Corona-Pandemie: Schweigen einer Partei ersetzt nicht die Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren

Das OLG Düsseldorf hat  entschieden, dass das Schweigen einer Partei auf die Anordnung des schriftlichen Verfahrens auch unter Berücksichtigung der im März 2020 bestehenden COVID-19-Situation nicht als Zustimmung gedeutet werden kann (Beschl. v. 16.07.2020 – I-12 U 26/20).

Das LG hatte im schriftlichen Verfahren nach § 128 ZPO ein klageabweisendes Urteil verkündet. Die erforderliche eindeutige Einverständniserklärung des Klägers hierfür lag nicht vor. Der Kläger beantragte nunmehr Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren und rügte u. a. diesen Verfahrensfehler. Das OLG lehnte die beantragte Prozesskostenhilfe gleichwohl ab.

Allerdings lag hier ein Verfahrensfehler vor. Für die Anordnung des schriftlichen Verfahrens gemäß § 128 ZPO ist eine klare und eindeutige Erklärung beider Parteien erforderlich. Die Corona-Virus-Pandemie und der Umstand, dass die Gerichte teilweise nur im „Notbetrieb“ gelaufen sind, ändert daran nichts. Zwar hatte der Kläger nach der Anordnung des schriftlichen Verfahrens dazu geschwiegen, aber auch dieses Schweigen ersetzt keine Zustimmung. Dieser Verfahrensfehler nötigt jedoch nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung, die der Kläger hier erreichen wollte. Dabei kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Mündlichkeit überhaupt als wesentlicher Verfahrensmangel gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO angesehen werden kann. Denn im konkreten Fall drohte keine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme, wie sie für eine Aufhebung und Zurückverweisung Voraussetzung ist. Vielmehr hätten die erforderlichen Feststellungen, wenn es auf sie ankäme, unproblematisch von dem OLG selbst getroffen werden können. Das OLG Düsseldorf betont in diesem Zusammenhang erneut, dass es für eine Aufhebung und Zurückverweisung gerade nicht ausreichend ist, wenn den Parteien noch Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben wäre und alsdann möglichweise eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich werden sollte (vgl. BGH, Urt. v. 2.3.2017 – VII ZR 154/15, MDR 2017, 842; s. a. Frank O. Fischer MDR 2020, 832 ff.).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat weiterhin deshalb keinen Erfolg, weil es – gerade in der Berufungsinstanz – immer auf die Erfolgsaussicht in der Sache ankommt. Dies bedeutet: Wenn es trotz eines Verfahrensfehlers der ersten Instanz letztlich bei der getroffenen Entscheidung bleiben wird, ist keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen. So aber lagen die Dinge im konkreten Fall.

Fazit: Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 ZPO setzt – auch angesichts der gegenwärtigen Corona-Virus-Pandemie – voraus, dass beide Parteien ausdrücklich und vorbehaltlos ihr Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren erklärt haben. Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz kann nicht bewilligt werden, wenn es letztlich bei der angefochtenen Entscheidung bleiben wird, obwohl der ersten Instanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Etwas leichter ist es allerdings bei dem Amtsgericht im Verfahren nach § 495a ZPO: Dort kann von Amts wegen im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Davon sollte die Praxis derzeit großzügig Gebrauch machen.

OLG Düsseldorf: Versehentliche Doppelanlage einer Akte

In einem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf (Beschl. v. 18.7.2019 – I-10 W 75/19) reichte ein Rechtsanwalt bei einem LG eine Klageschrift ein. Vorsichtshalber war diese Klage zuvor gefaxt worden. Das Faxexemplar enthielt den Vermerk „per Fax vorab“, nicht aber das Original. Auf der Geschäftsstelle wurden zwei Akten angelegt. Für beide Vorgänge wurden die Verfahrensgebühren nach Nr. 1210 Anlage I GKG in Rechnung gestellt. Gegen die Kostenrechnung wurde Erinnerung eingelegt, der das LG nicht abhalf. Die Beschwerde nach § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG war bei dem OLG Düsseldorf erfolgreich. Den Klägervertreter hat hier der Vermerk „per Fax vorab“ gerettet. Bei derartigen Vorgängen ist nämlich auf den Empfängerhorizont abzustellen. Aus diesem ergibt sich, dass der Rechtsschutz hier nur einmal begehrt wurde. Die Schriftstücke waren erkennbar miteinander verknüpft und gingen im kurzen Abstand ein. Unschädlich ist dabei sogar, dass das Original der Klageschrift nicht mehr den Vermerk „per Fax vorab“ erhielt.

