OLG Karlsruhe: Besorgnis der Befangenheit durch Übersehen eines Befangenheitsantrages

In einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 11.5. 2022 – 9 W 24/22) ging es um die Frage, ob alleine das Übersehen eines Befangenheitsantrages schon die Besorgnis der Befangenheit begründen kann, was das OLG bejaht hat.

In einer über 100 Seiten langen Klageerwiderung befand sich ein Befangenheitsantrag der Beklagten. Der zuständige Richter las lediglich das Inhaltsverzeichnis des Schriftsatzes, übersah demgemäß den Befangenheitsantrag und stellte die Klageerwiderung mit einer Verfügung zu. Alsdann ging noch eine Widerklage ein, darin wurde erneut auf den Befangenheitsantrag hingewiesen sowie auf den Verstoß gegen § 47 ZPO durch die erwähnte Verfügung. Gleichzeitig wurde ein erneuter Befangenheitsantrag gestellt. In seiner dienstlichen Stellungnahme entschuldigte sich der Richter für sein Versäumnis.

Nach der Auffassung des OLG lässt der Verstoß gegen § 47 ZPO den Schluss darauf zu, dass der abgelehnte Richter bei der Wahrnehmung der Belange der Beklagten eine evident fehlende Sorgfalt an den Tag legt und deswegen bei der Beklagten der Eindruck entsteht, der Richter werde auch später das Vorbringen der Beklagten nicht ernst nehmen.

Diese Sicht der Dinge geht nach hiesiger Einschätzung an der Praxis vorbei. Die Überlastung der Gerichte ist allgemein bekannt. Es ist lebensfern davon auszugehen, dass jeder Schriftsatz, der bei Gericht eingeht, sofort vollständig gelesen und verarbeitet werden kann. Eine derartige Vorgehensweise wäre auch eine Verschwendung richterlicher Ressourcen. Wenn offensichtlich ist, dass eine über 100 Seiten lange Klageerwiderung nicht ohne eine erneute Stellungnahme des Klägers sachgerecht bewertet werden kann, macht es keinen Sinn, dieselbe gleich durch zu studieren. Wesentlich sinnvoller und ressourcenschonender ist es, diesen Schriftsatz erst dann vollständig zur Kenntnis zu nehmen, wenn die Sache soweit „ausgeschrieben“ erscheint, dass eine sachgemäße Förderung derselben möglich ist. Dies weiß im Normalfall auch jeder Rechtsanwalt. Deswegen wird bei langen Schriftsätzen auch stets am Anfang auf wichtige Anträge hingewiesen, oftmals sogar in Fettdruck.

Fazit: Diese Entscheidung sollte daher keinesfalls Schule machen, zumal sie geradezu dazu auffordert, durch versteckte Befangenheitsanträge Verfahren zu verzögern!

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bindungswirkung einer Verweisung zwischen einem Spezialsenat im Sinne von § 119a GVG und einem anderen Senat desselben Gerichts.

Negativer Kompetenzkonflikt mit Spezialsenat
Beschluss vom 26. Juli 2022 – X ARZ 3/22

Mit der entsprechenden Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bei Verweisungen innerhalb desselben Gerichts befasst sich der X. Zivilsenat.

Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Vertrags über den Erwerb von Bäumen in Brasilien. Die Beklagte hatte den Abschluss als attraktive Kapitalanlage angeboten. Nach dem Ende des Anlagezeitraums leistete sie keine Zahlungen. Die Klage auf Rückzahlung des Anlagebetrags von rund 10.000 Euro Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums an den Bäumen hatte in erster Instanz Erfolg.

