Anwaltsblog 15/2024: Was muss ein unmittelbar vor Ablauf der bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankter Rechtsanwalt zur Fristwahrung veranlassen?

Ob ein unmittelbar vor Ablauf der bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankter Rechtsanwalt einen anwaltlichen Vertreter mit der Erstellung der Berufungsbegründung beauftragen muss, hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – V ZB 34/23):

 

Der als Einzelanwalt tätige Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit einem am Donnerstag, den 9. März 2023, um 19:50 Uhr beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz beantragt, die bereits einmal verlängerte und am 13. März endende Frist zur Berufungsbegründung bis zum 13. April zu verlängern, weil er „an Covid erkrankt“ sei und die Berufungsbegründung nicht fristgerecht fertigen könne. Das OLG hat den Antrag mit Verfügung vom 10. März abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 10. März, am selben Tag um 18:11 Uhr beim OLG eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte erneut einen Fristverlängerungsantrag – nunmehr unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung – gestellt. Mit Verfügung vom 13. März hat das Berufungsgericht die Fristverlängerung abgelehnt. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte am 22. März Wiedereinsetzung beantragt und zugleich die Berufungsbegründung eingereicht.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Der Klägervertreter habe nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, dass er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die bereits einmal verlängerte Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Ihm sei vorzuwerfen, dass er die Beklagtenvertreterin am 9. März 2023 nicht um Zustimmung zu einer Fristverlängerung gebeten habe. Zudem hätte er einen Vertreter mit der Fertigung der Berufungsbegründung beauftragen können.

Die Rechtsbeschwerde der Kläger hat keinen Erfolg. Allerdings rügen sie zu Recht, dass das OLG ein Verschulden des Klägervertreters damit begründet, dieser habe seinen Vertreter nicht mit der Fertigung und Übersendung der Berufungsbegründung beauftragt. Dem Mandanten eines Einzelanwalts dürfen aufgrund der Erkrankung des Rechtsanwalts keine Nachteile bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstehen. Die Fertigung einer Rechtsmittelbegründung muss deshalb mit der gleichen Sorgfalt möglich sein wie ohne die Erkrankung. Vor diesem Hintergrund erfordern die Sorgfaltspflichten des unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalts die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung einer Rechtsmittelbegründung allenfalls dann, wenn bis zum Ablauf der Begründungsfrist ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Nach diesem Maßstab war der Klägervertreter nicht gehalten, seinen Vertreter mit der fristwahrenden inhaltlichen Bearbeitung der Berufungsbegründung zu beauftragen. Das Berufungsgericht verkennt insoweit schon, dass am Abend des 9. März 2023 nicht vier, sondern lediglich zwei Arbeitstage, nämlich der 10. März 2023 (Freitag) und der 13. März 2023 (Montag) für die Fertigung der Berufungsbegründung zur Verfügung gestanden hätten. Allein die in erster Instanz (im Prozessverlauf teilweise geänderten) zuletzt gestellten Anträge umfassen 2,5 Seiten des landgerichtlichen Urteils. Von sieben Klageanträgen wurden Anträge teilweise zurückgenommen oder für erledigt erklärt. Die Widerklage umfasst fünf Anträge. Der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils umfasst ohne die Anträge vier Seiten und die Entscheidungsgründe 6,5 Seiten. Es fanden fünf mündliche Verhandlungen und eine durch ein ausführliches Protokoll dokumentierte Augenscheinnahme statt. Bis auf die Feststellung der Erledigung eines Klageantrags hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Kläger auf die Widerklage hin teilweise verurteilt. Unter diesen Umständen weist die Rechtssache eine Komplexität auf, die es einem mit der Sache erstmalig befassten Vertreter nicht ermöglicht hätte, die Erfolgsaussichten der einzelnen abgewiesenen Klageanträge und der auf die Widerklage hin ergangenen Verurteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch am (Arbeits-)Tag vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen und zu begründen.

Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde, weil das OLG die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine andere selbständig tragende Begründung stützt, die keinen Rechtsfehler aufweist. Das OLG stützt ein Verschulden des Klägervertreters rechtsfehlerfrei darauf, dass der Klägervertreter die Beklagtenvertreterin nicht bereits am 9. März um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht hat. Wiedereinsetzung war nur dann zu gewähren, wenn der Klägervertreter ohne sein Verschulden daran gehindert war, eine – zweite – Fristverlängerung zu erwirken. Da dem Klägervertreter bereits eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gewährt wurde, kam nach § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur mit Einwilligung des Gegners in Betracht. In einem solchen Fall ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nur dann zu gewähren, wenn die Gegenseite die zur Fristverlängerung erforderliche Einwilligung nicht erteilt und die Frist deshalb nicht verlängert wird. Infolgedessen kommt es darauf an, ob die Kläger dargelegt und glaubhaft gemacht haben, dass ihrem Prozessbevollmächtigten die Einholung der gegnerischen Einwilligung nicht möglich oder unzumutbar war. Zwar hat der Klägervertreter am 9. März 2023 einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Da die Beklagtenvertreterin ihre Einwilligung nicht erklärt hatte, enthielt der Antrag hierzu auch keine Angaben. Der Klägervertreter wusste aber, dass ihm eine zweite Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur unter Darlegung der Einwilligung der Gegenseite gewährt werden würde. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass der Klägervertreter am 9. März gehalten gewesen wäre, zuerst die Beklagtenvertreterin um Abgabe der (erforderlichen) Einwilligung zu ersuchen. Den Klägervertreter kann nicht entlasten, dass die Beklagtenvertreterin nur unter der Bedingung, dass der Klägervertreter einen ärztlichen Nachweis über seine Erkrankung vorlegt, bereit war, ihre Einwilligung zu erklären. Hätte er die Beklagtenvertreterin am 9. März um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht, so hätte er von der Bedingung der Beklagtenvertreterin frühzeitig Kenntnis erlangt und ihm wäre es dann (am 9. oder 10. März) noch möglich gewesen, einen ärztlichen Nachweis zur Vorlage gegenüber der Beklagtenvertreterin einzuholen. Diese Maßnahmen waren auch geboten, weil der Klägervertreter nach den Ausführungen der Rechtsbeschwerde bereits zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, die Berufungsbegründung, wegen deren Anfertigung er an diesem Tag in sein Büro gefahren war, zu fertigen. Nach den Feststellungen des OLG hätte die Beklagtenvertreterin die Einwilligung erteilt, wenn ihr das Attest vorgelegt worden wäre.

 

Fazit: Bei Einwilligung des Gegners ist das Vertrauen des Berufungsklägers in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben wird. (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2023 – VIa ZB 15/22 -, MDR 2023, 379). Voraussetzung ist aber, dass mit dem Antrag die Einwilligung des Gegner vorgelegt oder zumindest anwaltlich versichert wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Sondereigentumsfähigkeit von Teilen einer Tiefgarage.

Sondereigentumsfähigkeit von Duplex- und Palettenparkern
BGH, Beschluss vom 7. März 2024 – V ZB 46/23

Der V. Zivilsenat befasst sich der alten und der neuen Fassung von § 3 und mit § 5 Abs. 2 WEG.

Die Beteiligten sind Mitglieder einer seit 1996 bestehenden Gemeinschaft von Wohnungseigentümern. Im Grundbuch ist unter anderem Sondereigentum an 18 Stellplätzen in der Tiefgarage eingetragen, die ausweislich des Aufteilungsplans auf einem auf Laufschienen gelagerten, horizontal verschiebbaren Palettensystem eingerichtet sind, um die Zufahrt zu dahinter liegenden Stellplätzen zu ermöglichen.

Im Vorfeld einer Sanierung beantragen die Beteiligten, die Eintragung im Grundbuch dahingehend zu ändern, dass es sich nicht um Sondereigentum handelt, sondern um isolierte Miteigentumsanteile (dazu BGH, Urteil vom 5. Dezember 2003 – V ZR 447/01, NJW 2004, 1798). Das AG hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das Kammergericht zurück.

Das KG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag zurückzuweisen ist, wenn an den in Rede stehenden Stellplätzen wirksam Sondereigentum begründet worden ist. Diese Voraussetzung ist auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 WEG in der für den Streitfall noch maßgeblichen, bis 30. November 2020 geltenden Fassung jedoch nicht gegeben.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 WEG aF gelten Garagenstellplätze als sonderrechtsfähige abgeschlossene Räume, wenn ihre Flächen durch dauerhafte Markierungen ersichtlich sind. Dadurch wird, wie der BGH nunmehr erstmals entscheidet, nicht die Raumeigenschaft fingiert, sondern nur die Abgeschlossenheit. Das danach verbleibende Erfordernis eines Raums ist nur dann erfüllt, wenn dem Stellplatz ein lichter Raum eindeutig zugeordnet ist.

Bei vertikal verstellbaren Duplexparkern ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil ein Teil des Raums abwechselnd vom einen oder vom anderen Parker eingenommen wird.

Bei horizontal verschiebbaren Palettenparkern gilt Entsprechendes, weil sie abwechselnd jeweils einen unterschiedlichen Teil des Raums belegen. Darüber können diejenigen Bereiche, die zum Erreichen dahinter liegender Stellplätze benötigt werden, nach § 5 Abs. 2 WEG nicht zum Gegenstand des Sondereigentums gehören, weil sie von mehreren Wohnungseigentümern gemeinschaftlich genutzt werden.

