Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Befugnis zur Geltendmachung von Abwehransprüchen gegen Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums in einer Wohnungseigentumsanlage

Geltendmachung von Abwehransprüchen bei Wohnungseigentum
Urteil vom 28. Januar 2022 – V ZR 106/21

Mit der Abgrenzung der Befugnisse einzelner Eigentümer und der Gemeinschaft sowie mit den Übergangsregeln für Altfälle befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung im Dachgeschoss des Hinterhauses einer Wohnungseigentumsanlage. Die Beklagte betreibt im Erdgeschoss des Vorderhauses als Mieterin einen Supermarkt. Im Jahr 2008 erlaubte die Wohnungseigentümergemeinschaft der Beklagten durch einstimmigen Beschluss, die Durchfahrt zum Hinterhaus täglich für einige Stunden zum Abstellen von Lieferfahrzeugen zu benutzen. Die Wohnung der Klägerin ist diesen Zeiträumen nur über einen Fußweg mit Treppenstufen zu erreichen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verbot der Beklagten antragsgemäß das Abstellen von Fahrzeugen in der Durchfahrt.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, weil sie ihre Klage vor Inkrafttreten von § 9a WEG (d.h. vor dem 01.12.2020) erhoben und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer der weiteren Geltendmachung des Anspruchs nicht widersprochen hat.

Nach § 9a Abs. 2 WEG ist die Klägerin nur dann zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen befugt, wenn das beanstandete Verhalten zumindest auch ihr Sondereigentum beeinträchtigt. Diese Voraussetzung wäre im Streitfall nur dann erfüllt, wenn die Wohnung der Klägerin in den betroffenen Zeiträumen nicht mehr zugänglich wäre. Im Streitfall bleibt der Zugang über den Fußweg möglich. Dass dieser nicht barrierefrei ist, führt jedenfalls deshalb nicht zu einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung des Sondereigentums, weil die Wohnung ohnehin nur über das Treppenhaus erreichbar ist.

Nach altem Recht konnte ein einzelner Eigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum geltend machen, solange die Gemeinschaft diese Befugnis nicht durch Beschluss an sich gezogen hat.

Diese Befugnis des einzelnen Eigentümers bleibt nach den vom BGH entwickelten Übergangsregeln bei Klagen, die vor dem 01.12.2020 erhoben sind, grundsätzlich bestehen. Sie fällt aber weg, wenn die Gemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, der weiteren Geltendmachung im Hinblick auf die eingetretene Rechtsänderung widerspricht. Ob ein solcher Widerspruch auf einem wirksamen Beschluss beruht, ist unerheblich. Im Streitfall hat die Verwalterin lediglich auf den Beschluss aus dem Jahr 2008 verwiesen. Darin liegt kein auf das neue Recht gestützter Widerspruch.

Mit dem Beschluss aus dem Jahr 2008 hat die Gemeinschaft die Geltendmachung der Ansprüche schon auf der Grundlage des alten Rechts an sich gezogen. Dieser Beschluss steht der Klage – anders als ein auf das neue Recht gestützter Widerspruch – aber nur dann entgegen, wenn er wirksam ist. Hieran fehlt es im Streitfall, weil die Durchfahrt zugleich als Feuerwehrzufahrt dient und deshalb nach den einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung ständig freigehalten werden muss. Ein Eigentümerbeschluss, der gegen diese Vorschriften verstößt, ist nichtig, weil die verletzte Norm der Gefahrenabwehr und dem Brandschutz dient und ein Verstoß zugleich den Versicherungsschutz im Brandfall gefährden kann.

Wegen der Nichtigkeit des im Jahr 2008 gefassten Beschlusses ist die Klage nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Ohne Zustimmung der Eigentümer darf die Beklagte die Durchfahrt nicht zum Abstellen von Fahrzeugen nutzen.

