Weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG, aber nur für die Überschuldung – Ein politischer Kompromiss mit enormen Fallstricken

Die Insolvenzantragspflicht für haftungsbeschränkte Gesellschaften aus § 15a InsO ist derzeit in vielen Fällen gemäß § 1 COVInsAG bis zum 30.9.2020 ausgesetzt (dazu ausführlich Bitter, GmbHR 2020, 797 ff. und GmbHR 2020, 861 ff.). Lange war spekuliert und auch diskutiert worden, ob wohl das Ministerium von der in § 4 COVInsAG enthaltenen Möglichkeit, den Aussetzungszeitraum per Rechtsverordnung bis zum 31.3.2021 zu verlängern, Gebrauch machen würde.

Mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 zeichnet sich nun eine ganz andere Lösung ab: Die Verlängerung der Aussetzung soll per Gesetz erfolgen, allerdings zeitlich bis zum 31.12.2020 befristet und sachlich auf den Insolvenzgrund der Überschuldung beschränkt. Wörtlich heißt es in den Beschlüssen: „Die Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung wird bis zum 31.12.2020 weiterhin ausgesetzt.“ Eine weitere Option zur Verlängerung per Rechtsverordnung ist offenbar nicht geplant.

Mit der sachlichen Beschränkung auf den Tatbestand der Überschuldung werden Ideen aufgegriffen, die auf dem 16. Mannheimer Insolvenzrechtstag am 23.6.2020 von Seiten der Praxis entwickelt wurden (vgl. den Veranstaltungsbericht im INDat-Report 06_2020, S. 60 ff.). Doch die Verkürzung auf das Jahresende ist sehr bedauerlich, weil damit der von der Praxis geforderte nahtlose Übergang zu den neuen Sanierungsinstrumenten, die in Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie geschaffen werden, nicht gesichert ist. Es ist also zu befürchten, dass nun die Insolvenzwelle spätestens zum 1.1.2021 kommt.

Die Geschäftsführungen haftungsbeschränkter Gesellschaften (insbesondere der GmbH) müssen sich jedenfalls auf die neue Sachlage einstellen: Wer zum 1.10.2020 zahlungsunfähig i.S.v. § 17 InsO ist, profitiert nicht weiter von der Aussetzung der Antragspflicht. Zudem ergibt sich aus der Vermutungsregelung des § 1 COVInsAG eine Vorwirkung, die schon jetzt zum Antrag zwingen kann: Die Antragspflicht ist nach jener Vorschrift nicht voraussetzungslos ausgesetzt, sondern die Aussetzung entfällt nach Satz 2, wenn keine Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 799 ff.). Die zeitliche Dimension dieser „Aussichten“ beschränkt sich nach h.M. auf den Aussetzungszeitraum, bis zu dessen Ende die Liquiditätslücke geschlossen werden muss (Thole, ZIP 2020, 650, 653; Born, NZG 2020, 521, 523). Eine weitere Ausdehnung auf die Zeit nach Ablauf des Aussetzungszeitraums macht nämlich wenig Sinn, weil dann wieder die Antragspflicht eingreift (vgl. Bitter, ZIP 2020, 685, 690; im Ergebnis auch Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1 unter Ziff. III 3 b bb).

Genau hier wirkt sich nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 aus. Während vor diesem Beschluss oft darauf hingewiesen wurde, an die Stelle des 30.9.2020 trete bei einer Verlängerung der 31.3.2021 und je wahrscheinlicher eine Verlängerung bis zum 31.3.2021 werde, umso eher gehe es um „Aussichten“ bis zu jenem Datum (Bitter, GmbHR 2020, 797, 802, Rz. 21 m.w.N.), hat sich diese Einschätzung nun erledigt. Der Verlängerungszeitraum ist verkürzt und gilt zudem nur für die Überschuldung i.S.v. § 19 InsO. Damit muss eine Zahlungsunfähigkeit bis zum 30.9.2020 beseitigt sein, weshalb sich nun auch die „Aussichten“ i.S.v. § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG auf diesen Endpunkt beschränken. Daraus folgt: Wer jetzt schon nicht mehr die Aussichten hat, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit bis Ende September beseitigen zu können, darf nicht bis zum 1.10.2020 mit dem Insolvenzantrag warten. Er verliert vielmehr sofort die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG und muss folglich jetzt Insolvenzantrag stellen.

Selbst wenn aber nach dem großzügigen Maßstab jener Regelung (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 801 f., Rz. 16 ff.) derzeit noch von entsprechenden Aussichten auszugehen ist, greift jedenfalls ab dem 1.10.2020 die Regelung des § 17 InsO wieder mit voller Schärfe der außerhalb der Corona-Krise anerkannten Grundsätze ein (dazu ausführlich Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 6 ff.).

Unklar ist dabei, ob mit dem Ende des Aussetzungszeitraums und dem grundsätzlichen Wiedereinsetzen der Insolvenzantragspflicht die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO erneut zu laufen beginnt oder nicht (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 803, Rz. 24). Nach der bisherigen Fassung des COVInsAG wäre es im Regelfall nicht auf diesen Streitpunkt angekommen, weil die Drei-Wochen-Frist ohnehin keine Antragsfrist, sondern eine Höchstfrist für letzte Sanierungsbemühungen ist. Ist es während des Aussetzungszeitraums nicht gelungen, das Unternehmen finanziell zu stabilisieren, so dürften in aller Regel auch die weiteren drei Wochen dazu nicht ausreichen, sodass der Antrag direkt zum Ende des Aussetzungszeitraums zu stellen ist (Schülke, DStR 2020, 929, 933; Born, NZG 2020, 521, 522).

Wird nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 wie geplant umgesetzt, könnte der Streitpunkt doch relevanter werden als bisher gedacht, weil dann zum 1.10.2020 nur die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) wieder in Kraft tritt, nicht aber jene wegen Überschuldung (§ 19 InsO). Deshalb müsste nur die kurzfristige Zahlungsfähigkeit innerhalb der (ggf. zusätzlichen) drei Wochen wiederhergestellt werden, nicht aber die längerfristige, auf die es im Rahmen der Fortführungsprognose i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ankommt (vgl. zu den deutlich unterschiedlichen zeitlichen Horizonten der Betrachtung bei § 17 und § 19 InsO Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25 einerseits, Rz. 57 f. andererseits). Diese kurzfristige Zahlungsfähigkeit lässt sich in der Praxis wohl einfacher darstellen als die längerfristige, weshalb insoweit die Drei-Wochen-Frist eher ausreichen könnte.

Doch sollte man sich auf zusätzliche drei Wochen nicht verlassen. Bislang ist nämlich nicht einmal geklärt, ob die vom BGH bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu Grunde gelegte Drei-Wochen-Frist zur Frist des § 15a Abs. 1 InsO hinzukommt oder sie mit dieser identisch ist (vgl. die Nachweise bei Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25). Schon angesichts dieser Unsicherheiten sollte man sich als Geschäftsführer im Zweifel auf die strengere Sichtweise einstellen, will man sich nicht der Strafbarkeit und der Haftung wegen Insolvenzverschleppung aussetzen (dazu in Kürze eingehend die Kommentierung des § 64 GmbHG von Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020). Das bedeutet im Ergebnis: Die Zahlungsfähigkeit ist auf den 1.10.2020 zu bestimmen. Fehlt sie nach den Maßstäben von BGHZ 163, 134 an diesem Tag, ist spätestens dann Insolvenzantrag zu stellen!