Die Berufung der Beklagten wurde zunächst einem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Senat des OLG zugeteilt. Dieser erklärte sich für unzuständig und gab die Sache an den für Bank- und Finanzgeschäfte im Sinne von § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG zuständigen Spezialsenat ab. Dieser erklärte sich ebenfalls für unzuständig und legte die Sache dem für Gerichtsstandbestimmungen zuständigen Zivilsenat vor. Dieser teilte die Rechtsauffassung des Spezialsenats, dass kein Bank- oder Finanzgeschäft vorliege. Er sah sich an einer Zuweisung zu dem ursprünglich mit der Sache befassten Senat aber durch eine Entscheidung eines anderen OLG gehindert, das die Leistung der Beklagten als Finanzdienstleistung im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB angesehen hatte. Deshalb legte er die Sache gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO dem BGH vor.

Der BGH erklärte den Spezialsenat für zuständig. Er ließ offen, ob es sich um eine Streitigkeit aus einem Bank- oder Finanzgeschäft im Sinne von § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG handelt. Die Zuständigkeit ergibt sich im Streitfall schon daraus, dass die Abgabeentscheidung des zunächst mit der Sache befassten Senats entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist. Entgegen der bislang überwiegenden Auffassung in Literatur und Instanzrechtsprechung liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor.

Für vergleichbare Fälle eines Konflikts über eine sich schon aus dem Gesetz ergebende Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Gerichts sieht das Gesetz eine Bindungswirkung vor. Im Verhältnis zwischen Zivilkammern und Kammern für Handelssachen ergibt sich diese Wirkung aus § 102 Satz 2 GVG, im Verhältnis zwischen Spruchkörpern für Zivilsachen, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus § 17a Abs. 6 GVG. Dass eine entsprechende Regelung für das Verhältnis zwischen Spezialkammern im Sinne von § 72a GVG bzw. Spezialsenaten im Sinne von § 119a GVG und anderen Spruchkörpern desselben Gerichts fehlt, beruht nicht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Die hierdurch entstandene Lücke ist durch entsprechende Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO zu schließen.

Praxistipp: Um Verzögerungen zu vermeiden, sollten beide Parteien das Gericht sowohl in erster als auch in zweiter Instanz möglichst frühzeitig auf eine mögliche Spezialzuständigkeit nach § 72a bzw. § 119a GVG aufmerksam machen.

OLG Hamburg: Wartepflicht des Rechtsanwalts bei Verzögerungen durch das Gericht

In einer Entscheidung des Hanseatischen OLG in Hamburg (Beschl. v. 20.5.2022 – 7 W 57/22, MDR 2022, 1113) ging es letztlich um die Frage, wie lange ein Rechtsanwalt auf das Gericht warten muss, wenn sich ein vorheriger Termin des Gerichts länger hinzieht als geplant. Im Beschwerdeverfahren (§ 336 Abs. 1 ZPO) war zu beurteilen, ob der Rechtsanwalt zu früh gegangen war und deswegen das LG gegen die von ihm vertretene Partei ein Versäumnisurteil hätte erlassen müssen oder nicht. Das LG hatte im Widerspruchsverfahren gegen eine einstweilige Verfügung Termin auf 12:30 Uhr bestimmt. Das Gericht teilte um diese Uhrzeit mit, dass der Termin sich voraussichtlich um eine Stunde, möglicherweise auch noch etwas länger, verschieben würde. Um 12:55 Uhr gab der Rechtsanwalt bekannt, er könne nicht länger warten, da er um 14:00 Uhr einen nicht verschiebbaren Termin habe und entfernte sich. Gleichzeitig regte er an, den Termin zu verschieben. Das LG hatte dann den bei Aufruf der Sache gestellten Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückgewiesen und einen neuen Termin bestimmt. Das OLG hob diese Entscheidung auf und wies das LG an einen neuen Termin zu bestimmen, ohne den betroffenen Rechtsanwalt zu laden.

