OLG Frankfurt a. M.: Verzögerungsgebühr wegen Nichttragens einer Maske

Das OLG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 27.9.2022 – 7 WF 116/22) hatte über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 32 FamGKG bei Zuwiderhandlung und Terminsvertagung zu entscheiden.

Im Rahmen einer Sitzung des Familiengerichts ordnete der Richter am Amtsgericht an, dass die Beteiligten eine Maske zu tragen haben. Eine Rechtsanwältin war dazu nicht bereit. Der Richter bestimmte daher einen neuen Termin. Das Gericht legte der Partei gemäß § 32 S. 1 FamGKG eine Verzögerungsgebühr auf. Dagegen richtet sich die unbefristete Beschwerde der Partei nach § 60 FamGKG, die allerdings erfolglos bleibt.

Gemäß § 176 Abs. 1 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Eine Maskenanordnung fällt darunter, da eine Infektion der Beteiligten mit dem Corona-Virus verhindert werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auch gegenüber den Prozessvertretern möglich. Die erfolgte Anordnung ist von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt. Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG liegt darin nicht. Die Befugnis des § 176 Abs. 1 GVG ist von dem Hausrecht unabhängig. Der Umstand, dass andere Richter abweichende oder gar keine Anordnung treffen, macht die vorliegende Anordnung der Richterin weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass eine Maske dazu geeignet ist, die weitere Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Selbst wenn der Rechtsanwältin die Verzögerung vorzuwerfen ist, so ist die Gebühr gleichwohl gegen die Partei festzusetzen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 FamGKG ergibt. Die Rechtsanwältin wird diese Gebühr jedoch der Partei erstatten müssen, da sie diese Rechtsprechung kennen musste und gehalten ist, die Festsetzung derartiger Gebühren gegen die Partei von vornherein zu verhindern, um unnötige finanzielle Belastung der Mandantschaft zu vermeiden. Als Anspruchsgrundlage dürfte § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mandatsvertrag  heranzuziehen sein.

Blog powered by Zöller: Fußangeln beim beA

Sieht man von gelegentlichen technischen Pannen ab, hat sich die Übermittlung von Anwaltsschriftsätzen an die Gerichte über das besondere elektronische Anwaltspostfach gut eingespielt. Der Nutzer muss aber auch umsichtig mitspielen, so z.B. beim Signieren des Schriftstücks.

Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO genügt bei der Nutzung des beA die einfache Signatur, d.h. die Namensangabe der verantwortenden Person. Diese ist aber auch erforderlich. Es genügt nicht, den Schriftsatz – wie zu früheren Zeiten – mit der Angabe „Rechtsanwalt“ und einer unleserlichen (eingescannten) Unterschrift zu versehen. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf Rückschlüsse auf den Unterzeichner ziehen lassen (z.B. weil dort nur ein Rechtsanwalt oder nur eine Rechtsanwältin aufgeführt ist), liegt keine wirksame Einreichung des Schriftsatzes vor (so BGH v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22, MDR 2022, 1362). Das BAG hat zwar kurz zuvor entschieden, dass bei einem Rechtsanwalt, der im Briefkopf als Einzelanwalt ausgewiesen wird, regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ für die einfache Signierung ausreicht (BAG v. 25.8.2022 – 2 AZN 234/22, NJW 2022, 3028). Ob sich diese Auffassung durchsetzt, ist aber ungewiss. Man sollte nicht darauf vertrauen und vorsichtshalber den Namen angeben oder eine Unterschrift einscannen. Aber auch dabei ist Vorsicht geboten: Die Unterschrift muss leserlich sein, d.h. auch ohne Sonderwissen den Namen des Urhebers erkennen lassen (BSG v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21 B, NJW 2022, 1334).

Vorsicht ist ferner am Platze, wenn man sich des für eine Berufsausübungsgesellschaft eingerichteten beA bedient (was seit August dieses Jahres möglich ist; s. Zöller § 130a ZPO Rn. 11a). Die BRAK hat mitgeteilt, dass es aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz derzeit nicht möglich ist, die Identität der Person zu übermitteln, die im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am Gesellschafts-beA angemeldet war. Das Gericht kann daher nicht feststellen, ob die den Schriftsatz verantwortende Person mit der ihn versendenden Person identisch ist.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen BRAK und Deutscher Anwaltverein, Schriftsätze, die aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft eingereicht werden sollen, qualifiziert elektronisch zu signieren oder zumindest darauf zu achten, dass der verantwortende Rechtsanwalt sich selbst am Kanzlei-beA anmeldet und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lasse sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

 


Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.