Weiterhin ist das zeitnahe Auslaufen der kompletten Aussetzung zum Jahresende 2020 schon jetzt in den Blick zu nehmen. Da der Überschuldungstatbestand des § 19 InsO ab dem 1.1.2021 nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen ist und insoweit oft die Fortführungsprognose entscheidet (dazu Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 51 ff.), ist mit deren Erstellung schon rechtzeitig vor dem Jahresende zu beginnen. Auf die insolvenzberatenden Kanzleien und Wirtschaftsprüfer kommt also in den kommenden Monaten viel Arbeit zu. Dass dieser Aufwand zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist, mag man bezweifeln, zumal viele Prognosen immer noch auf wackligen Füßen stehen werden. Doch die Koalition hat so entschieden – ein politischer Kompromiss, kein sachlich berechtigter.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden noch in 2020 erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Vorstandsvergütung – ein heißes Eisen in der Corporate Governance Diskussion

Wie werden Vorstände angemessen bezahlt? Wie hoch soll die Vergütung sein? Wie sieht die richtige Incentivierung des Vorstands aus? Auf welche KPI‘s soll die Vergütung ausgerichtet sein? Ist sie transparent genug und nachvollziehbar und wie steht es um die gesellschaftliche Verträglichkeit? Das ist nur ein Teil der relevanten Fragestellungen. Die Diskussion ist – ganz ehrlich – praktisch nicht mehr zu überschauen. Politik, Aufsichtsräte, Vorstände, Verbände, Investoren, die Beraterindustrie – alle ringen miteinander. Keine gute Situation! Das Grundübel: Es fehlt ein allgemein anerkannter Maßstab für die Angemessenheit. Fast jeder Diskutant hat seinen eigenen Maßstab, seine eigene Wahrheit.

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Werfen wir zunächst einen Blick auf einige exemplarische Fakten. Im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht die Vergütung der Vorstandsmitglieder im DAX 30. Hiervon gibt es etwa 200, der Verfasser gehörte etwa 8 Jahre zu diesem Kreis. Das durchschnittliche Vorstandsgehalt lag 2018 bei 3,5 Mio. Euro p.a. (vgl. Reuters, Wirtschaftsnachrichten vom 11.6.2019). Die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden lagen deutlich höher, 2018 durchschnittlich bei 7,5 Mio Euro, Spitzengehälter bei etwa 10 Mio Euro. (Statistica: Gesamtvergütung der Vorstandsvorsitzenden im DAX – Bezugsjahr 2018). Das ist viel Geld und dessen müssen sich alle Beteiligten – einschließlich der Vorstände – bewusst sein. Die Vorstandsvergütung besteht zumeist aus drei Komponenten, einem Fixum, einer kurzfristigen variablen Komponente (Betrachtungshorizont 1 Jahr) und einer langfristigen variablen Komponente (Betrachtungszeitraum 3 – 4 Jahre).

Die Festlegung der Vorstandsvergütung fällt in die Zuständigkeit und Verantwortung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats. Die Hauptversammlung beschließt – für den Aufsichtsrat rechtlich nicht verbindlich – das System der Vorstandsvergütung und kann die vom Aufsichtsrat beschlossene Vergütung rechtsverbindlich herab – nicht aber heraufsetzen; eine durch das ARUG II neu eingeführte Regelung, die eine Merkwürdigkeit im europäischen Rechtssystem ist (Welches Aktionärsbild liegt dem eigentlich zugrunde?).

Die Vorstandsvergütung hat mehrere Ziele. So soll die Leistung des Vorstands bezahlt werden (pay for performance). Die Vorstandsvergütung soll auch Anreize zur Erreichung definierter kurzfristiger und langfristiger Unternehmensziele setzen (Incentivewirkung) und sie soll in das gesellschaftliche Umfeld passen (gesellschaftliche Akzeptanz).

Um diese Ziele zu erreichen, hat der Deutsche Corporate Governance Kodex („Kodex“) Empfehlungen zur Gestaltung einer angemessenen Vorstandsvergütung abgegeben – in allen seinen 15 Fassungen seit dem ersten Kodex in 2002. Der Kodex beinhaltet eine Selbstregulierung der deutschen Wirtschaft. Die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung richten sich an den Aufsichtsrat. Sie sind nicht bindend, haben die Diskussion aber wesentlich mitgestaltet. Die Empfehlungen betreffen u.a. Kriterien für die Angemessenheit, die individualisierte Offenlegung der Vergütung (Transparenz), Höchstgrenzen für die variablen Vergütungskomponenten, die Begrenzung von Abfindungen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Vorstand. Auslöser für die Fortentwicklung waren und sind vielfach Fehlentwicklungen in der Praxis durch extrem hohe Vergütungen, Boni, Aktienoptionen die u.a. mit den Fällen Deutsche Bank, Porsche und Volkswagen verbunden werden.

Nicht ganz überraschend haben Politik und Gesetzgeber immer wieder und parallel zum Kodex neue gesetzliche Regelungen erlassen. Das hat die Autorität des Kodex nicht gestärkt. Der Gesetzgeber scheint immer weniger auf die Eigenverantwortung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats bei der Vorstandsvergütung zu vertrauen. Und zum Kodex: Er setze auf Freiwilligkeit und das sei zu wenig. Der Gesetzgeber – auch getrieben durch europäische Vorgaben (z.B. Aktionärsrechterichtlinie) – reagierte 2005 mit dem VorstOG (z.B. gesetzliche Regelung individuelle Offenlegung der Vorstandsbezüge), 2009 mit dem VorstAG ( z.B. langfristigere Ausrichtung der Vergütung in § 87 AktG als Folge der Finanzkrise) und jüngst mit dem ARUG II, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist mit dem Schwergewicht auf „say on pay“ (HV Zuständigkeit bei der Vorstandsvergütung), mit der Forderung nach einem klaren und verständlichen Vergütungssystem und weiteren Transparenzgeboten.

All das stellt Herausforderungen an den Aufsichtsrat zur richtigen Vergütung seines Vorstands. Diese Aufgabe können ihm weder Aktiengesetz noch Kodex abnehmen, sie setzen aber wichtige Leitplanken. Viel hängt jetzt von der konkreten Umsetzung der neuen Vorgaben ab. Über die Frage, was ein „klares und verständliches“ Vergütungssystem ist, scheint mir der Streit schon absehbar. Was für den Vergütungsexperten klar und verständlich ist, muss das noch lange nicht für den einfachen Aktionär sein. Und zur Gestaltung der variablen Vergütungskomponenten: Wieviele kurz- und langfristig orientierten Ziele kann man einem Vorstand eigentlich setzen, damit der Incentivierungszweck noch erreicht wird. Drei sind sicher gut, zwölf vielleicht zuviel. Und ganz aktuell, wie muss eine Vorstandsvergütung aussehen, wenn das Unternehmen infolge einer Branchenstrukturkrise oder einer Pandemie nur durch eine staatliche Intervention und Beteiligung  überleben kann? Die Diskussion um die Vorstandsvergütung wird wohl nicht abreißen.

