Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die rechtzeitige Ausübung eines Vorkaufrechts.

Vertragsaufhebung bei siedlungsrechtlichem Vorkaufsrecht
BGH, Urteil vom 11. April 2025 – V ZR 194/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Rückwirkung einer Genehmigung gemäß § 184 BGB.

Die Kläger verkauften im April 2018 zwei landwirtschaftliche Grundstücke an eine Gesellschaft, die dort eine Photovoltaikanlage errichten und betreiben wollte. Der Notar beantragte die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem Grundstücksverkehrsgesetz. Die Genehmigungsbehörde teilte mit, dass sie eine Erklärung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß § 4 RSiedlG herbeiführen wird. Am 26. Juni 2018 ließen die Vertragsparteien den Kaufvertrag durch vollmachtlose Vertreter aufheben. Am 28. Juni 2018 ging beiden Vertragsparteien ein Bescheid zu, in dem die Genehmigungsbehörde mitteilte, die Veräußerung sei nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG nicht genehmigungsfähig und das (nunmehr beklagte) Siedlungsunternehmen habe das ihm für diesen Fall gemäß § 4 RSiedlG zustehende Vorkaufsrecht ausgeübt. Einige Tage danach genehmigten beide Vertragsparteien den Aufhebungsvertrag.

Das LG hat antragsgemäß festgestellt, dass das Vorkaufsrecht nicht wirksam ausgeübt worden ist. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH weist die Klage auf die (auf Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassene) Revision der Beklagten ab.

Wenn die Genehmigungsbehörde zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Grundstücksgeschäft nicht genehmigungsfähig ist, das zuständige Siedlungsunternehmen aber ein Verkaufsrecht gemäß § 4 RSiedlG hat, muss sie den Vertrag gemäß § 12 GrdstVG der Siedlungsbehörde vorlegen. Gemäß § 6 Abs. 1 RSiedlG kann das Vorkaufsrecht ausgeübt werden, sobald die Siedlungsbehörde den Kaufvertrag an das berechtigte Siedlungsunternehmen weitergeleitet hat. Die Erklärung ist über die Siedlungsbehörde der Genehmigungsbehörde zuzuleiten. Es wird ausgeübt, indem die Genehmigungsbehörde diese Erklärung dem Verpflichteten mitteilt. Damit gilt die Veräußerung für das Rechtsverhältnis zwischen Käufer und Vorkaufsberechtigtem als genehmigt.

Wie auch in anderem Zusammenhang können die ursprünglich am Kaufvertrag beteiligten Parteien den Vertrag nicht mehr aufheben, wenn alle zur Wirksamkeit erforderlichen Genehmigungen vorliegen und das Vorkaufsrecht ausgeübt worden ist. In der Konstellation des Streitfalls sind beide Voraussetzungen erfüllt, sobald die Genehmigungsbehörde gemäß § 6 Abs. 1 RSiedlG dem Verkäufer die fehlende Genehmigungsfähigkeit und die Ausübung des Vorkaufsrechts mitteilt, wodurch die bereits erwähnte Genehmigungsfiktion zugunsten des Siedlungsunternehmens eintritt.

Im Streitfall konnten die Vertragsparteien den Vertrag mithin nur bis zum Zugang des Bescheids am 28. Juni 2018 mit Wirkung gegenüber der Beklagten aufheben. Diese Voraussetzung ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht erfüllt.

Der am 26. Juni 2018 geschlossene Aufhebungsvertrag war zunächst unwirksam, weil er von Vertretern ohne Vertretungsmacht geschlossen wurde. Die gemäß § 177 BGB erforderlichen Genehmigungen wurden erst nach dem maßgeblichen Stichtag erteilt.

Die Genehmigung wirkt zwar gemäß § 184 Abs. 1 BGB grundsätzlich auf den Tag des Vertragsschlusses zurück. Entsprechend § 184 Abs. 2 BGB gilt dies aber nicht im Verhältnis zu einem nach § 4 RSiedlG vorkaufsberechtigten Siedlungsunternehmen. Dieses erwirbt mit der Ausübung des Vorkaufsrechts eine schutzwürdige Rechtsstellung. Deren Aufhebung kraft einer Rückwirkung gemäß § 184 Abs. 1 BGB würde dem Gesetzeszweck widersprechen.

Praxistipp: Auch bei vertraglichen Vorkaufsrechten sind gemäß § 465 BGB Vereinbarungen, die die Wirksamkeit des Kaufvertrags von der Nichtausübung des Vorkaufsrechts abhängig machen oder dem Verpflichteten für den Fall der Ausübung den Rücktritt vorbehalten, gegenüber dem Vorkaufsberechtigten unwirksam. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest zweifelhaft, ob ein Vorkaufsrecht dadurch abgewendet werden kann, dass die Vertragsparteien durch vollmachtlose Vertreter einen Aufhebungsvertrag schließen lassen und sich so die Möglichkeit einer rückwirkende Aufhebung verschaffen.

Anwaltsblog 20/2025: Nach Richterwechsel (erneute) mündliche Verhandlung notwendig!

