Montagsblog: Neues vom BGH

Um den Verjährungsbeginn bei Dauerhandlungen geht es in dieser Woche.

Verjährung des Anspruchs auf Unterlassung vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache
Urteil vom 19. Dezember 2018 – XII ZR 5/18

Eine in Literatur und Instanzrechtsprechung umstrittene Frage entscheidet der XII. Zivilsenat.

Der Rechtsvorgänger des Klägers vermietete der Beklagten im Jahr 2010 zwei Stockwerke eines Gebäudes zum Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei. Die Beklagte nutzte ein Stockwerk von Beginn an als Wohnung. Nachdem der Kläger das Anwesen erworben hatte, beanstandete er die vertragswidrige Nutzung. Sein Angebot, den Mietvertrag zu ändern, lehne die Beklagte ab. Auf eine im Jahr 2016 erhobene Klage verbot das LG der Beklagten, das betreffende Stockwerk zu Wohnzwecken zu nutzen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Nutzung zu Wohnzwecken ist vertragswidrig und begründet nach erfolgter Abmahnung einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 541 BGB. Dieser verjährt zwar in der Regelfrist von drei Jahren. Entgegen einer in Instanzrechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung beginnt die Verjährung aber nicht zu laufen, solange die vertragswidrige Nutzung andauert. In gleichem Sinne hat der V. Zivilsenat bereits für einen Unterlassungsanspruch unter Wohnungseigentümern entschieden. Hinreichende Anhaltspunkte, aus denen sich eine Verwirkung des Anspruchs ergeben könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Praxistipp: Will der Mieter Verwirkung aufgrund getätigter Investitionen geltend machen, muss er Gegenstand, Zeitpunkt und Höhe der Investitionen konkret darlegen und aufzeigen, aufgrund welcher Umstände er auf eine Duldung der vertragswidrigen Nutzung vertrauen durfte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um einen speziellen Fall der Berufshaftung geht es in dieser Woche.

Hinweispflicht des Steuerberaters bei eigenem wirtschaftlichem Interesse
Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 176/16

Mit grundlegenden Fragen zur Haftung eines Steuerberaters befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die beiden beklagten Steuerberater hatten dem Kläger empfohlen, zur Steueroptimierung geschlossene Fonds zu zeichnen, und sich hierfür an eine Vermittlergesellschaft zu wenden. An dieser Gesellschaft waren die Beklagten mittelbar zu je einem Viertel beteiligt. Der Kläger zeichnete mehrere Schiffsfonds. Später nahm er die Beklagten wegen unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten überwiegend antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb zum größeren Teil ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Beklagten an das OLG zurück. Mit dem OLG ist der BGH allerdings der Auffassung, dass die Beklagten die ihnen als Steuerberater obliegenden Beratungspflichten verletzt haben. Ein Steuerberater ist zwar grundsätzlich auch dann nicht zur Beratung über nicht-steuerliche Aspekte verpflichtet, wenn er seinen Mandanten zum Zwecke einer steueroptimierenden Kapitalanlage an Dritte verweist. Er muss den Mandanten aber gegebenenfalls darüber informieren, dass für ihn mit der empfohlenen Kapitalanlage wirtschaftliche Vorteile verbunden sind. Anders als das OLG sieht der BGH die Beweislast dafür, dass die Kapitalanlage bei Erteilung des gebotenen Hinweises nicht erfolgt wäre, jedoch beim Kläger. Anders als in klassischen Fällen der Kapitalanlage verneint der BGH eine Umkehr der Beweislast, weil es  ungeachtet der besonderen Fallkonstellation um die Haftung eines Steuerberaters geht. Einen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers lehnt der BGH ebenfalls ab, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte.

Praxistipp: Ist der Schaden durch mehrere, in unterschiedlichen Jahren getroffene Investitionsentscheidungen verursacht, so läuft dennoch eine einheitliche Verjährungsfrist, wenn alle Investitionen allein auf der ursprünglichen Beratung beruhen. Anders ist es, wenn der Steuerberater jedes Jahr aufs Neue den gleichen Rat erteilt hat.

