Montagsblog: Neues vom BGH

Verjährung bei Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 8. November 2016 – VI ZR 200/15

Mit einer grundlegenden Frage zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs zwischen Gesamtschuldnern befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Arzt hatte im Jahr 1993 einen Patienten im Gefolge eines Arbeitsunfalls wegen einer Wunde am Unterarm behandelt. Sowohl ihm als auch den mit der Erstbehandlung betrauten Ärzten waren dabei Fehler unterlaufen, die später die Amputation des Unterarms erforderlich machten. Der Geschädigte nahm die erstbehandelnden Ärzte erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch. Deren Haftpflichtversicherung erbrachte unter anderem Ersatzzahlungen an die zuständige Berufsgenossenschaft. Deswegen nahm sie den Beklagten im Jahr 2012 aus übergegangenem Recht auf Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch. LG und OLG verurteilten den Beklagten antragsgemäß, soweit es um Leistungen an die Berufsgenossenschaft aus der Zeit ab 1.1.2009 ging. Dagegen wendete sich der Beklagte mit Nichtzulassungsbeschwerde und Revision.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, nach der Gesamtschuldnern im Innenverhältnis ein eigenständiger Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht, der bereits mit der Bgründung der Gesamtschuld im Außenverhältnis entsteht und der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB unterliegt. Entgegen der Auffassung des OLG erfasst die Verjährung alle aus dem Haftungsfall resultierenden Schadensfolgen, mit denen bereits beim Auftreten des ersten Schadens gerechnet werden muss. Deshalb ist nicht ausschlaggebend, wann die einzelnen Schadensfolgen eingetreten sind oder wann daraus resultierende Zahlungen an die Berufsgenossenschaft erbracht wurden. Vielmehr beginnt die Verjährung hinsichtlich des gesamten Ausgleichsanspruchs, sobald der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner die den Ausgleichsanspruch begründenden Umstände und die Person des anderen Gesamtschuldners kennt und seinen Ausgleichsanspruch mit Aussicht auf Erfolg im Wege der Feststellungsklage geltend machen kann.

Praxistipp: Wenn die Haftung im Außenverhältnis Gegenstand eines Rechtsstreits ist, muss der in Anspruch genommene Schuldner unter Umständen noch während des Prozesses verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber potentiellen Mitschuldnern ergreifen, um bestehende Regressmöglichkeiten nicht zu verlieren.

Fälligkeit der Miete für Wohnraum
Urteil vom 5. Oktober 2016 – VIII ZR 222/15

Mit Fragen, die für fast jeden Wohnraummietvertrag von Bedeutung sind, befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hat an die Beklagten eine Wohnung vermietet. Nach dem Mietvertrag ist die Miete spätestens am dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen; für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es auf den Eingang des Geldes an. Die Beklagten zahlten über mehrere Monate hinweg die Miete jeweils am dritten Werktag bei der Deutschen Post AG ein und erteilten gleichzeitig einen Überweisungsauftrag. Die Klägerin machte geltend, das Geld sei ihrem Konto nicht rechtzeitig gutgeschrieben worden, und erklärte deshalb die fristlose Kündigung des Mietvertrags. Ihre Räumungsklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Berufung der Klägerin zurück. Er sieht die Formularklausel über die Fälligkeit der Miete als unwirksam an, weil sie dem gesetzlichen Leitbild widerspricht. Nach § 556b Abs. 1 BGB ist die Miete bei monatlicher Zahlung zwar jeweils bis zum dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen. Bei Zahlung durch Überweisung ist aber nicht der Eingang auf dem Konto des Vermieters, sondern die Erteilung des Überweisungsauftrags maßgeblich. Die hiervon abweichende Klausel sieht der BGH jedenfalls deshalb als unwirksam an, weil sie bei der kundenfeindlichsten Auslegung dahin verstanden werden kann, dass der Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung trägt. Die Frage, ob dem Mieter formularmäßig auferlegt werden darf, die Überweisung so rechtzeitig zu veranlassen, dass bei normalem Verlauf mit einem rechtzeitigen Eingang beim Vermieter gerechnet werden darf, wird in der Entscheidung nicht ausdrücklich beantwortet, dürfte angesichts der vom BGH gewählten Begründung aber eher zu bejahen sein.

Praxistipp: In gewerblichen Mietverträgen darf dem Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung auch in Formularverträgen auferlegt werden.

