Montagsblog: Neues vom BGH

Die Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden und die Rechte an einer gemeinsamen Grenzanlage stehen im Mittelpunkt der in dieser Woche veröffentlichten Entscheidungen.

Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden
Urteil vom 25. Januar 2018 – VII ZR 74/15

Mit den Voraussetzungen eines Gewährleistungsanspruchs befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die auf Mallorca wohnhafte Klägerin hatte die Beklagte mit Sanitärarbeiten in einem Haus in Deutschland beauftragt. Drei Monate nach Ausführung der Arbeiten stellte ein Zeuge fest, dass der Fußboden in einer Wohnung vollständig unter Wasser stand. Die Klage auf Ersatz der Kosten zur Behebung der Schäden blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an einen anderen Senat des OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Zurechnungszusammenhang zwischen der – mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen zu unterstellenden – mangelhaften Abdichtung einer Gastherme und den eingetretenen Schäden nicht wegen der langen Abwesenheit der Klägerin aufgehoben. Die Klägerin war auch nicht gehalten, den Zustand der Wohnung mehrmals wöchentlich kontrollieren zu lassen. Selbst wenn gelegentliche Kontrollen geboten gewesen wären, käme eine Anspruchsminderung nach § 254 BGB nur dann in Betracht, wenn der Schaden dadurch ganz oder teilweise hätte vermieden werden können. Zudem kann sich die Beklagte auf ein Mitverschulden ohnehin nicht berufen, wenn ihr die Klägerin, wie von dieser vorgetragen, aufgegeben hat, die Wasserzufuhr abzustellen.

Praxistipp: Die Entscheidung zeigt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO durchaus Erfolg haben kann.

Maschendraht oder Holzgeflecht?
Urteil vom 20. Oktober 2017 – V ZR 42/17

Als Klassiker des Nachbarrechts könnte sich die Entscheidung des V. Zivilsenats erweisen.

Die benachbarten Grundstücke der beiden Parteien sind durch einen rund 1,0 Meter hohen Maschendrahtzaun voneinander getrennt. Die Mieter der Beklagten stellten unmittelbar dahinter einen rund 1,8 Meter hohen Holzflechtzaun auf. Das AG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Beseitigung des neuen Zauns. Das LG wies die Klage ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Nach § 921 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass der Maschendrahtzaun, der teils auf dem einen, teils auf dem anderen Grundstück verläuft, von beiden Nachbarn einvernehmlich errichtet wurde. Ob es sich um eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO oder um eine tatsächliche Vermutung handelt, lässt der BGH offen, weil im Streitfall auch die (potentiell weniger strengen) Voraussetzungen für die Erschütterung einer tatsächlichen Vermutung nicht erfüllt sind. Gemäß § 922 Satz 3 BGB ist ein Nachbar nicht berechtigt, eine gemeinsame Grenzanlage ohne Zustimmung des anderen zu beseitigen zu ändern. Dies gilt auch für Änderungen des Erscheinungsbilds. Der Holzflechtzaun muss deshalb entfernt werden.

Praxistipp: Wenn der Mieter die neue Grenzanlage eigenmächtig errichtet hat und der Vermieter an deren Beibehaltung nicht interessiert ist, genügt es, dem Mieter nach Klageerhebung den Streit zu verkünden.

Kammern für internationale Handelssachen

Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen haben am 20.02.2018 in den Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG) eingebracht (BR-Drucksache 53/18). Die Drucksache ist erreichbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/0001-0100/53-18.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Der Bundesrat hatte bereits in den beiden vorangegangenen Legislaturperioden vergleichbare Gesetzesbeschlüsse gefasst (BR-Drucksache 42/10 (Beschluss), BR-Drucksache 93/14 (Beschluss)), die aber dem Grundsatz der Diskontinuität unterfallen sind.

 

Zuletzt hat das Landgericht Frankfurt begonnen, die Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen zu pilotieren. Dort soll auf den Antrag einer Partei, eine Handelssache auf Englisch zu verhandeln, der Rechtsstreit automatisch der englischsprachigen Kammer für Handelssachen zugewiesen werden. Wenn beide Parteien einverstanden sind, kann die Verhandlung auf Englisch durchgeführt werden.

