BaFin: Aktualisierte FAQs zu Stimmrechtsmitteilungen und neues Muster zu § 41 WpHG wegen Mehrstimmrechtsaktien

Aufgrund der Einführung von Mehrstimmrechtsaktien durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz (BGBl. 2023 I Nr. 354) hat die BaFin Ende Dezember 2023 ihre FAQs zu den Publikationspflichten der §§ 33 ff. WpHG und §§ 48 ff. WpHG aktualisiert und ein neues Muster für die Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte nach § 41 WpHG publiziert.

  1. Aktualisierte BaFin-FAQs

Im Rahmen der aktualisierten BaFin-FAQs wird zum einen erläutert, wie Mehrstimmrechte in einer Stimmrechtsmitteilung anzugeben sind. Demnach habe der Halter von Mehrstimmrechten diese unter „7.a. Stimmrechte (§§ 33, 34 WpHG)“ mit ihrer eigenen ISIN in einer separaten Zeile anzugeben. Sofern die Mehrstimmrechtsaktien über keine ISIN verfügen, sei in der ISIN-Spalte „MehrstimmR“ einzutragen. Unter „10. Sonstige Informationen“ könne zusätzlich ein Hinweis darauf erfolgen, dass es sich bei der gemeldeten Position um Mehrstimmrechtsaktien handelt.

Zum anderen wird in den FAQs unter Verweis auf ein (unverbindliches) neues Musterformular für die Veröffentlichung nach § 41 WpHG (siehe hierzu unter 2.) präzisiert, wie Mehrstimmrechte in der Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte anzugeben sind. Hintergrund ist, dass nach der Gesetzesreform gem. § 41 Abs. 1 Satz 1 WpHG n.F. in der Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte auch die auf „diese entfallende Anzahl von Mehrstimmrechten“ anzugeben ist.

Unverändert zu beachten ist, dass seit Juli 2020 Mitteilungen über Änderungen bedeutender Stimmrechtsanteile nur noch in elektronischer Form an die BaFin und die Gesellschaft zu übermitteln sind. Die elektronische Übermittlung einer Mitteilung an die BaFin hat über die dortige Melde- und Veröffentlichungsplattform (MVP) zu erfolgen.

  1. Muster: Gesamtzahl der Stimmrechte nach § 41 WpHG

Im Rahmen des aktualisierten Word-Musters für die Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte gem. § 41 WpHG stellt die BaFin klar, dass zum einen auch die Ausgabe oder das Erlöschen von Mehrstimmrechtsaktien eine „sonstige (Kapital-)Maßnahme“ i.S.d. § 41 Abs. 1 WpHG darstellt, die zu einer Zu- oder Abnahme von Stimmrechten und damit einer Veröffentlichungspflicht nach § 41 WpHG führt. Überdies nahm die BaFin eine Unterteilung des Felds „3. Neue Gesamtzahl der Stimmrechte“ vor, indem in einer gesonderten Zeile die Rubrik „davon Anzahl Mehrstimmrechte:“ aufgenommen wurde. Von Emittenten, die keine Mehrstimmrechtsaktien (mehr) ausgegeben haben, sei in dieser Zeile eine „0“ einzutragen.

  1. Fazit

Durch die Anpassung ihrer FAQs und des Musters für die Veröffentlichung nach § 41 WpHG hat die BaFin schnell auf die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien reagiert. Hierdurch wurden frühzeitig Darstellungsunsicherheiten für alle Emittenten beseitigt, und zwar unabhängig davon, ob sie Mehrstimmrechtsaktien emittiert haben.

Zukunftsfinanzierungsgesetz: Änderungen im Parlament

Nach dem Eckpunktepapier vom Juni 2022 (s. etwa Kuthe, AG 2022, R208), dem Referentenentwurf vom April 2023 (dazu u.a. Harnos, AG 2023, 348; Joser, ZIP 2023, 1006; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 1077) und dem Regierungsentwurf vom August 2023 (hierzu u.a. Kuthe/Reiff, AG 2023, R308; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292) hat der Bundestag am 17.11.2023 das Zukunftsfinanzierungsgesetz beschlossen und dabei einige Änderungen vorgenommen, die auf Vorarbeiten des Finanzausschusses zurückgehen (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363). Nun steht das ZuFinG auf der Tagesordnung der 1038. Bundesratssitzung am 24.11.2023 (TOP 58). Die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf werden im Folgenden dargestellt.

Aktienrecht

Die Neuregelungen der Mehrstimmrechtsaktie, eAktie und SPACs haben das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren weitgehend unverändert verlassen. Die Änderungen, die der Finanzausschuss angestoßen hat, sind redaktioneller Natur:

  • Die Neuregelung in § 67 Abs. 1 Satz 7 AktG, der eine Informationsversorgung von Emittenten elektronischer Aktien sicherstellen soll (hierzu Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 109 f.), wird auf § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG i.d.F. des MoPeG erstreckt. Damit sollen Emittenten elektronischer Aktien auch mit Informationen über Aktionäre, die eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft sind, versorgt werden (s. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung).
  • Im Vergleich zum Regierungsentwurf neu gefasst wurde § 12 Satz 2 AktG. Die Mehrstimmrechtsaktien sind darin nun vor den Vorzugsaktien genannt, was ausweislich des Ausschussberichts deutlich machen soll, dass die Mehrstimmrechtsaktie keine Unterart der Vorzugsaktie ist (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung; zur anderweitigen Deutung des § 12 Satz 2 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG s. von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292). Nach § 135a Abs. 4 AktG n.F. berechtigen – und nicht berechtigten – die Mehrstimmrechtsaktien bei Beschlüssen nach § 119 Abs. 1 Nr. 5, § 142 Abs. 1 AktG zu nur einer Stimme. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 WpHG n.F., der an § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG n.F. angelehnt ist, muss der Inlandsemittent bei einer Zu- oder Abnahme von Stimmrechten die Gesamtzahl der Stimmrechte unter Angabe der auf diese entfallenden Anzahl von Mehrstimmrechten veröffentlichen.

