Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflicht des Gerichts, Vortrag in einem nachgelassenen Schriftsatz zu berücksichtigen.

Schriftliche Ausführungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme
Beschluss vom 21. Mai 2019 – VI ZR 54/18

Mit den Wirkungen eines gewährten Schriftsatzrechts befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung ihres verstorbenen Vaters in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, die Beklagten hätten ihren Vater bereits bei einer kurz nach Beginn der Behandlung durchgeführten Untersuchung am 8. Oktober 2009 auf mögliche Infektion der Beine hinweisen und insoweit weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG vernahm eine Praxisangestellte der Beklagten zu deren Beobachtungen bei den vorgenommenen Untersuchungen. Die Zeugin gab an, sie könne sich an die Daten der einzelnen Untersuchungen und den Zustand des Patienten nicht mehr genau erinnern. Das OLG gab den Parteien nach Abschluss der Beweisaufnahme Gelegenheit, zu deren Ergebnis schriftlich Stellung zu nehmen. In einem fristgerecht eingereichten Schriftsatz wiesen die Kläger auf ein bereits vorgelegtes Gedächtnisprotokoll hin, in dem die Zeugin festgehalten hatte, dass sich bereits am 8. Oktober 2009 Symptome einer Infektion zeigten. Das OLG ging diesem Einwand nicht nach und wies die Berufung der Kläger zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Das OLG war verpflichtet, die fristgerechte Stellungnahme der Kläger zu berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wenn diese entscheidungserheblichen Vortrag enthielt, der Anlass zu weiterer Sachaufklärung gab. Hierbei ist unerheblich, ob das OLG überhaupt verpflichtet gewesen wäre, ein Schriftsatzrecht zu gewähren. Wenn das Gericht ein solches Recht einräumt, muss es fristgerecht eingereichtes Vorbringen berücksichtigen, soweit es vom Gegenstand des eingeräumten Rechts gedeckt ist. Im Streitfall hätte das OLG das Gedächtnisprotokoll in seine Beweiswürdigung einbeziehen müssen. Dies hätte möglicherweise zu einer erneuten Vernehmung der Zeugin unter Vorhalt des Protokolls geführt.

Praxistipp: Um Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu gewinnen, sollten die Parteien in der Regel ein Recht zur schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme beantragen. Wenn dieser Antrag abgelehnt wird, bleiben sie dennoch zu einer nachträglichen Stellungnahme berechtigt, soweit eine sofortige Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Neue Gesetzgebungsvorschläge zum Zivilprozessrecht

Das BMJV hat einen Referentenentwurf zur dauerhaften Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen vorgelegt. Ergänzend ist darin unter anderem vorgesehen, den Katalog von Materien, für die jedes LG und jedes OLG eine spezialisierte Kammer bzw. einen spezialisierten Senat einrichten muss, deutlich zu erweitern. An dieser Regelung könnten sich künftig langwierige Kompetenzkonflikte entzünden, die dem angestrebten Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderlaufen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber flankierende Maßnahmen vorsieht, um diese Gefahr zu minimieren.

Seit der ZPO-Reform im Jahr 2002 ist eine Revision in Zivilsachen nur noch statthaft, wenn das Berufungsgericht oder – auf Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei – der Bundesgerichtshof das Rechtsmittel zulässt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer die Grenze von 20.000 Euro übersteigt. Diese Regelung war ursprünglich nur für einen Übergangszeitraum vorgesehen. Ihr Geltungszeitraum wurde aber mehrfach verlängert, zuletzt bis 31.12.2019.

Der Referentenentwurf sieht nunmehr vor, die Wertgrenze dauerhaft in die ZPO zu übernehmen, als neuen Absatz 2 der für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblichen Regelung in § 544 ZPO. Der BGH hat sich immer wieder für diese Lösung eingesetzt, um eine anderenfalls drohende Überlastung zu vermeiden.

Ergänzend sieht der Entwurf flankierende Maßnahmen vor, denen das Ziel gemeinsam ist, die Effizienz im Zivilprozess weiter zu steigern. Dazu gehört eine Erweiterung der in § 72a und § 119a GVG vorgesehenen Kataloge von Rechtsmaterien, für die jedes LG und jedes OLG zwingend eine Spezialkammer bzw. einen Spezialsenat einzurichten hat. Die vier bereits bestehenden Tatbestände (Bank- und Finanzgeschäfte, Bau-, Architekten- und Ingenieurverträge, Heilbehandlungen, Versicherungsverträge) sollen um vier weitere Tatbestände (Kommunikations- und Informationstechnologie, Veröffentlichungen in Presse, Funk, Fernsehen und Internet, Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten) ergänzt werden. Insbesondere der Tatbestand der Kommunikations- und Informationstechnologie dürfte eine ungeahnte Vielzahl von Streitigkeiten erfassen.

