Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine erbrechtliche Fragestellung.

Grabpflegekosten und Pflichtteil
Urteil vom 26. Mai 2021 – IV ZR 174/20

Mit der Berechnung des Zusatzpflichtteils nach § 2305 BGB befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die im Jahr 1931 geborene und im Jahr 2017 verstorbene Erblasserin hat den Kläger, den sie im Jahr 1981 adoptiert hatte, in einem eigenhändigen Testament zusammen mit sechs weiteren Personen als Erben eingesetzt. Dem Kläger ist ein Anteil von 5 % zugedacht; die Summe der zugedachten Anteile beträgt 55 %. Ferner hat die Erblasserin angeordnet, dass aus dem Nachlass für zwanzig Jahre die Kosten der Grabpflege zu tragen sind. Der Bruttowert des Nachlasses beträgt rund 16.000 Euro, die unstreitigen Nachlassverbindlichkeiten belaufen sich auf rund 6.300 Euro, die Grabpflegekosten nach den Feststellungen des LG auf rund 9.500 Euro. Nach Abzug dieser Kosten verblieben für alle Erben zusammen also rund 200 Euro. Der Kläger, der bei gesetzlicher Erbfolge alleiniger Erbe gewesen wäre, verlangt einen Zusatzpflichtteil gemäß § 2305 BGB auf der Grundlage eines Nachlasswerts von rund 9.700 Euro, also ohne Abzug der Grabpflegekosten. Seine ursprünglich (unter Anrechnung eines bereits erhaltenen Betrags von 800 Euro) auf Zahlung von rund 3.600 Euro und in zweiter Instanz zuletzt auf Zahlung von rund 6.300 Euro gerichtete Klage ist vor dem AG und dem LG erfolglos geblieben.

Die auf Zahlung von 3.200 Euro gerichtete Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Zu den vom Erben gemäß § 1968 BGB zu tragenden Beerdigungskosten nur die Kosten des Bestattungsakts. Dieser findet seinen Abschluss mit der Errichtung einer dauerhaften Grabstätte. Die Kosten für das Grabmal und für Pflege und Instandsetzung des Grabs hat der Erbe zivilrechtlich nicht zu tragen. Insoweit kann er allenfalls nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften verpflichtet sein.

Die testamentarischen Erben sind allerdings aufgrund der Anordnung der Erblasserin, die als Auflage im Sinne von § 1940 BGB zu qualifizieren ist, zur Tragung der Grabpflegekosten verpflichtet. Als testamentarischer Erbe erhält der Kläger deshalb nur einen Anteil des nach Abzug der Grabpflegekosten verbleibenden Restbetrags von rund 200 Euro. Der Anteil des Klägers daran beträgt 9,09 % (ein Elftel). Dem Kläger sind im Testament zwar nur 5 % zugewandt worden. Da die Erblasserin insgesamt nur 55 % zugeteilt hat und ihr Testament dahin auszulegen ist, dass nur die darin genannten Personen Erben sein sollen, sind die einzelnen Anteile aber entsprechend zu erhöhen.

Zusätzlich zu diesem testamentarischen Erbteil von rund 20 Euro steht dem Kläger gemäß § 2305 BGB ein Zusatzpflichtteil in Höhe von 40,91 % des Nachlasses (die Differenz zwischen dem Pflichtteil von 50 % und dem testamentarisch zugedachten Anteil von 9,09 %) zu. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Nachlasswert insoweit ohne Abzug der Grabpflegekosten anzusetzen. Die Auflage im Testament ist nicht zu berücksichtigen, weil ein Pflichtteilsanspruch durch Auflagen nicht geschmälert werden darf. Dem Kläger stehen damit rund 4.000 Euro abzüglich der bereits erhaltenen 800 Euro zu.

Eine abschließende Entscheidung ist dem BGH nicht möglich, weil die Beklagten hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch wegen eines der Erblasser gehörenden Nerzmantels aufgerechnet haben.