Ein Termin beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 220 Abs. 1 ZPO), von einer konkludenten Terminsaufhebung kann daher nicht ausgegangen werden. Allerdings war der Rechtsanwalt hier berechtigt, gemäß § 227 ZPO einen Antrag auf Verlegung des Termins zu stellen. Der Rechtsanwalt hat aber schuldhaft im Sinne des § 337 Satz 1 ZPO gehandelt, weil er nicht auf eine Verlegung des Termins vertrauen durfte. Unter Berufung auf eine ältere Entscheidung des BVerwG (Beschl. v. 28.12.1998 – 4 B 119-98, NJW 1999, 2131) hält das OLG eine Wartezeit von über einer Stunde noch für hinnehmbar. Der Verlegungsgrund sei zudem mit der einfachen Behauptung, einen nicht verschiebbaren Termin zu haben, nicht nachvollziehbar glaubhaft gemacht worden.

Gerichtstermine können sich leider immer wieder verzögern, regelmäßig durch unvorhersehbare Ereignisse. Die meisten dadurch entstehenden Probleme werden sicherlich kollegial und/oder pragmatisch gelöst. Wenn es jedoch einmal ernst wird, muss man zum einen mindestens eine Stunde warten können und zum anderen, wenn es nicht anders geht, einen Verlegungsgrund direkt glaubhaft machen können. Die Zeit von einer Stunde gilt für die Landgerichte und Oberlandesgerichte, bei den Amtsgerichten wird man, da die Verfahren in der Tendenz natürlich weniger umfangreich sind, diese Zeit vielleicht etwas reduzieren können.

Fazit: Wer als Rechtsanwalt einen Termin wahrzunehmen hat, muss daher stets gut planen. Zunächst einmal muss genug Zeit eingeplant werden, um auch überraschenden Verzögerungen bei der Anreise Rechnung tragen zu können. Verzögert sich dann der Beginn des Termins, muss man auch noch ausreichend Zeit mitbringen, um darauf zu warten. All dies ist sehr ärgerlich, lässt sich aber bedauerlicherweise nicht vermeiden.

 

 

 

OLG Braunschweig: Unstatthafte Beschwerde eines Rechtsanwalts gegen eine vorläufige Wertfestsetzung

Das OLG Braunschweig (Beschl. v. 13.6.2022 – 4 W 16/22) hat einen wichtigen Grundsatz des Streitwertrechts betont.

Das LG Itzehoe setzte den Wert eines Verfahrens auf 27.897,13 Euro fest und verwies anschließend das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das LG Braunschweig. Der Klägervertreter vertrat die Auffassung, der Wert sei zu niedrig festgesetzt worden und legte nach der Verweisung im eigenen Namen gegen den Streitwertbeschluss Beschwerde ein. Der Beschwerde wurde vom LG Braunshcweig nicht abgeholfen, sondern dem für das LG Braunschweig zuständigen OLG Braunschweig vorgelegt. Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Das für das LG Braunschweig zuständige OLG hatte hier richtigerweise zu entscheiden. Nach einer Verweisung eines Rechtsstreites ist über ein Rechtsmittel so zu entscheiden, als stamme die angefochtene Entscheidung von dem übernehmenden Gericht.

Die Beschwerde ist jedoch nicht statthaft. Das LG Itzhoe hatte den Streitwert nämlich nur vorläufig zur Bestimmung der Zuständigkeit festgesetzt. Dies wäre zwar nicht erforderlich gewesen, erfolgt jedoch gleichwohl durchaus häufig. Damit handelte es sich hier um die Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwertes, nicht des Gebührenstreitwertes. Eine derartige Wertfestsetzung ist für die Partei nicht anfechtbar. Die Beschwerdemöglichkeit der §§ 63, 68 GKG betrifft nur die verbindliche Festsetzung des Gebührenstreitwertes. Im Streitwertrecht steht dem Rechtsanwalt auch kein im Vergleich zur Partei weitergehendes Beschwerderecht zur Verfügung. Demensprechend hilft § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt hier nach ganz h. M. gleichfalls nicht weiter.

Fazit: Die Festsetzung eines Zuständigkeitsstreitwertes durch ein Gericht kann somit weder von der Partei noch von einem Rechtsanwalt angefochten werden. Wenn es erforderlich werden sollte, steht es dem Rechtsanwalt im Übrigen frei, den Weg des § 32 RVG zu gehen, mithin aus eigenem Recht die Festsetzung des Wertes für seine Gebühren zu verlangen.