Wenn die Regelungen wie geplant in Kraft treten, könnte sich eine Entwicklung verstärken, die schon unter dem bestehenden Recht eingesetzt hat und dem Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderläuft: Angesichts der abstrakten Formulierungen, mit denen die Zuständigkeit der Spezialspruchkörper umschrieben ist, entsteht nicht selten Streit darüber, ob ein Rechtsstreit vor einen Spezialspruchkörper gehört oder ob es bei der Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer bzw. eines allgemeinen Zivilsenats verbleibt. Anders als bei Konflikten über die im Geschäftsverteilungsplan festgelegten Zuständigkeiten sehen viele Obergerichte in solchen Fällen eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zulässig an (vgl. etwa KG, B. v. 14.03.2019 – 2 AR 6/19, MDR 2019, 634). Paradoxerweise können solche gerichtsinternen Konflikte sogar schwieriger zu beurteilen sein als Kompetenzkonflikte zwischen unterschiedlichen Gerichten, denn eine Bindungswirkung, wie sie § 281 ZPO für die Verweisung an ein anderes Gericht oder § 102 GVG für das Verhältnis zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen anordnen, ist in § 72a und § 119a GVG nicht ausdrücklich vorgesehen. Selbst die ergänzenden Regelungen über die Zuständigkeit durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache (§ 39 ZPO) und über die beschränkte Nachprüfung der erstinstanzlichen Zuständigkeit in den höheren Instanzen (§ 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO) sind zumindest ihrem Wortlaut nach in solchen Fällen nicht anwendbar.

Angesichts dessen erscheint es wünschenswert, dass der Gesetzgeber gerichtsinterne Zuständigkeitskonflikte künftig (mindestens) denselben Schranken unterwirft, die für gerichtsübergreifende Konflikte gelten. Ansonsten ist nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft viele Prozesse hauptsächlich um die Frage drehen, welche Kammer bzw. welcher Senat über die Klage zu entscheiden hat.

Viral aber nicht ansteckend: Influencer und Lauterkeitsrecht

Haben Sie auch etwas gegen…?

Tja, gegen was denn eigentlich? So richtig scheint die Influencer-Welt das nicht zu wissen.

Inzwischen sieht auch die Regierung Handlungsbedarf. Dementsprechend hat das BMJV nun entsprechende Änderungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) angekündigt, die allen Beteiligten zu mehr Rechtsklarheit verhelfen soll. Wie genau diese Regelung aussehen soll, ist unklar. Mit nur einer knappen Regelung wie zum Beispiel „Äußerungen mit kommerziellem Charakter ohne jegliche Gegenleistung bedürfen keiner besonderen Kennzeichnung“ dürfte vermutlich die, über mehrere Rechtsgebiete verstreuten, Kennzeichnungspflichten nicht allumfassend modifizieren können.  Bereits in der Vergangenheit haben Bemühungen um Klärungen umstrittener Rechtsfragen (wie zum Beispiel der neu geschaffene § 97a UrhG, um bei typischen File-Sharing-Abmahnungen graue Bereiche einzuebnen) zu neuen Unsicherheiten und Auslegungsherausforderungen der Gerichte geführt. Es bleibt daher fraglich, ob ein Handeln des Gesetzgebers, das zugleich die Dynamik der Weiterentwicklung moderner Medien durch Unschärfen miterfassen muss, hier zielführend ist. Eine solche Regelung würde ein über Jahrzehnte gewachsenes Gleichgewicht, wie es zum Beispiel im Printbereich (Autozeitschrift mit Fahrzeugvorstellung) vollkommen selbstverständlich ist, möglicherweise aus der Balance bringen.