Nach der im Streitfall noch nicht anwendbaren Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 WEG nF gelten Stellplätze als Räume. Damit sind Stellplätze in Doppelstockgaragen sondereigentumsfähig. Für Palettenstellplätze gilt dasselbe, wenn ein bestimmter Platz auf einer Palette zum alleinigen Gebrauch fest zugewiesen ist.

Praxistipp: Schon nach altem Recht ist ein Doppelstockparker in seiner Gesamtheit sondereigentumsfähig. Sondereigentum an einzelnen Stellplätzen in einem Doppelstockparker oder an Palettenstellplätzen kann in Altanlagen nur durch Änderung der Teilungserklärung begründet werden.

OLG Dresden: Amtlicher Vordruck beim Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz

Vor dem OLG Dresden (Beschl. v. 5.2.2024 – 4 U 74/24) ging es um die Frage nach der Vorlage des amtlichen Vordrucks, wenn Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt wird. Grundsätzlich muss der Vordruck in zweiter Instanz (erneut) vorgelegt werden. Haben sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert, darf allerdings auf einen bereits vorgelegten Vordruck Bezug genommen werden. Die Vorlage des Vordrucks bzw. die Erklärung darf bis zum Ablauf der Berufungsfrist erfolgen. Im hiesigen Fall hatte die Klägerin jedoch lediglich die Vorlage des Vordrucks in Aussicht gestellt, denselben jedoch bis zum Schluss der Instanz nicht vorgelegt.

Unter diesen Umständen hatte der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz keinen Erfolg. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Berufungsverfahren wird jedenfalls deswegen zum Nachteil der Klägerin ausgehen, weil dieser keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen des Versäumnisses der Berufungsfrist mehr bewilligt werden kann. Die Voraussetzung wäre nämlich gewesen, dass die Klägerin innerhalb der erwähnten Frist auch ihre Bedürftigkeit dargelegt hätte. Daran hat es jedoch gefehlt, weil der Vordruck nicht vorlag. Außerdem wurde nicht erklärt, dass sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht verändert haben. Damit ist das beabsichtigte Rechtsmittel endgültig gescheitert.

Bei Prozesskostenhilfeanträgen muss man als Rechtsanwalt stets an den Vordruck denken und gegebenenfalls dem Mandanten deutlich machen, dass davon oftmals das Schicksal des Verfahrens abhängig sein kann, vor allem, wenn es um die Rechtsmittelinstanzen geht! Eine Notlösung könnte sein, das Rechtsmittel ohne Rücksicht auf die Prozesskostenhilfe einzulegen. Freilich hat der Mandant dann auch das Kostenrisiko. Immerhin könnte man den Antrag auf Prozesskostenhilfe dann noch nachschieben.

Anwaltsblog 14/2024: Aufhebung und Zurückverweisung nur bei Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme!

Mit den Voraussetzungen einer Aufhebung und das Zurückverweisung durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht hatte sich in einem Bauschadensersatzprozess der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 1. Februar 2024 – VII ZR 171/22):

 

Die Klägerin als Bestellerin begehrt von dem Beklagten als Werkunternehmer den Ersatz von Mehrkosten und Schadensersatz nach fünf Teilkündigungen eines zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages über ein Kongresszentrum. Das LG hat nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter durch einen Beschluss, der nur von zwei Mitgliedern der Kammer unterzeichnet worden ist, der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs in voller Höhe stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das LG komme nicht in Betracht. Zwar sei das angefochtene Urteil entgegen den gesetzlichen Vorschriften vom Einzelrichter und nicht von der Kammer gefasst worden. Der Verstoß gegen den gesetzlichen Richter sei von Amts wegen zu berücksichtigen. Er sei dadurch begründet, dass gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO grundsätzlich die Zuständigkeit der Kammer gegeben sei, hingegen der Einzelrichter entschieden habe. Zwar habe die Kammer einen Übertragungsbeschluss auf den Einzelrichter gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst. Den Beschluss hätten aber nur zwei von drei Kammermitgliedern unterschrieben. Der Übertragungsbeschluss sei aus diesem Grund nicht wirksam geworden. Eine Zurückverweisung der Sache an das LG komme nicht in Betracht, weil das Verfahren entscheidungsreif sei.

