Barwert der Ausgleichszahlungen als (weitere) Untergrenze beim Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages – (wie) wird sich der BGH entscheiden?

Bei einem Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages stellt sich die Frage der Relevanz der in der Regel festen Ausgleichszahlungen für die Barabfindung. Der BGH (v. 12.1.2016 – II ZB 25/4) hat klargestellt, dass die als ewige Rente kapitalisierte Ausgleichszahlung bzw. der Barwert der Ausgleichszahlungen („BdA“) keine Wertobergrenze für die Abfindung darstellt. Der anteilige Unternehmenswert sei maßgeblich, wenn dieser über dem BdA liegt. Die Frage, ob der BdA neben dem Börsenkurs als (weitere) Untergrenze zu berücksichtigen ist, hat der BGH im Jahr 2016 explizit offengelassen.

In der Literatur wird in Bezug auf die Bedeutung des BdA von einer unsicheren Rechtslage, der Irrelevanz der Ausgleichszahlungen, der Möglichkeit eines Kombinationswertes aus zeitlich begrenzter Ausgleichszahlung und Ertragswert, sowie davon ausgegangen, dass der BdA als Untergrenze zu berücksichtigen ist (vgl. zu einzelnen Nachweisen Popp/Ruthardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rz. 12.219).

Das OLG Düsseldorf (v. 15.11.2016 – 26 W 2/16, AG 2017, 672) hat nach der Entscheidung des BGH im Jahr 2016 seine Auffassung bekräftigt, nach der der BdA generell nicht zu berücksichtigen sei und zur Begründung auf rechtliche Überlegungen abgestellt (vgl. zu den Kernaussagen Ruthardt, DB 2017, 535): Die Ausgleichsberechtigung vermittele keine grundrechtlich relevante und damit verfassungsrechtlich schutzbedürftige Rechtsposition. Sie stelle kein mitgliedschaftliches Recht dar und beinhalte lediglich ein vorübergehendes schuldrechtliches Forderungsrecht gegenüber Dritten, das durch zahlreiche Maßnahmen, die zur Beendigung des Unternehmensvertrages führen, entschädigungslos entzogen werden könne.

Dagegen hat jüngst das OLG Frankfurt (v. 20.11.2019 – 21 W 77/14, AG 2020, 298) die Auffassung vertreten, der BdA sei als Mindestwert zu berücksichtigen, wenn dieser den anteiligen Ertragswert und den Börsenkurs übersteigt. Aufgrund der Divergenz zur Auffassung anderer OLG hat das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung v. 20.11.2019 die sofortigen Beschwerden dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

Das OLG Frankfurt hält dabei insbesondere fest, das Anteilseigentum vermittele neben der mitgliedschaftlichen Stellung auch vermögensrechtliche Ansprüche. In vermögensrechtlicher Hinsicht trete bei einem Unternehmensvertrag der i.d.R. festbemessene Ausgleich nach § 304 AktG an die Stelle der Dividende und stelle wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage. Vor diesem Hintergrund stelle die Fruchtziehung in Form der Ausgleichszahlung einen Teil der Beteiligung des Minderheitsaktionärs in vermögensrechtlicher Hinsicht dar, die bei der Kompensation zwingend zu berücksichtigen sei. Eine Berücksichtigung dieses Teils der Beteiligung des Minderheitsaktionärs habe dabei in Form einer Untergrenze der Abfindung zu erfolgen.

Das OLG Frankfurt argumentiert insofern aus der Perspektive des außenstehenden Aktionärs. Es sei der Grenzpreis (des Anteils) zu ermitteln, zu dem ein außenstehender Aktionär aus der Gesellschaft ausscheiden könne, ohne einen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Das OLG Frankfurt orientiert sich grundsätzlich an den Beträgen, die einem außenstehenden Aktionär mit dauerhafter Halteabsicht („Daueranleger“) unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme unter Berücksichtigung der aus der Sicht des Stichtages (unter vereinfachenden Annahmen) erwarteten Laufzeit des Unternehmensvertrages zukünftig zugeflossen wären.

Die Frage, ob durch den Rückgriff auf die im Spruchverfahren erhöhte Ausgleichszahlung nach Einkommensteuer, die unterstellte unendliche Laufzeit des Unternehmensvertrages und den für die Kapitalisierung angesetzten Zinssatz im vorliegenden Fall eine betriebswirtschaftlich nachvollziehbare Wertindikation für diese Perspektive ermittelt wird, soll hier nicht vertieft werden.

Für eine erhöhte Transparenz lässt sich jedenfalls bezogen auf den Ausgleich nach Einkommensteuern für die Stamm- und Vorzugsaktie und den festgelegten Kapitalisierungszinssatz mittels Rentenbarwertfaktor die implizite Laufzeit des Unternehmensvertrages bestimmen, die sowohl für die Stammaktien als auch die Vorzüge zu einem Barwert der Ausgleichszahlungen führt, der gerade noch unterhalb der korrespondierenden Börsenkurse liegt. In den Rentenbarfaktor geht die Laufzeit sowie der Abzinsungseffekt aus dem zeitlichen Anfall der Ausgleichszahlung ein. Hiernach muss die Vertragslaufzeit für die Stammaktien mehr als 56 Jahre betragen. Für die Vorzüge liegt die entsprechende Laufzeit bei mehr als 53 Jahren. Ob es sich bei impliziten Laufzeiten in dieser Größenordnung um realitätsgerechte Annahmen handelt, soll hier wiederum nicht vertieft werden. Festzuhalten bleibt, dass die Parameterfestlegungen des OLG Frankfurt für beide Aktiengattungen zu einem um rund 22,9 % gegenüber dem Bewertungsgutachten erhöhten Barwert der Ausgleichszahlungen führen.

Abgesehen von der Frage der konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen bzw. deren betriebswirtschaftlich richtiger „Bewertung“ sind vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren intensiv geführten Diskussionen zur grundsätzlichen Bedeutung des BdA keine wesentlich neuen Argumente mehr zu erwarten. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich der BGH hier positioniert bzw. sich auch dezidiert mit der betriebswirtschaftlichen Sichtweise zur grundsätzlichen Relevanz und konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen auseinandersetzen wird.