Anmerkung der Redaktion: Frisch erschienen ist im Otto Schmidt-Verlag in 7. Auflage der Klassiker „Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats“ von Lutter/Krieger/Verse mit ARUG II und mit dem neuen DCGK. Ein Standardwerk – gut für den Praktiker, aber auch eine Bereicherung für die wissenschaftliche Diskussion. Infos und Bestellmöglichkeit hier.

VerSanG-E – Strafbarkeit für Unternehmen

Kern des Referentenentwurfes eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ vom 21.04.2020 ist das Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Totgesagte leben bekanntlich länger. Mit neuem Namen hat das BMJV die seit dem Jahr 2013 erwartete Einführung des Unternehmensstrafrechts nun in Gestalt eines Referentenentwurfes veröffentlicht.

Die wichtigsten Änderungen und Regelungen sind:

  • Die Verankerung des Legalitätsprinzips. Uneinheitliche Ermessensentscheidungen sollen damit verhindert werden.
  • Die Orientierung der Verbandsstrafe am Jahresumsatz: Der Referentenentwurf sieht bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. EUR die Möglichkeit vor, eine Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzeszu verhängen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 RefE).
  • Verbandsinterne Untersuchungen erhalten große Wichtigkeit: Sowohl für die allgemeine Strafzumessung (§ 15 Abs. 3 Nr. 6, 7 RefE), für eine mögliche Verfahrenseinstellung (§ 35 RefE) als auch für den zwingenden Strafmilderungsgrund (§ 17 RefE) ist die erfolgreiche Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen maßgeblich. Wobei für Letzteres auch notwendig ist, dass das Unternehmen dabei vollumfänglich mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert. Der Entwurf hat es leider versäumt, zu kodifizieren, wie eigentlich verbandsinterne Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Klargestellt wurde lediglich, dass die Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze des fairen Verfahrens durchgeführt werden muss. Die Befragten sollen über ihre Auskunftsverweigerungsrechte belehrt werden, ihnen muss das Recht eingeräumt werden, die Auskunft gemäß den §§ 52, 55 StPO zu verweigern (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 RefE).
  • Die Einführung einer öffentlichen Bekanntmachung (§ 14 RefE): Diese ist wegen der damit verbundenen Prangerwirkung und möglicher Rufzerstörung eine beachtenswerte Nebenfolge einer Verurteilung. Daneben soll ein Verbandssanktionenregister (§ 54 RefE), ähnlich dem Bundeszentralregister, eingerichtet werden. Auch wenn wir ähnliche Register wie z.B. das Gewerberegister schon kennen, wird die Bündelung in einem solchen Register ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlen.
  • Gänzlich aus dem Entwurf verschwunden ist die bislang viel kritisierte Unternehmensauflösung als mögliche Folge des Strafverfahrens, was wegen der angedachten Anwendungsmöglichkeit auf Unternehmen, deren Zweck in strafbaren Handlungen gelegen hätte, eher überflüssig war.
  • Ausdrücklich findet das Gesetz keine Anwendung auf gemeinnützige Verbände.
  • Beschlagnahmefrei bleiben nur Unterlagen der Verteidigung, nicht die der internen Untersuchungen durchführenden Anwälte, die nicht personengleich sein dürfen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 RefE)

Fazit: Unternehmen sind gut beraten, ihre Compliance-Maßnahmen unter die Lupe zu nehmen.

 

Corona im Sozialversicherungsrecht

Durch das Sozialschutz-Paket v. 27.3.2020 (Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2, BGBl. I 2020, 575) wurden Regelungen in einer Vielzahl von Sozialgesetzen geändert. Besonders hervorzuheben ist die übergangsweise (vom 1.3. bis 31.10.2020 geltende) Anhebung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen auf fünf Monate oder 115 Tage durch § 115 SGB IV n.F. Für kurzfristige Beschäftigungen (Nr. 2) muss anders als für geringfügig entlohnte Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Sozialbeiträge zur Renten- oder Krankenversicherung zahlen, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eingehalten werden (keine Berufsmäßigkeit der Beschäftigung oder kein monatliches Arbeitsentgelt von mehr als 450 €).

Diese Änderung bei kurzfristigen Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) gilt ebenfalls für ein vorübergehendes unvorhersehbares Überschreiten der Entgeltgrenze bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen von 450 € nach Nr. 1.

Grundsätzlich gilt: Überschreitet das Arbeitsentgelt regelmäßig 450 Euro im Monat, so liegt vom Tage des Überschreitens an keine geringfügige Beschäftigung mehr vor. Für die zurückliegende Zeit verbleibt es bei der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Ein nur gelegentliches und nicht vorhersehbares Überschreiten der Arbeitsentgeltgrenze führt nicht zur Beendigung der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Bis zur Neuregelung im Gesetz zum Sozialschutz-Paket war als „gelegentlich“ grundsätzlich ein Zeitraum bis zu drei Monaten innerhalb eines Kalenderjahres anzusehen. Nunmehr liegt vom 1.3. bis 31.10.2020 ein gelegentliches Überschreiten der Arbeitsentgelt-grenze vor, wenn innerhalb des für den jeweiligen Entgeltabrechnungszeitraum zu bildenden Zeitjahres maximal in fünf Kalendermonaten ein nicht vorhersehbares Überschreiten vorliegt (s. hierzu auch „Versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen“ der Spitzenverbände v. 30.3.2020).

Daneben weisen die Einzugsstellen auf die Möglichkeiten der Beitragsherabsetzung und Stundung hin („Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung von Arbeitgebern“ des GKV-Spitzenverband v. 25.3.2020).