Auch im Bereich des Kapitalerhöhungsrechts bleiben einige Elemente des Regierungsentwurfs erhalten: Der Bundestag hat es bei der Anhebung der Wertgrenzen in § 186 Abs. 3 Satz 4, § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG n.F. belassen (dazu statt vieler Harnos, AG 2023, 348 Rz. 17 ff.) und auch nicht den Riegel des § 202 Abs. 1 Satz 2 AktG n.F. entfernt, wonach die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien nicht im Rahmen des genehmigten Kapitals vorgesehen werden kann (hierzu etwa Kuthe/Reiff, AG 2023, R308, R309; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292, 2293). Größere Anpassungen inhaltlicher Art hat das parlamentarische Verfahren im Kontext des Wertverwässerungsschutzes gem. §§ 255 ff. AktG n.F. nach sich gezogen. Die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, die im Wesentlichen den Vorschlägen von Bungert/Strothotte, DB 2023, 2422, 2424 entsprechen, verringern aus der Perspektive der Emittenten und Inferenten die Hürden und Risiken bei Sachkapitalerhöhungen, führen aber auch zu einer spürbaren Absenkung des Aktionärsschutzniveaus:

  • Nach § 255 Abs. 2 und 4 AktG n.F. sollen die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre auch in Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses i.S.d. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG n.F. weder den Kapitalerhöhungsbeschluss anfechten noch einen Barausgleich verlangen können. Dies soll augenscheinlich auch dann gelten, wenn der Börsenkurs – dem der Wert der neu geschaffenen Aktien gem. § 255 Abs. 5 Satz 1 AktG n.F. grundsätzlich entsprechen muss – gem. § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG n.F., also bei Verletzung der Ad-hoc Pflicht (Nr. 1), Marktmanipulation (Nr. 2) oder Marktenge (Nr. 3), nicht allein maßgeblich ist und deshalb eine Unternehmensbewertung durchgeführt werden muss.
  • Überdies ist § 255 Abs. 4 Satz 3 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG weggefallen. Die Vor-schrift sah einen Freistellungsanspruch der gem. § 255 Abs. 4 Satz 2 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG barausgleichspflichtigen Gesellschaft gegen den neu eintretenden Aktionär vor.

Investmentrecht

Gemäß §§ 231, 260b, 261, 284 KAGB i.d.F. des RegE ZuFinG sollten Immobilienfonds zu Investitionen in Grundstücke ermächtigt werden, auf denen sich ausschließlich Erneuerbare-Energien-Anlagen befinden oder auf denen solche Anlagen alsbald errichtet werden sollen (Freiflächenanlagen). Zudem sollte die Zulässigkeit von Erwerb und Betrieb von mit Immobilien verbundenen Erneuerbare-Energien-Anlagen (Aufdachanlagen) und Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sowie von Direktinvestitionen in Erneuerbare-Energien-Anlagen durch Infrastrukturfonds klargestellt werden. All diese Regelungen, die die Energiewende durch privates Kapital ankurbeln sollten (s. Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 154 ff.), wurden auf Vorschlag des Finanzausschusses gestrichen (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung). Die Koalitionsfraktionen haben aber zu Protokoll erklärt, dass die Erweiterung der Investmentoptionen für Immobilienfonds im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 aufgegriffen werden soll (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 106 – Vorabfassung).

Bank- und Kapitalmarktrecht

Im Bereich des Crowdfunding hat der Bundestag die Neufassung der Regelungen über die Haftung für Angaben im Anlagebasisinformationsblatt in §§ 32c ff. WpHG, die namentlich auf Vermeidung der persönlichen Geschäftsleiteraußenhaftung bei Crowdfunding-Plattformbetreibern abzielen (im Einzelnen Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, S. 94), mit der neuen Übergangsregelung in § 143 WpHG flankiert. Damit hat er den zeitlichen Geltungsbereich der reformierten Haftungsvorschriften auf Fälle erstreckt, in denen das fehlerhafte Anlagebasisinformationsblatt vor dem Inkrafttreten des ZuFinG erstellt, der Crowdfunding-Vertrag aber nach dem Inkrafttreten abgeschlossen wurde (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung).

In Umsetzung des Koalitionsvertrags (vgl. dort S. 135) hat der Bundestag das Koppelungsverbot des § 492a BGB in einem neuen Abs. 1a auf Fälle erstreckt, in denen der Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags vom Abschluss eines Restschuldversicherungsvertrags abhängig gemacht wird (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 126 – Vorabfassung). Flankiert wird diese Regelung durch die Neufassung des § 7a Abs. 5 VVG: Künftig darf ein Versicherer einen Restschuldversicherungsvertrag, der sich auf einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag bezieht, nur dann abschließen, wenn der Versicherungsnehmer die Vertragserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags abgegeben hat (im Einzelnen BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 131 – Vorabfassung). Etwaige Verstöße gegen die neuen Verbotsgesetze führen nach § 492a Abs. 2 BGB n.F., § 7a Abs. 5 Satz 2 VVG n.F. zur Nichtigkeit des Restschuldversicherungsvertrags, nicht aber des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags.

Mit den Änderungen der §§ 16 ff. ZKG n.F. wird das Konzept des zertifizierten privaten Betriebs von Vergleichswebseiten über Zahlungskontenentgelte aufgegeben. Künftig wird ausschließlich die BaFin eine Vergleichswebseite betreiben (vgl. auch BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung).

Die Bereichsausnahme für die AGB-Kontrolle in der Finanzbranche in § 310 Abs. 1a BGB n.F. wurde minimalinvasiv geändert: Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 1a Satz 1 BGB i.d.F. des RegE ZuFinG sollte die Bereichsausnahme eingreifen, wenn ein Vertragspartner eine Finanzdienstleistung i.S.d. § 310 Abs. 1a Satz 2 BGB n.F. rechtmäßig gewerbsmäßig tätigt. Nunmehr soll es darauf ankommen, ob der Vertragspartner die Finanzdienstleistung rechtmäßig gewerbsmäßig tätigen kann. Überdies wird der Kreis privilegierter Unternehmen in § 310 Abs. 1a Satz 4 Nr. 5 BGB n.F. auf Zentralbanken der EWR-Staaten und des Vereinigten Königreichs erweitert (s. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 126 – Vorabfassung).

