Die Wiederaufnahme des Sitzungsbetriebes bei Gericht in Corona-Zeiten

Derzeit denken alle an die Zeit „danach“. Aber so schnell wird die Normalität voraussichtlich nicht zurückkehren können. Nun soll aber wenigstens der Sitzungsbetrieb bei den Gerichten teilweise wieder aufgenommen werden. Hierfür werden bei den Gerichten Vorbereitungen getroffen. Was genau geschieht?

Zunächst einmal wird durch entsprechende Hausverfügungen und Instruktionen des Kontrollpersonals an den Eingängen sichergestellt, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt wird bzw. erhalten bleibt. Weiterhin müssen die Sitzungssäle umgestaltet werden. Die Säle müssen so ausgestattet werden, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern durchweg gewahrt werden kann. Dies geschieht in aller Regel durch Verschiebung des Mobiliars, Markierungen auf dem Boden und auf den Tischen, mitunter durch das Aufstellen von Trennscheiben. All dies wird teilweise in ständigem Kontakt der Gerichtspräsidenten untereinander und mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte (Videokonferenzen) beschlossen und entschieden. Besonders problematisch ist die Einhaltung des Mindestabstandes bei den Kollegialgerichten, zumal dadurch auch eine sonst unproblematisch mögliche kurze Verständigung zwischendurch sehr erschwert wird. Durch die Markierungen sehen die Säle zum Teil etwas seltsam aus.

Ein besonderes Problem stellen die Aufenthalts- und Wartebereiche dar. Diese sind oftmals ohnehin bei der Planung der Gebäude zu kurz gekommen. Nunmehr entsteht das Problem der Wahrung des Mindestabstandes bei den Wartenden und der ausreichenden Belüftung der betroffenen Bereiche. Es wird daher voraussichtlich nichts anderes übrigbleiben, als jedenfalls teilweise Sitzungssäle zu Aufenthaltsräumen umzufunktionieren, zumal die Gänge oftmals sehr schwer zu belüften sind.

Gleichzeitig kann nicht einfach jeder Richter irgendwie Termine bestimmen, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich zu viele Personen auf den Fluren aufhalten und der Mindestabstand schon deswegen nicht gewahrt werden kann. Es bedarf daher eines Mindestmaßes an Absprachen und Organisation. All dies wird noch dadurch erschwert, dass einige Mitarbeiter (und auch Richter) immer noch krank sind bzw. als Risikogruppe in das Homeoffice gezwungen sind.

Es gilt daher, eine Fülle von praktischen Schwierigkeiten mit Improvisationsgeschick, Geduld und Erfindungsgeist zu überwinden.

Gleichwohl besteht die Hoffnung, dass demnächst bei den Gerichten wieder ein wenig Normalität einkehren kann. Alle Beteiligten sind dazu aufgerufen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beizutragen, dass keine besonderen Schwierigkeiten auftreten werden. So können beispielsweise die Rechtsanwälte die Mandanten schon vor dem Termin auf die voraussichtliche Situation vorbereiten bzw. hinweisen.

Gleichwohl sollte es gelingen, in wenigen Wochen wieder halbwegs normale Verhältnisse bei den Gerichten herbeizuführen.

OLG Frankfurt: Beschwer der Partei bei Festsetzung eines zu niedrigen Streitwerts

In einem Zivilprozess hatte das LG den Streitwert auf 25.000 EUR festgesetzt. Die Beklagtenvertreter legten ausdrücklich „namens des Beklagten“ gegen den entsprechenden Beschluss Beschwerde ein und beantragten die Festsetzung des Streitwertes auf über 22 Millionen EUR. Das LG half der Beschwerde teilweise ab, indem es den Streitwert auf etwas über 4 Millionen EUR festsetzte. Im Übrigen half das LG der Beschwerde nicht ab, sondern legte die Sache dem OLG zur Entscheidung vor.