309 ZPO bestimmt, dass das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, die der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Wie bei einem Wechsel des Einzelrichters nach mündlicher Verhandlung und vor Verkündung eines Urteils zu verfahren ist, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 16. April 2025 – VII ZR 126/23):

Die Klägerin verlangt Kostenvorschuss wegen mangelhafter Ausführungen einer Tiefgaragenabdichtung. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat am 16. September 2021 mündlich verhandelt. Als Richterin amtierte Richterin W. als Einzelrichterin, die sodann Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 2. Dezember 2021 bestimmt hat. Richterin W. hat zum 1. Oktober 2021 das Landgericht verlassen. Die nunmehr zuständige Richterin B. hat am 2. Dezember 2021 ein klageabweisendes Urteil verkündet. Dieses ist ausweislich des Urteils durch die Richterin B. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2021 ergangen. Richterin B. hat das Urteil auch unterzeichnet. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zwar sei das angefochtene Urteil unter Verstoß gegen § 309 ZPO ergangen. Dies führe aber nicht zur Begründetheit der Berufung. Insbesondere gebiete dieser Verstoß auch nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Eine Entscheidung im Beschlusswege komme in Betracht, wenn sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte ergäben, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigten. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass die vorzunehmende rechtliche Würdigung angemessen mit der Berufungsführerin nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden könne. Zu Recht habe das Landgericht angenommen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an einen anderen Senat des Berufungsgerichts. In dem vom Berufungsgericht zutreffend als solchen erkannten Verstoß des Landgerichts gegen § 309 ZPO lag zugleich eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das erkennende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist nur durch die Mitwirkung an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung möglich, weil nach § 309 ZPO nur Richter das Urteil fällen können, die dieser Verhandlung beigewohnt haben. Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in der Berufungsinstanz nicht geheilt worden, da das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin entschieden hat. Dadurch hatte die Klägerin weder vor dem Landgericht noch dem Berufungsgericht die Möglichkeit, ihre Argumente in einer mündlichen Verhandlung darzulegen.

Damit hat – auch – das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Zwar folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen. Es durfte nicht annehmen, eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung in jedem Fall geboten.  Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fazit: In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.

OLG Frankfurt a. M.: Feststellung der Parteifähigkeit

Das OLG Frankfurt a. M. unterbreitete in seinem Beschl. v. 11.3.2025 – 9 U 54/24 einige interessante Ausführungen zur Prüfung der Parteifähigkeit, auch in der Berufungsinstanz.

Es ging um die Frage, ob eine angebliche Ltd. aus dem Vereinigten Königreich existiert oder nicht. In einem solchen Fall muss das Gericht gemäß § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen die Existenz der Partei prüfen. Dabei sind alle in Frage kommenden Beweise zu erheben. Es gilt allerdings der Grundsatz des Freibeweises. Erst wenn nach der Berücksichtigung aller Umstände Zweifel an der Existenz der Partei verbleiben, ist davon auszugehen, dass die Parteifähigkeit fehlt. Dabei darf die Parteifähigkeit nicht als doppelrelevante Tatsache im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung offengelassen werden. Die Parteifähigkeit ist eine Sachurteilsvoraussetzung, ohne die kein Urteil ergehen darf.

Da die Parteifähigkeit in jeder Instanz zu prüfen ist, ist das Berufungsgericht nicht an die Feststellung der Eingangsinstanz gebunden. Die §§ 529, 531 ZPO sind daher darauf gleichfalls nicht anwendbar.

In dem Vereinigten Königreich gibt es keine dem hiesigen Handelsregister vergleichbare Einrichtung. Die Existenz einer Ltd. kann wie folgt nachgewiesen werden: Vorlage der „articles of association“, Legitimationsbeschluss über die Bestellung des „director“, Bescheinigung eines „notary public“ oder des „Companies House“.

Anwaltsblog 19/2025: Überspannung anwaltlicher Sorgfaltspflichten bei Wiedereinsetzungsanträgen

Was bei nicht rechtzeitiger Übermittlung fristgebundener Schriftsätze wegen behaupteter Internetstörungen in Wiedereinsetzungsanträgen vorgetragen werden muss, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 24. April 2025 – III ZB 12/24):

 