BGH: Zuständigkeit für die Kostenentscheidung nach Rücknahme einer nicht statthaften Beschwerde

Der BGH  hat sich mit der Zuständigkeit für eine Kostenentscheidung in einer besonderen Fallkonstellation befasst. Seiner Entscheidung (Beschl. v. 15.03.2022 –  X ZR 16/22) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger gewann vor dem AG einen Prozess gegen die Beklagte. Der Streitwert betrug 883 Euro. Auf die Berufung der Beklagten änderte das LG jedoch das Urteil ab. Die Klage wurde abgewiesen. Der Kläger legte bei dem Berufungsgericht nach dem Erlass des Urteils Beschwerde ein, und zwar mit dem Antrag, die Revision zuzulassen. Das Gericht wies darauf hin, dass ein solcher Antrag nicht möglich sei. Daraufhin nahm der Kläger den Antrag wieder zurück. Die Beklagte beantragte sodann, dem Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Das LG war der Auffassung, dafür sei der BGH zuständig und legte die Akten dort vor.

Der BGH gab die Angelegenheit dem LG zurück, um die Kostenentscheidung in eigener Zuständigkeit zu treffen. Eine ausdrückliche Regelung für eine Kostenentscheidung in einer derartigen Fallkonstellation existiert zwar nicht, nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Vorschrift des § 516 Abs. 3 ZPO (wonach derjenige, der die Berufung zurücknimmt, die Kosten zu tragen hat) auf praktisch alle Rechtsmittelrücknahmen anzuwenden.

Damit war allerdings noch nicht die Frage beantwortet, welches Gericht für die in einem solchen Fall sogar von Amts wegen zu treffende Kostenentscheidung zuständig ist. Der BGH begnügt sich insoweit damit, auf eine recht alte Entscheidung (Beschl. v. 18.6.1953 – IV ZB 51/53) zu verweisen. Darin wurde ausgesprochen, dass das Gericht, bei dem die unzulässige Beschwerde eingelegt wurde, jedenfalls dann für die Kostenentscheidung zuständig ist, wenn das Rechtsmittel zurückgenommen wird, bevor die Sache überhaupt an den BGH abgegeben wurde. Genauso lagen die Dinge hier.

Hier waren dem Rechtsanwalt des Klägers doch einige Missverständnisse unterlaufen: Die Nichtzulassungsbeschwerde wäre nicht bei dem LG, sondern bei dem BGH einzulegen gewesen (§ 544 Abs. 3 ZPO). Sie wäre aber auch dort offensichtlich unzulässig gewesen, da das LG nicht die Berufung verworfen, sondern in der Sache entschieden hat und – angesichts des Streitwertes – die Beschwer des Klägers 20.000 Euro nicht überstieg (§ 544 Abs. 2 ZPO). Schließlich hätte mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde natürlich auch ein bei dem BGH zugelassener Rechtsanwalt beauftragt werden müssen (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Fazit: Die Entscheidung ist sachgerecht und erspart eine unnötige Aktenversendung, zumal der Inhalt der zu treffenden Entscheidung ohnehin vom Gesetz vorgegeben ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die formalen Anforderungen an eine Berufungsschrift und die Pflicht des Anwalts, deren Einhaltung zu überprüfen.

Angabe des Berufungsklägers in der Berufungsschrift
Beschluss vom 15. März 2022 – VI ZB 20/20