Das OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.8.2019 – 8 W 36/19, verwarf die Beschwerde – soweit ihr von dem LG nicht abgeholfen wurde – als unzulässig. Dieses vielleicht auf den ersten Blick überraschende Ergebnis ist bei näheren Hinsehen klar: Die Partei selbst kann durch eine zu niedrige Festsetzung des Streitwertes regelmäßig nicht beschwert sein, denn sie müsste bei einem höheren Streitwert mehr an ihren Rechtsanwalt zahlen, was einen Nachteil darstellt und keinen zu erstrebenden Vorteil. Es gibt von diesem Grundsatz zwar Ausnahmen (z.B., wenn eine Honorarvereinbarung bei einem höheren Streitwert zu einem niedrigeren Gesamthonorar führen könnte), eine solche liegt jedoch hier nicht vor. Die Partei kann auch eine Streitwertbeschwerde nicht dazu nützen, das finanzielle Prozessrisiko der Gegenpartei zu steigern. Ein solches Begehren begründet gerade keine Beschwer.

Nachdem vorliegend die Beschwerde ausdrücklich „namens des Beklagten“ erhoben wurde, und auch weiterhin im Rahmen der Beschwerde erklärt wurde, der Beklagte halte an dem Rechtsmittel ausdrücklich fest, kommt eine Umdeutung oder andere Auslegung des Rechtsmittels nicht in Betracht.

Beschwert ist durch eine zu niedrige Streitwertfestsetzung hingegen der Rechtsanwalt. Deswegen darf er gegen eine zu niedrige Festsetzung des Streitwertes Beschwerde einlegen (§ 32 Abs. 2 RVG).

Zwar ist die Rechtsprechung der Beschwerdegerichte in Zweifelsfällen oftmals durch eine großzügige Auslegung von Rechtsmitteln behilflich (das Rechtsmittel wird im Zweifel so ausgelegt, dass es wirksam ist), darauf sollte man sich allerdings nicht unbedingt verlassen. Der Rechtsanwalt sollte vielmehr vor dem Einlegen einer Streitwertbeschwerde genau überlegen, ob er sie im Namen der von ihm vertretenen Partei oder im eigenen Namen einlegt. Da die Beschwerde nicht so schnell verfristet (§§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG), wird es auch noch häufiger möglich sein, nach Verwerfung einer Beschwerde noch eine weitere, zulässige Beschwerde einzulegen.

 

 

 

Verkündungstermine in Corona-Zeiten

Wegen der Corona-Pandemie ist die Bestimmung von Terminen derzeit mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Daher dürfte es sich empfehlen, vor der Terminsbestimmung mit den Parteivertretern ein telefonisches Einvernehmen herbeizuführen, ob der Termin durchgeführt werden soll. Im Sitzungssaal ist sicherzustellen, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann.

Allerdings geht es dabei nicht nur um Verhandlungstermine. Zahlreiche Verkündigungstermine sind ebenfalls bestehen geblieben. Die Situation wirft die Frage auf, ob bei diesen Verkündungsterminen derzeit der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt ist.

Bekanntlich muss eine Urteilsverkündung in Zivilsachen in öffentlicher Sitzung erfolgen (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zahlreiche Gerichtspräsidenten haben jedoch Anordnungen bezüglich des Betretens der Gerichte erlassen, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine Verkündung tatsächlich noch öffentlich wäre. Zwar erhalten Personen, die von dem Verkündungstermin Kenntnis haben, an dem Verfahren beteiligt sind und/oder sich erkundigen wollen, regelmäßig Zutritt. Aber dies alleine reicht nicht aus, um die Verkündung tatsächlich zu einer öffentlichen Verkündung zu machen. Notwendig ist dafür vielmehr, dass jedermann jederzeit grundsätzlich Zutritt haben könnte.

Dem Grundsatz der Öffentlichkeit ist große Bedeutung beizumessen. Das BAG hat ein Urteil eines LAG nur deswegen aufgehoben, weil der Grundsatz der Öffentlichkeit bei der Verkündung desselben infolge einer Nachlässigkeit nicht gewahrt wurde (§ 547 Nr. 5 ZPO; BAG, Beschl. v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16)! Glücklicherweise gibt es nur absolute Revisionsgründe, jedoch keine absoluten Berufungsgründe. Die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit ist in § 538 Absatz 2 ZPO als Grund für eine notwendige Aufhebung und Zurückverweisung nicht genannt.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Wie kann man gegenwärtig sicherstellen, dass eine Verkündung tatsächlich dem Grundsatz der Öffentlichkeit genügt? Folgender Weg könnte das Problem lösen: Direkt am Eingang des Gerichts wird deutlich sichtbar eine Nachricht angebracht, worin vermerkt ist, dass alle Verkündungstermine in einem dort bezeichneten Saal stattfinden. Dieser Saal muss so beschaffen sein, dass durch ein Fenster zur Straße hin verkündet werden kann. Auf der Nachricht muss beschrieben sein, wie man von außen zu dem Saal gelangen kann. Wer also einem Verkündungstermin beiwohnen will, kann sich zur genannten Zeit vor dem Fenster positionieren. Es muss mit der Verkündung einige Minuten gewartet werden, damit eventuelles Publikum den Saal von außen finden kann. Am ursprünglich vorgesehenen Verkündungsort muss ein Hinweis auf den neuen Verkündungsort angebracht worden sein. Auf diesem Wege dürfte der Grundsatz der Öffentlichkeit jedenfalls gewahrt sein.