 

Es dürfte mit Spannung abzuwarten sein, wie sich der Bundestag in dieser Legislaturperiode zur Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen verhalten wird.

 

 

 

BGH zur Weiterleitung von Rechtsmittelschriften

Der BGH (Beschl. v. 19.9.2017 – VI ZB 37/16, MDR 2018, 173) hat sich mit den Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes beschäftigt:

Der Kläger hatte die Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil des LG anstatt beim OLG beim LG eingelegt. Der Schriftsatz ging am letzten Tag der Frist gegen 13 Uhr ein. Der Schriftsatz wurde von dem LG nicht unmittelbar weitergeleitet. Das OLG lehnte die Wiedereinsetzung ab. Der Kläger versuchte hier, aus der Nichtweiterleitung durch das LG „Honig zu saugen“.

Nach ständiger Rechtsprechung gibt es ja bekanntlich eine Pflicht der Gerichte, fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Wird diese Pflicht vom Gericht verletzt, kann dies dazu führen, dass ein Verschulden der Partei bzw. des Anwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) dann nicht mehr für das Fristversäumnis ursächlich ist, weil diese nicht darauf, sondern auf der gerichtlichen Pflichtverletzung beruht. Dieser Gedanke führte hier aber nicht weiter, da bei einem Eingang um 13 Uhr des letzten Tages der Frist nicht mehr erwartet werden kann, dass bis 24 Uhr desselben Tages eine Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erfolgen kann.

Der Kläger versuchte nun freilich, eine Verschärfung dieser Pflicht durchzusetzen. Dies machte der BGH nicht mit. Zu Maßnahmen außerhalb des Geschäftsganges besteht gerade keine Verpflichtung. Dem Rechtsmittelführer kann zum einen nicht die Verantwortung für das Rechtsmittel gänzlich abgenommen werden, zum anderen muss hier auch berücksichtigt werden, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit insoweit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden muss.

Interessant war noch der letzte Versuch des Klägers, einen „Rettungsanker“ auszuwerfen: Anstatt den Schriftsatz weiterzuleiten, kann natürlich auch ein Hinweis an die betroffene Partei erfolgen. Ein solcher Hinweis könnte – wenigstens theoretisch – natürlich auch sofort nach Eingang des Schriftsatzes erfolgen. Die Tatsache, dass das Gericht einen Hinweis erteilt darf, bedeutet jedoch gerade nicht, dass es auch verpflichtet ist, einen solchen auch tatsächlich und vor allem unverzüglich zu geben. Eine Hinweispflicht des Gerichts, aus der der Kläger etwas für sich herleiten könnte, bestehe daher nicht.

Damit blieb es bei der Entscheidung des OLG. Wenn an der Klage – es ging immerhin um 150.000 € – etwas dran gewesen sein sollte, muss der Kläger jetzt eben seinen Rechtsanwalt in Regress nehmen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch folgendes: Das OLG hatte noch nicht die Berufung verworfen, sondern lediglich die Wiedereinsetzung abgelehnt. In einem solchen Fall kann jedoch bereits gegen einen solchen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (§§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO)!

 

 

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Die Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens und das Verhältnis zwischen einem selbständigen Beweisverfahren und dem nachfolgenden Rechtsstreit bilden das Thema von zwei aktuellen Entscheidungen

Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens in der Kaskoversicherung
Urteil vom 19. Dezember 2017 –VI ZR 577/16

Eine grundsätzliche Frage, die bei vielen Verkehrsunfällen auftreten kann, behandelt der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten ersetzte den geltend gemachten Sachschaden zu drei Viertel. Den Ersatz des Schadens, den die Klägerin erlitten hat, weil sie wegen des restlichen Betrags ihre Kaskoversicherung in Anspruch genommen hatte und deshalb höhere Beiträge zahlen musste, lehnte die Versicherung ab. Die Klage auf Feststellung, dass der Beklagte auch diesen Rückstufungsschaden zu ersetzen hat, blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach ein Rückstufungsschaden auch dann (anteilig) ersatzfähig ist, wenn der Geschädigte für den Schaden mitverantwortlich ist. Die Rückstufung und die daraus resultierende Beitragserhöhung treten zwar unabhängig davon ein, in welchem Umfang die Kaskoversicherung in Anspruch genommen wird. Dennoch ist die schädigende Handlung für diesen Vermögensschaden mitursächlich, weshalb der Schaden nach dem allgemeinen Maßstab des § 254 BGB zu verteilen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte die Kaskoversicherung erst in Anspruch nimmt, nachdem der Schädiger den auf ihn entfallenden Teil des Sachschadens bereits ersetzt hat.

