Brexit: Implikationen des EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts

Die EU und das UK haben am 30.12.2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK Trade and Cooperation Agreement – EU-UK TCA) unterzeichnet, das zum 1.1.2021 vorläufig in Kraft trat.

Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften

Infolge des Austritts des UK aus der EU gilt im Verhältnis zwischen UK und EU-/EWR-Mitgliedstaaten keine Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV bzw. Art. 31 Abs. 1, 34 Abs. 1 EWRV) mehr. Folglich verpflichtet die Niederlassungsfreiheit Deutschland im Verhältnis zum UK auch nicht mehr zur Anwendung der Gründungstheorie (grundlegend insoweit die EuGH-Urteile Centros, Überseering und Inspire Art).

Im Verhältnis zu Drittstaaten – wie es das UK nun ist – gilt nach st. Rspr. des BGH grundsätzlich die Sitztheorie, sofern nicht aufgrund einer internationalen Übereinkunft eine Pflicht zur Anwendung der Gründungstheorie besteht.

Im EU-UK TCA finden sich zwar keine speziellen Vorschriften zum Gesellschaftsrecht und auch keine den Art. 49, 54 AEUV direkt vergleichbaren Regelungen. Das EU-UK TCA enthält jedoch äußerst umfassende Regelungen zur Liberalisierung von Investitionen (Art. SERVIN.2.1-SERVIN.2.7), die weitgehend denjenigen in Kapitel 8 CETA nachgebildet sind. Insbesondere gelten zugunsten von Investoren der anderen Vertragspartei und erfassten Unternehmen in Bezug auf establishment and operation die Prinzipien der Inländerbehandlung (national treatment – NT) und der Meistbegünstigung (most favoured nation treatment – MFN) (Art. SERVIN.2.3 Abs. 1, Art. SERVIN.2.4 Abs. 1, 2 EU-UK TCA). Jedes erfasste Unternehmen und jeder Investor einer Vertragspartei darf also im Hinblick auf establishment and operation – d.h. sowohl im Hinblick auf die Errichtung einer Niederlassung als auch auf deren Betrieb – im Gebiet der anderen Vertragspartei nicht weniger günstig behandelt werden als inländische Investoren (NT) und Investoren aus Drittstaaten (MFN) in vergleichbaren Situationen. Dies setzt aber notwendig voraus, dass ein Investor einer Vertragspartei und ein erfasstes Unternehmen von der anderen Vertragspartei als rechtsfähig anerkannt werden müssen – und zwar als juristische Person nach dem Recht der Vertragspartei, nach dem sie gegründet wurden.

Eine Ausnahme wäre aufgrund der Definition des Begriffs legal person of a Party (Art. SERVIN.1.2(k) EU-UK TCA) allenfalls zulässig für Gesellschaften, die auf dem Gebiet des UK keine substantive business operations ausüben. Dies würde aber nur sehr wenige Fälle ausschließen und zudem Praxis und Gerichte mit erheblichen Abgrenzungsproblemen belasten. Insgesamt sprechen daher die besseren Argumente dafür, im Verhältnis zum UK (weiterhin) generell die Gründungstheorie anzuwenden.

Wegfall der Bindung des UK an das EU-Gesellschaftsrecht

Eine weitere wichtige Konsequenz des Brexit ist, dass das UK mangels EU-Mitgliedschaft nicht mehr an das EU-Gesellschaftsrecht gebunden ist. Das UK hat jedoch weite Teile des EU-Gesellschaftsrechts in sein innerstaatliches Recht inkorporiert.

Gleichwohl gibt es seit dem 1.1.2021 einige wichtige Neurungen, u.a.:

  • Das UK ist nicht mehr am BRIS beteiligt.
  • Grenzüberschreitende Verschmelzungen zwischen UK-Kapitalgesellschaften und EU-/EWR-Kapitalgesellschaften auf der Basis der nationalen Umsetzungsvorschriften zur GesRRL (in Deutschland: §§ 122a ff. UmwG) sind nicht mehr möglich. Die Vertrauensschutzregelung des § 122m UmwG geht ins Leere.
  • Grenzüberschreitende Spaltungen und grenzüberschreitende Formwechsel auf der Basis der Art. 49, 54 AEUV bzw. der GesRRL sind ebenfalls nicht mehr möglich.
  • Es können keine SE, SCE und EWIV mit Sitz im UK mehr gegründet werden. SE, SCE und EWIV aus EU-/EWR-Mitgliedstaaten können ihren Sitz nicht mehr ins UK verlegen. Im UK noch existierende SE und EWIV wurden zum 1.1.2021 ipso iure in UK Societas bzw. UKEIG umgewandelt.

Ausführlich zum Ganzen demnächst J. Schmidt GmbHR 5/2021.

10. GWB-Novelle – Compliance-Defense in Kartellbußgeldverfahren

Erstmals gesetzliche Anerkennung von Compliance-Defense

Mit der am 19. Januar 2021 in Kraft getretenen GWB-Novelle hat der deutsche Gesetzgeber die Compliance-Defense in kartellrechtlichen Bußgeldverfahren erstmals gesetzlich anerkannt. So sieht § 81 d Abs. 1 Satz 2 GWB ausdrücklich die Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldzumessung vor. Erfasst werden sowohl Compliance-Maßnahmen vor als auch nach Kartellverstößen. Der Gesetzgeber ist damit im parlamentarischen Verfahren jüngsten Stellungnahmen und Veröffentlichungen zum bisherigen Referentenentwurf der GWB-Novelle gefolgt. Im Entwurf war lediglich eine Berücksichtigung des Nachtatverhaltens vorgesehen. Deutschland weicht damit zwar von der bisher weiterhin klar ablehnenden Haltung der Europäischen Kommission ab. Die Novellenregelungen stehen jedoch im Einklang mit den Reformbestrebungen des aktuellen Regierungsentwurfs zum Verbandssanktionengesetz. Dass der deutsche Gesetzgeber nun Wege zur Compliance-Defense öffnet, entspricht dem Zeitgeist. Im August 2019 läutete die Kartellabteilung des US-Justizministeriums (Department of Justice) einen Paradigmenwechsel zur Anerkennung von Compliance-Programmen ein.

Novellenregelungen und Gesetzesbegründung

Nach dem Wortlaut des § 81d Abs. 1 Satz 2 GWB n.F. kommen bei der Bußgeldbemessung als abzuwägende Umstände insbesondere „vorausgegangene Zuwiderhandlungen des Unternehmens sowie vor der Zuwiderhandlung getroffene, angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ (Nr. 4) und das „Bemühen des Unternehmens, die Zuwiderhandlung aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen sowie nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ (Nr. 5) in Betracht. Nach der Gesetzesbegründung sind Compliance-Maßnahmen angemessen und wirksam, wenn der Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern. Dies sei in der Regel anzunehmen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben, und weder die Geschäftsleitung noch eine sonstige für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person selbst an der Zuwiderhandlung beteiligt waren. Die Beurteilung der Angemessenheit getroffener Compliance-Maßnahmen soll nach der Gesetzesbegründung im Einzelfall und in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße, der Kartellgeneigtheit des Unternehmensgegenstandes, der Anzahl der Mitarbeiter, den zu beachtenden Vorschriften sowie dem Risiko ihrer Verletzung getroffen werden.

