Rechtsunkundige Richter?

Der Erbrechtssenat des OLG Celle hat einen von der Nachlassrichterin beim Amtsgericht, Richterin auf Probe, erteilten Erbschein eingezogen, weil dieser nicht der Rechtslage entspricht: „Der Erbschein verkennt bereits den Grundsatz der Universalsukzession, § 1922 Abs. 1 BGB. Das Vermögen des Erblassers geht insgesamt und ungeteilt auf den oder die Erben über. Eine Erbeinsetzung auf bestimmte Gegenstände gibt es, anders als der Erbschein unterstellt, nicht. Geht das Vermögen des Erblassers nicht auf einen Alleinerben über, sondern auf mehrere Erben, erben diese weder einzelne Gegenstände noch Miteigentumsanteile an den Erbschaftsgegenständen, sondern quotenmäßig bestimmte Anteile am gesamten Nachlass (Erbteile, § 1922 Abs. 2 BGB).“
Dass Gerichte formelles oder materielles Recht falsch anwenden, kommt vor und ist nicht zu vermeiden. Die hier vom OLG zu Recht beanstandeten Rechtsanwendungsfehler sind allerdings derartig schwerwiegend, dass sie schon im Ersten juristischen Staatsexamen zu ernsthaften Folgerungen geführt hätten. Das OLG sieht darüber hinaus ein systemisches Problem und hat sich veranlasst gesehen hinzuzufügen:
„Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass die vom Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlassangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, dass insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlasssachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, dass in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlasssachen bearbeiten, sondern, wie hier, aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls im konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, was zu Entscheidungen führt, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind.“ (OLG Celle, Beschluss vom 19. Juni 2023 – 6 W 65/23 –, Rn. 28, juris)
Ein ähnlicher Qualitätsverlust der Ziviljustiz ist auch in anderen Bereichen zu beobachten. Während vor nicht allzu langer Zeit Zivilkammern über lange Jahre mit denselben Vorsitzenden und Beisitzern besetzt waren, wechselt ihre Besetzung nunmehr regelmäßig. Besonders berüchtigt sind die sog. Assessorendezernate, deren Inhaber in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden. Da etwa in Bau- und Architektensachen – entgegen der Intention des § 348 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und seinem Katalog obligatorischer Kammersachen – der Einzelrichter contra legem die Regel ist, ist bei Prozessen mit länger dauernden Beweisaufnahmen durch Beauftragung von Sachverständigen eine ordnungsgemäße Prozessleitung durch den Einzelrichter kaum noch gewährleistet. Verbunden ist diese hohe Fluktuation nicht selten mit der mangelnden Bereitschaft der Richter, sich die notwendigen speziellen Rechtskenntnisse anzueignen. Der Beschluss des OLG Celle spricht einen von Rechtssuchenden seit langem beklagten Missstand erfreulich offen aus. Dass dies aus der Mitte der Justiz erfolgt, gibt zu Hoffnungen Anlass.

beA: Pünktlich Büroschluss (jetzt) auch für Rechtsanwälte!

Die Rechtsprechung des BGH zum beA vermehrt sich geradezu explosionsartig. Grundsätzlich wenden alle Senate des BGH die Wiedereinsetzungsrechtsprechung, die sie zur Nutzung des Fax entwickelt haben, sinngemäß auch auf beA-Konstellationen an. Zu verzeichnen ist jetzt aber eine – durchaus Anwalt freundliche – Ausnahme:

Ein BGH-Anwalt reichte wegen Ausfalls des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs die Revisionsbegründung „nach den allgemeinen Vorschriften“ ein (ob in Papierform oder per Fax, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen). Das erlaubt § 130d ZPO, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend unmöglich ist. Den Ausfall des beA machte er auch glaubhaft, jedoch nicht seine Behauptung, bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft zu haben. Trotzdem hat der BGH die Ersatzeinreichung akzeptiert. Ein Prozessbevollmächtigter, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen (BGH, Urt. v. 25.5.2023 – V ZR 134/22 Rn. 10). Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage von der im Falle einer gescheiterten Faxübermittlung. Ein Rechtsanwalt, der seine Organisation darauf abgestellt hat, Schriftsätze über Telefax an das Gericht zuzustellen, muss damit rechnen, dass das Empfangsfaxgerät des Gerichts am Nachmittag stark in Anspruch genommen und besetzt ist und darf seine Übermittlungsversuche nicht vorschnell aufgeben. Die Beendigung von Übersendungsversuchen um 19.02 Uhr ist als vorschnell anzusehen; der Rechtsanwalt hätte im Laufe des Abends weitere Versuche unternehmen müssen (BGH, Beschl. v. 4.11.2014 – II ZB 25/13, AnwBl 2015, 447).