Steuerrecht

Der Regierungsentwurf wollte die Leistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten von der Umsatzsteuer befreien, um die Rahmenbedingungen für Konsortialführer an den Standard in den anderen EU-Mitgliedstaaten anzugleichen (Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 133), und schlug eine entsprechende Erweiterung des Ausnahmekatalogs in § 4 Nr. 8 UStG vor. Der Bundestag hat diese steuerlichen Erleichterungen für die Kreditbranche wegen der potenziellen finanziellen Auswirkungen und der angespannten Haushaltslage gestrichen (zum Entfall der Steuermindereinnahmen i.H.v. 100 Mio. € vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung). Spielte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 insoweit eine zentrale Rolle?

Überdies wollte die Ministerialbürokratie im Zuge des Zukunftsfinanzierungsgesetzes einige Hebel im Steuerrecht bewegen, um die Anreize für Aktieninvestitionen zu erhöhen (hierzu etwa Lay/Neubauer/Schäfer, AG 2023, R156 ff.): Bei Mitarbeiterkapitalbeteiligung sollte die Regelung zur Lösung des Dry-Income-Problems in § 19a EStG verbessert werden. Außerdem sollte der Freibetrag in § 3 Nr. 39 EStG i.d.F. des RegE ZuFinG von 1.440 € auf 5.000 € pro Kalenderjahr angehoben werden.

Der Bundestag hat die Dry-Income-Regelung nachjustiert. Nach § 19a Abs. 1 Satz 3 EStG n.F. gilt ein nicht steuerbarer Vorteil i.S.d. § 19a Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. auch dann als zugeflossen, wenn es dem Arbeitnehmer rechtlich unmöglich ist, über die Vermögensbeteiligung zu verfügen. Mit dieser begrüßenswerten Änderung hat das Parlament auf den Umstand reagiert, dass Mitarbeiter von Start-ups in aller Regel mit vinkulierten Anteilen vergütet werden, was nach § 19a EStG a.F. dazu führte, dass sie nicht in den Genuss der aufgeschobenen Besteuerung kamen (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 129 – Vorabfassung). Diese Änderung dürfte in der Tat die Aktienkultur fördern. Gegenläufig könnten sich indes weitere Änderungen des Einkommensteuerrechts gegenüber dem Regierungsentwurf auswirken:

– Die Nachversteuerungsfrist des § 19a Abs. 4 EStG wurde im Vergleich zum Regierungsentwurf von 20 auf 15 Jahre verkürzt.

– Die Konzernklausel, die noch in § 19a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des RegE ZuFinG vorgesehen war, ist weggefallen. Damit genießen Arbeitnehmer, die nicht mit Anteilen des Arbeitgebers, sondern eines Konzernunternehmens i.S.d. § 18 AktG vergütet werden, keine steuerliche Privilegierung nach § 19a EStG.

– Der Freibetrag in § 3 Nr. 39 EStG wird auf lediglich 2.000 € angehoben. Auch insoweit könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 eine gewisse Rolle gespielt haben (zum Wegfall der Steuermindereinnahmen i.H.v. 225 Mio. € durch Absenkung des Freibetrags gegenüber dem Regierungsentwurf vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 129 – Vorabfassung).

Schließlich wird die Einkommensgrenze bei der Arbeitnehmer-Sparzulage für die Anlage der vermögenswirksamen Leistungen in Vermögensbeteiligungen und Bausparverträge nach § 13 Abs. 1 Satz 1 5. VermBG verdoppelt (40.000 € statt 20.000 € bei Einzelveranlagung und 80.000 € statt 40.000 € bei Zusammenveranlagung, vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 132 – Vorabfassung).

Die Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktien: Nachbesserungsbedarf beim Regierungsentwurf des ZuFinG

Dieser Blog-Beitrag basiert auf dem Vortrag, den der Autor am 26.9.2023 auf dem Hamburger Forum zum Gesellschafts- und Kapitalmarktecht gehalten hat. Die vollständige Schriftfassung ist hier verfügbar.

Im Fahrwasser der Initiative für einen EU Listing Act sieht der Regierungsentwurf für das Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) vor, die vor 25 Jahren abgeschafften Mehrstimmrechtsaktien wieder zuzulassen – allerdings nicht uneingeschränkt, sondern ergänzt um ein Regime zum Schutz der übrigen Aktionäre. Die Abkehr vom bislang in § 12 Abs. 2 AktG statuierten Verbot der Mehrstimmrechte kommt nicht überraschend, sondern war bereits im Koalitionsvertrag angekündigt worden. Dass es sich bei der Einführung eigentlich um eine Wiedereinführung handelt (Nicolussi, AG 2022, 753), verschweigt der Entwurf nicht, sieht sich aber durch „Erfahrungen aus dem Ausland“ bekräftigt. In der Sache liegt der Wiederzulassung durch § 12 Satz 2, § 135a AktG-E eine heterogene Konzeption zu Grunde.

In der nichtbörsennotierten Gesellschaft geht es im Kern um eine Lockerung der Satzungsstrenge, die mit der Begrenzung auf das Zehnfache des Stimmrechts durch § 135a Abs. 1 Satz 2 AktG-E und den Ausnahmen vom Mehrstimmrecht bei der Bestellung von Abschluss- und Sonderprüfer durch § 135a Abs. 4 AktG-E lediglich grob eingehegt ist.