PKH-Bekanntmachung 2019 ist veröffentlicht

Das BMJV hat die neue PKH-Bekanntmachung 2019 bekannt gemacht. Dort sind die Freibeträge nach § 115 Abs. 1 ZPO im einzelnen betragsmäßig aufgeführt. Die Bekanntmachung ist im BGBl. 2018 I, S. 2707 veröffentlicht und ansteuerbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl118s2707.pdf%27%5D__1547022245219

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die rechtliche Einordnung eines durchaus verbreiteten Vertragstyps geht es im ersten Blog des Jahres 2019.

Vertrag über Anbringung von Werbung auf einem Kraftfahrzeug
Urteil vom 7. November 2018 – XII ZR 109/17

Mit der Abgrenzung zwischen Werk- und Mietvertrag befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Klägerin überlässt sozialen Institutionen unentgeltlich Kraftfahrzeuge zur Nutzung. Die Fahrzeuge sind mit Werbeflächen versehen, die die Klägerin interessierten Dritten gegen Entgelt zur Verfügung stellt. Der Beklagte hatte sich vertraglich verpflichtet, für die Überlassung einer solchen Werbefläche für fünf Jahre insgesamt 1.760 Euro netto zu zahlen. Die auf Zahlung dieser Vergütung gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Abweichend von den Vorinstanzen sieht er den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht als Werkvertrag an, sondern als Mietvertrag. Die wesentliche Verpflichtung der Klägerin erschöpft sich darin, dem Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Nutzung der Werbefläche im laufenden Geschäftsbetrieb der sozialen Institution für sich zu werben. Ein besonderer Erfolg, der zur Einordnung als Werkvertrag führen könnte, ist demgegenüber nicht vorgesehen.

Praxistipp: Verlängerungsklauseln in solchen Verträgen sind aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung in der Vergangenheit schon häufiger als unwirksam angesehen worden, vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.3.2018 – XII ZR 18/17.

BGH: Das Fotografieren gemeinfreier Werke kann untersagt werden (Museumsfotos) – und wie es trotzdem funktionieren könnte

Der BGH ist der Ansicht, dass Museen gegen die Veröffentlichung von Fotos einen Unterlassungsanspruch haben, die entgegen ihrer Vertragsbedingungen in Ausstellungen fotografiert wurden. Dies gelte selbst dann, wenn die Werke selbst gemeinfrei seien. Die „Krücke“ die der BGH wählt, ist denkbar einfach:

Die Klägerin kann als Schadensersatz wegen der Vertragsverletzung des Beklagten gemäß § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB verlangen, dass der Beklagte es unterlässt, die Bildaufnahmen durch Hochladen im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Verhalten stellt ein äquivalent und adäquat kausales Schadensgeschehen dar, das einen hinreichenden inneren Zusammenhang mit der Vertragsverletzung aufweist.

Diesem Blogbeitrag das Schlagwort „Urheberrecht“ zuzuordnen, wäre also eigentlich verfehlt.

Während nun bei Wikipedia, wo die Bilder auftauchten, helle Aufregung und schlechte Stimmung herrscht, hat mein Kollege Christian Franz die einfache Lösung gefunden. Begibt man sich, wie der BGH, in rechtlicher Hinsicht weg von eigentumsähnlichen Rechten, die grundsätzlich dinglich gegenüber jedermann wirken, reisst man durch schuldrechtliche Lösungen Lücken auf, die zwar ein wenig Umgewöhnung erfordern, aber künftige Veröffentlichungen auf sichere Füße stellen dürften.

Praxistipp

Auf Seiten von Museen und sonstigen Ausstellern sollte unbedingt wirksam ein Fotografierverbot mit Besuchern vereinbart werden. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, sollte die Mitnahme von Geräten zur Anfertigung von Fotos untersagen, was selbstverständlich mit einigem Aufwand einhergeht.

Auf Seiten der Veröffentlichenden sollte Wert darauf gelegt werden, dass keine Vertragsverletzung entstehen kann, wofür Ansätze ja schon erdacht sind.