Hinweis: Für eine ausführliche Darstellung des Vorlagebeschlusses des OLG Frankfurt sowie zu weiteren Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2019 verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2019 – Teil II: Ertragswertverfahren und Barwert der Ausgleichszahlungen, AG 2020, 322 sowie den umfassenden Beitrag zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung von Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Corona-Krise – Auswirkungen auf Jahresabschluss und Lagebericht

Viele börsennotierte Unternehmen haben ihren Jahresabschluss zum 31.12.2019 bereits im Februar 2020 aufgestellt und die Prüfung ist beendet. In diesem Fällen schlagen sich die Folgen des Coronavirus meist nur in einer kurzen Bemerkung im Chancen- und Risikobericht nieder. Anders ist dies bei der mittelständischen GmbH, bei der die Erstellung und Prüfung des Jahresabschlusses aktuell meist noch nicht abgeschlossen ist und somit in eine Zeit fällt, in der die massiven wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie deutlich werden. Daher stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich für den Jahresabschluss zum 31.12.2019 oder gar bei vom Kalenderjahr abweichendem Geschäftsjahr bspw. auf den 31.3.2020 ergeben.

  1. Wertbegründendes oder wertaufhellendes Ereignis

Für den Jahresabschluss gilt grds. das Stichtagsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Bei der Frage, ob ein Vermögensgegenstand in der Bilanz auszuweisen ist und zu welchem Wert er anzusetzen ist, sind alle Umstände zu berücksichtigen, die am Bilanzstichtag objektiv gegeben sind. Umstände, die erst nach dem Abschlussstichtag eintreten, sind bei der Bilanzierung oder Bewertung nicht zu berücksichtigen (wertbeeinflussende Tatsachen). Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass zwar erste Infektionen in China bereits 2019 bestanden, aber erst der sprunghafte Anstieg der Ausweitung der Infektion ab Januar 2020 zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hat und damit das Auftreten des Coronavirus als weltweite Gefahr wertbegründend einzustufen ist und dementsprechend die bilanziellen Konsequenzen im Jahresabschluss zum 31.12.2019 noch nicht zu ziehen sind.

  1. Grundsatz der Unternehmensfortführung

Allerdings erlangt die Bilanzierungsgrundregel, wonach der Jahresabschluss grds. unter Annahme der Fortführung des Unternehmens (Going-Concern-Konzept) aufzustellen ist, besondere Beachtung. Dies insbesondere, weil bei dieser Prüfung wertbegründende Ereignisse nach dem Stichtag bis zur Feststellung des Jahresabschlusses, die zu einem Wegfall der Fortführungsannahme führen, auf den Jahresabschluss zurück zu beziehen sind – Durchbrechung des Stichtagsprinzips. Dieser über den Bilanzstichtag hinausgehende Betrachtungszeitraum muss in der aktuellen Lage Anlass sein, die Frage, ob die Going-Concern-Annahme aufrechterhalten werden kann, sehr sorgfältig abzuwägen und dies entsprechend zu dokumentieren, denn alleine die behördlichen Einschränkungen für manche Branchen oder die Nichterreichbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von Absatzmärkten müssen als Indizien für eine mögliche Durchbrechung der Fortführungsprognose gewertet werden. Insoweit muss in bestimmten Branchen aktuell davon ausgegangen werden, dass nicht nur allgemeine Unternehmensrisiken bestehen, sondern dies bestandsgefährdende Ausmaße annimmt. Dies erfordert dann zwingend die Erstellung einer Fortführungsprognose.

Bei prüfungspflichtigen Unternehmen ist die Anwendbarkeit der Going-Concern-Prämisse Prüfungsgegenstand. Insofern muss in Zweifelsfällen die Unternehmensführung ausreichende Nachweise für die der Aufstellung des Jahresabschlusses zu Grunde gelegte Annahme beibringen.

Im Mittelpunkt steht eine detaillierte Liquiditätsvorschau auf Basis einer Unternehmensplanung, insbesondere in Gestalt einer Produktions-/Absatzplanung. Umfang und Tiefe der Fortführungsprognose wird durch Umfang und Komplexität der Geschäftstätigkeit und die bestehenden Risiken im konkreten Fall bestimmt. Dabei sind in der aktuellen Situation insbesondere zu berücksichtigen:

  • Rahmenbedingungen der Bundesländer hinsichtlich der Einschränkungen beruflicher Betätigungen in Form von angeordneten Betriebsschließungen oder besonderen Hygienemaßnahmen;
  • Einschränkungen hinsichtlich ausländischer Beschaffungs- oder Absatzmärkte;
  • bereits zugesagte oder zumindest ausreichend sichere Hilfen des Staates;
  • Maßnahmen zur Reduktion von Kosten, wie Kurzarbeit, wegfallende Aufwendungen, Abreden mit Vermietern über die Herabsetzung oder Stundung von Mietzahlungen oder bspw. Abreden mit Banken über die Stundung von Kreditraten;
  • Maßnahmen zur Sicherung der Tätigkeit, wie vermehrter Onlinehandel, Home-Office der Mitarbeiter und Vorbereitung auf die Phase, in der unter hygienischen Auflagen Tätigkeiten wieder aufgenommen werden dürfen;
  • zu berücksichtigen sind die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020 (hierzu Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633; Thole, ZIP 2020, 650);
  • einer besonders sorgfältigen Erstellung der Fortführungsprognose bedarf es dann, wenn das Unternehmen bereits vor der Corona-Pandemie wirtschaftliche Schwierigkeiten hatte.

Zu Ansatz und Bewertung bei Abkehr von der Going-Concern-Prämisse, siehe auch Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 4571, 4630, 4661.

  1. Berichtspflichten im Anhang

Bestehen wesentliche Unsicherheiten, die Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können, und werden diese nicht spätestens bis zum Zeitpunkt der Beendigung der Aufstellung des Abschlusses ausgeräumt, so erfordert dies eine Angabe im Anhang (hierzu IDW PS 270 n.F. Rz. 9).

Des Weiteren ergibt sich regelmäßig eine Berichtspflicht im Rahmen der Nachtragsberichterstattung im Anhang. Hierzu Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 2328.