 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Möglichkeit einer Erledigungserklärung nach Erfüllung der Forderung im Mahnverfahren.

Erledigungserklärung nach Zahlung im Mahnverfahren
BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 93/22

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit den Möglichkeiten des Gläubigers, eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erlangen, nachdem der Schuldner die geltend gemachte Forderung nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt hat.

Die Klägerin hat für die beiden Beklagten Entwässerungsarbeiten durchgeführt. Die nach Anrechnung von Abschlagszahlungen in Rechnung gestellte restliche Vergütung von rund 2.000 Euro haben die Beklagten trotz mehrfacher Mahnungen nicht bezahlt. Gegen ihr zugestellte Mahnbescheide legten die Beklagten zunächst Widerspruch ein. Zwei Tage später zahlten sie den geltend gemachten Betrag. Eine Woche später gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnbescheid bezeichnete Prozessgericht ab. Dieses verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an ein anderes AG. Dort beantragte die Klägerin die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, und hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagten die Kosten der Rechtsverfolgung als Gesamtschuldner zu erstatten haben. Die Anträge blieben in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Erledigungserklärung der Klägerin ist zulässig, weil die Beklagten die geltend gemachte Forderung nach Rechtshängigkeit erfüllt haben. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, weil sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Zahlung der Beklagten ist nach dem danach maßgeblichen Datum erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bedarf § 696 Abs. 3 ZPO in diesem Zusammenhang keiner einschränkenden Auslegung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in § 696 Abs. 3 ZPO vorgesehene Rückwirkungsfiktion dazu führt, dass das Prozessgericht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch dann zuständig bleibt, wenn der Streitwert nach Zustellung des Mahnbescheids und vor Abgabe des Verfahrens unter die maßgebliche Schwelle absinkt. Selbst wenn § 696 Abs. 3 ZPO insoweit einschränkend auszulegen wäre, steht dies der Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen.

Praxistipp: Damit die Rückwirkungsfiktion greifen kann, muss der Gläubiger die Gebühr für die Abgabe an das Streitgericht spätestens zwei Wochen nach Anforderung bezahlen. Alternativ dazu kann er in solchen Fällen den Mahnantrag bezüglich der Hauptforderung zurücknehmen und vor dem Prozessgericht eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO beantragen.

OLG Düsseldorf: Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren

Es besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Hauptsache nicht vorweggenommen werden soll. Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz sowie zu weiteren interessanten Fragen in diesem Zusammenhang hat sich das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 20.10.2022 – 26 W 6/22) geäußert.

Die Parteien sind durch einen Energielieferungs-Vertrag verbunden. Die Antragstellerin beantragt, die von der Antragsgegnerin vorgenommene Preiserhöhung für unwirksam zu erklären. Nachdem das LG den Antrag zurückgewiesen hatte, legte die Antragstellerin direkt beim OLG sofortige Beschwerde ein.

Das OLG weist die Beschwerde direkt zurück, und zwar ohne die Sache an das LG zum Treffen einer Abhilfeentscheidung zurückzugeben. Wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine sofortige Beschwerde direkt bei dem Beschwerdegericht eingelegt wird, muss das Ausgangsgericht nämlich nicht zwingend über die Abhilfe entscheiden.

In der Sache selbst bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nur zulässig, wenn ein Unterbleiben einer Entscheidung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schäden führt und kein entsprechender Nachteil beim Gegner eintreten würde. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Vorliegend ging es jedoch nur um finanzielle Belange. Eine Einstellung der Weiterbelieferung mit Energie stand nicht zur Diskussion. Eine wirkliche Notlage hatte die Antragstellerin allerdings nicht dargelegt. Hierfür hätte sie im Einzelnen auf ihre finanziellen Verhältnisse eingehen müssen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Preiserhöhung voraussichtlich unwirksam war, weil sie den Voraussetzungen des § 41 Abs. 5 S. 2 EnWG nicht entsprach.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderweit anhängigen Rechtsstreits.