Praxisfolgen und Ausblick

Sicher ist, Compliance ist dann erfolgreich, wenn sie sich selbst zuvorkommt. Jeder Rechtsverstoß, der durch effektive Compliance-Maßnahmen verhindert wird, verursacht keine Kosten. Aufklärungs-und Beratungskosten fallen nicht an, das Unternehmen sieht sich keinen Schadensersatzansprüchen durch Dritte ausgesetzt, Sanktionen und Bußgelder sind nicht zu erwarten und es entsteht kein Reputationsschaden. Zugleich tragen gelebte Compliance-Programme zu einer werteorientierten Unternehmenskultur bei und schaffen dadurch Mehrwert für das Unternehmen. Gesetzgeber, Behörden und Gerichte haben die Compliance-Funktion in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil des Governance-Systems von Unternehmen ausgebaut. Dabei darf man nicht dem Irrglauben unterliegen, dass hierdurch sämtliche Rechtsverstöße vermieden werden können. Ein Restrisiko verbleibt auch bei der effektivsten Compliance-Arbeit. Dies bei den kommenden Entscheidungen angemessen zu berücksichtigen, wird künftig von erheblicher Bedeutung sein, um der Praxis bei der weiteren Ausgestaltung ihrer Compliance-Systeme die notwendige Rechtssicherheit zu geben.

Das Update zum „Update Frauenquote“ – das FüPoG II

Im Anschluss an das vor knapp einem Jahr veröffentlichte „Update Frauenquote“ zum FüPoG II (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) ist über den mittlerweile vorliegenden Regierungsentwurf zu berichten (abrufbar https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aenderung-fuepog-data.pdf). Wie damals prognostiziert, findet sich ein Kern der Initiative in der Ausweitung der Quotenregelungen. Für bestimmte börsennotierte und mitbestimmte Aktiengesellschaften sowie solche mit qualifizierter Beteiligung des Bundes muss fortan der Vorstand, falls er aus mehr als drei Mitgliedern bestehen sollte, mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein. Überraschend angesichts der ausufernden Staatshilfen in der COVID-19-Pandemie ist, dass man Gesellschaften, die durch Bund „gerettet“ wurden, nicht ebenfalls den verschärften Anforderungen unterwirft.

Rechtspolitisch fällt auf, dass der Regierungsentwurf mit der Regulierung jeweils nur eines Sitzes im Vorstand deutlich hinter den laufenden europäischen Überlegungen (dazu letzthin Mutter, AG 2020, 830) zurückbleibt, die auf einen Mindestanteil von 40 % Frauen und Männern in Vorstand und Aufsichtsrat zielen. Der Regierungsentwurf verdient daher insoweit wohl eher das Prädikat einer „kleinen Einstiegsregulierung“ anstatt besonderes Lob für einen mutigen Schritt. Auch hat man sich in Berlin noch keine Gedanken dazu gemacht, ob Übererfüllungen in einen der beiden Verwaltungsorgane zu „Anrechnungen“ im anderen führen könnten, wie das auf europäischer Ebene im Richtlinienentwurf schon lange angedacht ist.  Nur für Rechtsdogmatiker interessant ist hingegen wohl, dass man mit dem Regierungsentwurf durch die neuen Quoten zugunsten zweier Geschlechter anscheinend auf eine verfassungsrechtliche Absicherung der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Mutter in FS E. Vetter, 2019, S. 489, 494) verzichtet.

Alles Weitere bewegt sich mehr oder minder im Kreis der Erwartungen: Wie bereits im ersten Update (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) berichtet, soll nach neuem Recht die Festlegung der Zielgröße „Null“ für den Vorstand, die beiden obersten Führungsebenen unterhalb des Vorstands und den Aufsichtsrat begründet werden. Im Handelsbilanzrecht werden nach Vorstellung der Bundesregierung jeweils flankierende Berichtspflichten und Sanktionen eingeführt.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 4/2021.

„Weihnachtsgeschenk“ des Gesetzgebers: Virtuelle Hauptversammlung (HV) 4.0!

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens als „Omnibus“-Gesetz in einem Husarenritt (siehe die enge Taktfolge von Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25251, dazu erläuternder Bericht der Abgeordneten Dr. Heribert Hirte, Dr. Karl-Heinz Brunner, Fabian Jacobi, Judith Skudelny, Gökay Akbulut und Dr. Manuela Rottmann, BT-Drucks. 19/25322 vom 16.12.2020, Plenardebatte des Deutschen Bundestages vom 17.12.2020, Plenarprotokoll 19/202, dort insbesondere 25377-25381 und Beschluss des Bundesrates vom 18.12.2020, BR-Drucks. 761/20) kurz vor Jahresende die Rechtsgrundlagen für die Durchführung virtueller Hauptversammlungen in 2021 geändert. 

I. Paradigmenwechsel von der Fragemöglichkeit zurück zum Fragerecht

1. Die Neuregelung und deren ratio

Zum Anliegen der gesetzlichen Neuregelung berichtet der Rechtsausschuss (BT Drucks. 19/25322, 10) kurz und knapp:

Hervorzuheben sei hier, dass der Vorstand auf der Hauptversammlung nun nicht mehr über das „Ob“ des Fragerechts von Aktionären entscheiden könne, sondern nur noch über das „Wie“ der Beantwortung.“

Gemündet hat dies in die Änderung von § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, wo in Satz 1 die Wörter „eine Fragemöglichkeit“ durch „ein Fragerecht“ ersetzt wurden und dessen Satz 2 nun lautet:

„Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind.“

2. Ausgewählte offene Fragen und Probleme der Neuregelung

a) Das erste Problem der Neuregelung beginnt bereits mit der Frage, was „bis spätestens einen Tag vor der Versammlung“ bedeutet. Das führt nämlich unmittelbar zurück zum Streitstand, der sich an der entsprechenden Zweitagesfrist des § 1 GesRuaCOVBekG entzündet hat.

Diese Debatte hätte der Gesetzgeber durch ein klarstellendes Wort gleich miterledigen können. Die Chance hat er zwar vertan, die Praxis wird sich aber dadurch Rechtssicherheit verschaffen können, dass sie sich an der für die Aktionäre jeweils günstigsten Meinung orientiert und die Belastung der Gesellschaft hierdurch in Kauf nimmt. Dies wäre die punktgenaue Berechnung in Stunden rückgerechnet vom Beginn der virtuellen Hauptversammlung. Zwingend geboten ist dies unseres Erachtens aber nicht, weil der Gesetzeswortlaut jedenfalls bei börsennotierten Aktiengesellschaften eindeutig und unabdingbar ist, wenn man das Aktiengesetz in den Blick nimmt, wo § 121 Abs. 7 AktG schon nach seinem Wortlaut zweifelsfrei einen „Allgeltungsanspruch“ hat.

b) Das leitet über zum größten Problem der Neuregelung. In der klassischen Präsenzhauptversammlung kann es nicht zur Überforderung der Gesellschaft durch zahlreiche Fragen kommen, deren Beantwortung soviel Zeit braucht, dass die Hauptversammlung nicht mehr bis Mitternacht zu beenden ist. Denn die Möglichkeiten der Redezeitbegrenzung, der Schließung der Rednerliste und der Schließung der Debatte durch den Versammlungsleiter verhindern, dass es dazu kommen kann.

Das ist bei einer virtuellen Hauptversammlung anders. Hier können, insbesondere wenn gesellschaftsfeindliche, aktivistische Aktionäre sich entsprechend organisieren, tausende Fragen eingereicht werden, die eine Einreichungsfrist, egal wie berechnet, nicht verhindern kann. Deren Beantwortung in der virtuellen Hauptversammlung kann schnell dazu führen, dass diese mehr Stunden dauert als man bis Mitternacht hat, also „gesprengt“ wird, soweit man nicht vorsorglich auf mehrere Tage einlädt. Daher hatte der Gesetzgeber gerade nichts falsch gemacht, als er im März 2020 nur eine Fragemöglichkeit regelte. Der Sündenfall ist der „Dezember“-Beschluss. Dies wirft die Frage der Schadensbegrenzung auf:

aa) Hier bietet der Hinweis der Gesetzesmaterialien auf die „schriftliche“ Beantwortung nur eine fragile Abhilfe. Denn das kann nicht bilateral gelten, sondern jede Antwort muss – wie in der Präsenzhauptversammlung – auch allen Mitaktionären zur Verfügung stehen, was zur Beantwortung über die Webseite der Gesellschaft führt. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG verlangt für solche Antworten aber an sich, dass Antworten über die Webseite bereits 7 Tage vor der Hauptversammlung verfügbar sein sollen. Das kann bei Fragen, die man auch nach diesem Tag noch stellen kann, nicht eingehalten werden. Unseres Erachtens wird das Gesetz insoweit wohl im Sinne einer impliziten Abbedingung der 7-Tages-Frist zu lesen sein.