M.E. besteht in der aktuellen Wirtschaftslage eine Erläuterungspflicht im Anhang für nahezu alle Unternehmen, insbesondere wenn Produktionsausfälle bestehen oder die Tätigkeit aufgrund behördlicher Auflagen aktuell nicht ausgeübt werden kann. Dies gilt erstrecht dann, wenn vorstehende Aspekte zusammen treffen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens bereits vor der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Aufgrund der Breitenwirkung der aktuellen wirtschaftlichen Krise ist m.E. auch im Falle der Nichtbetroffenheit des Unternehmens eine aussagekräftige Negativanzeige angezeigt. Art und Umfang der Angabepflicht sind dann unternehmensindividuell zu prüfen.

  1. Auch bei Einstufung der Corona-Pandemie als wertbegründendes Ereignis können sich bilanzielle Auswirkungen ergeben

Auch kann selbst dann, wenn sich durch die Corona-Pandemie auf Grund einer Einstufung als wertbegründendes Ereignis noch keine unmittelbaren bilanziellen Auswirkungen auf den Jahresabschluss zum 31.12.2019 ergeben, dies zum Anlass genommen werden, den Ermessensspielraum bei Ansatz und Bewertung hin zu einer vorsichtigen Bilanzierung zu nutzen, um Vorsorge für die in 2020 eintretenden Belastungen zu treffen. Insoweit erlangt die Bilanzpolitik im Jahresabschluss zum 31.12.2019 eine besondere Rolle.

  1. Lagebericht

Die aktuellen Entwicklungen müssen sich regelmäßig in der Risikoberichterstattung des Lageberichts niederschlagen. Im Einzelfall können die aktuellen Rahmenbedingungen natürlich auch Chancen bringen, die dargestellt werden müssen. So bspw. bei einem Medizintechnikunternehmen oder einem Onlineversand.

Auch ist die Prognoseberichterstattung (voraussichtliche Entwicklung der Kapitalgesellschaft mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken) an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die aktuell bestehende große Unsicherheit ist ggf. über verschiedene Zukunftsszenarien abzubilden.

Siehe zu alledem in Kürze auch Schiffers in GmbHR 10/2020.

Mehr zum Autor: WP/StB Prof. Dr. Joachim Schiffers ist Partner der Warth & Klein Grant Thornton AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Zu aktuellen Hilfestellung rund um die Thematik „Corona-Krise“: https://www.wkgt.com/themen/

 

Stürmische Zeiten an der Börse – Bedeutung des Börsenkurses für die Ermittlung der angemessenen Kompensation in Spruchverfahren

Die Furcht vor den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sorgt für dramatische Kursverluste an den Aktienmärkten und stellt die Unternehmensbewertungspraxis vor neue Herausforderungen. Die aktuellen Entwicklungen werden auch (zukünftige) aktien- und umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen (bspw. Squeeze Out, Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, etc.) prägen, bei denen außenstehenden Aktionären eine „angemessene“ Kompensation anzubieten ist.

In der jüngeren Vergangenheit wird dazu von juristischen Kommentatoren eine stärkere Gewichtung bzw. im Extremfall alleinige Orientierung an Börsenkursen vertreten. In Spruchverfahren aus dem Jahr 2019 haben sich insbesondere die Landgerichte Stuttgart und Frankfurt a.M. in ihren Beschlüssen vom 8.5.2019 bzw. 27.6.2019 ausführlich dazu geäußert, warum nach ihrer Auffassung die marktorientierte Bewertung (allein) anhand eines umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses eine grundsätzlich geeignete und in der Regel zu angemessenen Ergebnissen führende Bewertungsmethode sei. Eine gerichtliche Prüfung des Ertragswerts sei entbehrlich, wenn es aussagekräftige Börsenkurse gebe (vgl. LG Stuttgart v. 8.5.2019 – 31 O 25/13, BeckRS Rz. 255; LG Frankfurt/M. v. 27.6.2019 – 3-05 O 38/18, AG 2020, 143 = BeckRS Rz. 66).

Gerade in Krisenzeiten wird deutlich, dass Börsenkurse „Preise“ für einzelne Wertpapiere darstellen. Nicht weniger aber eben auch nicht mehr. „Preise“ sind – als Momentaufnahme – das Ergebnis von Angebot und Nachfrage und können (mehr oder weniger stark) durch nicht fundamental begründbare Faktoren bzw. (irrationale/erratische) Marktstimmungen beeinflusst sein. Zu Verkäufen aufgrund schlechterer Ertragsaussichten kommen solche aufgrund kurzfristiger Liquiditätsbedürfnisse von Investoren hinzu. Algorithmus-basierte Handelsstrategien können bestehende Trends verstärken (vgl. FAUB, Fachlicher Hinweis zur Auswirkung des Coronavirus auf Unternehmensbewertungen v. 25.3.2020).

Betriebswirtschaftlich ist von „Börsenpreisen“ der nach fundamentalanalytischen Wertermittlungsverfahren – d.h. im Rahmen einer Unternehmensbewertung – ermittelte „Wert“ von Unternehmen und Unternehmensanteilen zu unterscheiden. Für die Wertbemessung wird dabei im Rahmen von Spruchverfahren regelmäßig auf das Ertragswertverfahren zurückgegriffen. Der „Wert“ bestimmt sich dabei durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen zukünftigen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 4). Der fundamentale oder innere Wert einer Aktie weicht regelmäßig von ihrem Börsenkurs ab. Der Börsenkurs wird vor diesem Hintergrund als ein Wert bezeichnet, der einem labilen Regelkreis folgend um seinen fundamentalen Wert schwankt. Die Richtung (nach oben oder nach unten) und die Dauer der Abweichungen lässt sich allerdings nicht verallgemeinern. Regelmäßig wird davon ausgegangen, dass nur langfristig eine Rückkehr auf den fundamentalen Wert zu erwarten ist.

Unstrittig dürfte sein, dass es sich weder beim Börsenkurs noch beim Ertragswert um perfekte Wertmaßstäbe handelt und ein eindeutiger „wahrer Wert“ ein unerreichbares Ideal verkörpert. Durch eine fundamentale Unternehmensbewertung kann allerdings eine angebotene Kompensation durch eine fundamentale Unternehmensbewertung durch den Bewertungsgutachter, den gerichtlich bestellten Prüfer sowie das erkennende Gericht unter Rückgriff auf umfassende unternehmensinterne Informationen und Ansprechpartner gewürdigt werden. Auf diese Weise können alle möglichen verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden, um dem hehren Ziel einer verfassungs- und einfachrechtlich angemessenen Kompensation möglichst nahe zu kommen. Vor dem Hintergrund des notwendigen Nebeneinanders von Börsenkurs und Ertragswert kann tatsächlich von der Unternehmensbewertung als einem interdisziplinären Begegnungsfach gesprochen werden.