Anfechtung einer Ergänzungsentscheidung über die Kosten
Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZR 59/14

Mit einer nicht alltäglichen, aber dennoch interessanten prozessualen Frage befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Antragsteller hatte beantragt, einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid auf ihn als neuen Gläubiger umzuschreiben. Das LG wies den Antrag zurück, die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Später beantragte der Schuldner, den Beschluss des LG um eine Kostenentscheidung zu ergänzen. Das LG berichtigte daraufhin den Ausgangsbeschluss gemäß § 319 ZPO dahin, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Das OLG wies die dagegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers mit der Maßgabe zurück, dass die Beschlussergänzung auf § 321 ZPO beruhe, und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach ein allein gegen eine Kostenentscheidung gerichtetes Rechtsmittel gemäß § 99 Abs. 1 ZPO auch dann unzulässig ist, wenn die Kostenentscheidung im Wege der Urteils- oder Beschlussergänzung gemäß § 321 ZPO ergangen ist. Die Ergänzungsentscheidung kann deshalb nur dann angefochten werden, wenn auch die Ausgangsentscheidung angefochten wurde und das diesbezügliche Verfahren noch anhängig ist. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde nicht statthaft. Die vom OLG ausgesprochene Zulassung vermag hieran nichts zu ändern. Ihre Bindungswirkung beschränkt sich auf die Frage, ob ein Zulassungsgrund (grundsätzliche Bedeutung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) vorliegt.

Praxistipp: Um die Anfechtungsmöglichkeit zu wahren, müsste der Antragsteller noch während des Beschwerdeverfahrens gegen die Ausgangsentscheidung seinerseits eine Beschlussergänzung beantragen. Ob dies taktisch sinnvoll ist, hängt davon ab, wie wahrscheinlich ein späterer Ergänzungsantrag der Gegenseite erscheint.

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Überprüfung des Telefaxgeräts
Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZB 35/14

Mit den Folgen einer missglückten Telefaxübermittlung befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wollte eine Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist gegen 23:30 Uhr per Telefax an das Gericht übermitteln. Das für den Versand vorgesehene Faxgerät war eine Woche zuvor installiert worden und hatte beim letzten Sendevorgang – vier Tage vor dem gescheiterten Sendeversuch – einwandfrei funktioniert. Das Berufungsgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin zurück, weil der Prozessbevollmächtigte die Funktionsfähigkeit des Geräts am Tag des beabsichtigten Versands nicht rechtzeitig überprüft habe.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, nach der ein Rechtsanwalt, der einen fristgebundenen Schriftsatz am letzten Tag der Frist per Telefax übermitteln will, erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Die Sorgfaltspflicht geht aber nicht so weit, das zum Versand vorgesehene Faxgerät täglich einer Funktionsprüfung zu unterwerfen.

Praxistipp: Das nach der Rechtsprechung erforderliche erhöhte Maß an Sorgfalt umfasst unter anderem die Pflicht, einen ausreichenden Zeitpuffer für den Fall einzuplanen, dass der Telefaxanschluss des Gerichts durch andere Sendungen vorübergehend belegt ist.

Eigenes Gebot des Anbieters bei eBay-Versteigerung
Urteil vom 24. August 2016 – VIII ZR 100/15

Mit grundlegenden Voraussetzungen des Vertragsschlusses bei einer Versteigerung auf eBay befasst sich VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte bot auf eBay einen gebrauchten VW Golf für einen Startpreis von 1 Euro zum Verkauf an. Zugleich beteiligte er sich unter einer anderen Benutzerkennung an der Versteigerung. Die einzigen Gebote von dritter Seite gab der Kläger ab, und zwar ausgehend von einem Startpreis von 1,50 Euro bis zu einem letzten Gebot in Höhe von 17.000 Euro. Er wurde jeweils vom Beklagten überboten, dem letztendlich auch der Zuschlag erteilt wurde. In einer kurz darauf ebenfalls vom Beklagten initiierten zweiten Auktion bot ein Dritter einen Kaufpreis von 16.500 Euro. Diesen Betrag verlangte der Kläger vom Beklagten als Schadensersatz. Sein Begehren hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies die Klage ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach die Eröffnung einer Auktion auf eBay ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags darstellt und der Vertrag mit demjenigen Bieter zustande kommt, der innerhalb der Auktionsfrist das höchste wirksame Gebot abgibt. Mit dem OLG ist der BGH der Auffassung, dass die vom Beklagten unter einer anderen Benutzerkennung abgegebenen Gebote unwirksam waren, weil eine Willenserklärung gegenüber einer anderen Person abgegeben werden muss. Deshalb ist ein Kaufvertrag mit dem Kläger zustande gekommen, der als einziger wirksame Gebote abgegeben hat. Abweichend vom OLG hält der BGH nicht das letzte Gebot des Klägers (über einen Kaufpreis von 17.000 Euro) für maßgeblich, sondern das erste (über einen Kaufpreis von 1,50 Euro). Ein Kaufvertrag mit diesem Inhalt ist unter den gegebenen Umständen nicht als sittenwidrig anzusehen und die Geltendmachung von Rechten daraus nicht als treuwidrig. Im Hinblick auf das Ergebnis der zweiten Auktion billigt der BGH auch die vom LG angestellte Schätzung, wonach der Wert des Fahrzeugs mindestens 16.501,50 Euro betragen hat.