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers begründete nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 20. November 2023 die Berufung mit Schriftsatz vom selben Tage. Der Schriftsatz ging am 21. November 2023 um 7.20 Uhr beim zuständigen OLG Dresden ein. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags versicherte die Rechtsanwältin anwaltlich, sie habe aufgrund einer Knieverletzung mit ihrem Laptop im „Homeoffice“ gearbeitet und dabei über das Internet auf den Kanzleiserver zugegriffen. Die Berufungsbegründung habe sie um 22.56 Uhr aus ihrem beA-Postfach – ihrer damaligen Überzeugung nach – an das von ihr in der Empfängermaske ausgewählte zuständige OLG Dresden versandt. Nachdem im Ordner „Gesendet“ des beA-Postfachs die erfolgreiche Übermittlung angezeigt worden sei, habe sie noch einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt. Beim Versuch, diesen anschließend in der e-Akte des Anwaltsprogramms auf dem Kanzleiserver zu speichern, habe sie festgestellt, dass die Internetverbindung zwischenzeitlich abgebrochen sei. Daraufhin habe sie bis gegen 24.00 Uhr mehrfach erfolglos versucht, die Verbindung über die Internet- und Netzwerkeinstellungen an ihrem Computer sowie durch Aus- und Einschalten des Laptops und des Routers wiederherzustellen. Ohne Internetverbindung habe sie auch nicht das Prüfprotokoll zur Übermittlung der Berufungsbegründung aus dem beA-Postfach herunterladen, ausdrucken und die Übermittlungsdaten auf ihre Richtigkeit prüfen können. Dies habe sie erst am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr nachholen können, nachdem sich die Internetverbindung habe wiederherstellen lassen. Dabei habe sie feststellen müssen, dass die Berufungsbegründung am Vorabend um 22.56 Uhr tatsächlich unerklärlicherweise an das unzuständige OLG Nürnberg übersandt worden sei. Daraufhin habe sie deren Übermittlung an das OLG Dresden umgehend nachgeholt.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist komme auch mit Blick auf die angeführten Geschehnisse am Abend des 20. November 2023 nicht in Betracht. Der Kläger habe nicht genügend glaubhaft gemacht, dass die verspätete Übermittlung der Berufungsbegründung an das zuständige OLG Dresden nicht durch ein ihm zurechenbares Anwaltsverschulden verursacht worden sei. Es erschließe sich nicht, dass eine ordnungsgemäße Eingangskontrolle stattgefunden habe. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte im unmittelbaren Anschluss an den Übermittlungsvorgang die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO abrufen und eingehend kontrollieren müssen. Stattdessen habe sie  zunächst noch andere Schriftsatzvorgänge über das beA-Postfach abwickeln wollen, wobei es erst im Zuge dieser weiteren Übermittlungsvorgänge zu technischen Störungen gekommen sei. Nach dem geschilderten Geschehensablauf sei nicht auszuschließen, dass bei einer unmittelbar anschließenden Eingangskontrolle ein Abruf des Prüfprotokolls des unzuständigen OLG Nürnberg noch möglich gewesen wäre und der Übermittlungsfehler rechtzeitig hätte festgestellt werden können. Dessen ungeachtet könne das Vorbringen zu aufgetretenen technischen Störungen die Prozessbevollmächtigte des Klägers ohnehin nicht entschuldigen.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Dass die Prozessbevollmächtigte unverschuldet gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründung an das richtige Gericht zu übermitteln, ist nicht glaubhaft gemacht worden. Ein der Partei zuzurechnendes Anwaltsverschulden an der Versäumung einer Frist liegt vor, wenn die für eine Prozessführung erforderliche, übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts außer Acht gelassen worden ist. Bei Anlegung dieses Maßstabs hat das Berufungsgericht zwar die an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten zu stellenden Anforderungen überspannt. Dies hat sich aber im Ergebnis nicht ausgewirkt. Eine Überdehnung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten liegt darin, dass das Berufungsgericht der Prozessbevollmächtigten angelastet hat, nicht sofort nach dem Versand der Berufungsbegründung um 22.56 Uhr auch die vom Justizserver automatisch erstellte Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO im beA-System abgerufen und kontrolliert, sondern erst noch einen Fristverlängerungsantrag in einer anderen Sache gefertigt zu haben. Die anwaltliche Sorgfalt erfordert es, beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per beA zu kontrollieren, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht erteilt worden ist. Danach ist es zwar unerlässlich, dass der Rechtsanwalt die vom Justizserver generierten Eingangsbestätigungen für die von ihm übermittelten fristgebundenen Schriftsätze (überhaupt) abruft und kontrolliert und damit den Übermittlungsvorgang insgesamt abschließt. Allerdings bleibt es seiner eigenen Arbeitsorganisation überlassen, wann er dies tut, sofern er nicht wiederum durch die Wahl dieses Zeitpunkts die anwaltliche Sorgfalt verletzt. Dies ist hier entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht der Fall. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Reicht er ihn nicht rechtzeitig bei Gericht ein, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei einem normalen Verlauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt wird. Schöpft er eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag aus, hat er wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos zudem erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Nutzt ein Rechtsanwalt zur Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes ein Telefaxgerät, hat er das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übertragung begonnen hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit deren Abschluss vor 24.00 Uhr gerechnet werden konnte. Dabei hat er die Belegung des Empfangsgeräts des Gerichts durch andere eingehende Sendungen – insbesondere in den Abend- und Nachtstunden – in Rechnung zu stellen und zusätzlich zu der eigentlichen Sendedauer eine ausreichende Zeitreserve einzuplanen, um gegebenenfalls durch Wiederholung der Übermittlung den Zugang des Schriftsatzes bis zum Fristablauf zu gewährleisten. Dieser zeitliche „Sicherheitszuschlag“ wird allgemein mit ungefähr 20 Minuten bemessen. Entsprechendes gilt bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA, da auch im elektronischen Rechtsverkehr Verzögerungen beispielsweise durch eine Vielzahl vor Mitternacht eingehender und vom System zu verarbeitender Nachrichten, Software-Updates oder Schwankungen bei der Internetverbindung einzukalkulieren sind. Ob dabei ebenfalls eine zeitliche Reserve in der Größenordnung von 20 Minuten zu fordern ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebene Zeitspanne von ungefähr 55 Minuten als Sicherheitszuschlag ausreichend, die ihr ohne den nur wenige Minuten nach 22.56 Uhr erfolgten Internetausfall noch zur Verfügung gestanden hätte, um die Eingangsbestätigung abzurufen und zu kontrollieren, die Fehlübersendung zu bemerken und die Übermittlung der Berufungsbegründung an das richtige Empfängergericht nachzuholen.