In der börsennotierten Gesellschaft konzipiert der Entwurf die Mehrstimmrechte hingegen als personalisierte Übergangsstruktur für Wachstumsunternehmen. Das verdeutlichen die Begründungen sowohl zum Erlöschen der Mehrstimmrechte im Falle der Aktienübertragung nach § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG-E als auch zu ihrer gesetzlichen Befristung nach § 135a Abs. 2 Satz 2 AktG-E.

I. Rechtspolitische Fragezeichen

So klar der Entwurf auf den ersten Blick erscheint, verbleiben eine Reihe rechtspolitischer Fragezeichen. So erscheinen die Regelungen zum Erlöschen der Mehrstimmrechte in Teilen inkonsistent (1., 2.). Gleichzeitig lassen die Hürden für ihre Einführung und Verlängerung Zweifel an der Praktikabilität aufkommen (dazu 3., 4.). Schließlich adressieren die vorgesehenen Regelungen die Risiken von Mehrstimmrechten nur unvollständig (dazu 5.).

1. Erlöschen im Übertragungsfall bei Zulassung des Haltens durch juristische Personen?

Das Erlöschen im Übertragungsfall gründet nach dem Entwurf auf der Einsicht, „dass die bisherigen Inhaber im Umfang der Übertragung nicht mehr an der Entwicklung des Unternehmens teilnehmen. Der Zweck der Mehrstimmrechte, ihnen auch nach dem Börsengang in der Wachstumsphase eine Kontrolle über die Unternehmensstrategie zu ermöglichen, entfällt.“ Dementsprechend will der Entwurf den Begriff der Übertragung weit verstehen. Gleichwohl lässt er es zu, dass Mehrstimmrechte in börsennotierten Gesellschaften auch von juristischen Personen gehalten werden. Das führt nicht nur zu erheblichen Anwendungsproblemen bei der Übertragung von Anteilen an der Beteiligungsgesellschaft (unten II.2.). Versteht man Mehrstimmrechte in börsennotierten Gesellschaften als personalisierte Übergangsstruktur, wäre es konsequent, sie auf natürliche Personen – zumal solche in Organfunktion – zu begrenzen.

2. Nur einmalige Fristverlängerung?

Mit der Befristung der Mehrstimmrechte in börsennotierten Gesellschaften greift der Entwurf die verbreiteten Vorbehalte gegenüber einem dauerhaften Auseinanderfallen von Kontrolle und Kapitalbeteiligung auf. Dass § 135a Abs. 2 Satz 3 AktG-E den übrigen Aktionären die Möglichkeit einräumt, die Mehrstimmrechte zu verlängern, setzt hingegen einen Anreiz für den Mehrstimmrechtsaktionär, im Interesse der übrigen Aktionäre zu handeln. Es ist daher unverständlich, dass der Entwurf die Möglichkeit auf eine einmalige Verlängerung beschränken will.

3. Zu hohe Hürden für die Einführung?

Der Entwurf will die Einführung von Mehrstimmrechten nach § 135 Abs. 1 Satz 3 AktG-E nur mit „Zustimmung aller betroffenen Aktionäre“ zulassen. Das ist praktisch bedenklich, da auch gewachsene Start-ups eine breite Investorenbasis haben können. Jedenfalls besteht keine Veranlassung für ein Einstimmigkeitserfordernis, solange alle Aktionäre gleichbehandelt werden – sei es bei Ausstattung aller Aktien mit Mehrstimmrechten oder bei Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien unter Aufrechterhaltung des Bezugsrechts aller Aktionäre. So ließe sich ein Börsengang auch dann praktikabel vorbereiten, wenn man in den übrigen Fällen am Einstimmigkeitserfordernis festhalten wollte.

4. Zu hohe Hürden für die Verlängerung?

Die Entwurfsbegründung konzediert, dass die Befristung der Mehrstimmrechte „von Gründern […] als erneutes Hindernis für einen Börsengang wahrgenommen“ werden könnte. Vor diesem Hintergrund versteht sich, dass der Entwurf nach § 135a Abs. 2 Satz 4 AktG-E für die Verlängerung der Mehrstimmrechte abweichend von ihrer Einführung einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit genügen lässt. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass Gründern damit ein aussichtsreicher Weg eröffnet ist, langfristig die Zügel in der Hand zu behalten. Insofern wäre eine Absenkung des Quorums auf die einfache Mehrheit der außenstehenden Aktionäre erwägenswert, zumal auch eine solche nicht ohne die Unterstützung von institutionellen Investoren zu erreichen wäre.

5. Hinreichende Erfassung der Risiken?

Der Regierungsentwurf begründet die Notwendigkeit gesetzlicher Schutzvorkehrungen damit, dass die Inhaber von Mehrstimmrechten „ein verhältnismäßig geringeres Risiko beim Scheitern des Unternehmens [tragen], zudem sind Missbräuche und Interessenkonflikte denkbar“. Diese Problemanalyse trifft zu. Sie bringt indes nicht deutlich genug zum Ausdruck, dass (a) die Governance-Risiken zunehmen, je geringer der Kapitalanteil des kontrollierenden Aktionärs ist, und (b) die Zunahme jener Risiken umgekehrt proportional zur Abnahme des Kapitalanteils verläuft.

Das illustriert der Unterschied einer Kontrolle mit verschiedenen Kapitalanteilen bei der Verfolgung einer Geschäftsstrategie mit negativem Erwartungswert, aber privaten Vorteilen – z.B. in Form der Verfolgung von politischen Überzeugungen à la Twitter / Elon Musk: Ist der kontrollierende Minderheitsaktionär für diese Überzeugung bereit, einen Wertverlust seiner Beteiligung in Höhe von EUR 1 Mio. in Kauf zu nehmen, so impliziert das bei 20 Prozent Kapitalbeteiligung die Inkaufnahme einer Verminderung des Gesellschaftswerts in Höhe von EUR 5 Mio., bei 10 Prozent Kapitalbeteiligung von EUR 10 Mio., bei 5 Prozent Kapitalbeteiligung von EUR 20 Mio., bei 3 Prozent Kapitalbeteiligung von EUR 33 Mio. und bei 2 Prozent Kapitalbeteiligung von EUR 50 Mio.