Fehlt allerdings ein solcher Vermerk, handelt es sich um eine fahrlässig verursachte versehentliche Klageeinreichung. In einem solchen Fall fällt die Gebühr zwei Mal an (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.5.1999 – 10 W 45/99, MDR 1999, 1156). Natürlich können die Gebühren durch eine Rücknahme reduziert werden (Nr. 1211 Anlage 1 GKG). Man muss also genau darauf achten, dass man diesen Vermerk anbringt, am besten natürlich sowohl auf dem „Fax-vorab“ als auch auf dem Original.

Es ist verständlich, dass viele Rechtsanwälte ihre Schriftsätze vorsorglich vorab faxen, wenngleich dies für die Geschäftsstellen sehr aufwändig ist und die Akten unnötig dick werden lässt. Es kommt allerdings vor, dass Schriftsätze nicht nur „per Fax vorab“, sondern darüber hinaus noch mit dem beA und auch im Original versandt werden. Davon sollte wirklich Abstand genommen werden. An sich reicht das beA alleine! Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass es in manchen Gerichten durchaus länger dauern kann, bis ein solcher Schriftsatz tatsächlich dem Richter bzw. dem Spruchkörper mit der richtigen Akte vorgelegt wird. In besonderen eiligen Fällen kann es daher ausnahmsweise tatsächlich Sinn ergeben, auch – trotz beA-Versendung – vorab zu faxen. Im Zweifel kann auch einmal ein Anruf bei der Geschäftsstelle helfen.

 

 

 

BVerfG: Rechtliches Gehör bei unterbliebener Parteianhörung zu „gerichtskundiger“ Tatsache im Zivilprozess

Das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist in der oberstgerichtlichen Praxis eine beständige Aufhebungsgrundlage. Im konkreten Fall hat das BVerfG mit Beschl. v. 17.9.2020 – 2 BvR 1605/16, MDR 2020, 1524 eine Entscheidung eines Amtsgerichts wegen mehrfachem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs aufgehoben. Wichtig für die alltägliche Praxis erscheinen hinsichtlich dieses Beschluss folgende Aspekte:

Nachdem Art. 103 Abs. 1 GG das Recht gibt, sich sowohl zum Sachverhalt als auch zur Rechtslage zu äußern, sind für beide Aspekte dieselben Grundsätze maßgeblich. Dabei muss sich das Gericht nicht mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich befassen. Der wesentliche Kern des Tatsachenvortrages, der von zentraler Bedeutung ist, muss allerdings beschieden werden. Wenn dazu in der angefochtenen Entscheidung nichts geschrieben wurde, muss von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgegangen werden.

Die Gerichtskundigkeit einer relevanten Tatsache ist ein Unterfall der Offenkundigkeit nach § 291 ZPO. Wenn das Gericht eine Tatsache als gerichtskundig ansehen möchte, muss es diese jedoch zuvor in den Prozess einführen und darf der betroffenen Partei nicht dadurch den Gegenbeweis abschneiden, dass es erst in der Entscheidung die Gerichtskundigkeit behauptet.

Im konkreten Fall hatte das AG übereinstimmenden Vortrag der Parteien zum Vorliegen von AGB übergangen und war demgegenüber von einer Individualvereinbarungen ausgegangen. Darüber hinaus war das AG von der Angemessenheit einer Forderung der Höhe nach ausgegangen, ohne vorher darauf hinzuweisen, dass die einschlägigen Preise bekannt seien. So hatte die betroffene Partei keine Möglichkeit mehr, diese Erwägungen in Frage zu stellen bzw. einen Gegenbeweis anzutreten.