Danach steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht schon entgegen, dass seine Prozessbevollmächtigte den korrekten Zugang der Berufungsbegründung nicht unmittelbar im Anschluss an deren Versendung überprüft hat. Dass die Vorinstanz insoweit gleichwohl von einem Sorgfaltspflichtverstoß ausgegangen ist, hat sich indes nicht entscheidungserheblich ausgewirkt. Denn die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist selbständig tragend auch darauf gestützt, dass das Vorbringen des Klägers zum Ausfall der Internetverbindung und zu den von seiner Prozessbevollmächtigten entfalteten Bemühungen zu deren Wiederherstellung unzureichend ist und damit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass das Unterbleiben einer rechtzeitigen „Reparatur“ des Übermittlungsfehlers auf einem Verschulden ihrerseits beruht. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen den Rechtsanwalt nur dann entlastet, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und weder durch regelmäßige Wartungen der Geräte hätte verhindert werden können noch auf einem Bedienfehler beruht. Dies ist substantiiert und nachvollziehbar vorzutragen und glaubhaft zu machen, wobei außer der Art des Defekts und der Maßnahmen zu seiner Behebung auch dargelegt werden muss, dass die Fristwahrung nicht auf anderem Wege – also im elektronischen Rechtsverkehr durch eine gemäß § 130d Satz 2 ZPO zulässige Ersatzeinreichung etwa per Telefax – möglich war. Ob das Berufungsgericht zu Recht beanstandet hat, es werde „lediglich in allgemeiner Form…mitgeteilt“, dass am 20. November 2023 nach 22.56 Uhr das Internet ausgefallen sei, wofür „nachvollziehbare Belege…fehlen“, kann dahinstehen. Dazu ist lediglich anzumerken, dass mit einem – nach allgemeiner Lebenserfahrung gelegentlich durchaus auftretenden – Abbruch der Internetverbindung die Art der technischen Störung hinreichend genau beschrieben (anders als etwa mit einem „Computerdefekt“) und durch die abgegebene anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht sein dürfte. Die Vorinstanz, die die Schilderungen zu den Bemühungen um die Wiederherstellung der Internetverbindung als „rudimentär“ bewertet hat, hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Internetverbindung erfolglos ergriffen hat bzw. aus konkret bezeichneten Gründen nicht hat ergreifen können. Zwar sind insoweit keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, zumal ein Internetausfall vielfältige und nicht immer sicher identifizierbare Ursachen haben kann (z.B. ungünstige Wetterbedingungen, Kabelbrüche durch Straßenbauarbeiten, technische Probleme im Verantwortungsbereich des Internetanbieters, Defekte oder Störungen des Routers, Konfigurations-, Software- oder Hardwareprobleme innerhalb des lokalen Netzwerks oder des Endgeräts). Von einem Rechtsanwalt als professionellem Anwender kann jedoch erwartet werden, dass er diejenigen ganz einfachen, ohne besondere technische Kenntnisse auch von Laien umsetzbaren und weitgehend allgemein geläufigen Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung einer Internetverbindung kennt und ergreift. Dazu gehört nicht nur das Aus- und Einschalten des Routers und des Computers sowie die Überprüfung von dessen Internet- und Netzwerkeinstellungen, sondern jedenfalls auch die Kontrolle, ob die Netzwerkkabel am Router und (bei einer LAN-Verbindung) am Computer noch richtig eingesteckt sind. Dazu ist hier nichts vorgetragen worden. Insbesondere hat die Prozessbevollmächtigte nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie überprüft habe, ob sich die Kabelverbindungen gelöst hätten. Da es schon insoweit an einem ausreichenden Wiedereinsetzungsvorbringen fehlt, muss nicht abschließend entschieden werden, ob auch die einfach zu bewerkstelligende Errichtung eines WLAN-Hotspots über ein Smartphone und dessen Nutzung als Ersatz-Internetverbindung zu den Maßnahmen gehört, zu denen im Wiedereinsetzungsverfahren hätte vorgetragen werden müssen.

 

Fazit: Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 –, MDR 2021, 896).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erstattung außergerichtlicher Kosten in Verfahren nach dem FamFG.

Reichweite einer Kostengrundentscheidung
BGH, Beschluss vom 23. April 2025 – IV ZB 18/24

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit dem Unterschied zwischen § 81 und § 84 FamFG.

Der Beteiligte zu 1 beantragte die Einziehung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 2 als Alleinerben ausweist. Das AG hat den Antrag abgewiesen und dem Beteiligten zu 1 unter Bezugnahme auf § 81 FamFG die Kosten des Einziehungsverfahrens auferlegt. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen und unter Bezugnahme auf § 84 FamFG ausgesprochen, dass der Beteiligte zu 1 die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat.

Der Beteiligte zu 2 hat daraufhin die Festsetzung zu erstattender Kosten in Höhe von rund 14.000 Euro beantragt. Das AG hat die Kosten antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 hat hinsichtlich der zweitinstanzlichen Kosten ebenfalls keinen Erfolg. Den Antrag auf Festsetzung der erstinstanzlichen Kosten weist der BGH hingegen zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG ist einer erstinstanzlichen Entscheidung in einem Nachlassverfahren, in der ein Antrag kostenpflichtig zurückgewiesen wird oder dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, regelmäßig nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller außergerichtliche Kosten der anderen Beteiligten zu tragen hat. Dies hat der BGH bereits vor kurzem so entschieden (Beschluss vom 29. Januar 2025 – IV ZB 2/24, MDR 2025, 482 Rn. 12 ff.). Aus den Entscheidungsgründen kann sich zwar im Einzelfall etwas anderes ergeben. Ein bloßer Verweis auf § 81 FamFG reicht hierfür aber nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren kann eine solche Entscheidung nicht nachgeholt werden,

Eine Beschwerdeentscheidung, in der dem Beschwerdeführer unter Verweis auf § 84 FamFG die zweitinstanzlichen Kosten auferlegt werden, verpflichtet hingegen in der Regel auch zur Erstattung notwendiger Aufwendungen weiterer Beteiligter im Sinne von § 80 Satz 1 FamFG. Auch dies hat der BGH vor kurzem bereits entschieden (Beschluss vom 27. November 2024 – IV ZB 12/24,        MDR 2025, 346 Rn. 12).