Fest steht, wettbewerbsrechtliche Abmahnungen und gerichtliche Verfahren wegen mangelnder Kennzeichnung kommerzieller Inhalte, überwiegend angestrengt vom Verband Sozialer Wettbewerb VSW, sind ein Ärgernis und verunsichern die Branche. Insbesondere das Landgericht der Influencer-Hauptstadt Berlin stellte bisher an Beiträge in sozialen Netzwerken hohe Anforderungen. Durch weitere Rechtsprechung verstreut über die Republik – dank § 14 Abs. 1 S. 2 UWG kann sich der VSW meistens nicht das Wunschgericht aussuchen – haben sich die Anforderungen aber einerseits zumindest ein wenig konkretisiert, auch sind Wege aufgezeigt worden, wie die derzeitige social-media-Praxis als rechtskonform beurteilt werden kann. Insbesondere das LG München I (Urt. v. 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MDR 2019, 820; siehe auch BöseMDR-Blog v. 1.5.2019) geht einen interessanten, wenn auch nicht kritikfreien Weg.

Hinweis: Eine Zusammenstellung der ergangenen lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung sowie konkrete Gestaltungsvorschläge „ab wann“, „wo“ und „wie“ eine Kennzeichnung von Veröffentlichtungen erforderlich ist, finden Sie in Böse, Influencer-Marketing – Die lauterkeitsrechtlichen Kennzeichnungspflichten von Werbebotschaften, MDR 2019, 769.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Folgen eines erstinstanzlichen Verfahrensfehlers.

Keine Zurückverweisung trotz verfahrensfehlerhafter Entscheidung über Ablehnungsgesuch
Urteil vom 14. Mai 2019 – VI ZR 393/18

Mit der Reichweite von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die klagende Bundesrepublik Deutschland begehrte von den Beklagten Ersatz der Kosten für die Reinigung eines Regenrückhaltebeckens. Zu der Verunreinigung war es infolge eines Verkehrsunfalls gekommen, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben. Der vom LG beauftragte Sachverständige sah die Kosten als nicht notwendig an, weil die Arbeiten ohne Mehrkosten im Rahmen der nächsten turnusgemäßen Reinigung hätten ausgeführt werden können. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen vor der mündlichen Verhandlung wegen Befangenheit ab. Das LG entschied über dieses Gesuch erst in seinem Urteil, mit dem es die Klage abwies. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Der BGH tritt dem OLG allerdings darin bei, dass die Sache nicht an die erste Instanz zurückzuverweisen ist. Die Verfahrensweise des LG war zwar fehlerhaft, weil es über das Ablehnungsgesuch – ebenso wie über ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter – durch gesonderten Beschluss hätte entscheiden müssen und sein Urteil erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses hätte erlassen dürfen. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertretenen Auffassung sind die Folgen eines solchen Verfahrensfehlers aber nach § 538 ZPO zu beurteilen. Eine Zurückverweisung ist danach jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn das Berufungsgericht das Ablehnungsgesuch ebenfalls als unbegründet ansieht. Selbst wenn es die Ablehnung für begründet hält, darf das Berufungsgericht die Sache nur in Ausnahmefällen zurückverweisen, etwa wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig ist, deren Durchführung in der Berufungsinstanz zu noch größeren Nachteilen führen würde als eine Zurückverweisung. Im Streitfall hatte das OLG die Ablehnung des Sachverständigen als unbegründet angesehen. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung gebilligt. Dennoch hat er die Sache an das OLG zurückverwiesen, weil dieses von einer Beweisaufnahme über den durch ein Privatgutachten unterlegten Vortrag der Klägerin abgesehen hat, wonach ein Zuwarten bis zur nächsten turnusmäßigen Reinigung zur Freisetzung wassergefährdender Stoffe geführt hätte.

Praxistipp: Das Gericht ist stets zu einer weiteren Sachaufklärung verpflichtet, wenn zwei Sachverständige zu einander widersprechenden fachlichen Beurteilungen gelangen. Dies gilt auch bei einem Widerspruch zwischen einem gerichtlichen Sachverständigen und einem Privatgutachter.

KG: Bindungswirkung einer Verweisung an eine Kammer mit spezieller funktioneller Zuständigkeit

In einer Streitigkeit aus einem Bauvertrag gemäß § 72 S. 1 Nr. 2 GVG war ein Mahnbescheid im Februar 2017 ergangen. Nach dem Widerspruch wurde die Sache im Juni 2017 an das LG abgegeben. Am 28.12.2018 ging die Anspruchsbegründung ein. Im Januar 2019 erklärt sich die Zivilkammer für unzuständig und gab die Sache in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an die „Baukammer“ ab. Die Baukammer erklärt sich gleichfalls für unzuständig und legte den Rechtsstreit dem KG vor.