Mit einem nicht gerade alltäglichen Ablauf bei der Einlegung einer Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Klägerin macht Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus geltend. Die Beklagte zu 1 ist das Klinikum, der Beklagte zu 2 der behandelnde Arzt. Das LG verurteilte beide Beklagten antragsgemäß. Am letzten Tag der Berufungsfrist reichten die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beiden Beklagten beim OLG einen Schriftsatz ein, in dem sie „namens und in Vollmacht der Berufungsklägerin“ Berufung einlegten. Im Rubrum des Schriftsatzes ist auf Beklagtenseite nur die Beklagte zu 1 aufgeführt. Im weiteren Verlauf machten die Prozessbevollmächtigten geltend, die Berufungseinlegung beziehe sich selbstverständlich auf beide Beklagten. Das OLG lehnte die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung des Beklagten zu 2 als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist nur für die Beklagte zu 1 fristgerecht eingelegt worden. Aus dem Wortlaut der ursprünglich eingereichten Berufungsschrift geht nicht hervor, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt ist. Innerhalb der Berufungsfrist waren für das OLG auch keine sonstigen Umstände erkennbar, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass die Berufung auch für den Beklagten zu 2 eingelegt ist. Dass die beiden Beklagten in dem angefochtenen und der Berufungsschrift beigefügten Urteil als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, reicht nicht aus.

Das OLG hat auch die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Der mit der Sachbearbeitung betraute Rechtsanwalt musste die Angaben in der Berufungsschrift selbst überprüfen oder seinen Urlaubsvertreter, der den Schriftsatz unterschrieben hat, darüber informieren, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt werden soll. Beide Anwälte durften sich nicht auf die mündliche Mitteilung ihrer Büroangestellten verlassen, der Schriftsatz sei entsprechend den Vorgaben des Sachbearbeiters erstellt worden.

Praxistipp: Um Fehler dieser Art zu vermeiden, sollten sich Anwalt und Urlaubsvertreter über alle während der Vertretung anstehenden wichtigen Aufgaben unmittelbar austauschen.

BGH: Rechtsanwalt in eigener Sache

Der BGH hat in einem Anwaltsprozess in eigener Sache entschiedenen, dass sich ein Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt und wegen einer länger andauernden Erkrankung an einem Termin nicht teilnehmen kann, grundsätzlich vertreten lassen muss. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn er gewichtige Gründe darlegen kann, aus denen sich eine Notwendigkeit seiner persönlichen Anwesenheit ergibt. (Urt. v. 2.12.2021 – IX ZR 53/21, MDR 2021, 389)

Die klagende Rechtsanwältin, die sich selbst vertrat, nahm zwei andere Rechtsanwältinnen auf Schadensersatz wegen angeblich fehlerhafter Mandatsbearbeitung in Anspruch. Der Prozess ging in erster Instanz verloren. Die Klägerin legte Berufung ein. Nach mehreren Verlegungsanträgen der schon seit längerer Zeit gesundheitlich schwer angeschlagenen Klägerin erging schließlich vor dem OLG ein Versäumnisurteil gegen die Klägerin. Nachdem die Klägerin dagegen Einspruch eingelegt hatte, hatte das OLG nach Verlegung eines zunächst bestimmten Termins zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache sowie Zurückweisung eines Befangenheitsantrages schließlich einen Termin durchgeführt und den Einspruch der Klägerin verworfen. Die Klägerin war vom OLG darauf hingewiesen worden, dass der Termin nicht mehr verlegt wird. Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Klägerin, die keinen Erfolg hatte. Letztlich hatte die Klägerin den Einspruchstermin schuldhaft versäumt.

Da die Klägerin sich selbst vertreten hatte, ist sie auch als Rechtsanwältin zu behandeln, nicht als Partei. Ein Rechtsanwalt muss jedoch, wenn er wegen einer länger andauernden Krankheit nicht dazu in der Lage ist, sich selbst zu vertreten bzw. Termine wahrzunehmen, für seine Vertretung sorgen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es wirklich gewichtige Gründe gibt, die seine Anwesenheit unbedingt erfordern. Solche waren hier nicht ersichtlich. Das OLG hatte der Klägerin auch mitgeteilt, dass der Termin nicht mehr verlegt werde und sie für ihre Vertretung sorgen müsse.

Auch ein allgemeiner Hinweis auf die derzeit immer noch andauernde Corona-Virus-Pandemie reicht für einen erfolgreichen Verlegungsantrag nicht aus. Es bestehen überall Hygiene-Schutzkonzepte. Ein gewisses Infektionsrisiko bleibt als allgemeines Lebensrisiko übrig (BVerfG, Beschl. v. 19.5.2020 – 2 BvR 483/20) und kann nicht zu einer Terminsverlegung führen.