Der Rechtsanwalt muss somit nicht bis Mitternacht die elektronische Übermittlung weiter versuchen, wenn ihm die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vorher gelingt. Ob das allerdings auch gilt, wenn das als Ersatzmedium gewählte Fax sich ebenfalls nicht übermitteln lässt, ist noch nicht entschieden und bleibt offen …

Von der Indizwirkung der Rechnung zur Indizwirkung der Honorarvereinbarung: Die neue Linie des BGH zur Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten

Bislang hat der BGH für die Ersatzfähigkeit der Sachverständigenkosten im Rahmen von Straßenverkehrsunfällen der tatsächlichen Begleichung der Rechnung entscheidende Bedeutung beigemessen (BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 315/18, MDR 2020, 345 = NJW 2020, 1001; BGH v. 26.4.2016 – VI ZR 50/15, MDR 2016, 1137 = NJW 2016, 3092, 3094).

Das Begleichen der Rechnung bildete ein wesentliches Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO mit den beiden folgenden Konsequenzen:

  • Darlegung und Beweis des Geschädigten für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten werden erleichtert.
  • Auf Seite des Schädigers reicht in diesem Fall einfaches Bestreiten der Höhe der Forderung durch den Beklagten nicht mehr aus. Vielmehr muss er qualifiziert zur Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten vortragen (BGH v. 19.7.2016 – VI ZR 491/15, MDR 2016, 1378 = NJW 2016, 3363).

In mehreren Entscheidungen aus den Jahren 2022 und 2023 stellt der BGH für die Indizwirkung statt der Begleichung der Rechnung nun maßgeblich auf das Vorliegen einer Honorarvereinbarung ab soweit die Schadenersatzansprüche nicht an Erfüllungs statt abgetreten wurden. Darüber hinaus signalisiert der BGH in den folgenden Entscheidungen, dass das aus dem Werkvertrag mit dem Sachverständigen Geschuldete zu ersetzen ist soweit die fehlende objektive Erforderlichkeit dem Geschädigten im Rahmen der Plausibilitätskontrolle nicht erkennbar war:

  • BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 137/22, MDR 2023, 626 = NJW 2023, 1718: Die Preis- oder Honorarvereinbarung mit dem Sachverständigen bildet, wenn nicht zugleich eine Abtretung des Schadenersatzsanspruchs an Erfüllungs statt erfolgt ist, ein Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO.
  • BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 138/22, BeckRS 2023, 2753: Es obliegt der unternehmerischen Entscheidung des Sachverständigen, ob er die Kosten für die Inanspruchnahme einer Restwertbörse in sein Grundhonorar einpreist oder extra ausweist.
  • BGH v. 12.12.2022 – VI ZR 324/21, MDR 2023, 361 = NJW 2023, 1057: Die schadensrechtliche Erstattungsfähigkeit einer Corona-Desinfektionskostenpauschale des Sachverständigen richtet sich nach der werkvertraglichen Beziehung zwischen Geschädigtem und Sachverständigem. Ob die Desinfektionskostenpauschale gesondert berechnet wurde oder in das Grundhonorar des Sachverständigen eingepreist wurde, spielt keine Rolle.

Indiz für die Schätzung der Sachverständigenkosten ist damit neuerdings die Honorarvereinbarung soweit nicht Schadenersatzansprüche an Erfüllungs statt an den Sachverständigen abgetreten wurden.