Praxistipp: Damit ein Bieter von der ihm günstigen Rechtsprechung profitieren kann, muss er beweisen, dass hinter dem anderen Bieter in Wahrheit der Verkäufer steckt. Unter welchen Voraussetzungen eBay diesbezügliche Auskünfte erteilen muss, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

LG Hamburg zur Urheberrechtsverletzung durch Verlinkung

Die Verlinkung von Websites als Grundprinzip des Internets ermöglicht ein Stück weit die grundrechtliche geschützte Informationsfreiheit. Haften verlinkende für die Inhalte verlinkter Seiten, kann dies die Linkbereitschaft stark einschränken. Genau diesen Weg hat der EuGH mit seiner Entscheidung C‑160/15 vom 08.09.2016 eingeschlagen. Er hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wann eine Verlinkung eine öffentliche Wiedergabe darstellt, die in Fällen betroffener Urheberrechte zunächst vom Urheber gestattet werden müsste.

„Zum Zweck der individuellen Beurteilung des Vorliegens einer „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 muss daher, wenn das Setzen eines Hyperlinks zu einem auf einer anderen Website frei zugänglichen Werk von jemandem vorgenommen wird, der dabei keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, berücksichtigt werden, dass der Betreffende nicht weiß und vernünftigerweise nicht wissen kann, dass dieses Werk im Internet ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers veröffentlicht wurde.

Wenn auch in einem solchen Fall der Betreffende das Werk der Öffentlichkeit dadurch verfügbar macht, dass er anderen Internetnutzern direkten Zugang zu ihm bietet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Svensson u. a., C‑466/12, EU:C:2014:76, Rn. 18 bis 23), handelt er doch im Allgemeinen nicht in voller Kenntnis der Folgen seines Tuns, um Kunden Zugang zu einem rechtswidrig im Internet veröffentlichten Werk zu verschaffen. […]

Ist dagegen erwiesen, dass der Betreffende wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm gesetzte Hyperlink Zugang zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk verschafft – weil er beispielsweise von dem Urheberrechtsinhaber darauf hingewiesen wurde –, so ist die Bereitstellung dieses Links als eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zu betrachten.

[…]
Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde. Unter solchen Umständen stellt daher, sofern diese widerlegliche Vermutung nicht entkräftet wird, die Handlung, die im Setzen eines Hyperlinks zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk besteht, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.“

Eine Verlinkung mit Gewinnerzielungsabsicht bedeutet damit für den Verlinkenden eine Pflicht, sich über die Inhalte der verlinkten Seite zu vergewissern. Eine in der Praxis unmögliche Aufgabe.

Genau diese Anforderungen hat das LG Hamburg in einem aktuellen Beschluss umgesetzt und eine Verlinkung untersagt (LG Hamburg Beschluss vom  18.11.2016 Az.: 310 O 402/16).

Die nach dieser Entscheidung losgebrochene mediale Welle der Entrüstung (z.B. WDR) ist ein wenig verwunderlich. Die Weichen stellte der EuGH bereits mehr als zwei Monate vorher, da die nationalen Regelungen des Urheberrechts auf Unionsvorgaben basieren und daher eine Auslegung auf Basis des Unionsrechts und der Rechtsprechung des EuGH zu erfolgen hat.

 

Joerg Heidrich, Justiziar des Betreibers von Heise.de, versucht sich im kleinen Maßstab an einer Umsetzung dieser Vorgaben, war aber offenbar bisher erfolglos. Das Landgericht Hamburg konnte ihm auf seine Anfrage hin noch nicht bestätigen, dass sämtliche Inhalte auf der gerichtseigenen Website urheberrechtskonform sind (Link zu heise.de)

 

Ausblick

Die jetzige Rechtslage ist höchstgradig unbefriedigend. Urheberrechtsverletzende Inhalte sind im Internet in großer Fülle – auch einfach – aufzufinden und werden schnell verlinkt. Auch die Schwelle zur Gewinnerzielungsabsicht hat das LG Hamburg sehr gering angesetzt. Websitebetreiber werden mit einem Abmahnungsrisiko leben müssen, sofern sie nicht ihr Angebot stark einschränken wollen. Es ist davon auszugehen, dass in Kürze weitere Entscheidungen zu diesem Thema folgen werden. Eine mögliche Stellschraube, um die Auswirkungen dieses faktischen Linkverbotes zu begrenzen, wäre es, z.B. nur solche Verlinkungen einer verschärften Haftung zu unterwerfen, aus denen sich unmittelbar ein wirtschaftlicher Vorteil (z.B. Vergütung pro Klick) ergibt. Insbesondere Verlinkungen zu journalistischen Zwecken wären in diesem Fall weitgehend urheberrechtlich unbedenklich.