bb) Auch nicht zwingend zielführend ist der Hinweis in den Gesetzesmaterialien auf die Möglichkeit, gleichartige Fragen gebündelt zu beantworten. Gerade gut organisierte aktivistische Aktionäre werden die nötige Sorgfalt aufbringen, um mit ihren Anwälten hinreichend verschiedene Fragen in großer Zahl zu stellen. Dann läuft diese „Erleichterung“ für den Vorstand im Rahmen der Beantwortung leer.

cc) Interessanter ist der Hinweis der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/25322, 10) auf die Möglichkeit, einer „zeitlichen Obergrenze“ für Fragen. Gemeint ist wohl genauer eine zeitliche Obergrenze für die Beantwortung von Fragen in der virtuellen Hauptversammlung. Das steht zwar auf den ersten Blick in Widerspruch zur neuen Antwortpflicht, aber eben nur auf den ersten Blick. Denn natürlich ist auch in der Präsenzhauptversammlung das Auskunftsrecht des § 131 AktG durch die Leitungsbefugnisse des Versammlungsleiters zu Redezeitbegrenzung, Schluss der Rednerliste und Schluss der Debatte faktisch begrenzt. Nichts anderes gilt, wenn man also in der Einberufung der virtuellen Hauptversammlung festlegt, dass für die Beantwortung von Fragen beispielsweise höchstens acht Stunden zur Verfügung stehen.

c) Eine weitere Folgefrage der Umstellung auf ein Fragerecht ist schließlich auch, ob man das Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG wird zulassen müssen, was man bislang aufgrund der bloßen Fragemöglichkeit verneint hatte. Im Ergebnis wird man hier unseres Erachtens nicht anders urteilen müssen, denn die Gesetzbegründung stellt auch das neue Fragerecht dem Auskunftsrecht des § 131 AktG nicht vollständig gleich, wenn es dem Vorstand weiterhin erlaubt ist, dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint. Für eine Anwendung der Vorschrift des § 132 AktG spricht allerdings zugegebenermaßen, dass der Gesetzgeber den Aktionären dezidiert ein Fragerecht geben will. Entscheiden werden (auch) das erst die Gerichte.

d) Hingegen sollte der breite Ausschluss der Anfechtungsklage aufgrund des insoweit unveränderten Gesetzeswortlauts in § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG weiter Raum greifen.

II. Nachfragemöglichkeit auch in der Hauptversammlung 

Aufgrund einer unglücklichen formulierten Erläuterung der Koalitionsfraktionen ist ein Streit entbrannt, ob in der virtuellen Hauptversammlung zudem auch die Möglichkeit zur Gewährung von Nachfragen zu eröffnen ist. Daraus leiten interessierte Kreise bereits entsprechende Rechtspflichten ab. Diese zu bejahen, würde freilich zu erheblichen (Kosten)Belastungen der virtuellen Hauptversammlung führen, weil diese dann in einer geeigneten Form interaktiv mittels Zwei-Wege-Kommunikation auszugestalten wäre.

Hier wird jedoch übersehen, dass die virtuelle Hauptversammlung nach ihren rechtlichen Grundlagen, grundsätzliche Antwortpflicht hin oder her, gerade nicht auf einen Dialog ausgerichtet ist. Unzweifelhaft besteht nach § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG keine Pflicht des Vorstands, eine elektronische Teilnahme in einer virtuellen Hauptversammlung vorzusehen. Insoweit wäre ein verpflichtender Aktionärsdialog in Form einer Zwei-Wege-Kommunikation ein offener Bruch mit dem Gesetzeswortlaut.

III.  Fiktion zur Stellung von Anträgen

Eine weitere wichtige Änderung findet sich in § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG neuer Fassung, der nun regelt:

„Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären, die nach § 126 oder § 127 des Aktiengesetzes zugänglich zu machen sind, gelten als in der Versammlung gestellt, wenn der den Antrag stellende oder den Wahlvorschlag unterbreitende Aktionär ordnungsgemäß legitimiert und zur Hauptversammlung angemeldet ist.“

Auch das ist eine klare Abkehr von der bisherigen Rechtslage. Kritisch daran ist, dass wiederum die Tür dazu geöffnet wird, dass gesellschaftsfeindliche, aktivistische Aktionäre sich entsprechend organisieren und zahlreiche Anträge rechtzeitig eingereicht werden, deren Behandlung (insbesondere in Kombination mit vielen Fragen) soviel Zeit benötigt, dass eine virtuelle Hauptversammlung über Mitternacht hinaus dauert, also „gesprengt“ wird, wenn man nicht vorsorglich auf mehrere Tage einlädt.

Auch wenn hier weder Gesetzeswortlaut, noch Gesetzesmaterialien den Hinweis auf eine Beschränkung der Zeitdauer für die Behandlung von Gegenanträgen enthalten, wird man eine solche Möglichkeit mit einem „erst recht“-Schluss aus der Möglichkeit in der Präsenzhauptversammlung zur Schließung der Rednerliste und damit implizit zur faktischen Beendigung der Möglichkeit zur Stellung von Anträgen ableiten können. 

IV. Zeitlicher Anwendungsbereich

Die Übergangregelung aus Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht ordnet die Geltung der neuen Bestimmungen mit einer zweimonatigen Übergangszeit an. Hier scheint der Gesetzgeber in den Dimensionen der aktienrechtlichen Einberufungsfristen des § 123 AktG gedacht zu haben. Dies verkennt freilich, dass die Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat zur Einberufung der Hauptversammlung nicht in Sondersitzungen fallen, die rückwärts gerechnet vom Tag der Hauptversammlung terminiert werden, sondern „ganz normal“ in den turnusmäßigen Sitzungen, was regelmäßig zu längeren Fenstern zwischen den Entscheidungen der Organe, der Einberufung und der Durchführung der Hauptversammlung führt. Es bedarf daher keiner großen Phantasie, um zu erahnen, dass das übereilte Vorpreschen des Gesetzgebers einzelne Gesellschaften zwingen wird, nochmals Vorstand und Aufsichtsrat einzuberufen, um auf Grundlage der am Tag der Hauptversammlung geltenden Aktionärsrechte neu zu beraten und zu entscheiden.

Eine Übergangsregelung nach dem Vorbild des § 26j Abs. 3 und Abs. 4 EGAktG hätte dies vermieden.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt in Ausgabe 3/2021 der AG.

RA Dr. Stefan Mutter und RA Dr. Carsten Kruchen, M.Jur. (Oxford),
MUTTER & KRUCHEN Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Die Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts kommt zum 1.1.2021

In beispiellosem Eiltempo haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in der 51. Kalenderwoche doch noch den Kraftakt vollzogen, das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) zu verabschieden und damit das Insolvenz- und Restrukturierungsrecht grundlegend zu reformieren. Der Großteil der Regelungen soll bereits zum 1.1.2021 in Kraft treten, sodass der Praxis kaum Zeit bleibt, sich noch hinreichend auf die neuen Regeln einzustellen.

1. Vorinsolvenzliche Sanierung durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

Im Mittelpunkt des SanInsFoG steht das neue Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), mit dem eine neue Option der vorinsolvenzlichen Restrukturierung geschaffen wird (vgl. zum RefE Thole ZIP 2020, 1985 ff.). Dieses Gesetz adressiert die vom BGH im Fall „co-op“ diskutierte, aber nicht gelöste sog. Akkordstörerproblematik (vgl. BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191). Eidenmüller hat sie als Kollektivhandlungsrisiko bezeichnet. Gemeint ist damit das „Risiko, dass kollektiv nützliche Maßnahmen aufgrund opportunistischen Verhaltens Einzelner scheitern und die Ausfälle der Betroffenen deshalb noch höher sind, als sie im besten Fall sein müssten“ (Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 345 ff., 435 ff., 564 ff., Zitat auf S. 634). Was ist damit gemeint?

