OLG Frankfurt a.M.: Nichterhebung von Gerichtskosten

Das OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 11.2.2021 – 22 W 5/21) hat sich gegenüber einem „schwierigen“ Kläger sehr großzügig gezeigt.

Der Kläger hatte zunächst bei dem LG eine Klage gegen eine AG mit einem Streitwert in Höhe von 15 Millionen Euro erhoben. Nachdem er die Gerichtskostenrechnung über knapp 170.000 Euro erhalten hatte, beantragte er Prozesskostenhilfe. Dieser Antrag wurde durch alle Instanzen zurückgewiesen, auch eine Verfassungsbeschwerde war erfolglos. Daraufhin nahm der Kläger die Klage zurück. Es verblieb dann eine Gerichtsgebühr in Höhe von gut 55.000 Euro. Im Beschwerdeverfahren nach § 66 Abs. 2 GKG erreicht der Vorgang (erneut) das OLG. Dieses wies die Beschwerde zurück, schlug allerdings alsdann die Kosten gemäß § 21 Abs. 1 S. 3 GKG nieder. Danach kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.

Das OLG sei für die Entscheidung zuständig, weil die Sache derzeit im Rechtsmittelverfahren bei ihm anhängig sei. Eine Niederschlagung komme in Betracht, wenn eine Partei ohne postulationsfähigen Rechtsanwalt Klage erhebt. Diese Situation sei mit der einer prozessunfähigen Partei vergleichbar. Eine wirkliche Sachbehandlung sei nicht erfolgt. Lediglich mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätten sich die Gerichte beschäftigt, nicht mit der Klage. Im Normallfall hätte der Kläger die Klage sogleich mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbunden und die Erhebung der Klage von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Dann wären keine Gerichtskosten entstanden. Unerheblich sei es, dass der Kläger durch zahlreiche unbegründete PKH-Anträge erheblichen Arbeitsaufwand verursacht habe. Dies werde nicht gebührenrechtlich sanktioniert.

Fazit: Diese Entscheidung erscheint allerdings problematisch. Zum einen ist für eine Entscheidung nach § 21 GKG nach wohl überwiegender Auffassung das Gericht zuständig, bei dem die Kosten angefallen sind und nicht das Berufungsgericht. Zum anderen fehlt es in der Entscheidung bei näherer Betrachtung an einer tragfähigen Feststellung dazu, warum die Klage hier tatsächlich auf unverschuldeter Unkenntnis beruht. Aber wie dem auch sei: Der Kläger wird sich freuen. Offensichtlich sollten hier die menschlichen Auswirkungen berücksichtigt werden. Die Gebühr hätte der Kläger wohl niemals zahlen können. Dies soll keine Kritik sein. Ob die Entscheidung angemessen ist, kann man zuverlässig nur beurteilen, wenn man die gesamte Akte gelesen hat, auch zwischen den Zeilen.

BGH zum verloren gegangenen Fristverlängerungsantrag

Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist hat sich der BGH (Beschl. v. 22.6.2021 – VIII ZB 56/20, MDR 2021, 1082) recht ausführlich geäußert und die maßgeblichen Grundsätze zusammengefasst.

Eine Berufung wurde fristgemäß eingelegt. Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beantragte der Rechtsanwalt wegen akuter Arbeitsüberlastung eine Fristverlängerung von einem Monat. Einige Zeit später erhielt er einen Hinweis des Berufungsgerichts. Darin wurde ausgeführt, dass die Berufungsbegründungsfrist abgelaufen sei, eine Begründung jedoch nicht eingegangen wäre, weswegen eine Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigt sei. Daraufhin begründete er die Berufung und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung und machte die erforderlichen Angaben zum Verlust des Verlängerungsantrages auf dem Postweg glaubhaft. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gleichwohl! Dies geschah mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe es versäumt, sich bei dem Berufungsgericht nach dem Eingang des Verlängerungsantrages und dessen Schicksal zu erkundigen.

Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung akzeptiert der BGH dies nicht. Vielmehr ist der BGH der Auffassung, dass sich ein Rechtsanwalt bei einem ordnungsgemäß begründeten (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) erstmaligen Verlängerungsantrag im Allgemeinen darauf verlassen darf, dass diesem stattgegeben wird. Das bedeutet wiederum, dass er sich bei einem solchen erstmaligen Antrag nicht innerhalb der ursprünglich laufenden Begründungsfrist danach erkundigen muss, ob der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist und positiv beschieden wurde. Auch ist dabei zu berücksichtigen, dass bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag keine hohen Anforderungen an dessen Bewilligung gestellt werden dürfen.

Fazit: Dieser Sichtweise ist auch aus praktischen Gründen zuzustimmen. Angesichts der häufigen Überlastung von Geschäftsstellen der Gerichte gibt es zahlreiche Gründe dafür, warum über gestellte Anträge erst verspätet entschieden wird und warum bereits vom Gericht getroffene Entscheidungen darüber hinaus erst mit sehr großer Verzögerung die Verfahrensbeteiligten erreichen. Von daher wäre es zu viel verlangt, wenn man es den Rechtsanwälten aufbürden würde, sich bereits bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag nach dessen Schicksal zu erkundigen.

BGH: Ablehnung einer Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit

Der BGH (Beschl. v. 12.5.2021 – XII ZR 152/19, MDR 2021, 958 = MDR 2021, 1050 [Laumen]) hat sich näher mit der Frage befasst, wann ein Beweisantritt auf Vernehmung eines Zeugen als ungeeignet zurückgewiesen werden kann.

Die Parteien waren im Streit über Ansprüche anlässlich der Auflösung einer langjährigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Im Rahmen einer Aufrechnungsforderung hatte der Beklagte behauptet, 3.111 Stunden für Aus- und Umbauarbeiten an dem Haus der Klägerin gearbeitet zu haben. Er hatte auch eine nachvollziehbare Aufstellung sowie Lichtbilder vorgelegt. Außerdem hatte er Zeugenbeweis angeboten. Das OLG hatte die benannten Zeugen (Nachbarn und Reinigungskräfte der Parteien) nicht vernommen und dies damit begründet, es könne ausgeschlossen werden, dass die Zeugen derartige Behauptungen nachvollziehbar bestätigen könnten.

Dies akzeptiert der BGH nicht. Wird ein erheblicher Beweisantritt nicht berücksichtigt, verstößt dies gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Bei der Zurückweisung eines Zeugenbeweises als ungeeignet, ist größte Zurückhaltung geboten (ständige Rechtsprechung: siehe zuletzt BGH v. 12.12.2018 – XII ZR 99/17, MDR 2019, 302 = MDR 2019, 467 [Laumen]). Eine Zurückweisung kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse bringen kann. Eine Unwahrscheinlichkeit alleine rechtfertigt keine Ablehnung wegen Ungeeignetheit. Es muss auch bei dem Antritt des Zeugenbeweises nicht ausgeführt werden, wie der Zeuge die zu bekundende Tatsache erfahren haben soll.

Deshalb durfte das OLG nicht davon absehen, den Zeugenbeweis zu erheben. Das Urteil wurde daher aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit die Beweisaufnahme nachgeholt werden kann.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten, die in einem obligatorischen Güteverfahren angefallen sind.