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Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO nach zweitinstanzlicher Klageerweiterung
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15

Eine seit längerer Zeit umstrittene Frage beantwortet der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. In zweiter Instanz erweiterte der Kläger sein Begehren um einen weiteren Schadensersatzbetrag. Das Berufungsgericht wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe zurück, dass auch die in zweiter Instanz erweiterte Klage abgewiesen werde.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er stellt klar, dass das Berufungsgericht durch die in zweiter Instanz erfolgte Klageerweiterung nicht gehindert war, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Eine solche Entscheidung darf aber nur hinsichtlich des erstinstanzlichen Streitgegenstands ergehen. Die zweitinstanzliche Klageerweiterung des Berufungsklägers wird mit dem Zurückweisungsbeschluss entsprechend der (für eine Anschlussberufung geltenden) Regelung in § 524 Abs. 4 ZPO unwirksam. Soweit das Berufungsgericht über den erstmals in zweiter Instanz geltend gemachten Teil des Anspruchs entschieden hat, unterliegt sein Beschluss folglich schon deshalb der Aufhebung.

Praxistipp: Mit der Entscheidung steht fest, dass die (auch im Streitfall vom Kläger verfolgte) Taktik, einen drohenden Zurückweisungsbeschluss durch Klageerweiterung abzuwenden, nicht erfolgversprechend ist.

Formunwirksamer Heil- und Kostenplan
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15

Mit der Vergütungspflicht für medizinisch nicht notwendige Arztleistungen befasst sich ebenfalls der III. Zivilsenat.

Die klagende Zahnärztin hatte für die Beklagte einen Heil- und Kostenplan für Keramikverblendungen erstellt, der einen Eigenanteil von knapp 7.000 Euro auswies. Die Beklagte gab den Plan mit einem von ihrer Krankenversicherung erteilten Genehmigungsvermerk an die Klägerin zurück und ließ die Behandlung durchführen. Den ihr nach Abschluss in Rechnung gestellten Eigenanteil von knapp 4.000 Euro bezahlte sie trotz Mahnung nicht. Im Zahlungsprozess machte sie unter anderem geltend, der Heil- und Kostenplan sei unwirksam, weil er von keiner der Parteien unterschrieben sei. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß; das LG wies die Klage wegen des Formmangels ab.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Er sieht die Bestimmung in § 2 Abs. 3 Satz 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte, wonach medizinisch nicht notwendige Leistungen nur dann berechnet werden dürfen, wenn sie in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden, als gesetzliches Formerfordernis im Sinne von § 126 BGB an. Aus dem Zweck der Vorschrift leitet er ferner ab, dass bei Nichteinhaltung der Form nicht nur ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes ausgeschlossen ist, sondern auch ein Anspruch auf Wertersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag. Dennoch sieht er das Klagebegehren als begründet an, weil die erstmals im Prozess erfolgte Berufung auf den Formmangel eine besonders schwere Treueverletzung darstellt.

Praxistipp: Um Auseinandersetzungen über die Anwendbarkeit von § 242 BGB zu vermeiden, liegt es wohl im Interesse beider Seiten, vor Beginn der Verhandlung besonders sorgfältig auf die Einhaltung der Schriftform zu achten.

Vermutung beratungsgerechten Verhaltens
Urteil vom 15. Juli 2016 – V ZR 168/15

Der V. Zivilsenat gleicht seine Rechtsprechung zur Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers in Kapitalanlagesachen an neuere Entscheidungen der anderen mit dieser Materie befassten Senate an.

Der Kläger hatte von der Beklagten eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Den Kaufpreis finanzierte er in voller Höhe durch einen Bausparvertrag. Später verlangte er Rückabwicklung des Vertrags mit der Begründung, das mit dem Vertrieb betraute Vermittlungsunternehmen habe ihn unzutreffend über die zu erwartende monatliche Belastung informiert. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit diesem ist er der Auffassung, dass nicht völlig zweifelsfrei ist, ob der Kläger bei zutreffender Beratung vom Kauf Abstand genommen hätte. Eine zutreffende Beratung hätte dahin gehen müssen, dass dem Kläger nicht der in Aussicht gestellte monatliche Überschuss von 50 Euro, sondern eine monatliche Belastung von rund 225 Euro verbleibt. Diesen Betrag hätte der Kläger aufbringen können und der Erwerb konnte sich auch unter diesen Umständen als wirtschaftlich sinnvoll darstellen. Dennoch kommt der V. Zivilsenat abweichend vom OLG (und abweichend von seiner früheren Rechtsprechung) zu dem Ergebnis, dass die Ursächlichkeit des Beratungsfehlers für den Kaufentschluss nicht verneint werden kann. In Angleichung an die neuere Rechtsprechung der anderen mit Kapitalanlagefällen befassten Senate bejaht er eine Kausalitätsvermutung nunmehr auch für solche Fälle, in denen der Kunde bei ordnungsgemäßer Beratung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil es mehrere sinnvolle Entscheidungsmöglichkeiten gegeben hätte.

Praxistipp: Für andere Konstellationen, insbesondere für die Haftung von Rechtsanwälten und Steuerberatern, hält der BGH bislang weiterhin an seiner früheren Rechtsprechung fest.

 

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Einwurf-Einschreiben als „eingeschriebener Brief“
Urteil vom 27. September 2016 – II ZR 299/15

Mit den Voraussetzungen einer gesetzlichen Formvorschrift befasst sich der II. Zivilsenat im Zusammenhang mit der Kaduzierung eines GmbH-Anteils.