Praxistipp: Auf der Grundlage des neuen Rechts ist ein einzelner Eigentümer in solchen Fällen auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Gemeinschaft beschränkt. Lehnt diese ein Vorgehen gegen den Dritten rechtswidrig ab, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftung als Zustandsstörer gemäß § 1004 BGB

Haftung als Zustandsstörer für vermietete Abfallcontainer
Urteil vom 26. März 2021 – V ZR 77/20

Mit den Pflichten des Vermieters eines Abfallcontainers gegenüber einem Grundstückseigentümer befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte ein Grundstück an eine später insolvent gewordene UG vermietet. Die Beklagte stellte im Auftrag der Mieterin zwei Abfallcontainer auf dem Grundstück auf und übernahm es, diese nach Befüllung mit Altholz zur Entsorgung abzuholen. Zur Abholung der befüllten Container kam es nicht, weil die Mieterin die Rechnung der Beklagten nicht bezahlte. Nach Beendigung des Grundstücksmietvertrags verlangte die Klägerin von der Beklagten die Entfernung der befüllten Container. Das AG verurteilte die Beklagte lediglich zur Abholung in leerem Zustand. Das LG gab der Klage in vollem Umfang statt.

Die Revision der Beklagten bleibt erfolglos. Der Klägerin steht aus § 1004 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Entfernung der Container samt Inhalt zu. Das der Mieterin zustehende Recht zum Besitz des Grundstücks, das gemäß § 1004 Abs. 2 BGB Beseitigungsansprüche der Klägerin gegen Dritte ausschloss, ist mit Beendigung des Grundstücksmietvertrags erloschen. Von diesem Zeitpunkt an stellt der weitere Verbleib der Container auf dem Grundstück eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Grundstückseigentums dar. Die Beklagte haftet für diese Beeinträchtigung als Zustandsstörerin, weil sie die Container zum Zweck der späteren Abholung in befülltem Zustand auf dem Grundstück abgestellt hat. Der hieraus resultierenden Verantwortung gegenüber der Klägerin darf sie sich nicht deshalb entziehen, weil die Mieterin die aus dem Auftrag resultierende Zahlungspflicht nicht erfüllt hat. Die Störerhaftung der Beklagten erstreckt sich auch auf Abfall, den Dritte unbefugt in die Container eingeworfen haben, weil diese frei zugänglich waren. Ob dies auch für Gift- oder Gefahrstoffe gilt, deren Entsorgung mit hohen Kosten verbunden ist, lässt der BGH offen.

Praxistipp: Der Beklagte kann in solchen Konstellationen das Kostenrisiko reduzieren, indem er die Pflicht zur Abholung in leerem Zustand bereits vorgerichtlich und nach Klageerhebung unverzüglich auch gegenüber dem Gericht anerkennt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Pünktlich zum Beginn der Wachstumsperiode hat der BGH einen Nachbarstreit entschieden.

Anspruch auf Zurückschneiden herüberragender Äste
Urteil vom 22. Februar 2019 – V ZR 136/18

Mit der Prozessführungsbefugnis auf Seiten des Beklagten und der Verjährung befasst sich der V. Zivilsenat in einem Nachbarstreit.

Der Kläger nahm den Beklagten auf Zurückschneiden von in sein Grundstück hineinragenden Ästen einer Fichte in Anspruch. Die Grundstücke der Parteien stoßen rechtwinklig aufeinander. Der Baum, um den es geht, steht teilweise auf dem Grundstück des Beklagten und teilweise auf dem Grundstück eines weiteren Nachbarn. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Mit dem LG sieht der BGH die Klage allerdings als zulässig an. Die Eigentümer der beiden Grundstücke, auf denen der Baum steht, sind nicht notwendige Streitgenossen im Sinne von § 62 Fall 1 ZPO. Nach § 923 BGB ist jeder Nachbar alleiniger Eigentümer des jeweils auf seinem Grundstück stehenden Teils des Baums. Deshalb darf der Kläger jeden von ihnen gesondert auf Beseitigung derjenigen Störungen in Anspruch nehmen, die von dem im Eigentum des jeweiligen Beklagten stehenden Teil des Baums ausgehen. Ob die herüberragenden Äste die Benutzung des klägerischen Grundstücks beeinträchtigen und ob der Kläger eine solche Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hinnehmen muss, lässt der BGH offen. Er tritt dem LG darin bei, dass der geltend gemachte Anspruch jedenfalls nach § 195 und § 199 BGB verjährt ist. Ein Beseitigungsanspruch unterliegt – anders als Ansprüche auf Unterlassung einer Dauerhandlung – grundsätzlich der Verjährung. Die Sonderregelung in § 26 Abs. 3 des baden-württembergischen Nachbarrechtsgesetzes, wonach Ansprüche auf Beseitigung herüberragender Zweige nicht verjähren, betrifft nur Ansprüche aus diesem Gesetz, nicht aber einen Anspruch, der sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergibt. Eine landesrechtliche Regelung, die die Verjährung eines solchen Anspruchs erleichtern, erschweren oder ausschließen würde, wäre wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes unwirksam.