Praxistipp: Anwaltskosten, die dem Geschädigten entstanden sind, um den Kaskoversicherer zur Erstattung des auf ihn selbst entfallenden Schadensanteils zu veranlassen, hat der Schädiger generell nicht zu tragen.

Fortgeltung von Anträgen aus dem selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 14.11.2017 – VIII ZR 101/17

Mit dem Verhältnis zwischen einem selbständigen Beweisverfahren und einem nachfolgenden Rechtsstreit befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der spätere Beklagte hatte gegen den Kläger ein selbständiges Beweisverfahren wegen Mängeln an einer Mietwohnung eingeleitet. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass keine bauseitigen Mängel vorlägen. Einen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen wies das AG mit der Begründung zurück, das selbständige Beweisverfahren sei beendet, weil mittlerweile Klage in der Hauptsache erhoben worden sei. In diesem Rechtsstreit begehrte der Kläger in erster Linie Räumung der Wohnung und Zahlung rückständiger Miete. Der Beklagte griff das Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Privatgutachten an. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG beantragte er ergänzend, den im selbständigen Beweisverfahren bestellten Sachverständigen mündlich anzuhören. Das AG wies diesen Antrag als verspätet zurück. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Das AG durfte den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht als verspätet zurückweisen, weil der Beklagte ihn bereits im selbständigen Beweisverfahren gestellt hatte. Dieser Antrag war auch im nachfolgenden Rechtsstreit zu beachten, ohne dass es einer Wiederholung bedurfte. Darin, dass sich der Beklagte zunächst auf ein anderes Gutachten bezog, lag auch kein konkludenter Verzicht auf die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen.

Praxistipp: Wenn das Gericht im selbständigen Beweisverfahren dem Beklagten eine Erklärungsfrist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt hat, kann ein nach Ablauf dieser Frist gestellter Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nach Maßgabe von § 296 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.

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Drei kurz hintereinander ergangene Entscheidungen befassen sich mit der Akteneinsicht zum Zwecke der Berufungsbegründung

Akteneinsicht und Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
Beschluss vom 16. Januar 2018 –VIII ZB 61/17

Der VIII. Zivilsenat entscheidet, dass die Frist zur Begründung der Berufung ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht um mehr als einen Monat verlängert werden darf, wenn der Berufungskläger noch keine Gelegenheit zur Akteneinsicht hatte.

Die Klägerin machte Ansprüche auf Zahlung von Miete geltend. Das AG wies die Klage ab. In der Berufungsschrift bat der erstmals für die zweite Instanz bestellte Prozessbevollmächtigte um Übersendung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist bis zum Ablauf von einem Monat nach Einsichtnahme. Die Akteneinsicht wurde bewilligt, der Antrag auf Fristverlängerung blieb unbeantwortet. Kurz vor Ablauf der bis 19.06.2017 laufenden, nicht verlängerten Frist erinnerte der Prozessbevollmächtigte an sein Verlängerungsgesuch und beantragte hilfsweise die Verlängerung „um einen weiteren Monat bis zum 19.06.2017“. Das LG ließ auch diesen Antrag zunächst unbeantwortet. Die Berufungsbegründung ging Mitte August 2017 ein – einen Monat nach Überlassung der Akten. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Der BGH sieht in dem Umstand, dass das LG die Anträge auf Fristverlängerung nicht beschieden hat, keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte zwar erwarten, dass die Begründungsfrist auf seine Anträge hin bis 19.07.2017 verlängert wird. Mit einer weiteren Fristverlängerung ohne Zustimmung des Gegners durfte er aber nicht rechnen. Anders als im Revisionsverfahren (§ 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO) ist im Berufungsverfahren (§ 520 Abs. 2 ZPO) eine Verlängerung der Begründungsfrist um mehr als einen Monat ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht möglich, wenn dem Berufungskläger die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestellt wurde. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung hat die Klägerin nicht gestellt. Sie hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch nicht vorgetragen, weshalb ihr Prozessbevollmächtigter an einer früheren Erstellung und Einreichung der Berufungsbegründung gehindert war.