Nicht anders als bei der Rettung des Weltklimas zeigt sich auch in der Sanierung von Unternehmen nicht selten ein Trittbrettfahrerverhalten der Betroffenen: Jeder weiß genau, dass zur Sanierung konkrete Maßnahmen erforderlich sind, um einen noch größeren Verlust bei der insolvenzbedingten Liquidation des Unternehmens abzuwenden, hofft allerdings, dass die erforderlichen Sanierungsbeiträge von den jeweils anderen Betroffenen erbracht werden, weil diese beim Scheitern der Sanierung ebenfalls noch größere Verluste zu erwarten haben als sie dem Sanierungsbeitrag entsprechen. Jeder Betroffene will also Nutznießer der fremden Sanierungsbeiträge sein.

Man kann den Versuch unternehmen, diese Problematik durch Treue- und Aufopferungspflichten in den Griff zu bekommen (so der Vorschlag von Bitter, ZGR 2010, 147 ff.). Viel besser ist natürlich die jetzige gesetzliche Regelung, die eine vorinsolvenzliche Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen per Mehrheitsbeschluss auch gegen dissentierende Personen/-gruppen ermöglicht. Im besten Fall muss dabei das StaRUG überhaupt nicht zum Einsatz kommen, weil schon die Drohung mit seiner Anwendung die Akkordstörer zum Einlenken bringt: Wer wird sich noch der im Allgemeininteresse liegenden, mehrheitlich von den Gläubigern unterstützten Sanierungsoption verweigern, wenn er weiß, im Falle eines Alleingangs kollektiv durch einen Restrukturierungsplan eingebunden zu werden? Insoweit gilt: Das StaRUG wirkt am besten, wenn es gar nicht angewendet wird! Dann nämlich beruht die notwendige Sanierung auf einem Konsens der Gläubigergesamtheit, der nicht mehr durch Akkordstörer verhindert wird.

2. Streichung der Vertragsbeendigung (§§ 51 ff. StaRUG-RegE)

Gestrichen aus dem Regierungsentwurf des StaRUG wurden nach einer Empfehlung des Rechtsausschusses die §§ 51 bis 55 zur Möglichkeit einer Vertragsbeendigung im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Hier sah man – wie Hirte im Deutschen Bundestag erläutert hat – die Gefahr, dass jene Möglichkeit der Vertragsbeendigung negative Rückwirkungen auf die Bereitschaft von Gläubigern zur Gewährung von (Waren-)Kredit haben kann und eine dadurch hervorgerufene Kreditklemme kann in der derzeitigen Corona-Lage nun wirklich niemand gebrauchen. Ob sich die Streichung der Vertragsbeendigungsoption negativ auf den „Sanierungsstandort Deutschland“ auswirken wird, weil andere Länder jene Möglichkeit im vorinsolvenzlichen Verfahren vorhalten, wird sich zeigen. Die besonderen Gefahren in der Corona-Krise waren hier für den Gesetzgeber vorrangig.

3. Ergänzung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes

Letzteres gilt auch für einige Ergänzungen des COVInsAG durch Art. 10 SanInsFoG. Während die bisherige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zum Ende 2020 ausläuft (vgl. Bitter, GmbHR 2020, R292 ff.), schafft § 1 Abs. 3 COVInsAG für den Januar 2021 eine neue Aussetzung für solche Unternehmen, die Anträge auf die sog. November- und Dezemberhilfe der Bundesregierung gestellt haben und dadurch die Insolvenz vermeiden können. Der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung wird zudem auf vier Monate verkürzt, wenn die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist (§ 4 COVInsAG). Für im Jahr 2021 beantragte Eigenverwaltungsverfahren gelten ferner bei einer pandemiebedingten Insolvenz noch die alten, weniger strengen Regeln der bisherigen §§ 270 bis 285 InsO und es gibt einen erleichterten Zugang zum Schutzschirmverfahren (§§ 5 und 6 COVInsAG).

4. Keine gesetzliche Fixierung der Geschäftsführung auf das Gläubigerinteresse

Nicht ins Gesetz übernommen ist die im Entwurf in §§ 2 und 3 StaRUG enthaltene Regelung, welche die Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane haftungsbeschränkter Gesellschaften ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) ganz allgemein auf das Gläubigerinteresse verpflichten sollte (dazu Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364 f.). In der aktuell unsicheren Situation, in der sich nicht wenige Unternehmen im Zustand drohender Zahlungsunfähigkeit befinden dürften, ohne dies jedoch rechtssicher feststellen zu können, wollte man den Druck auf die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte nicht noch weiter erhöhen, wie Hirte in der Debatte im Bundestag erläutert hat.

Doch ändert die Streichung der §§ 2 und 3 StaRUG nichts an der schon vor dem Referentenentwurf eines SanInsFoG zunehmend anerkannten Änderung der Interessenausrichtung mit Eintritt der materiellen Insolvenz (sog. shift of duties; vgl. Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 32, 463 ff.). Diese hat nämlich nichts mit einer gesetzlichen Anordnung zu tun, sondern ergibt sich schlicht aus der Natur der Sache: Ist eine haftungsbeschränkte Gesellschaft insolvenzreif, gehört ihr Vermögen wirtschaftlich betrachtet nicht mehr den Gesellschaftern, sondern den Gläubigern der Gesellschaft. Die Gesellschafter halten die Anteile dann gleichsam nur noch als Treuhänder der Gläubiger (Bitter, ZGR 2010, 147, 189 ff.), weshalb auch die Geschäftsführung ihr Handeln nunmehr am Interesse der letzteren auszurichten hat (vgl. auch Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365). Und dieser Wandel der Interessenausrichtung beginnt auch ohne gesetzliche Anordnung im StaRUG im Regelfall schon zum Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO, weil diese ihrerseits ganz regelmäßig mit der Überschuldung gemäß § 19 InsO und damit der Antragspflicht bei haftungsbeschränkten Gesellschaften aus § 15a InsO zusammenfällt (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, Vor § 64 Rz. 109).

5. Das Zahlungsverbot des § 15b InsO und sein Verhältnis zu den steuer- und strafrechtlichen Abführungsgeboten

Die bisher in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen und im HGB verstreuten Zahlungsverbote (für die GmbH § 64 GmbHG) sind schon im Regierungsentwurf im neuen § 15b InsO zusammengefasst worden (dazu näher Bitter, GmbHR 2020, 1157 ff.; Gehrlein, DB 2020, 2393 ff.; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365 ff.; Poertzgen, ZInsO 2020, 2509, 2515 ff.). Insoweit wird nun im endgültigen Gesetzestext das problematische Verhältnis dieses Massesicherungsgebots aus § 15b InsO zu den steuerrechtlichen Abführungsgeboten in einem neu eingefügten Absatz 8 des § 15b InsO klargestellt und damit ein Ergebnis erzielt, welches der Verfasser bereits der Begründung des Regierungsentwurfs entnehmen wollte: Solange die Geschäftsführung im Rahmen der Drei- bzw. Sechs-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO noch zulässige Sanierungsversuche unternimmt sowie im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens hat die Massesicherungspflicht Vorrang vor dem steuerrechtlichen Abführungsgebot (vgl. Bitter, GmbHR 2020, 1157, 1159, Rz. 11 f.). Der Geschäftsführer verhält sich also nicht pflichtwidrig, wenn er die Masse in diesen Stadien (des Verfahrens) im Interesse aller Gläubiger zusammenhält und auf die Abführung der Steuern verzichtet. Im Interesse der Geschäftsführer ist diese Klarstellung sehr zu begrüßen, aber die Entlastung wirkt – anders als die bisherige, verfehlte Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH – eben auch nur, solange kein Fall der Insolvenzverschleppung vorliegt.