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht war befugt, in der Sache selbst zu entscheiden. Es kann dahinstehen, ob die Zivilkammer des LG wirksam einen Beschluss gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst hat, mit dem der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist. Allerdings war nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO die Kammer zur Entscheidung berufen, weil es sich um eine Streitigkeit aus einem Bauvertrag handelte, für die nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG Spezialkammern bei den Landgerichten bestehen. Gemäß § 348a Abs. 1 ZPO kann die Zuständigkeit des Einzelrichters begründet werden, wenn die Kammer die Sache durch Beschluss auf den Einzelrichter überträgt. Eine Beschlussfassung gemäß § 348a Abs. 1 ZPO setzt indes eine entsprechende interne Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer voraus, deren Vorliegen vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht nicht hinreichend vorgenommen. Aus dem bei den Akten befindlichen schriftlichen Originalbeschluss, auf dem sich lediglich die Unterschriften der Vorsitzenden der Kammer und eines Beisitzers befinden, geht nicht ohne weiteres hervor, ob dem Beschluss eine entsprechende Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer zugrunde lag. Selbst wenn unterstellt wird, dass mangels wirksamer Übertragung der Sache auf den Einzelrichter die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht von dem gesetzlich zur Entscheidung berufenen Richter getroffen worden ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), war eine Zurückverweisung der Sache an das LG nicht geboten. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO lässt im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht grundsätzlich nur dann zu, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein in erster Instanz unterlaufener Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zwingt allerdings ausnahmsweise – ungeachtet der weiteren in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO genannten Voraussetzungen – dann zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht, wenn das erstinstanzliche Verfahren überhaupt keine Grundlage für das Berufungsverfahren darstellen kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht schon mit Blick auf § 547 Nr. 1 ZPO vor, weil erkennendes Gericht dieser Vorschrift nur das Berufungsgericht ist, dessen Entscheidung mit der Revision angegriffen wird.

Nach diesen Maßstäben war eine Zurückverweisung der Sache durch das OLG an das LG gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht geboten. Zu Recht hat das OLG angenommen, die Voraussetzung für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, dass aufgrund des Verfahrensfehlers eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme erforderlich sei, liege nicht vor; der Rechtsstreit sei vielmehr zur Entscheidung reif. Das OLG selbst, das durch drei seiner Mitglieder entschieden hat, war bei der angefochtenen Entscheidung vorschriftsmäßig besetzt. Da es eine eigene Sachentscheidung unter Würdigung der vom LG getroffenen tatsächlichen Feststellungen getroffen und sich nicht lediglich auf die Übernahme der Feststellungen des Einzelrichters beim LG beschränkt hat, ist das Berufungsurteil auch nicht durch eine etwaige fehlerhafte Besetzung des LG beeinflusst worden.

Das OLG war aufgrund der vom LG getroffenen Feststellungen in der Lage, unter selbständiger Würdigung der festgestellten Tatsachen eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Die Zurückverweisung an das Erstgericht soll nach der Konzeption des Gesetzgebers ein Ausnahmefall bleiben. Das Berufungsgericht hat nach § 538 Abs. 1 ZPO grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung an das Gericht erster Instanz ist deshalb für den Fall, dass das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), nur geboten, wenn eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme durch oder infolge der Korrektur des wesentlichen Verfahrensmangels zu erwarten ist, in deren Folge die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz ausnahmsweise zu noch größeren Nachteilen führen würde als die Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht

 

Fazit: Im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, ist eine Zurückverweisung der Sache grundsätzlich nur dann zulässig, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil.

Fernbleiben vom Termin nach Verlegungsantrag und Ablehnungsgesuch
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 – V ZB 53/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Sorgfaltspflichten im Vorfeld eines Einspruchstermins.

Die Klägerin begehrt eine Löschungsbewilligung. Das AG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Der Beklagte hat Einspruch eingelegt.

Fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte die Verlegung des Termins wegen fehlender Akteneinsicht begehrt. Mit einem unmittelbar vor Verhandlungsbeginn eingegangenen Schreiben hat er den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das AG hat den Einspruch durch den abgelehnten Richter durch Versäumnisurteil verworfen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das LG hat die Berufung zu Recht als gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig angesehen, weil der Beklagte in seiner Berufungsbegründung einen Fall der fehlenden oder schuldlosen Säumnis nicht dargelegt hat.

Der Beklagte durfte sich nicht darauf verlassen, dass sein unmittelbar vor dem Termin eingereichtes Ablehnungsgesuch dem abgelehnten Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegt wird. Deshalb war er gehalten, vorsorglich zum Termin zu erscheinen und sein Ablehnungsgesuch ggf. zu wiederholen.

Unabhängig davon reicht die Rüge, ein vor dem Termin gestelltes Ablehnungsgesuch sei fehlerhaft behandelt worden, zur Darlegung fehlender oder unverschuldeter Säumnis im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht aus. Entsprechendes gilt für die Rüge, durch die Nichtgewährung von Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Praxistipp: Bei einem Ablehnungsgesuch während der mündlichen Verhandlung kann der Termin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn anderenfalls eine Vertagung erforderlich wäre.

Anwaltsblog 13/2024: Qualifizierte Signatur eines bestimmenden Schriftsatzes muss nicht vom Verfasser stammen!