Praxistipp: Will der Erblasser auch gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten sicherstellen, dass die Grabpflegekosten aus dem Nachlass gezahlt werden, muss er bereits zu Lebzeiten einen Grabpflegevertrag schließen. Die sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen gehören nach § 1967 Abs. 2 BGB zu den Nachlassverbindlichkeiten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftungshöchstbeträge für Ansprüche aus dem Straßenverkehrsgesetz und um die Verjährung des Anspruchs auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherung

Haftungshöchstbeträge nach § 12 StVG a.F.
Urteil vom 16. März 2021 – VI ZR 140/20

Mit der bis 17. Dezember 2007 geltenden Fassung von § 12 StVG befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der im Jahr 1983 geborene Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2000 eine Querschnittlähmung ab dem fünften Halswirbel. Ursache des Unfalls war ein Rad, das sich infolge eines Ermüdungsbruchs von einem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug löste und auf das Auto prallte, in dem der Kläger saß. Eine weitere Insassin dieses Autos wurde leicht verletzt, machte aber keine Ersatzansprüche geltend. Die Beklagte zahlte seit dem Unfall eine monatliche Rente von 1.917,34 Euro (ursprünglich 3.750 DM). Im Oktober 2018 stellte sie die Zahlungen ein. Bis dahin hatte sie insgesamt rund 388.000 Euro (rund 760.000 DM) gezahlt. Das LG verurteilte die Beklagte zur Weiterzahlung der Rente in der bisherigen Höhe. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Anspruch auf Rentenzahlung nach den bis 17.12.2017 geltenden Fassungen von § 12 Abs. 1 StVG nur durch den Höchstbetrag für die Jahresrente begrenzt wird, nicht aber durch die separat festgelegte Höchstgrenze für Kapitalbeträge. Nach der im Streitfall maßgeblichen Fassung von § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVG haftet die Beklagte, solange die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, danach bis zu einem Rentenbetrag von jährlich 30.000 DM – unabhängig davon, ob der Gesamtbetrag ihrer Zahlungen die für Kapitalbeträge geltende Höchstgrenze von 500.000 DM überschritten hat.

Der BGH tritt den Vorinstanzen ferner darin bei, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht bis zu dem in § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVG a.F. für den Fall der Verletzung mehrerer Personen vorgesehenen Höchstbetrag von 45.000 DM jährlich haftet. Diese Grenze ist nur für die Summe aller Rentenzahlungen maßgeblich, die die Beklagte gegenüber Personen erbringen muss, die bei dem Unfall verletzt worden sind. Der Anspruch eines einzelnen Verletzten ist dagegen nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVG a.F. auf 30.000 DM jährlich begrenzt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen können die in der Vergangenheit erbrachten Zahlungen der Beklagten nicht ohne weiteres als Anerkenntnis einer Pflicht zur Zahlung einer Rente von jährlich 45.000 DM angesehen werden. Eine Tilgungsleistung kann nur dann als Angebot zum Abschluss eines bestätigenden Schuldanerkenntnisvertrags ausgelegt werden, wenn im konkreten Fall ein nachvollziehbarer Anlass für ein solches Anerkenntnis bestand. Letzteres kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn Streit oder Ungewissheit über Bestand oder Höhe der Forderung herrschte. Diesbezügliche Feststellungen hat das OLG nicht getroffen.

In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das OLG insbesondere dem Vortrag des Klägers nachzugehen haben, wonach sein Prozessbevollmächtigter nach dem Unfall in einer abschließenden Besprechung mit der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe, er werde von einer gerichtlichen Geltendmachung von weitergehenden Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB absehen, wenn die Beklagte im Gegenzug den Haftungshöchstbetrag von 45.000 DM pro Jahr hinnehme.

Praxistipp: Da solche Konstellationen in der Regel erst lange Zeit nach dem Schadensereignis eintreten, ist besonders sorgfältig zu prüfen, welche Fassung von § 12 StVG maßgeblich ist. Seit 18.12.2007 gilt ein einheitlicher Höchstbetrag (derzeit fünf Millionen Euro), der auch für den Kapitalwert einer zu leistenden Rente maßgeblich ist.

Verjährung des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung
Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20

Mit dem Beginn der Verjährung eines Anspruchs aus § 648a BGB a.F. (jetzt: § 650f BGB) befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Beklagte beauftragte den Kläger im Jahr 2013 mit Rohbauarbeiten für ein Mehrfamilienhaus. Nach Abschluss der Arbeiten legte die Klägerin im Juli 2014 eine Schlussrechnung über einen Gesamtbetrag von rund 220.000 Euro netto vor. Die Beklagte, die bis dahin Abschläge in Höhe von rund 110.000 Euro erbracht hatte, berief sich auf Mängel und verweigerte weitere Zahlungen. Über eine im Jahr 2015 erhobene Klage auf restliche Vergütung ist erstinstanzlich noch nicht entschieden.