BVerwG: Erstattungsfähige Reisekosten bei Bahnreisen

Eine interessante Entscheidung hat das BVerwG (Beschl. v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19) zur Frage der Reisekosten bei Bahnfahrten getroffen. Die Entscheidung erging auf eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.

Nachdem der Kläger den Prozess letztinstanzlich verloren hatte, beantragte die beklagte Behörde, die Kosten für die Bahnreise eines Behördenvertreters zum Termin der mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG zu Lasten des Klägers festzusetzen.

Zwar muss jede Partei die Kosten möglichst niedrig halten, jedoch sind die Kosten für die Teilnahme an einem Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich erstattungsfähig, selbst wenn ein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war. Gemäß § 5 Abs. 1 JVEG sind Kosten für Bahnfahrten ohne weiteres erstattungsfähig. Dem Grunde nach bestehen gegen den Anspruch somit keine Bedenken.

Fraglich war hier deswegen vor allem die Höhe. Die Beklagte wollte die Kosten für einen eingekauften „Flexpreis“-Tarif erstattet haben, der Kläger wollte nur den „Super-Sparpreis“ bezahlen. Das BVerwG gibt der Behörde Recht. Insoweit sind aus mehreren Gründen berechtigte Interessen des zum Termin Anreisenden (bzw. der von ihm vertretenen Partei) anzuerkennen. Der Anreisende muss in gewissem Sinne flexibel sein und bleiben. Für den Abreisezeitpunkt ergibt sich dies bereits daraus, dass die Dauer eines Termins nicht immer zuverlässig voraussehbar ist. Aber auch bei der Anreise kann es Probleme geben, die eine frühere oder spätere Anreise erforderlich machen können. Darüber hinaus sind die „Super-Sparpreise“ regelmäßig nicht erstattungsfähig. Wenn also – was durchaus nicht selten vorkommt – der Termin ausfällt bzw. verschoben werden muss, z.B. wegen einer Erkrankung eines Beteiligten, sind die Kosten für die „Super-Sparpreis“-Fahrkarte verloren. Bei einem Flexpreis-Tarif hingegen ist regelmäßig wenigstens eine Erstattung zu einem überwiegenden Teil möglich. Zu einer „Jagd auf Fahrpreis-Schnäppchen“ ist der Anreisende nicht verpflichtet. Eine solche Pflicht zu statuieren, würde zu weit gehen.

Fazit: Reisekosten eines Verfahrensbeteiligten in Gestalt von Fahrkarten der Deutschen Bahn im sog. „Flexpreis“-Tarif sind stets erstattungsfähig. Eine lebensnahe Entscheidung, die Zustimmung verdient und Schule machen sollte.

 

 

 

BGH: Aufklärung von Widersprüchen zwischen Sachverständigengutachten

Die Klägerin lieferte der Beklagten ein Substrat zur Pflanzenaufzucht. Die darin alsdann aufgezogenen Pflanzen wiesen einen Trauermückenbefall auf und konnten deswegen nicht verkauft werden. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Beklagten Schadensersatz. Das LG hatte der Klage stattgegeben, das OLG hatte sie abgewiesen und war im Wesentlichen der Auffassung eines von der Beklagten eingeschalteten Privatgutachters gefolgt, die der gerichtlich bestellte Gutachter allerdings überwiegend nicht geteilt hatte.