Im Sozialschutz-Paket sind weiter enthalten:

  • Der Zugang in die Grundsicherungssysteme für Arbeitsuchende (SGB II/Hartz 4) und Ältere und Erwerbsgeminderte (SGB XII) wird vorübergehend erleichtert durch eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen, eine befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen und Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen in Fällen einer vorläufigen Entscheidung.
  • Die Prüfung des Kinderzuschlags soll ausnahmsweise auf das Einkommen im letzten Monat vor Antragstellung bezogen werden. Zudem soll eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung des Vermögens erfolgen. Außerdem soll eine einmalige Verlängerung für sogenannte Bestandsfälle mit dem höchstmöglichen Kinderzuschlag eingeführt werden.
  • Die Arbeitszeit kann durch eine Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz über die bisherigen Ausnahmen erweitert werden, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge sowie die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern in der derzeitigen Situation der Corona-Pandemie sicherzustellen.
  • Die Hinzuverdienstgrenze in der Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte wird gelockert. Auch die Weiterarbeit oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung nach Renteneintritt soll erleichtert werden. Das geltende Recht sieht Beschränkungen vor, wenn neben der Rente hinzuverdient wird. Nun können im Jahr 2020 statt bisher 6.300 Euro 44.590 Euro hinzuverdient werden, ohne dass die Altersrente gekürzt wird.
  • Durch den in § 421c SGB III geregelten vorübergehenden Verzicht auf die vollständige Anrechnung des Entgelts aus einer während Kurzarbeit aufgenommenen Beschäftigung auf das Kurzarbeitergeld wird ein Anreiz geschaffen, auf freiwilliger Basis vorübergehend Tätigkeiten in systemrelevanten Bereichen, wie z.B. der Landwirtschaft, aufzunehmen.
  • Soziale Dienstleister und Einrichtungen der Fürsorge werden im Rahmen eines besonderen Sicherstellungsauftrages durch Bund, Länder und Sozialversicherungsträger finanziell unterstützt, damit sie sich an Maßnahmen zur Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie beteiligen.
  • In das Infektionsschutzgesetz wird ein Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas zur Eindämmung der gegenwärtigen Pandemie für erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern bis zum 12. Lebensjahr aufgenommen, wenn diese ihre Kinder aufgrund der Schließung selbst betreuen müssen und daher ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können.

Corona-Krise – Das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt – Beschluss im Bundeskabinett

Die Corona-Krise führt zu raschen Maßnahmen des Bundesgesetzgebers. Erst vor einer Woche, am 16.3.2020, hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) per Pressemitteilung angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers vom 17.3.2020). Schon eine Woche später, am 23.3.2020, hat das Bundeskabinett seinen Beschluss zu dem Gesetzentwurf gefasst  und am Mittwoch, 25.3.2020, soll der Deutsche Bundestag das Gesetz beschließen.

Das geplante COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CoVInsAG) baut zwar gesetzestechnisch auf der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 auf, öffnet sich aber deutlich im Sinne der vom Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 geforderten Erweiterung durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung

I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CoVInsAG)

In § 1 Satz 1 CoVInsAG heißt es nun allgemein, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum 30.9.2020 ausgesetzt ist. Sodann werden in Satz 2 zwei Ausnahmen angeführt: (1) Die Insolvenzreife beruht nicht auf der Covid-19-Pandemie. (2) Es bestehen keine Aussichten darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Wäre es bei dieser – der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 entsprechenden – Regelung geblieben, hätte mühsam im Einzelfall geprüft werden müssen, ob die entsprechende Kausalität vorliegt und wie die konkreten Aussichten des Unternehmens sind, welche im aktuell unsicheren Umfeld schwer zu bestimmen sind. Daher hilft der Gesetzgeber mit einer neuen Vermutung in § 1 Satz 3 CoVInsAG: War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Mit dieser Vermutung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gewährleistet werden, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen „in keiner Weise“ zulasten des Antragspflichtigen gehen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein. Der jetzige Entwurf nähert sich damit der vom Verfasser im Blogbeitrag v. 17.3.2020 geforderten bedingungslosen Aussetzung der Antragspflicht sehr weit an, lässt aber – durchaus berechtigt – ein Hintertürchen offen, um eindeutige Missbrauchsfälle einzufangen. Wenig sinnvoll erscheint dabei freilich, dass die Vermutung – jedenfalls dem Wortlaut nach – auch für Unternehmen gelten soll, die am 31.12.2019 zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon überschuldet waren und sich folglich bereits seit dem Jahresanfang 2020 im Zustand der Insolvenzverschleppung befanden. Eventuell wurde hier zu Beginn von Satz 3 versehentlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit statt an die fehlende Insolvenzreife angeknüpft, weil auch die Ausnahme in Satz 2 – dort berechtigt – auf die Zahlungsunfähigkeit beschränkt ist. Eine Korrektur dieses unglücklichen Wortlauts kann dadurch erfolgen, dass man bei bereits bestehender Überschuldung zum 31.12.2019 die Vermutung des Satzes 3 als widerlegt ansieht, weil dann nämlich „die Insolvenzreife“ i.S.v. Satz 2 nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

II. Privilegien für Geschäftsleiter, Kreditgeber und sonstige Vertragspartner im Haftungs- und Anfechtungsrecht (§ 2 CoVInsAG)

In § 2 Abs. 1 CoVInsAG wird ein guter Teil der Vorschläge aufgegriffen, welche der Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 unterbreitet hatte:

In Nr. 1 wird parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG und die Parallelvorschriften) eingeschränkt: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen (§ 64 Satz 2 GmbHG und die Parallelvorschriften).

Nach Nr. 2 werden „neue“ Kredite und deren Besicherung anfechtungsrechtlich privilegiert, also solche, die zu einer effektiven Zufuhr weiterer Liquidität im Aussetzungszeitraum führen (vgl. dazu demnächst Bitter in ZIP). Auch für „neue“ Gesellschafterdarlehen wird eine im Ansatz vergleichbare Privilegierung eingeführt, die sich allerdings nicht auf die Besicherung solcher Kredite erstreckt. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 135 ff.) und die Regelung über gesellschafterbesicherte Drittdarlehen in § 44a InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 348 ff.) werden für solche „neuen“, im Aussetzungszeitraum gewährten Kredite vorübergehend bis zum 30.9.2023 abgeschafft, um in der aktuellen Krisensituation Anreize für die Gewährung neuer Kredite oder Sicherheiten von Gesellschafterseite zu setzen. Die Regelung tritt selbstständig neben die bereits vorhandene Ausnahme im Rahmen des Sanierungsprivilegs aus § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (dazu ausführlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 109 ff.).

Durch Nr. 3 soll für Kreditgeber zusätzlich auch das Risiko ausgeschaltet werden, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge eines Anspruchs geschädigter Dritter gemäß § 826 BGB (vgl. dazu die Nachweise bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Die vom BGH für das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufgestellten Anforderungen an ein substanzhaltiges und von einem objektiven Dritten überprüftes Sanierungskonzept (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123) laufen im Grundsatz parallel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Kreditgeber, wenn sie eine drittschädigende Kreditgewährung gemäß § 826 BGB und eine Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vermeiden wollen (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Da ein derartiges substanzhaltiges Sanierungskonzept in der aktuellen Krisensituation nicht zeitnah erstellt werden kann und zudem die weitere (Unternehmens-)Entwicklung nicht realistisch absehbar ist, erscheint es richtig, dass Kreditgeber durch Nr. 2 und 3 hinsichtlich aller genannten Konsequenzen Rechtssicherheit bekommen.

Nach Nr. 4 werden schließlich auch andere im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen, die nicht in einer Kreditgewährung i.S.v. Nr. 2 bestehen, anfechtungsrechtlich privilegiert. Dies betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Bei Nr. 4 wird es eine Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur sein, durch eine restriktive Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine zu weitgehende Anwendung auszuschließen, insbesondere nicht solche Zahlungen zu privilegieren, durch welche schlicht Altforderungen bedient werden, ohne dass ein Beitrag des Gläubigers zur Überwindung der Krise des Unternehmens geleistet wird (vgl. die Bedenken des Gravenbrucher Kreises in seiner Stellungnahme v. 22.3.2020).