Vorgreiflichkeit bei Streit um vormerkungsgesicherten Anspruch
BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – V ZB 22/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO und der Reichweite der Rechtskraft.

Die Klägerin hat im Jahr 2018 ein Grundstück erworben. Noch vor ihrer Eintragung als Eigentümerin wurde zugunsten der beiden Beklagten aufgrund einer einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Einräumung eines Nießbrauchs am Grundstück eingetragen. Die Klägerin klagt vor dem AG auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Sie macht geltend, sie habe das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben; zudem bestehe der gesicherte Anspruch nicht.

In einem parallel geführten Rechtstreit vor dem LG klagen die hiesigen Beklagten gegen den früheren Eigentümer des Grundstücks auf Zustimmung zur Eintragung des Nießbrauchs. Das AG hat das Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits ausgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das AG zurück.

Die Voraussetzungen des § 148 Abs- 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem LG für das vorliegende Verfahren nicht vorgreiflich ist. Die vom LG zu entscheidende Frage, ob der gegen den früheren Eigentümer gerichtete Anspruch auf Einräumung eines Nießbrauchs besteht, ist im vorliegenden Rechtsstreit zwar entscheidungserheblich. Eine Entscheidung des LG über diese Frage ist aber nur für die Parteien jenes Prozesses bindend, also für die hiesigen Beklagten und den früheren Eigentümer des Grundstücks, nicht aber für die hiesige Klägerin.

Eine Aussetzung allein aus Gründen der Prozessökonomie ist nach § 148 Abs. 1 ZPO nicht zulässig.

Praxistipp: Für den Erwerber könnte es sich in solchen Situationen empfehlen, dem früheren Eigentümer dem Streit zu verkünden, um zumindest die Regressmöglichkeit für den Fall abzusichern, dass die Vormerkung gelöscht, der Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs aber bejaht wird.

Blog powered by Zöller: Video erobert die Justiz

„Hören Sie mich?“ Diese für Videokonferenzen typische Frage wird bald auch in Gerichtsverhandlungen häufiger zu vernehmen sein. Der Grund: Einem soeben veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten des Bundesjustizministeriums zufolge soll künftig wesentlich häufiger per „Bild- und Tonübertragung“ (§ 128a ZPO) verhandelt werden.

  • Bisher konnte das Gericht den Beteiligten nur gestatten, sich per Video zu einer im Gerichtssaal stattfindenden Verhandlung zuzuschalten; künftig soll der Vorsitzende anordnen können, dass die ganze Verhandlung virtuell stattfindet.
  • Bisher konnte ein Beteiligter trotz der Gestattung persönlich zur Verhandlung seiner Sache erscheinen; künftig bedarf er hierfür einer Ausnahmebewilligung.

Und wenn beide Parteien virtuell verhandeln wollen, kann der Vorsitzende dies dem Entwurf zufolge nur mit guten Gründen ablehnen. Weil der Entwurf hiergegen die sofortige Beschwerde zulässt, kann dem Gericht eine virtuelle Verhandlung auch von oben auferlegt werden. Laut Entwurfsbegründung darf die Ablehnung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht mit der Bedienung der Videokonferenztechnik nicht vertraut ist oder die Technik als störend empfindet. Es wird also unabdingbar sein, die Richterinnen und Richter in der durchaus anspruchsvollen Moderation von Videokonferenzen fortzubilden.


 

 

Die perfekte Basisausstattung zum Zivilprozessrecht. Mit neuen Kommentierungen zu digitalen Themen und topaktuellen Annotationen zu Gesetzesänderungen und wichtiger neuer Rechtsprechung. Hier gratis testen!