Der BGH (BGH, Beschl. v. 5.11.2019 – VIII ZR 344/18, MDR 2020, 114) hebt die Entscheidung des OLG auf und verweist – sogar an einen anderen Spruchkörper – zurück. Er wirft dem OLG vor, ohne logische und nachvollziehbare Begründung von den Ausführungen des Privatgutachters ausgegangen zu sein. Auch wenn es sich bei einem Privatgutachten nur um urkundlich belegten Parteivortrag handelt, muss das Gericht Widersprüchen zwischen dem Privatgutachten und dem Gerichtsgutachten nachgehen. Wie dies erfolgt, steht im Ermessen des Gerichts, beispielsweise können die Gutachter in einem Termin gegenübergestellt werden. Unter Umständen muss dann noch gemäß § 412 Abs. 1  ZPO ein weiteres Gutachten eingeholt werden, wenn es nicht gelingt, die Widersprüche aufzuklären. Erst wenn alle Aufklärungsbemühungen erfolglos geblieben sind, dürfen die verbliebenen Diskrepanzen frei gewürdigt werden.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall war zunächst zu beachten, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sich jede Partei ein ihr günstiges Beweisergebnis jedenfalls hilfsweise zu eigen macht. Dies galt hier für verschiedene Umstände, die der Gerichtssachverständige zu Gunsten der Klägerin ermittelt hatte. Eben auf diese verschiedenen Umstände wurde im Rahmen der Entscheidungsgründe vom OLG gar nicht eingegangen, wenngleich der Widerspruch zum Privatgutachten auf der Hand lag.

Damit kann festgehalten werden: Klärt das Gericht entscheidungserhebliche Widersprüche zwischen den Schlussfolgerungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und denjenigen eines Privatgutachters nicht hinreichend auf, sondern folgt ohne logische und nachvollziehbare Begründung den Ausführungen eines von ihnen – vorliegend denjenigen des Privatgutachters -, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 286 ZPO) und ist damit das rechtliche Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) derjenigen Partei, die sich das ihr günstige Beweisergebnis – vorliegend in Form eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens – zu eigen gemacht hat, verletzt.

Fazit: Für die Praxis bedeutet dies, dass das Gericht bei Widersprüchen zwischen verschiedenen Sachverständigengutachten nicht vorsichtig genug sein kann und sich sehr tief in die Materie einarbeiten muss. Keinesfalls darf einem von zwei Gutachten ohne überzeugende Begründung gefolgt werden.

OLG Frankfurt: Kostenhaftung des Antragsgegners im Streitverfahren

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Verfahren „versanden“. Sie kommen irgendwie aus den verschiedensten Gründen (z. B.: Mandant unerreichbar oder verstorben, Anwälte reagieren nicht mehr, Gericht entfaltet keine Tätigkeiten mehr, allseitige Unlust usw.) zum Erliegen. Das Gericht legt die Akte dann gemäß der Aktenordnung nach sechs Monaten weg. Sehr häufig passiert dies im Anschluss an ein Mahnverfahren. Regelmäßig ereignet sich in der Praxis die folgende Konstellation, wie in einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 18.7.2019 – 18 W 107/19): Es ergeht ein Mahnbescheid, diesem wird in vollem Umfang widersprochen. Der Streitantrag von Antragsteller war gestellt, der erforderliche weitere Kostenvorschuss wird von diesem jedoch nicht mehr gezahlt.

In einer solchen Konstellation hat der Antragsgegner oftmals ein eigenes Interesse daran, das Verfahren zu Ende zu bringen; und sei es nur, um einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsteller zu erlangen. Da der Antragsteller – wie im Zivilprozess üblich – zu nichts gezwungen werden kann, muss dann der Antragsgegner selbst aktiv werden. Er kann seinerseits einen Streitantrag stellen, dann wird das Verfahren vom Mahngericht an das Streitgericht abgegeben. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG darf die Abgabe in diesem Fall allerdings nicht von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht werden. Reagiert dann der Antragsteller nicht mehr, kommt es oft letztlich zu einem klageabweisenden Versäumnisurteil gegen den früheren Antragsteller und nunmehrigen Kläger. Meistenteils geben die Kläger aber vorher auf und nehmen die Klage zurück, weil dies viel billiger ist. Es fallen dann nämlich nur 1/3 der Gerichtskosten und keine weiteren Anwaltskosten an, insbesondere keine Termingebühren.