Im September 2018 verlangte die Klägerin die Stellung einer Sicherheit in Höhe von 88.000 Euro. Ihre auf diese Leistung gerichtete Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt erfolglos.

Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der Anspruch auf Leistung einer Bauhandwerkersicherung als „verhaltener“ Anspruch zu qualifizieren ist, so dass die Verjährung frühestens dann beginnt, wenn der Unternehmer den Anspruch erstmals geltend macht. Der Besteller darf eine solche Sicherheit nicht von sich aus stellen. Die Entscheidung darüber liegt beim Unternehmer, weil dieser die hierfür anfallenden Kosten tragen muss. Der Unternehmer wird eine Sicherheit in der Regel nur dann verlangen, wenn ein entsprechendes Sicherungsbedürfnis besteht. Ein solches kann sich je nach Einzelfall auch erst geraume Zeit nach Entstehung des Anspruchs ergeben.

An der Geltendmachung des Anspruchs ist die Klägerin im Streitfall weder unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs noch unter dem Aspekt der Verwirkung gehindert.

Praxistipp: Geltend gemachte Mängel haben gemäß § 650f Abs. 1 Satz 4 BGB auf die Höhe der zu leistenden Sicherheit grundsätzlich keinen Einfluss, soweit daraus resultierende Ansprüche nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine eher selten einschlägige Vorschrift aus dem Wohnungsmietrecht – und um den Umgang einer Kirche mit langjährigen Bediensteten

Auflösende Bedingung in einem Wohnungsmietvertrag
Urteil vom 11. November 2020 – VIII ZR 191/18

Mit § 572 Abs. 2 BGB und der Geschäftsgrundlage einer Räumungsvereinbarung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin, eine kirchliche Organisation, vermietete im Jahr 1977 an die Beklagte und deren Ehemann, der seit 1969 als Diakon im Dienst der Klägerin tätig war, ein Reihenhaus. In einer Anlage zum Mietvertrag war vermerkt, das Mietverhältnis ende ohne weiteres mit dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst. Als der Ehemann im Jahr 2002 in den Ruhestand trat, wurde das Mietverhältnis fortgesetzt, weil die Beklagte ebenfalls im kirchlichen Dienst tätig war. Im März 2015 bat die Klägerin im Hinblick auf den am 31. Mai desselben Jahres anstehenden Eintritt der Beklagten in den Ruhestand um baldige Vereinbarung eines Rückgabetermins. Ende April unterschrieb die Beklagte anlässlich eines Besichtigungstermins eine Vereinbarung, wonach das Mietverhältnis bis 31.05.2016 zu denselben Konditionen fortgesetzt wird. In der Folgezeit trat sie von der Vereinbarung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage zurück. Ferner erklärte sie deren Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Die Vorinstanzen haben die geschlossene Vereinbarung zwar ohne Rechtsfehler als verbindlich angesehen. Mit der vom LG gegebenen Begründung kann aber weder ein wirksamer Rücktritt wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage noch eine wirksame Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung verneint werden.

Aus den Feststellungen des LG ergibt sich, dass beide Parteien davon ausgingen, der Mietvertrag ende mit dem Eintritt in den Ruhestand. Diese Annahme war unzutreffend, weil sich der Vermieter von Wohnraum gemäß § 572 Abs. 2 BGB auf eine Vereinbarung, nach der das Mietverhältnis auflösend bedingt ist, nicht berufen kann. Entgegen der Auffassung des LG gehörte die Frage, ob das Mietverhältnis über den 31.05.2015 hinaus fortbesteht, nicht zum Inhalt der getroffenen Räumungsvereinbarung (was einen Rücktritt gemäß § 779 Abs. 1 BGB ausgeschlossen hätte). Die gemeinsame Fehlvorstellung über das bevorstehende Ende bildete vielmehr die Geschäftsgrundlage der Räumungsvereinbarung.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich ferner eine widerrechtliche Drohung seitens der Klägerin. Die von der Beklagten behauptete Ankündigung der Klägerin, ohne Einigung werde sie am 31.05.2015 mit einem Rechtsanwalt vor der Türe stehen und die Beklagte müsse ausziehen, ist angesichts der kurzen Zeit, die der Beklagten bis zu der angedrohten Räumung verblieben wäre, und der angespannten Situation auf dem betreffenden Wohnungsmarkt als widerrechtlich anzusehen.