Hintergrund dieser Unterscheidung ist, dass die Kostenentscheidung in erster Instanz gemäß § 81 FamFG dem Ermessen des Gerichts obliegt, während § 84 FamFG die Auferlegung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz als Regelfall vorsieht.

Praxistipp: Soweit dem erstinstanzlichen Gericht ein Ermessen zusteht, hat das Beschwerdegericht gegebenenfalls eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (so zu § 18 VersAusglG: BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – XII ZB 372/16, MDR 2017, 296 Rn. 10). Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen ein Antrag des Beschwerdegegners, dem Beschwerdeführer auch die außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz aufzuerlegen.

Anwaltsblog 18/2025: Darf ein Schriftsatz nur aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt werden?

Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein qualifiziert elektronisch signierter Schriftsatz nur aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz signiert hat, dem Gericht übermittelt werden darf (BGH, Beschluss vom 11. März 2025 – VI ZB 5/24):

Eine fristgemäß eingegangene Berufungsbegründung ist von RA Dr. I. qualifiziert elektronisch signiert. Im zugehörigen Prüfvermerk ist als Absender der Nachricht RA Dr. E. genannt mit dem Hinweis: „Diese Nachricht wurde per EGVP versandt“. Im Briefkopf der Berufungsbegründung sind mehrere Berufsträger angegeben, u.a. Rechtsanwälte Dr. E. und Dr. I. In der Berufungsbegründung wird einleitend RA Dr. E. als „Ansprechpartner“ genannt. Am Ende des Schriftsatzes findet sich nur die Angabe „Rechtsanwalt“, ein Name ist dort nicht angegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der Schriftsatz sei per EGVP, also nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg, eingereicht worden. Es wäre deshalb eine qualifizierte elektronische Signatur des Einreichers notwendig gewesen. Zwar habe Rechtsanwalt Dr. I. die Berufungsschrift qualifiziert elektronisch signiert; es sei aber nicht hinreichend sicher, ob dieses Sozietätsmitglied den eingereichten Schriftsatz auch bewusst eingereicht habe und ihn habe verantworten wollen. Denn eine einfache Signatur am Ende der Berufungsbegründung etwa durch maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens fehle. Die Berufungsbegründung sei lediglich mit „Rechtsanwalt“ unterzeichnet. Hinzu komme, dass die Berufungsbegründung ausweislich des Prüfvermerks „aus dem EGVP“ des Rechtsanwalts Dr. E. versandt worden sei, der im Kopf der Berufungsbegründung als Sachbearbeiter („Ansprechpartner“) aufgeführt sei. Dieser habe auch die Berufung eingelegt und das Verfahren in erster Instanz allein verantwortet. Damit stehe nicht fest, welcher der beiden Anwälte die Berufungsschrift verantworte.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung der Klägerin sei nicht fristgemäß begründet worden, da der beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht genüge, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach, einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht. Ein elektronisches Dokument, das aus einem persönlich zugeordneten beA (§ 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann wirksam eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt.

Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zwar zu Recht angenommen, dass die Berufungsbegründung, die mit dem Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namenszusatz endet, nicht unter den Voraussetzungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ZPO beim Berufungsgericht eingereicht worden ist. Denn die Berufungsbegründung ist weder mit einer einfachen Signatur eines Rechtsanwalts versehen, wofür die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes ausreicht, noch auf einem sicheren Übermittlungsweg iSd. § 130a Abs. 4 Satz 1 ZPO eingereicht worden. Aus den Angaben im Prüfvermerk ergibt sich, dass die Berufungsbegründung zwar aus dem beA des Rechtsanwalts Dr. E. versandt worden ist, aber nicht von ihm persönlich. Rechtsfehlerhaft ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung sei auch nicht nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO wirksam eingereicht worden, da nicht feststehe, welcher der beiden Anwälte die Berufungsbegründung verantworte. RA Dr. I. hat die Berufungsbegründung qualifiziert elektronisch signiert. Mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur ist die Vermutung verbunden, dass er die Verantwortung für die Berufungsbegründung übernehmen wollte; diese Vermutung ist im Streitfall nicht erschüttert. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht im elektronischen Rechtsverkehr der handschriftlichen Unterschrift. Es spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der Unterzeichner sich den Inhalt eines Schreibens zu eigen gemacht hat und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt. Entsprechend bringt der Rechtsanwalt, der ein elektronisches Dokument qualifiziert elektronisch signiert, selbst wenn es von einem anderen verfasst wurde, wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen.

Diese mit der qualifizierten elektronischen Signatur von RA Dr. I. verbundene Vermutung ist nicht erschüttert. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich weder daraus, dass RA Dr. E. das Verfahren in erster Instanz allein verantwortet und die Berufung eingelegt hat, noch daraus, dass er als „Ansprechpartner“ in der Berufungsbegründung angegeben ist. Anders als das Berufungsgericht meint, ist auch unschädlich, dass der Name von RA Dr. I. am Ende des Schriftsatzes nicht genannt ist und der Schriftsatz nicht aus dessen beA versandt worden ist. Das Berufungsgericht verkennt die Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO. Die einfache Signatur eines Schriftsatzes ist neben der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO nicht erforderlich.