Interessant ist auch noch, dass die Ablehnung des Antrages der Klägerin nach § 128a ZPO mit der Begründung, die erforderliche Technik stünde noch nicht zur Verfügung, vom BGH akzeptiert wurde.

Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin als Partei liegt nicht vor. Vorliegend gab es keine gewichtigen Gründe, die eine Anwesenheit der Klägerin als Partei im Termin zur mündlichen Verhandlung unbedingt erforderlich machten. Allein aus der Bedeutung des Prozesses für die Partei vermögen sich solche Gründe noch nicht zu ergeben. Damit bleibt es bei dem zweiten Versäumnisurteil des OLG und der Abweisung der Klage durch das LG.

Fazit: Es dürfte sich hier um einen offensichtlichen Versuch der Prozessverschleppung gehandelt haben. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass der BGH der Klägerin nicht „auf den Leim“ gegangen ist. Der Fall zeigt auch einmal wieder, dass man sich als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt tunlichst nicht selbst vertreten sollte. Nicht zu Unrecht geht der Satz umher: Der Rechtsanwalt, der sich vertritt, hat einen Esel zum Mandanten. Für Richterinnen und Richter gilt dies übrigens in verstärktem Maße.

KG zur Prozesskostenhilfe: Corona-Soforthilfe und Vermögensreserve

Eine interessante Entscheidung zu verschiedenen Fragen der Prozesskostenhilfe hat das KG (Beschl. v. 9.1.2021 – 16 W 154/21) getroffen. Der Antragstellerin stand ein Bankkonto mit einem recht hohen Guthaben zur Verfügung. Grundsätzlich sind Bankguthaben als Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzusetzen. Die Antragstellerin machte aber geltend, dennoch sei ihr Guthaben aus verschiedenen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Zunächst berieft sich die Antragstellerin darauf, 5.000 Euro für die Teilrückzahlung einer Corona-Soforthilfe seien kein einsatzpflichtiges Vermögen. Dem folgte das KG. Unpfändbares Vermögen ist auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht einzusetzen. Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Corona-Soforthilfe nicht pfändbar ist (BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – VII ZB 24/20, MDR 2021, 642 = MDR 2021, 661 [Meller-Hannich]). Was für die Hilfe selbst gilt, muss auch für einen erforderlichen Rückzahlungsbetrag gelten.

Einen weiteren Betrag hat das KG gleichfalls akzeptiert. Dieser Betrag betraf eine Umsatzsteuervorauszahlung, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens schließlich sogar fällig wurde.

Einen zusätzlichen Betrag, den die Antragstellerin noch berücksichtigt haben wollte, erkannte ihr das KG hingegen nicht zu. Diesen Betrag wollte die Antragstellerin für die innerhalb der nächsten fünf Wochen nach der Entscheidung fällige Einkommensteuervorauszahlung zurückhalten. In diesem Zusammenhang merkt das KG an, dass das Recht der Prozesskostenhilfe keine Vermögensreserve kennt. Die bloße Absicht eines Antragstellers, einen bestimmten Betrag für einen zukünftigen Zweck benutzen zu wollen, führt noch nicht dazu, dass dieser Betrag nicht als einsatzfähiges Vermögen angesetzt werden könnte. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die selbständige Antragstellerin bis zur Fälligkeit der Vorauszahlung weitere Einnahmen erzielen könnte.

Damit blieb abschließend nur noch der Freibetrag übrig. Dies sind 5.000 Euro für die Antragstellerin und weitere 500 Euro für jedes ihrer Kinder. Da jedoch nach Abzug der als Vermögen nicht zu berücksichtigenden Beträge immer noch ein recht hoher Betrag verblieb, wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da der Antragstellerin ein ausreichendes Vermögen zur Finanzierung des Prozesses zur Verfügung stand.