Hinweis: Für eine ausführliche Diskussion der Bedeutung des Börsenkurses im Rahmen von aktien- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2019 – Teil I: Börsenkurs, AG 2020, 240 sowie den umfassenden Beitrag zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung von Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Corona im Sozialversicherungsrecht

Durch das Sozialschutz-Paket v. 27.3.2020 (Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2, BGBl. I 2020, 575) wurden Regelungen in einer Vielzahl von Sozialgesetzen geändert. Besonders hervorzuheben ist die übergangsweise (vom 1.3. bis 31.10.2020 geltende) Anhebung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen auf fünf Monate oder 115 Tage durch § 115 SGB IV n.F. Für kurzfristige Beschäftigungen (Nr. 2) muss anders als für geringfügig entlohnte Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Sozialbeiträge zur Renten- oder Krankenversicherung zahlen, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eingehalten werden (keine Berufsmäßigkeit der Beschäftigung oder kein monatliches Arbeitsentgelt von mehr als 450 €).

Diese Änderung bei kurzfristigen Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) gilt ebenfalls für ein vorübergehendes unvorhersehbares Überschreiten der Entgeltgrenze bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen von 450 € nach Nr. 1.

Grundsätzlich gilt: Überschreitet das Arbeitsentgelt regelmäßig 450 Euro im Monat, so liegt vom Tage des Überschreitens an keine geringfügige Beschäftigung mehr vor. Für die zurückliegende Zeit verbleibt es bei der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Ein nur gelegentliches und nicht vorhersehbares Überschreiten der Arbeitsentgeltgrenze führt nicht zur Beendigung der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Bis zur Neuregelung im Gesetz zum Sozialschutz-Paket war als „gelegentlich“ grundsätzlich ein Zeitraum bis zu drei Monaten innerhalb eines Kalenderjahres anzusehen. Nunmehr liegt vom 1.3. bis 31.10.2020 ein gelegentliches Überschreiten der Arbeitsentgelt-grenze vor, wenn innerhalb des für den jeweiligen Entgeltabrechnungszeitraum zu bildenden Zeitjahres maximal in fünf Kalendermonaten ein nicht vorhersehbares Überschreiten vorliegt (s. hierzu auch „Versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen“ der Spitzenverbände v. 30.3.2020).

Daneben weisen die Einzugsstellen auf die Möglichkeiten der Beitragsherabsetzung und Stundung hin („Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung von Arbeitgebern“ des GKV-Spitzenverband v. 25.3.2020).

Im Sozialschutz-Paket sind weiter enthalten:

  • Der Zugang in die Grundsicherungssysteme für Arbeitsuchende (SGB II/Hartz 4) und Ältere und Erwerbsgeminderte (SGB XII) wird vorübergehend erleichtert durch eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen, eine befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen und Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen in Fällen einer vorläufigen Entscheidung.
  • Die Prüfung des Kinderzuschlags soll ausnahmsweise auf das Einkommen im letzten Monat vor Antragstellung bezogen werden. Zudem soll eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung des Vermögens erfolgen. Außerdem soll eine einmalige Verlängerung für sogenannte Bestandsfälle mit dem höchstmöglichen Kinderzuschlag eingeführt werden.
  • Die Arbeitszeit kann durch eine Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz über die bisherigen Ausnahmen erweitert werden, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge sowie die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern in der derzeitigen Situation der Corona-Pandemie sicherzustellen.
  • Die Hinzuverdienstgrenze in der Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte wird gelockert. Auch die Weiterarbeit oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung nach Renteneintritt soll erleichtert werden. Das geltende Recht sieht Beschränkungen vor, wenn neben der Rente hinzuverdient wird. Nun können im Jahr 2020 statt bisher 6.300 Euro 44.590 Euro hinzuverdient werden, ohne dass die Altersrente gekürzt wird.
  • Durch den in § 421c SGB III geregelten vorübergehenden Verzicht auf die vollständige Anrechnung des Entgelts aus einer während Kurzarbeit aufgenommenen Beschäftigung auf das Kurzarbeitergeld wird ein Anreiz geschaffen, auf freiwilliger Basis vorübergehend Tätigkeiten in systemrelevanten Bereichen, wie z.B. der Landwirtschaft, aufzunehmen.
  • Soziale Dienstleister und Einrichtungen der Fürsorge werden im Rahmen eines besonderen Sicherstellungsauftrages durch Bund, Länder und Sozialversicherungsträger finanziell unterstützt, damit sie sich an Maßnahmen zur Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie beteiligen.
  • In das Infektionsschutzgesetz wird ein Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas zur Eindämmung der gegenwärtigen Pandemie für erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern bis zum 12. Lebensjahr aufgenommen, wenn diese ihre Kinder aufgrund der Schließung selbst betreuen müssen und daher ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können.

Schriftliches Umlaufverfahren und präsenzlose Gesellschafterversammlung in der GmbH

Der folgende Beitrag befasst sich mit der Möglichkeit für Gesellschafter einer GmbH, in Zeiten der COVID-19 Pandemie auch ohne Abhalten einer Gesellschafterversammlung funktionsfähig zu bleiben. Hierbei wird in den Blick genommen, welche Erleichterungen mit dem am 28.3.2020 in Kraft getretenen Art. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht implementiert worden sind:

Abweichend von der bisherigen Fassung des § 48 Abs. 2 GmbHG wird die Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen durch das Gesetz zur Abmilderung der COVID-19 Folgen erheblich erleichtert. § 48 Abs. 2 GmbHG wurde dahingehend geändert, dass nunmehr nicht mehr das Einverständnis aller Gesellschafter mit dem schriftlichen Umlaufverfahren erforderlich ist. Bisher war man auf den einheitlichen Standpunkt aller Gesellschafter angewiesen, wenn man einen Gesellschafterbeschluss im schriftlichen Verfahren durchführen wollte. Dies begegnete folglich dann Problemen, wenn vereinzelte Gesellschafter das Einverständnis verweigerten. Gab es keine Satzungsregelung, um das Umlaufverfahren auch an einzelnen Gesellschaftern vorbei durchzuführen, war man auf die Präsenzversammlung beschränkt. In Zeiten der COVID-19 Pandemie und damit einhergehenden Versammlungsverboten und Reisebeschränkungen wären viele Gesellschaften in ihrer Funktionsfähigkeit stark eingeschränkt. Es ist deshalb äußerst begrüßenswert, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der schriftlichen Beschlussfassung erheblich erleichterte, in dem er das Erfordernis der gesamtheitlichen Zustimmung aller Gesellschafter – zunächst auf das Jahr 2020 beschränkt – abschaffte. Somit ist es GmbH-Gesellschaftern möglich, trotz der gesellschaftlichen Beschränkungen weiterhin Beschlüsse zu fassen.