Ob die Einreichung einer Berufungsbegründung wirksam war, die vom verfassenden Rechtsanwalt einfach signiert (unterschrieben) und von einem anderen Rechtsanwalt der Sozietät qualifiziert signiert und über dessen beA eingereicht worden ist, ohne den Zusatz „für“ beim Namen des Verfassers aufzuweisen, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23):

 

In einem Anwaltshaftungsprozess hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Berufung legitimierte sich für den beklagten Rechtsanwalt die Rechtsanwaltssozietät G., der der Beklagte selbst angehört. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ist eine Berufungsbegründung als elektronisches Dokument beim Landgericht eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem maschinenschriftlich eingefügten Namen des Beklagten und dem Zusatz „Rechtsanwalt“ ab. Zudem ist er mit der qualifizierten elektronischen Signatur des ebenfalls der Sozietät des Beklagten angehörenden Rechtsanwalts J. versehen, über dessen beA der Schriftsatz übermittelt wurde.

Nachdem das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hatte, hat die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Beklagte hat seine Berufung wirksam unter Beachtung der Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO begründet. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist. Wird der Schriftsatz hingegen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, entsprechen deren Rechtswirkungen unmittelbar denen einer handschriftlichen Unterschrift des Rechtsanwalts gemäß § 130 Nr. 6 ZPO. Durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments mit der qualifizierten Signatur eines Rechtsanwalts übernimmt dieser mithin nicht anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung eines Schriftsatzes die Verantwortung für dessen Inhalt und ist daher verantwortende Person iSv. § 130a Abs. 3 Fall 1 ZPO.

Dem steht nicht entgegen, dass das elektronische Dokument am Schluss seiner Ausführungen den Namen eines anderen Rechtsanwalts als Verfasser nennt. Für einen unterzeichnenden Rechtsanwalt versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift zugleich auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen. Bei Unterzeichnung eines mit dem maschinenschriftlichen Namen seines Verfassers abschließenden Schriftsatzes durch einen anderen von der Partei bevollmächtigten Rechtsanwalt bedarf es auch keines klarstellenden Zusatzes, wie etwa der Verwendung des Worts „für“. Denn bereits dem Umstand der Unterzeichnung des Schriftsatzes durch einen anderen Rechtsanwalt an sich lässt sich entnehmen, dass er an Stelle des Verfassers die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder Unterbevollmächtigter der Partei auftreten wollte. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht der Unterschrift des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt, der das zuvor von einem anderen verfasste elektronische Dokument, das auch mit dessen Namen und Berufsbezeichnung abschließt, qualifiziert elektronisch signiert, bringt wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten. Auch insoweit bedarf es daher keines klarstellenden Zusatzes eines Vertretungsverhältnisses, insbesondere nicht der Verwendung des Worts „für“.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Rechtsanwalt J. als sozietätsangehöriger und somit von dem Beklagten bevollmächtigter Rechtsanwalt diesen mit Anbringung seiner qualifizierten elektronischen Signatur hat vertreten wollen. Damit hat Rechtsanwalt J. zugleich iSv. § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO die Verantwortung für den Inhalt des von seinem Kollegen verfassten und von diesem nur einfach signierten Berufungsbegründungsschriftsatz übernommen.

 

Fazit: Signiert ein Mitglied einer Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elektronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für“) bei der einfachen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen in der Berufungsinstanz.

Zustellung eines Versäumnisurteils
BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit dem Anwendungsbereich von § 531 Abs. 2 ZPO.

Die Kläger nehmen den Beklagten nach dem Scheitern der Übernahme einer Gaststätte auf Rückzahlung von 60.000 Euro in Anspruch. Das LG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Dieses wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 14.5.2022 zugestellt. Das LG hat den am 1.6.2022 eingelegten Einspruch des Beklagten wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen. Das OLG hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG durfte den zweitinstanzlichen Vortrag des Beklagten, wonach das Versäumnisurteil entgegen den Angaben in der Zustellungsurkunde nicht in seinen Briefkasten eingeworfen wurde, sondern in den Briefkasten einer in demselben Haus wohnenden Person gleichen Nachnamens, nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt lassen.

Die ordnungsgemäße Zustellung eines Versäumnisurteils ist von Amts wegen zu prüfen. Diesbezügliches Vorbringen darf nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.

Das OLG wird nach Zurückverweisung zu klären haben, ob das Versäumnisurteil an dem in der Zustellungsurkunde angegebenen Tag in den Briefkasten des Beklagten eingeworfen wurde. Hierbei wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die Beweiskraft der Zustellungsurkunde dadurch beeinträchtigt ist, dass der Vorname des Beklagten darin nicht vollständig angegeben ist.

