Anwaltsblog 47/2024: Bleibt die elektronische Form gewahrt, wenn ein unzuständiges Gericht einen per beA eingegangenen Schriftsatz per Post an das richtige Gericht weiterleitet?

Der BGH hat die höchstrichterlich bisher nicht geklärte Frage entschieden, ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument bei einem unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang beim Empfängergericht führen kann (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 411/23):

 

In einer Familiensache hat die Antragstellerin gegen den ihr am 18. April 2023 zugestellten Beschluss, mit dem die Nichtigkeit der Ehe festgestellt wurde, fristgerecht Beschwerde eingelegt. Mit einem am 13. Juni 2023 über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) beim Familiengericht eingegangenen und an dieses adressierten Schriftsatz hat sie die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat beantragt. Das Amtsgericht hat den Fristverlängerungsantrag ausgedruckt und postalisch an das OLG weitergeleitet, wo er am 22. Juni 2023 eingegangen ist. Das OLG hat einen Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die am 19. Juni 2023 ablaufende Beschwerdebegründungsfrist zu Recht als versäumt angesehen. Die Frist ist nicht durch den über das beA eingereichten Fristverlängerungsantrag an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts gewahrt worden. Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gemäß § 130 a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam beim zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist. Diese Voraussetzung ist mit der Übermittlung des Fristverlängerungsantrags an das EGVP des Amtsgerichts nicht erfüllt. Denn hierbei handelt es sich nicht um die für den Empfang eines Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bestimmte Einrichtung des für die Entscheidung über den Antrag zuständigen Beschwerdegerichts.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts sind jedoch die Voraussetzungen von § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO für eine Wiedereinsetzung erfüllt. Zwar hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten darin gesehen, dass diese den Fristverlängerungsantrag vor Versendung nicht darauf überprüft hat, ob er an das zuständige Rechtsmittelgericht adressiert war. Entgegen der Auffassung des OLG wird die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung jedoch dadurch ausgeschlossen, dass bei im ordentlichen Geschäftsgang erfolgender postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingehen hätte müssen. Geht ein fristgebundener Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Gemessen daran durfte die Antragstellerin darauf vertrauen, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingeht. Denn im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs wäre zu erwarten gewesen, dass bei postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen wäre. Damit entfällt die Kausalität des anwaltlichen Verschuldens für die Fristversäumnis.

Ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht führen kann, ist allerdings umstritten. Nach richtiger Auffassung wird das Formerfordernis aus §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO auch durch die Einreichung eines mit einer einfachen Signatur versehenen Schriftsatzes per beA bei einem nicht zuständigen Gericht erfüllt. Weder aus dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen in §§ 130 a, 130 d ZPO noch aus ihrem Zweck ergibt sich, dass ein mit einer einfachen Signatur versehener Schriftsatz, der per beA und damit auf einem dafür gesetzlich vorgesehenen Weg elektronisch an ein unzuständiges Gericht übermittelt wurde, nur dann der Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO genügt, wenn er auch beim zuständigen Gericht in elektronischer Form eingeht. Durch die Einreichung eines Schriftsatzes, der – wie hier – mit einfacher Signatur versehen auf einem sicheren Übermittlungsweg beim unzuständigen Gericht eingegangen ist, ist die zwingend einzuhaltende Kommunikationsform zwischen den in § 130 d ZPO genannten Personen und den Gerichten gewahrt. Wird ein in dieser Form bei einem unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz dann dort ausgedruckt und in Papierform an das zuständige Gericht weitergeleitet, weil bei dem unzuständigen Gericht noch eine Papierakte geführt wird, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zur elektronischen Einreichung nachgekommen ist.

