Der BGH hat die höchstrichterlich bisher nicht geklärte Frage entschieden, ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument bei einem unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang beim Empfängergericht führen kann (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 411/23):
In einer Familiensache hat die Antragstellerin gegen den ihr am 18. April 2023 zugestellten Beschluss, mit dem die Nichtigkeit der Ehe festgestellt wurde, fristgerecht Beschwerde eingelegt. Mit einem am 13. Juni 2023 über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) beim Familiengericht eingegangenen und an dieses adressierten Schriftsatz hat sie die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat beantragt. Das Amtsgericht hat den Fristverlängerungsantrag ausgedruckt und postalisch an das OLG weitergeleitet, wo er am 22. Juni 2023 eingegangen ist. Das OLG hat einen Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die am 19. Juni 2023 ablaufende Beschwerdebegründungsfrist zu Recht als versäumt angesehen. Die Frist ist nicht durch den über das beA eingereichten Fristverlängerungsantrag an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts gewahrt worden. Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gemäß § 130 a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam beim zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist. Diese Voraussetzung ist mit der Übermittlung des Fristverlängerungsantrags an das EGVP des Amtsgerichts nicht erfüllt. Denn hierbei handelt es sich nicht um die für den Empfang eines Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bestimmte Einrichtung des für die Entscheidung über den Antrag zuständigen Beschwerdegerichts.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts sind jedoch die Voraussetzungen von § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO für eine Wiedereinsetzung erfüllt. Zwar hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten darin gesehen, dass diese den Fristverlängerungsantrag vor Versendung nicht darauf überprüft hat, ob er an das zuständige Rechtsmittelgericht adressiert war. Entgegen der Auffassung des OLG wird die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung jedoch dadurch ausgeschlossen, dass bei im ordentlichen Geschäftsgang erfolgender postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingehen hätte müssen. Geht ein fristgebundener Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Gemessen daran durfte die Antragstellerin darauf vertrauen, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingeht. Denn im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs wäre zu erwarten gewesen, dass bei postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen wäre. Damit entfällt die Kausalität des anwaltlichen Verschuldens für die Fristversäumnis.
Ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht führen kann, ist allerdings umstritten. Nach richtiger Auffassung wird das Formerfordernis aus §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO auch durch die Einreichung eines mit einer einfachen Signatur versehenen Schriftsatzes per beA bei einem nicht zuständigen Gericht erfüllt. Weder aus dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen in §§ 130 a, 130 d ZPO noch aus ihrem Zweck ergibt sich, dass ein mit einer einfachen Signatur versehener Schriftsatz, der per beA und damit auf einem dafür gesetzlich vorgesehenen Weg elektronisch an ein unzuständiges Gericht übermittelt wurde, nur dann der Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO genügt, wenn er auch beim zuständigen Gericht in elektronischer Form eingeht. Durch die Einreichung eines Schriftsatzes, der – wie hier – mit einfacher Signatur versehen auf einem sicheren Übermittlungsweg beim unzuständigen Gericht eingegangen ist, ist die zwingend einzuhaltende Kommunikationsform zwischen den in § 130 d ZPO genannten Personen und den Gerichten gewahrt. Wird ein in dieser Form bei einem unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz dann dort ausgedruckt und in Papierform an das zuständige Gericht weitergeleitet, weil bei dem unzuständigen Gericht noch eine Papierakte geführt wird, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zur elektronischen Einreichung nachgekommen ist.
Freilich kann ein beim unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz keine fristwahrende Wirkung haben, weil hierfür der Eingang beim zuständigen Gericht erforderlich ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch ein an ein unzuständiges Gericht adressierter, mit einfacher Signatur versehener und auf einem sicheren Übermittlungsweg elektronisch übermittelter Schriftsatz in der erforderlichen Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO bei Gericht eingereicht wurde, unabhängig davon, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder elektronisch an das zuständige Gericht weitergeleitet wurde. Dieses Gesetzesverständnis entspricht dem Zweck der Regelungen in §§ 130 a, 130 d Satz 1 ZPO. Ziel war, den elektronischen Rechtsverkehr auf prozessualem Gebiet zu verbessern, die Zugangshürden für die elektronische Kommunikation mit der Justiz zu senken und das Nutzervertrauen im Umgang mit dem neuen Kommunikationsweg zu stärken. Diesem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn durch die Verpflichtung zur aktiven Nutzung der elektronischen Kommunikation gegenüber dem bisherigen Recht der Zugang zu den Gerichten erschwert und die bis dahin bestehenden Verfahrensrechte der Beteiligten eingeschränkt würden. Die formwirksame Einreichung des per beA an das (unzuständige) Amtsgericht übersandten Schriftsatzes wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Fristverlängerungsantrag von dort postalisch an das zuständige Beschwerdegericht weitergeleitet wird. Insoweit fehlt es zwar an einer elektronischen Übermittlung an das zuständige Gericht, so dass aus dessen Sicht die für die Einreichung bei ihm geltenden Übermittlungs- und Formvorschriften nicht erfüllt sind. Dass das Amtsgericht zur Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Beschwerdegericht einen Medienwechsel vornehmen muss, betrifft jedoch lediglich die Kommunikation zwischen den Gerichten.
Fazit: Ein von einem Rechtsanwalt mit einfacher Signatur versehener und über das beA) eingereichter Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist erfüllt auch dann die nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderliche elektronische Form, wenn er beim unzuständigen Ausgangsgericht eingegangen ist. Für die fristwahrende Wirkung kommt es hingegen darauf an, wann das Dokument beim zuständigen Gericht eingegangen ist. Die postalische Weiterleitung eines beim unzuständigen Gericht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingereichten Fristverlängerungsantrags führt nicht zur Formunwirksamkeit des Antrags.
Fazit: Ein von einem Rechtsanwalt mit einfacher Signatur versehener und über das beA) eingereichter Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist erfüllt auch dann die nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderliche elektronische Form, wenn er beim unzuständigen Ausgangsgericht eingegangen ist. Für die fristwahrende Wirkung kommt es hingegen darauf an, wann das Dokument beim zuständigen Gericht eingegangen ist. Die postalische Weiterleitung eines beim unzuständigen Gericht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingereichten Fristverlängerungsantrags führt nicht zur Formunwirksamkeit des Antrags.