Für die Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten ergab sich, auf Basis der ständigen Rechtsprechung ein Schema (Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 29.7), das nun wie folgt zu ergänzen ist (rot):

  1. Grundsatz: Geschädigter ist nicht zur Marktforschung verpflichtet.
  2. Ausnahme: Erkennbarkeit des deutlichen Überschreitens der branchenüblichen Sätze aus ex-ante-Sicht bzw. Fehlen jeglicher Erkennbarkeit des Honorars
  3. Vorliegen einer Honorarvereinbarung (ohne Abtretung der Forderung an Erfüllungs statt) oder beglichene Rechnung als Indiz für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten
  4. Ausnahme von der Indizwirkung bei Abtretung der Forderung erfüllungshalber an den Sachverständigen oder eine Verrechnungsstelle

Der BGH betont neuerdings, nach Zeiten einer eher restriktiven, sehr fein ausdifferenzierten Dogmatik zur Erstattung von Sachverständigenkosten, auffällig deutlich die indizielle Bedeutung der Honorarvereinbarung für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Diese neue Rechtsprechungslinie findet unschwer Anschluss an die aktuelle Rechtsprechung zum Werkstattrisiko bei konkreter Abrechnung von Reparaturkosten, wo ebenfalls die werkvertragliche Vereinbarung zwischen Geschädigtem und Leistungserbringer (Werkstatt) maßgebliche Grundlage der Schadensschätzung ist (BGH v. 26.4.2022 – VI ZR 147/21, MDR 2022, 1089 = NJW 2022, 2840).

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die bindende Feststellung der Erbwürdigkeit.

Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Versäumnisurteils
BGH, Beschluss vom 26. April 2023 – IV ZB 11/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Bindungswirkung gemäß § 2342 und § 2344 BGB.

Die beiden Beteiligten sind das einzige Kind und die Ehefrau des im November 2018 verstorbenen Erblassers.

Ein von der Ehefrau handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament enthält eine wechselseitige Einsetzung der beiden Ehegatten als Alleinerben. Im Juli 2020 erhob die Tochter gegen die Ehefrau Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Ehefrau das Testament nach dem Erbfall auf einem vom Erblasser unterzeichneten Blankobogen erstellt habe. Das LG erklärte die Ehefrau im Januar 2021 mit Versäumnisurteil für erbunwürdig. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Die Ehefrau hat hierzu vorgetragen, wegen des plötzlichen Unfalltodes sei sie stark traumatisiert gewesen und habe sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen bis Mitte 2021 nicht auseinandersetzen können. Deshalb habe sie die Gerichtspost erst im Juni 2021 geöffnet.

Das AG hat der Tochter auf deren Antrag einen Erbschein als Alleinerbin ausgestellt. Die Beschwerde dagegen ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass ein Urteil, mit dem eine Partei auf eine Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 BGB für erbunwürdig erklärt wird, Rechtskraftwirkung für und gegen jedermann entfaltet. Dies ergibt sich aus § 2342 Abs. 2 BGB, wonach die Wirkung der Anfechtung erst mit der Rechtskraft des Urteils eintritt, und aus § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall der Erbschaft als nicht erfolgt gilt, wenn der betreffende Erbe für erbunwürdig erklärt worden ist.

Ebenfalls zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass diese Bindungswirkung auch einem Versäumnisurteil zukommt. Wie schon in früheren Entscheidungen lässt der BGH weiterhin offen, ob im Prozess über eine Anfechtungsklage nach § 2342 Abs. 1 BGB der Verhandlungs- oder der Untersuchungsgrundsatz gilt. Er lässt auch dahingestellt, ob in einem solchen Verfahren ein Versäumnisurteil ergehen darf. Ein ergangenes und rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil ist jedenfalls wirksam und grundsätzlich in gleicher Weise bindend wie ein streitiges Urteil.

Für eine Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB reicht es nicht aus, dass das Versäumnisurteil inhaltlich unzutreffend ist und der Kläger dies wusste. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände sind im Streitfall auch dann nicht ersichtlich, wenn unterstellt wird, dass die Tochter bei Klageerhebung wusste, dass das Testament echt ist.

Praxistipp: Eine Erbunwürdigkeitsklage darf gemäß § 2341 BGB von jedem erhoben werden, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten kommt. Dies sind nicht nur die Personen, die anstelle des Erbunwürdigen als Erben berufen sind, sondern auch alle diejenigen, die beim Wegfall einer solchen Person Erbe wären.

Blog Update Haftungsrecht: BGH zum Schockschaden – Besondere Schwere des Schocks ist nicht mehr erforderlich!

Mit seinem Urteil vom 6. Dezember 2022 (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362) ändert der BGH seine bisherige Linie zum Ersatz von sogenannten Schockschäden. Diese neue Rechtsprechung hat auch Auswirkungen auf den Schockschadenersatz bei Haftung im Straßenverkehr.