Auf das Verhältnis der Massesicherungspflicht zu dem strafrechtlichen Gebot zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB) sollte der neue § 15b Abs. 8 InsO analog angewendet werden. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung für diesen Fall dürfte neben dem enormen Zeitdruck im Gesetzgebungsverfahren insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass sich bereits der Referentenentwurf zu sehr auf die Steuerfragen konzentriert hatte und diese zudem im Fokus der Diskussion nach dem Regierungsentwurf standen (vgl. den Bericht im INDat-Report 10_2020, S. 48 ff. zum Abendsymposion des ZIS Mannheim am 10.11.2020). Die parallele Problematik im Rahmen des § 266a StGB ist darüber offenbar aus dem Blickfeld des Gesetzgebers – hier in Gestalt des Rechtsausschusses – geraten, sodass eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen ist. Sinnvoll kann diese nur dadurch gefüllt werden, dass man sich auf die strafrechtliche Rechtsprechung des BGH zurückbesinnt, welche die Pflichtenkollision zwischen dem bisher in § 64 GmbHG enthaltenen Massesicherungsgebot und dem strafrechtlich bewehrten Abführungsgebot des § 266a StGB jedenfalls für den Drei-Wochen-Zeitraum des früheren § 64 Abs. 1 GmbHG (später § 15a Abs. 1 InsO) ebenfalls schon im Sinne eines Vorrangs der Massesicherungspflicht aufgelöst hatte (BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307 = GmbHR 2004, 112; dazu Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 173; Gehrlein, DB 2020, 2395 f.). Nichts anderes kann dann aber nach dem in § 15b Abs. 8 InsO enthaltenen Rechtsgedanken auch für den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens gelten (vgl. schon bisher Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 182 ff.; zum RegE Bitter, GmbHR 2020, 1157, 1159, Rz. 11 f.; Gehrlein, DB 2020, 2393, 2396).

Referentenentwurf zum Fondsstandortgesetz vorgelegt

Das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) hat am 1. Dezember 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Fondsstandorts Deutschland („FoG“) vorgelegt. Durch das FoG soll u. a. der Finanzstandort Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht werden, ohne dabei das vorhandene aufsichtsrechtliche Schutzniveau zu senken.

Geplante Änderungen des Kapitalanlagegesetzbuches

Rechtsform für Investmentvermögen:  Der Referentenentwurf des BMF sieht u.a. vor, dass nunmehr für Spezial-AIF geschlossene inländische Investmentvermögen auch in der Rechtsform des Sondervermögens aufgelegt werden dürfen, was bisher nur offenen inländischen Investmentvermögen vorbehalten ist. Bislang konnten geschlossene inländische Investmentvermögen nur in der Rechtsform der Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital und als geschlossene Investmentkommanditgesellschaft aufgelegt werden.

Offenlegungsfrist für Jahresbericht:  Für geschlossene Publikums-Investmentkommanditgesellschaften ist weiterhin die Frist für die Offenlegung des Jahresberichtes von 6 Monate auf 9 Monate verlängert worden, was eine deutliche Erleichterung für die Verwalter von geschlossenen Publikums-Investmentkommanditgesellschaften bedeutet. Schon vor der COVID-19 Pandemie war in der Praxis die 6-monatige Offenlegungsfrist für Kapitalverwaltungsgesellschaften zeitlich nicht immer leicht einzuhalten.

Textform:  Um den Digitalisierungsprozess zu fördern, soll an vielen Stellen des KAGB die Schriftform durch Textform ersetzt werden. Beispielweise kann die Bestätigung einer beauftragten Vertriebsgesellschaft zu der Einstufung eines Anlegers als semiprofessioneller Anleger nach § 1 Abs. 19 Nr. 33 KAGB nunmehr auch in Textform erfolgen. Hierdurch entfällt das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift des Vertriebsmitarbeiters, was den digitalen Vertriebsprozess erleichtert.

Fremdkapitalobergrenze:  Weiterhin schlägt der Referentenentwurf des BMF vor, die Fremdkapitalobergrenze für offene Spezial-AIF anzuheben. Hierbei soll die Fremdkapitalobergrenze für Kredite zulasten der in dem Sondervermögen befindlichen Immobilien von 50 % auf 60 % angehoben werden.

Umsetzung der OffenlegungsVO:  Ferner sind Reglungen zur Umsetzung der Offenlegungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/2088), welche am 10.3.2021 in Kraft tritt, in das KAGB aufgenommen worden. Die Offenlegungsverordnung trifft einheitliche Vorgaben darüber, wie Finanzmarktteilnehmer Anleger über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken informieren müssen. Der Referentenentwurf trifft insoweit Regelungen, wie diese Berichtspflichten in Verkaufsprospekten und Jahresberichten umzusetzen sind.

Eine ausführlichere Darstellung der beabsichtigten Änderungen im KAGB erfolgt im nächsten AG-Report.

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Sven Johannsen ist Salaried Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek PartGmbB, Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt ist Investmentrecht und Kapitalanlagerecht.

§ 64 GmbHG und D&O-Versicherung – Endlich Rechtsklarheit!

Nach gut zwei Jahren ist der Spuk vorbei und endlich Rechtsklarheit eingetreten: Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19 entschieden, dass der bislang noch in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet werden, ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz ist und folglich im Regelfall von einer zugunsten der Organe abgeschlossenen D&O-Versicherung erfasst ist.

In der Literatur hatte sich zuvor insbesondere im Anschluss an ein erstes Urteil des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2018 (OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, ZIP 2018, 1542, juris-Rz. 79 ff.) eine lebhafte Diskussion zu der Frage entwickelt, ob Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG von einer D&O-Versicherung gedeckt sind, die in der Praxis oftmals von der Gesellschaft zugunsten ihres Geschäftsführers abgeschlossen wird (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 216 ff. m.w.N.). Diese Diskussion hatte das OLG Düsseldorf in einem zweiten bestätigenden Urteil aus dem Jahr 2020 gänzlich ausgeblendet und mit dürren Worten an seiner 2018 eingeschlagenen Linie festgehalten (OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1084 f., juris-Rz. 101 ff.); nicht einmal hatte es dabei die Revision zugelassen, weil nicht von einer obergerichtlichen Rechtsprechung abgewichen werde (juris-Rz. 153).

Dem tritt der Versicherungssenat des BGH nun erfreulich klar entgegen und würdigt dabei eingehend die vom OLG Düsseldorf ausgeblendete Diskussion in der Literatur, welche die Linie des OLG Düsseldorf mehrheitlich kritisiert hatte (vgl. die Nachweise bei Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 216 ff.). Die Gelegenheit dazu bot ihm eine Revision gegen den Beschluss des OLG Frankfurt v. 7.8.2019 – 3 U 6/19, welcher sich zuvor dem OLG Düsseldorf angeschlossen hatte (vgl. tendenziell auch OLG München v. 4.3.2019 – 25 U 3606/17 [unveröffentlicht]; sehr knapp zuvor schon OLG Celle v. 1.4.2016 – 8 W 20/16, juris-Rz. 38).

1. Auslegung des Versicherungsvertrags orientiert am Interesse des Geschäftsführers

Im Kern geht es um eine Auslegung der konkreten Vertragsbedingungen für die jeweils zugunsten der Geschäftsführer abgeschlossene D&O-Versicherung (vgl. zum Folgenden bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 217 ff.): Enthalten die Versicherungsbedingungen eine hinreichend klare Regelung, wie es teilweise seit dem ersten Urteil des OLG Düsseldorf in der Praxis festzustellen ist, ergeben sich die jetzt vom BGH und zuvor von den Oberlandesgerichten thematisierten Auslegungsfragen nicht.

