Anwaltsblog 10/2024: Das vom Empfänger im elektronischen Empfangsbekenntnis angegebene Zustellungsdatum ist maßgeblich, auch wenn das Empfangsbekenntnis erst einen Tag später zurückschickt wird!

Das von Gerichten übersandte Empfangsbekenntnis in Form eines strukturierten Datensatzes erfordert die Eingabe des – ausdrücklich so bezeichneten – „Datum(s) der Bestätigung“ durch den Empfänger. Ob für die Fristberechnung trotzdem das Datum der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses maßgeblich ist, hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – VII ZB 22/23):

 

Der Kläger macht nach dem Einbau einer Fußbodenheizung Mängelrechte geltend. Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts legte er Berufung ein, jedoch nicht fristgerecht. Das OLG verwarf die Berufung und zwei Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig. Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers als elektronisches Dokument zugestellt worden. Nach dem – das Datum des 12. Juni 2023 ausweisenden – elektronischen Empfangsbekenntnis hat der Prozessbevollmächtigte den Beschluss „heute als elektronische(s) Dokument(e) erhalten“. Dieses Empfangsbekenntnis hat der Prozessbevollmächtigte am 13. Juni 2023 unter Verwendung des vom Gericht mit der Übermittlung des Beschlusses zur Verfügung gestellten strukturierten Datensatzes aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) heraus an das OLG zurückübermittelt.

Die am 13. Juli 2023 beim BGH eingegangene Rechtsbeschwerde des Klägers wird als unzulässig verworfen. Sie ist nicht gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses eingelegt worden. Diese Frist begann am 13. Juni 2023, da der Beschluss des OLG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Juni 2023 zugestellt worden ist, und endete gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 Fall 2 BGB mit Ablauf des 12. Juli 2023. Beim BGH eingegangen ist die Rechtsbeschwerde erst nach Fristablauf am 13. Juli 2023.

Die Zustellung der angefochtenen Entscheidung des OLG am 12. Juni 2023 steht aufgrund des elektronischen Empfangsbekenntnisses des Prozessbevollmächtigten des Klägers fest. Für den Nachweis des Zeitpunkts der Zustellung eines elektronischen Dokuments durch elektronisches Empfangsbekenntnis kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Rückübermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses an das Gericht, sondern auf das im Empfangsbekenntnis vom Empfänger eingetragene Zustellungsdatum an. Dieses ist hier der 12. Juni 2023. Die Zustellung eines elektronischen Dokuments an einen Rechtsanwalt wird gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Übermittlung ist der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte strukturierte Datensatz zu verwenden (§ 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird. Auf der Grundlage des geschilderten Willensakts wird das elektronische Empfangsbekenntnis automatisiert aus der verwendeten Software heraus erzeugt und dem Gericht übermittelt; mit dieser Übersendung wird die empfangsbereite Entgegennahme der Nachricht dokumentiert.

Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt – wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis – gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers seinen Empfangswillen hinsichtlich des Beschlusses des OLG durch die Rückübermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes an das Berufungsgericht (erst) am 13. Juni 2023 nach außen dokumentiert hat, vermag nichts daran zu ändern, dass für den Zustellungszeitpunkt der im Empfangsbekenntnis selbst erklärte Zeitpunkt des Erhalts des Beschlusses, hier also der 12. Juni 2023, maßgeblich ist.

Der Kläger hat das im elektronischen Empfangsbekenntnis angegebene Zustellungsdatum auch nicht entkräftet. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdefrist scheidet aus. Ein anwaltlicher Rechtsirrtum über den maßgeblichen Fristbeginn ist verschuldet und dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

 

Fazit: Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass der die Zustellung empfangende Rechtsanwalt die Nachricht öffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingibt und das so generierte Empfangsbekenntnis zurücksendet. Maßgeblich für die Zustellung des elektronischen Dokuments ist das im Empfangsbekenntnis in der Rubrik „Datum der Bestätigung“ eingefügte Datum und nicht das Datum der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei anwaltliche „Betriebsunfälle“ geht es in dieser Woche.