 

 

 


Nach dem Entwurf kann der Vorsitzende künftig auch vom Büro oder von Zuhause aus die Verhandlung leiten. Die weiteren Mitglieder des Spruchkörpers bekommen einen gesonderten Zugang, sodass Gerichtsverhandlungen mehr einem Video-Chat ähneln, bei dem Richter, Rechtsanwälte, Parteien, Dolmetscher, ggf. auch Sachverständige und Zeugen nur noch als Kacheln auf dem Monitor erscheinen, eventuell mit einer bunten Vielfalt von virtuellen oder realen Hintergründen und sehr unterschiedlicher Bild- und Tonqualität. Die gesetzlich gebotene Öffentlichkeit dieser Veranstaltung soll dadurch hergestellt werden, dass sie in einen allgemein zugänglichen Raum des Gerichts übertragen wird. Den beim TV-Publikum so beliebten Gerichtsshows wird also ein ganz neues Format hinzugesellt – noch dazu mit realen Fällen. Wie dieses Reality-TV – insbesondere bei größeren Gerichten – organisatorisch bewältigt werden soll, überlässt der Entwurf den Gerichtsverwaltungen. Eine Monitorwand mit Kopfhörern dürfte kaum eine angemessene Lösung sein.

Auch zur Urteilsberatung müssen sich die Richter künftig nicht mehr in nüchternen Diensträumen zusammensetzen. Möglicherweise fällt die Rechtsfindung ja von der heimischen Couch aus leichter –  vorausgesetzt, dass Mitbewohner zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses ferngehalten werden (auch das steht sinngemäß in dem Entwurf). Ob die Diskussion mit dem Monitorbild dieselbe Qualität hat wie der Diskurs in Rede und Widerrede, darf freilich bezweifelt werden. Auch könnte das kollegiale Klima darunter leiden, dass die Kammer- oder Senatsmitglieder sich auf die Form der Beratung einigen müssen und hierbei die Abwägung zwischen Bequemlichkeit und Gründlichkeit unterschiedlich ausfallen kann.

Die öffentliche mündliche Verhandlung mag in manchem Standardfall als unnötige Formalität erscheinen – dann sollte auf sie aber, was § 128 Abs. 2 ZPO ja ermöglicht, ganz verzichtet werden. Erscheint mündliches Verhandeln geboten, sollte auf elektronische Medien nur dann zurückgegriffen werden, wenn dies nach richterlichem Ermessen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten ist. Kein Prozessbeteiligter sollte zu dieser Form der Kommunikation gezwungen, wo sie sachgerecht ist, ein dem Rechtsprechungsvorgang angemessener Rahmen gewahrt werden. Vermehrt sollte die Videotechnik aber bei der informellen Kommunikation zwischen Gericht und Parteivertretern außerhalb der mündlichen Verhandlung zum Einsatz kommen, etwa um Verfahrensmodalitäten abzusprechen oder rechtliche Hinweise zu geben. Durch solche Verfahrenskonferenzen oder Erörterungstermine (s. dazu Zöller § 273 Rn 15) können echte Verfahrenserleichterungen herbeigeführt werden. Eine zu weitgehende Virtualisierung der Rechtsprechung ginge hingegen zu Lasten ihrer Qualität und ihrer Reputation (dazu Zöller § 128a Rn 1 m.w.N.).

 


Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.


 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch eines rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Anwalt auf Ersatz angefallener Kosten wegen unzureichender Beratung.

Kostenschaden auch bei Rechtsschutzversicherung
BGH, Urteil vom 29. September 2022 – IX ZR 204/21

Der IX. Zivilsenat wendet die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Kostenschaden eines rechtschutzversicherten Mandanten an.

Der beklagte Rechtsanwalt erwirkte im Jahr 2009 im Auftrag des Klägers ein Versäumnisurteil über einen Betrag von 30.000 Euro nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber einer Bank als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür beim Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage einzuholen. Nach Erteilung der Deckungszusage erwirkte der Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Nach dessen Zustellung erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zum Schuldner bestehe nicht mehr. Eine vom Beklagten gegen die Bank erhobene Klage auf Auskunft und Zahlung blieb erfolglos.

Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten Ersatz der für die Rechtsverfolgung gegen die Bank angefallenen Kosten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG kann ein ersatzfähiger Schaden nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger rechtsschutzversichert war und das Vorgehen gegen die Bank von einer Deckungszusage abhängig gemacht hat. Der gegen den Rechtsschutzversicherer gerichtete Anspruch auf Kostenbefreiung dient nicht der Verhinderung eines Schadens, sondern dessen Übernahme durch den Versicherer.