In § 2 Abs. 2 werden die Regelungen der vorgenannten Nummern 2 bis 4 auch auf nicht insolvenzreife Unternehmen ausgedehnt. Diese sollen in der aktuellen Krise nicht schlechter als die bereits insolvenzreifen stehen.

III. Aussetzung von Gläubigeranträgen (§ 3 CoVInsAG)

Durch § 3 CoVInsAG wird für drei Monate auch die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen (vgl. zu den Insolvenzantragsrechten Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 117 ff.). Durch diese Regelung soll nach der Begründung des Entwurfs für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert werden, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können. Hierdurch wird zum einen die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (oben I.) flankiert; zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit Hilfe von Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen und sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.

IV. Verordnungsermächtigung (§ 4 CoVInsAG)

Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, wird das BMJV in § 4 CoVInsAG ermächtigt, die o.g. Maßnahmen bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat per Pressemitteilung vom 16.3.2020 angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen. Damit reagiert die Bundesregierung – sehr verständlich – auf die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur für uns alle zu deutlichen Einschränkungen des privaten und beruflichen Lebens führt, sondern auch weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits gravierend beeinflusst: Den Fluggesellschaften, Messebauern, Reise- und Kulturveranstaltern, dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie vielen anderen Unternehmen, die unmittelbar von den angeordneten Beschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind, geht derzeit in finanzieller Hinsicht die Luft aus. In einer zweiten Welle werden weitere Wirtschaftsbereiche folgen, weil allgemein von einem deutlichen Rückgang des Konsums auszugehen ist: Jede nicht dringend erforderliche Investition wird derzeit im Zweifel zurückgestellt, sodass sich eine wahre Insolvenzwelle durchs Land fressen könnte, die das Ausmaß der Finanzkrise noch übersteigt.

Im Grundsatz sollen insolvenzreife Gesellschaften vom Markt ferngehalten werden, wozu die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und das Gebot der Massesicherung (insbes. § 64 GmbHG) beitragen (dazu Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 573 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 646 ff.). Die zugrunde liegenden Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) werden von der Rechtsprechung mit Recht streng angewendet (Details bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 38 ff.; ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 578 ff.). Darüber hinaus hat der Verfasser dazu aufgerufen, die Fortführungsprognose im Zweifel strikter als bisher zu handhaben, um zu verhindern, dass eine Unternehmensfortführung oder Sanierung auf Kosten der Neugläubiger geht (Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 51 ff., insbes. Rz. 60 ff.).

Doch können diese allgemeinen Grundsätze auch jetzt in der Corona-Krise gelten? Sie ist durch die Besonderheit geprägt, dass Unternehmen gänzlich unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten. Umsätze brechen von heute auf morgen zu großen Teilen oder vollständig weg, ohne dass den Unternehmenslenkern irgendein Vorwurf gemacht werden könnte. Die Geschäftsmodelle sind tauglich und die Insolvenzreife allein durch die nicht vorhersehbaren, extremen äußeren Rahmenbedingungen verursacht.

In einer solchen Situation ist es richtig, die Insolvenzantragspflicht zu suspendieren, um den Unternehmen eine Schonfrist zu gewähren. Sanierungen können dann auf gesichertem Boden stattfinden. Eine seriöse Fortführungsprognose (auf der Basis eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts, vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 59) kann derzeit kein Berater erstellen, weil die weiteren Konsequenzen der Corona-Krise für niemanden abschätzbar sind. Dann jedoch sollte man erwägen, über die Ankündigung in o.g. Presseerklärung des BMJV hinaus die Antragspflicht (und die korrespondierende Massesicherungspflicht) ohne weitere Voraussetzungen für solche Unternehmen zu suspendieren, die nicht schon vor der aktuellen Corona-Krise insolvenzreif waren. Im Zweifel beruht nämlich jede in den kommenden Wochen und Monaten eintretende Insolvenz zumindest mittelbar auf den gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen. Dann aber sollte man die ex post in Strafverfahren oder Haftungsprozessen entscheidenden Gerichte nicht mit der im Einzelfall streitigen Frage belasten, ob und in welchem Maße der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht. Den redlichen und durch die Corona-Krise überrumpelten Geschäftsleitern muss jetzt der straf- und haftungsrechtliche Druck genommen werden, damit sie sich voll auf die wirtschaftliche Erholung ihrer Betriebe konzentrieren können. Sie sollen ihre Zeit (und das restliche Geld der Betriebe) nicht damit verschwenden, ggf. schwer beweisbare Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch anwaltliche oder sonstige Gutachten zu belegen, die ohnehin auf äußerst schwankendem Boden erstellt werden (ebenso Prof. Dr. Stephan Madaus; restriktiver Thole, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2020).

Der Gläubigerschutz ist damit nicht vollständig suspendiert, sondern die Grenze des (Kredit-)Betrugs und die daran anknüpfende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265b StGB bestehen fort (vgl. dazu Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 641 f.). Wer bedingt durch die Corona-Epidemie ernsthafte Zweifel an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit hat, muss also seine Lieferanten und sonstigen Gläubiger darüber aufklären. Und die Gläubiger müssen derzeit ohnehin wachsam sein und sich selbst sichern (etwa durch die Umstellung auf Vorkasse), weil selbst jahrzehntelang seriös geführte Unternehmen (unverschuldet) in Schieflage geraten.

Auch über weitere Maßnahmen wie die Erleichterung von Finanzierungen in der Krise durch Reduzierung der Anfechtungsgefahr aus § 133 InsO und eine partielle Aussetzung des Gesellschafterdarlehensrechts für echte Neukredite ist nachzudenken. Es muss nun jeglicher Anreiz gesetzt werden, trotz gänzlich unsicherer wirtschaftlicher Lage von Gläubiger- und Gesellschafterseite in Unternehmen mit im Grundsatz soliden Unternehmenskonzepten zu investieren, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. dazu die Vorschläge von TMA Deutschland in der Pressemitteilung vom 13.3.2020 und Lürken in Börsenzeitung v. 14.3.2020, S. 9).

Zusätzlich könnte eine Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums auf 6 Monate solchen Unternehmen helfen, die trotz Suspendierung der Antragspflicht den Weg ins Insolvenzverfahren gehen müssen, weil ihnen schlicht das Geld ausgeht, um weiter wirtschaften zu können. Auch im Insolvenzverfahren ist diese längere Schonfrist erforderlich, weil sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit in den kommenden Monaten kein Käufer für insolvente Unternehmen finden wird. Die Alternative wäre dann allein die Betriebsstilllegung mit Verlust aller Arbeitsplätze, obwohl das Unternehmenskonzept eigentlich stimmt. Das muss verhindert werden.