BGH Urt. v. 20.12.2018, Az. I ZR 104/17 – Museumsfotos

LG München I zu Zahlungsgebühren bei Paypalzahlungen

Nach § 270a BGB ist bei bargeldlosen Zahlungen zusammen mit der EU-Verordnung 2015/751 in vielen Fällen ein Zahlungsentgelt untersagt. Das betrifft insbesondere SEPA-Lastschriften, SEPA-Überweisungen und Kartenzahlungen im Vier-Partner-System im gegenüber Verbrauchern. Diese Regelung hat bei Onlineshops, Onlinereiebüros und auch Airlines vieles geändert: Egal wie man zahlt, der Preis ist identisch. Ausgenommen von der Regelung sind insbesondere Zahlungen im Drei-Parteien-Kartenzahlverfahren, das sind insbesondere Zahlungen mit American Express und Diners Club.

Wie sieht es nun aus, wenn ein Zahlungsdiensteanbieter wie zum Beispiel Paypal zwischengeschaltet ist? Als reiner technischer Dienstleister dürfte man meinen, dass es sich auch dann um eine SEPA-Lastschrift oder Kartenzahlung im Sinne dieser rechtlichen Vorgaben handelt, die somit unentgeltlich erfolgen muss. Zahlungsvorgängen bei bei Paypal kann aber auch eine American Express Karte (Drei-Partner-System) oder Guthaben auf dem Paypalkonto zugrunde liegen, was keine SEPA-Zahlung wäre. Die Wettbewerbszentrale hat nun vor dem Landgericht München I erfolgreich einen Unterlassungsanspruch im Hinblick auf Zusatzgebühren bei Paypalzahlungen durchgesetzt.

Praxistipp

Paypalzahlungen spätestens jetzt nur unentgeltlich angeboten werden.

LG München, Datum der Urteilsverkündung noch unbekannt, Az.: 17 HK O 7439/18

Neue Senate für den BGH in Karlsruhe und Leipzig

Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll nach übereinstimmenden Presseberichten am 08.11.2018 der Einrichtung zweier neuer Senate für den BGH zugestimmt haben. Ein Zivilsenat soll nach Karlsruhe kommen und ein Strafsenat nach Leipzig. Auch wenn diese Maßnahme in der Politik übereinstimmend begrüßt wird, ist Kritik insofern laut geworden, als mit der Gleichzeitigkeit der Bildung eines neuen Strafsenats in Leipzig die Rutschklausel umgangen werde. Die Rutschklausel sieht vor, dass für jeden neuen Zivilsenat in Karlsruhe ein dort schon bestehender Strafsenat nach Leipzig verlegt wird.

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Um Hinweispflichten beim Verkauf einer Sozialwohnung geht es in dieser Woche.

Sozialbindung einer Wohnung als anzeigepflichtiger Rechtsmangel
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 165/17

Mit den Pflichten des Verkäufers einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte von der Beklagten eine Eigentumswohnung gekauft. Der Kaufvertrag enthielt einen umfassenden Haftungsausschluss für Sachmängel. Im Rechtsstreit verlangte der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags, weil ihn die Beklagte nicht darüber aufgeklärt habe, dass es sich um öffentlich geförderten Wohnraum handle und Mieter einen Berechtigungsschein benötigten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Sozialbindung einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung einen Rechtsmangel darstellt, und stellt klar, dass die Schuldrechtsmodernisierung hieran nichts geändert hat. Ob der im Kaufvertrag vereinbarte Haftungsausschluss für Sachmängel auch den im Streitfall vorliegenden Rechtsmangel umfasst, lässt der BGH mangels einschlägiger tatrichterlicher Feststellungen offen. Nach § 444 BGB kann sich die Beklagte auf den Haftungsausschluss jedenfalls nicht berufen, wenn sie die Sozialbindung arglistig verschwiegen hat. Entgegen der Auffassung des OLG ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der Käufer den Kaufvertrag auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung geschlossen hätte.