Praxistipp: Eine Postzustellungsurkunde erbringt nach § 415 ZPO vollen Beweis für die darin angegebenen Zustellungshandlungen. Die Beweiskraft einer solchen Urkunde kann aber gemindert sein, wenn die darin enthaltenen Angaben unvollständig, unklar oder unstimmig sind.

BGH: Erforderlicher Vortrag bei unverschuldeter Säumnis

Der BGH (Beschl. v. 24.1.2024 – XII ZB 171/23, MDR 2024, 517) hatte in einer Familiensache, in der ein zweiter Versäumnisbeschluss ergangen, da die Rechtsanwältin der Antragsgegnerin (erneut) nicht zum Termin erschienen war, zu entscheiden. Gegen diesen Versäumnisbeschluss wurde mit der Begründung Beschwerde eingelegt, die Säumnis sei unverschuldet gewesen. Insoweit behauptete die Rechtsanwältin Folgendes: Um 7.15 Uhr sei sie von Berlin nach Frankfurt (Oder) gefahren, um dort den auf 10:00 Uhr bestimmten Termin wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie unvermittelt „schubweise schwere krampfhafte Zustände“ mit Brechreiz und Durchfall bekommen und deshalb die Fahrt unterbrechen müssen. Mehrfach Versuche, das Gericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, wären nicht erfolgreich gewesen. Auch die Kanzleimitarbeiterin habe „zwischenzeitlich“ mehrfach vergeblich versucht, das Gericht anzurufen. Die Rechtsanwältin habe dann einen Arzt aufgesucht. Der Versäumnisbeschluss erging um 10:55 Uhr. Danach erreichte die Kanzleimitarbeiterin die Richterin.

Das OLG sah keine unverschuldete Säumnis und wies die Beschwerde zurück. Der BGH folgt dem und ließ die Rechtsbeschwerde deshalb nicht zu, sondern verwarf sie. Die Beurteilung der Verschuldensfrage im hiesigen Zusammenhang entspricht derjenigen bei der Wiedereinsetzung. Es muss daher die unverschuldete Säumnis schlüssig dargelegt werden, und zwar innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist. In Fällen wie diesem gilt, dass der Rechtsanwalt alles Mögliche und Zumutbare tun muss, um dem Gericht seine Verhinderung mitzuteilen. Insoweit ist der Vortrag der Rechtsanwältin nicht hinreichend substantiiert. Es fehlen die konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt. Außerdem wurde nicht genau mitgeteilt, wie oft und wann genau die Rechtsanwältin unter welcher Rufnummer versucht haben will, das Gericht zu erreichen. Die bloße Behauptung mehrerer Kontaktversuche mit Geschäftsstelle und Telefonzentrale ist zu pauschal. Da die Rechtsanwältin die Fahrt schon um 9.00 Uhr unterbrochen hatte, wäre eine Kontaktaufnahme kurz vor 10:00 Uhr z. B. schon sorgfaltswidrig zu spät gewesen.

Der BGH ist bezüglich des normalen Prozessstoffs bei der Frage nach der ausreichenden Substanziierung von Behauptungen oftmals sehr großzügig. Letztlich reicht es oft, einfach eine Behauptung aufzustellen, weitere Erläuterungen dazu werden für entbehrlich gehalten. Im Rahmen von Verschuldensprüfungen und bei Wiedereinsetzungsproblemen ist dies jedoch – wie gesehen – nicht der Fall. Hier muss klar Farbe bekannt und ausführlich und nachvollziehbar dargelegt werden. Und: Wenn die für die Begründung eines Rechtsmittels eingeräumten Fristen abgelaufen sind, kann im Regelfall nichts mehr nachgeschoben werden. Derartigen Anträgen muss daher immer besondere Sorgfalt gewidmet werden! Befindet man sich selbst in einer solchen Situation, sollte man vorsichtshalber stets sogleich dokumentieren, welche Versuche man unternommen hat, um das Gericht zu erreichen.

Anwaltsblog 12/2024: Nur eingeschränktes Rechtsmittel gegen zweites Versäumnisurteil!

Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur statthaft, wenn sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Mit den Voraussetzungen einer unverschuldeten Säumnis musste sich der BGH befassen (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 47/23):

 

Auf den Einspruch des Klägers gegen ein Versäumnisurteil hatte das Landgericht Aachen Termin auf den 9. Dezember 2022, 13.00 Uhr bestimmt. Zu diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers bis um 13.20 Uhr nicht erschienen, sondern hat über seine Kanzlei mitteilen lassen, er befinde sich derzeit noch „im Gerichtsgebäude in Essen“ und werde nicht vor 14.30 Uhr zu dem Einspruchstermin erscheinen. Daraufhin hat das LG den Einspruch des Klägers durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Einer der Rechtsanwälte der aus drei Mitgliedern bestehenden Sozietät habe an dem Sitzungstag einen unaufschiebbaren Termin gegen 12.00 Uhr vor dem Amtsgericht Marl wahrgenommen. Aufgrund der unerwarteten Erkrankung eines weiteren Mitglieds der Sozietät habe der dritte Sozietätskollege vertretungsweise zwei auf 11.00 Uhr und 11.15 Uhr anberaumte Termine in Essen vor dem dortigen LG und dem AG wahrnehmen müssen. Nachdem der erste vorgenannte Termin, in dem lediglich Anträge hätten gestellt werden sollen, aus unvorhergesehenen Gründen bis 11.30 Uhr gedauert habe, habe der vorgenannte, in Essen befindliche Rechtsanwalt sein Büro gebeten, das LG Aachen über seine voraussichtliche Verspätung zu informieren und gegebenenfalls um eine Verlegung des dortigen Termins zu ersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass der zweite Termin in Essen nicht länger als 20 Minuten dauern und er bei einer Fahrtzeit von Essen nach Aachen von circa eineinviertel Stunden allenfalls mit einer Verspätung von 15 Minuten nach Terminsaufruf vor dem LG Aachen erscheinen werde. Vollkommen überraschend und unvorhersehbar sei die zweite Sitzung in Essen jedoch erst um circa 13.00 Uhr beendet worden.

Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zu einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin nicht schlüssig vorgetragen, so dass die Berufung unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht ausreichend dargelegt, aus seiner Sicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Termin vor dem Landgericht wahrnehmen zu können.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Kläger hat nicht schlüssig dargetan, dass sein Prozessbevollmächtigter den Einspruchstermin am 9. Dezember 2022 ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt hat. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war nicht ohne Verschulden gehindert war, an der Sitzung vor dem Landgericht in Aachen am 9. Dezember 2022 teilzunehmen. Die Säumnis war nicht aufgrund der Wahrnehmung von Gerichtsterminen in Essen für den erkrankten Sozietätskollegen unverschuldet. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung weder schlüssig dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter „überraschend und unvorhersehbar“ aufgrund der Dauer des erst um 11.30 Uhr beginnenden Termins vor dem AG Essen bis um 13.00 Uhr an der Wahrnehmung des Einspruchstermins in Aachen gehindert gewesen sei, noch, dass wegen einer (absehbaren) Kollision des zweiten in Essen anberaumten Verhandlungstermins mit dem Einspruchstermin der zuletzt genannte Termin hätte verlegt werden müssen. Eine Terminsverlegung oder -vertagung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird.

Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon zu Beginn der zweiten Verhandlung in Essen um 11.30 Uhr nicht mehr von einer rechtzeitigen Ankunft beim LG Aachen ausgehen durfte. Denn der Prozessbevollmächtigte konnte weder von einem pünktlichen Beginn der Sitzung vor dem AG Essen um 11.15 Uhr noch von einer maximal 20minütigen Dauer der dortigen Verhandlung sicher ausgehen. Denn der zeitliche Verlauf einer Sitzung lässt sich – wie der tatsächliche Beginn der Sitzung um 11.30 Uhr und deren Dauer von anderthalb Stunden zeigen – erfahrungsgemäß grundsätzlich nicht zuverlässig voraussagen. Ein Prozessbevollmächtigter muss daher bei seiner Zeitplanung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers musste deshalb nicht nur einen späteren Beginn der zweiten Sitzung in Essen – von hier lediglich einer Viertelstunde -, sondern auch eine längere Verhandlungsdauer vorsorglich einplanen. Für ihn war deshalb spätestens um 11.30 Uhr absehbar, dass er schon bei einer (einzukalkulierenden) geringfügigen Überschreitung der von ihm angesetzten Verhandlungsdauer selbst unter Berücksichtigung einer möglichen Wartezeit von etwa 15 Minuten nach Aufruf der Sache vor dem LG Aachen nicht mehr rechtzeitig in dem Einspruchstermin würde erscheinen können. Allein mit dem späteren Beginn und der tatsächlichen Dauer der Verhandlung vor dem AG Essen konnte der Prozessbevollmächtigte deshalb sein Fernbleiben in dem Einspruchstermin nicht entschuldigen.