Hieraus folgt zugleich, dass sich das klassische Missbrauchsrisiko der Vermögensverschiebung auf den kontrollierenden Aktionär (sog. tunneling) durch Mehrstimmrechte potenziert, weil der Mehrstimmrechtsinhaber den Kapitalabfluss auf Seiten der Gesellschaft nur im Umfang seines Kapitalanteils finanziert.

a) Deckelung auf das Zehnfache des Stimmrechts

Dieses Risikoprofil adressiert der Entwurf unzureichend, indem er mit § 135a Abs. 1 Satz 2 AktG-E Mehrstimmrechte auf das zehnfache Stimmrecht deckelt. Diese Deckelung soll zwar sicherstellen, dass „die Inhaber der Mehrstimmrechte für die Kontrolle zumindest einen relevanten Anteil am Grundkapital halten müssen.“ Tatsächlich kann bei einem zehnfachen Stimmgewicht bereits ein Kapitalanteil von knapp über 9 Prozent genügen. Zudem steht der Entwurf einer Verbindung von Mehrstimmrechten mit der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien nicht entgegen, sodass die Mehrstimmrechte bereits bei unter 5 Prozent Kapitalanteil eine Mehrheit der Stimmrechte vermitteln. Und dabei bleibt noch unberücksichtigt, dass angesichts der Hauptversammlungspräsenzen bereits ein deutlich niedrigerer Kapitalanteil genügen dürfte.

Es liegt freilich in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, in welchem Umfang das Auseinanderfallen von Kapitalbeteiligung und Stimmrecht hingenommen werden kann. Es erscheint gleichwohl erwägenswert, zu regeln, dass Vorzugsaktien ohne Stimmrecht nicht ausgegeben werden dürfen, wenn die Satzung bereits Mehrstimmrechtsaktien vorsieht.

b) Minderheitskontrolle ohne unabhängige Aufsichtsratsmitglieder

Selbst wenn man davon ausgeht, dass das geltende Aktienrecht die Governance-Risiken materiell aufzufangen vermag, erscheint es doch bedenklich, auf die Kontrolle durch jene Aufsichtsratsmitglieder zu vertrauen, die der Mehrstimmrechtsaktionär selbst bestellt hat. Es erscheint daher erwägenswert, den übrigen Aktionären die Bestellung zumindest eines Aufsichtsratsmitglieds anheimzustellen.

c) Unveränderte Aufgreifschwelle für Related Party Transactions

Da Mehrstimmrechte die Anreize für tunneling erhöhen, rückt bei ihrer Zulassung das Regelungsregime für related party transactions in den Fokus. Dieses erweist sich zwar insofern als gewappnet, als § 111b Abs. 2 AktG bereits vorsieht, dass bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats konfliktbefangene Mitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben können. Da kontrollierende Minderheitsaktionäre jedoch bereits aus geringen Wertverschiebungen erhebliche Vorteile ziehen können, erscheint erwägenswert, die in § 111b Abs. 1 AktG definierte Aufgreifschwelle für Geschäfte mit Mehrstimmrechtsaktionären niedriger anzusetzen – jedenfalls, wenn man es dabei belassen wollte, dass diese die Gesellschaft mit einer Kapitalbeteiligung von unter 10 Prozent beherrschen könnten.

d) Kein Dispens der Mehrstimmrechte für Say on Pay, Disposition über Ersatzansprüche

Dieselben Erwägungen streiten dafür, vergütungsbezogene Hauptversammlungsbeschlüsse in den Katalog des § 135a Abs. 4 AktG-E aufzunehmen und die Mehrstimmrechte insoweit zu dispensieren. Denn ein kontrollierender Minderheitsaktionär beschließt insoweit über die Vergütung von ihm strukturell nahestehenden Personen, während die hierfür anfallenden Kosten von den übrigen Aktionären getragen werden. Aus denselben Gründen sollten Beschlüsse über den Verzicht auf Ersatzansprüche gegen Organmitglieder vom Mehrstimmrecht ausgenommen werden. Eine solche Ausdehnung wäre – ebenso wie die Erstreckung auf Beschlüsse zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gemäß § 147 AktG – außerdem nur konsequent, nachdem der Entwurf mit § 135a Abs. 4 AktG-E die Mehrstimmrechte bereits für die Bestellung von Sonderprüfern dispensiert.

II. Ausgewählte Anwendungsprobleme

Unabhängig von den vorstehend diskutierten rechtspolitischen Fragen wirft der Entwurf eine Reihe von Anwendungsproblemen auf, die im Gesetzgebungsverfahren noch geklärt werden sollten.

1. Mehrstimmrechte und künftige Kapitalmaßnahmen

a) Notwendigkeit von Sonderbeschlüssen?

Nach der Entwurfsbegründung bilden Mehrstimmrechtsaktien eine eigene Gattung. Mit Blick auf § 11 Satz 2 AktG kann daran kein Zweifel bestehen. Zweifelhaft erscheint demgegenüber, ob der Entwurf auch die Konsequenzen im Blick hat. Denn der Gattungsbegriff macht bei künftigen Kapitalmaßnahmen Sonderbeschlüsse gemäß § 182 Abs. 2, § 222 Abs. 2 AktG notwendig – und das verschiebt wiederum das Machtgefüge zwischen mehr- und einfachstimmberechtigten Aktionären. So erhält einerseits der Mehrstimmrechtsaktionär ein noch stärkeres Vetorecht. Vor allem aber stärkt die Notwendigkeit von Sonderbeschlüssen die Position der übrigen Aktionäre gegenüber dem Mehrstimmrechtsinhaber. Denn ebenso wie die Mehrstimmrechtsaktien bilden dann auch die einfachstimmberechtigten Aktien eine separate Gattung, von deren Zustimmung der Erfolg der Kapitalmaßnahme abhängt. Und bei dieser Beschlussfassung ist der Mehrstimmrechtsaktionär gänzlich außen vor: Er gehört nicht zur Gattung und ist deshalb nicht stimmberechtigt.

b) Bezugsrecht auf Mehrstimmrechtsaktien?