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LG zu prüfen haben, ob der Beklagten trotz Fehlens der Geschäftsgrundlage ein Festhalten an der Räumungsvereinbarung zumutbar ist und ob die Klägerin die behauptete Drohung tatsächlich ausgesprochen hat.

Praxistipp: Einen Mietvertrag über Wohnraum, der mit Rücksicht auf ein Dienstverhältnis abgeschlossen worden ist, kann der Vermieter nach Beendigung des Dienstverhältnisses gemäß § 576 BGB mit relativ kurzer Frist kündigen. Ansonsten gelten die allgemeinen Bestimmungen, d.h. der Vermieter muss ein berechtigtes Interesse an der Kündigung haben (typischerweise Bedarf für einen neuen Mitarbeiter) und der Mieter kann der Kündigung nach Maßgabe von § 574 BGB widersprechen.

Stichtag 1.12.2020: Inkrafttreten der WEG-Refom

Am 1.12.2020 tritt die wohl umfassendste Reform des Wohnungseigentumsrechts seit seiner Schaffung im Jahr 1951 in Kraft. Kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Der Verband der Wohnungseigentümer – in Zukunft: die „Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“ – wird voll rechtsfähig und ist Träger der Verwaltung. Er entsteht bereits mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher, so dass im Fall der Teilung des Grundstücks eine „Ein-Personen-Gemeinschaft“ existiert. Der Verwalter erhält fast unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht für die Gemeinschaft und kann jederzeit von den Wohnungseigentümern abberufen werden. Sondereigentum ist jetzt auch an Freiflächen möglich. Bauliche Veränderungen können zukünftig grundsätzlich mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Jeder Wohnungseigentümer kann verlangen, dass ihm der Bau einer Ladestation für sein E-Auto gestattet wird. Für Versammlungen gibt es kein Quorum für die Beschlussfähigkeit mehr.  Beschlussanfechtungsklagen sind gegen die Gemeinschaft zu richten. Die Liste der tiefgreifenden Änderungen ließe sich noch ein gutes Stück fortsetzen.

In den Wohnungseigentumsanlagen wird sich daher in Zukunft vieles ändern. Aber nicht nur praktisch, sondern auch dogmatisch ist ein Umdenken angesagt. Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) nähert das WEG dem übrigen Verbandsrecht an, wenn es um die Rechtsstellung der  Gemeinschaft im Rechtsverkehr oder die Binnenrechtsbeziehungen zwischen Gemeinschaft, Wohnungseigentümern, Verwalter und Beirat geht. Hier hat der Gesetzgeber sich an die Strukturen von GmbH, AG und Verein angelehnt, so dass die dort entwickelten Lösungen auch für das WEG fruchtbar gemacht werden können. Auch wenn das WEG so für die meisten Juristen klarer wird, ist dies für Wohnungseigentümer und Verwalter nicht unbedingt der Fall. Mit der konzeptionellen Klarheit einher geht nämlich eine „Bereinigung von Selbstverständlichkeiten“, also die Streichung vermeintlich überflüssiger Regelungen. So findet sich die bisher in § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG geregelte Aufgabe des Verwalters, Beschlüsse der Wohnungseigentümer durchzuführen, im neuen WEG nicht mehr. Damit wollte der Gesetzgeber ihn aber keineswegs von der Pflicht entbinden. Er war nur der Ansicht, es bedürfe der Regelung nicht, weil sich diese Pflicht des Verwalters unmittelbar aus seiner Stellung als Vollzugsorgan ergebe.  Dies mag zwar so sein, sorgt aber nicht unbedingt für Rechtssicherheit.

Trotzdem lässt sich als erstes Fazit sagen, dass das neue WEG einen erheblichen und dringend notwendigen Fortschritt darstellt. Die neuen zahlreichen Rechtsfragen werden aber die Gerichte in der nächsten Jahren gut beschäftigen.

Hinweis: Ein zweiteiliger Beitrag, der die Neuregelungen vorstellt, beginnt in MDR 2020, 1409 und wird in Heft 24/2020 fortgesetzt.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um zwei nahezu klassische Fragen, die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder stellen.