Die Neuregelung wirft indes weitere Fragen zur Ausgestaltung und Durchführung des schriftlichen Umlaufverfahrens auf. Mit der Neuregelung wurde nicht bestimmt, wer das Initiativrecht zur Einleitung und Durchsetzung des Verfahrens hat und ob auch ein kombiniertes Verfahren aus fernmündlicher Beteiligung und Präsenzversammlung zulässig sein soll. Bezogen auf das Recht zur Durchsetzung bietet es sich daher an, insoweit auf die §§ 49, 50 GmbHG zurückzugreifen. Danach können die Geschäftsführer das schriftliche Umlaufverfahren anordnen (§ 49 GmbHG) oder eine zehnprozentige Minderheit ein solches Verfahren verlangen oder im Verweigerungsfall gar selbst durchführen (§ 50 GmbHG). Streng hiervon ist zu unterscheiden, dass in materieller Hinsicht weiterhin die Mehrheitserfordernisse gelten, die für den konkreten Beschluss auch bei der Präsenzversammlung gelten würden. Auch ist selbstverständlich weiterhin das Teilnahmerecht aller Gesellschafter zu gewährleisten. Alle Gesellschafter müssen entsprechend über das schriftliche Umlaufverfahren informiert werden und die Möglichkeit der Teilnahme erhalten. Andernfalls ist der dennoch gefasste Beschluss wegen Verstoßes gegen das Teilnahmerecht entsprechend § 241 Nr. 1 AktG nichtig.

Wie auch in seiner bisherigen Fassung entbehrt § 48 Abs. 2 GmbHG indes nicht der weiteren Anforderung der notariellen Beurkundung bei bestimmten Beschlüssen (vgl. beispielsweise § 53 Abs. 2 GmbHG bei Satzungsänderungen). Diese ist auch weiterhin im schriftlichen Umlaufverfahren erforderlich.

Einen Interpretationsspielraum hinsichtlich der notariellen Beurkundungspflicht eröffnet in diesem Rahmen allerdings der ebenfalls am 28.3.2020 in Kraft getretene § 9a Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (WStBG; vormals „Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz“ – FMStBG, siehe Art. 2 des „Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetzes“ – WStFG). Danach können Beschlüsse im Rahmen des Wirtschaftsstabilisierungsfondgesetzes „nach § 48 Absatz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung auch durch schriftliche Abgabe der Stimmen gefasst werden“. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit klar. Der Beschluss ist gefasst, wenn die Stimmen in der erforderlichen Mehrheit schriftlich abgegeben sind. Eine notarielle Beurkundung wäre insoweit zur Fassung des Beschlusses nicht erforderlich. Bei dem klaren Wortlaut dürfte allerdings der äußerst kurze Zeitrahmen zu berücksichtigen sein, in dem das Gesetz entworfen wurde. Dieser war in Anbetracht der rasanten Entwicklung der Pandemie erforderlich. Ob dabei auch alle Folgewirkungen bedacht wurden, ist angesichts des zeitlichen Drucks, unter dem der Gesetzgeber stand, fraglich. Es wäre zwar denkbar, dass der Gesetzgeber in den vom Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz vorgesehenen Drucksituationen für die Gesellschaften die Beurkundungspflicht zur Beschleunigung aussetzen wollte. Ebenso möglich ist aber auch, dass § 9a WStBG missverständlich gefasst wurde und die Beurkundungspflicht wie auch sonst bei Anwendung des schriftlichen Umlaufverfahrens weiterhin besteht. Hierfür spricht auch ein Querverweis auf die Beschlussfassung bei der AG, bei der die notarielle Beurkundung bei präsenzlosen Versammlungen weiterhin ebenfalls erforderlich ist.

Aus praktischer Sicht ist jedenfalls empfehlenswert, die notarielle Beurkundung auch in den von § 9a WStBG erfassten Fällen vorsichtshalber durchzuführen, um die Wirksamkeit der Beschlüsse nicht zu gefährden. Notartermine dürften derzeit wohl zeitnah zu bekommen sein.

Zusammengefasst erlaubt der Gesetzgeber nach wie vor nicht, Gesellschafterversammlungen auf alternativem Wege, beispielsweise per Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen, sofern das nicht in der Satzung vorgesehen ist. Es bleibt daher der Initiative des Satzungsgebers vorbehalten, die Voraussetzungen für eine weitgehend präsenzlose Gesellschafterversammlung zu schaffen. Der Rückgriff auf Videokonferenzen hat gegenüber rein schriftlichen Beschlussverfahren erhebliche Vorteile.

Siehe zu alldem in Kürze Reichert/Knoche in GmbHR 9/2020.

Corona-Krise – Das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt – Beschluss im Bundeskabinett

Die Corona-Krise führt zu raschen Maßnahmen des Bundesgesetzgebers. Erst vor einer Woche, am 16.3.2020, hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) per Pressemitteilung angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers vom 17.3.2020). Schon eine Woche später, am 23.3.2020, hat das Bundeskabinett seinen Beschluss zu dem Gesetzentwurf gefasst  und am Mittwoch, 25.3.2020, soll der Deutsche Bundestag das Gesetz beschließen.