Nimmt man § 135a Abs. 1 Satz 3 AktG-E beim Wort, bedarf die Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten stets der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre. Die dahinterstehende Sorge vor einer Verschiebung der Stimmrechtsverhältnisse hat ihre Berechtigung. Im Rahmen von Kapitalerhöhungen ist die Ausgabe neuer Mehrstimmrechtsaktien jedoch für die Wahrung der Stimmrechtsverhältnisse erforderlich. Denn die überproportionale Stimmkraft des Mehrstimmrechtsaktionärs verwässerte, würde er mit den übrigen Aktionären lediglich einfachstimmberechtigte Aktien beziehen. Selbst wenn man mit der herrschenden Lehre annimmt, dass § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG ein verhältniswahrendes Gattungsbezugsrecht gewährt, wirft § 135a Abs. 1 Satz 3 AktG-E die Frage auf, ob eine verhältniswahrende Kapitalerhöhung dann trotzdem die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre verlangt.

2. Anwendungsprobleme der Erlöschenstatbestände

a) Kontrollwechsel bei juristischer Person als Übertragungsfall?

Die wichtigste Frage bei der Anwendung der Erlöschenstatbestände betrifft den Übertragungsfall. Die Entwurfsbegründung will den Begriff weit verstehen, weil damit „[d]er Zweck der Mehrstimmrechte, ihnen auch nach dem Börsengang in der Wachstumsphase eine Kontrolle über die Unternehmensstrategie zu ermöglichen, entfällt“. Dass der Entwurf es gleichwohl zulässt, dass Mehrstimmrechte von juristischen Personen gehalten werden, ist rechtspolitisch schwer verständlich (oben I.1.). Sollte daran festgehalten werden, wäre es dringend erforderlich, die Kriterien festzulegen, nach denen die Übertragung von Anteilen an der Beteiligungsgesellschaft als Übertragung im Sinne des § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG-E zu qualifizieren ist. Insoweit gälte es insbesondere, das Verhältnis zum Zurechnungsregime des WpÜG zu klären.

b) Einbeziehung in den Freiverkehr ohne Zustimmung der Gesellschaft?

Die Erlöschenstatbestände gelten nicht nur für börsennotierte Gesellschaften, sondern auch für Gesellschaften, deren Aktien in den Handel im Freiverkehr einbezogen sind. Diese Einbeziehung erfordert indessen kein Einverständnis des Emittenten. Damit unterliegen Mehrstimmrechtsaktionäre in der nichtbörsennotierten Gesellschaft dem Risiko, gegen ihren Willen dem Minderheitenschutzregime börsennotierter Gesellschaften unterworfen zu werden. Dadurch wird die Erweiterung der Gestaltungsfreiheit in der nichtbörsennotierten Gesellschaft untergraben. Auch dieser Weg ist freilich gangbar, nicht zuletzt aus Anlegerschutzerwägungen. Jedoch bestehen auch insoweit Zweifel, wie bewusst er eingeschlagen wurde. Die Alternative bestünde darin, § 135a Abs. 1 Satz 1 AktG-E auf Gesellschaften zu beschränken, deren Aktien mit Zustimmung des Emittenten in den Handel im Freiverkehr einbezogen sind.

3. Pflichtangebot nach Erlöschen der Mehrstimmrechte?

Aus Sicht der Übernahmepraxis wirft der Entwurf eine Reihe von Detailfragen auf (siehe nur Denninger/von Bülow, AG 2023, 417). Explizit adressiert die Entwurfsbegründung indessen die Folgen des passiven Kontrollerwerbs infolge des Erlöschens von Mehrstimmrechten. Sie verweist darauf, dass „in derartigen Fällen eine Befreiung von den übernahmerechtlichen Pflichten […] gemäß § 37 WpÜG i.V.m. § 9 Satz 1 Nummer 5 WpÜG-Angebots-VO möglich [ist]“. Sie ist indes regelmäßig nicht gerechtfertigt: Das Erlöschen der Mehrstimmrechte und der damit verbundene relative Stimmzuwachs der einfachstimmberechtigten Aktionäre ist nach der Konzeption des Entwurfs sehr wohl erwartbar. Unsicherheiten bestehen allein über den Zeitpunkt.

4. Verhältnis zum Konzernrecht

Das Konzernrecht ist gleichsam der Elefant im Raum der Diskussion über eine Minderheitskontrolle qua Mehrstimmrecht. Denn es steht zu vermuten, dass die Anwendung des Konzernrechts gerade jene Gründer abschrecken dürfte, die der Entwurf durch die Bereitstellung von Mehrstimmrechten gerade zum Börsengang ermutigen möchte. Für die Annahme eines beherrschenden Einflusses genügt allerdings die Möglichkeit, „für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit durchzusetzen“ (BGHZ 135, 107). Die entscheidende Frage lautet daher, ob ein kontrollierender Mehrstimmrechtsaktionär dem konzernrechtlichen Begriff des „Unternehmens“ im Sinne der §§ 15 ff. AktG unterfällt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH „ist ein Aktionär dann Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne, wenn er neben der Beteiligung an der Aktiengesellschaft anderweitige wirtschaftliche Interessenbindungen hat, die nach Art und Intensität die ernsthafte Sorge begründen, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ausüben.“ (BGHZ 148, 123). Zugleich geht die herrschende Meinung davon aus, dass der Unternehmensbegriff jene Privataktionäre privilegiert, deren unternehmerische Interessen sich in der Wahrnehmung der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft beschränken. Danach wären zumindest kontrollierende Mehrstimmrechtsaktionäre, die (i) ihre Aktien persönlich halten und (ii) neben der Beteiligung an der Gesellschaft über keine wesentlichen anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindungen verfügen, nicht als herrschende Unternehmen zu qualifizieren. Zuletzt ist dieser Unternehmensbegriff allerdings wieder unter Druck geraten (siehe nur J. Vetter, 50 Jahre Aktienkonzernrecht, 2015, S. 231, 239).

