergehenden technischen Störung im Verantwortungsbereich des Gerichts würde beweisen können, was für die Zulässigkeit einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 130 d S. 2 ZPO erforderlich gewesen wäre. Bei einer ex-ante-Betrachtung aller Umstände des hier zu betrachtenden Einzelfalls war daher von einem unverschuldeten Versäumen der Frist auszugehen, sodass der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

Fazit: Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich aus § 130 d S. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist.

Anwaltsblog 26/2025: Signaturpflicht auch bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs!

Mit dem Erfordernis der Wiedergabe des Anwaltsnamens am Ende des Schriftsatzes bei einer einfachen Signatur hatte sich erneut der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 9. April 2025 – XII ZB 599/23):

 

Der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einer Einzelanwältin, ist das Urteil des Landgerichts am 4. August 2023 zugestellt worden. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 4. September 2023 ist auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) Berufung eingelegt und durch Schriftsatz vom 22. September 2023 begründet worden. Beide Schriftsätze enden mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“, ohne dass sich darüber ein Name oder eine Unterschrift befindet. In den Transfervermerken findet sich in dem Feld „Qualifiziert elektronisch signiert“ die Angabe „nein“. Das OLG hat den von der Beklagten gestellten Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung verworfen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 4. Dezember 2023 – 9 U 141/23 –, MDR 2024, 462).

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das OLG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungseinlegung nicht formgerecht erfolgt ist, weil es an der nach § 130 a Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen einfachen Signatur fehlt. Die einfache Signatur besteht aus der Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein. Die einfache Signatur soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Die einfache Signatur soll sicherstellen, dass die von dem Übermittlungsweg beA ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, welche mit der wiedergegebenen Unterschrift die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt. Dem genügen die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsätze nicht. Die Anfügung der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ stellt keine Signatur dar. Damit sind die zwingenden Formerfordernisse nicht erfüllt.

Das Erfordernis der einfachen Signatur kann auch nicht deshalb als entbehrlich angesehen werden, weil die mit ihm verbundenen Zwecke auf anderem Weg erfüllt wären. Zwar spricht die gewählte Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a Abs. 4 ZPO für die Identifizierbarkeit des Urhebers. Dennoch bietet der Briefbogen einer Anwaltskanzlei keine Gewähr für eine vollständige Aufzählung der in einer Kanzlei tätigen Rechtsanwälte und ist daher kein rechtssicherer Bezugspunkt für die Zuordnung der Verantwortlichkeit für einen Schriftsatz zu einem bestimmten Berufsträger. Dass im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist, schließt nicht aus, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat.

Eine Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist kommt wegen des der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens ihrer Rechtsanwältin nicht in Betracht.

 

Fazit: Die bloße Angabe der Berufsbezeichnung am Ende eines Schriftsatzes stellt keine Signatur dar. Erforderlich ist die Wiedergabe des Namens, etwa als maschinenschriftlicher Namenszug oder eingescannte Unterschrift. Auch wenn ein Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht wird, muss die einfache Signatur vorhanden sein. Dies gilt auch dann, wenn im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2024 – V ZR 261/23 –, MDR 2024, 1601).

Anwaltsblog 25/2025: Kein Erfolgshonorar für Vermittlung der Zulassung zum Studium bei Nichtannahme des Studienplatzes

Der BGH hatte die Wirksamkeit einer Klausel in einem Vertrag über die Vermittlung eines Studienplatzes zu beurteilen, nach der die volle Vergütung bereits mit der Studienplatzzusage gezahlt werden muss (BGH, Urteil vom 5. Juni 2025 – I ZR 160/24):

Die Klägerin vermittelt deutschen Studienbewerbern Plätze in medizinisch-pharmazeutischen Studiengängen an ausländischen Universitäten. Der Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Vermittlung eines Medizinstudienplatzes an der Universität Mostar/Bosnien. In den Vermittlungsbedingungen heißt es: „Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung der Klägerin, zahlt der Studienbewerber an die Klägerin ein Erfolgshonorar (netto) in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang.“ In der Folge erklärte der Beklagte, er nehme Abstand vom Vertrag. Die Klägerin macht geltend, die Universität Mostar habe ihn bereits zum Studium zugelassen. Die Pflicht zur Zahlung des Vermittlungshonorars bestehe unabhängig davon, ob der Beklagte das Studium dort auch aufnehme. Das Landgericht wie Berufungsgericht haben die Klage auf Zahlung des Erfolgshonorars abgewiesen. Ein Provisionsanspruch bestehe nicht, weil die Honorarvereinbarung den Beklagten unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei.

Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1) oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2). Voraussetzung ist zunächst eine Benachteiligung des Vertragspartners von einigem Gewicht. Eine solche Benachteiligung ist iSv. § 307 BGB unangemessen, wenn der Verwender durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.

Die gesetzliche Regelung, deren wesentlicher Grundgedanke für die gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmende Inhaltskontrolle der Vermittlungsbedingungen maßgeblich ist, ist dem Maklerrecht iSd. §§ 652 ff. BGB zu entnehmen. Dies gilt, obwohl es sich bei der Vermittlungsvereinbarung um einen gemischttypischen Vertrag handelt, der auch dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist. Ein gemischter Vertrag bildet ein einheitliches Ganzes und kann deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nicht in dem Sinn in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden, dass beispielsweise auf den Mietvertragsanteil Mietrecht, auf den Dienstvertragsanteil Dienstvertragsrecht und auf den Kaufvertragsanteil Kaufrecht anzuwenden wäre. Der Eigenart des Vertrags wird vielmehr grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Überwiegt ein Vertragsbestandteil und ist er deshalb für das Wesen dieses Vertrags prägend, so ist grundsätzlich das Recht dieses Bestandteils für den ganzen Vertrag entscheidend.

Nach den Vermittlungsbedingungen hat der Studienbewerber der Klägerin ein Erfolgshonorar in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang zu zahlen, wenn er unter Mitwirkung der Klägerin einen Studienplatz erhält. Die Vergütungsregelung hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist daher unwirksam, weil sie den Auftraggeber gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Die Vergütung ist als Erfolgshonorar ausgestaltet. Sie sollte nicht erst mit dem Abschluss des Studienvertrags durch den Beklagten, sondern mit der Zulassung zum Studium durch die Universität, das heißt mit dem Nachweis einer Möglichkeit zum Vertragsschluss, verdient sein. Zum Leitbild des Maklervertrags gemäß § 652 BGB gehören die Erfolgsabhängigkeit der Provision, die Entschließungsfreiheit des Auftraggebers, die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Vertragsabschluss und die fehlende Verpflichtung des Maklers zur Leistungserbringung. Klauseln, welche die Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers durch Zahlungsverpflichtungen einschränkten, sind deshalb regelmäßig als unangemessen und unwirksam zu bewerten. Ein Vertragspartner, der die volle Erfolgsvergütung bereits mit der Studienplatzzusage zahlen müsste, ist – gerade auch in Anbetracht der Höhe der Vergütung, die einer Jahresstudiengebühr entspreche – in seiner Entschließungsfreiheit über die Annahme dieses Studienplatzes beeinträchtigt. Dies benachteiligt den Auftraggeber unangemessen, da die Leistung für ihn bei einem Wegfall seines Interesses an dem Abschluss des Hauptvertrags keinen Wert habe.

Die Abweichung von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag ist auch nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zwar führt die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild nicht zur Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, wenn die Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und die Wahrung des gesetzlichen Schutzzwecks auf andere Weise sichergestellt wird. Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich.

 

Fazit: Gemischte Verträge, die Elemente verschiedener Vertragstypen aufweisen, sind nach dem Grundsatz zu beurteilen, dass der Eigenart des Vertrags grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht wird, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Ein gemischttypischer Vertrag, der zwar dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist, im Schwerpunkt aber darauf gerichtet ist, Bewerbern aus Deutschland gegen Entgelt Studienplätze an ausländischen Universitäten zu vermitteln, ist bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung unter dem Gesichtspunkt der Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) am Leitbild des Maklervertrags zu messen.

Anwaltsblog 24/2025: Vertragsstrafe trotz Rücktritts vom Vertrag?

Nach § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24):

Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag, nach dem die Beklagte für netto 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen sollte. Gemäß Ziffer 5.9. hatte die Fertigstellung spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen. Ziffer 6.8. des Vertrags lautet: „Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt.“ Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war („Longstop-Date“).

Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin vom Vertrag zurück. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 365.000 € Vertragsstrafe zu zahlen. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin bis zum Rücktritt 286 Werktage verstrichen seien.

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die vertraglichen Voraussetzungen einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe lagen bis zum Rücktritt der Klägerin vor. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen. Der Rücktritt der Klägerin hat ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen. Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine – wie hier – zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt. Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion). Diese Ziele könnten nicht erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner – sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung – darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens.

 

Fazit: Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.