Das geplante COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CoVInsAG) baut zwar gesetzestechnisch auf der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 auf, öffnet sich aber deutlich im Sinne der vom Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 geforderten Erweiterung durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung

I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CoVInsAG)

In § 1 Satz 1 CoVInsAG heißt es nun allgemein, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum 30.9.2020 ausgesetzt ist. Sodann werden in Satz 2 zwei Ausnahmen angeführt: (1) Die Insolvenzreife beruht nicht auf der Covid-19-Pandemie. (2) Es bestehen keine Aussichten darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Wäre es bei dieser – der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 entsprechenden – Regelung geblieben, hätte mühsam im Einzelfall geprüft werden müssen, ob die entsprechende Kausalität vorliegt und wie die konkreten Aussichten des Unternehmens sind, welche im aktuell unsicheren Umfeld schwer zu bestimmen sind. Daher hilft der Gesetzgeber mit einer neuen Vermutung in § 1 Satz 3 CoVInsAG: War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Mit dieser Vermutung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gewährleistet werden, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen „in keiner Weise“ zulasten des Antragspflichtigen gehen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein. Der jetzige Entwurf nähert sich damit der vom Verfasser im Blogbeitrag v. 17.3.2020 geforderten bedingungslosen Aussetzung der Antragspflicht sehr weit an, lässt aber – durchaus berechtigt – ein Hintertürchen offen, um eindeutige Missbrauchsfälle einzufangen. Wenig sinnvoll erscheint dabei freilich, dass die Vermutung – jedenfalls dem Wortlaut nach – auch für Unternehmen gelten soll, die am 31.12.2019 zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon überschuldet waren und sich folglich bereits seit dem Jahresanfang 2020 im Zustand der Insolvenzverschleppung befanden. Eventuell wurde hier zu Beginn von Satz 3 versehentlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit statt an die fehlende Insolvenzreife angeknüpft, weil auch die Ausnahme in Satz 2 – dort berechtigt – auf die Zahlungsunfähigkeit beschränkt ist. Eine Korrektur dieses unglücklichen Wortlauts kann dadurch erfolgen, dass man bei bereits bestehender Überschuldung zum 31.12.2019 die Vermutung des Satzes 3 als widerlegt ansieht, weil dann nämlich „die Insolvenzreife“ i.S.v. Satz 2 nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

II. Privilegien für Geschäftsleiter, Kreditgeber und sonstige Vertragspartner im Haftungs- und Anfechtungsrecht (§ 2 CoVInsAG)

In § 2 Abs. 1 CoVInsAG wird ein guter Teil der Vorschläge aufgegriffen, welche der Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 unterbreitet hatte:

In Nr. 1 wird parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG und die Parallelvorschriften) eingeschränkt: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen (§ 64 Satz 2 GmbHG und die Parallelvorschriften).

Nach Nr. 2 werden „neue“ Kredite und deren Besicherung anfechtungsrechtlich privilegiert, also solche, die zu einer effektiven Zufuhr weiterer Liquidität im Aussetzungszeitraum führen (vgl. dazu demnächst Bitter in ZIP). Auch für „neue“ Gesellschafterdarlehen wird eine im Ansatz vergleichbare Privilegierung eingeführt, die sich allerdings nicht auf die Besicherung solcher Kredite erstreckt. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 135 ff.) und die Regelung über gesellschafterbesicherte Drittdarlehen in § 44a InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 348 ff.) werden für solche „neuen“, im Aussetzungszeitraum gewährten Kredite vorübergehend bis zum 30.9.2023 abgeschafft, um in der aktuellen Krisensituation Anreize für die Gewährung neuer Kredite oder Sicherheiten von Gesellschafterseite zu setzen. Die Regelung tritt selbstständig neben die bereits vorhandene Ausnahme im Rahmen des Sanierungsprivilegs aus § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (dazu ausführlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 109 ff.).

Durch Nr. 3 soll für Kreditgeber zusätzlich auch das Risiko ausgeschaltet werden, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge eines Anspruchs geschädigter Dritter gemäß § 826 BGB (vgl. dazu die Nachweise bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Die vom BGH für das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufgestellten Anforderungen an ein substanzhaltiges und von einem objektiven Dritten überprüftes Sanierungskonzept (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123) laufen im Grundsatz parallel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Kreditgeber, wenn sie eine drittschädigende Kreditgewährung gemäß § 826 BGB und eine Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vermeiden wollen (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Da ein derartiges substanzhaltiges Sanierungskonzept in der aktuellen Krisensituation nicht zeitnah erstellt werden kann und zudem die weitere (Unternehmens-)Entwicklung nicht realistisch absehbar ist, erscheint es richtig, dass Kreditgeber durch Nr. 2 und 3 hinsichtlich aller genannten Konsequenzen Rechtssicherheit bekommen.

Nach Nr. 4 werden schließlich auch andere im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen, die nicht in einer Kreditgewährung i.S.v. Nr. 2 bestehen, anfechtungsrechtlich privilegiert. Dies betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Bei Nr. 4 wird es eine Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur sein, durch eine restriktive Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine zu weitgehende Anwendung auszuschließen, insbesondere nicht solche Zahlungen zu privilegieren, durch welche schlicht Altforderungen bedient werden, ohne dass ein Beitrag des Gläubigers zur Überwindung der Krise des Unternehmens geleistet wird (vgl. die Bedenken des Gravenbrucher Kreises in seiner Stellungnahme v. 22.3.2020).

In § 2 Abs. 2 werden die Regelungen der vorgenannten Nummern 2 bis 4 auch auf nicht insolvenzreife Unternehmen ausgedehnt. Diese sollen in der aktuellen Krise nicht schlechter als die bereits insolvenzreifen stehen.

III. Aussetzung von Gläubigeranträgen (§ 3 CoVInsAG)

Durch § 3 CoVInsAG wird für drei Monate auch die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen (vgl. zu den Insolvenzantragsrechten Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 117 ff.). Durch diese Regelung soll nach der Begründung des Entwurfs für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert werden, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können. Hierdurch wird zum einen die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (oben I.) flankiert; zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit Hilfe von Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen und sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.

IV. Verordnungsermächtigung (§ 4 CoVInsAG)

Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, wird das BMJV in § 4 CoVInsAG ermächtigt, die o.g. Maßnahmen bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Präsenzlose Online-Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften

Präsenzlose Online-Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften sollen bald in Deutschland möglich sein, sofern der „Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil- Insolvenz- und Strafrecht“ tatsächlich verabschiedet wird. Gegenstand des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung sind eine Vielzahl an Reformen diverser Rechtsgebiete. Ziel der Novelle ist die flächendeckende Abmilderung der empfindlichen  Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Behörden im März 2020 zur Eindämmung des massiven Anstiegs der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus angeordnet hatten. Diese Schutzmaßnahmen schränken auch die Versammlungsmöglichkeiten von Personen ein, wodurch erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit von Unternehmen sämtlicher Rechtsformen bestehen, da keine Beschlüsse auf physischen Hauptversammlungen der jeweiligen Organe gefasst werden können. Damit trotz bestehender Beschränkungen Beschluss- und Handlungsfähigkeit von Unternehmen gewährleistet werden können, plant die Bundesregierung vorübergehend substantielle Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen der AG, KGaA und SE.