Das Landgericht war auch nicht gehalten, den Einspruchstermin wegen der (absehbaren) Kollision mit dem Verhandlungstermin in Essen auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu verlegen. Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer Partei aufgrund eines bereits zuvor anberaumten kollidierenden Verhandlungstermins kann einen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung darstellen. Eine Kollision setzt voraus, dass die Wahrnehmung beider Termine zeitlich nicht möglich ist. In die Entscheidung über die Terminsverlegung sind alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls einzubeziehen, beispielsweise die Art des kollidierenden Gerichtstermins und des Zeitpunkts seiner Bestimmung, die Besonderheiten der Mandatsbeziehung, die Möglichkeit, den kollidierenden Termin zu verlegen oder einen der Termine durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen. Ausnahmsweise kann auch ein später anberaumter Termin Vorrang vor einem früher bestimmten Termin genießen, etwa wenn ein Verhandlungstermin bereits verlegt worden ist, prozessuale Gründe die Durchführung dieses Termins gebieten, es sich um einen Termin zur Durchführung einer aufwendigen Beweisaufnahme oder ein besonders eilbedürftiges Verfahren handelt. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger bereits einen erheblichen Grund iSv. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verlegung des Einspruchstermins in Aachen nicht schlüssig dargelegt. Das Berufungsgericht hat deshalb jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Verlegung des Einspruchstermins aufgrund des von dem Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Sachverhalts nicht in Betracht kam.

Es kommt vor diesem Hintergrund auch nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon um 11.30 Uhr seine Mitarbeiter gebeten hat, das Landgericht in Aachen über seine voraussichtliche Verspätung aufgrund des Gerichtstermins in Essen zu informieren und um eine Terminsverlegung zu ersuchen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zu Recht als unerheblich angesehen. Es hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen durfte, seinem (behaupteten) Verlegungsantrag werde entsprochen. Denn (allein) der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins – ohne Darlegung eines erheblichen Grunds – entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind.

 

Fazit: Eine Terminsverlegung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob es bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt, nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Kosten für Schönheitsreparaturen in einer Mietwohnung.

Individuell vereinbarte Quotenabgeltungsklausel
BGH, Beschluss vom 6. März 2024 – VIII ZR 79/22

Der VIII. Zivilsenat ergänzt seine Rechtsprechung zu Klauseln, die den Mieter für den Fall eines Auszugs vor Fälligkeit von Schönheitsreparaturen zur anteiligen Kostentragung verpflichten.

Die Beklagte hatte seit Mai 2015 eine Wohnung vermietet. Die Kläger traten im Oktober 2015 anstelle des vorherigen Mieters in den Mietvertrag ein. Damals vereinbarten die Parteien, dass die Kläger die vom Vormieter eingegangene Verpflichtung zur Zahlung anteiliger Kosten bei Auszug vor Fälligkeit von Schönheitsreparaturen übernehmen und dass es deshalb bei einer dem Vormieter gewährten Reduzierung der monatlichen Miete um 80 Euro verbleibt.

Das Mietverhältnis endete mit Ablauf des Monats Mai 2018. Die Beklagte behielt von der geleisteten Kaution einen Teilbetrag von rund 1.250 Euro wegen anteiliger Kosten für Schönheitsreparaturen ein. Das AG wies die auf Zahlung dieses Betrags gerichtete Klage ab. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG ist für die Entscheidung des Streitfalls erheblich, ob die vertragliche Regelung über die anteilige Kostenpflicht eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder eine Individualvereinbarung darstellt.

Als Allgemeine Geschäftsbedingung ist eine solche Klausel nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil für den Mieter nicht absehbar ist, welche Kostenbelastung auf ihn zukommt (BGH, Urt. v. 18.3.2015 – VIII ZR 242/13, MDR 2015, 636).

Eine Individualvereinbarung dieses Inhalts ist hingegen wirksam.

  • 556 Abs. 4 BGB, wonach Vereinbarungen über Betriebskosten nicht zum Nachteil des Mieters von den Vorgaben in § 556 Abs. 1 BGB abweichen dürfen, steht solchen Regelungen entgegen der Auffassung des LG nicht entgegen. Kosten für Schönheitsreparaturen sind keine Betriebskosten. Sie betreffen vielmehr die Instandhaltung und Instandsetzung der Mietsache. Die diesbezügliche Pflicht obliegt zwar gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Vermieter. Diese Regelung ist aber dispositiv.

Das LG wird deshalb zu prüfen haben, ob die für den Streitfall relevante Regelung individuell ausgehandelt worden ist. Hierfür genügt es nicht, dass die Kläger die Wahl zwischen der vereinbarten Klausel und einer um 80 Euro höheren Miete hatten. Vielmehr müssen sie die Möglichkeit gehabt haben, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung einzubringen.

Praxistipp: Eine Pflicht zur Vornahme von Renovierungsarbeiten für den Fall, dass die Räume mehr als unerhebliche Gebrauchsspuren aufweisen, kann nach der neueren Rechtsprechung des BGH in AGB nicht wirksam vereinbart werden, wenn die Wohnung in nicht renoviertem Zustand übergeben worden ist (BGH, Urt. v. 18.3.2015 – VIII ZR 185/14, MDR 2015, 578).