Call for Papers: Online-Tagung zum „Das Verfahrensrecht in den Zeiten der Pandemie“ am 2./3. Mai 2020

Die Herausgeber der Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) planen, am 02./03. Mai 2020 eine Tagung zum Thema „Das Verfahrensrecht in den Zeiten der Pandemie“ durchzuführen, die sich mit den besonderen Herausforderungen der derzeitigen Situation auf prozessualem Gebiet auseinandersetzt. Eine Bewerbung ist sowohl mit Themen aus der Sparte des Zivil-, Straf- oder Verwaltungsprozessrechts als auch mit übergreifenden Themen, die verschiedene Prozessrechtssparten betreffen, möglich.

Die Tagung wird als Online-Konferenz stattfinden: Die Referenten reichen ihre Beiträge als Video von ca. 20-30 Minuten Dauer ein, wobei die Angabe zur Dauer eher als Empfehlung denn als feste Vorgabe zu verstehen ist. (Eine Anleitung, wie man aus Powerpoint heraus Folien mit Ton versieht und als Video exportiert, finden Sie unter https://www.jura.uni-koeln.de/18883.html.) Zum Tagungswochenende werden diese Videos bei Youtube hochgeladen und die Links auf einer zentralen Tagungshomepage veröffentlicht. Außerdem wird dort ein Zeitfenster von zwei Stunden bekanntgegeben, innerhalb dessen dem Referenten Fragen mit Hilfe der Youtube-Kommentarfunktion gestellt werden können. Der Referent kann dann in einem weiteren Zeitfenster von zwei Stunden innerhalb der Kommentarfunktion zu den Fragen Stellung beziehen.

Publikationsreife Beiträge können im nächsten GVRZ-Heft veröffentlicht werden, das Anfang Juli erscheinen wird. Bei der GVRZ handelt es sich um eine Online-Zeitschrift, die im juris-Hochschulmodul im Volltext zugänglich ist.

Der Zeitplan ist angesichts der Aktualität des Themas und der drängenden Probleme sehr ambitioniert:

  • Frist zur Einreichung von Bewerbungen für Vorträge (kurze Darstellung des Themas bis 5.000 Zeichen + Lebenslauf des Bewerbers/der Bewerberin): 13.04.2020
  • Auswahl der Vorträge durch das Herausgeberteam der GVRZ bis 15.04.2020
  • Frist zur Einreichung der Videos: 30.04.2020
  • Durchführung der Tagung: 02./03.05.2020
  • Einreichung der Manuskripte bis 11.05.2020
  • Erscheinen des GVRZ-Heftes 2/2020: Anfang Juli 2020

Die sich momentan aufdrängenden Themen sind vielfältig. Exemplarisch seien genannt

  • Einschränkungen der Öffentlichkeit zum Schutz der Gesundheit Verfahrensbeteiligter
  • Unterbrechungen der Hauptverhandlung (vgl. den neu beschlossenen § 10 EGStPO)

Bitte senden Sie Ihre Bewerbung bis zum 13.04.2020 per Mail an redaktion.gvrz@otto-schmidt.de.

Zivilprozesse in Zeiten der Corona-Pandemie

Covid-19 legt derzeit das gesellschaftliche Leben in Deutschland lahm. Die Tätigkeit der Gerichte bildet dabei keine Ausnahme. In Berlin hat Kammergerichtspräsident Bernd Pickel angeregt, grundsätzlich alle Sitzungstermine aufzuheben und nur noch in unaufschiebbaren Einzelfällen zu verhandeln. Andere Gerichtspräsidenten haben vergleichbare Empfehlungen ausgesprochen – und auch ohne solche Hinweise „von oben“ haben viele Richterinnen und Richter Verhandlungstermine abgesetzt oder weit in die Zukunft verschoben. Die Terminsabsetzungen stoßen bei den Rechtsanwälten teils auf Zustimmung, werden von diesen in einigen Fällen sogar gefordert, teils aber auch auf Ablehnung. Es ist daher sinnvoll, einen Blick auf die Rechtslage zu werfen.