Reichweite der Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs
Urteil vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 158/19

Mit den Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die klagende Versicherung nimmt die Beklagte wegen eines Brandschadens in der Autoreparaturwerkstatt ihres Versicherungsnehmers in Anspruch. Die Beklagte hatte einen Lkw in die Werkstatt gebracht, um die Hinterreifen auszutauschen und am nächsten Tag eine TÜV-Untersuchung durchzuführen. In der Nacht vor der Untersuchung geriet das Werkstattgebäude in Brand. Als Ursache wurde ein Defekt des in der Werkstatt abgestellten Lkw festgestellt. Unklar blieb, ob der Defekt am Motor oder an einem in der Fahrerkabine eingebauten Kühlschrank entstanden war. Die Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

Die Beklagten unterliegt auch in der dritten Instanz.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Schaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden ist, wenn das Schadensgeschehen auf eine defekte Betriebseinrichtung zurückzuführen ist. Zu den Betriebseinrichtungen gehören nicht nur Teile, die für die Transport- und Fortbewegungsfunktion von Bedeutung sind, sondern alle Bestandteile, die dazu bestimmt sind, dem Betrieb des Fahrzeugs zu dienen, indem sie dessen Benutzung sicherer, leichter oder komfortabler gestalten sollen. Dazu gehört auch ein in das Fahrzeug eingebauter Kühlschrank.

Praxistipp: Nicht von § 7 Abs. 1 StVG erfasst sind Schäden, die dadurch verursacht worden sind, dass ein Kraftfahrzeug als Arbeitsgerät eingesetzt worden ist, ohne am öffentlichen Verkehr teilzunehmen.

Bereicherungsausgleich in Dreiecksverhältnissen
Urteil vom 29. Oktober 2020 – IX ZR 212/19

Mit den Folgen einer fehlerhaften Anweisung befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Klägerin, eine Publikums-KG, begehrt vom Beklagten, dem Insolvenzverwalter einer anderen KG, die Feststellung einer Darlehensforderung zur Insolvenztabelle. Nach dem Vortrag der Klägerin wurde das Darlehen vom damaligen Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH, der zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der späteren Insolvenzschuldnerin war, gewährt und die Darlehenssumme unmittelbar an eine Gläubigerin der Insolvenzschuldnerin ausgezahlt. Die Komplementärin der Schuldnerin war von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Nach dem Gesellschaftsvertrag bedurfte die Gewährung von Krediten unter bestimmten Voraussetzungen aber der Einwilligung der Gesellschafterversammlung. Nach dem Vortrag der Beklagten fiel das in Streit stehende Darlehen unter diese Bestimmung. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der Darlehensvertrag nicht schon deswegen unwirksam, weil er ohne Einwilligung der Gesellschafterversammlung geschlossen wurde. Die Komplementärin der Insolvenzschuldnerin hat durch den Abschluss dieses Vertrags zwar ihre internen Befugnisse überschritten. Bei einem Insichgeschäft eines von § 181 BGB befreiten Vertreters führt ein solcher Verstoß aber nur dann zur Unwirksamkeit des Vertrags wegen Missbrauchs der – im Außenverhältnis wirksamen – Vertretungsmacht, wenn der Vertrag für den Vertretenen nachteilig ist. Hierzu fehlt es an tatrichterlichen Feststellungen.

Selbst wenn der Vertrag unwirksam wäre, ergäbe sich aus dem Klägervorbringen ein gegen die Beklagte gerichteter Bereicherungsanspruch. Der Darlehensbetrag ist nach dem Vortrag der Klägerin zwar an einen Dritten geflossen. Der Bereicherungsanspruch richtet sich ggf. aber gegen die Schuldnerin, weil die Zahlung auf ihre Weisung erfolgt ist und der Tilgung einer ihr obliegenden Verbindlichkeit gedient hat. Dass die Weisung im Falle eines Vollmachtsmissbrauchs ebenfalls unwirksam ist, steht dem nicht entgegen. Der Zahlungsempfänger, für den der Missbrauch nicht erkennbar war, ist in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Weisung geschützt. Ausschlaggebend dafür ist, dass der Geschäftsführer im Außenverhältnis zur Vertretung der Schuldnerin befugt war und nur gegen Beschränkungen im Innenverhältnis verstoßen hat.

Praxistipp: Aufgrund der Sonderregelung in § 675u BGB ist das Vertrauen des Zahlungsempfängers nicht geschützt, wenn die Leistung durch einen Zahlungsdienstleister erfolgt und der zugrunde liegende Zahlungsauftrag zuvor storniert worden ist.