Konkret ermächtigt der Gesetzesentwurf Vorstände von Aktiengesellschaften, satzungsunabhängig präsenzlose Online-Hauptversammlungen durchzuführen; dabei muss der Vorstand die ordnungsgemäße online-Teilnahme aller Aktionäre, deren Wahlrecht sowie die Ton- und Bildübertragung sicherstellen. § 118 Abs. 1 bis 4 AktG sowie die Anfechtungsmöglichkeit wegen einer Verletzung dieser Normen werden insoweit eingeschränkt. Zudem soll die Einberufungsfrist von bisher 30 Tagen auf 21 Tage verkürzt werden. Der Vorstand soll berechtigt werden, Abschlagszahlungen nach § 59 Abs. 2 AktG auf den Bilanzgewinn ohne entsprechende Satzungsregelungen vorzunehmen. Schließlich soll die Achtmonatsfrist gem. § 175 Abs. 1 AktG auf maximal zwölf Monate verlängert werden, indem Hauptversammlungen auch innerhalb des Geschäftsjahres durchgeführt werden dürfen. In Bezug auf das GmbHG sollen Beschlüsse der Gesellschafter einer GmbH (abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG) in Textform oder durch schriftliche Stimmenabgabe auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden. Eine Prognose über die Geltungsdauer des Gesetzesentwurfs ist bisher nicht möglich, da sich diese an der Dauer der COVID-19-Krise orientieren soll.

Der insgesamt gelungene Gesetzesentwurf entspricht im Wesentlichen den Forderungen des Deutschen Aktieninstituts. Damit könnten alle relevanten Beschlüsse „online“ gefasst werden, insbesondere Beschlüsse über die Ausschüttung von Dividenden. Unzureichend erscheint die Anpassung in Bezug auf § 59 AktG. Der Verzicht auf das Erfordernis einer Regelung in der Satzung löst nicht die eigentlichen praktischen Probleme von Abschlagszahlungen nach § 59 AktG. Vielleicht waren die damit verbundenen dogmatischen Schwierigkeiten schlicht kurzfristig nicht zu lösen. Das Gesetz ist jedoch noch nicht in Kraft, mit dem Inkrafttreten ist aber in Kürze zu rechnen …

Corona-Krise – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat per Pressemitteilung vom 16.3.2020 angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen. Damit reagiert die Bundesregierung – sehr verständlich – auf die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur für uns alle zu deutlichen Einschränkungen des privaten und beruflichen Lebens führt, sondern auch weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits gravierend beeinflusst: Den Fluggesellschaften, Messebauern, Reise- und Kulturveranstaltern, dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie vielen anderen Unternehmen, die unmittelbar von den angeordneten Beschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind, geht derzeit in finanzieller Hinsicht die Luft aus. In einer zweiten Welle werden weitere Wirtschaftsbereiche folgen, weil allgemein von einem deutlichen Rückgang des Konsums auszugehen ist: Jede nicht dringend erforderliche Investition wird derzeit im Zweifel zurückgestellt, sodass sich eine wahre Insolvenzwelle durchs Land fressen könnte, die das Ausmaß der Finanzkrise noch übersteigt.

Im Grundsatz sollen insolvenzreife Gesellschaften vom Markt ferngehalten werden, wozu die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und das Gebot der Massesicherung (insbes. § 64 GmbHG) beitragen (dazu Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 573 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 646 ff.). Die zugrunde liegenden Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) werden von der Rechtsprechung mit Recht streng angewendet (Details bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 38 ff.; ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 578 ff.). Darüber hinaus hat der Verfasser dazu aufgerufen, die Fortführungsprognose im Zweifel strikter als bisher zu handhaben, um zu verhindern, dass eine Unternehmensfortführung oder Sanierung auf Kosten der Neugläubiger geht (Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 51 ff., insbes. Rz. 60 ff.).

Doch können diese allgemeinen Grundsätze auch jetzt in der Corona-Krise gelten? Sie ist durch die Besonderheit geprägt, dass Unternehmen gänzlich unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten. Umsätze brechen von heute auf morgen zu großen Teilen oder vollständig weg, ohne dass den Unternehmenslenkern irgendein Vorwurf gemacht werden könnte. Die Geschäftsmodelle sind tauglich und die Insolvenzreife allein durch die nicht vorhersehbaren, extremen äußeren Rahmenbedingungen verursacht.

In einer solchen Situation ist es richtig, die Insolvenzantragspflicht zu suspendieren, um den Unternehmen eine Schonfrist zu gewähren. Sanierungen können dann auf gesichertem Boden stattfinden. Eine seriöse Fortführungsprognose (auf der Basis eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts, vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 59) kann derzeit kein Berater erstellen, weil die weiteren Konsequenzen der Corona-Krise für niemanden abschätzbar sind. Dann jedoch sollte man erwägen, über die Ankündigung in o.g. Presseerklärung des BMJV hinaus die Antragspflicht (und die korrespondierende Massesicherungspflicht) ohne weitere Voraussetzungen für solche Unternehmen zu suspendieren, die nicht schon vor der aktuellen Corona-Krise insolvenzreif waren. Im Zweifel beruht nämlich jede in den kommenden Wochen und Monaten eintretende Insolvenz zumindest mittelbar auf den gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen. Dann aber sollte man die ex post in Strafverfahren oder Haftungsprozessen entscheidenden Gerichte nicht mit der im Einzelfall streitigen Frage belasten, ob und in welchem Maße der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht. Den redlichen und durch die Corona-Krise überrumpelten Geschäftsleitern muss jetzt der straf- und haftungsrechtliche Druck genommen werden, damit sie sich voll auf die wirtschaftliche Erholung ihrer Betriebe konzentrieren können. Sie sollen ihre Zeit (und das restliche Geld der Betriebe) nicht damit verschwenden, ggf. schwer beweisbare Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch anwaltliche oder sonstige Gutachten zu belegen, die ohnehin auf äußerst schwankendem Boden erstellt werden (ebenso Prof. Dr. Stephan Madaus; restriktiver Thole, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2020).