Nach § 227 Abs. 1 ZPO bedarf jede Terminsaufhebung oder -verlegung eines „erheblichen Grundes“. Dies darf nicht zu streng gesehen werden. Besteht für die Prozessbeteiligten im Sitzungssaal oder auf dem Weg dorthin eine Gefahr für ihre Gesundheit durch die Übertragung des Corona-Virus, ist ein „erheblicher Grund“ sicherlich gegeben. Das Gleiche gilt, wenn die Durchführung des Termins eine Ansteckungsgefahr für Außenstehende bedeutet, etwa der Wachtmeister, die im Eingangsbereich des Gerichts die Personenkontrollen durchführen. Ob dies ein Vorsitzender auch nur einigermaßen sicher feststellen kann, ist aber fraglich. Momentan kann beobachtet werden, dass einzelne Gerichte prüfen, ob alle Beteiligten im Sitzungssaal einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten können.

Der Gesundheitsschutz aller Beteiligten steht zudem im Spannungsverhältnis zum Justizgewährleistungsanspruch, der auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz in angemessener Zeit verlangt (BVerfGE 82, 126, 155). Es sollten daher stets Wege gesucht werden, die Verfahren auf andere Weise zur Entscheidungsreife zu bringen. Leider sind diese häufig nicht praktikabel: Der Übergang ins schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) ist bei einer notwendigen Beweisaufnahme gänzlich verschlossen, ermöglicht keine Güteverhandlungen und scheitert im Übrigen häufig an der fehlenden Zustimmung beider Parteien. Die Möglichkeit einer Videokonferenz besteht zwar seit 2002, wird aber bisher kaum angenommen, weil gerade auch auf Seiten des Gerichts nicht unberechtigte Vorbehalte wegen des technischen Aufwands und der Störanfälligkeit bestehen.

Es bleibt daher vielfach nur die Entscheidung: Termin oder kein Termin. Was kann nun der Rechtsanwalt tun, wenn er mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden ist? Die Entscheidung über die Terminsaufhebung und -verlegung ist nach § 227 Abs. 4 S. 3 ZPO unanfechtbar. Nur in Extremfällen wird bei einer Terminsaufhebung die Verzögerungsrüge (§ 198 GVG) erhoben werden können. Wird der Termin nicht aufgehoben, erscheint eine Partei bzw. ihr Vertreter aus Sorge um eine Ansteckung aber nicht, ist noch nicht geklärt, ob das Fernbleiben unverschuldet ist, so dass kein Versäumnisurteil erlassen werden darf, sondern die Sitzung von Amts wegen nach § 337 ZPO zu vertagen ist. Meine Meinung: Krankheit ist ein Entschuldigungsgrund, die Gefahr einer Erkrankung – bei sich oder auch für andere – sollte es ebenfalls sein, wenn sie wahrscheinlich oder schwerwiegend ist. Bei dem, was wir über das Covid-19-Virus wissen, dürfte dies jedenfalls bei weiter steigenden Infektionsraten der Fall sein.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine Rechtsfrage, die nur in Küstennähe auftreten dürfte.

Schäden durch Sturmflut
Urteil vom 26. Februar 2020 – IV ZR 235/19

Mit der Frage, wann ein Gebäudeschaden durch Sturmflut verursacht wurde, befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Leistungen aus einem Gebäudeversicherungsvertrag. Das versicherte Gebäude liegt im Rostocker Stadthafen direkt an der Warnow, 16 km einwärts von deren Mündung in die Ostsee. Das Gebäude wurde beschädigt, als das Wasser der Warnow aufgrund einer schweren Sturmflut zurückgestaut wurde und in Rostock über die Ufer trat. Die Beklagte beruft sich auf einen im Versicherungsvertrag vorgesehenen Leistungsausschluss für Schäden durch Sturmflut. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Schaden durch Sturmflut nur dann vorliegt, wenn er als unmittelbare Folge einer Sturmflut eingetreten ist. Dazu gehören zwar auch Überschwemmungen infolge eines Dammbruchs, nicht aber Überschwemmungen durch rückgestautes Wasser in einem viele Kilometer von der Küste entfernen Fluss. Entscheidend für diese Auslegung spricht der Grundsatz, dass Risikoausschlussklauseln eng auszulegen sind. Den Einwand, die Unterwarnow zwischen dem Rostocker Stadthafen und der Küste sei hydrologisch als Ostseebucht anzusehen, weist der BGH zurück, weil die Beklagte ihn erstmals in der Revisionsinstanz erhoben hat.