Fazit: Die Anforderungen an die Wahrung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs werden immer höher. Als Richter muss man sich bei fast jedem Satz, den man schreibt, die Frage stellen, ob damit nicht schon eine Verletzung des rechtlichen Gehörs verbunden ist.

BGH: Sorgfaltsanforderungen bei der Rechtsmittelbegründung per Telefax

Der BGH hat sich erneut mit Beschl. v. 15.9.2020 – VI ZB 60/19 mit der Fristwahrung per Telefax befasst. Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Rechtsanwalt begann am Tage des Fristablaufes um 23.40 Uhr, eine Berufungsbegründung an die Außenstelle eines OLG zu übermitteln. Um 23.47 Uhr erhielt er eine Fehlermeldung, es wurden einige Seiten übermittelt, allerdings nicht diejenige mit der Unterschrift. Anschließend wurde eine erneute Übermittlung versucht, die wiederum scheiterte, was um 23.53 Uhr feststand. Ein letzter Versuch scheiterte gleichfalls, was um 00.01 Uhr feststand. Kurze Zeit später gelang es, die Berufungsbegründung in einer Zeit von knapp zwei Minuten an die Hauptstelle des OLG zu übermitteln. Das Faxgerät des Rechtsanwalts war so eingestellt, dass es im Rahmen einer Anwahl jeweils vier Übermittlungsversuche hintereinander unternahm. So wurde die Frist versäumt.

Der Wiedereinsetzungsantrag blieb erfolglos! Denn es bleibt – was ausreichend ist (!) – zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumnis auf einem Verschulden des Rechtsanwalts beruht. Dieses muss sich die Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Zunächst fasst der BGH informativ die Grundsätze der Sorgfalt in derartigen Fällen zusammen: Grundsätzlich darf eine Frist bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden. Risiken, die aus technischen Gegebenheiten resultieren, dürfen nicht auf den Benutzer abgewälzt werden. Normalerweise reicht es, die richtige Nummer zu wählen und so rechtzeitig mit der Übermittlung zu beginnen, so dass mit ihrer Beendigung vor Fristablauf unter normalen Umständen gerechnet werden kann. Allerdings müssen auch Verzögerungen einkalkuliert werden, mit denen gleichfalls unter normalen Umständen zu rechnen ist (z.B. unterschiedliche Übertragungsgeschwindigkeiten und Belegung des Empfangsgerätes durch andere Sendungen). Demgemäß ist ein Sicherheitszuschlag von ungefähr 20 Minuten einzuplanen. Scheitert jedoch eine Übermittlung, so sind alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen. Hierzu gehört u. a., eine weitere Faxnummer des Gerichts zu ermitteln (z.B. über den Internetauftritt des Gerichts) und die Sendung dorthin zu übermitteln bzw. dies wenigstens zu versuchen. Dies ist vor allem dann geboten, wenn das Gericht (z. B., weil es Außenstellen unterhält) über mehrere verschiedene Faxanschlüsse verfügt.

Demgemäß ist dem Rechtsanwalt hier vorzuwerfen, dass er – nach dem Scheitern des zweiten Übermittlungsversuchs – noch einen dritten an die Außenstelle versucht hat anstatt einen ersten Versuch an die Hauptstelle. Dies gilt vor allem angesichts des Umstandes, dass jeder der beiden Versuche mit sogar vier Anwahlversuchen verbunden war.

Fazit: Es ist daher stets riskant, Fristen vollständig auszuschöpfen. Und wenn es einmal gleichwohl passieren sollte, muss man am Ende einen kühlen Kopf bewahren und genau überlegen, was man tun muss. Ansonsten könnte zum einen die Frist versäumt werden und zum anderen auch die anschließende Wiedereinsetzung scheitern. Am besten, man setzt sich eine interne Frist, die mindestens eine Stunde vor der tatsächlichen Frist endet.

BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs mangels Kenntnisnahme eines Schriftsatzes

Der BGH hat mit Beschl. v. 28.5.2020 – I ZR 214/19 eine Verletzung des rechtlichen Gehörs  auch für den Fall angenommen, dass ein frist­ge­recht ein­ge­reich­ter Schrift­satz aufgrund gerichtsinterner organisatorischer Probleme ver­se­hent­lich un­be­rück­sich­tigt bleibt.

Das LG hatte eine Klage im Wesentlichen abgewiesen. Die Beklagte legte Berufung ein. Das OLG kündigte im Rahmen eines Hinweisbeschlusses an, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Stellungnahmefrist für die Beklagte zu diesem Beschluss wurde mehrfach verlängert. Nach Fristablauf wies das OLG die Berufung zurück und nahm auf den Hinweisbeschluss Bezug. Am letzten Tag der Frist war jedoch eine Stellungnahme eingegangen, und zwar im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs. Diese wurde dem zuständigen Senat aber erst nach Erlass des Beschlusses vorgelegt. Dies lag daran, dass der Drucker in der Wachtmeisterei des Hauptgebäudes ausgefallen war und deswegen der Schriftsatz in einem Nebengebäude ausgedruckt wurde. Infolge des verlängerten Transportweges kam es zu der verspäteten Vorlage.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das OLG hat das rechtliche Gehör verletzt. Ein Verschulden des Spruchkörpers ist dafür nicht erforderlich. Gerichtsinterne organisatorische Probleme dürfen sich nicht zu Lasten der Rechtssuchenden auswirken. Eine versehentliche Nichtberücksichtigung eines Schriftsatzes reicht daher für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Allerdings muss bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs die Entscheidung auch auf der Nichtberücksichtigung beruhen. Wenn die Beklagte in dem nicht berücksichtigten Schriftsatz nur auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen hätte, könnte ausgeschlossen werden, dass das OLG bei Kenntnis des Schriftsatzes abweichend entschieden hätte. Im hier zu beurteilenden Fall hatte sich der Schriftsatz jedoch mit dem Hinweisbeschluss argumentativ auseinandergesetzt, darüber hinaus war noch ein neuer Vortrag erfolgt. Zudem wurde noch ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt.

Unter diesen Umständen konnte nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG – was ausreichend ist – bei Kenntnisnahme des Schriftsatzes abweichend von der tatsächlichen Entscheidung entschieden hätte. Demgemäß hat der BGH den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Fazit: Der Verfahrensablauf ist ärgerlich. Aufgrund eines Druckerausfalls wird der Rechtsstreit möglicherweise deutlich teurer. In derartigen Fällen sollten die Justizverwaltungen sofort reagieren und per Mail alle Gerichtsmitglieder darüber verständigen, dass die Vorlage von Schriftsätzen länger dauern könnte. Weiterhin ist zu erwägen, Gerichtskosten gegebenenfalls niederzuschlagen. Auch müssten unter Umständen seitens der Beteiligten Amtshaftungsansprüche geprüft werden.

OLG Frankfurt: Beschwerde gegen die Festsetzung eines Gebührenstreitwertes

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 6.5.2020 – 6 W 43/20) hatte das Landgericht  als Vollstreckungsgericht (Prozessgericht des ersten Rechtszuges) aufgrund des Verstoßes gegen eine Unterlassungsverfügung auf Antrag des Antragstellers gegen den Antragsgegner ein Ordnungsgeld festgesetzt (§ 890 ZPO). Gleichzeitig hatte es den Streitwert für das (Ordnungsgeld)Verfahren festgesetzt. Der Antragsgegner legte gegen den Streitwertbeschluss Beschwerde ein (§ 68 GKG). Die Beschwerde erwies sich als begründet und führte zur Aufhebung des Streitwertbeschlusses.