Thesenpapier zur umfassenden Modernisierung des Zivilprozesses

Jedes Jahr treffen sich die Präsidentinnen und Präsidenten der ordentlichen Obergerichte (OLG, KG, BayObLG und BGH) an wechselnden Orten zu einer Tagung, zuletzt zur 71. Jahrestagung im Mai 2019 in Bamberg. Dort wurde die altehrwürdige ZPO in den Blick genommen. Diese nutzt bisher die vorhandenen  technischen Möglichkeiten kaum aus, um Gerichtsverfahren bürgerfreundlich und effizient zu gestalten. Der elektronische Rechtsverkehr und die e-Akte bilden letztlich nur die Papierwelt digital nach. Um eine echte Transformation zivilgerichtlicher Verfahren ins digitale Zeitalter zu ermöglichen, bedarf es grundlegenderer Überarbeitungen des Verfahrensrechts. Diesen Reformbedarf haben die Präsidentinnen und Präsidenten erkannt und die Einsetzung einer mit Richterinnen und Richtern aller Ebenen besetzten Arbeitsgruppe beschlossen, die nunmehr ihren Zwischenbericht vorgelegt hat. Auch wenn es sich hierbei nur um einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem rechtspolitischen Forderungskatalog handelt, lohnt sich doch ein Blick in das vom Präsidenten des OLG Nürnberg Dr. Dickert als Vorsitzendem der Arbeitsgruppe veröffentlichte Thesenpapier.

Dieses enthält eine ganze Reihe von weitreichenden Vorschlägen, die – im Falle ihrer Umsetzung – die zivilprozessuale Welt ganz erheblich umkrempeln werden. Die folgende Aufzählung ist längst nicht abschließend:

  • Ein neues Beschleunigtes Online-Verfahren soll für „massenhaft auftretende Streitigkeiten“ – hier wird an Fluggastrechte oder Mieterhöhungen zu denken sein – ein formularbasiertes Verfahren anbieten, das vollständig online durchgeführt wird. Es werden spezielle Online-Gerichte eingerichtet werden können, die nötigenfalls im Wege der Video- oder Telefonkonferenz verhandeln.
  • Der seit Jahrzehnten diskutierte „strukturierte Parteivortrag“ kann (im Anwaltsprozess) endlich Wirklichkeit werden. Der Parteivortrag zum Lebenssachverhalt wird von den Parteivertretern in einer Relationstabelle niedergelegt. Dazu bearbeiten die Rechtsanwälte ein gemeinsames elektronisches Dokument, das sog. Basisdokument. Dieses soll später die Funktion des Tatbestands übernehmen.
  • Nicht nur in Pandemiezeiten interessant wird die Möglichkeit sein, „virtuelle Verhandlungen“ im Wege der Videokonferenz zu führen, bei denen sich auch das Gericht nicht mehr in einem Sitzungssaal aufhalten muss.
  • Auch die Protokollierung soll moderner, d.h. genauer und einfacher werden. Zu diesem Zweck soll ab 2026 das schriftliche Wortprotokoll von Beweisaufnahmen zwingend sein. Die Verschriftlichung soll computergestützt – auch auf Grundlage von vorläufigen Videoaufzeichnungen – erfolgen.
  • Erweitert werden sollen auch die Kommunikationsmöglichkeiten: Für den Bürger soll ein Online-Portal eingerichtet werden, dass die Funktion einer Rechtsantragsstelle wahrnimmt und zugleich dem Zugang zum Mahnverfahren und Beschleunigten Online-Verfahren dient. Rechtsanwälte und Gericht sollen auch über einen elektronischen Nachrichtenraum – ähnlich der bekannten Messenger-Dienste – kommunizieren können, z.B. Terminsabsprechen treffen, Verzögerungen mitteilen oder Vergleichsverhandlungen anregen oder sich darüber austauschen.

Die Thesen werden nunmehr zunächst mit der Richterschaft dann mit Anwaltschaft und Rechtspolitik diskutiert werden. Man kann gespannt sein, wie es weiter geht!

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.

Die Wiederaufnahme des Sitzungsbetriebes bei Gericht in Corona-Zeiten

Derzeit denken alle an die Zeit „danach“. Aber so schnell wird die Normalität voraussichtlich nicht zurückkehren können. Nun soll aber wenigstens der Sitzungsbetrieb bei den Gerichten teilweise wieder aufgenommen werden. Hierfür werden bei den Gerichten Vorbereitungen getroffen. Was genau geschieht?