Bisherige Rechtsprechung

Nicht jede durch einen Unfall ausgelöste seelische Betroffenheit kann zu einer haftungsbegründenden Gesundheitsverletzung führen. Vielmehr ist eine Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko vorzunehmen. Nach bisheriger Rechtsprechung kam daher ein Ersatz für Schockschäden, etwa bei durch Überbringen der Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen erlittenen psychischen Gesundheitsschäden, nur unter folgenden engen Voraussetzungen in Betracht (sh. dazu ausführlich Zwickel, NZV 2015, 214 und Greger in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 3.43 ff.):

  • Naher Angehöriger: Nach ständiger Rechtsprechung muss zum Verunglückten eine “enge personale Verbundenheit” bestehen.
  • Pathologische Fassbarkeit der Beeinträchtigung: Anders als beim Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB) ist für den Ersatz von Schockschäden eine eigene Gesundheitsverletzung beim Betroffenen erforderlich.
  • Besondere Schwere des Schocks: Der allgemein übliche Trauerschmerz genügte nicht. Vielmehr verlangte der BGH bisher stets, dass die Beeinträchtigungen über die erfahrungsgemäß in solchen Fällen eintretenden nachteiligen gesundheitlichen Folgen hinausgehen.
  • Tod oder schwere Verletzung: Ein Anspruch auf Ersatz von Schockschäden bestand grundsätzlich nur bei Unfalltod oder schwerer Verletzung.

Neue Rechtsprechungslinie nach dem Urteil vom 6. Dezember 2022

Nach dem Urteil des BGH vom 6. Dezember 2022 kommt es auf die beiden letztgenannten Merkmale (Besondere Schwere des Schocks und Tod oder schwere Verletzung des Opfers) nicht mehr an.

Bereits in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 (BGH v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, MDR 2015, 391) hat der BGH dem Umstand, ob der Geschädigte den Unfall miterlebt hat oder nicht maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung der besonderen Schwere des Schocks beigemessen, ohne mit der ständigen Rechtsprechung zu brechen.

In seinem Urteil vom 6. Dezember 2022 hat der BGH nun genau das getan und das Merkmal besondere Schwere des Schocks ausdrücklich aufgegeben:

„Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Der Senat hält diese Änderung im Sinne einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 I BGB für geboten.“ (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362) 

Nunmehr gilt: Ist gesichert, dass das Geschehen bei der nahestehenden Person eine pathologisch fassbare psychische Störung verursacht hat, liegt nun eine Gesundheitsverletzung unabhängig von der Schwere des Schocks vor.

Die Ersatzfähigkeit von Schockschäden ist laut BGH auch nicht von vornherein auf Fälle beschränkt, in denen das nahestehende Opfer getötet oder schwer verletzt worden ist. Im entschiedenen Fall waren die psychischen Gesundheitsschäden durch die Information über den sexuellen Missbrauch der eigenen Tochter ausgelöst worden. Feststellungen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Tochter selbst gab es nicht. Der BGH lässt aber offen, ob eine Einschränkung für Fälle vorzunehmen ist, in denen „der Geschädigte auf Ereignisse besonders empfindlich und „schockartig“ reagiert, die das objektiv nicht rechtfertigen und die im Allgemeinen ohne nachhaltige und tiefe seelische Erschütterungen toleriert zu werden pflegen“ (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362).

Einordnung des Urteils vom 6. Dezember 2022 und Abgrenzung 

Der BGH weitet durch sein Urteil vom 6. Dezember 2022 die Rechtsprechung zum Schockschaden aus. Eine besondere Schwere des Schocks ist nun, wie von der Literatur seit langem gefordert (Bischoff, MDR 2004, 557, 558; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 8; Zwickel, NZV 2015, 214, 215) nicht mehr erforderlich. Zudem kommt ein Schockschadenersatz nicht nur bei Tod bzw. schwerer Verletzung in Frage.

Weitere einengende Elemente des Schockschadenersatzes bleiben aber erhalten. Es fehlt weiterhin am Schutzzweckzusammenhang, wenn der Geschädigte kein naher Angehöriger des Opfers ist. Auch völlig fremde Personen können aber eine psychische Gesundheitsverletzung durch ein Unfallerlebnis erleiden. Dieses Merkmal bleibt damit zweifelhaft (so auch Greger in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 3.47).