 

Fazit: § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO verlangt nicht, dass der Schriftsatz aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt wird (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 6 StR 93/24 –, juris).

Anwaltsblog 17/2025: Für die beA-Ersatzeinreichung reicht die bloße Bezeichnung der Störung nicht aus!

Erneut hatte sich der BGH mit der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO zu befassen, insbesondere mit den Anforderungen an die „aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände“, die zur Ersatzeinreichung berechtigen (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VI ZB 19/24):

 

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat am 21. April 2023 (Freitag) um 11.24 Uhr per Telefax eine Berufungsschrift an das Berufungsgericht übersandt. Darin heißt es einleitend: „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der am letzten Tag der Berufungsfrist übermittelte Schriftsatz sei entgegen § 130d Satz 1 ZPO nur per Telefax und daher nicht formgerecht als elektronisches Dokument gemäß § 130a ZPO eingereicht worden. Die Voraussetzungen einer wegen vorübergehender technischer Gründe zulässigen Einreichung auf anderem Weg seien nicht unverzüglich glaubhaft gemacht worden (§ 130d Satz 2 und 3 ZPO). Die Ersatzeinreichung per Telefax habe lediglich den Hinweis „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ enthalten. Eine Glaubhaftmachung erfordere eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Das gelte auch bei einer allgemeinen Störung des beA, und zwar unabhängig davon, ob diese Störung gerichtsbekannt sei und ob das Gericht sich von ihr Kenntnis verschaffen könne. Die Glaubhaftmachung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine allgemeine, mehrtägige Störung des beA gehandelt habe. Auch bei einer gerichtsbekannten Störung des beA bedürfe es der näheren Schilderung und Glaubhaftmachung der hindernden Umstände.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat durch sein Telefax vom 21. April 2023 nicht formgerecht Berufung eingelegt. Gemäß § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Das gilt auch für die Einreichung der Berufungsschrift beim Berufungsgericht (§ 519 Abs. 4 ZPO). Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Fehlt die Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO, so ist die Ersatzeinreichung unwirksam.

Der Beklagte hat die vorübergehende Unmöglichkeit, die Berufungsschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln, im Telefax vom 21. April 2023 bereits nicht ausreichend dargelegt. Nach § 130d Satz 2 ZPO ist eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dabei spielt zwar keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Möglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist, weil auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen soll. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird jedoch klargestellt, dass professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Eine vorübergehende Unmöglichkeit iSv. § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Für die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf es daher zunächst einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die dargelegten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.

Die der Ersatzeinreichung vom 21. April 2023 beigefügte Erklärung „vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ ist schon deshalb keine ausreichende Darlegung, weil sie keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände enthält. Denn die Darstellung des Defekts beschränkt sich auf die Bezeichnung „Übertragungsstörung“, die ganz verschiedene Auswirkungen und Ursachen haben kann. Auch die zeitlichen Zusammenhänge erschließen sich allein durch den wertenden und konkretisierungsbedürftigen Begriff „dauerhaft“ nicht. Unerheblich ist, ob die EGVP-Kommunikation vom 18. April 2023 um 18.00 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21.20 Uhr gestört war. Auch dann wäre eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände erforderlich. Denn es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine Ersatzeinreichung ausscheidet, weil diese technische Störung nicht kausal für die gescheiterte Übermittlung als elektronisches Dokument gewesen wäre.

 

Fazit: Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, MDR 2023, 862).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Rechtsstellung eines Miterben in Bezug auf einen zum Nachlass gehörenden Miteigentumsanteil an einem Grundstück

Teilungsversteigerung trotz Pfändung eines Erbteils
BGH, Beschluss vom 20. März 2025 – V ZB 63/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Rechten eines Miterben im Verhältnis zu den Miteigentümern und zu einem Gläubiger, zu dessen Gunsten der Erbteil gepfändet worden ist.

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind gemeinsam Eigentümer eines Grundstücks. Einer der beiden Miteigentumsanteile steht der Beteiligten zu 2 alleine zu, der andere beiden Beteiligten in Erbengemeinschaft. Im November 2018 ordnete das AG auf Antrag der Beteiligten zu 1 die Zwangsversteigerung des Grundstücks zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft an. Die Beteiligte zu 2 ließ in der Folgezeit den Miterbenanteil der Beteiligten zu 1 pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Kurze Zeit darauf übertrug die Beteiligte zu 1 ihren Erbteil auf die Beteiligte zu 3.

Der Antrag der Beteiligten zu 2, das Versteigerungsverfahren aufzuheben oder hilfsweise einzustellen, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Zu Recht hat das LG entschieden, dass kein Hindernis vorliegt, das gemäß § 28 ZVG zur Aufhebung oder Einstellung des Verfahrens führt.

Nach § 2042 Abs. 2 BGB und § 180 Abs. 1 sowie § 181 Abs. 2 ZVG kann ein Miterbe die Teilungsversteigerung eines Grundstücks auch dann beantragen, wenn lediglich ein Miteigentumsanteil zum Nachlass gehört. Mit einem solchen Antrag macht er den vormals dem Erblasser zustehenden Anspruch auf Auseinandersetzung der Bruchteilsgemeinschaft geltend. Diesen Anspruch darf nach der allgemeinen Regelung in § 2039 Satz 1 BGB jeder Erbe ohne Mitwirkung der übrigen Erben geltend machen.

Die Pfändung und Überweisung des Erbteils steht weder der Einleitung noch der Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens entgegen.

Der Schuldner eines gepfändeten Rechts darf über dieses weiterhin Verfügungen treffen, sofern diese das Pfandrecht des Gläubigers nicht beeinträchtigen. In der Literatur ist umstritten, ob die Veräußerung eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks nach Pfändung des Erbteils zu einer Beeinträchtigung führt. Der BGH lässt diese Frage offen und entscheidet, dass im Falle einer Teilungsversteigerung jedenfalls dann keine Beeinträchtigung vorliegt, wenn lediglich ein Miteigentumsanteil zum Nachlass gehört. Der Pfandgläubiger hat ohnehin nur ein Recht auf Befriedigung aus dem Auseinandersetzungsguthaben. Mit der Teilungsversteigerung setzen sich seine Rechte an dem Anspruch auf Auszahlung des anteiligen Übererlöses fort.

Ob die Übertragung des Erbteils auf die Beteiligte zu 3 im Verhältnis zur Beteiligten zu 2 wirksam ist, bedarf keiner Entscheidung. Diese Frage hat nur Auswirkungen darauf, wer nunmehr als Antragsteller des Versteigerungsverfahrens anzusehen ist. Dieses Verfahren ist aber unabhängig davon durchzuführen, ob die Beteiligte zu 1 oder die Beteiligte zu 3 diese Stellung einnehmen.

Praxistipp: Einen Antrag auf Teilungsversteigerung darf nach § 180 Abs. 1 und § 181 Abs. 2 Satz 1 ZVG jeder im Grundbuch eingetragene Miteigentümer stellen. Der Einwand, der Antragsteller sei materiell nicht berechtigt, darf nur im Wege der Widerspruchsklage nach § 771 ZPO geltend gemacht werden (BGH, U. v. 8.7.2021 – V ZB 94/20, MDR 2021, 1415 Rn. 10).

KG: Beschwerde im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens

In einem der letzten Beiträge wurde auf eine Entscheidung des KG (Beschl. v. 2.1.2025 – 2 W 18/24) hingewiesen, wonach die Zurückweisung von Anträgen auf Ablehnung eines „Obergutachtens“ sowie auf eine ergänzende Begutachtung durch einen bereits bestellten Sachverständigen nicht beschwerdefähig sind.

Nunmehr hat ein anderer Senat des KG (Beschl. v. 10.3.2025 – 21 W 5/25) diese Entscheidung ergänzt und ausdrücklich und gleichfalls mit langer und sorgfältiger Begründung entschieden, dass die Zurückweisung von Ergänzungsfragen zu einem im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist.

Da es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlt, könnte eine Beschwerde nur nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 zulässig sein. Wenn eine Partei im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt, Ergänzungs- oder Gegenfragen durch eine ergänzende schriftliche Begutachtung zu klären, ist dies kein „Gesuch“ i. S. d. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Unter einem Gesuch ist lediglich ein förmlicher Antrag zu verstehen. Denn über diese Punkte hat das Gericht zur Not gemäß den § 492 Abs. 1, § 411 Abs. 3 nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen zu befinden. Im Übrigen gehen die Möglichkeiten der Parteien im selbständigen Beweisverfahren nicht weiter als im ordentlichen Verfahren. Aber auch im „normalen“ Zivilprozess ist gegen die Ablehnung von ergänzenden Fragen kein Rechtsmittel gegeben. Hinzu kommt, dass im selbständigen Beweisverfahren keine Würdigung der Beweise stattfindet und deswegen Entscheidungen nach den § 411 Abs. 3 und § 412 ZPO nicht erfolgen können.

Im konkreten Fall kam der Antrag von einem Streitverkündeten. Dies ändert jedoch nichts, da ein Streitverkündeter nicht mehr Rechte hat als die Partei selbst (§ 67 ZPO). Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren (nur für die Anwaltskosten, da für das Gericht eine Festgebühr entsteht) wurde pauschal auf 25 % der Hauptsache geschätzt. Das KG hat die Kosten der erfolglosen Beschwerde dem Beschwerdeführer auferlegt (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Parteien sind insoweit nicht rechtlos gestellt. Wenn es zu einem streitigen Verfahren kommt, muss gegebenenfalls das Prozessgericht den gestellten Anträgen nachgehen. Gegen dessen (Hauptsache)Entscheidung ist dann ein Rechtsmittel gegeben. Das Unterlassen weiterer Aufklärung kann sodann gegebenenfalls mit einer Verfahrensrüge angegangen werden.

Im Übrigen erscheint noch Folgendes möglich: Es kann die Anhörung des Sachverständigen beantragt werden. Einen solchen Antrag darf das Gericht kaum ablehnen. In diesem Rahmen könnten dann dem Sachverständigen die notwendigen Fragen gestellt werden.

Anwaltsblog 16/2025: Auch ein geschäftsunfähiger Auftraggeber eines Notars muss Notarkosten bezahlen!