Das OLG Düsseldorf meinte für die von ihm beurteilten, auf „Schadensersatz“ abstellenden Versicherungsverträge eine Deckung insbesondere deshalb verneinen zu müssen, weil § 64 GmbHG kein gesetzlicher Haftpflichtanspruch sei, der auf Schadensersatz gerichtet ist (OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, ZIP 2018, 1542, 1545, juris-Rz. 82 ff.; bestätigend OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1084, juris-Rz. 105 ff.; zustimmend Jaschinski/Wentz, GmbHR 2018, 1289 ff.). Das Gericht knüpfte dabei an die von der h.M. vertretene Einordnung des § 64 Satz 1 GmbHG als „Ersatzanspruch eigener Art“ an (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 24 ff.). Es betonte, dass die Norm keinen Schaden der Gesellschaft voraussetze. Schutzzweck der Norm sei der Erhalt der Insolvenzmasse im Interesse der Gläubigergesamtheit.

Diese Argumentation überzeugt jedoch schon deshalb nicht, weil der einer juristischen Person zugeordnete Anspruch mangels eigener Interessen jenes fiktiven Gebildes immer im Drittinteresse liegt, bei § 43 GmbHG etwa überwiegend im Interesse der Gesellschafter (Abs. 1 und 2), aber auch im Interesse der Gläubiger (Abs. 3; dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 30 f.). Niemand hat aber aus diesem Grund jemals einen Anspruch aus § 43 GmbHG von der Deckung ausgenommen.

Mit Recht weist der Versicherungssenat des BGH nun darauf hin, dass einem Geschäftsführer die dogmatischen Feinheiten des § 64 GmbHG nicht bekannt sind, insbesondere nicht die Diskussion, ob jene Haftungsnorm auf Schadensersatz i.e.S. gerichtet ist oder es sich um einen Ersatzanspruch eigener Art handelt, welcher im Interesse der Gläubigergesamtheit eine Masseschmälerung ausgleicht, welche durch die Betriebsfortführung im Zustand der Insolvenzreife entsteht (BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, Rz. 17 ff.; ebenso zuvor schon Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 220 m.w.N.). Bei seiner gegenteiligen, Deckungslücken zulasten des Geschäftsführers akzeptierenden Argumentation hatte das OLG Düsseldorf insoweit nicht hinreichend beachtet, dass es bei der Versicherung für fremde Rechnung maßgeblich auf das Interesse der durch den Versicherungsvertrag geschützten Person, also den Geschäftsführer ankommt; für diesen ist jedoch nicht bedeutend, ob der Schaden bei „der GmbH“ oder der Gläubigergesamtheit entsteht (vgl. auch Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 64 Rz. 44; Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290, 1293 f.; Primozic/Nöller, ZInsO 2018, 2509, 2511; ausführlich Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1855 ff.: Passivenversicherung; Gläubigerschutz als Reflex). Vielmehr kann nach dem Verständnis des Geschäftsführers einer der wichtigsten Haftungsfälle nicht von der D&O-Versicherung ausgenommen sein (Schwencke/Röper, ZInsO 2018, 1937, 1940; Wilhelm, ZInsO 2019, 768, 769).

2. Inanspruchnahme des Versicherers durch die Insolvenzverwalter

Über den Freistellungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Versicherer, welcher an die GmbH abgetreten werden kann und sich dann in einen Zahlungsanspruch umwandelt, macht der Insolvenzverwalter die Versicherungssumme für die Gläubigergesamtheit nutzbar (dazu Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 221). Dabei hat der Insolvenzverwalter allein im Interesse der Insolvenzschuldnerin und ihrer Gläubiger zu entscheiden, ob der Fortbestand oder die Kündigung des Versicherungsvertrags sinnvoller erscheint. Nicht hingegen ist er nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH dem Geschäftsführer gegenüber verpflichtet, eine zu dessen Gunsten abgeschlossene Haftpflichtversicherung aufrechtzuerhalten, um ihn aus einer Inanspruchnahme wegen verbotener Zahlungen freizustellen (BGH, Beschl. v. 14.4.2016 – IX ZR 161/15, ZIP 2016, 1126; zust. OLG Köln v. 16.3.2017 – 18 U 226/13, juris-Rz. 508).

3. Beachtlichkeit von Eigenschadenklauseln

Zu beachten sind sog. Eigenschadenklauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, nach denen der Deckungsschutz für die Innenhaftung anteilig in dem Umfang entfällt, in dem der Geschäftsführer zugleich an der GmbH beteiligt ist (vgl. zum Folgenden bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 223). Meist ist für das Eingreifen solcher Klauseln vorgesehen, dass eine gewisse Mindestbeteiligung erforderlich ist (z.B. 25 %). Diese – inzwischen weniger gebräuchlichen – Klauseln sollen den Eigenschaden des Gesellschafter-Geschäftsführers von der Deckung ausnehmen, da dies nicht zum Zweck einer Haftpflichtversicherung passe. Allerdings wird die Versicherungsleistung insgesamt anteilig gekürzt und nicht spezifisch auf etwaige Rückflüsse der Versicherungsleistung an den Gesellschafter-Geschäftsführer abgestellt. Auf eine solche Eigenschadenklausel stützte das OLG Düsseldorf die Klageabweisung hilfsweise in seinem zweiten Urteil aus dem Jahr 2020 (OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078, 1085 ff., juris-Rz. 117 ff.). Allerdings thematisierte das Gericht dabei mit keinem Wort die Frage, ob der genannte Regelungszweck derartiger Klauseln überhaupt auf die Konstellation des § 64 Satz 1 GmbHG passt, in der Rückflüsse an die Gesellschafter in aller Regel ohnehin nicht erfolgen. Wendet man die Eigenschadenklausel – wie es das OLG Düsseldorf tat – auch auf Ansprüche aus § 64 GmbHG an, bleibt letztlich für die D&O-Versicherung eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers, abgesehen von den in diesem Bereich eher seltenen Dritthaftungsansprüchen (vgl. zur Deliktshaftung des Geschäftsführers gegenüber Dritten Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 383 ff.), nahezu kein Anwendungsbereich mehr (C. Schneider, GmbHR 2020, 1078, 1088 f.). Die D&O-Versicherung ist nämlich in der typischen Einpersonen-GmbH, in welcher der Alleingesellschafter auch Geschäftsführer ist, auch für die klassische Organhaftung aus § 43 GmbHG in der Regel irrelevant, da insoweit stets ein haftungsausschließendes Einverständnis des Gesellschafters, der ja zugleich Geschäftsführer ist, vorliegt und damit schon der Haftungstatbestand entfällt (vgl. Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 30; die diesbezügliche BGH-Rechtsprechung zusammenfassend BGH v. 17.10.2017 – KZR 24/15, ZIP 2017, 2295, 2296, Rz. 25 – „ConsulTrust“).

4. Problemfall: wissentliche Pflichtverletzung

Weiter zu beachten gilt es, dass eine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers die Einstandspflicht des Versicherers nach den üblichen Regelwerken der D&O-Versicherung ausschließt (dazu Primozic/Nöller, ZInsO 2018, 2509, 2510). Der Insolvenzverwalter kann deshalb mit seiner Klage aus § 64 Satz 1 GmbHG gegen den D&O-Versicherer nur Erfolg haben, wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife fahrlässig verkannt hat, nicht aber, wenn ihm die Insolvenzreife bewusst war und er gleichwohl die Geschäfte fortgeführt hat. Der Prozessvortrag des Insolvenzverwalters ist insoweit immer eine Gratwanderung (vgl. bereits Bitter, in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 64 Rz. 224). Zur Prüfung dieser Frage hat der BGH die Sache an das OLG Frankfurt zurückverwiesen.

Weiteres „Update Frauenquote“ – die Stellungnahme der Bundesregierung zur Evaluation des FüPoG I.