Antrag auf Ergänzung eines Verlustigkeitsbeschlusses
Urteil vom 18. Dezember 2018 – II ZB 21/16

Mit der Frist für einen Antrag auf Ergänzung eines nicht zustellungsbedürftigen Beschlusses befasst sich der II. Zivilsenat.

Mehrere Aktionäre hatten die Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats der Beklagten angefochten. Nach erstinstanzlicher Abweisung der Klage legte einer der Kläger zunächst Berufung ein, nahm diese aber später zurück. Das Berufungsgericht erklärte ihn des Rechtsmittels für verlustig und legte ihm die Kosten des Berufungsverfahrens auf. Rund vier Monate später beantragte ein Streithelfer der Beklagten, der dem Rechtsstreit schon in erster Instanz beigetreten war und in zweiter Instanz einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt hatte, die Ergänzung des Beschlusses dahin, dass der Kläger auch die im Berufungsverfahren angefallenen Kosten des Streithelfers zu tragen hat. Das OLG verwarf den Antrag als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Streithelfers bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass ein nach § 516 Abs. 3 ZPO ergangener Beschluss nicht gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO zustellungsbedürftig ist, sondern gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO formlos mitgeteilt werden kann. Der Beschluss enthält keine Terminbestimmung und setzt auch keine Frist in Lauf. Dass ein Antrag auf Ergänzung eines solchen Beschlusses entsprechend § 321 ZPO innerhalb von zwei Wochen gestellt werden muss, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Notwendigkeit einer Ergänzung im Sinne von § 321 ZPO erweist, stellt eine Ausnahmesituation dar, an der die formalen Anforderungen für die Übermittlung nicht auszurichten sind. Die Zweiwochenfrist des § 321 ZPO beginnt deshalb mit der formlosen Mitteilung des Beschlusses. Im Streitfall war sie bei Stellung des Ergänzungsantrags seit langem abgelaufen.

Praxistipp: Anders als bei einem Rechtsmittel in der Hauptsache beginnt die Frist für den Antrag auf Ergänzung der Kostenentscheidung für den Streithelfer nicht schon mit der Übermittlung der Entscheidung an die Hauptpartei, sondern erst mit Zugang beim Streithelfer.

Überprüfung des Zeitpunkts, zu dem eine Kündigung zugegangen ist
Urteil vom 14. Februar 2019 – IX ZR 181/17

Mit der Pflicht eines Rechtsanwalts, Angaben seines Mandanten zu überprüfen, befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Klägerin betraute den beklagten Rechtsanwalt Anfang Januar mit einer Kündigungsschutzklage gegen ihren Arbeitgeber. Sie teilte mit, das Kündigungsschreiben sei ihr am 23. Dezember zugestellt worden. Der Beklagte reichte die Kündigungsschutzklage am 13. Januar ein. Einen im Gütertermin geschlossenen Vergleich widerrief er fristgerecht. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil es zu der Überzeugung gelangt war, dass der vom Arbeitgeber beauftragte Bote das Kündigungsschreiben bereits am 22. Dezember gegen 11 Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen hatte und die Klage deshalb einen Tag zu spät erhoben worden war. Daraufhin verlangte die Klägerin vom Beklagten zunächst die Zahlung des Betrags, den sie aufgrund des widerrufenen Vergleichs erhalten hätte. Diese Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. In einem zweiten Rechtsstreit verlangte sie wegen verspäteter Einreichung der Kündigungsschutzklage Erstattung von Verdienstausfall in Höhe von rund 26.000 Euro. Dieses Begehren blieb in den beiden ersten Instanzen ebenfalls ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hätte der Beklagte den genauen Zeitpunkt, zu dem das Kündigungsschreiben zugegangen ist, aufklären und bei verbleibenden Zweifeln die Klagefrist anhand des frühestmöglichen Termins berechnen müssen. Ein Rechtsanwalt braucht zwar Tatsachenangaben seines Mandanten nicht durch eigene Nachforschungen überprüfen, sofern keine Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit erkennbar sind. Etwas anderes gilt aber für so genannte Rechtstatsachen, d.h. Umstände, für deren zutreffende Erfassung rechtliche Kenntnisse erforderlich sind. Dazu gehört nicht nur der Zeitpunkt, zu dem eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung zugestellt wurde, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem eine Willenserklärung zugegangen ist. Im Streitfall musste der Beklagte die Angabe der Klägerin deshalb eigenständig überprüfen. Hierbei hätte er erkennen können und müssen, dass das Kündigungsschreiben vom 22. Dezember datiert und den Vermerk „per Boten“ trägt. Ausgehend davon hätte er von einem Zugang noch an diesem Tag ausgehen müssen, wenn die Klägerin nicht zweifelsfrei ausschließen konnte, dass das Schreiben bis zum Abend dieses Tages noch nicht in ihren Briefkasten gelangt war.