Das KG (Beschl. v. 14.3.2019 – 2 AR 6/19) hält sich für zuständig, diesen Konflikt zu entscheiden, zumal beide Entscheidungen des LG den Parteien bekannt gemacht wurden. Gemäß § 40a EGGVG sind § 72a GVG (und auch die „parallele“ Vorschrift des § 119a GVG!) allerdings nicht auf Verfahren anzuwenden, die vor dem 1.1.2018 anhängig geworden sind. Dabei ist „anhängig“ hier tatsächlich im engen rechtstechnischen Sinne zu verstehen. Alle schon eingegangenen Verfahren sollten von der Neuregelung ausgenommen werden, um ein Umtragen derselben und den damit eintretenden Aufwand zu verhindern. Selbst wenn man aber darüber hinaus die Rechtshängigkeit eines Verfahrens fordern würde, wäre diese vorliegend gegeben: Bei einem vorausgegangenen Mahnverfahren tritt nämlich die Rechtshängigkeit mit dem Eingang der Akten bei dem Streitgericht ein! Dies war hier bereits im Jahre 2017.

Freilich könnte man nunmehr die Auffassung vertreten, dass aufgrund eines erlassenen Verweisungsbeschlusses die Baukammer gemäß § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO an diesen gebunden sei. Dies ist aber deswegen nicht der Fall, weil es vorliegend um die funktionale Zuständigkeit geht und nach ständiger Rechtsprechung § 281 ZPO auf Abgaben oder Verweisungen unter Abteilungen, Kammern oder Senaten desselben Gerichts generell nicht anzuwenden ist. Eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht, da aus dem Fehlen einer dem § 102 GVG entsprechenden Vorschrift (Zivilkammer/Kammer für Handelssachen) zu schließen ist, dass eine Bindungswirkung insoweit vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war. Letztlich hat dieser Rechtsstreit daher an der Zivilkammer zu verbleiben und ist dort seiner Entscheidung zuzuführen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es erneut um die Anforderungen an elektronisch eingereichte Schriftsätze.

Unzulässigkeit einer sog. Container-Signatur
Beschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 573/18

Mit einer bereits von drei anderen Obersten Gerichtshöfen des Bundes behandelten Frage befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Beklagte war in erster Instanz zur Zahlung rückständiger Miete in Höhe von rund 48.000 Euro verurteilt worden. Am letzten Tag der Frist legte ihr Anwalt über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) Berufung ein. Die Berufungsschrift und eine Kopie des angefochtenen Urteils waren der EGVP-Nachricht als Anhang in Form von zwei PDF-Dateien beigefügt. Die Nachricht war – wie bei EGVP üblich – insgesamt mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Die einzelnen PDF-Dateien waren nicht qualifiziert signiert. Das OLG wies einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt erfolglos. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass eine Container-Signatur den seit 1.1.2018 geltenden, in § 130a ZPO n.F. normierten Anforderungen an ein elektronisches Dokument nicht genügt. In gleichem Sinne hatten bereits das BSG, das BVerwG und das BAG entschieden. Nach § 4 Abs. 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs (ERVV) dürfen mehrere elektronische Dokumente nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden. Eine Container-Signatur fällt unter dieses Verbot, weil sie sich nicht nur auf eine einzelne PDF-Datei bezieht, sondern auf den Text der EGVP-Nachricht und alle daran angefügten Anhänge. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unbegründet, weil der Anwalt der Beklagten die maßgebliche Rechtslage hätte kennen müssen.

Praxistipp: Einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf es seit 1.1.2018 nicht mehr, wenn ein Anwalt ein von ihm verantwortetes Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einreicht. Zur Sicherheit empfiehlt es sich dennoch, an jedem PDF-Dokument eine Signatur anzubringen. Dies kann auch mit Hilfe der beA-Software erfolgen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Abgrenzung zwischen schriftlichen und elektronischen Dokumenten.

Übersendung eines Schriftsatzes per E-Mail
Beschluss vom 8. Mai 2019 – XI ZB 8/19

Mit dem Grenzbereich zwischen § 130 und § 130a ZPO befasst sich der XII. Zivilsenat.

In einer Familiensache hatte der Anwalt des in erster Instanz unterlegenen Antragsgegners am letzten Tag der Frist gegen 19 Uhr mehrfach erfolglos versucht, die Beschwerdebegründung per Telefax an das OLG zu übermitteln. Schließlich scannte er das unterschriebene Original in eine PDF-Datei ein und sandte diese per E-Mail an das Gericht. Dort wurde sie erst einige Tage später ausgedruckt und zu den Akten genommen. Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners bleibt erfolglos. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Einreichung der PDF-Datei per E-Mail den in § 130a ZPO Abs. 3 normierten (gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG auch in Familiensachen maßgeblichen) Anforderungen an einen elektronischen Schriftsatz nicht genügt, weil die Datei keine qualifizierte elektronische Signatur enthielt und der Versand per E-Mail keinen sicheren Übertragungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO darstellt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein auf diesem Weg eingereichter Schriftsatz zwar als schriftliches Dokument im Sinne von § 130 ZPO zu behandeln, wenn die PDF-Datei im Gericht ausgedruckt wird. Im Streitfall erfolgte der Ausdruck aber erst nach Ablauf der Begründungsfrist. Der für Telefax-Einreichungen geltende Grundsatz, dass der Schriftsatz bereits dann bei Gericht eingegangen ist, wenn ihn das Empfangsgerät des Gerichts gespeichert hat, ist auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Telefax-Sendungen werden vom Gesetz von vornherein wie schriftliche Dokumente behandelt. Eine per E-Mail übersandte PDF-Datei erlangt diese rechtliche Qualität hingegen erst im Moment des Ausdrucks.

Praxistipp: Eine fristgerechte Einreichung kann in solchen (und allen anderen) Situationen mit Hilfe des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bewirkt werden.

OLG Frankfurt: Spezialzuständigkeit der „Ärztekammer“ beim LG

Gemäß § 72a S. 1 Nr. 3. GVG werden bei den Landgerichten  für Streitigkeiten über Ansprüche aus Heilbehandlungen „Spezialkammern“gebildet. Eine entsprechende Regelung enthält die Geschäftsverteilung des LG D. Dort ging eine Klage gegen einen Tierarzt wegen angeblicher Falschbehandlung eines Hundes ein, die bei einer allgemeinen Zivilkammer eingetragen wurde. Der Vorsitzende vertrat die Auffassung, es handele sich um eine Streitigkeit für die Spezialkammer und verfügte entsprechend. Der Vorsitzende der Spezialkammer sah dies anders und legte die Akte dem Präsidium vor. Das Präsidium sah den Eingang als allgemeine Zivilsache. Der Vorsitzende der allgemeinen Zivilkammer erklärte sich daraufhin für unzuständig und legte die Sache dem OLG zur Bestimmung der Zuständigkeit vor.

Das OLG Frankfurt (Beschl. v. 23.4.2018 – 13 SV 6/18) lehnte die Bestimmung der Zuständigkeit allerdings ab. Zwar ist § 36 Nr. 6 ZPO auf diese Fallgestaltung grundsätzlich anwendbar. Die bloße Anhängigkeit eines Rechtsstreites reicht dafür aber noch nicht aus. Darüber hinaus fehlt es an einer rechtskräftigen Unzuständigkeitserklärung, da bisher die entsprechenden Verfügungen keiner Partei bekannt gemacht wurden.

Interessant sind jedoch die weiteren Ausführungen des OLG, die vorsorglich erfolgten: Danach betrifft § 72a S. 1 Nr. 3 GVG ausweislich der Gesetzesmaterialien lediglich Ansprüche aus Heilbehandlungen von Ärzten, Zahnärzten, Psychologen, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten. Dies sind ausschließlich Berufsbilder der Humanmedizin. Veterinärmedizinische Behandlungsverträge werden auch von den §§ 630a ff. BGB nicht erfasst. Entscheidender Unterschied zwischen Veterinär- und Humanmedizin ist, dass in der ersteren das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine entscheidende Rolle spielt. Letztlich sind Human- und Veterinärmedizin damit nicht ohne weiteres vergleichbar. Eine erweiternde Auslegung oder gar analoge Anwendung der erwähnten Zuständigkeitsregel auf die Veterinärmedizin kommt damit nicht in Betracht.

Der Rechtsstreit ist daher als allgemeine Zivilsache zu behandeln und zu entscheiden. Tierärzte sind keine Mediziner im Sinne des § 72 S. 1 Nr. 3. GVG.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Auswirkungen einer Verfahrenstrennung auf die Statthaftigkeit einer Berufung.

Wert des Beschwerdegegenstands nach Verfahrenstrennung
Beschluss vom 4. April 2019 – V ZB 108/18

Mit der Statthaftigkeit einer Berufung nach einer nach Auffassung des Rechtsmittelführers unzulässigen Verfahrenstrennung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft nahm den Beklagten auf Zahlung rückständigen Wohngelds in Höhe von 466,72 Euro in Anspruch. Der Beklagte machte mit zwei nacheinander erhobenen Widerklagen Gegenansprüche geltend. Das AG trennte die Verfahren über die Widerklagen jeweils ab und verurteilte den Beklagten entsprechend dem Klageantrag. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt erfolglos. Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der für eine Berufung erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht überschritten ist. Anders als das LG lässt er offen, ob das AG die Verfahren über die Widerklagen zu Recht abgetrennt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH kann zwar der Wert des Beschwerdegegenstands aus mehreren Verfahren zu addieren sein, wenn die Vorinstanz diese zu Unrecht getrennt hat. Voraussetzung dafür ist aber, dass alle von der Trennung betroffenen Verfahren in die Rechtsmittelinstanz gelangt sind. Im Streitfall waren die Verfahren über die beiden Widerklagen noch beim AG anhängig. Deshalb ist die Berufung gegen die Entscheidung über die Klageforderung nicht statthaft.

Praxistipp: Ein Berufungskläger, der eine fehlerhafte Verfahrenstrennung rügen will, sollte beantragen, das erste Berufungsverfahren auszusetzen, bis auch die weiteren von der Teilung betroffenen Verfahren in die Berufungsinstanz gelangt sind.

BFH: Auch Abmahnungen im Urheberrecht umsatzsteuerpflichtig

Es kam, wie es kommen musste: Nachdem der Bundesfinanzhof schon viel Kritik für die Ansicht erntete, dass Abmahnungen im Wettbewerbsrecht eine umsatzsteuerbare Leistung des Abmahnenden gegenüber dem Abgemahnten sind, hat er diese Rechtsprechung auch für Abmahnungen im Urheberrecht bestätigt. Kernaussage:

„Die Klägerin hat nach den Grundsätzen der vorliegenden Rechtsprechung mit den Abmahnungen den Rechtsverletzern einen Weg gewiesen, sie als Gläubigerin eines Unterlassungsanspruchs ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen, und ihnen hiermit einen konkreten Vorteil verschafft, der zu einem Verbrauch i.S. des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt.“

Dass diese Ansicht nunmehr auch auf Abmahnungen in Bezug auf andere absolute Rechte, insbesondere im Marken- Patent- und Designrecht übertragbar ist, dürfte nun auch nicht mehr zweifelhaft sein:

„Zwar handelt es sich beim verletzten Urheberrecht um ein absolutes und individuelles Recht, bei dem –aufgrund der konkreten Rechtsverletzung– die Ermittlung des Verletzers, der nicht immer der Anschlussinhaber ist, aufwändiger sein mag. Allerdings unterscheiden sich Abmahnschreiben bei einem Wettbewerbsverstoß und bei einer Urheberrechtsverletzung in ihrem wesentlichen Inhalt nicht. Die Abmahnung dient in beiden Fällen insofern den gleichen Zwecken, als mit der Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Möglichkeit eröffnet wird, einen Prozess zu vermeiden, und der Kostenerstattungsanspruch auf einer (spezialgesetzlich kodifizierten) Geschäftsführung ohne Auftrag gründet (Landgericht Düsseldorf, Beschluss vom 23. Oktober 2017 2a O 135/17, juris, Rz 5; Friedrich-Vache in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 1 Rz 163.2; Omsels, juris PraxisReport Wettbewerbsrecht 6/2017 Anm. 1; Pörksen, juris PraxisReport IT-Recht 13/2017 Anm. 5; a.A. Streit/Rust, DStR 2018, 1321, 1322; Pull/Streit, Mehrwertsteuerrecht 2018, 108, 114).“

Diese Ansicht zieht einen ganzen Rattenschwanz von Probleme und Fallstricken für Abmahnende nach sich. Außerdem dürfte nun wieder in Verjährungshinsicht ein Blick in alte Akten lohnen. Abmahnende dürften nun nachträglich einen Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteueranteils haben, soweit nicht die 10-jährige Frist des § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB abgelaufen ist.

 

BFH, Urt. v. 13.02.2019, XI R 1/17