Freilich kann ein beim unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz keine fristwahrende Wirkung haben, weil hierfür der Eingang beim zuständigen Gericht erforderlich ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch ein an ein unzuständiges Gericht adressierter, mit einfacher Signatur versehener und auf einem sicheren Übermittlungsweg elektronisch übermittelter Schriftsatz in der erforderlichen Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO bei Gericht eingereicht wurde, unabhängig davon, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder elektronisch an das zuständige Gericht weitergeleitet wurde. Dieses Gesetzesverständnis entspricht dem Zweck der Regelungen in §§ 130 a, 130 d Satz 1 ZPO. Ziel war, den elektronischen Rechtsverkehr auf prozessualem Gebiet zu verbessern, die Zugangshürden für die elektronische Kommunikation mit der Justiz zu senken und das Nutzervertrauen im Umgang mit dem neuen Kommunikationsweg zu stärken. Diesem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn durch die Verpflichtung zur aktiven Nutzung der elektronischen Kommunikation gegenüber dem bisherigen Recht der Zugang zu den Gerichten erschwert und die bis dahin bestehenden Verfahrensrechte der Beteiligten eingeschränkt würden. Die formwirksame Einreichung des per beA an das (unzuständige) Amtsgericht übersandten Schriftsatzes wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Fristverlängerungsantrag von dort postalisch an das zuständige Beschwerdegericht weitergeleitet wird. Insoweit fehlt es zwar an einer elektronischen Übermittlung an das zuständige Gericht, so dass aus dessen Sicht die für die Einreichung bei ihm geltenden Übermittlungs- und Formvorschriften nicht erfüllt sind. Dass das Amtsgericht zur Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Beschwerdegericht einen Medienwechsel vornehmen muss, betrifft jedoch lediglich die Kommunikation zwischen den Gerichten.

 

Fazit: Ein von einem Rechtsanwalt mit einfacher Signatur versehener und über das beA) eingereichter Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist erfüllt auch dann die nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderliche elektronische Form, wenn er beim unzuständigen Ausgangsgericht eingegangen ist. Für die fristwahrende Wirkung kommt es hingegen darauf an, wann das Dokument beim zuständigen Gericht eingegangen ist. Die postalische Weiterleitung eines beim unzuständigen Gericht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingereichten Fristverlängerungsantrags führt nicht zur Formunwirksamkeit des Antrags.

 

Fazit: Ein von einem Rechtsanwalt mit einfacher Signatur versehener und über das beA) eingereichter Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist erfüllt auch dann die nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderliche elektronische Form, wenn er beim unzuständigen Ausgangsgericht eingegangen ist. Für die fristwahrende Wirkung kommt es hingegen darauf an, wann das Dokument beim zuständigen Gericht eingegangen ist. Die postalische Weiterleitung eines beim unzuständigen Gericht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingereichten Fristverlängerungsantrags führt nicht zur Formunwirksamkeit des Antrags.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

Anwaltsblog 41/2024: Rechtsbeschwerdeverfahren – Unzulässigkeit von Einwendungen nach versäumten Vortrag im Berufungsverfahren

Dass Berufungsführer, die auf Hinweise des Berufungsgerichts nicht angemessen reagieren, dies nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren nach Verwerfung der Berufung nachholen können, hat der BGH erneut entschieden (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 – VI ZB 30/22):

 

Der Kläger, der an einer pharmakologischen Erstanwendungsstudie des beklagten Forschungsinstitutes an gesunden Probanden teilgenommen hat, nimmt die Beklagte wegen Aufklärungsfehlern in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens abgewiesen. Ob der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, bedürfe keiner Entscheidung, weil er nicht bewiesen habe, dass die Beschwerden durch das Prüfpräparat verursacht worden seien. Die Berufung hat das OLG nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zwar die von dem Landgericht fehlerhaft verneinte Kausalität und damit auch die tragende Erwägung für den Aspekt des Aufklärungsmangels mit Erfolg angegriffen, denn der Kausalitätsnachweis zwischen der Gabe des Prüfpräparates und dem im zeitlichen Zusammenhang aufgetretenen Polyneuropathiesyndrom sei nach dem geringeren Beweismaßstab des § 287 ZPO als geführt anzusehen. Er habe aber in der Berufungsbegründung keine Ausführungen dazu gemacht, inwiefern die Rechtsverletzung des Landgerichts entscheidungserheblich gewesen sei. Hierzu habe es zumindest Ausführungen dazu bedurft, dass tatsächlich auch ein Aufklärungsmangel vorgelegen habe. Der Verweis in der Berufungsbegründung auf den erstinstanzlichen Vortrag sei nicht ausreichend, da der Kläger dort die detaillierten Ausführungen der Beklagten zur ordnungsgemäßen Aufklärung nicht erheblich bestritten habe und die Aufklärung nach dem deshalb zugestandenen Vortrag der Beklagten ordnungsgemäß erfolgt sei. Unabhängig davon könne sich die Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Aus den genannten Gründen wäre die Berufung auch unbegründet. In der Stellungnahme des Klägers auf den Hinweisbeschluss fehle es an einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des Senates, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspreche.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung entgegen der Auffassung des OLG gerecht. Sie lässt hinreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung gerügt, dass das Landgericht rechtsirrig einen Aufklärungsfehler sowie die Kausalität zwischen der Behandlung und dem Schaden verneint habe. Er hat den für die Klageabweisung maßgeblichen Gesichtspunkt angegriffen, dass es ihm nicht gelungen sei, die Kausalität zwischen der Behandlung und den Schäden zu beweisen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Aus der Berufungsbegründung ergibt sich, dass der Kläger Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche aufgrund der vermeintlich fehlerhaft durch die Beklagte durchgeführten pharmakologischen Studie geltend macht. Weiter hat er als Aufklärungsfehler geltend gemacht, dass es nur eine Gruppenaufklärung gegeben habe, bei der die Risiken bagatellisiert und die speziellen Risiken, die sich bei ihm realisiert hätten, gar nicht angesprochen worden seien. Damit wird in einer für die Zulässigkeit der Berufung hinreichend verständlichen Weise deutlich, dass der Kläger vom Berufungsgericht die Überprüfung der Auffassung des Landgerichts vom Fehlen der Kausalität und – bei deren Bejahung – die Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsmängel durch das Berufungsgericht selbst begehrt. Es war nicht geboten, ausdrücklich noch einmal das gesamte erstinstanzliche Vorbringen zu den Voraussetzungen des verfolgten Klageanspruchs – auf das der Kläger in der Berufungsbegründung pauschal verwiesen hat – zu wiederholen und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit des Berufungsangriffs darzutun. Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich bereits daraus, dass eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsversäumnisse nicht erfolgt und die Klage allein mangels vermeintlich nicht feststellbarer Kausalität abgewiesen worden ist. Für die Zulässigkeit der Berufung ist ohne Bedeutung, ob diese Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Ob der Vortrag des Klägers gem. § 138 Abs. 2, 3 ZPO genügt, das Vorbringen der Beklagten zu Umfang und Inhalt der Aufklärung substantiiert zu bestreiten, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung.

Der Kläger kann sich jedoch wegen des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität auf die fehlerhafte Abweisung seiner Berufung als unzulässig nicht mit Erfolg berufen. Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, zu den Ausführungen des Berufungsgerichts im Hinweisbeschluss vom 21. Februar 2022, dass und weshalb die Berufungsbegründung den Vorgaben aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht werde, Stellung zu nehmen. In der kursorischen Stellungnahme zum Hinweisbeschluss finden sich keine Ausführungen dazu, weshalb die Berufung entgegen der im Hinweisbeschluss geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts dennoch zulässig sei. Indem der Kläger zu der angedrohten Verwerfung der Berufung nicht Stellung genommen hat, hat er die ihm eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.

 

Fazit: Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschluss vom 14. September 2021 – VI ZB 30/19 –, MDR 2022, 57).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast für die Ursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung für den Eintritt eines Schadens.

Schadensursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung
BGH, Urteil vom 16. Februar 2023 – III ZR 210/21

Der III. Zivilsenat befasst sich mit der Beweislast hinsichtlich der Frage, wie sich ein Dritter bei pflichtgemäßem Verhalten des in Anspruch genommenen Notars verhalten hätte.

Die als Leasinggeberin tätige Klägerin erhielt die Anfrage einer GmbH zur Finanzierung einer Digitaldruckmaschine für 129.000 Euro. Die Klägerin genehmigte die Finanzierung unter der Auflage, dass der Geschäftsführer der GmbH als Bürge eintritt und dass eine Grundschuld in Höhe von 100.000 Euro bestellt wird. Die GmbH schloss daraufhin den Kaufvertrag mit der Verkäuferin ab und reichte bei der Klägerin ein Formular ein, in dem sie den Abschluss eines Leasingvertrags anbot. Nach Lieferung der Maschine erklärte die Klägerin die Übernahme des Kaufvertrags und die Annahme des Leasingvertrags.

Eigentümer des betroffenen Grundstücks war der Sohn des Geschäftsführers. Dieser ließ kurz nach dem Abschluss der Verträge beim Beklagten seine Unterschrift auf einer von der Klägerin vorbereiteten Zweckerklärung beglaubigen. Der Beklagte sandte eine Kopie dieser Erklärung sowie eines Eintragungsersuchens an das Grundbuchamt an die Klägerin. Im Begleitschreiben teilte er mit, er habe die „beiliegende Grundschuldbestellungsurkunde“ beim Amtsgericht eingereicht. Nach dieser Mitteilung zahlte die Klägerin den Kaufpreis an die Verkäuferin der Druckmaschine.

In der Folgezeit wies das Amtsgericht den Eintragungsantrag zurück, weil lediglich die Zweckerklärung vorliege, nicht aber eine Eintragungsbewilligung. Der Beklagte entwarf daraufhin eine Grundschuldbestellungsurkunde und bat den Grundstückseigentümer, diese zu unterschreiben. Dieser lehnte ab.

Wenige Monate später starb der Geschäftsführer der Leasingnehmerin. Im weiteren Verlauf fiel die Leasingnehmerin in Insolvenz. Eine auf die Zweckerklärung gestützte Klage gegen den Sohn blieb erfolglos. Nunmehr begehrt die Klägerin vom beklagten Notar Ersatz von 100.000 Euro, weil dieser es versäumt habe, schon bei der Beglaubigung der Zweckerklärung eine Grundschuldbestellungsurkunde zu erstellen und ebenfalls zu beglaubigen, und weil er die Klägerin durch die unzutreffende Auskunft zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst habe.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Beklagte hat allerdings seine Amtspflichten verletzt, weil er bei der Beglaubigung der Zweckerklärung nicht geprüft hat, ob alle für die Bestellung der Grundschuld erforderlichen Unterlagen vorliegen.

Entgegen der Auffassung des OLG liegt die Beweislast hinsichtlich der Frage, ob der Grundstückseigentümer die Grundschuldbestellungsurkunde bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten unterschrieben hätte, nicht beim Beklagten, sondern bei der Klägerin.

Ein Notar trägt allerdings die Beweislast für eine zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führende hypothetische andere Schadensursache, wenn er schon durch die pflichtwidrige Beurkundung eines Vertrags einen Schaden verursacht hat. Im Streitfall ist der geltend gemachte Schaden nach dem Vortrag der Klägerin aber nicht durch eine Beurkundung oder Beglaubigung entstanden, sondern dadurch, dass der Beklagte pflichtwidrig von einer Beglaubigung abgesehen hat. In dieser Konstellation betrifft die Frage, ob es bei pflichtgemäßem Verhalten zu der Beglaubigung gekommen wäre, den haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang. Die Beweislast dafür liegt beim Anspruchsteller.

Ein Ersatzanspruch lässt sich auch nicht auf die unzutreffende Mitteilung des Beklagten in dem an die Klägerin übersandten Begleitschreiben stützen. Die Klägerin hat den Kaufpreis zwar im Vertrauen auf die darin enthaltene Mitteilung bezahlt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung der Grundschuld vorliegen. Sie wäre aber ohnehin zur Zahlung verpflichtet gewesen, weil sie den Leasingvertrag bereits abgeschlossen hatte, ohne dessen Wirksamkeit von der Bestellung der Grundschuld abhängig zu machen.

Praxistipp: Um die Beweislage zu verbessern, sollte der Ersatzanspruch möglichst auf Pflichtverletzungen gestützt werden, die ohne weiteres zum Eintritt des Schadens geführt haben. Der Streitfall zeigt indes, dass dies nicht immer möglich ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen der Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs.

Explosion der ausgebauten Batterie eines Elektrorollers
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 1234/20

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Grenzen der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG.

Ein Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung brachte seinen Elektroroller zur Inspektion in Werkstatträume, die bei der klagenden Gebäudeversicherung versichert waren. Ein Mitarbeiter der Werkstatt entnahm die Batterie des Rollers und begann sie aufzuladen. Als er bemerkte, dass sie sich stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.

Die Klage auf Ersatz des Brandschadens blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die vom BGH zugelassene Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an dem für die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zusammenhang zu der vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr allerdings nicht schon deshalb, weil der Roller zur Inspektion in einer Werkstatt war. Ein Schaden, der durch eine Betriebseinrichtung des Fahrzeugs verursacht wird, geht auch dann auf die Betriebsgefahr zurück, wenn er unabhängig vom Fahrbetrieb eingetreten ist.

Die Berufungsentscheidung erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend, weil die Batterie im Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht mehr in das Fahrzeug eingebaut war. Nach dem Ausbau ist die Batterie nicht anders zu beurteilen als ein anderes Bauteil, das erstmals in das Fahrzeug eingebaut werden soll. Der Umstand, dass die Batterie sich zuvor im Elektroroller befand und sich dort entladen hatte, begründet noch keinen hinreichenden Zusammenhang zum Fahrbetrieb.

Praxistipp: Der Zurechnungszusammenhang kann trotz vorherigen Ausbaus zu bejahen sein, wenn der Schaden in nahem örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang steht. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn die Batterie aufgrund starker Belastung im Fahrbetrieb schon bei der Ankunft in der Werkstatt überhitzt war und dieser Umstand für den Schaden ursächlich geworden ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

Montagsblog: Neues vom BGH

Die Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden und die Rechte an einer gemeinsamen Grenzanlage stehen im Mittelpunkt der in dieser Woche veröffentlichten Entscheidungen.

Kausalität eines Werkmangels für einen Wasserschaden
Urteil vom 25. Januar 2018 – VII ZR 74/15

Mit den Voraussetzungen eines Gewährleistungsanspruchs befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die auf Mallorca wohnhafte Klägerin hatte die Beklagte mit Sanitärarbeiten in einem Haus in Deutschland beauftragt. Drei Monate nach Ausführung der Arbeiten stellte ein Zeuge fest, dass der Fußboden in einer Wohnung vollständig unter Wasser stand. Die Klage auf Ersatz der Kosten zur Behebung der Schäden blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an einen anderen Senat des OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Zurechnungszusammenhang zwischen der – mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen zu unterstellenden – mangelhaften Abdichtung einer Gastherme und den eingetretenen Schäden nicht wegen der langen Abwesenheit der Klägerin aufgehoben. Die Klägerin war auch nicht gehalten, den Zustand der Wohnung mehrmals wöchentlich kontrollieren zu lassen. Selbst wenn gelegentliche Kontrollen geboten gewesen wären, käme eine Anspruchsminderung nach § 254 BGB nur dann in Betracht, wenn der Schaden dadurch ganz oder teilweise hätte vermieden werden können. Zudem kann sich die Beklagte auf ein Mitverschulden ohnehin nicht berufen, wenn ihr die Klägerin, wie von dieser vorgetragen, aufgegeben hat, die Wasserzufuhr abzustellen.

Praxistipp: Die Entscheidung zeigt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO durchaus Erfolg haben kann.

Maschendraht oder Holzgeflecht?
Urteil vom 20. Oktober 2017 – V ZR 42/17

Als Klassiker des Nachbarrechts könnte sich die Entscheidung des V. Zivilsenats erweisen.

Die benachbarten Grundstücke der beiden Parteien sind durch einen rund 1,0 Meter hohen Maschendrahtzaun voneinander getrennt. Die Mieter der Beklagten stellten unmittelbar dahinter einen rund 1,8 Meter hohen Holzflechtzaun auf. Das AG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Beseitigung des neuen Zauns. Das LG wies die Klage ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Nach § 921 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass der Maschendrahtzaun, der teils auf dem einen, teils auf dem anderen Grundstück verläuft, von beiden Nachbarn einvernehmlich errichtet wurde. Ob es sich um eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO oder um eine tatsächliche Vermutung handelt, lässt der BGH offen, weil im Streitfall auch die (potentiell weniger strengen) Voraussetzungen für die Erschütterung einer tatsächlichen Vermutung nicht erfüllt sind. Gemäß § 922 Satz 3 BGB ist ein Nachbar nicht berechtigt, eine gemeinsame Grenzanlage ohne Zustimmung des anderen zu beseitigen zu ändern. Dies gilt auch für Änderungen des Erscheinungsbilds. Der Holzflechtzaun muss deshalb entfernt werden.

Praxistipp: Wenn der Mieter die neue Grenzanlage eigenmächtig errichtet hat und der Vermieter an deren Beibehaltung nicht interessiert ist, genügt es, dem Mieter nach Klageerhebung den Streit zu verkünden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Der Strom der Entscheidungen reißt auch zum Jahreswechsel nicht ab. Allen Blog-Lesern wünsche ich ein erfolgreiches neues Jahr 2018!

Haftung des Anwalts für versehentlich versandte Selbstanzeige
Beschluss vom 9. November 2017 – IX ZR 270/16

Der IX. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zum normativen Schadensbegriff bei der Anwaltshaftung aus.

Die Klägerin hatte über mehrere Jahre hinweg Zahlungen an ihren Lebensgefährten zu Unrecht als Betriebsausgaben verbucht. Nach dem Tod des Lebensgefährten beauftragte sie den beklagten Rechtsanwalt mit der Vorbereitung einer Selbstanzeige, deren Freigabe sie sich ausdrücklich vorbehielt. Wegen eines Kanzleiversehens wurde die Selbstanzeige ohne Zustimmung der Klägerin an das Finanzamt versandt. Dieses setzte zusätzliche Steuern in Höhe von rund 70.000 Euro fest. Ferner entstanden der Klägerin Steuerberaterkosten in Höhe von rund 3.500 Euro. Die auf Ersatz dieser Beträge gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der Beklagte hat allerdings seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt, indem er zugelassen hat, dass die Selbstanzeige ohne Freigabe seitens der Klägerin an das Finanzamt versandt wurde. Hierdurch wurde auch ein Schaden verursacht, weil die Klägerin Steuern und Steuerberaterkosten zahlen musste. Bei wertender Betrachtung ist dieser Schaden aber nicht ersatzfähig, weil die Steuernachzahlungen in Einklang mit dem materiellen Recht standen. Das Interesse der Beklagten, ihr die Vorteile der eingetretenen Steuerverkürzung zu erhalten, ist nicht schutzwürdig. Deshalb kann die Beklagte auch nicht Ersatz der im Zusammenhang mit der Nachzahlung entstandenen Beraterkosten verlangen.

Praxistipp: Ein rechtlicher Berater darf sich vertraglich verpflichten, seinen Mandanten vor den Folgen einer Steuerstraftat zu schützen. Er darf es aber nicht übernehmen, dem Mandanten die Früchte einer vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren.

Bürgschaft und Stillhalteabkommen
Urteil vom 28. November 2017 – XI ZR 211/16

Mit der Reichweite des Einwendungsdurchgriffs nach § 768 Abs. 1 BGB befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die klagende Bank hatte einem Unternehmen einen Kontokorrentkredit in Höhe von 4,6 Millionen Euro gewährt. Die Beklagte hatte dafür eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Insolvenz der Hauptschuldnerin schloss die Klägerin mit dieser und einem anderen Bürgen einen Vergleich, in dem sie sich unter anderem verpflichtete, die Darlehensforderung vorbehaltlich einer Zahlung von rund 400.000 Euro nicht mehr gegen die Hauptschuldnerin geltend zu machen. Ihre gegen die Beklagte gerichtete Klage auf Zahlung des restlichen Darlehensbetrags blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Aufgrund des mit der Hauptschuldnerin wirksam vereinbarten Stillhalteabkommens ist die Klägerin gemäß § 768 Abs. 1 BGB auch gegenüber der Beklagten an einer weiteren Geltendmachung der Darlehensforderung gehindert. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in dem Abkommen eine Inanspruchnahme des Bürgen ausdrücklich vorbehalten hat. Gläubiger und Hauptschuldner können die im Gesetz vorgesehene Akzessorietät der Bürgschaft nicht ohne Mitwirkung des Bürgen einschränken.

Praxistipp: In einer Bürgschaftsvereinbarung kann wirksam vorgesehen werden, dass der Bürge auch für Ansprüche haften soll, die der Gläubiger gegen den Hauptschuldner aus Rechtsgründen nicht durchsetzen kann.

Montagsblog: Neues vom BGH

Zuordnung einer Telefax-Nummer zu einem Gericht
Beschluss vom 5. Oktober 2016 – VII ZB 45/14

Mit der Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Prozessbevollmächtigte der in erster Instanz unterlegenen Beklagten hatte die Berufung gegen das Urteil des AG zur Fristwahrung per Telefax übermitteln lassen. Das Original (mit dem Zusatz „vorab per Telefax an 2017-1009“) ging erst nach Fristablauf beim LGein. Auf einen Hinweis des LG, dass ein Faxeingang nicht festgestellt werden könne, machte der Prozessbevollmächtigte glaubhaft, dass seine Sekretärin den Schriftsatz am Tag des Fristablaufs an die angegebene Telefaxnummer übermittelt hatte. Auf einen ergänzenden Hinweis des LG, diese Nummer sei dem AG zugeordnet, zeigte er auf, dass die Nummer sowohl im Dienstleistungsportal des Landes als auch im gemeinsamen Justizportal des Bundes und der Länder als Faxnummer des LG ausgewiesen ist. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er hält bereits die Feststellungen des LG zur Zuordnung der Faxnummer für unzureichend. Anlass zu eingehenderen Ermittlungen bestand aus Sicht des BGH schon deshalb, weil AG und LG eine gemeinsame Briefannahmestelle unterhalten und es deshalb naheliegt, dass eine Geschäftsordnungsregel getroffen wurde, wonach die bei einem dort vorhandenen Faxanschluss eingehenden Schreiben – ebenso wie ein im Original eingegangener Schriftsatz – als bei demjenigen Gericht eingegangen gelten, an das die Sendung adressiert ist. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass im Hinblick auf die Zuordnung der Faxnummer in den beiden Internetportalen jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Dass der diesbezügliche Vortrag erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erfolgte, ist unschädlich, weil für den Prozessbevollmächtigten erst aus dem ergänzenden Hinweis des LG ersichtlich war, dass die Faxnummer einem anderen Gericht zugeordnet sein könnte.

Praxistipp: Wenn ein Gericht mitteilt, eine bestimmte Faxsendung nicht erhalten zu haben, sollte vorsichtshalber auch vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, woraus sich die Zuordnung der verwendeten Telefaxnummer zu dem betreffenden Gericht ergibt.

Schadensersatzpflicht eines Zuschauers für Verbandsstrafe
Urteil vom 22. September 2016 – VII ZR 14/16

Ebenfalls der VII. Zivilsenat war zur Entscheidung eines Falls berufen, der für einige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt hat.

Der Beklagte hatte als Zuschauer bei einem Fußballspiel der 2. Bundesliga einen dem Sprengstoffgesetz unterfallenden Knallkörper gezündet. Dabei wurden sieben andere Zuschauer verletzt. Der Deutsche Fußballbund setzte gegen den Heimverein eine Geldstrafe fest. Die auf Ersatz des gezahlten Betrags gerichtete Klage war in erster Instanz erfolgreich. Das OLG wies die Klage hingegen ab, weil es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehle.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Durch den Stadionbesuch ist ein Zuschauervertrag zustande gekommen, der den Beklagten verpflichtete, das Interesse des Klägers an einem ungestörten Spielablauf nicht zu beeinträchtigen. Der Beklagte hat diese Pflicht verletzt und damit die durch Festsetzung der Verbandsstrafe eingetretene Vermögensbeeinträchtigung auf Seiten des Klägers verursacht. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es nicht an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Zwischen der verletzten Pflicht und der daraus resultierenden Folge besteht ein hinreichender innerer Zusammenhang. Das Mittel der Verbandsstrafe als Sanktion für schuldhafte Störungen durch Zuschauer dient ebenfalls dem Zweck, einen störungsfreien Ablauf zu gewährleisten. Ob die der Festsetzung der Strafe zugrunde liegenden Regeln des DFB wirksam sind, ist irrelevant, weil die Entscheidung des Klägers, die Strafe zu zahlen, jedenfalls keine ungewöhnliche oder unsachgemäße Reaktion darstellt. Der Beklagte kann sich auch nicht auf ein Mitverschulden wegen unzureichender Einlasskontrollen berufen. Diese Kontrollen dienen nicht der Erfüllung einer Obliegenheit des Veranstalters gegenüber Zuschauern, die verbotene Gegenstände mit sich führen.

Praxistipp: Um Diskussionen über die Wirksamkeit der vom DFB erlassenen Verfahrensregeln (dazu BGH, Urteil vom 20. September 2016 – II ZR 25/15) zu vermeiden, ist es zweckmäßig, den Regressanspruch erst nach Zahlung der Geldstrafe geltend zu machen.