Oftmals wird von den Gerichten am Ende eines Verfahrens routinemäßig ein Streitwert festgesetzt. Dieser Streitwert gilt dann für die Gerichtsgebühren. Dabei wird oft übersehen, dass die Wertfestsetzung nur dann erfolgen darf (§ 63 GKG), wenn sich die Gebühren überhaupt nach dem Wert richten. Im hier maßgeblichen Ordnungsgeldverfahren fällt jedoch eine Festgebühr nach Nr. 2111 Anlage 1 GKG an. Damit bedurfte es keiner Wertfestsetzung durch das Landgericht!

Es wäre noch zu erwägen, ob es sich unter Umständen um eine Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren nach § 33 RVG gehandelt haben könnte. Eine solche Festsetzung wollte aber das LG hier, was sich aus der Begründung des Beschlusses ergab, nicht treffen. Darüber hinaus ist eine solche Festsetzung nur auf Antrag zulässig. Da es an einem solchen Antrag fehlte, war auch eine Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren durch das Beschwerdegericht nicht zulässig.

Der Wertfestsetzungsbeschluss des Landgerichts war daher letztlich ebenso unnötig wie unbeachtlich. Gleichwohl ist er auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufzuheben. Dies ergibt sich daraus, dass durch den Beschluss ein Rechtsschein entstanden ist, der den Antragsgegner belastet und so zu der notwendigen Beschwer führt.

Der Antragsteller hatte sich gleichzeitig gegen die Höhe des Ordnungsgeldes beschwert. Insoweit hatte das Oberlandesgericht ausgeführt, dass der festgesetzte Betrag in Höhe von 25.000 Euro durchaus angemessen war, zumal es sich um einen wiederholten Verstoß gehandelt hatte und vom Grundsatz her gilt: Eine Titelverletzung durch den Schuldner soll sich nicht lohnen. Deswegen ist grundsätzlich die Festsetzung empfindlich hoher Beträge geboten.

BGH: Beginn der Beschwerdefrist bei einer fehlerhaften Zustellung

In einer Familienstreitsache (BGH, Beschl. v. 22.4.2020 – XII ZB 131/19, MDR 2020, 1081) ging es um Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht verkündete am 18.11.2016 eine begründete Entscheidung, wonach der Antragsgegner an die Antragstellerin u. a. 333 Euro monatlich zahlen sollte. Den Beteiligten wurde hingegen eine Ausfertigung ohne Gründe zugestellt, wonach der Antragsgegner u. a. 524 Euro monatlich zahlen musste. Der Antragsgegner zahlte die 524 Euro. Erst bei einem weiteren Termin am 14.9.2018 (mithin fast zwei Jahre später!) fiel dieses Versehen auf. Daraufhin wurde der (richtige) Beschluss vom 18.11.2016 dem Antragsteller am 24.09.2018 zugestellt. Am 23.10.2018 wurde daraufhin Beschwerde eingelegt und später begründet. Gleichwohl wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen und auch die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

Es ist nahezu unglaublich, was alles in der gerichtlichen Praxis passiert und was davon mitunter von den Beteiligten hingenommen wird, und zwar sogar ohne Rückfragen. Und die Konsequenzen sind mitunter auch wenig befriedigend. Dies zeigt auch der vorliegende Fall. Die entscheidende Frage hier war: Wurde durch die Verkündung die Fünfmonatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG in Lauf gesetzt, obwohl ein falscher Beschluss ohne Gründe zugestellt wurde? Wenn ja, hätte der Antragsgegner sein Glück nämlich nur über eine Wiedereinsetzung versuchen können. Diese war zwar nicht beantragt worden, das Oberlandesgerichts hatte einen entsprechenden konkludenten Antrag jedoch unterstellt.

Die einmonatige Beschwerdefrist beginnt allerdings nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Erlass der Entscheidung auch dann, wenn die Zustellung ganz unterblieben ist oder die zugestellte Fassung vom Original abweicht. Auf die fehlende oder fehlerhafte Zustellung kommt es nicht an. Dies gilt aus Gründen der Rechtssicherheit. Die Verkündung war auch wirksam, insbesondere war die Unterschrift der Richterin ordnungsgemäß. Demgemäß war die Beschwerdefrist sechs Monate nach der Verkündung abgelaufen.