 

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2019 – Ein ertragreiches Jahr für das Recht der Gesellschafterdarlehen

Das vor gut 10 Jahren durch das MoMiG neu konzipierte Recht der Gesellschafterdarlehen hatte schon in den letzten Jahren die Rechtsprechung des BGH in besonderem Maße beschäftigt. So hat der IX. Zivilsenat etwa im Urteil vom 15.11.2018 – IX ZR 39/18 (ZIP 2019, 182 = GmbHR 2019, 170) seine Grundsätze zur Anwendung des Gesellschafterdarlehensrechts im Unternehmensverbund präzisiert und ausgesprochen, dass der (mittelbare) Gesellschafter nur an einer finanzierenden Schwestergesellschaft maßgeblich beteiligt sein muss, weil insoweit der Einfluss auf die Kreditvergabe von Bedeutung sein soll. An der finanzierten Gesellschaft reicht hingegen ganz allgemein eine die Kleinbeteiligungsschwelle überschreitende Beteiligung, welche sich auch über mehrere Stufen im Konzern erstrecken kann. Insoweit ist sauber zwischen der horizontalen und vertikalen Konzernverbindung zu trennen (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 322 ff., 343 ff.).

Am 14.2.2019 folgte eines der wichtigsten Urteile zum Gesellschafterdarlehensrecht überhaupt. Unter dem Aktenzeichen IX ZR 149/16 befasste sich der IX. Zivilsenat eingehend mit der Möglichkeit einer Besicherung von Gesellschafterdarlehen aus dem Vermögen der Gesellschaft (ZIP 2019, 666 = GmbHR 2019, 460). Er wies dabei eine in der Literatur verbreitete, u.a. auch vom Verfasser vertretene Ansicht zurück, welche zwischen anfänglicher und nachträglicher Besicherung unterschieden und erstere im Hinblick auf § 142 InsO für grundsätzlich wirksam erklärt hatte. Ob damit der Besicherung von Gesellschafterdarlehen – etwa auch beim Eigentumsvorbehalt, Factoring oder Leasing – gänzlich der Garaus gemacht wurde oder jedenfalls unter dem Gesichtspunkt fehlender Gläubigerbenachteiligung in bestimmten Konstellationen nach wie vor eine Besicherung möglich ist, wird derzeit heiß diskutiert (Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 46 ff., 168 ff., 217 ff.; Bitter, ZIP 2019, 737 ff.; Mylich, ZIP 2019, 2233 ff.).

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Im gleichen Urteil vom 14.2.2019 hat der BGH auch seine Ansicht bekräftigt, dass sich die Insolvenzanfechtung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bei einer Abtretung von Gesellschafterdarlehen und nachfolgenden Rückzahlungen an den Zessionar nicht nur gegen diesen, sondern auch gegen den Zedenten richtet. Während nach einem ersten Urteil aus dem Jahr 2013 manche noch gehofft hatten, jene Gesamtschuldlösung könne zumindest in Fällen des Unternehmenskaufs mit gleichzeitiger Abtretung von Anteil und Forderung vermieden werden, dürfte diese Hoffnung nun zerstört sein. Die M&A-Praxis muss folglich aufhorchen (vgl. Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 78).

Das Urteil vom 2.5.2019 – IX ZR 67/18 (ZIP 2019, 1128 = GmbHR 2019, 770) befasst sich mittelbar mit der höchst praxisrelevanten Frage nach dem Haftungsumfang bei Rückführung und erneuter Gewährung von Gesellschafterdarlehen. Der BGH spricht hier noch deutlicher als bisher die zutreffende Erkenntnis aus, dass die in der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen liegende Gläubigerbenachteiligung beseitigt werden kann, wenn der Gesellschafter die Darlehensmittel anschließend erneut zur Verfügung stellt (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 151 ff.). Allerdings muss die Einzahlung durch genau jene Person erfolgen, die vorher die Rückzahlung von Seiten der Gesellschaft erhalten hatte. Eine Dreieckszahlung, bei welcher der Gesellschafter das Geld aus dem zurückgezahlten Darlehen an einen Dritten weiterleitet, der es sodann seinerseits wieder in die Gesellschaft einzahlt, reicht im Grundsatz nicht.

Im Urteil vom 27.6.2019 – IX ZR 167/18 (ZIP 2019, 1577) äußert sich der BGH zu dem im Schrifttum höchst umstrittenen Normzweck des Gesellschafterdarlehensrechts und nähert sich insoweit der vom Verfasser im Scholz entwickelten These von der vermuteten nominellen Unterkapitalisierung und der „Korrektur des gestörten Risikogleichgewichts“ zwischen Gesellschaftern und Gläubigern an. Dieses ist mit der variablen Erlösbeteiligung des Gesellschafters verknüpft, welche einem Drittkreditgeber regelmäßig nicht zusteht (vgl. Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 30 ff.). Zudem stellt der BGH die Bedeutung der Einflussmacht des Gesellschafters heraus, die einem gewöhnlichen Kreditgeber fehle. Damit ist zugleich der Doppeltatbestand benannt, welcher nach h.M. für die Prüfung herangezogen wird, ob ein Nichtgesellschafter im Einzelfall einem Gesellschafter im Rahmen der wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen gleichgestellt werden kann (sog. „gesellschaftergleicher Dritter“; dazu Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 250 ff.).

Im gleichen Urteil vom 27.6.2019 hat der BGH die zuvor in der Literatur höchst umstrittene Frage geklärt, ob gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht nur die Rückzahlung des Darlehens, sondern auch die Zahlung von Darlehenszinsen anfechtbar ist. Letztere Frage hat der IX. Zivilsenat mit Recht verneint, weil die Zinsen – ähnlich wie eine Miet- oder Pachtzahlung – nur der „Finanzierungsertrag“, nicht hingegen die „Finanzierungsquelle“ sind (Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 164).

Schließlich revidiert der BGH mit jenem Urteil vom 27.6.2019 der Sache nach partiell das nur drei Jahre ältere Urteil BGHZ 212, 272 zur Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter. In dem früheren Urteil hatte der BGH überzeugend die Anfechtbarkeit des Nachrangs gemäß § 134 InsO verneint, weil insoweit die Wertung des § 135 Abs. 1 InsO vorrangig sei. Nunmehr stellt das Gericht die Anfechtbarkeit der Auszahlung eines Gesellschafterdarlehens nach allgemeinen Anfechtungsvorschriften, insbesondere nach § 133 InsO, in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und hält den daraus im Verhältnis zur Gesellschaft entstehenden Anfechtungsanspruch nicht für nachrangig. Da die fehlende Werthaltigkeit des Rückforderungsanspruchs wegen Insolvenzreife der Gesellschaft eine Anfechtung gemäß § 133 Abs. 4 InsO wegen unmittelbarer Benachteiligung begründen soll, wird das Gesellschafterdarlehensrecht bei einer Doppelinsolvenz auf diese Weise umso eher unanwendbar, je eindeutiger die Krisenfinanzierung ist (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 139).