Die Parteien stritten darum, ob der Gesellschaftsanteil der Beklagten an der klagenden GmbH wirksam kaduziert worden war. Die auf Feststellung der Unwirksamkeit gerichtete Widerklage hatte in erster Instanz Erfolg. Das Berufungsgericht hielt die Kaduzierung hingegen für formell und materiell wirksam und wies die Widerklage deshalb ab. In der Revisionsinstanz stritten die Parteien nur noch darum, ob eine Zahlungsaufforderung, die die Klägerin durch Einwurf-Einschreiben versandt hatte, der Vorgabe aus § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG genügt, wonach die Aufforderung „mittels eingeschriebenen Briefes“ zu erfolgen hat.

Der BGH weist die Revision zurück. Er beantwortet die (im Berufungsverfahren nicht thematisierte) Streitfrage dahin, dass ein Einwurf-Einschreiben den Anforderungen aus § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG genügt. Bei Inkrafttreten der Regelung im Jahr 1896 gab es zwar noch kein Einwurf-Einschreiben. Entscheidend ist aber der Sinn und Zweck der Regelung. Dieser besteht darin, den Zugang der Aufforderung zu gewährleisten und die Beweisführung zu erleichtern. Beide Ziele können durch ein Einwurf-Einschreiben im Wesentlichen in gleicher Weise erreicht werden wie durch ein Übergabe-Einschreiben. Die Wahrscheinlichkeit eines Zugangs ist beim Einwurf-Einschreiben sogar höher, weil nicht erforderlich ist, dass der Empfänger oder ein Familienangehöriger im Zeitpunkt der Zustellung anwesend sind oder das Schreiben später bei der Post abholen. Die abweichende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 4 Abs. 1 VwZG a.F. steht nicht entgegen, weil das Verwaltungszustellungsgesetz zwingend eine persönliche Übergabe voraussetzt, also eine andere Zielsetzung verfolgt.

Praxistipp: Auch in Fällen, in denen das Gesetz keine besondere Form vorsieht, ist ein Einwurf-Einschreiben häufig ein einfaches und zuverlässiges Mittel, um den Zugang einer Erklärung beweissicher zu dokumentieren.

Eintritt in ein Ankaufsrecht bei Erwerb eines Mietgrundstücks
Urteil vom 12. Oktober 2016 – XII ZR 9/15

Mit der Reichweite des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die beklagte Stadt hatte von der ursprünglichen Eigentümerin Räume zur Nutzung als Stadtarchiv angemietet. Im Mietvertrag ließ sie sich ein Ankaufsrecht für eine noch zu vermessende Teilfläche des betroffenen Grundstücks einräumen. Die Vermieterin verpflichtete sich, das Ankaufsrecht bei Veräußerung an den jeweiligen Rechtsnachfolger weiterzugeben. Später wurde das Grundstück zweimal veräußert. Der erste Erwerber übernahm die Verpflichtungen aus dem Ankaufsrecht, der zweite nicht. Die Klage der zweiten Erwerberin auf Feststellung, dass die Beklagte ihr gegenüber aus dem Ankaufsrecht nicht berechtigt ist, blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG sprach die begehrte Feststellung aus. Dagegen wendete sich die Beklagte mit der Revision.

Der BGH weist das Rechtsmittel zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass die aus dem Ankaufsrecht resultierenden Verpflichtungen nicht gemäß § 566 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergegangen sind. Nach der etablierten Rechtsprechung des BGH erfasst § 566 Abs. 1 BGB nur solche Rechte und Pflichten, die als mietrechtlich zu qualifizieren sind oder die in untrennbarem Zusammenhang mit dem Mietvertrag stehen. Ein Ankaufsrecht ist keine mietrechtliche, sondern eine kaufrechtliche Regelung. Es steht auch nicht in untrennbarem Zusammenhang mit dem Mietvertrag. Ankauf und Miete schließen sich vielmehr gegenseitig aus.

Praxistipp: Um Regressansprüche des Mieters zu vermeiden, sollte der Vermieter bei der Veräußerung des Mietgrundstücks darauf achten, dass eine Übernahme der Verpflichtung durch den Erwerber zweifelsfrei vereinbart wird.

OLG Düsseldorf: Bei PKW Kauf nach Online-Inserat, ist Inserat für vereinbarte Beschaffenheit relevant

Heutzutage ist der Kauf eines (gebrauchten) PKW nicht mehr nur beim Händler vor Ort die Regel. Vielmehr machen sich Kaufinteressenten auf der Suche nach dem richtigen Angebot immer öfter PKW-Verkaufsbörsen zu Nutze. Was passiert jedoch, wenn der tatsächliche Zustand des Fahrzeuges von dem beschrieben Zustand, z.B. in Bezug auf Ausstattungsmerkmale abweicht, dies aber bei der Besichtigung vor dem Kaufvertragsschluss nicht bemerkt wird?