Ob ein nicht erkennbar geschäftsunfähiger Auftraggeber einem Notar zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet ist oder ob dem §§ 104 ff. BGB entgegenstehen, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2025 – IV ZB 37/24):

 

Die (nicht erkennbar) geschäftsunfähige Beteiligte suchte einen Notar auf, weil sie ihren ehemaligen Bankberater adoptieren, zum Alleinerben einsetzen und ihm eine umfassende Vollmacht erteilen wollte. Der Notar beriet die Beteiligte in mehreren Terminen. Nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, von dem Vorhaben Abstand genommen zu haben, erteilte der Notar eine Kostenberechnung über 3.531,32 €. Auf Antrag der Beteiligten hat das Landgericht die Kostenberechnung aufgehoben. Die Beschwerde des Notars hat das Kammergericht zurückgewiesen. Er könne Zahlung nicht verlangen, weil die Beteiligte geschäftsunfähig iSv. § 104 Nr. 2 BGB sei und der erteilte Beratungsauftrag entsprechend dem Rechtsgedanken des § 105 Abs. 1 BGB nichtig war.

Die Rechtsbeschwerde des Notars ist begründet. Ihm steht ein Gebührenanspruch gegen die Beteiligte zu. Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht eine Kostenhaftung der Beteiligten aus § 29 Nr. 1 GNotKG abgelehnt. Ein – für den Notar nicht erkennbar – geschäftsunfähiger Auftraggeber ist zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet. Die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf Aufträge an einen Notar weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

Nach § 29 Nr. 1 GNotKG ist Kostenschuldner, wer dem Notar den Auftrag erteilt oder den Antrag gestellt hat. Unter dem Begriff des Auftrags ist jedes an den Notar gerichtete Ansuchen zu verstehen, das auf die Vornahme einer notariellen Amtstätigkeit gerichtet ist. Einen Auftrag, zu einem Testament, einer Adoption und einer Vorsorgevollmachtserteilung zumindest beraten zu werden, hat die Beteiligte dem Notar jedenfalls erteilt; ob sich dieses Ansinnen bereits auf eine Beurkundung richtete, kann offenbleiben. Die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf den Auftrag an einen Notar nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich dabei nicht um eine privatrechtliche Willenserklärung des Auftraggebers handelt. Der Notar nimmt seine Amtsgeschäfte aufgrund seiner Eigenschaft als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wahr (§ 1 BNotO); das Rechtsverhältnis, in dem er zu den Beteiligten steht, ist – obwohl das Gesetz in § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BNotO vom „Auftraggeber“ des Notars spricht – kein privatrechtlicher Vertrag. Dies gilt nicht nur für die Urkundstätigkeit, sondern ebenso für die Amtstätigkeit im Sinne der §§ 23, 24 BNotO, d.h. auch für die „sonstigen Betreuungsgeschäfte“.

Eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB auf den Notarauftrag kommt nicht in Betracht. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Hier fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. § 29 Nr. 1 GNotKG übernimmt den Grundsatz der Antragstellerhaftung bzw. Auftraggeberhaftung aus § 2 Nr. 1 KostO, der für Gerichtsverfahren und Notarauftrag (§ 141 KostO) gleichermaßen galt. Eine inhaltliche Änderung der früheren Regelung, nach der die Kosten schuldet, wer die Tätigkeit „veranlasst“ hat, war daher nicht beabsichtigt. Obwohl vor Erlass des GNotKG am 23. Juli 2013 die zur Kostenordnung ergangene Rechtsprechung, die eine Kostenhaftung des unerkannt geschäftsunfähigen Auftraggebers annahm, bekannt war, sah der Gesetzgeber keinen Anlass, eine entsprechende Ausnahme zugunsten Geschäftsunfähiger anzuordnen. Darüber hinaus sind auch die Situation des Geschäftsunfähigen, der vor Verpflichtungen durch privatrechtliche Willenserklärungen geschützt werden soll, und die des geschäftsunfähigen Auftraggebers eines Notars nicht miteinander vergleichbar. Nach den §§ 104 ff. BGB soll der Schutz Geschäftsunfähiger und beschränkt Geschäftsfähiger Vorrang vor den Interessen des Rechtsverkehrs haben, sodass dem Vertragspartner das Risiko der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zugewiesen wird. Der Notar dagegen gehört nicht zum Rechtsverkehr in diesem Sinne, sondern wird als Amtsträger zur Erbringung einer öffentlich-rechtlichen Leistung in Anspruch genommen. Dabei soll, wie § 11 Abs. 1 BeurkG zeigt, der Notar nach Erteilung eines Auftrags – bereits als Teil seiner Amtstätigkeit – prüfen, ob einem Beteiligten die erforderliche Geschäftsfähigkeit fehlt, wenn dafür ein Anlass besteht. Erst die Überzeugung des Notars vom Fehlen der Geschäftsfähigkeit soll nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BeurkG zur Ablehnung einer Beurkundung führen. Die fehlende Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB beruht nicht darauf, dass der Notar zu bestimmten Tätigkeiten verpflichtet ist, sondern darauf, dass das Kostenschuldverhältnis ohne Mitwirkung des Notars ohne weiteres zustande kommt. Zwischen der Urkundstätigkeit, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht ohne ausreichenden Grund verweigert werden kann, und einer Beratung, deren Ablehnung im pflichtgemäßen Ermessen des Notars steht, besteht daher für die Kostenhaftung eines geschäftsunfähigen Auftraggebers kein durchgreifender Unterschied.

 

Fazit: Ein – für den Notar nicht erkennbar – geschäftsunfähiger Auftraggeber ist unabhängig von der Art der notariellen Tätigkeit zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet. Die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf Aufträge an einen Notar weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.