Praxistipp: Die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche unter Berufung auf die Unwirksamkeit eines Gewährleistungsausschlusses gemäß § 444 BGB unterliegt weniger strengen Voraussetzungen als die Anfechtung des Vertrags gemäß § 123 BGB. Deshalb sollten auch im Falle einer Anfechtung zumindest hilfsweise die vertraglichen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden.

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Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung trotz der dafür geltenden hohen Anforderungen durchaus Erfolg haben kann, zeigt die aktuelle Entscheidung aus dieser Woche.

Eintragung einer Vorfrist bei Fristverlängerungsantrag
Beschluss vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17

Mit den Anforderungen an die Fristensicherung bei einem Fristverlängerungsantrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin legte fristgerecht Berufung ein. Auf ihren Antrag verlängerte des LG die Frist zur Begründung des Rechtsmittels. Bis zum Ablauf der verlängerten Frist ging eine Begründung nicht ein. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die mit der Führung des Fristenbuchs beauftragte, ausgesprochen zuverlässige und gewissenhafte Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten habe nach Eingang des Beschlusses über die Fristverlängerung weder die verlängerte Frist (damals noch rund vier Wochen) noch die vom Prozessbevollmächtigten verfügte Wiedervorlagefrist von zwei Wochen in das Fristenbuch eingetragen, weil sie aufgrund vorhandener Einträge im Fristenbuch davon ausgegangen sei, die Verfügung sei bereits erledigt. Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gewährt der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anwalt, der sich bei der Überwachung von Fristen der Hilfe von Mitarbeitern bedient, diese grundsätzlich durch allgemeine Organisationsanweisung anhalten muss, im Fristenbuch bei oder alsbald nach Stellung eines Antrags auf Fristverlängerung sowohl das (als solches gekennzeichnete) hypothetische Ende der beantragten verlängerten Frist als auch eine Vorfrist einzutragen. Die Vorfrist soll es dem Anwalt ermöglichen, den bevorstehenden Ablauf der Frist zu überprüfen und den innerhalb der Frist einzureichenden Schriftsatz zu fertigen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat seinen Kanzleibetrieb nicht in dieser Weise organisiert. Dies ist ihm aber nicht anzulasten, weil er andere Weisungen erteilt hat, bei deren ordnungsgemäßer Ausführung die Wahrung der Frist in gleichem Maße sichergestellt gewesen wäre. Diese Maßnahmen bestanden zum einen in der allgemeinen Weisung, vom Anwalt bestimmte Wiedervorlagefristen zu notieren und die betreffenden Akten innerhalb der Frist dem Anwalt vorzulegen, zum anderen in der Anordnung einer Wiedervorlagefrist von zwei Wochen. Bei ordnungsgemäßer Ausführung dieser beiden Weisungen hätte der Anwalt noch zwei Wochen Zeit gehabt, um die Berufungsbegründung anzufertigen und einzureichen.

Praxistipp: Der Antragsteller muss alle Maßnahmen, die der Anwalt zur Wahrung der Frist veranlasst hat, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vortragen und glaubhaft machen.

Der „New Deal for Consumers“. Genügt die Musterfeststellungsklage den Anforderungen?

Am 1. 11. 2018 tritt in Deutschland das Gesetz über die Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft (BGBl. vom 17. Juli 2018, S. 1151). Am 11. April 2018 legte die Europäische Kommission im Rahmen des „New Deal for Consumers“ einen Richtlinienvorschlag für eine Verbandsklage zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen vor (COM(2018) 184 final).

 

Falls die Richtlinie erlassen wird – hält die Musterfeststellungsklage ihren Vorgaben stand oder sind Revision und Erweiterung des deutschen Gesetzes notwendig?

 

  1. Feststellung und Leistung

 

Der Richtlinienentwurf sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbandsklagen zur Erwirkung eines Abhilfebeschlusseserhoben werden können; dieser soll Unternehmer unter anderem zu Entschädigungs-, Reparatur- oder Ersatzleistungen, Preisminderungen oder Kaufpreiserstattungen verpflichten.