Praxistipp: Die rechtskräftige Abweisung einer Schadensersatzklage steht einer erneuten Klage nicht entgegen, wenn diese auf eine andere Pflichtverletzung gestützt wird.

Berufung: Fristbeginn für Urteile nach Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO

Die Vorschrift des § 317 ZPO (Amtliche Überschrift: Urteilszustellung und –ausfertigung) wurde durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786 ff.) geändert. Nach § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO sind seitdem die Urteile den Parteien von Amts wegen nicht mehr in Ausfertigung, sondern nur noch in Abschrift zuzustellen. Die früher erforderliche Zustellung einer Ausfertigung erfolgt gemäß § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO nur noch auf Antrag. Gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 ZPO wird das zuzustellende Schriftstücke von der Geschäftsstelle (nur) beglaubigt (nicht mehr ausgefertigt!). Die in der Praxis Tätigen werden diesen Unterschied voraussichtlich schon bemerkt haben!

Vor der Änderung des § 317 ZPO setzte der Beginn der Berufungsfrist die Zustellung einer Ausfertigung voraus. Gemäß § 517 beginnt die Berufungsfrist von einem Monat mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, für den Fristbeginn sei gleichwohl die Zustellung einer Ausfertigung erforderlich (z. B. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl. (2015), § 517 Rn. 2). Nach der für die Praxis maßgeblichen Auffassung des BGH ist dies aber nicht der Fall (BGH, Urt. v. 27.1.2016 – XII ZB 684/14)! Die Berufungsfrist – und damit auch die Berufungsbegründungsfrist – werden nach der oben erwähnten Gesetzesänderung vielmehr bereits durch die Zustellung schon einer Abschrift des Urteils in Lauf gesetzt. Es liegt auf der Hand, dass schon die gesetzliche vorgesehene routinemäßige Zustellung der Geschäftsstelle die Berufungsfrist in Lauf setzen muss. Anderenfalls hätte es jede Partei in der Hand, durch den Verzicht auf den Antrag, ihr eine Ausfertigung zuzustellen, die Berufungsfrist beliebig bis zum Ablauf der absoluten Berufungsfrist von dann sechs Monaten zu erstrecken. Dies kann nicht der Sinn der Gesetzesänderung gewesen sein.

Der Leitsatz der Entscheidung, die sich im Übrigen mit verschiedenen weiteren komplexeren Fragen der Wiedereinsetzung befasst, worauf hier in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann, lautet wie folgt:

Für Urteile, die nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO zum 1.7.2014 zugestellt worden sind, setzt der Beginn der Fristen zur Berufungseinlegung und -begründung nicht mehr die Zustellung einer Urteilsausfertigung voraus. Entsprechend der nunmehr in § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltenen Regel genügt die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des in vollständiger Form abgefassten Urteils (Abgrenzung zu Senatsbeschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246 = MDR 2010, 946).

Dieser Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen!