Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die formalen Anforderungen an eine Berufungsschrift und die Pflicht des Anwalts, deren Einhaltung zu überprüfen.

Angabe des Berufungsklägers in der Berufungsschrift
Beschluss vom 15. März 2022 – VI ZB 20/20

Mit einem nicht gerade alltäglichen Ablauf bei der Einlegung einer Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Klägerin macht Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus geltend. Die Beklagte zu 1 ist das Klinikum, der Beklagte zu 2 der behandelnde Arzt. Das LG verurteilte beide Beklagten antragsgemäß. Am letzten Tag der Berufungsfrist reichten die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beiden Beklagten beim OLG einen Schriftsatz ein, in dem sie „namens und in Vollmacht der Berufungsklägerin“ Berufung einlegten. Im Rubrum des Schriftsatzes ist auf Beklagtenseite nur die Beklagte zu 1 aufgeführt. Im weiteren Verlauf machten die Prozessbevollmächtigten geltend, die Berufungseinlegung beziehe sich selbstverständlich auf beide Beklagten. Das OLG lehnte die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung des Beklagten zu 2 als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist nur für die Beklagte zu 1 fristgerecht eingelegt worden. Aus dem Wortlaut der ursprünglich eingereichten Berufungsschrift geht nicht hervor, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt ist. Innerhalb der Berufungsfrist waren für das OLG auch keine sonstigen Umstände erkennbar, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass die Berufung auch für den Beklagten zu 2 eingelegt ist. Dass die beiden Beklagten in dem angefochtenen und der Berufungsschrift beigefügten Urteil als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, reicht nicht aus.

Das OLG hat auch die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Der mit der Sachbearbeitung betraute Rechtsanwalt musste die Angaben in der Berufungsschrift selbst überprüfen oder seinen Urlaubsvertreter, der den Schriftsatz unterschrieben hat, darüber informieren, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt werden soll. Beide Anwälte durften sich nicht auf die mündliche Mitteilung ihrer Büroangestellten verlassen, der Schriftsatz sei entsprechend den Vorgaben des Sachbearbeiters erstellt worden.

Praxistipp: Um Fehler dieser Art zu vermeiden, sollten sich Anwalt und Urlaubsvertreter über alle während der Vertretung anstehenden wichtigen Aufgaben unmittelbar austauschen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Signatur eines fristgebundenen Schriftsatzes

Überprüfung eines zu signierenden Schriftsatzes
Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21

Mit den Anforderungen an die Überprüfung eines Dokuments vor dessen elektronischer Signatur befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte gegen ein Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Begründungsfrist ging ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandtes und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument seines Prozessbevollmächtigten ein, das mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das OLG hat die Versäumung der Begründungsfrist zu Recht als schuldhaft angesehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte den Schriftsatz vor der Signatur auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen müssen. Er durfte diese Aufgabe nicht an sein Büropersonal delegieren. Eine Überprüfung war auch deshalb nicht entbehrlich, weil ihm das vollständige Dokument kurz zuvor bereits vorgelegt worden war und er dieses nur zur Korrektur eines Tippfehlers auf der ersten Seite zurückgegeben hatte. Vielmehr musste er auch das korrigierte Dokument darauf überprüfen, ob es den richtigen Inhalt hat und alle Seiten umfasst.

Praxistipp: Der im Streitfall aufgetretene Fehler ist besonders tückisch, weil er bei der Unterschrift eines Papierdokuments wohl ohne weiteres auffallen würde. Um ihn zu vermeiden, sollte ein Signaturprogramm eingesetzt werden, das ein vollständiges Durchblättern des Dokuments ermöglicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Prüfungsumfang in der Rechtsmittelinstanz nach erfolgreicher Anhörungsrüge
Urteil vom 14. April 2016 – IX ZR 197/15

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die Entscheidung, ein bereits abgeschlossenes Verfahren auf eine Anhörungsrüge hin fortzusetzen, in der nächsten Instanz überprüft werden darf.

In einem Rechtsstreit um nicht gezahltes Anwaltshonorar hatte das AG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die als Klägerin auftretende GbR habe ihre Existenz nicht beweisen können. Nach einer Anhörungsrüge gegen dieses (wegen Nichterreichens der Wertgrenze nicht mit der Berufung anfechtbare) Urteil hatte es das Verfahren fortgesetzt und die Beklagten nach ergänzender Beweisaufnahme antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten (die statthaft war, weil das AG zugleich eine von der Beklagten erhobene Hilfswiderklage abgewiesen hatte) hob das LG das zweite Urteil des AG auf und wies die Anhörungsrüge gegen das erste Urteil des AG zurück.

Die dagegen eingelegte Revision des Klägers bleibt erfolglos. Der BGH tritt der Auffassung des LG bei, wonach ein Rechtsmittelgericht überprüfen darf und muss, ob eine in der Vorinstanz ergangene Entscheidung, das Verfahren auf eine Anhörungsrüge hin fortzusetzen, rechtmäßig war. Er stützt dies auf den Umstand, dass gemäß § 321a Abs. 4 Satz 4 ZPO lediglich die Zurückweisung einer Anhörungsrüge unanfechtbar ist, eine vergleichbare Bestimmung für eine der Anhörungsrüge stattgebende Entscheidung hingegen fehlt. Ergänzend weist er auf die auch in den Gesetzesmaterialien angesprochene Parallele zwischen einer Anhörungsrüge und einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil hin.

Praxistipp: Eine Partei, zu deren Lasten ein rechtskräftig abgeschlossener Rechtsstreit nach Anhörungsrüge fortgesetzt wird, sollte im Rahmen der dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Vorsorge dafür treffen, dass sie eine ihr ungünstige Entscheidung mit einem Rechtsmittel anfechten kann.

Auslegung einer Besichtigungsklausel
Urteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 261/14

Mit allgemeinen Grundsätzen für die Auslegung einer in Kaufverträgen häufig verwendeten Formulierung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine fabrikneue Werkzeugmaschine gekauft. Bei der vorangegangenen Besichtigung hatte sie Zeichnungen von Werkstücken vorgelegt, die sie mit der Maschine bearbeiten wollte. Nach Auslieferung beanstandete sie, die Maschine sei zu diesem Zweck nicht geeignet. Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises blieb in zwei Instanzen erfolglos. Das OLG sah es als nicht erwiesen an, dass die Parteien auf der Grundlage der vorgelegten Zeichnungen eine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung getroffen hatten. Die Frage, ob die Maschine die übliche Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB insoweit durch die in dem Kaufvertrag enthaltene Klausel „im Zustand wie in unserem Lager vorhanden und von Ihnen am … besichtigt“.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er erinnert daran, dass Freizeichnungsklauseln grundsätzlich eng auszulegen sind, und vermag schon dem Wortlaut der hier in Rede stehenden Vereinbarung keinen umfassenden Gewährleistungsausschluss zu entnehmen. Ferner weist er darauf hin, dass Freizeichnungsklauseln, die an eine Besichtigung anknüpfen, sich in aller Regel nur auf bei der Besichtigung wahrnehmbare, insbesondere sichtbare Mängel der Kaufsache beziehen. Um einen solchen Mangel ging es im Streitfall nicht.

Praxistipp: Ein Verkäufer, der die Gewährleistung auch für solche Mängel ausschließen will, die nur bei näherer Untersuchung erkennbar sind, muss dies im Kaufvertrag hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.