 

Die Richtlinie gibt also ausdrücklich vor, dass Klagen auf Leistung des Unternehmers gerichtet werden können. Insoweit besteht für die Mitgliedstaaten keine andersgeartete Option: Sie müssen sicherstellen, dass verpflichtende Abhilfebeschlüsse möglich sind.

 

Nur ausnahmsweise („Abweichend von Absatz 1…“) und in hinreichend begründeten Fällen kann statt eines Abhilfebeschlusses ein reiner Feststellungsbeschluss ergehen. Hierzu verlangt Art. 6 Abs. 2, dass sich die Quantifizierung individueller Ansprüche aufgrund der Natur des individuellen Schadens komplex gestaltet. Im Falle eines Feststellungsbeschlusses müssen für die Rechtsschutzklagen einzelner Verbraucher beschleunigte und vereinfachte Verfahren zur Verfügung stehen (Art. 10 Abs. 3).

 

Es gibt es außerdem eine Gegenausnahme („…Absatz 2 gilt nicht…“) in Art. 6 Abs. 3, und zwar für den Fall identifizierbarer vergleichbar geschädigter Verbraucher (lit. a) und im Falle geringfügiger Verluste (lit. b). Hier genügt ein reiner Feststellungsbeschluss auch dann nicht, wenn es sich um komplexe Schäden handelt. In den beiden Fällen des Abs.3 ist zudem vorgesehen, dass eine Klage nicht am fehlenden Mandat der betroffenen Verbraucher scheitern darf (dazu sogleich 2.)

 

Da die deutsche Musterfeststellungsklage nicht auf Leistung gerichtet ist (§ 606 ZPOneu) und sich an sie auch keine geregelte Entschädigungsphase anschließt, entspricht sie den Vorgaben des Richtlinienvorschlags nicht. Ihr fehlt die als Grundsatz im Richtlinienentwurf vorgesehene, auf Verpflichtung eines Unternehmers gerichtete klageweise Abhilfe. Der europäische Entwurf geht hier deutlich über die deutsche Musterfeststellungsklage hinaus.

 

  1. Opt in vs. Opt out

 

Die Richtlinie sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 vor, dass die Mitgliedstaaten das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucher vor Erlass eines Feststellungs- oder Abhilfebeschlusses verlangen können. Das bedeutet zum einen, dass das Opt in-Modell nicht zwingend ist; die Mitgliedstaaten können auch auf das Erfordernis eines individuellen Mandats verzichten. Zum anderen bedeutet es, dass der Zeitpunkt des Opt in flexibel gehandhabt werden kann: Es muss nicht vor Verfahrenseinleitung bzw. innerhalb einer bestimmten Frist danach mandatiert werden. Ein Mandat bis zum Zeitpunkt vor Erlass des Beschlusses genügt.

 

Ein Opt in-Modell, wie es die deutsche Musterfeststellungsklage mit einer Kombination aus Quoren für Betroffene (§ 606 Abs. 2 Nr. 2 ZPOneu) und Anmelder (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPOneu) sowie Fristen zur Anmeldung (§ 608 Abs. 1 ZPOneu) und Rücknahme der Anmeldung (608 Abs. 3 ZPOneu) vorsieht, entspricht also grundsätzlich den Ansätzen des Richtlinienentwurfs.

 

Zu beachten ist freilich, dass der Richtlinienvorschlag in einigen Fällen ausdrücklich vorsieht, dass die Klage am fehlenden Mandat der individuell Betroffenen nicht scheitern darf. Hierbei handelt es sich um den bereits erwähnten Fall des vergleichbaren Schadens, verursacht durch eine gleiche Praktik und ein bestimmtes Ereignis (Zeitraum oder Kauf), Art. 6 Abs. 3 lit a. In diesem Fall ist das Mandat des einzelnen betroffenen Verbrauchers keine Bedingung für die Klageerhebung. Eine reine Feststellungsklage ist, wie erwähnt (oben 1.), ausgeschlossen. Die Abhilfe muss dem einzelnen Betroffenen zu Gute kommen.