Im Anschluss an das „Update Frauenquote“ zum FüPoG II. (dazu siehe Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) gilt es über die Evaluation zur Wirksamkeit des FüPoG I. durch Bundesfrauenministerin Giffey und Bundesjustizministerin Lambrecht zu berichten, die in einer Stellungnahme der Bundesregierung zur Wirksamkeit des FüPoG I. mündete. Das zugrunde liegende Gutachten des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), das Autoren der Kienbaum Consultants International, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, der ESCP sowie der Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbH verfassten, ist abrufbar unter www.bmfsfj.de/evaluation-füpog.

Wenig überraschend ergab die Evaluation einen starken Anstieg der Zahlen von Frauen in Aufsichtsräten. Anders sehen die Ergebnisse bei den Zielgrößen in Vorständen aus. Nach Angaben der Ministerinnen setzten sich rund 70 Prozent der vom Gesetz betroffenen Unternehmen die Zielgröße „Null“ für den Vorstand (zu den Gründen bereits Mutter, AG-Report 2020, R72).

Für die Abschätzung des weiteren Gesetzgebungsgangs ist die 21 Seiten starke Stellungnahme der Bundesregierung bedeutender als das Gutachten:

Die Empfehlung der Gutachter, den Anwendungsbereich der festen Frauenquote auf weitere Unternehmen auszudehnen, hat die Bundesregierung lediglich zur Kenntnis genommen, will dies aber erst bei weiteren Maßnahmen prüfen. Die angeregte Abkehr von den Kriterien „Börsennotierung“ und „Mitbestimmung“ hat man hingegen erkennbar schon verworfen. Hier stellt die Bundesregierung knapp fest, sie habe sich bewährt.

Noch deutlicher ist die Bundesregierung hinsichtlich einer erweiterten Begründungspflicht einer gesetzten Zielgröße „null“. Sie wird ausdrücklich „begrüßt“. Nur prüfen will man hingegen, ob sich die Motivation der Unternehmen, sich Zielgrößen zu setzen sowie Fristen und das Verschlechterungsgebot einzuhalten, durch Sanktionen verbessern lässt.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 24/2020.

BMJV, „Evaluation zum FüPoG belegt: Die feste Quote wirkt, freiwillige Maßnahmen hingegen nicht“, PM v. 18.11.2020

Der BMJV-Referentenentwurf eines MoPeG

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat jetzt den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) veröffentlicht. Der Entwurf bewegt sich im Großen und Ganzen auf den auch durch wissenschaftliche Fachtagungen und zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften eingefahrenen Gleisen des am 20.4.2020 veröffentlichten Mauracher Entwurfs (abrufbar mit Abschlussbericht und Thesenpapieren der einzelnen Arbeitsgruppen unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/Modernisierung_PersonengesellschaftsR.html), der von einer auf Grundlage einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die gegenwärtige Legislaturperiode vom BMJV im Herbst 2018 (S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode (abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download%20 =%201) eingesetzten Expertenkommission erstellt worden war. Tragende Säule auch des RefE sind (1) das bislang in den §§ 705 ff. BGB nicht geregelte Außenrecht der GbR mit Perpetuierung der Rechts- und Parteifähigkeit, organschaftlicher Vertretung und persönlicher akzessorischer Gesellschafterhaftung, (2) Einführung eines Gesellschaftsregisters mit nur mittelbarem Eintragungszwang (Voreintragungsprinzip), (3) Öffnung der OHG und KG und damit auch der GmbH & Co. KG für die Freien Berufe sowie (4) das Beschluss- und Beschlussmängelrecht.

I. Gesetzliche Perpetuierung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR – Abgrenzung zur juristischen Person

Die mit der Grundsatzentscheidung „ARGE Weißes Ross“ vom BGH am 29.1.2001 anerkannte Rechts- und Parteifähigkeit (BGHZ 146, 341) perpetuiert § 705 Abs. 2 BGB-RefE: „Die Gesellschaft kann entweder selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Gesellschaft), oder sie kann den Gesellschaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander dienen (nicht rechtsfähige Gesellschaft).“ Die zweite Alternative betrifft die auch schon bislang nicht rechts- und parteifähige Innengesellschaft. Nach § 719 Abs. 1 BGB-RefE entsteht die GbR im Verhältnis zu Dritten, „sobald sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt, spätestens aber mit Eintragung in das Gesellschaftsregister“. Zur Vertretung der GbR sind gem. § 720 Abs. 1 BGB-RefE „alle Gesellschafter gemeinsam befugt, es sei denn der Gesellschaftsvertrag bestimmt etwas anderes“. Der RefE hält damit am Prinzip der Selbstorganschaft fest und markiert damit einen wesentlichen Unterschied zur juristischen Person.

Auch die Personengesellschaft des RefE stellt keine juristische Person dar. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Rechtsformen liegt nicht im Bereich der Rechts- und Parteifähigkeit im Außenverhältnis, sondern in der fehlenden Verselbständigung der Gesamtheit der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis, die insbesondere durch das Prinzip der Selbstorganschaft und die „An- und Abwachsung“ der Wertanteile bei Veränderungen im Gesellschafterbestand sowie das Bestehen eines Schuldvertrags im Innenverhältnis zum Ausdruck kommt. In ertragssteuerrechtlicher Hinsicht erfolgt daher weiterhin eine Mitunternehmerbesteuerung nach §§ 15, 15a EStG und keine Besteuerung nach KStG (vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2020, R 196).

II. GbR-Register mit mittelbarem Eintragungszwang – problematische Ausnahme für Patent-, Marken-, Gebrauchsmuster und Designregister

1. Eintragungsfreiheit und Voreintragungprinzip

Die §§ 707 ff. RefE regeln das neue Gesellschaftsregister ohne unmittelbaren Eintragungszwang. Die Eintragungsoption mutiert aber zu einem mittelbaren Zwang, wenn eine noch nicht eingetragene GbR eine rechtliche Maßnahme vornehmen will, die eine Eintragung dieser GbR in ein anderes Register (insbesondere Grundbuch oder Handelsregister) erfordert. Die GbR muss dann für eine Voreintragung sorgen. Entsprechendes gilt beispielsweise in dem Fall, in dem die GbR einen Anteil an einer GmbH erwerben will und deshalb im Rahmen des Vollzugs die Gesellschafterliste geändert werden muss. Das Voreintragungsprinzip mit der Konzentration der gesellschaftsrechtlichen Daten der GbR – insbesondere Sitz und Vertretungsmacht – im digital einsehbaren Gesellschaftsregister dient nicht nur der Rechtsklarheit und der Rechtsicherheit, sondern in besonderem Maße auch der Effizienz im Bereich der behördlichen Registerverwaltung.

2. Die Problematik der Nichtgeltung des Voreintragungsprinzips bei gewerblichen Schutzrechten

Die vom Mauracher Entwurf abweichende Nichtgeltung des Voreintragungsprinzips im Bereich der gewerblichen Schutzrechte Patent, Marke, Gebrauchsmuster und Design ist allerdings bestenfalls nutzlos. Die für die einzelnen Schutzrechte vorgesehenen Veränderungen der einschlägigen Verordnungen (vgl. dazu Begründung RefE S. 328 ff.) stellen richtigerweise die eingetragene GbR der juristischen Person und der OHG/KG gleich, das heißt, es müssen nur Name/Firma, Rechtsform und Sitz angegeben werden. Die aktuellen Regelungen, nach denen im Falle einer Schutzrechtsanmeldung durch eine GbR die Angabe und Anschrift mindestens eines vertretungsberechtigten Gesellschafters erforderlich ist, sollen aber für diejenigen Gesellschaften fortgelten, die von ihrem Eintragungswahlrecht (noch) nicht Gebrauch gemacht haben. Es ist in einem solchen Anmeldungsfall aber nicht klar, ob das Recht der (rechtsfähigen) Gesellschaft als solcher oder den Gesellschaftern als Bruchteilsberechtigten in irgendeiner schuldvertraglichen Verbundenheit zusteht. Die Problematik verschärft sich, wenn die Eintragung in das Gesellschaftsregister nach der Schutzrechtsanmeldung erfolgt. Das belegen auch die Ausführungen in der Begründung (S. 328) zu diesem Fall. Hier soll nämlich, so die Begründung, davon auszugehen sein, dass es sich um eine Namensänderung (also Identität) im Sinne des § 27 DPMAV handelt, die auf Antrag im Patentregister bzw. den anderen einschlägigen Registern vermerkt, wenn sie dem DMPA nachgewiesen wird.