Praxistipp: Der Grundsatz, dass eine enge Auslegung geboten ist, gilt nur für Klauseln, die den Versicherungsschutz in bestimmten Konstellationen ausschließen, nicht aber für Klauseln, die die primäre Leistungsbeschreibung enthalten.

BVerwG: Erstattungsfähige Reisekosten bei Bahnreisen

Eine interessante Entscheidung hat das BVerwG (Beschl. v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19) zur Frage der Reisekosten bei Bahnfahrten getroffen. Die Entscheidung erging auf eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.

Nachdem der Kläger den Prozess letztinstanzlich verloren hatte, beantragte die beklagte Behörde, die Kosten für die Bahnreise eines Behördenvertreters zum Termin der mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG zu Lasten des Klägers festzusetzen.

Zwar muss jede Partei die Kosten möglichst niedrig halten, jedoch sind die Kosten für die Teilnahme an einem Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich erstattungsfähig, selbst wenn ein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war. Gemäß § 5 Abs. 1 JVEG sind Kosten für Bahnfahrten ohne weiteres erstattungsfähig. Dem Grunde nach bestehen gegen den Anspruch somit keine Bedenken.

Fraglich war hier deswegen vor allem die Höhe. Die Beklagte wollte die Kosten für einen eingekauften „Flexpreis“-Tarif erstattet haben, der Kläger wollte nur den „Super-Sparpreis“ bezahlen. Das BVerwG gibt der Behörde Recht. Insoweit sind aus mehreren Gründen berechtigte Interessen des zum Termin Anreisenden (bzw. der von ihm vertretenen Partei) anzuerkennen. Der Anreisende muss in gewissem Sinne flexibel sein und bleiben. Für den Abreisezeitpunkt ergibt sich dies bereits daraus, dass die Dauer eines Termins nicht immer zuverlässig voraussehbar ist. Aber auch bei der Anreise kann es Probleme geben, die eine frühere oder spätere Anreise erforderlich machen können. Darüber hinaus sind die „Super-Sparpreise“ regelmäßig nicht erstattungsfähig. Wenn also – was durchaus nicht selten vorkommt – der Termin ausfällt bzw. verschoben werden muss, z.B. wegen einer Erkrankung eines Beteiligten, sind die Kosten für die „Super-Sparpreis“-Fahrkarte verloren. Bei einem Flexpreis-Tarif hingegen ist regelmäßig wenigstens eine Erstattung zu einem überwiegenden Teil möglich. Zu einer „Jagd auf Fahrpreis-Schnäppchen“ ist der Anreisende nicht verpflichtet. Eine solche Pflicht zu statuieren, würde zu weit gehen.

Fazit: Reisekosten eines Verfahrensbeteiligten in Gestalt von Fahrkarten der Deutschen Bahn im sog. „Flexpreis“-Tarif sind stets erstattungsfähig. Eine lebensnahe Entscheidung, die Zustimmung verdient und Schule machen sollte.

 

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Kostenentscheidung im Falle eines Anerkenntnisurteils.