Kosten der anwaltlichen Vertretung in einem obligatorischen Güteverfahren
Beschluss vom 24. Juni 2021 – V ZB 22/20

Mit der Reichweite von § 15a Abs. 4 EGZPO und § 91 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Parteien führten eine nachbarrechtliche Streitigkeit. Ein Einigungsversuch vor der Gütestelle blieb erfolglos, weil nur die Kläger (zusammen mit ihrer späteren Prozessbevollmächtigten) erschienen waren, nicht aber die Beklagten. Im nachfolgenden Rechtsstreit legte das Gericht den Beklagten die Kosten auf. Im Kostenfestsetzungsverfahren machten die Kläger unter anderem die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten (rund 380 Euro) geltend. Der Festsetzungsantrag blieb insoweit in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde der Kläger hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 15a Abs. 4 EGZPO gehören die Kosten einer Gütestelle, die durch ein obligatorisches Einigungsverfahren entstanden sind, zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 und 2 ZPO. Diese Vorschrift ist im Streitfall anwendbar, weil ein Güteverfahren nach § 15a Abs. 1 EGZPO und dem einschlägigen Landesrecht zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage war. Zu den danach zu erstattenden Kosten gehören jedoch nur die Gebühren der Gütestelle, nicht die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten.

§ 91 Abs. 3 ZPO, wonach zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 und 2 ZPO auch die Gebühren gehören, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind, wird bei obligatorischen Schlichtungsverfahren durch die Sonderregelung in § 15a Abs. 4 EGZPO verdrängt. Unabhängig davon erfasst auch § 91 Abs. 3 ZPO nur die Kosten der Gütestelle, nicht aber Anwaltskosten (BGH, B. v. 15.1.2019 – II ZB 12/17 Tz. 10 – MDR 2019, 378).

Die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten fallen auch nicht unter die allgemeine Regelung im § 91 Abs. 1 ZPO. Sie sind – entgegen der bislang wohl überwiegenden Auffassung – auch bei einem obligatorischen Güteverfahren nicht als Kosten zur Vorbereitung des Rechtsstreits zu qualifizieren, sondern als Kosten zur Abwendung eines drohenden Rechtsstreits. Dies gilt auch dann, wenn eine Partei bereits in diesem Stadium einen Rechtsanwalt beizieht.

Praxistipp: Hinsichtlich der Kosten eines Anwalts, der erst nach dem erfolglosen Abschluss des Güteverfahrens vorgerichtlich tätig geworden ist, dürfte nach Maßgabe der hierfür allgemein geltenden Grundsätze ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch bestehen.

BGH: Anforderungen an Wiedereinsetzungsantrag bei verlorenem Schriftsatz

Trotz EGVP, beA, FAX usw. werden noch zahlreiche Schriftsätze mit einfacher Post, auch Schneckenpost genannt, versandt. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Das Gefühl des Einwerfens eines großen Umschlages mit einem selbst verfassten Schreiben in einen gelben Kasten ist im Übrigen durch nichts zu ersetzen! Was aber, wenn ein solches Schreiben auf dem Postweg verloren geht? Dies ereignet sich durchaus. An sich ist dies kein großes Problem. Da man sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass bei der Post nichts verloren geht, kann in einem solchen Fall ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden.

Mit einem solchen Antrag darf man es sich dann aber nicht zu einfach machen. Klar ist, dass der untergegangene Schriftsatz in Kopie vorgelegt werden muss. Im konkreten Fall (BGH, Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) hatte die Prozessbevollmächtigte daneben nur ausgeführt, der Schriftsatz sei bei der Post aufgegeben worden. Dies war dem OLG zu wenig. Das Rechtsmittel wurde verworfen. Aber auch die Rechtsbeschwerde war erfolglos!

Nach ständiger Rechtsprechung muss in derartigen Fällen durch eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft gemacht werden, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich des Versenders eingetreten ist. Zu dieser Schilderung gehören natürlich die Einzelheiten, wann und wo der Schriftsatz abgegeben wurde. Diese fehlten hier.

Zwar hatte die Prozessbevollmächtigte diese Angaben später nachgeholt, dies war aber zu spät, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war! Es können außerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nur unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, deren weitere Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, berichtigt bzw. nachgetragen werden. Dies gilt indes nicht für – wie hier – vollständig fehlende Angaben. Der Prozessbevollmächtigten musste all dies auch bekannt sein, eines Hinweises des OLG darauf bedurfte es daher nicht.