Praxistipp: Um die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung verbundenen Unwägbarkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, sollte stets versucht werden, die Einwilligung des Gegners zu einer weiteren Verlängerung der Begründungsfrist einzuholen.

Antrag auf Wiedereinsetzung wegen verzögerter Überlassung der Akten
Beschluss vom 11. Januar 2018 –III ZB 81/17

Dass der Weg über einen Antrag auf Wiedereinsetzung grundsätzlich gangbar ist, belegt eine Entscheidung des III. Zivilsenats.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin beantragte in der Berufungsschrift die Übersendung der Akten und die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat. Die Frist wurde antragsgemäß verlängert. Die Akten konnten auch innerhalb der verlängerten Frist nicht zur Verfügung gestellt werden. Einem darauf gestützten Antrag auf nochmalige Verlängerung traten die Beklagten entgegen. Die Klägerin reichte hierauf „vorsorglich“ eine Berufungsbegründung ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach Gewährung der Akteneinsicht ergänzte sie die Begründung und beantragte erneut Wiedereinsetzung. Das Berufungsgericht versagte die Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH hebt die angefochtene Entscheidung auf und gewährt der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war nicht gehalten, vor Gewährung der beantragten Akteneinsicht eine Berufungsbegründung einzureichen. Die Überlassung der Akten ist erforderlich, um eine Prüfung auf Verfahrensfehler durchzuführen und um die Vollständigkeit der eigenen Unterlagen zu überprüfen. Der Berufungskläger darf diese Möglichkeit nutzen. Wenn ihm die Akten trotz eines rechtzeitig gestellten Antrags nicht zur Verfügung gestellt werden, braucht er auch keine vorläufige Berufungsbegründung zu fertigen. Ihm ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Berufungsbegründung nach Überlassung der Akten innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist einreicht und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dies gilt auch dann, wenn er innerhalb der Frist vorsorglich eine vorläufige Berufungsbegründung eingereicht hat.

Praxistipp: Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufungsbegründung müssen gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats nach Überlassung der Akten eingereicht werden.

Verspäteter Antrag auf Überlassung der Akten
Beschluss vom 12. Dezember 2017 –VI ZB 24/17

Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Anwalt von Beginn an große Sorgfalt walten lässt, zeigt eine Entscheidung des VI. Zivilsenats.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Am letzten Tag der antragsgemäß um einen Monat verlängerten Frist zur Berufungsbegründung beantragte die Klägerin die nochmalige Verlängerung um einen Monat und die Gewährung von Akteneinsicht, um einem von ihr beauftragten Privatgutachter eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung zu ermöglichen. Die Fristverlängerung wurde nicht gewährt. Drei Tage nach Überlassung der Akten – und zugleich einen Monat nach Ablauf der auf den ersten Antrag hin verlängerten Frist – reichte die Klägerin die Berufungsbegründung ein. Zugleich beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG wies diesen Antrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Zwar ist ein Berufungskläger als an der fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung gehindert anzusehen, wenn ihm die Prozessakten innerhalb der Frist nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Dies setzt aber voraus, dass er rechtzeitig die Gewährung von Akteneinsicht beantragt hat. Ein am letzten Tag der nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners verlängerbaren Begründungsfrist gestellter Einsichtsantrag reicht hierfür nicht aus.

Praxistipp: Um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu wahren, sollte stets schon in der Berufungsschrift um Überlassung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat gebeten werden.

 

Auswirkungen von Mängeln bei der Urteilsverkündung

Der BGH (Beschl. v. 5.12.2017 – VIII ZR 204/16) hat entschieden, dass Verkündungsmängel (hier: Verkündung im Dienstzimmer des Richters) dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen stehen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.