Praxistipp: Soweit der Rechtsschutzversicherer die Kosten bereits gezahlt hat, geht der Ersatzanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf ihn über. Insoweit kann der Mandant den Anspruch gegen seinen Anwalt nur noch dann geltend machen, wenn er ihn sich vom Versicherer abtreten lässt.

BGH: Notieren einer Vorfrist

Der BGH (Beschl. v. 20.09.2022 – VI ZB 17/22) hat sich im Rahmen der Überprüfung eines vom OLG zurückgewiesenen Wiedereinsetzungsantrages dazu geäußert, wann eine Vorfrist zu notieren ist.

Eine ansonsten zuverlässige Angestellte der Rechtsanwältin hatte es versehentlich versäumt, das Ende der richtig berechneten Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Dies fiel leider erst nach Fristablauf auf. Eine Wiedereinsetzung rechtfertigt dies jedoch nicht, weil es keine grundsätzliche Weisung der Rechtsanwältin gab, für Berufungsbegründungen eine Vorfrist einzutragen. Dies ist für alle Prozesshandlungen erforderlich, die mehr als nur geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordern, was bei einer Berufungsbegründung der Fall ist. Das Notieren der Vorfrist führt außerdem zu einer zusätzlichen Sicherung, weil sie sicherstellt, dass die eigentliche Frist gewahrt wird, selbst wenn es versäumt wurde, diese einzutragen.

Die Frage war, ob dieses Versäumnis überhaupt ursächlich für das Fristversäumnis war. Der Anwalt hatte natürlich eingewandt, die Angestellte hätte voraussichtlich auch vergessen, die Vorfrist zu notieren. Dies akzeptiert der BGH nicht. Wenn nicht alle zumutbaren und möglichen Maßnahmen ergriffen wurden, geht es zu Lasten des Anwalts, wenn nicht festgestellt werden kann, wie sich die Sache entwickelt hätte. Die Angestellte hatte die Frist grundsätzlich richtig berechnet und auch in der Akte vermerkt. Bei einem ordnungsgemäßen Vorgehen wäre die Vorfrist vermerkt worden. Damit hatte das OLG den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht zurückgewiesen und gleichfalls zu Recht die Berufung verworfen.

Fazit: Es darf daher niemals vergessen werden, bei allen Fristen auch eine Vorfrist zu notieren, wenn die maßgebliche Prozesshandlung nicht einfach und schnell zu erledigen ist. Eine entsprechende Weisung an die Mitarbeiter muss ergehen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit eines Grundurteils und einer Zurückverweisung der Sache von der zweiten in die erste Instanz.

Grundurteil und Zurückverweisung in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2022 – XI ZR 606/20

Der XI. Zivilsenat formuliert grundlegende Anforderungen an die Prozessökonomie.

Die Beklagte war in den 1990er Jahren mit dem Bruder des Klägers (nachfolgend: Zedent) liiert. Beide beteiligten sich an wirtschaftlichen Unternehmungen des jeweils anderen. Im Zeitpunkt der Trennung im Jahr 1999 war der Zedent in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Beklagte wurde von seinen Gläubigern in Anspruch genommen. Anfang 2005 unterzeichnete sie einen Schuldschein über einen dem Zedenten zu zahlenden Betrag von 600.000 Euro, der am 31.5.2022 fällig werden und mit 6 % pro Jahr zu verzinsen sein sollte. Anfang 2010 trat der Zedent diese Forderung an den Kläger ab. Im Jahr 2013 wurde über das Vermögen des Zedenten das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter focht die Abtretung der Forderung aus dem Schuldschein gegenüber dem Kläger an und trat die daraus resultierenden Rückgewähransprüche an die Beklagte ab.