BGH zur hinreichenden Individualisierung von Forderungen zur Unterbrechung der Verjährung

Der BGH (Beschl. v. 23.2.2021 – II ZR 89/20) musste entscheiden, ob eine erhobene Klage tatsächlich verjährungsunterbrechende Wirkung hatte. Der klagende Insolvenzverwalter hatte zur Bestimmung seiner Zahlungsforderung gegen den Beklagten, einen Kommanditisten, eine Tabelle nach § 175 InsO vorgelegt. Darin waren lediglich Stichworte wie Warenlieferung, Darlehen, Dienstleistungsvertrag, Gewerbesteuer enthalten. Die Tatsacheninstanzen hatten dies nicht für ausreichend gehalten. Der BGH sieht dies einmal mehr anders.

Erforderlich für die Verjährungsunterbrechung ist nicht eine schlüssige und substantiierte Klage. Ausreichend ist es vielmehr, wenn der Anspruch identifizierbar ist, d. h. von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt ist, so dass er Grundlage eines rechtskraftfähigen Vollstreckungstitels sein kann. Hier hatte der Kläger mit der Klage eine später aktualisierte Forderungsaufstellung vorgelegt, worin die einzelnen Forderungen mit laufender Nummer, Gläubiger und Betrag aufgeführt waren. Weiterhin wurde auf die Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren nach § 174 Abs. 1 und Abs. 2 InsO Bezug genommen. Dies ist als ausreichend anzusehen.

Fazit: Man kann sich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren, dass der BGH beständig damit beschäftigt ist, denjenigen, die möglichst unsorgfältig arbeiten, auch noch das Durchsetzen ihrer Ansprüche zu erleichtern.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine wohl des Öfteren auftretende Frage aus dem Bereich der Rechtsschutzversicherung.

Herausgabe zurückgezahlter Gerichtskosten an den Rechtsschutzversicherer
Beschluss vom 10. Juni 2021 – IX ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen Anwalt, Mandant und Rechtsschutzversicherer bei Erstattung unverbrauchter Gerichtskosten befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Beklagten, eine Rechtsanwaltssozietät und ein für diese tätiger Anwalt, hatten ein bei der Klägerin rechtsschutzversichertes Ehepaar bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Bank gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klägerin hatte eine Deckungszusage zunächst abgelehnt und später nur für das Klageverfahren in erster Instanz erteilt, nicht aber für die außergerichtliche Vertretung. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Das Gericht überwies unverbrauchte Gerichtskosten in Höhe von rund 2.800 Euro an die Sozietät. Von der Bank erhielt sie die Hälfte der den Mandanten entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Darin enthalten war eine hälftige Verfahrensgebühr in Höhe von rund 900 Euro. Von dem Gesamtbetrag von rund 3.700 Euro zogen die Beklagten die nach dem Vergleich von den Mandanten zu tragende zweite Hälfte der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Kosten für die Einholung der Deckungszusage – insgesamt rund 2.100 Euro – ab. Insoweit erklärten sie namens der Mandanten die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung dieser Kosten. Die auf Zahlung des Abzugsbetrags gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagten waren gemäß § 667 BGB verpflichtet, die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge an die Mandanten herauszugeben. Dieser Anspruch ist gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Pflicht zur Zahlung der Gerichtsgebühren und der Anwaltsvergütung für die gerichtliche Tätigkeit war ein versicherter Schaden, dessen Ausgleich die Leistung der Klägerin diente. Die Mandanten dürfen die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge nicht aufgrund eines Quotenvorrechts dafür einsetzen, um die von der Klägerin nicht übernommenen Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Einholung der Deckungszusage abzudecken. Dieser Schaden ist nicht kongruent mit dem versicherten Risiko. Die namens der Mandanten erklärte Aufrechnung ist schon deshalb unwirksam, weil diese nicht Schuldner der geltend gemachten Forderung sind.