Die registerrechtliche Fortgeltung des Prinzips der Schutzrechtsanmeldung durch eine GbR ohne vorherige Registrierung kommt prima facie in einem unbürokratischen und auf Schnelligkeit geschneiderten Gewande daher, provoziert aber in Wirklichkeit materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Probleme, die von den Gesellschaftern zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht überschaut werden können, sowie einen vermeidbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand auf Seiten der Registerbehörden. Die in Rede stehende Ausnahme vom Voreintragungsprinzip öffnet daher nicht nur in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf sämtliche Rechtsgeschäfte, die das betreffende Schutzrecht zum Gegenstand haben, in einem nicht unbedeutenden Bereich des Rechtsverkehrs eine Büchse der Pandora, die der II. Zivilsenat mit der „ARGE Weißes Ross“ zugeschraubt und der Mauracher Entwurf versiegelt hat.

III. Öffnung der GmbH & Co. KG für die Freien Berufe

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater können auf Grundlage von Spezialvorschriften in der WPO bzw. im StBerG schon jetzt in der Rechtsform der KG und GmbH & Co. KG praktizieren. Für Rechtsanwälte und sonstige freie Berufe besteht diese Rechtsformfreiheit bislang nicht. § 107 Abs. 1 Satz 2 RefE eröffnet insoweit eine Eintragungsoption, „soweit das anwendbare Berufsrecht dies zulässt“. Dieser Berufsrechtsvorbehalt kommt insbesondere dann zum Tragen, sofern es um die Zulässigkeit von reinen Kapitalbeteiligungen geht. Die Öffnung der OHG/KG für Rechtsanwälte wäre zwar auch durch Spezialregelungen in der BRAO, die dann leges speciales im Verhältnis zu § 105 HGB wären, gesetzestechnisch möglich. Dadurch würden aber diejenigen freien Berufe in Bezug auf die Eintragungsoption „ausgebremst“, deren Berufsrecht in die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber fällt, also insbesondere Ärzte, Bauingenieure und Architekten (vgl. dazu Wertenbruch, NZG 2019, 407 ff.). Die gesellschaftsrechtliche Landungsbrücke des § 107 Abs. 1 Satz 2 RefE für die freien Berufe ist daher breiter und insgesamt überzeugender als partielle Stege.

IV. Neues System der Beschlussanfechtung

Die §§ 110 ff. RefE regeln das neue Beschlussmängelrecht der OHG/KG – in systematischer Anlehnung an die Beschlussanfechtung bei der AG und GmbH – in Gestalt einer Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage, wobei die Befristung des § 112 RefE nur für die Anfechtungsklage gilt. Die Nichtigkeitsgründe sind so transparent und passend gesetzlich konfiguriert, dass die Modernisierung gerade auch im Verhältnis zur AG und GmbH, wo der Reformprozess bei der Beschlussanfechtung noch nicht in Gang gekommen ist, deutlich sichtbar ist. Die Gesellschafter der GbR können durch den Gesellschaftsvertrag optieren (vgl. Begründung RefE S. 123). Abweichend vom Mauracher Entwurf ist die Nichtigkeits- und Anfechtungsklage aber bei der GbR nicht das gesetzliche Regelmodell. Das ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass bei einer kleinen GbR ohne anwaltlichen Beistand – also beispielsweise einer vierköpfigen Musikband, die auf den ersten Hit warten – im Falle eines Beschlussstreits die GbR als solche vom Kläger mit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage angegriffen werden und die anderen Gesellschafter auf Seiten der GbR als Nebenintervenienten beitreten und sich als Streitgenossen auf die Seite des Klägers schlagen können, wohl nicht der Verkehrsauffassung in derartigen Geschäftsbereichen entspricht (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 882).

V. Resumee

Dass der RefE im Wesentlichen mit dem inzwischen breit diskutierten Mauracher Entwurf übereinstimmt und insbesondere die Grundprinzipien und Leitbilder keine Änderungen erfahren haben, sind m.E. Pluspunkte, die hoffentlich auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren positiv zu Buche schlagen. Die Ausnahme vom Voreintragungsprinzip bei der Anmeldung eines gewerblichen Schutzrechts durch eine GbR sollte allerdings für eine Disqualifikation vorgesehen werden, die schon mit dem Regierungsentwurf wirksam wird.

Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG – ein „führendes Standardwerk“

I. Unternehmensübernahmen erregen in der Rechtspraxis stets besondere Aufmerksamkeit, auch wenn feindliche Übernahmen gegenwärtig Seltenheitswert haben. Jedenfalls ist die wirtschaftliche Bedeutung von Übernahmen und Wertpapiererwerben regelmäßig immens. Das praktische Bedürfnis nach einem tragfähigen Rechtsrahmen befriedigt das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG). Der hierzu kürzlich in 3. Auflage erschienene und in AG 2020, 879 ausführlich besprochene Kommentar von Heinz-Dieter Assmann, Thorsten Pötzsch und Uwe H. Schneider erläutert das WpÜG auf höchstem Niveau.

II. Bei einem Vergleich mit der Vorauflage stechen sofort zwei prominente Neuzugänge im Autorenkreis ins Auge. Mit Dirk Uwer, der nun gemeinsam mit Assmann für die §§ 40–47 WpÜG verantwortlich zeichnet, und Ralf van Ermingen-Marbach, der gemeinsam mit den beiden Vorgenannten nun die §§ 60–65 WpÜG erläutert, konnten ausgewiesene Experten gewonnen werden, von denen eine kompetente Fortführung der Kommentierung zu erwarten ist. Überdies kann sich der Leser über zahlreiche Aktualisierungen und eine Vielzahl an Ergänzungen freuen. Exemplarisch ist die vollständige Überarbeitung des bisher von Uwe H. Schneider verantworteten, nunmehr von Daniela Favoccia kommentierten § 30 WpÜG herauszugreifen. Beispielsweise wird die bisher von Uwe H. Schneider vertretene extensive Auslegung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG aufgegeben; die neue Bearbeiterin schwenkt auf die Linie des BGH (BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, AG 2014, 662 Rz. 39 ff.) ein, wonach ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung von Aktien keine Zurechnung von Stimmrechten nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG auszulösen vermag (§ 30 Rz. 113 ff.). Das ist in der Sache überzeugend, weil ein bloßer Verschaffungsanspruch dem Innehaben von Aktien mit Blick auf den Stimmrechtseinfluss gerade nicht gleichsteht.

Selbst zu entlegeneren Rechtsfragen liefert die Kommentierung eine wertvolle Orientierungshilfe. Beispielhaft dafür steht die zu § 10 WpÜG (§ 10 Rz. 55) von Assmann erläuterte Konstellationen eines Bietertausches sowie die Bildung von Bietergemeinschaften nach Veröffentlichung des Angebots.

III. Spätestens mit der nunmehr vorliegenden 3. Auflage darf der Kommentar als führendes Standardwerk gelten. Das Werk verarbeitet das reichhaltige Material aus Rechtsprechung und Wissenschaft umfassend und auf höchstem Niveau, verliert dabei aber nie den – für die praktische Handreichung unentbehrlichen – Blick für das Wesentliche. Der hier angezeigte Kommentar wird damit dem selbst gesetzten – hohen – Ansprüchen mit Leichtigkeit gerecht und gehört auf den Schreibtisch eines jeden Übernahmerechtlers.

Hinweis des Verlags:

Weitere Informationen zum Kommentar von Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, finden Sie hier.

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