Das LG wies die auf Zahlung des im Schuldschein ausgewiesenen Betrags gerichtete Klage ab, weil es die Abtretung der Forderung an den Kläger für nicht bewiesen ansah. In der Berufungsinstanz rechnete die Beklagte hilfsweise mit 19 verschiedenen Gegenforderungen in einer Gesamthöhe von rund 2,8 Millionen Euro auf. Höchst hilfsweise machte sie geltend, aufgrund der an sie abgetretenen Rückgewähransprüche aus der Insolvenzanfechtung stehe ihr der dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) zu. Der Kläger beantragte zunächst die Zurückverweisung der Sache an das LG. Nach der Berufungsverhandlung nahm er diesen Antrag zurück und bat um eine Sachentscheidung durch das OLG. Dieses erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt und verwies die Sache wegen der Höhe an das LG zurück.

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Erlass eines Grundurteils war im Streitfall schon deshalb unzulässig, weil das OLG nicht über alle für den Grund des Anspruchs relevanten Fragen entschieden hat. Das Bestehen des Klageanspruchs ist im Streitfall schon deshalb in Frage gestellt, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszuschließen ist, dass die Hilfsaufrechnung in Höhe des gesamten Klagebetrags Erfolg hat. Darüber hinaus hätte das OLG über den dolo-agit-Einwand entscheiden müssen, und zwar vor der Entscheidung über die Hilfsaufrechnung. Die abweichende Reihenfolge der von der Beklagten gestellten Anträge ist unbeachtlich, weil sie gegen die Pflicht zur Prozessförderung verstößt [und wohl schon deshalb, weil es nicht in der Macht der Parteien steht, dem Gericht eine Reihenfolge für die Prüfung einzelner Anspruchsvoraussetzungen vorzugeben].

Das OLG hätte die Sache ferner nicht an das LG zurückverweisen dürfen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der erforderliche Antrag nicht nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden kann, sondern bis zum Erlass des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hat darüber hinaus verkannt, dass eine Zurückverweisung in die erste Instanz nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und die Erforderlichkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme keinen zureichenden Grund darstellt.

Praxistipp: Durch eine Entscheidung, mit der das Berufungsgericht die Sache an die Vorinstanz zurückverweist, sind beide Parteien beschwert.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um ein nicht alltägliches Kriterium für die Gesetzesauslegung.

Reichweite der Schonfrist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB
BGH, Urteil vom 5. Oktober 2022 – VIII ZR 307/21

Der VIII. Zivilsenat bestätigt seine Rechtsprechung und stützt sie auf ein zusätzliches Argument.

Der Beklagte ist seit 1984 Mieter einer Wohnung in Berlin. Seit 2012 zahlte er eine um 20 % (von 307 auf 240 Euro) reduzierte Miete, weil die Wohnung nach dem Anbau eines Balkons verschattet und ein Spielplatz entfernt worden sei. Die Klägerin erwarb die Wohnung im Jahr 2014. Im Jahr 2017 klagte sie auf Zahlung der aufgelaufenen Mietrückstände. Die Klage hatte in erster Instanz vollständig und in zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg. Daraufhin erklärte die Klägerin im Jahr 2018 wegen der Mietrückstände die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Nach Zustellung der Räumungsklage zahlte der Beklagte die rückständige Miete.

Die Räumungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Das LG wies sie auf die Berufung des Beklagten ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG kann die nachträgliche Begleichung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB allenfalls zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung führen, nicht aber zur Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung.

Der BGH hält an dieser von ihm seit 2006 vertretenen Rechtsauffassung auch im Lichte der daran wiederholt geäußerten Kritik des LG fest. Zur Begründung verweist er auf eine frühere Entscheidung. Ergänzend tritt er dem vom LG angeführten Argument entgegen, dem seitherigen Schweigen des Gesetzgebers könne kein Bestätigungswille entnommen werden: Der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung des Senats nicht lediglich unbeanstandet gelassen. Vielmehr habe er mehrfach Gesetzesanträge, die auf eine abweichende Regelung abzielten, ausdrücklich abgelehnt. Dies spreche im Ergebnis eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber das Normverständnis des Senats weiterhin als geltende Rechtspraxis ansehe und an diesem Rechtzustand keine Änderungen vornehmen möchte.

Praxistipp: Für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung kann von Bedeutung sein, ob der Mieter die Zahlung wegen geltend gemachter Mängel verweigert hat oder deshalb, weil er zur Zahlung nicht in der Lage war und die Sozialbehörden ihn nicht in der gebotenen Weise unterstützt haben.