Keine Schlüssigkeitsprüfung nach Anerkenntnis
Beschluss vom 16. Januar 2020 – V ZB 93/18

Mit den Voraussetzungen des § 93 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger ist seit 1994 alleiniger Erbe eines landwirtschaftlichen Hofs. Rund zwanzig Jahre nach dem Erbfall verlangte er vom Beklagten, der als Testamentsvollstrecker bestellt ist, außergerichtlich die Freigabe einiger zum Hof gehörender Grundstücke. Der Beklagte reagierte darauf nicht. Nach Klageerhebung zeigte der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft an und behielt sich ein Anerkenntnis vor. Eine Klageerwiderung reichte er nicht ein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung erkannte er den Klageanspruch unter Verwahrung gegen die Kostenlast an. Das LG erließ Anerkenntnisurteil und legte die Kosten dem Beklagten auf. Die gegen die Kostenentscheidung gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Der Beklagte hat Veranlassung zur Klage gegeben, weil er auf die außergerichtliche Aufforderung nicht reagiert hat. Als Testamentsvollstrecker war er gehalten, auf das Verlange des Erben zu reagieren und zu erklären, weshalb er die Freigabe verweigert. Der Beklagte hat den Anspruch auch nicht sofort anerkannt, weil er das Anerkenntnis nicht innerhalb der Frist zur Klageerwiderung abgegeben hat.

Ob die Klage schlüssig und begründet war, ist unerheblich. Ein nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist abgegebenes Anerkenntnis ist nach der Rechtsprechung des BGH allerdings als rechtzeitig anzusehen, wenn die Klage zunächst nicht schlüssig war, der Kläger später nachbessert und der Beklagte den Anspruch daraufhin sofort anerkennt. Diese Grundsätze gelten indes nicht, wenn sich das Klagevorbringen im Zeitraum zwischen Klageerhebung und Anerkenntnis nicht ändert.

Praxistipp: Die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft im schriftlichen Vorverfahren steht einem sofortigen Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO grundsätzlich nicht entgegen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Beklagte schon in diesem Stadium einen Antrag auf Klageabweisung ankündigt oder dem Klagebegehren in sonstiger Weise inhaltlich entgegentritt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um ein Thema, das in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Subsidiaritätsgrundsatz bei Geltendmachung von Gehörsverstößen
Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19

Ein Einzelfall aus dem Bereich des so genannten Dieselskandals findet ein abruptes Ende.

Der Kläger hatte geltend gemacht, sein Auto verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das OLG sah von der Einholung eines Sachverständigengutachtens ab, weil der Kläger nicht schlüssig dargetan habe, wie er zu dieser Einschätzung gelangt sei, und weil es an jeglichen Anhaltspunkten für eine Abgasmanipulation fehle. Die im Internet abrufbare Liste der von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffenen Fahrzeuge führe keine Fahrzeuge des betreffenden Herstellers auf.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Der BGH bescheinigt dem OLG allerdings einen klaren Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Einer Partei ist es grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Unbeachtlich ist eine Behauptung nur dann, wenn sie ohne jeglichen greifbaren Anhaltspunkt willkürlich ins Blaue hinein aufgestellt wird. Im Streitfall hat der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Behauptung vorgetragen, indem er auf ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart hingewiesen hat, das ergeben habe, dass die Motoren des in seinem Fahrzeug verbauten Typs eine unzulässige Thermosoftware enthielten. Ein Einschreiten des Kraftfahrtbundesamts ist bei dieser Ausgangslage nicht zwingend erforderlich.

Der BGH weist die Nichtzulassungsbeschwerde dennoch zurück, weil der Kläger es versäumt hat, den Gehörsverstoß bereits im Berufungsverfahren geltend zu machen. Er stützt diese Bewertung auf den Subsidiaritätsgrundsatz, demzufolge ein Beteiligter alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um die Korrektur einer geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern, und auf den damit in Einklang stehenden Rechtsgedanken des § 295 ZPO. Im Streitfall war für den Kläger aus dem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis ersichtlich, dass das OLG seinen Vortrag für unbeachtlich hält. Deshalb hätte der Kläger das OLG innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beachtlichkeit eines Beweisangebots in solchen Fällen hinweisen müssen.

Praxistipp: Eine Partei, die sich nach einem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde offenhalten will, sollte ihre Angriffe gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts stets innerhalb der gewährten Frist zur Stellungnahme vorbringen.