Zunächst einmal wird durch entsprechende Hausverfügungen und Instruktionen des Kontrollpersonals an den Eingängen sichergestellt, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt wird bzw. erhalten bleibt. Weiterhin müssen die Sitzungssäle umgestaltet werden. Die Säle müssen so ausgestattet werden, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern durchweg gewahrt werden kann. Dies geschieht in aller Regel durch Verschiebung des Mobiliars, Markierungen auf dem Boden und auf den Tischen, mitunter durch das Aufstellen von Trennscheiben. All dies wird teilweise in ständigem Kontakt der Gerichtspräsidenten untereinander und mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte (Videokonferenzen) beschlossen und entschieden. Besonders problematisch ist die Einhaltung des Mindestabstandes bei den Kollegialgerichten, zumal dadurch auch eine sonst unproblematisch mögliche kurze Verständigung zwischendurch sehr erschwert wird. Durch die Markierungen sehen die Säle zum Teil etwas seltsam aus.

Ein besonderes Problem stellen die Aufenthalts- und Wartebereiche dar. Diese sind oftmals ohnehin bei der Planung der Gebäude zu kurz gekommen. Nunmehr entsteht das Problem der Wahrung des Mindestabstandes bei den Wartenden und der ausreichenden Belüftung der betroffenen Bereiche. Es wird daher voraussichtlich nichts anderes übrigbleiben, als jedenfalls teilweise Sitzungssäle zu Aufenthaltsräumen umzufunktionieren, zumal die Gänge oftmals sehr schwer zu belüften sind.

Gleichzeitig kann nicht einfach jeder Richter irgendwie Termine bestimmen, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich zu viele Personen auf den Fluren aufhalten und der Mindestabstand schon deswegen nicht gewahrt werden kann. Es bedarf daher eines Mindestmaßes an Absprachen und Organisation. All dies wird noch dadurch erschwert, dass einige Mitarbeiter (und auch Richter) immer noch krank sind bzw. als Risikogruppe in das Homeoffice gezwungen sind.

Es gilt daher, eine Fülle von praktischen Schwierigkeiten mit Improvisationsgeschick, Geduld und Erfindungsgeist zu überwinden.

Gleichwohl besteht die Hoffnung, dass demnächst bei den Gerichten wieder ein wenig Normalität einkehren kann. Alle Beteiligten sind dazu aufgerufen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beizutragen, dass keine besonderen Schwierigkeiten auftreten werden. So können beispielsweise die Rechtsanwälte die Mandanten schon vor dem Termin auf die voraussichtliche Situation vorbereiten bzw. hinweisen.

Gleichwohl sollte es gelingen, in wenigen Wochen wieder halbwegs normale Verhältnisse bei den Gerichten herbeizuführen.

Montagsblog: Sonderausgabe

Diese Woche geht es ausnahmsweise nicht um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Das Covid-19-Moratorium
Art. 240 § 1 EGBGB (BGBl. 2020 I 569 [572 f.])

Mit dem seit 1.4.2020 geltenden Zahlungsmoratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmen befasst sich der Montagsblog in dieser Sonderausgabe.

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020 sieht in Art. 240 § 1 EGBGB ein potentiell weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht vor.

Nach der am 1.4.2020 in Kraft getretenen Regelung dürfen Verbraucher und Kleinstunternehmen Leistungen verweigern, wenn deren Erbringung infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus zurückzuführen sind, ohne Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts bzw. der wirtschaftlichen Grundlagen des Betriebs nicht möglich wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht ist ausgeschlossen, wenn seine Ausübung für den Gläubiger seinerseits unzumutbar wäre.

Das Leistungsverweigerungsrecht besteht nur in Bezug auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse wie Pflichtversicherungen und Verträge über die Lieferung von Strom, Gas und Wasser sowie über Telekommunikationsdienste. Es ist zunächst bis 30.6.2020 befristet. Eine Verlängerung auf dem Verordnungswege ist möglich.

Ob und in welchem Umfang sich die Gerichte in den kommenden Wochen und Monaten mit dieser Vorschrift befassen müssen, bleibt abzuwarten. Sie wird aber auf lange Zeit von Bedeutung bleiben, weil das Leistungsverweigerungsrecht auch eventuelle Sekundärrechte wegen Verzug oder Nichterfüllung ausschließt.