Es ist allerdings zu beachten, dass der Antragsgegner durch den Streitantrag zum Kostenschuldner wird (§ 22 Abs. 1 GKG)! Mahn- und Streitverfahren sind kostenrechtlich zwei Rechtszüge. Hatte der Antragsteller – ohne den Kostenvorschuss gezahlt zu haben – schon den Streitantrag gestellt, so haften beide Parteien als Gesamtschuldner; eine Enthaftung des Antragsgegners folgt daraus nicht. Dies begründet das OLG Frankfurt ausführlich.

Dieses Kostenrisiko muss bei Streitanträgen von Antragsgegnerseite unbedingt beachtet werden. Wenn z. B. – was sich in der Praxis durchaus ereignet (!) – ein Antragsteller ohne zureichende finanzielle Mittel im Mahnverfahren – lediglich aus sachfremden Motiven heraus – einen Mahnbescheid über eine sehr hohe, angebliche Forderung beantragt, so sollte man als Antragsgegner von einem eigenen Streitantrag Abstand nehmen, sonst erreicht der Antragsteller genau das, was er eigentlich will: Die Belastung des Antragsgegners mit Kosten. Auf dieses Risiko muss der Rechtsanwalt, der den Antragsgegner vertritt, diesen unbedingt hinweisen, sonst könnte er sich schadensersatzpflichtig machen!

Das OLG Frankfurt wurde im Erinnerungsverfahren mit dieser Sache befasst. Es hat bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass  dieses Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren kosten- und kostenerstattungsfrei ist (§ 66 Abs. 8 GKG).

BGH: Und wieder einmal zum rechtlichen Gehör

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist in den letzten Jahren einer der beliebtesten Aufhebungsmuster des BGH geworden. Fast in jeder aufhebenden Revisionsentscheidung liest man davon und darüber. Dies ist zwar im Gesetz durchaus angelegt (§ 544 Abs. 7 ZPO), jedoch würde man sich oftmals doch gerne andere Aufhebungsmuster mit abweichenden Begründungen wünschen.

In einer der letzten Entscheidungen hierzu hat der BGH (Beschl. v. 18.7.2019 – IX ZR 276/17) jedoch einige Ausführungen vorgelegt, die man sich merken sollte:

Jedes Gericht ist – das sollte selbstverständlich sein – dazu verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet aber nicht, dass sich ein Gericht auch mit jedem Vorbringen einer Partei in den Entscheidungsgründen (und damit auch im Tatbestand) ausdrücklich befassen müsste. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass ein Gericht jegliches Vorbringen zur Kenntnis genommen hat, auch wenn in dem Urteil selbst das fragliche Vorbringen gar nicht erwähnt wurde.

Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass ein bestimmtes Vorbringen tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen bzw. erwogen wurde. Nur dann liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Diese Sichtweise entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG.

Jede andere Sicht der Dinge wäre auch abwegig: Die Parteien hätten dann die Möglichkeit, den Umfang eines Urteils durch den Vortrag von offensichtlich Unerheblichem mittelbar zu bestimmen.

Für die Parteien ist dies auch nicht unzumutbar oder gar „gefährlich“. In der Revisionsinstanz besteht immer noch die Möglichkeit, eine Verfahrensrüge anzubringen und das übergangene Vorbringen als doch erheblich zu rügen.

Im konkreten Fall wurden die besonderen Umstände bejaht, da hier offensichtlich etwas übersehen wurde. Der Beklagte hatte konkret etwas behauptet, was das OLG als nicht vorhanden bezeichnet hat. Dies stellt natürlich eine „klassische“ Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs dar.

BGH zum stillschweigenden Wiedereinsetzungsantrag

Im Rahmen eines Teilungsversteigerungsverfahrens hatte die Antragsgegnerin gegen einen am 25.1.2018 zugestellten Beschluss am 21.2.2018 Beschwerde eingelegt. Die Frist zur Begründung wurde antragsgemäß bis zum 20.4.2018 verlängert. Mit Schriftsatz vom 16.4.2018 bat die Verfahrensbevollmächtigte um eine weitere Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist, weil noch eine ausführliche Besprechung mit der Antragsgegnerin notwendig sei, diese aber krankheitsbedingt noch nicht durchgeführt werden konnte. Die Antragsgegnerin befinde sich in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, die voraussichtlich vier Wochen (12.4. bis 10.5.2018) andauern werde. Am 11.5.2018 teilte das OLG der Antragsgegnerin mit, die Frist könne mangels Zustimmung des Gegners nicht nochmals verlängert werden und sei damit versäumt. Mit Schriftsatz vom 29.5. begründete die Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde ausführlich und teile nochmals ergänzend weitere Umstände zur Erkrankung der Antragsgegnerin mit. Nach einem weiteren Hinweis des OLG beantragte die Antragsgegnerin am 22.6.2018 schließlich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist. Dies wurde u.a. damit begründet, der Antragsgegnerin sei durchgängig von ärztlicher Seite geraten worden, sich während der Rehabilitation nicht mit Prozessen zu befassen. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerde verworfen.