Mit der Gleichstellung von Stundungen und Darlehen befasst sich der BGH im Urteil v. 11.7.2019 – IX ZR 210/18 (ZIP 2019, 1675 = GmbHR 2019, 1051 m. Anm. Bitter, WuB 2019, 617). Er gelangt dabei zu dem überraschenden und wenig überzeugenden Ergebnis, dass die aus einem üblichen Austauschgeschäft herrührende Forderung eines Gesellschafters erst dann als darlehensgleiche Forderung angesehen werden kann, wenn sie mehr als drei Monate rechtsgeschäftlich oder faktisch zugunsten der Gesellschaft gestundet wurde. Bislang war die ganz h.M. davon ausgegangen, dass eine Stundung immer dann vorliegt, wenn die Voraussetzungen des Bargeschäfts i.S.v. § 142 InsO nicht erfüllt sind, welches bekanntlich der Abgrenzung zum Kreditgeschäft dient (vgl. dazu Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 208 ff.).

 

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Einsetzung eines GmbH-Aufsichtsrats mithilfe von Öffnungsklauseln

Die Einsetzung eines Aufsichts- oder Beirats als Zusatzorgan einer GmbH bedarf notwendig einer Verankerung im Gesellschaftsvertrag. Einfache Beschlüsse oder schuldrechtliche Vereinbarungen genügen nicht, auch nicht für den Beirat, sofern ihm Organqualität zukommen soll (sog. organisationsrechtlicher Satzungsvorbehalt; vgl. dazu etwa Cziupka in Scholz, 12. Aufl. 2018, § 3 GmbHG Rz. 59).

Hinreichende Verankerung im Gesellschaftsvertrag kann aber bereits eine sog. Öffnungsklausel gewährleisten, die es den Gesellschaftern gestattet, zu gegebener Zeit durch Beschluss über das Ob und Wie des Zusatzorgans zu entscheiden. Die gesetzlichen Kautelen für Gesellschaftsvertragsänderungen (Beschlussfassung mit Dreiviertelmehrheit, notarielle Beurkundung sowie konstitutive Handelsregistereintragung nach Maßgabe der §§ 53, 54 GmbHG) sind für den Akt der Ausnutzung der Öffnungsklausel nicht zu beachten. Diese Wirkungs- und Reichweite statutarischer Öffnungsklauseln hat der BGH in seiner Entscheidung v. 2.7.2019 – II ZR 406/17 nun mit ausführlicher Begründung bestätigt und damit erhebliche Verunsicherung in der Praxis behoben, die eine anderslautende Entscheidung des Kammergerichts ausgelöst hatte (GmbHR 2018, 361, 365 f.: Beschluss in Ausnutzung der Öffnungsklausel müsse den Anforderungen an Gesellschaftsvertragsänderungen entsprechen, womit die Öffnungsklausel aber letztlich funktionslos bliebe; zutr. gegen die Entscheidung des Kammergerichts daher Otto, GmbHR 2016, 19; bei fehlerhaft eingesetzten Aufsichts- oder Beiräten hätte sich vor allem die Frage gestellt, wie zwischenzeitliche Beschlüsse dieser Zusatzorgane zu behandeln wären, dazu allg. Geißler, GmbHR 2019, 861; s. zur grundsätzlichen Unanwendbarkeit der Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ auf Aufsichtsratsbeschlüsse bei der AG: BGHZ 196, 195 = AG 2013, 387 m. Besprechungsaufsatz Cziupka, DNotZ 2013, 579).

Der Beschlussmehrheit darf indes keine Blankoermächtigung zur formlosen Einsetzung eines belieben, nicht näher konturierten Zusatzorgans erteilt werden. Die groben Züge des potentiellen Zusatzorgans müssen daher bereits im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck kommen, ebenso die maßgebenden Mehrheitserfordernisse für den Einsetzungsbeschluss – ansonsten führte der Einsetzungsbeschluss zu einem dauerhaft satzungswidrigen Zustand, sodass er nichtig, nicht nur anfechtbar wäre.

Die Stärkung der Bedeutung von Öffnungsklauseln durch den BGH schafft für die Praxis begrüßenswerte Flexibilität und ist auch dogmatisch überzeugend: Die Ausnutzung der Öffnungsklausel ist nicht selbst Gesellschaftsvertragsänderung, sondern bleibt ihrem Wesen nach einfacher Gesellschafterbeschluss. Damit wird die Satzungsautonomie nicht ausgehöhlt, vielmehr ihre Ausnutzung lediglich vorverlagert.

 

Rechtsanwalt Dr. Schwedhelm im Interview zu den Herausforderungen des Umwandlungsrechts und den Chancen des neuen Realteilungserlasses

Das Umwandlungsrecht ist eine extrem herausfordernde und komplexe Materie. Für eine sachgerechte Beratung sind sowohl vertiefte Kenntnisse im Zivil- als auch im Steuerrecht vonnöten. Und gerade letzteres ist ständig im Wandel. Aktuell müssen sich Berater z.B. mit dem neuen Realteilungserlass auseinandersetzen. Anlässlich der Neuauflage des Schwedhelm, Die Unternehmensumwandlung, habe ich hierüber mit dem Autor des Buches Rechtsanwalt Dr. Rolf Schwedhelm[1] gesprochen.  

Melkko: Lieber Herr Dr. Schwedhelm, haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Was ist für Rechtsanwälte, die im Umwandlungsrecht tätig sind, die größte Herausforderung?

Schwedhelm: Den Überblick zu behalten. Die Umwandlung einer Gesellschaft bedarf solider Kenntnisse im Zivilrecht und im Steuerrecht. Vor allem das durch Rechtsprechung und ständige Gesetzesänderungen geprägte Steuerrecht macht es unerlässlich, sich laufend mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Dabei ist es nicht ausreichend, das Umwandlungssteuerrecht zu kennen. Regelmäßig stellen sich auch umsatz- und grunderwerbsteuerliche Fragen, die nicht selten übersehen werden.

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Melkko: Wo liegen denn die größten steuerrechtlichen Fallstricke?

Schwedhelm: Die Klassiker in Steuerstreit- oder Steuerberaterhaftungsverfahren bleiben die nicht erkannte Betriebsaufspaltung sowie das nicht erkannte Sonderbetriebsvermögen. Häufig werden z.B. GmbH-Anteile über Jahre zu Unrecht nicht als Betriebsvermögen qualifiziert. Das Finanzamt greift das oftmals auch nicht auf – entweder weil es die Betriebsvermögenseigenschaft ebenfalls nicht erkennt oder weil sie sich bei der laufenden Besteuerung nicht auswirkt. Kommt es dann zu einer Unternehmensumwandlung, werden diese Fragen jedoch von der Betriebsprüfung meist sehr genau untersucht. Die Steuerschäden, die dabei aufgedeckt werden, sind oft erheblich.

Melkko: Eine weitere Schwierigkeit liegt ja vielleicht auch in der Dynamik des Rechtsgebiets. Ich denke da z.B. an den neuen Realteilungserlass. Wie wirkt dieser sich auf die Beratung aus?