Will der Gesetzgeber Mehrstimmrechtsaktionäre mit Blick auf die Schutzmechanismen des § 135a AktG-E von den konzernrechtlichen Vorschriften ausnehmen, sollte er dies zumindest in den Gesetzgebungsmaterialen klarstellen. Rechtspolitisch ließe sich ein safe harbor jedenfalls für jene Personen rechtfertigen, die auch im Fokus des Entwurfs stehen: Maßgebliche Ideengeber, die in der Wachstumsphase nach dem Börsengang die Kontrolle über die Strategie „ihres“ Unternehmens behalten wollen und deshalb neben der Beteiligung an der Gesellschaft über keine wesentlichen anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindungen verfügen. Ein solcher Ansatz würde noch an Überzeugungskraft gewinnen, wenn der Entwurf noch stärker auf die Governance-Risiken der Mehrstimmrechtsaktien reagierte (oben I.5.).

Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses zum Entwurf der Mehrstimmrechtsaktien-RL

Die Diskussion über die Einführung der Mehrstimmrechtsaktien im Zuge des Listing Acts ist im vollen Gange (zum Entwurf der Mehrstimmrechtsaktien-RL s. etwa Casper, ZHR 187 (2023), 5, 29 f.; Gumpp, BKR 2023, 82, 88 f.; Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; Kuthe, AG 2023, R28, R29; von der Linden/Wilk, NZG 2023, 193; Schlitt/Ries, NZG 2023, 145). Am 27.2.2023 hat der Ausschuss Handelsrecht des Deutschen Anwaltvereins eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er den Vorstoß der Europäischen Kommission zwar grundsätzlich begrüßt, aber eine Reihe von Änderungsvorschlägen unterbreitet. Zahlreiche Anregungen des Ausschusses sind durchaus erwägenswert: eine ausdrückliche Regelung zur KGaA und SE, eine Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit von Sonderbeschlüssen benachteiligter Aktionäre, eine weitere Klarstellung, dass die Schaffung der Mehrstimmrechtsaktien durch Ausübung genehmigten Kapitals unzulässig ist, und die Konkretisierung der Obergrenzen für die Stimmrechtsmacht in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. b Mehrstimmrechtsaktien-RL-E. Überzeugend sind zudem die Überlegungen zur Ausgestaltung der sunset clauses, zur Erweiterung der gegenständlichen Beschränkungen in Art. 5 Abs. 2 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E sowie zu den Transparenzvorgaben in Art. 6 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E.

Zwei Vorschläge des DAV-Handelsausschusses sind dagegen bedenklich: die erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Mehrstimmrechtsaktien-RL und die Streichung der „Klimaschutz-Regelung“ in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E.

Anwendungsbereich der Mehrstimmrechtsaktien-RL zwischen Mindest- oder Vollharmonisierung

Nach dem bisherigen Konzept der EU-Kommission soll die Mehrstimmrechtsaktien-RL nur insoweit einen Harmonisierungsdruck erzeugen, als Mehrstimmrechtsaktienstrukturen lediglich für Aktiengesellschaften geöffnet werden sollen, die eine Notierung auf einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben (vgl. Art. 4 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E). Werden die Aktien bereits auf einem KMU-Wachstumsmarkt oder einem anderen Handelsplatz gehandelt oder will der (künftige) Emittent die Aktien von vornherein in einem anderen Marktsegment als KMU-Wachstumsmarkt – etwa im geregelten Markt – platzieren, können die Mitgliedstaaten die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen gem. Art. 3 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E zulassen, müssen es aber nicht. Kein Zwang zur Zulassung der Mehrstimmrechtsaktien gilt ferner für geschlossene Aktiengesellschaften; auch insoweit folgt der Richtlinienentwurf dem Konzept der Mindestharmonisierung (vgl. auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 30: große Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten).

Dagegen schwebt dem DAV-Handelsrechtsausschuss eine Vollharmonisierung dahingehend vor, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für alle Aktiengesellschaften zu öffnen – und zwar unabhängig davon, ob die Aktien bereits auf einem geregelten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem (MTF), das kein KMU-Wachstumsmarkt ist, gehandelt werden oder ob die Eigentümer der Gesellschaft überhaupt den das Börsenparkett betreten möchten (vgl. S. 9 ff. der Stellungnahme; für Erstreckung auf alle MTF Gumpp, BKR 2023, 82, 89). Dabei vermisst der Ausschuss eine tragfähige Begründung für die Ausklammerung der Gesellschaften, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrstimmrechtsaktien-RL fallen.

Mehrstimmrechtsaktienstrukturen in allen Kapitalmarktsegmenten

Der Vorschlag des DAV-Handelsrechtsausschusses, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für Gesellschaften in allen Kapitalmarktsegmenten zu öffnen, klingt bei unbefangener Betrachtung verlockend, weil er einer weiteren Fragmentierung des – ohnehin unübersichtlichen – Aktien- und Kapitalmarktrechts in der Europäischen Union entgegenwirkt. Zudem will der Ausschuss offenbar erreichen, dass die Kapitalmarktteilnehmer mit den Füßen darüber abstimmen, ob sie Unternehmen mit einer „one share, one vote“-Kultur oder mit einer Mehrstimmrechtsaktienstruktur für vorzugswürdig halten (zur Einstellung der Investoren und Stimmrechtsberater vgl. Denninger, DB 2022, 2329, 2334; Kuthe, AG 2023, R28, R29; Nicolussi, AG 2022, 753 Rz. 43; von der Linden/Wilk, NZG 2023, 193). In Zeiten eines übergreifenden Paternalismus wirkt die damit verbundene Liberalisierungsbrise erfrischend.