Praxistipp: Der Kläger sollte stets klarstellen, ob er seinen Anspruch auf das BGB, die landesrechtlichen Vorschriften über das Nachbarrecht oder beide Regelungen stützen will. Hierzu gehört der Vortrag eines die jeweilige Regelung ausfüllenden Lebenssachverhalts.

Montagsblog: Neues vom BGH

Die Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden und die Rechte an einer gemeinsamen Grenzanlage stehen im Mittelpunkt der in dieser Woche veröffentlichten Entscheidungen.

Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden
Urteil vom 25. Januar 2018 – VII ZR 74/15

Mit den Voraussetzungen eines Gewährleistungsanspruchs befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die auf Mallorca wohnhafte Klägerin hatte die Beklagte mit Sanitärarbeiten in einem Haus in Deutschland beauftragt. Drei Monate nach Ausführung der Arbeiten stellte ein Zeuge fest, dass der Fußboden in einer Wohnung vollständig unter Wasser stand. Die Klage auf Ersatz der Kosten zur Behebung der Schäden blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an einen anderen Senat des OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Zurechnungszusammenhang zwischen der – mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen zu unterstellenden – mangelhaften Abdichtung einer Gastherme und den eingetretenen Schäden nicht wegen der langen Abwesenheit der Klägerin aufgehoben. Die Klägerin war auch nicht gehalten, den Zustand der Wohnung mehrmals wöchentlich kontrollieren zu lassen. Selbst wenn gelegentliche Kontrollen geboten gewesen wären, käme eine Anspruchsminderung nach § 254 BGB nur dann in Betracht, wenn der Schaden dadurch ganz oder teilweise hätte vermieden werden können. Zudem kann sich die Beklagte auf ein Mitverschulden ohnehin nicht berufen, wenn ihr die Klägerin, wie von dieser vorgetragen, aufgegeben hat, die Wasserzufuhr abzustellen.

Praxistipp: Die Entscheidung zeigt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO durchaus Erfolg haben kann.

Maschendraht oder Holzgeflecht?
Urteil vom 20. Oktober 2017 – V ZR 42/17

Als Klassiker des Nachbarrechts könnte sich die Entscheidung des V. Zivilsenats erweisen.

Die benachbarten Grundstücke der beiden Parteien sind durch einen rund 1,0 Meter hohen Maschendrahtzaun voneinander getrennt. Die Mieter der Beklagten stellten unmittelbar dahinter einen rund 1,8 Meter hohen Holzflechtzaun auf. Das AG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Beseitigung des neuen Zauns. Das LG wies die Klage ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Nach § 921 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass der Maschendrahtzaun, der teils auf dem einen, teils auf dem anderen Grundstück verläuft, von beiden Nachbarn einvernehmlich errichtet wurde. Ob es sich um eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO oder um eine tatsächliche Vermutung handelt, lässt der BGH offen, weil im Streitfall auch die (potentiell weniger strengen) Voraussetzungen für die Erschütterung einer tatsächlichen Vermutung nicht erfüllt sind. Gemäß § 922 Satz 3 BGB ist ein Nachbar nicht berechtigt, eine gemeinsame Grenzanlage ohne Zustimmung des anderen zu beseitigen zu ändern. Dies gilt auch für Änderungen des Erscheinungsbilds. Der Holzflechtzaun muss deshalb entfernt werden.

Praxistipp: Wenn der Mieter die neue Grenzanlage eigenmächtig errichtet hat und der Vermieter an deren Beibehaltung nicht interessiert ist, genügt es, dem Mieter nach Klageerhebung den Streit zu verkünden.