Praxistipp: Eine Aufrechnung mit offenen Vergütungsforderungen gegen die Mandanten ist in der in Rede stehenden Konstellation nach Maßgabe von § 406 und § 407 BGB möglich. Im Streitfall schied diese Möglichkeit aus, weil die Mandanten die gesamte Vergütung bereits bezahlt hatten.

BGH zu Rechthabern und Querulanten

Im Rahmen eines Verfahrens über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem LG hatte die Antragstellerin erfolglos einen Befangenheitsantrag gestellt. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des LG wurde vom OLG zurückgewiesen. Gegen den entsprechenden Beschluss des OLG legte die Antragstellerin beim BGH Rechtsbeschwerde ein. Der BGH legte diese (offensichtlich unzulässige) Rechtsbeschwerde (sachgemäß) als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG aus. Der Antrag wurde dann aber selbstredend zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsbeschwerde unzulässig gewesen wäre. Das OLG hatte eine Rechtsbeschwerde gegen seinen eigenen Beschluss nicht zugelassen. Damit war der Instanzenzug beendet. Deshalb ist eine Bewilligung von PKH für die Rechtsbeschwerde gleichfalls nicht möglich. Interessant an diesem Beschluss sind vor allem die letzten Sätze, die deswegen wörtlich zitiert werden sollen:

„Dies ist der Antragstellerin bereits aus den Verfahren III ZB 63/20 und III ZB 2/21 bekannt. Der Senat wird in Zukunft vergleichbare – offensichtlich unzulässige und erkennbar rechtsmissbräuchliche – Eingaben der Antragstellerin nicht mehr bescheiden. Er muss es nicht hinnehmen, durch sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazitäten bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert zu werden (…).“

Der Gesetzgeber hat sich des Problems der Querulanz bisher noch nicht angenommen, obwohl es höchste Zeit ist. Erst vor kurzem war eine entsprechende Gesetzesinitiative gescheitert. Danach sollte eine Regelung eingeführt werden, die „Berufskläger“ im Sozialrecht, die für eine hohe Zahl von Verfahren verantwortlich sind, „bestrafen“ sollte.

Fazit: Der BGH (Beschl. v. 15.4.2021 – III ZB 10/21) hat nunmehr einen Weg aufgezeigt, wie bei derartigen Eingaben verfahren werden kann. Es wird der betroffenen Person mitgeteilt, dass weitere Eingaben nicht mehr beschieden werden. Allerdings enthebt dies (leider) die Gerichte nicht davon, die Eingaben zur Kenntnis zu nehmen und rechtlich zu bewerten. Es ist mehr als bedauerlich, dass der Gesetzgeber die Gerichte hier „im Regen“ stehen lässt.

Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung

Am 7. Januar 2021 hat die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätige Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“  ihr 126-seitiges Diskussionspapier vorgelegt. Mit Vorschlägen wie z. B.

  • Schaffung eines bundesweit einheitlichen Justizportals mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten“,
  • Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens,
  • Möglichkeiten der (reinen) Videoverhandlung im Zivilprozess,
  • der Protokollierung per schriftlichem Wortprotokoll,
  • einem elektronischen Titelregister für die Zwangsvollstreckung und
  • der Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens durch ein sog. Basisdokument

enthält das Werk äußerst innovative Vorschläge für einen zukünftigen, digitalen Zivilprozess die mittlerweile auch schon bei vielen Gelegenheiten (Zivilrichtertag 2021, diverse Tagungen, usw.) diskutiert worden sind.

Einzelne Punkte aus dem Diskussionspapier sollen ggf. sogar schon mittelfristig in die Praxis umgesetzt werden. Für komplexere Themen wird vorgeschlagen, diese in sog. Reallaboren in kleinerem Umfang zu erproben. Vorher sollten die Überlegungen der Arbeitsgruppe um einige Fragen ergänzt werden, die den Rahmen eines digitalen Zivilprozesses der Zukunft abstecken könnten. Zwei Fragen stechen besonders hervor:

Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess?