Dennoch geht die Kritik an der Harmonisierungskonzeption der EU-Kommission zu weit. Die Kommission versteht die Zulassung von Mehrstimmrechtsaktienstrukturen augenscheinlich als ein Instrument, um kleine und mittlere Unternehmen an den öffentlichen Kapitalmarkt zu locken und damit ihre Finanzierungsbasis zu stärken: Die Investoren der ersten Stunde können einerseits den externen Anlegern die Beteiligung am Unternehmen ermöglichen, müssen aber andererseits keinen Machtverlust befürchten, wenn sie sich ausreichend Mehrstimmrechtsaktien sichern. Ist ein KMU bereits auf einem Handelsplatz notiert, bedarf es der Mehrstimmrechtsaktien als Lockmittel nicht mehr; insoweit ist das Konzept der EU-Kommission durchaus in sich schlüssig.

Will die Gesellschaft von vornherein ins kalte Wasser springen und eine Notierung auf einem „höherwertigen“ Marktsegment anstreben, kann die Zurückhaltung der EU-Kommission mit einem Verweis auf die kritischen Stimmen begründet werden, die vor einer allzu breiten Öffnung des Gesellschaftsrechts für Mehrstimmrechtsaktienstrukturen warnen: Die Mehrstimmrechtsaktien schaffen das Risiko, die Kontrollfunktion der Kapitalmärkte auszuhebeln und die Governance-Strukturen zu schwächen (s. nur Casper, ZHR 187 (2023), 5, 24 ff.; Denninger, DB 2022, 2329, 2331 ff.; Herzog/Gebhard, ZIP 2022, 1893, 1899 f.). Dies relativiert die Zwangsläufigkeit, die der DAV-Handelsrechtsausschuss im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Marktsegmente vorspiegelt.

Namentlich ist die Schaffung eines level playing field, auf das der DAV-Handelsrechtsausschuss mehrfach Bezug nimmt, bei Lichte besehen nicht zwingend. Wieso sollte der Richtliniengeber den Wettbewerb zwischen den nationalen Aktienrechtsordnungen durch eine zwingende Vorgabe unterbinden, deren Daseinsberechtigung nicht unumstritten ist? Das bisherige Konzept der EU-Kommission hat – auch im Lichte des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) – den Charme, im Zeitalter der Mobilitäts-RL die Bedingungen für einen Systemwettbewerb zu schaffen, in dem beobachtet werden kann, welche Anziehungskraft Mehrstimmrechtsaktien für notierungswillige Gründer haben (s. dazu bereits Nicolussi, AG 2022, 753 Rz. 17; zur Competition of Policy Makers jüngst auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 27 ff.). Erweisen sich Rechtsordnungen, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen generell zulassen, als überlegen, kann die EU-Kommission diesen Umstand im Rahmen der ohnehin vorgeschriebenen Überprüfung berücksichtigen und den Anwendungsbereich der Richtlinie erweitern (vgl. Gumpp, BKR 2023, 82, 89: Test; trial and error).

Nebenbei: Entscheidet sich der Richtliniengeber dafür, von der ursprünglichen Konzeption der EU-Kommission abzurücken und die Vorschläge des DAV-Handelsrechtsausschusses umzusetzen, sollte er über den Standort der Regelung nachdenken, die die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für Gesellschaften aller Kapitalmarktsegmente öffnet. Jedenfalls für börsennotierte Aktiengesellschaften spricht viel dafür, insoweit die Aktionärsrechte-RL zu ändern, statt die Zulässigkeit der Mehrstimmrechtsaktien in einer separaten Richtlinie zu regeln.

Mehrstimmrechtsaktienstrukturen in geschlossenen Gesellschaften

In der Sache überzeugend sind die Ausführungen des DAV-Handelsrechtsausschusses zu Mehrstimmrechtsaktiensystemen in geschlossenen Gesellschaften. Es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, solchen Unternehmen die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien zu verbieten (s. bereits Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; s. auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 30). Nur: Ist eine EU-Richtlinie der richtige Ort, um die Governance-Vorgaben für Unternehmen jenseits des Kapitalmarkts zu lockern?

Die EU-Kommission stützt ihren Vorschlag auf Art. 50 AEUV und Art. 114 AEUV. Wieso das Verbot der Mehrstimmrechtsaktien in kapitalmarktfernen Gesellschaften die Niederlassungsfreiheit einschränkt und deshalb qua Richtlinie abgeschafft werden muss, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Auch ein Binnenmarktmarktbezug drängt sich bei geschlossenen Unternehmen nicht auf. Insoweit sollte der Richtliniengeber – ggf. mit Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip – an der bisherigen Konzeption festhalten und die Entscheidung den Mitgliedstaaten überlassen.

Streichung des „ESG-Artikels“

Auf S. 20 f. der Stellungnahme beschäftigt sich der DAV-Handelsrechtsausschuss mit Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E. Diese Vorschrift enthält eine Regelung für Fälle, in denen die Mehrstimmrechte ausgeübt werden, um Hauptversammlungsbeschlüsse zu blockieren, die darauf abzielen, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Dass der „ESG-Artikel“ überrascht, wurde bereits im Blog-Beitrag v. 13.12.2022 näher erläutert – eine Streichung erscheint aber dennoch vorschnell.

Insbesondere verstößt Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E nicht zwingend gegen das aktienrechtliche Kompetenzsystem. Wenn der DAV-Handelsrechtsausschuss auf § 119 AktG verweist, blendet er aus, dass die deutsche Organisationsverfassung nicht alternativlos ist und die EU-Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung flexibel sind. Hinzu kommt, dass Deutschland nicht verpflichtet wäre, Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E umzusetzen. Vielmehr enthält Art. 5 Abs. 2 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E lediglich eine Liste mit optionalen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten (ggf. in modifizierter Form) erlassen können. Im Hinblick darauf und die derzeitige Diskussion um „Say on ESG“ wirkt der Vorschlag des Ausschusses wie ein (nicht zeitgemäßer) Versuch, jeglichen Gedanken an eine Erweiterung der HV-Kompetenzen im Keim zu ersticken.