 

Zudem handelt es sich um den ebenfalls erwähnten Fall des geringfügigen Verlusts, bei dem die Entschädigung im Übrigen einem öffentlichen Zweck zugute kommen muss, der den Kollektivinteressen der Verbraucher dient, Art. 6 Abs. 3 lit.b. Auch hier darf, wie erwähnt (oben 1.), die Klage nicht nur auf Feststellung gerichtet sein.

 

In beiden Fällen ist die Vorgabe eines zwingenden Mandats der betroffenen Verbraucher vor Klageerhebung (Art. 6 Abs. 3 lit. a) bzw. im gesamten Verfahren (Art. 6 Abs. 3 lit. b) nicht gestattet. Im Fall von lit. a darf das Mandat insofern zumindest keine Voraussetzung für die Klageerhebung sein. Ein spätes Opt in zu verlangen, wäre also möglich (ErwGr 20). Eine Klageerhebung muss jedenfalls auch ohne ein solches Opt inzulässig sein.

 

Letzterer Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. b – geringfügiger Verlust und Zuführung der Entschädigung an einen öffentlichen Zweck) dürfte cum grano salis die deutsche Gewinn-/Vorteilsabschöpfung nach § 10 UWG bzw. § 34a GWB entsprechen. Sie ist in der Tat eine sinnvolle Möglichkeit des Umgangs mit Streuschäden, zumindest wenn ihre Voraussetzungen nicht zu hoch angesetzt werden.

 

Erstere Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. a – vergleichbarer Schaden und identifizierbare Verbraucher) bietet die deutsche Musterfeststellungsklage nicht an. Auch in einem solchen Fall kann bei ihr nicht auf das notwendige Quorum der betroffenen Verbraucher verzichtet werden. Auch hier genügt die deutsche Musterfeststellungsklage also den Grundsätzen des Richtlinienentwurfs nicht.

 

  1. Verjährungshemmung und Breitenwirkung

 

Art. 11 des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass es zur Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung im Hinblick auf alle betroffenen Verbraucher kommt. Rechtskräftig festgestellte Verstöße gelten außerdem als unwiderlegbar nachgewiesen, sodass eine generelle Bindungswirkung für Folgeklagen vorgesehen ist (Art. 10). Die deutsche Musterfeststellungsklage beschränkt die Verjährungshemmung (§ 204 Nr. 1a BGBneu) und die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils (§ 613 Abs. 1 ZPOneu) auf die angemeldeten Verbraucher. Auch hier fehlt es also an Konformität zum Richtlinienentwurf.

 

  1. Klagebefugnis

 

Der Richtlinienentwurf lässt ein durch jedwede qualifizierte Einrichtung eingeleitetes Verfahren zu. In Deutschland wird die Klagebefugnis im Hinblick auf Mitgliederanzahl, Eintragungszeitraum, Zwecksetzung der Klage sowie Finanzierung des Verbandes deutlich eingeschränkt (§ 606 Abs. 1 Nr. 1-5 ZPOneu).  Ausweislich ErwGr 10 sollen die Mitgliedstaaten solche Kriterien im Rahmen der Voraussetzung „nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet“ tatsächlich festlegen können. Nach Art. 4 Abs. 4 können die Mitgliedstaaten zudem festlegen, dass qualifizierte Einrichtungen nur eine oder mehrere Maßnahmen erwirken können. Insoweit dürfte die Klagebefugnis der Musterfeststellungsklage damit konform sein.

 

  1. Ergebnis

 

Die deutsche Musterfeststellungsklage entspricht in ihrem Ausschluss von Leistungsverpflichtungen und ihrer Beschränkung auf ein reines Opt in-Modell sowie in der begrenzten verjährungshemmenden Wirkung und Wirkung des Entscheids nicht den Vorgaben des Richtlinienentwufs. Zumindest Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Beschränkung der klagebefugten Einrichtungen.

Caroline Meller-Hannich und Elisabeth Krausbeck