Im Zuge einer Diskussion des digitalen Zivilprozesses stellt sich unweigerlich die Frage, welcher Grad an Technikeinsatz erstrebenswert ist. Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat bewusst technikoffen gearbeitet. Es ist richtig, dass nicht vorschnell eine bestimmte IT-Technik oder gar ein Anbieter ausgewählt wurden. Dies darf aber nicht bedeuten, die Digitalisierung des Zivilprozesses unter Ausblendung technischer Rahmenbedingungen zu denken. Das Dilemma zwischen juristischer Ebene und technischer Ebene zeigt sich besonders an der kontrovers ausgetragenen Diskussion über die Strukturierung von Schriftsätzen. Der Sachvortrag wird vielfach als zu unstrukturiert und oft zu wenige Wechselbezüge aufweisend bezeichnet („Die Parteien schreiben aneinander vorbei.“). Auf Basis des neuen § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist bereits heute in vielen Fällen eine Strukturierung des Parteivortrags denkbar (sh. dazu Zwickel, MDR 2021, 716-723). Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat darüber hinausgehend vorgeschlagen, dass die Parteien künftig in einem elektronischen Basisdokument (idealerweise auf dem Justiz-Server) ihren Tatsachenvortrag (eine Pflicht zu Rechtsausführungen soll nicht eingeführt werden!) kollaborativ in einer Relationstabelle gegenüberstellen sollen. Die Parteien sollen also an einem einzigen digitalen Dokument arbeiten, in dem sie den Vortrag anhand des Strukturierungskriteriums des Lebenssachverhalts selbst ordnen. Die Strukturierung findet zwar mit einem digitalen Tool, aber nach rein juristischen Vorgaben anhand der Chronologie des Lebenssachverhalts statt.
Möglicherweise decken sich solche juristischen Strukturen nicht mit den Strukturen, mit denen IT-Systeme arbeiten, so dass die IT mit der gewonnenen Struktur nicht weiterarbeiten kann. Techniken der digitalen Inhaltserschließung der Eingaben in das Basisdokument (von der automatischen Verlinkung von Treffern in juristischen Datenbanken bis hin zum digitalen Entscheidungsvorschlag) wären, bei einer zu wenig kleinteiligen Struktur wohl vielfach ausgeschlossen. Liegt nicht genau an dieser Stelle, d.h. bei der digitalen Erleichterung der richterlichen Arbeit auf dem Weg zum Urteil, der wahre Mehrwert einer digitalen Strukturierung des Parteivortrags? In anderen Bereichen/Rechtsordnungen ist diese Frage schon entschieden: Das ELSTER-System der Steuerverwaltung und Legal Tech-Anbieter schaffen es auf Basis der strukturierten Daten, IT auch im Prozess der (teil-)automatisierten juristischen Entscheidungsfindung einzusetzen.

Zu Möglichkeiten und Grenzen der analogen und digitalen Strukturierung und Abschichtung im zivilgerichtlichen Verfahren sh. ausführlich Zwickel, MDR 2021, 716-723.

In anderen Rechtsordnungen wie in der kanadischen Provinz British Columbia mit seinem Civil Resolution Tribunal ist das Verfahren selbst so strukturiert, dass es vollständig im digitalen Raum ablaufen kann und digitale Tools umfassend ausnutzt.

In China schließlich gibt es, ebenfalls auf Basis des Einsatzes strukturierter Daten, mit dem Internet Court in Hangzhou sogar maschinell entscheidende Internetgerichte (Automatisierung der Entscheidung selbst).

Wollen wir einen derart umfassenden Technikeinsatz auch für den Zivilprozess?

Es liegt auf der Hand, dass die Frage nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten ist, sondern einer sorgfältigen Abwägung auch unter Einbeziehung von Informatikern bedarf.

Digitale Kommunikation im Zivilprozess?