Die Berufungskammer des LG hatte einen Verkündungstermin auf 12.00 Uhr bestimmt. Der Beklagte war persönlich erschienen. Die Tür zum Sitzungssaal war verschlossen. Später am Tag erklärte der Vorsitzende dem Beklagten nach mündlicher Mitteilung der Entscheidung, dass die Tür nicht geöffnet worden wäre, da man davon ausgegangen sei, es werde niemand erscheinen. Im vom Vorsitzenden unterzeichneten Verkündungsprotokoll waren er und zwei Beisitzer aufgeführt. Darüber hinaus hieß es, das anliegende Urteil sei in öffentlicher Verhandlung verkündet worden. Das Urteil wurde dann auch zugestellt.

Aus den von dem BGH eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei Richter ergab sich: Die Beisitzer waren bei der Verkündung nicht zugegen. Der Vorsitzende erklärte, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang. Üblicherweise würde die Tür zum Sitzungssaal verschlossen, wenn vor einer Verkündung eine längere Pause liege und dann bei der eigentlichen Verkündung geöffnet.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte gleichwohl keinen Erfolg. Es liegt kein Scheinurteil vor, da tatsächlich ein Urteil verkündet wurde und dieses auch unterschrieben und zugestellt wurde. Verkündungsmängel eines Urteils stehen dem wirksamen Erlass eines solchen nur dann entgegen, wenn es sich um elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse handelt, so dass letztlich von einer Verlautbarung im Rechtssinne gar nicht gesprochen werden kann. Nachdem das Urteil unterschrieben und zugestellt wurde und das Ergebnis auch dem Beklagten persönlich mitgeteilt wurde, bestehen aber keine Zweifel daran, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war.

Zwar spricht nach den eingeholten dienstlichen Stellungnahmen alles dafür, dass die Verkündung lediglich im Dienstzimmer des Vorsitzenden in Abwesenheit der Beisitzer erfolgt ist. Auch dies würde das Urteil jedoch nicht zum Scheinurteil machen, sondern wäre lediglich ein letztlich insoweit nicht beachtlicher Verkündungsmangel, zumal das Urteil bei der Verkündung in vollständiger Form vorlag und unterschrieben war. Letzteres wird durch das Protokoll nachgewiesen und ist nicht in Frage gestellt worden.

Der BGH weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es sich gleichwohl bei einer derartigen Verfahrensweise um eine richterliche Dienstpflichtverletzung handelte. Den Gerichten steht es in der Tat schlecht an, bei den Förmlichkeiten nachlässig zu sein. Gerade hier müssen die Gerichte mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch Verkündungstermine sollten daher stets „sauber“ abgehalten werden. Es muss die Möglichkeit der Teilnahme durch die Parteien und der Öffentlichkeit gegeben sein, eine vollständig abgefasste und unterschriebene Entscheidung sollte unbedingt vorliegen. Das Protokoll muss nur diejenigen wiedergeben, die auch tatsächlich anwesend sind. Bei der Verwendung eines Formulars müssen die richtigen „Kreuzchen“ gesetzt werden. Und schließlich: Bei den Unterschriften der Richter sowohl unter dem Urteil als auch unter dem Protokoll muss es sich um solche handeln, nicht etwa um Kurzzeichen o. ä.

BGH zum zutreffenden Beginn der Verzinsung

Eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, MDR 2017, 1196) mit beträchtlichem Umfang befasst sich eigentlich mit der Wirksamkeit von Bearbeitungsgebühren bei Darlehen an Unternehmer. Auf die Frage des Zinslaufes geht sie nur ganz am Rande ein. Sie zeigt insoweit nicht wirklich etwas ganz Neues auf, weist aber auf einen Fehler hin, der der Praxis sehr häufig unterläuft. Sie betrifft die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB. Die Gerichte sprechen sehr oft Zinsen ab dem Datum, das die in der Akte vorliegende Zustellungsurkunde als Zustellungsdatum für die Klageschrift oder den Mahnbescheid ausweist, zu. Dies ist jedoch nicht richtig! In entsprechender Anwendung des § 187 BGB beginnt der Zinslauf nicht mit dem Tage der Zustellung der Klage oder des Mahnbescheides, sondern erst mit dem Tag danach. In der Regel wird dies mit der Formel „minima (oder: de minimis) non curat praetor“ (teilweise sinngemäß: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richter nicht.) abgetan. Allerdings kann dieser Umstand, über einen längeren Zeitraum gesehen oder bei sehr hohen Beträgen oder bei vielen zu führenden Prozessen, durchaus einmal eine nicht mehr zu vernachlässigende Bedeutung bekommen. Auf derartige alltägliche Unsicherheiten und Irrtümer sollte an geeigneter Stelle hin und wieder hingewiesen werden!