Das OLG Düsseldorf geht davon aus, dass die Beschreibung in der Online-Anzeige eine Beschaffenheitsvereinbarung darstellt und lediglich im Fall von erkennbaren Abweichungen vor Abschluss des Kaufvertrages Ausnahmen möglich seien.

Auch die Klausel „gebraucht, wie ausgiebig besichtigt, unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung..“ half dem Verkäufer, einem Unternehmer, gegenüber dem Verbraucher als Käufer auch nicht weiter, § 475 Abs. 1 S. 1 BGB.

Praxistipp:

Für Verkäufer heißt es daher, das Fahrzeug möglichst genau zu beschreiben. Auf Käuferseite ist unbedingt dazu zu raten, die Beschreibung des PKW aus der Verkaufsbörse aufzubewahren und zusammen mit dem PKW-Kaufvertrag abzulegen.

(OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.08.2016 Az.: I-3 U 20/15)

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Zuordnung einer Telefax-Nummer zu einem Gericht
Beschluss vom 5. Oktober 2016 – VII ZB 45/14

Mit der Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Prozessbevollmächtigte der in erster Instanz unterlegenen Beklagten hatte die Berufung gegen das Urteil des AG zur Fristwahrung per Telefax übermitteln lassen. Das Original (mit dem Zusatz „vorab per Telefax an 2017-1009“) ging erst nach Fristablauf beim LGein. Auf einen Hinweis des LG, dass ein Faxeingang nicht festgestellt werden könne, machte der Prozessbevollmächtigte glaubhaft, dass seine Sekretärin den Schriftsatz am Tag des Fristablaufs an die angegebene Telefaxnummer übermittelt hatte. Auf einen ergänzenden Hinweis des LG, diese Nummer sei dem AG zugeordnet, zeigte er auf, dass die Nummer sowohl im Dienstleistungsportal des Landes als auch im gemeinsamen Justizportal des Bundes und der Länder als Faxnummer des LG ausgewiesen ist. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er hält bereits die Feststellungen des LG zur Zuordnung der Faxnummer für unzureichend. Anlass zu eingehenderen Ermittlungen bestand aus Sicht des BGH schon deshalb, weil AG und LG eine gemeinsame Briefannahmestelle unterhalten und es deshalb naheliegt, dass eine Geschäftsordnungsregel getroffen wurde, wonach die bei einem dort vorhandenen Faxanschluss eingehenden Schreiben – ebenso wie ein im Original eingegangener Schriftsatz – als bei demjenigen Gericht eingegangen gelten, an das die Sendung adressiert ist. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass im Hinblick auf die Zuordnung der Faxnummer in den beiden Internetportalen jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Dass der diesbezügliche Vortrag erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erfolgte, ist unschädlich, weil für den Prozessbevollmächtigten erst aus dem ergänzenden Hinweis des LG ersichtlich war, dass die Faxnummer einem anderen Gericht zugeordnet sein könnte.

Praxistipp: Wenn ein Gericht mitteilt, eine bestimmte Faxsendung nicht erhalten zu haben, sollte vorsichtshalber auch vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, woraus sich die Zuordnung der verwendeten Telefaxnummer zu dem betreffenden Gericht ergibt.

Schadensersatzpflicht eines Zuschauers für Verbandsstrafe
Urteil vom 22. September 2016 – VII ZR 14/16

Ebenfalls der VII. Zivilsenat war zur Entscheidung eines Falls berufen, der für einige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt hat.

Der Beklagte hatte als Zuschauer bei einem Fußballspiel der 2. Bundesliga einen dem Sprengstoffgesetz unterfallenden Knallkörper gezündet. Dabei wurden sieben andere Zuschauer verletzt. Der Deutsche Fußballbund setzte gegen den Heimverein eine Geldstrafe fest. Die auf Ersatz des gezahlten Betrags gerichtete Klage war in erster Instanz erfolgreich. Das OLG wies die Klage hingegen ab, weil es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehle.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Durch den Stadionbesuch ist ein Zuschauervertrag zustande gekommen, der den Beklagten verpflichtete, das Interesse des Klägers an einem ungestörten Spielablauf nicht zu beeinträchtigen. Der Beklagte hat diese Pflicht verletzt und damit die durch Festsetzung der Verbandsstrafe eingetretene Vermögensbeeinträchtigung auf Seiten des Klägers verursacht. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es nicht an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Zwischen der verletzten Pflicht und der daraus resultierenden Folge besteht ein hinreichender innerer Zusammenhang. Das Mittel der Verbandsstrafe als Sanktion für schuldhafte Störungen durch Zuschauer dient ebenfalls dem Zweck, einen störungsfreien Ablauf zu gewährleisten. Ob die der Festsetzung der Strafe zugrunde liegenden Regeln des DFB wirksam sind, ist irrelevant, weil die Entscheidung des Klägers, die Strafe zu zahlen, jedenfalls keine ungewöhnliche oder unsachgemäße Reaktion darstellt. Der Beklagte kann sich auch nicht auf ein Mitverschulden wegen unzureichender Einlasskontrollen berufen. Diese Kontrollen dienen nicht der Erfüllung einer Obliegenheit des Veranstalters gegenüber Zuschauern, die verbotene Gegenstände mit sich führen.