Praxistipp: Das Leistungsverweigerungsrecht entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn der Schuldner sich darauf beruft. Betroffene Personen und Unternehmen sollten den Gläubiger deshalb umgehend informieren und möglichst aussagekräftige Unterlagen beiliegen, aus denen sich die Ursächlichkeit zwischen der Covid-19-Pandemie und der fehlenden Leistungsfähigkeit ergibt. Entsprechendes gilt für einen Gläubiger, der sich auf den Ausschluss des Rechts wegen Unzumutbarkeit berufen will.

Zivilprozesse in Zeiten der Corona-Pandemie

Covid-19 legt derzeit das gesellschaftliche Leben in Deutschland lahm. Die Tätigkeit der Gerichte bildet dabei keine Ausnahme. In Berlin hat Kammergerichtspräsident Bernd Pickel angeregt, grundsätzlich alle Sitzungstermine aufzuheben und nur noch in unaufschiebbaren Einzelfällen zu verhandeln. Andere Gerichtspräsidenten haben vergleichbare Empfehlungen ausgesprochen – und auch ohne solche Hinweise „von oben“ haben viele Richterinnen und Richter Verhandlungstermine abgesetzt oder weit in die Zukunft verschoben. Die Terminsabsetzungen stoßen bei den Rechtsanwälten teils auf Zustimmung, werden von diesen in einigen Fällen sogar gefordert, teils aber auch auf Ablehnung. Es ist daher sinnvoll, einen Blick auf die Rechtslage zu werfen.

Nach § 227 Abs. 1 ZPO bedarf jede Terminsaufhebung oder -verlegung eines „erheblichen Grundes“. Dies darf nicht zu streng gesehen werden. Besteht für die Prozessbeteiligten im Sitzungssaal oder auf dem Weg dorthin eine Gefahr für ihre Gesundheit durch die Übertragung des Corona-Virus, ist ein „erheblicher Grund“ sicherlich gegeben. Das Gleiche gilt, wenn die Durchführung des Termins eine Ansteckungsgefahr für Außenstehende bedeutet, etwa der Wachtmeister, die im Eingangsbereich des Gerichts die Personenkontrollen durchführen. Ob dies ein Vorsitzender auch nur einigermaßen sicher feststellen kann, ist aber fraglich. Momentan kann beobachtet werden, dass einzelne Gerichte prüfen, ob alle Beteiligten im Sitzungssaal einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten können.

Der Gesundheitsschutz aller Beteiligten steht zudem im Spannungsverhältnis zum Justizgewährleistungsanspruch, der auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz in angemessener Zeit verlangt (BVerfGE 82, 126, 155). Es sollten daher stets Wege gesucht werden, die Verfahren auf andere Weise zur Entscheidungsreife zu bringen. Leider sind diese häufig nicht praktikabel: Der Übergang ins schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) ist bei einer notwendigen Beweisaufnahme gänzlich verschlossen, ermöglicht keine Güteverhandlungen und scheitert im Übrigen häufig an der fehlenden Zustimmung beider Parteien. Die Möglichkeit einer Videokonferenz besteht zwar seit 2002, wird aber bisher kaum angenommen, weil gerade auch auf Seiten des Gerichts nicht unberechtigte Vorbehalte wegen des technischen Aufwands und der Störanfälligkeit bestehen.

Es bleibt daher vielfach nur die Entscheidung: Termin oder kein Termin. Was kann nun der Rechtsanwalt tun, wenn er mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden ist? Die Entscheidung über die Terminsaufhebung und -verlegung ist nach § 227 Abs. 4 S. 3 ZPO unanfechtbar. Nur in Extremfällen wird bei einer Terminsaufhebung die Verzögerungsrüge (§ 198 GVG) erhoben werden können. Wird der Termin nicht aufgehoben, erscheint eine Partei bzw. ihr Vertreter aus Sorge um eine Ansteckung aber nicht, ist noch nicht geklärt, ob das Fernbleiben unverschuldet ist, so dass kein Versäumnisurteil erlassen werden darf, sondern die Sitzung von Amts wegen nach § 337 ZPO zu vertagen ist. Meine Meinung: Krankheit ist ein Entschuldigungsgrund, die Gefahr einer Erkrankung – bei sich oder auch für andere – sollte es ebenfalls sein, wenn sie wahrscheinlich oder schwerwiegend ist. Bei dem, was wir über das Covid-19-Virus wissen, dürfte dies jedenfalls bei weiter steigenden Infektionsraten der Fall sein.