Eng in Zusammenhang mit der Frage nach der Reichweite des Technikeinsatzes steht die These, dass die Kommunikation im digitalen Raum „virtuell verengt“ (sh. Harnack, ZKM 2021, 14-18) und damit anders geartet ist als die herkömmliche Kommunikation im Gerichtssaal. Man wird daher nicht umhinkommen, über den juristischen Tellerrand zu blicken und Kommunikationspsychologen, Fachleute für IT-Sicherheit usw. zu hören, ehe man die mündliche Verhandlung im Zivilprozess auch nur teilweise durch digitale Videoverhandlungen ersetzt.

Niklas Luhmann soll geäußert haben „Die Rechtswissenschaft verhält sich zum Computer wie das Reh zum Auto. Manchmal kollidieren sie eben doch.“ Im Hinblick auf die Digitalisierung des Zivilprozesses scheint dies nicht zu gelten, ist doch die Wissenschaft gerne bereit, die von der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ ausgehende Aufforderung zum Diskurs aufzunehmen. So bilden die beiden oben angerissenen Fragen nach der Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess und der Kommunikation im digitalisierten Zivilverfahren mit der Digitalisierung der Zwangsvollstreckung die Leitmotive einer wissenschaftlichen Online-Tagung „Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 1./2. Juli 2021, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind.

OLG Frankfurt a.M.: Unwirksamkeit einer Streitverkündung

Gegenstand eines Prozesses vor dem OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 22.1.2021 – 29 U 166/19 waren Mängelansprüche aus einem Architektenvertrag. Nachdem der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hatte, trat die Frage in den Mittelpunkt, ob durch eine Streitverkündung die Verjährungsfrist wirksam unterbrochen wurde.

Die Streitverkündung ist ein bestimmender Schriftsatz, steht praktisch einer Klageschrift gleich und bedarf daher eines vollen Rubrums gemäß §§ 253 Abs. 2 Nr. 1, 130 Nr. 1, 70 Abs. 2, ZPO. Nachdem der Schriftsatz, womit die Streitverkündung erfolgte, vorliegend diese Voraussetzungen nicht erfüllte, war die Streitverkündung unwirksam. Sie löste damit keine Interventionswirkung aus und bewirkte auch keine Hemmung der Verjährung.

Weiterhin muss bei einer Streitverkündung gemäß § 73 S. 1 ZPO die Lage des Rechtsstreites und der Grund der Streitverkündung angegeben werden. Daher müssen der Gegenstand des Rechtsstreites, die Anträge der Parteien, Informationen über eine eventuell erfolgte Beweisaufnahme, bisherige Entscheidungen, relevante Verfügungen und eventuelle Termine mitgeteilt werden. Diese erforderlichen Angaben enthielt die Streitverkündungsschrift gleichfalls nicht. Allerdings war eine Kopie der Akte beigefügt. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Der Streitverkündete muss in der Lage sein, aus der Streitverkündungsschrift selbst die erforderlichen Informationen entnehmen zu können.

Man sieht also: Bei einer Streitverkündung muss man stets vorsichtig sein. Die Streitverkündung darf nicht an den notwendigen Formalien scheitern. Es ist nicht ausreichend, einfach eine Kopie der Akte beizufügen. Weder das Gericht noch eine der Parteien oder der Streitverkündete sind dazu verpflichtet, sich aus einer Akte, auf die pauschal Bezug genommen wird, die erforderlichen Einzelheiten selbst herauszusuchen.

Praxistipp: Man sollte in wichtigen Fällen sogar die Gerichtsakte dahingehend kontrollieren, ob die Streitverkündung auch tatsächlich wirksam erfolgt ist. Wenn z. B. vergessen wird, die Streitverkündung zuzustellen oder die Zustellungsurkunde (§ 73 S. 2 ZPO) – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu der Akte gelangt, kann die Streitverkündung unwirksam sein bzw. deren Wirksamkeit im späteren Regressprozess nicht nachgewiesen werden!