Praxistipp: Um Diskussionen über die Wirksamkeit der vom DFB erlassenen Verfahrensregeln (dazu BGH, Urteil vom 20. September 2016 – II ZR 25/15) zu vermeiden, ist es zweckmäßig, den Regressanspruch erst nach Zahlung der Geldstrafe geltend zu machen.

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Beginn der Verjährung bei Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung
Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 222/14

Mit einem allgemeinen Problem des Verjährungsrechts befasst sich der I. Zivilsenat in einer urheberrechtlichen Streitigkeit.

Die Klägerin nahm die Beklagte auf Zahlung einer zusätzlichen urheberrechtlichen Vergütung für die Überlassung von Entwürfen für Spiel- und Dekorationsgegenstände (unter anderem eine „Geburtstagskarawane“) in Anspruch. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos. Das OLG hielt die Klageansprüche unter anderem für verjährt, weil die Klägerin mehr als drei Jahre vor Klageerhebung Kenntnis von den Tatsachen gehabt habe, auf die Ansprüche gestützt seien.

Der BGH verweist die Sache, die schon zum zweiten Mal in die Revisionsinstanz gelangt war, erneut an das OLG zurück. Er hält zwar die tatrichterlichen Feststellungen zum Kenntnisstand der Klägerin für frei von Rechtsfehlern. Er sieht die Klageansprüche aber deshalb als nicht verjährt an, weil die schöpferische Leistung, für die die Klägerin zusätzliche Vergütung begehrt, nach seiner früheren Rechtsprechung einem urheberrechtlichen Schutz generell nicht zugänglich war und diese Rechtsprechung erst mit einem im Jahr 2014 veröffentlichten (im gleichen Rechtsstreit ergangenen) Urteil aufgegeben wurde. Grundsätzlich reichen zwar Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der maßgeblichen Tatsachen aus. Dies gilt aber nicht, wenn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Aussicht besteht, das Klagebegehren mit Aussicht auf Erfolg auf diese Tatsachen stützen zu können. Eine solche Situation war im Streitfall bis zum Jahr 2014 gegeben. Dass der BGH schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 offengelassen hatte, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten sei, reichte für einen Verjährungsbeginn noch nicht aus.

Praxistipp: Wenn es zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, sind Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung – anders als im Streitfall – in aller Regel unerlässlich.

Beweislast für Vereinbarung einer Baukostenobergrenze
Urteil vom 6. Oktober 2016 – VII ZR 185/13

Mit einer besonderen Ausgestaltung eines Architektenvertrags befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte für die Beklagte Architektenleistungen erbracht. In einem vor Vertragsschluss unterbreiteten „Honorar-Vorschlag“ hatte sie die für die Berechnung maßgeblichen Baukosten mit rund 600.000 Euro angesetzt. In ihrer Schlussrechnung legte sie einen fast doppelt so hohen Betrag zugrunde. Ihre Klage auf Zahlung der sich daraus ergebenden Honorardifferenz blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Ein Architekt, der eine vereinbarte Kostengrenze nicht einhält, ist zwar nicht befugt, sein Honorar auf der Grundlage der höheren Kosten zu berechnen. Die Beweislast für die Vereinbarung einer Kostenobergrenze liegt aber beim Auftraggeber. Anders als vom Berufungsgericht angenommen ist der vom BGH zu § 632 Abs. 2 BGB entwickelte Grundsatz, wonach der Unternehmer, der die taxmäßige oder übliche Vergütung fordert, eine vom Auftraggeber behauptete Preisvereinbarung widerlegen muss, hier nicht einschlägig. Die Vereinbarung der Baukostenobergrenze hat zwar Auswirkungen auf die Höhe des Honorars. Dennoch ist sie keine Vergütungsabrede, sondern eine Vereinbarung über die Beschaffenheit des zu erbringenden Architektenwerks.

Praxistipp: Der Auftraggeber sollte darauf achten, dass eine Baukostengrenze im Vertrag ausdrücklich als solche bezeichnet wird.

BGH: Sporadische, aber sicherheitsrelevante Mängel können zum Rücktritt berechtigen

Ein Autokäufer hatte Probleme mit seinem Kupplungspedal, wobei der Mangel nur sporadisch auftragt und der Verkäufer daher eine Nacherfüllung nicht vornehmen wollte. Der Käufer trat daraufhin vom Kaufvertrag zurück. Zu recht, so der BGH.

Weitere Nacherfüllungsverlangen seien dem Käufer gem. § 440 Abs. 1 BGB unzumutbar. Trotz geringer Mangelbeseitigungskosten (rund 440 EUR), sei der Mangel aufgrund der massiven Sicherheitsgefahren durch den Defekt auch nicht unerheblich i.S.d. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB.