BGH: Aufklärung von Widersprüchen zwischen Sachverständigengutachten

Die Klägerin lieferte der Beklagten ein Substrat zur Pflanzenaufzucht. Die darin alsdann aufgezogenen Pflanzen wiesen einen Trauermückenbefall auf und konnten deswegen nicht verkauft werden. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Beklagten Schadensersatz. Das LG hatte der Klage stattgegeben, das OLG hatte sie abgewiesen und war im Wesentlichen der Auffassung eines von der Beklagten eingeschalteten Privatgutachters gefolgt, die der gerichtlich bestellte Gutachter allerdings überwiegend nicht geteilt hatte.

Der BGH (BGH, Beschl. v. 5.11.2019 – VIII ZR 344/18, MDR 2020, 114) hebt die Entscheidung des OLG auf und verweist – sogar an einen anderen Spruchkörper – zurück. Er wirft dem OLG vor, ohne logische und nachvollziehbare Begründung von den Ausführungen des Privatgutachters ausgegangen zu sein. Auch wenn es sich bei einem Privatgutachten nur um urkundlich belegten Parteivortrag handelt, muss das Gericht Widersprüchen zwischen dem Privatgutachten und dem Gerichtsgutachten nachgehen. Wie dies erfolgt, steht im Ermessen des Gerichts, beispielsweise können die Gutachter in einem Termin gegenübergestellt werden. Unter Umständen muss dann noch gemäß § 412 Abs. 1  ZPO ein weiteres Gutachten eingeholt werden, wenn es nicht gelingt, die Widersprüche aufzuklären. Erst wenn alle Aufklärungsbemühungen erfolglos geblieben sind, dürfen die verbliebenen Diskrepanzen frei gewürdigt werden.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall war zunächst zu beachten, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sich jede Partei ein ihr günstiges Beweisergebnis jedenfalls hilfsweise zu eigen macht. Dies galt hier für verschiedene Umstände, die der Gerichtssachverständige zu Gunsten der Klägerin ermittelt hatte. Eben auf diese verschiedenen Umstände wurde im Rahmen der Entscheidungsgründe vom OLG gar nicht eingegangen, wenngleich der Widerspruch zum Privatgutachten auf der Hand lag.

Damit kann festgehalten werden: Klärt das Gericht entscheidungserhebliche Widersprüche zwischen den Schlussfolgerungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und denjenigen eines Privatgutachters nicht hinreichend auf, sondern folgt ohne logische und nachvollziehbare Begründung den Ausführungen eines von ihnen – vorliegend denjenigen des Privatgutachters -, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 286 ZPO) und ist damit das rechtliche Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) derjenigen Partei, die sich das ihr günstige Beweisergebnis – vorliegend in Form eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens – zu eigen gemacht hat, verletzt.

Fazit: Für die Praxis bedeutet dies, dass das Gericht bei Widersprüchen zwischen verschiedenen Sachverständigengutachten nicht vorsichtig genug sein kann und sich sehr tief in die Materie einarbeiten muss. Keinesfalls darf einem von zwei Gutachten ohne überzeugende Begründung gefolgt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Statthaftigkeit einer Beschwerde im selbständigen Beweisverfahren.

Ablehnung einer Bauteilöffnung im selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 15. Januar 2020 – VII ZB 96/17

Mit der Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen die Nichterteilung einer Weisung an den gerichtlichen Sachverständigen befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Antragsteller begehrt die Begutachtung der von der Antragsgegnerin erbrachten Werkleistungen an seinem Einfamilienhaus. Der gerichtliche Sachverständige teilte dem LG mit, zur Beurteilung einer der Beweisfragen sei eine Bauteilöffnung erforderlich. Der Antragsteller beantragte, den Sachverständigen anzuweisen, die Bauteilöffnung vorzunehmen. Das LG lehnte den Antrag durch Beschluss ab. Das OLG wies die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde als nicht statthaft zurück.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers bleibt ebenfalls erfolglos. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung des LG nicht statthaft war. Nach § 404a ZPO obliegt es dem Gericht von Amts wegen, die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und diesem gegebenenfalls Weisungen zu Art und Umfang seiner Tätigkeit zu erteilen. Ein diesbezüglicher Antrag einer Partei ist deshalb nicht ein das Verfahren betreffendes Gesuch im Sinne von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, sondern eine bloße Anregung.