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Nach der Auffassung des BGH (Beschl. v. 12.6.2019 – XII ZB 432/18, MDR 2019, 1149 = MDR 2019, 1299 [Elzer]) hat das OLG mit der angefochtenen Entscheidung das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes der Antragsgegnerin verletzt. Die Wiedereinsetzung sei nicht verspätet beantragt worden. Der Schriftsatz vom 29.5.2018 sei vielmehr als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag anzusehen. Ausreichend dafür sei bereits, dass in dem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht werde, dass das Verfahren trotz einer verspäteten Einreichung eines Schriftsatzes fortgesetzt werden solle. Die erforderliche, aus sich heraus verständliche und geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich die Gründe für die Fristversäumnis ergeben, sei in dem Schriftsatz enthalten. Der ausdrückliche Wiedereinsetzungsantrag vom 22.6.2018 enthalte nur noch ergänzende Angaben.

Damit stehe allerdings noch nicht fest, dass die beantragte Wiedereinsetzung auch bewilligt werden kann. Die Erkrankung des Rechtsmittelführers kann grundsätzlich eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, wenn dieser nicht dazu in der Lage ist, den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen und diesen sachgemäß zu unterrichten. Notwendig dafür ist allerdings, dass selbst eine telefonische Verständigung über eine fristgerecht vorzulegende Beschwerdebegründung mit einem Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich war. Der BGH gibt dem OLG dann auf, zu prüfen, ob dies vorliegend wirklich glaubhaft gemacht wurde. Insbesondere dränge es sich hier auf, unter Umständen weitere ärztliche Bescheinigungen anzufordern. Die Antragsgegnerin hat somit nur einen Etappensieg errungen. Ob sie tatsächlich Wiedereinsetzung bewilligt bekommt, bleibt zunächst offen.

Für den Rechtsanwalt ist es wichtig, die Fristen für einen Wiedereinsetzungsantrag immer im Auge zu behalten. Sobald diesbezüglich etwas auffällt, ist die Frist zu berechnen und im Kalender – auffällig (!) – zu notieren. Lediglich als Notanker muss in Zweifelsfällen noch geprüft werden, ob ein anderer, noch fristgemäß eingereichter Schriftsatz unter Umständen schon als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden kann. Dies kann dann vielleicht eine „Rettung“ sein. Verlassen sollte man sich darauf jedoch besser nicht.

OLG Hamm zur Haftung für Unfall im Baustellenverkehr

Bei einem tragischen Unfall wurde der Kläger, der auf einer Baustelle als „Fernsteuerungskranbediener“ tätig war, von einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen angefahren und bedauerlicherweise dabei so schwer verletzt, dass er aus dem Berufsleben ausscheiden musste. Die Klage des Klägers vor den Sozialgerichten, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, wurde durch alle Instanzen abgewiesen, da der Kläger selbständiger Unternehmer gewesen sei und sich nicht freiwillig versichert habe. Im sich anschließenden Zivilprozess gegen die für den Lieferwagen Verantwortlichen, insbesondere die Haftpflichtversicherung, hatte der Kläger Erfolg.