Praxistipp: Diese sehr gut nachvollziehbare Entscheidung stärkt Käuferrechte, wobei in der Praxis viele Käufer davor zurückschrecken werden, bei einem nur sporadisch auftretenden und damit wohl nur schwierig beweisbaren Mangel wirklich ihre Rechte durchzusetzen. Verkäufern kann nur geraten werden, auch bei nur sporadisch auftretenden Fehlern tendenziell lieber eine Nachbesserung zu viel vorzunehmen, als zu riskieren, dass der Käufer alleine aus diesem Grund vom Kaufvertrag zurücktritt. Die wirtschaftlichen Folgen eines Rücktritts sind für den Käufer meist deutlich positiver, als für den Verkäufer.

 

BGH Urteil vom 26. Oktober 2016 – VIII ZR 240/15, Pressemitteilung

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Vertragliches Abtretungsverbot und Unternehmensverschmelzung
Urteil vom 22. September 2016 – VI ZR 298/14

Mit der Reichweite von § 399 Fall 2 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der klagende Insolvenzverwalter machte Ansprüche auf restlichen Werklohn für Bauarbeiten geltend. Der zugrunde liegende Werkvertrag war von einer Gesellschaft geschlossen worden, deren Vermögen später im Wege der Verschmelzung auf die Insolvenzschuldnerin übergegangen war. Der Beklagte berief sich unter anderem auf Werkmängel und auf ein im Vertrag vereinbartes Abtretungsverbot. Die Klage hatte in erster und zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Er tritt der Auffassung des OLG bei, dass ein in einem Bauvertrag vereinbartes Abtretungsverbot dem Übergang der dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber gerichteten Zahlungsansprüche aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung nicht entgegensteht. Die dafür angeführten Gründe dürften auf andere Verträge und andere Formen der unternehmensrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge in gleicher Weise zutreffen.

Praxistipp: In einschlägigen Fällen ist sorgfältig zu prüfen, ob der Übergang des Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden hat oder durch Einzelübertragung der dem übertragenden Rechtsträger gehörenden Vermögensgegenstände. Die vorliegende Entscheidung betrifft nur die zuerst genannte Konstellation.

Neues Vorbringen und Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO
Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15

Mit dem Verhältnis zwischen § 529, § 531 und § 522 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über eine als Kapitalanlage erworbene Wohnung in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß. In der Berufungsinstanz machten die Beklagten unter anderem geltend, bestimmte Mieteinnahmen, die dem Kläger nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zugeflossen seien, müssten anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Das OLG wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück und ließ dabei das neue Vorbringen unberücksichtigt.

Der BGH verweist die Sache, soweit es um die zusätzlich angefallenen Mieteinnahmen geht, an das OLG zurück. Abweichend vom OLG ist er der Auffassung, dass der Umfang, in dem neues Vorbringen in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist, nicht davon abhängt, ob das Berufungsgericht durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet. Im Streitfall war das ergänzende Vorbringen schon deshalb zulässig, weil die betreffenden Tatsachen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden waren. Das Berufungsgericht musste diesen Vortrag auch bei einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO berücksichtigen.

Praxistipp: Wenn das neue Vorbringen Geschehen aus der Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrifft, muss die vortragende Partei, um eine Präklusion nach § 531 Abs. 2 ZPO zu vermeiden, stets darlegen, weshalb der Vortrag nicht schon in erster Instanz erfolgt ist.

Beweiswürdigung nach Versterben eines Zeugen
Urteil vom 16. August 2016 – X ZR 96/14

Mit einer nicht alltäglichen Situation befasst sich der X. Zivilsenat – als Berufungsgericht – in einer Patentnichtigkeitssache.

Das in erster Instanz zuständige Bundespatentgericht hatte ein Patent für nichtig erklärt und diese Entscheidung unter anderem auf die Aussage eines Zeugen gestützt, der angegeben hatte, ein Datenblatt, das die Erfindung offenbare, sei der Öffentlichkeit schon vor dem Prioritätstag zugänglich gewesen. Mit der Berufung – über die in Patentnichtigkeitssachen der BGH zu entscheiden hat – griff die Patentinhaberin diese Würdigung an. Eine erneute Vernehmung des Zeugen war nicht möglich, weil dieser in der Zwischenzeit verstorben war.

Der BGH weist die Nichtigkeitsklage ab. Nach seiner Einschätzung ergeben sich aus dem Vernehmungsprotokoll erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage. Nach den insoweit maßgeblichen Regelungen der ZPO darf ein Berufungsgericht eine solche Schlussfolgerung zwar grundsätzlich nicht ziehen, ohne den Zeugen erneut zu vernehmen. Dies gilt aber nicht, wenn der Zeuge nach der erstinstanzlichen Vernehmung verstorben ist.

Praxistipp: Die Partei, zu deren Gunsten der Zeuge ausgesagt hat, sollte nach dessen Versterben alle in Betracht kommenden Anstrengungen unternehmen, um andere Beweismittel an die Hand zu bekommen.