Praxistipp: Eine Beschwerde ist in der betreffenden Konstellation auch innerhalb des Hauptsacheverfahrens nicht statthaft. Das Berufungsgericht hat aber gemäß § 512 ZPO zu überprüfen, ob die Vorinstanz zu Recht von einer beantragten Weisung abgesehen hat. Entsprechendes gilt gemäß § 557 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz, sofern die betroffene Partei eine zulässige Verfahrensrüge erhoben hat.

OLG Frankfurt: Kostenhaftung des Antragsgegners im Streitverfahren

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Verfahren „versanden“. Sie kommen irgendwie aus den verschiedensten Gründen (z. B.: Mandant unerreichbar oder verstorben, Anwälte reagieren nicht mehr, Gericht entfaltet keine Tätigkeiten mehr, allseitige Unlust usw.) zum Erliegen. Das Gericht legt die Akte dann gemäß der Aktenordnung nach sechs Monaten weg. Sehr häufig passiert dies im Anschluss an ein Mahnverfahren. Regelmäßig ereignet sich in der Praxis die folgende Konstellation, wie in einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 18.7.2019 – 18 W 107/19): Es ergeht ein Mahnbescheid, diesem wird in vollem Umfang widersprochen. Der Streitantrag von Antragsteller war gestellt, der erforderliche weitere Kostenvorschuss wird von diesem jedoch nicht mehr gezahlt.

In einer solchen Konstellation hat der Antragsgegner oftmals ein eigenes Interesse daran, das Verfahren zu Ende zu bringen; und sei es nur, um einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsteller zu erlangen. Da der Antragsteller – wie im Zivilprozess üblich – zu nichts gezwungen werden kann, muss dann der Antragsgegner selbst aktiv werden. Er kann seinerseits einen Streitantrag stellen, dann wird das Verfahren vom Mahngericht an das Streitgericht abgegeben. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG darf die Abgabe in diesem Fall allerdings nicht von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht werden. Reagiert dann der Antragsteller nicht mehr, kommt es oft letztlich zu einem klageabweisenden Versäumnisurteil gegen den früheren Antragsteller und nunmehrigen Kläger. Meistenteils geben die Kläger aber vorher auf und nehmen die Klage zurück, weil dies viel billiger ist. Es fallen dann nämlich nur 1/3 der Gerichtskosten und keine weiteren Anwaltskosten an, insbesondere keine Termingebühren.

Es ist allerdings zu beachten, dass der Antragsgegner durch den Streitantrag zum Kostenschuldner wird (§ 22 Abs. 1 GKG)! Mahn- und Streitverfahren sind kostenrechtlich zwei Rechtszüge. Hatte der Antragsteller – ohne den Kostenvorschuss gezahlt zu haben – schon den Streitantrag gestellt, so haften beide Parteien als Gesamtschuldner; eine Enthaftung des Antragsgegners folgt daraus nicht. Dies begründet das OLG Frankfurt ausführlich.

Dieses Kostenrisiko muss bei Streitanträgen von Antragsgegnerseite unbedingt beachtet werden. Wenn z. B. – was sich in der Praxis durchaus ereignet (!) – ein Antragsteller ohne zureichende finanzielle Mittel im Mahnverfahren – lediglich aus sachfremden Motiven heraus – einen Mahnbescheid über eine sehr hohe, angebliche Forderung beantragt, so sollte man als Antragsgegner von einem eigenen Streitantrag Abstand nehmen, sonst erreicht der Antragsteller genau das, was er eigentlich will: Die Belastung des Antragsgegners mit Kosten. Auf dieses Risiko muss der Rechtsanwalt, der den Antragsgegner vertritt, diesen unbedingt hinweisen, sonst könnte er sich schadensersatzpflichtig machen!

Das OLG Frankfurt wurde im Erinnerungsverfahren mit dieser Sache befasst. Es hat bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass  dieses Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren kosten- und kostenerstattungsfrei ist (§ 66 Abs. 8 GKG).