Denn: Was man unproblematisch richtigmachen kann, sollte man auch tatsächlich so handhaben.

 

 

 

BGH: Wertersatz bei Widerruf von Dienstleistungsverträgen muss nicht zeitanteilig berechnet werden

Auch Verträge, die die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand haben, sind (zum Beispiel im Fernsabsatz) widerruflich. § 357 Abs. 8 BGB gibt vor, wie dann vorzugehen ist:

Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch aus Satz 1 besteht nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ordnungsgemäß informiert hat. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht der Anspruch nach Satz 1 nur dann, wenn der Verbraucher sein Verlangen nach Satz 1 auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist der vereinbarte Gesamtpreis zu Grunde zu legen. Ist der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen.

Im Falle einer Online-Partnervermittlung berechnete diese den Wertersatz, indem Sie prüfte, wieviele Kontakte dem Kunden vermittelt wurden, dies mit der Anzahl der versprochenen Kontakte verglich und hiervon einen 25%igen Abzug vornahm. Beispiel:Im Rahmen einer sechsmonatigen Mitgliedschaft zum Preis von 269,40 Euro garantierte der Anbieter dem Kunden fünf Kontakte. Da dem Kunden zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits 13 Kontakte vermittelt wurden, sollte nach Ansicht des Anbieters ein Wertersatz in Höhe der 269,40 EUR abzgl. 25% erfolgen.

Gegen dieses Vorgehen wandte sich die Verbraucherzentrale Hamburg, deren Revision gegen die erfolglose Berufung vor dem OLG Hamburg ebenfalls fruchtlos blieb. Das OLG Hamburg hatte die Zulässigkeit dieses Vorgehens damit begründet, dass der Anlaufaufwand bei Dienstleistungen wie hier durch die Erstellung eines Nutzerprofils unverhältnismäßig höher ist, als der Aufwand während der weiteren Laufzeit. Der BGH erkläre:

Die Vorschriften des Artikel 14 Absatz 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher und des § 358 Abs. 8 BGB ergeben keinen Anhaltspunkt, dass die von der Klägerin verlangte ausschließlich zeitanteilige Abrechnung vorgegeben ist. Vernünftige Zweifel an der Würdigung durch das Berufungsgericht bestehen nicht.

Für Unternehmer ergibt sich hieraus der Praxistipp, in gleicher Weise vorzugehen, wie diese Online-Partnervermittlung: Niedrigschwellige (Mindest-)Leistungsversprechen, die möglichst sehr schnell erfüllt werden, erhöhen den erzielbaren Wertersatzanspruch.

BGH, Beschl. v. 30.11.2017, I ZR 47/17

 

OLG Düsseldorf / OLG München: Kündigung des Telefonanschlusses bei Umzug erst bei Umzug möglich

Durch § 46 Abs. 8 S. 3 TKG ist eine bis dahin in der Rechtsprechung teils gelebte Praxis in das Gesetz gelangt: Wer umzieht und am Zielort nicht die (zumindest) identische Leistung von Telekommunikdationsdiensten erbracht bekommt, kann vor Ablauf der regulären Vertragslaufzeit aus dem Vertrag aussteigen. Dies soll mit einer Dreimonatsfrist möglich sein (dazu eingehend: Böse in: MMR-Aktuell 2012, 334893)

Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten haben dies seitdem regelmäßig zum Anlass genommen, die unklare Regelung, zu der auch in der Hinsicht keine Gesetzgebungsmaterialien vorhanden sind, zu ihren Gunsten auszulegen. Die drei Monate, so die Anbieter, beginnen erst mit dem Umzug. Die Folge: Der Kunde zahlt noch drei weitere Monate für eine nicht erbrachte Leistung.