In der sehr lesenswerten Entscheidung des OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2019 – I-9 U 56/18 widerlegt das Gericht ausführlich die zahlreichen Einwände der Beklagten gegen ihre Haftung. Die Feststellungsklage des Klägers wird zunächst als zulässig angesehen, obwohl der Kläger teilweise beziffern konnte. Es ist jedoch ausreichend für eine Feststellungsklage, dass noch weitere Schäden drohen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, vor allem § 7 StVG, sind einschlägig, da diese nicht an einen Betrieb im öffentlichen Verkehr anknüpften, sondern auch auf privaten Verkehrsflächen maßgeblich sind. Die Beklagten hatten weiterhin eingewandt, der gesamte Fall sei konstruiert worden, um dem Kläger, der keine Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft durchsetzen konnte, nunmehr Ansprüche gegen eine private Versicherung zu verschaffen. Tatsächlich sei der Kläger von einem Gerüst gefallen, ohne dass der Lieferwagen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Diesen Einwand wiederlegt das OLG mit einer ausführlichen Beweiswürdigung aufgrund von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Da danach feststeht, dass der Lieferwagen rückwärtsgefahren ist und dabei den Kläger angefahren hat, spricht der Anscheinsbeweis gegen die Beklagten. Ein Mitverschulden wurde nicht nachgewiesen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers als „Fernsteuerungskranführer“ höchste Konzentration und Präzision erfordert, habe der Kläger nicht auf andere Verkehrsteilnehmer achten müssen. Zwar hatte der Kläger keinen Helm getragen, es steht aber nicht fest, dass dies auf den eingetretenen Schaden überhaupt eine Auswirkung gehabt hat.

Schließlich scheidet auch eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII aus. Die Sozialgerichte haben bindend entschieden, (§ 108 SBG VII), dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegt. Darüber hinaus hat sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte. Hier habe es keine Verbindung zwischen dem Kläger und den Beklagten gegeben, sondern ein beziehungsloses Nebeneinander.

Festzuhalten ist daher: An die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach einem Unfall sind keine hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere steht eine teilweise Bezifferbarkeit der Ansprüche der Klage nicht entgegen. Die Vorschriften des StVG gelten letztlich praktisch überall dort, wo sich das Fahrzeug befindet, vor allem auch auf privaten Verkehrsflächen. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gilt nur, wenn tatsächlich eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt und nicht nur ein beziehungsloses Nebeneinander.

OLG Frankfurt: „Ende“ des selbständigen Beweisverfahrens

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 21.08.2019 – 13 W 40/19) hatte der Sachverständige nach Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens ein Ergänzungsgutachten vorgelegt. Dieses ging den Parteien am 14.3.2019 zu. Mit Schriftsatz vom 13.5.2019 beantragte der Antragsgegner, dem Antragsteller eine Frist zur Klageerhebung zu setzen und den Streitwert festzusetzen. Der Antragsteller erhielt diesen Schriftsatz mit der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen. Mit Schriftsatz vom 29.5.2019 (also innerhalb der eingeräumten Frist) beantragte der Antragsteller jedoch, dem Sachverständigen weitere Fragen zur Beantwortung vorzulegen. Das Landgericht wies diesen Antrag zurück. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

Diese sofortige Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig, da das Landgericht ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen hatte. Die entscheidende Frage war, ob das selbständige Beweisverfahren bereits beendet war oder nicht. Eine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO hatte das Landgericht nicht gesetzt. Demgemäß kam es darauf an, ob hier der in § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO maßgebliche angemessene Zeitraum, um Einwendungen gegen das Gutachten mitzuteilen, schon abgelaufen war. Zur Bestimmung dieses Zeitraums kann keine verbindliche Frist herangezogen werden. Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wie z. B. den Umfang und die Schwierigkeit der Sache sowie die Verständlichkeit des Gutachtens oder auch die bisherige Dauer des Verfahrens. Für den angemessenen Zeitraum sind Fristen von ein bis sechs Monaten in der Diskussion, jedoch in der Regel nicht mehr als drei Monate. Hier waren seit der Mitteilung des Gutachtens elf Wochen vergangen, mithin weniger als drei Monate. Außerdem ging der Antrag innerhalb der eingeräumten Stellungnahmefrist zu dem Antrag des Antragsgegners ein. Das Landgericht hatte seinerseits zuvor auf eine Fristsetzung verzichtet. Vor diesem Gesamthintergrund war der angemessene Zeitraum hier gerade noch nicht abgelaufen, als der Antrag des Antragstellers einging.

Somit hob das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts auf und gab dem Landgericht die Gelegenheit, einen sachgerechten weiteren Beschluss zu treffen.

Fazit: Ein selbständiges Beweisverfahren kann von alleine zu Ende gehen. Es empfiehlt sich daher – falls das Gericht keine Fristen setzt – eventuelle Ergänzungsfragen an den Sachverständigen zeitnah anzubringen. Höchstvorsorglich ist nach Eingang des Gutachtens eine Dreimonatsfrist zu notieren.