Schwedhelm: Die Realteilung spielte in der Vergangenheit in der Gestaltungsberatung eine untergeordnete Rolle. Die Finanzverwaltung hat die Voraussetzungen so eng ausgelegt, dass kaum rechtssicher gestaltet werden konnte. Dass die Finanzverwaltung – wenn auch erst auf mehrfachen Druck des BFH – diese enge Sichtweise nun aufgegeben hat, ist insbesondere für Freiberuflersozietäten eine große Erleichterung. Dass die Finanzverwaltung nach wie vor die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern in das Gesamthandsvermögen einer anderen Mitunternehmerschaft nicht zulässt, bleibt allerdings eine steuerliche Absurdität.

Melkko: Der neue Realteilungserlass ist auch in der vor kurzem erschienenen 9. Auflage Ihres Werks „Die Unternehmensumwandlung“ berücksichtigt worden. Das Werk zeichnet sich vor allem durch seine ABC-Form aus. Wie ist diese Idee entstanden und welche Vorteile hat das für den Nutzer?

Schwedhelm: Die Idee zur ABC-Form stammt vom Herausgeber der Reihe, Michael Streck. Das Buch ist entstanden aus der praktischen Arbeit. Im Laufe der Zeit hatte sich eine ganze Anzahl von Umwandlungsfällen bei mir angesammelt. Streck hatte daraufhin die Idee, dass ich aus diesem angesammelten Knowhow ein Buch mache und zwar in ABC-Form. Mir leuchtete diese Idee sofort ein. In der praktischen Arbeit ist Ausgangspunkt immer die Frage, wie komme ich von der Rechtsform A in die Rechtsform B. Hierzu muss ich mir dann die passenden zivilrechtlichen und steuerlichen Normen suchen. Diesem Ziel dient das Buch. Es soll ein Wegweiser durch den Dschungel des Umwandlungs- und Umwandlungssteuerrechts sein.

Melkko: Der „Schwedhelm“ bietet einen Überblick über mehr als 300 Umwandlungsfälle. Gleichzeitig ist das Umwandlungsrecht ja ein eher statisches Rechtsgebiet. Gibt es aktuelle Beratungsschwerpunkte, die in der Neuauflage berücksichtigt sind?

Schwedhelm: Gott sei Dank ist das Umwandlungsrecht – im Gegensatz zum Umwandlungssteuerrecht – in den Kernbereichen von Gesetzesänderungen verschont worden. Dennoch bieten Rechtsprechung und Gesetzgeber immer wieder Anlass, das Buch zu aktualisieren. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist aktuell die Internationalisierung des Umwandlungsrechts, insbesondere verbunden mit den Fragestellungen im Zusammenhang mit einem Brexit.

Melkko: Sie hatten vorhin ja schon auf die große Bedeutung steuerrechtlicher Kenntnisse für die Beratung hingewiesen. Wird das Steuerrecht im „Schwedhelm“ ebenfalls berücksichtigt?

Schwedhelm: Das Steuerrecht wird in „Die Unternehmensumwandlung“ nicht nur berücksichtigt, sondern stellt sicherlich einen Schwerpunkt der Ausführung dar. Mindestens 50 % des Inhaltes beschäftigen sich mit den steuerrechtlichen Fragen. Das Steuerrecht ist und bleibt das größte Umwandlungshindernis. Das Buch soll helfen, diese Hindernisse zu erkennen und zu meistern.

Melkko: Lieber Herr Dr. Schwedhelm, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

 

[1] Dr. Rolf Schwedhelm ist Namensgeber und Autor des Standardwerkes Schwedhelm, Die Unternehmensumwandlung, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht sowie Partner bei Streck Mack Schwedhelm Köln und sowohl auf das Umwandlungsrecht als auch auf das Umwandlungssteuerrecht spezialisiert. Das Interview hat Ass. iur. Katharina Melkko, Redakteurin und Lektorin im Verlag Dr. Otto Schmidt, geführt.

Anwaltliches Gesellschaftsrecht vor der Reform

Gleich beide anwaltlichen Berufsorganisationen haben in letzter Zeit Entwürfe für eine Neuordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts vorgelegt: Die BRAK im Mai 2018 und der DAV im März 2019. Damit besteht nun erstmals seit vielen Jahren eine reale Chance, dass dieser Rechtsbereich eine „vernünftige“ Neuregelung erfährt.

In einigen Punkten gleichen sich die beiden Entwürfe. So soll die Anwalts-KG, die GmbH & Co. KG sogar, erlaubt werden. Eigentlich banal, aber noch in jüngerer Zeit Gegenstand heftiger Kontroversen in der BGH-Rechtsprechung. Anwaltssozietäten sollen grundsätzlich eigens zugelassen werden, nicht mehr nur die natürlichen Personen.

Beim Thema interprofessioneller Zusammenschlüsse schreitet der DAV deutlich mutiger voran als die BRAK. Das BVerfG hatte in letzter Zeit mehrfach Verbote interprofessioneller Zusammenarbeit wie auch die daran vom Gesetzgeber geknüpften Mehrheitsverhältnisse für verfassungswidrig erklärt. Der DAV nimmt das zum Anlass für eine Generalklausel: „Vereinbare“ Berufe dürften mit Anwälten verbunden werden. Was das bedeutet, ist offen, klare Konturen gibt es nicht mehr. Das bietet Chancen für gute, den Mandanten dienliche Fächerkombinationen. Andererseits werden Ängste vor einer „Überfremdung“ anwaltlicher Gesellschaften geweckt, die Widerstand heraufbeschwören.

Das heißeste Eisen hat der DAV am Ende nicht anpacken wollen: Die „auswärtige Kapitalbeteiligung“, sprich: Geld von Investoren. Man präferiert, dem BMJV den Vortritt zu lassen. Von dort war angekündigt worden, man wolle Investitionen in rechtsberatende Unternehmen harmonisch regeln, Anwaltskanzleien also im gleichen Zuge wie Inkassofirmen. Diese Zurückhaltung des DAV ist nicht vornehm, sondern furchtsam. Das Feld wird Ministerialbeamten überlassen, statt mutig eigene Ideen vorzulegen. Dabei geht es gerade hier, bei der Finanzkraft unterschiedlicher Anbieter von Rechtsdienstleistungen, um die wirtschaftliche Ausgangslage im Verteilungswettkampf um die beste Position auf dem Rechtsberatungsmarkt.

Der DAV-Entwurf bietet Anregungen zur Neugestaltung der berufsrechtlichen Normen. Einiges wird zupackend angegangen, bei anderem schreckt die Berufsvertretung zurück. Bei über 160000 Anwälten mit einem äußerst heterogenen Berufsbild gilt es offenbar, stets politische Rücksichten zu nehmen und nicht die Zukunftsaufstellung mit der „Brechstange“ durchzusetzen. Nun ist das BMJV gefragt. Wenn es sich beeilt, könnte die BRAO noch im Laufe der aktuellen Legislaturperiode gründlich überarbeitet und modernisiert, die Anwaltschaft fit gemacht werden für die Zukunft.

Ausführlicher zu diesem Thema: Römermann im „Blickpunkt“, GmbHR 7/2019.