Diese, in meinen Augen rechtswidrige Auffassung, wurde nun gleich von zwei Gerichten bestätigt: Sowohl das OLG München, als auch das OLG Düsseldorf halten dieses vorgehen für lauterkeitsrechtlich zulässig, also für mit dem Gesetzteswortlaut vereinbar. Als Argument soll angeführt worden sein, dass andernfalls ein hohes Missbrauchspotential bestünde, falls ein angekündigter Umzug dann doch nicht durchgeführt würde.

Kommentar

Wenn auch die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind, ist es schwer vorstellbar, dass die Entscheidungen im Wesentlichen auf dieser Erwägung beruhen sollen: Ein vorgetäuschter Umzug führt eben nicht zur wirksamen Kündigung sondern dazu, dass weiterhin Monatsentgelte geschuldet sind. Der Überwachungsaufwand ist dabei auch nicht größer, als bisher, sollten die Anbieter tatsächlich die Vorlage einer Meldebescheinigung verlangen. Käme es zu Mehrkosten durch die neuerliche Bestellung einer Teilnehmeranschlussleitung (TAL), so wären diese Kosten als Schadensersatz vom pflichtwidrig handelnden Kunden zu tragen.

Auch im Übrigen hier den Kunden heranziehen zu wollen, damit sich etwaige Investitionen des Anbieters amortisieren, ist unpassend. Einerseits kann eine erstmalige Mindestvertragslaufzeit zum Zwecke der Amortisation bereits verstreichen sein, wenn der Kunde umzugsbedingt kündigt. Andererseits führ die Lesart des § 46 Abs. 8 S. 3 TKG dazu, dass „faule“ Anbieter belohnt werden: Wer fleissig in den Netzausbau investiert und an vielen Orten seine Leistungen anbietet, vielleicht auch auf neue Technologien wie LTE setzt, führt schlicht nach einem Umzug den Vertrag mit dem Kunden fort und erhält die geschuldete Vergütung im Gegenzug zu erbrachten TK-Leistungen. Wer sich nur auf besonders lukrative Regionen konzentriert, den Ausbau daher in dünn besiedelten Gebieten nur schwach vorantreibt oder gar keine Leistungen dort anbietet, muss eben zurückstecken. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Umzugsquote von 9 % gehört ein Umzug aufgrund der geänderten Anforderungen insbesonderes der beruflichen Entwicklung nun einfach zur Normalität.

OLG München, Urteil vom 18. Januar 2018, Az.: 29 U 757/17

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Sorgfaltspflichten beim Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax
Beschluss vom 6. Dezember 2017 – XII ZB 335/17

Der XII. Zivilsenat zeigt auf, wie anspruchsvoll die Anforderungen an den Versand fristgebundener Schriftsätze und an ein Wiedereinsetzungsgesuch sind.

Die Beklagte war in erster Instanz zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 122.000 Euro an ihren früheren Lebensgefährten verurteilt worden. Ihre per Telefax eingereichte Berufungsbegründung ging ausweislich des Empfangsgeräts wenige Minuten nach Fristablauf bei Gericht ein. In ihrem Wiedereinsetzungsgesuch machte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten geltend, sie habe am letzten Tag der Frist aufgrund eines unvorhersehbaren epileptischen Anfalls ihrer Tochter erst um 22:15 Uhr in ihre Kanzlei zurückkehren und die Berufungsbegründung deshalb erst um 23:44 Uhr fertigstellen können. Den Versand des Telefax habe sie bereits um 23:52 Uhr eingeleitet. Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Ebenso wie das OLG sieht der BGH das vorgetragene Verhalten der Rechtsanwältin als schuldhaft an. Bei einem Telefaxversand kurz vor Fristablauf muss eine Zeitreserve für den Fall eingeplant werden, dass die Übertragungsleitung durch andere Teilnehmer belegt ist. Bei einem Schriftsatz von sieben Seiten ist ein Versandbeginn deshalb um 23:52 Uhr zu spät. Der unvorhergesehene Anfall der Tochter führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil der Schriftsatz dennoch bereits um 23:44 Uhr fertig war und die Rechtsanwältin nicht vorgetragen hat, warum sie nicht bereits zu diesem Zeitpunkt die Übermittlung eingeleitet hat.

Praxistipp: Die Entscheidung belegt erneut, dass der Versand eines Schriftsatzes per Telefax in letzter Minute ein Vabanque-Spiel ist.