Das Oberlandesgericht war von einem konkludenten Wiedereinsetzungsantrag ausgegangen, hat diesen aber als verspätet angesehen. Dies war richtig. Zwar war die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO trotz deren Ablauf gewahrt, weil der Fehler nur dem Gericht zuzurechnen war. Die Wiedereinsetzungsfrist begann hier aber am 14.9.2018, weil der Antragsgegner an diesem Tag von dem Geschehen erfahren hatte. Die Beschwerde erst am 23.10.2018 war damit verspätet.

Fazit: Der kluge und sorgfältige Anwalt notiert immer die Sechsmonatsfrist, wenn eine Entscheidung nicht bekannt wird oder nicht begründet wurde. Und: Manchmal hilft schon eine Rückfrage bei der zuständigen Geschäftsstelle, um ein derartiges Missverständnis aufzuklären. Zur Not muss in besonderen Fällen Einsicht in die Gerichtsakte genommen werden.

BGH: Verlust eines Schriftsatzes auf dem Postweg und Anforderungen an den folgenden Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 28.4.2020 – VIII ZB 12/19) hat sich mit den Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beschäftigt und insbesondere deutlich gemacht, dass ein Anwalt nicht zwingend zu den Leerungszeiten des Briefkastens vortragen muss.

Sachverhalt: Eine Berufungsbegründung war ausgeblieben. Die antragsgemäß verlängerte Berufungsbegründungsfrist war am 10.9.2018 abgelaufen. Nach dem entsprechenden Hinweis des Gerichts wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist gestellt. Zur Begründung wurde vorgetragen: Die Berufungsbegründung sei am 28.8.2018, einem Freitag (tatsächlich war der 28.8.2018 allerdings ein Dienstag!) vom Rechtsanwalt an seinem letzten Arbeitstag vor dem Jahresurlaub nach Büroschluss „persönlich ausgefertigt, unterzeichnet, in einen Briefumschlag verpackt und ausreichend frankiert in einen Briefkasten der Deutsche Post AG eingelegt“ worden. Sie müsse auf dem Postweg verloren gegangen sein. Eine Berufungsbegründung vom 28.8.2018 war beigefügt worden. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung. Begründung: Es sei kein Vortrag zum Standort des Briefkastens sowie dessen Leerungszeiten erfolgt. Der 28. August sei kein Freitag gewesen, sondern ein Dienstag. Die ordnungsgemäße Adressierung des Umschlages sei nicht nicht dargelegt worden. Die Schilderung sei auch deswegen nicht glaubhaft, da zuvor die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis weit in den Urlaub hinein verlängert worden war.

Anforderungen an Vortrag: Der BGH akzeptiert diese Entscheidung nicht, sondern hebt sie auf und bewilligt selbst die beantragte Wiedereinsetzung! Das OLG hat zu strenge Anforderungen gestellt und darüber hinaus gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen. Der Vortrag genügt grundsätzlich den Anforderungen. Im Hinblick auf den erheblichen Zeitraum zwischen Einwurf und Fristende bedurfte es keiner näheren Angaben zum Ort und zu den Leerungszeiten. Die ordnungsgemäße Adressierung ergab sich aus der dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügten Berufungsbegründung. Bei der falschen Tagesangabe habe es sich, wie später ausführt worden war, um eine Verwechslung gehandelt. Gemeint gewesen, sei natürlich Freitag, der 31.8.2018. Der Schriftsatz sei am Dienstag verfasst, aber eben erst am Freitag verschickt worden.