Fazit: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bezüglich der Corona-Soforthilfe ist dies sicherlich kaum angreifbar. Hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlung kann man sich natürlich auch der anderen Auffassung anschließen. Aber: Stichtag ist der Tag der Bewilligung oder eben der Ablehnung. Alles, was bis dahin seriös weg ist, ist eben weg. Und was noch da ist, ist eben noch da. Im Zweifel kann man auch, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, noch einen erneuten Antrag stellen. Eine ablehnende Entscheidung erwächst nicht in Rechtskraft und wenn sich die Verhältnisse geändert haben, ist er auch nicht mutwillig.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Signatur eines fristgebundenen Schriftsatzes

Überprüfung eines zu signierenden Schriftsatzes
Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21

Mit den Anforderungen an die Überprüfung eines Dokuments vor dessen elektronischer Signatur befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte gegen ein Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Begründungsfrist ging ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandtes und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument seines Prozessbevollmächtigten ein, das mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das OLG hat die Versäumung der Begründungsfrist zu Recht als schuldhaft angesehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte den Schriftsatz vor der Signatur auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen müssen. Er durfte diese Aufgabe nicht an sein Büropersonal delegieren. Eine Überprüfung war auch deshalb nicht entbehrlich, weil ihm das vollständige Dokument kurz zuvor bereits vorgelegt worden war und er dieses nur zur Korrektur eines Tippfehlers auf der ersten Seite zurückgegeben hatte. Vielmehr musste er auch das korrigierte Dokument darauf überprüfen, ob es den richtigen Inhalt hat und alle Seiten umfasst.

Praxistipp: Der im Streitfall aufgetretene Fehler ist besonders tückisch, weil er bei der Unterschrift eines Papierdokuments wohl ohne weiteres auffallen würde. Um ihn zu vermeiden, sollte ein Signaturprogramm eingesetzt werden, das ein vollständiges Durchblättern des Dokuments ermöglicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die prozessualen Konsequenzen einer erfolglosen Aufrechnung mit einer Fremdwährungsschuld

Konkludente Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts
Urteil vom 26. Januar 2022 – XII ZR 79/20

Mit den Anforderungen an die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Der Kläger hatte an den Beklagten eine Gaststätte vermietet. Ein Jahr nach Vertragsbeginn stellte der Beklagte die Mietzahlungen ein. Der Kläger kündigte den Vertrag fristlos. Der Kläger klagte auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von rund 114.000 Euro. Der Beklagte erklärte die Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus einer behaupteten Sicherheitsleistung in Höhe von sieben Milliarden iranischen Rial (umgerechnet 190.000 Euro) und verlangte widerklagend rund 76.000 Euro. Das LG wies die Klage im Wesentlichen ab und gab der Widerklage im Wesentlichen statt. Das OLG verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Klagesumme und den Kläger auf einen entsprechenden Hilfsantrag des Beklagten zur Zahlung von sieben Milliarden iranischen Rial.

Der BGH schränkt die Verurteilung des Beklagten dahin ein, dass er die Klagesumme nur Zug um Zug gegen Zahlung des mit der Widerklage geltend gemachten Betrags erbringen muss.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die vom Beklagten erklärte Aufrechnung unwirksam ist. Der Anspruch auf Rückzahlung der Sicherheitsleistung besteht zwar. Er ist aber auf Zahlung in iranischen Rial gerichtet. Deshalb fehlt es an der Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich indes schon aus den vom Beklagten gestellten Anträgen, dass er aufgrund seines Gegenanspruchs hilfsweise auch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend machen will. Einer ausdrücklichen Erklärung dieses Inhalts bedarf es in dieser Situation nicht.

Praxistipp: Sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, kann eine Fremdwährungsschuld gemäß § 244 Abs. 1 BGB durch Zahlung in Euro erfüllt werden. Dann der Schuldner der Fremdwährungsschuld (hier: der Kläger) auch gegen eine Euro-Forderung aufrechnen, nicht aber der Gläubiger.