Der Gläubigerschutz ist damit nicht vollständig suspendiert, sondern die Grenze des (Kredit-)Betrugs und die daran anknüpfende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265b StGB bestehen fort (vgl. dazu Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 641 f.). Wer bedingt durch die Corona-Epidemie ernsthafte Zweifel an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit hat, muss also seine Lieferanten und sonstigen Gläubiger darüber aufklären. Und die Gläubiger müssen derzeit ohnehin wachsam sein und sich selbst sichern (etwa durch die Umstellung auf Vorkasse), weil selbst jahrzehntelang seriös geführte Unternehmen (unverschuldet) in Schieflage geraten.

Auch über weitere Maßnahmen wie die Erleichterung von Finanzierungen in der Krise durch Reduzierung der Anfechtungsgefahr aus § 133 InsO und eine partielle Aussetzung des Gesellschafterdarlehensrechts für echte Neukredite ist nachzudenken. Es muss nun jeglicher Anreiz gesetzt werden, trotz gänzlich unsicherer wirtschaftlicher Lage von Gläubiger- und Gesellschafterseite in Unternehmen mit im Grundsatz soliden Unternehmenskonzepten zu investieren, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. dazu die Vorschläge von TMA Deutschland in der Pressemitteilung vom 13.3.2020 und Lürken in Börsenzeitung v. 14.3.2020, S. 9).

Zusätzlich könnte eine Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums auf 6 Monate solchen Unternehmen helfen, die trotz Suspendierung der Antragspflicht den Weg ins Insolvenzverfahren gehen müssen, weil ihnen schlicht das Geld ausgeht, um weiter wirtschaften zu können. Auch im Insolvenzverfahren ist diese längere Schonfrist erforderlich, weil sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit in den kommenden Monaten kein Käufer für insolvente Unternehmen finden wird. Die Alternative wäre dann allein die Betriebsstilllegung mit Verlust aller Arbeitsplätze, obwohl das Unternehmenskonzept eigentlich stimmt. Das muss verhindert werden.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Update: Pandemie und Business Continuity

Das mittlerweile auch Deutschland angreifende Corona-Virus gibt Anlass zu einem kurzen update meines gleich betitelten Beitrags im AG-Report (Mutter, AG 2009, R212). Heute verfügen die Unternehmen in Deutschland durchgängig über Krisenmanagementsysteme. Diese schließen oft, aber bei weitem nicht stets Abschätzungen möglicher Pandemiefolgen für das eigene Unternehmen und konkrete Maßnahmen zur Pandemievorsorge oder Planungen für den Fall eines höheren Mitarbeiterausfalls ein. Jedenfalls in Zeiten konkreterer Bedrohung wie derzeit durch das Corona-Virus gehört eine Notfallplanung zu den Sorgfaltspflichten des Vorstands aus §§ 93, 76 AktG. Typischerweise hat eine solche Notfallplanung kritische Funktionen im Unternehmen zu identifizieren und die für den geschäftlichen Ablauf notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Dies kann bis zu einer Bevorratung antiviraler Medikamente zur Prophylaxe und Therapie von Mitarbeitern in Schlüsselfunktionen reichen. Im Übrigen sehen Notfallplanungen – best practice – kaskadierte Maßnahmen vor. Standardmaßnahmen sind Reisebegrenzungen, insbesondere in besonders gefährdete Gebiete, schnelle Separierung Erkrankter und Überweisung in ärztliche Behandlung. Auch Aufklärung über Ansteckungsrisiken und Vorsorge gehören zu den gängigen Maßnahmen. Ferner können Möglichkeiten von Heimarbeit zu prüfen sein. In höheren Eskalationsstufen empfehlen sich schließlich Redundanzkonzepte, etwa für den Ausfall von Schlüsselmitarbeitern. Entsprechende Pläne in der Schublade zu haben ist nicht Hysterie, sondern verantwortungsvolle Unternehmensführung.

„Update Frauenquote“ – das FüPoG II

Das Familien- und das Justizministerium arbeiten am Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, kurz genannt „FüPoG II“. Der aktuell zirkulierende Gesetzentwurf ist punktuell spektakulär:

  • Vorstände börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen müssen künftig mit wenigstens einer Frau besetzt werden, sofern dieser mehr als drei Mitglieder hat.
  • Die bewährten Regelungen zur fixen Aufsichtsratsquote sollen einen breiteren Anwendungsbereich erhalten und auf alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen ausgeweitet werden, also etwa auch auf entsprechende Familienunternehmen.
  • Die bisherige „Geschlechterquote“ wird durch eine Fokussierung auf eine „Frauenquote“ abgelöst.

Angesichts der vielerorts in den Unternehmen gewählten Zielgröße „null“ zu erwarten war hingegen die nun geplante Einführung einer Begründungspflicht sowie die Nachschärfung des Sanktionsmechanismus bei Verletzung von Berichtspflichten im Zusammenhang mit der „flexiblen Quote“. Bei der Kritik an der „null“ wird mitunter übersehen, dass in der Erstanwendung des FüPoG I die Unternehmen auch damit umgehen mussten, dass obere Führungsebenen angefangen vom Aufsichtsrat in der damaligen Realität vielfach männlich dominiert waren. Insoweit lag es nahe und war vielleicht auch ein Gebot der Ehrlichkeit, dass man dort, wo beispielsweise männlich besetzte Vorstände langlaufende Verträge hatten, nicht reine Luftschlösser mit „sexy“ Quoten baute, sondern die Realitäten geltender Anstellungsverträge abbildete.

Auch die Ablösung der Geschlechterquote durch eine Frauenquote ist weniger gewichtig als es vermeintlich klingt. Sie war mit der Entscheidung des BVerfG zum dritten Geschlecht (BVerfG v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16, BVErfGE 147, 1–30) aufgrund des Diskriminierungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 GG vorgezeichnet. Denn als reine „Frauenquoten“ hat man mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG eine feste Rechtsgrundlage (vgl. Mutter in FS Vetter, 2019, S. 489, 494).

Demgemäß dürfte der Schwerpunkt der Beratungen im Gesetzgebungsverfahren auf der Ausweitung der Quotenregelungen und der neuen Vorstandsquote liegen.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 6/2020.