Aufklärung von Widersprüchen im Vortrag: Vor allem hätte das OLG dem Rechtsanwalt hier die Gelegenheit geben müssen, zu diesem Widerspruch vorzutragen, bevor es die Berufung verworfen hat. Sofern das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren einer eidesstattlichen Versicherung keinen Glauben schenken möchte, muss es dem Antragsteller zunächst die Möglichkeit geben, etwaige Lücken zu ergänzen und/oder entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Wenn insoweit noch ergänzungsbedürftige Angaben erforderlich sind, deren Aufklärung nach § 139 Abs. 1 ZPO geboten war, können diese auch noch mit einer Rechtsbeschwerde nachgeholt werden. Die Fristverlängerung bis weit nach dem Urlaubsantritt alleine sei nicht dazu geeignet, Zweifel an der Darstellung des Geschehensablaufes aufkommen zu lassen.

Fazit: Im Gegensatz zu den meisten OLG ist der BGH bei Wiedereinsetzungsfragen regelmäßig sehr großzügig (eigentlich zu großzügig) und neigt dazu, vielen Erklärungen Glauben zu schenken, denen man eigentlich durchaus mit größerer Skepsis begegnen müsste.

KG: Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage und willkürliche Verweisung

Das KG hat sich mit  Beschl. v. 17.3.2020 – 2 AR 5/20, MDR 2020, 679 mit dem Erfüllungsort bei der Feststellungsklage auf Nichtbestehen eines Anspruchs aus einem Leasingvertrag und der Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 1 GVG sowie der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses auseinander gesetzt.

Sachverhalt: Der in Berlin wohnhafte Kläger hatte mit der im Bezirk des LG Braunschweig ansässigen Beklagten einen Leasingvertrag geschlossen. Nach der Zahlung einiger Leasingraten erklärte er den Widerruf des Vertrages und erhob bei dem LG Berlin eine negative Feststellungsklage. Es sollte festgestellt werden, dass die Beklagte von dem Kläger keine weiteren Leasingraten verlangen kann. Hilfsweise – bei Erfolg dieses Antrages – machte der Kläger die Rückzahlung der bereits erbrachten Leasingraten geltend. Die Einzelrichterin einer allgemeinen Zivilkammer verwies den Rechtsstreit auf einen weiteren Hilfsantrag des Klägers hin an das LG Braunschweig, da die dortige örtliche Zuständigkeit gegeben sei. Das LG Braunschweig lehnte jedoch die Übernahme des Rechtsstreites ab, so dass das KG das zuständige Gericht bestimmten musste (§ 36 Nr. 6 ZPO).

Gerichtliche Zuständigkeit bei einer negativen Feststellungsklage: Bei einer negativen Feststellungsklage richtet sich die Zuständigkeit des Gerichts nach dem potentiellen Leistungsanspruch. Gemäß § 29 ZPO hätte die Beklagte den Kläger vor dem LG Berlin auf Weiterzahlung der Leasingraten verklagen müssen. Deswegen ist das LG Berlin auch für die negative Feststellungsklage zuständig. Dabei kommt es zunächst nur auf die Zuständigkeit für den Hauptantrag an. Sollte das Gericht, das für den Hauptantrag zuständig ist, für den Hilfsantrag nicht zuständig sein, kann eine Verweisung des Rechtsstreites erst nach der Entscheidung über den Hauptantrag erfolgen, nicht vorher.

Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses: Der Verweisungsbeschluss des LG Berlin war daher falsch. Aber bekanntlich kann auch ein falscher Verweisungsbeschluss bindend sein (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Ein Verweisungsbeschluss, der nicht von dem zuständigen Richter erlassen wurde, entfaltet jedoch keine Bindungswirkung. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Einzelrichterin der allgemeinen Zivilkammer hatte nämlich hier übersehen, dass es sich bei dem Rechtsstreit um eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften nach § 348 Abs. 1 Nr. 2. b) ZPO, § 72a Satz 1 Nr. 1 GVG handelt. Darüber hinaus handelt es sich diesbezüglich sogar um eine originäre Kammersache. Die Einzelrichterin hätte mithin gar nicht alleine entscheiden dürfen. Damit liegt ein doppelter Verstoß gegen den gesetzlichen Richter vor. Dies macht den Verweisungsbeschluss unwirksam. Das KG erklärt folglich das LG Berlin für zuständig.

 

 

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.