Ein Schockschadenersatz setzt zudem stets eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung voraus. Damit bleibt auch die Frage nach der Abgrenzung von Schockschadenersatz und Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB) relevant, wo eine eigene Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers gerade nicht erforderlich ist. Das Hinterbliebenengeld wird aber künftig in (etwas) größerem Umfang durch den Schockschadenersatz verdrängt (sh. dazu Zwickel in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 31.202 ff.).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Reichweite der objektiven Rechtskraft.

Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags und Löschung einer Vormerkung
BGH, Urteil vom 17. Februar 2023 – V ZR 22/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Rechtskraftwirkung in einer besonderen Verfahrenslage.

Die Parteien schlossen im Februar 2014 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein dem Kläger gehörendes Grundstück zum Kaufpreis von 200.000 Euro. Zugunsten des Beklagten wurde eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Eine vom Kläger im Jahr 2016 erhobene Klage auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung wurde rechtskräftig abgewiesen. In einem weiteren Rechtsstreit wurde der Kläger rechtskräftig verurteilt, eine Anzahlung in Höhe von 50.000 Euro an den Beklagten zurückzuzahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr, die Nichtigkeit des Kaufvertrags festzustellen. Er macht geltend, die Parteien hätten sich formlos auf einen Kaufpreis von 350.000 Euro verständigt. Ergänzend begehrt er erneut die Bewilligung der Löschung der Vormerkung.

Das LG hat die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Die Berufungen beider Parteien blieben erfolglos.

Der BGH bestätigt, dass der Kaufvertrag nichtig ist, und verurteilt den Beklagten ergänzend dazu, die Löschung der Vormerkung zu bewilligen.

Über die Nichtigkeit des Kaufvertrags ist bislang nicht rechtskräftig entschieden worden. In beiden vorangegangenen Prozesse war dies zwar eine entscheidungserhebliche Vorfrage. Die Rechtskraft der dort ergangenen Entscheidungen bezieht sich aber nur auf die dort geltend gemachten Ansprüche auf Abgabe einer Löschungsbewilligung und Rückzahlung von 50.000 Euro. Diese Entscheidungen führen auch nicht dazu, dass der Kläger mit seinem Nichtigkeitseinwand präkludiert ist.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der beurkundete Kaufvertrag den tatsächlich vereinbarten Kaufpreis nicht wiedergibt, und seine daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass der Vertrag gemäß § 117 Abs. 2, § 311b Abs. 1 Satz 1 und § 125 Satz 1 BGB nichtig ist, sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Aufgrund der nunmehr festgestellten Nichtigkeit des Kaufvertrags steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung zu. Dieser Anspruch ist zwar im ersten Vorprozess rechtskräftig aberkannt worden. Aufgrund der Akzessorietät zwischen der Vormerkung und dem gesicherten Anspruch muss es dem Kläger aber möglich sein, den Löschungsanspruch erneut geltend zu machen, wenn rechtskräftig feststeht, dass der Kaufvertrag nichtig ist. Die Feststellung der Nichtigkeit steht einer nachträglichen Änderung der für den Löschungsanspruch maßgeblichen Tatsachen gleich.

Aus Gründen der Prozessökonomie darf der Kläger das erneute Löschungsbegehren zusammen mit dem Feststellungsantrag geltend machen – allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Bewilligung der Löschung nur für den Fall verlangt wird, dass der Feststellungsantrag Erfolg hat. Diese Bedingung kann auch noch in der Revisionsinstanz hinzugefügt werden.

Praxistipp: Eine weitergehende Rechtskraftwirkung kann mittels einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO herbeigeführt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bezugsberechtigung aus einer gekündigten, aber beim Versterben des Versicherten noch nicht beendeten Lebensversicherung.

Kündigung einer Lebensversicherung und Widerruf der Bezugsberechtigung
BGH, Urteil vom 22. März 2023 – IV ZR 95/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob es Erfahrungssätze für die Auslegung einer Erklärung gibt, mit der eine Lebensversicherung gekündigt wird.

Die Mutter der Beklagten (nachfolgend: Erblasserin) hatte bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung von 20.000 Euro abgeschlossen, aus der sie ab September 2012 eine vierteljährliche Rente von rund 180 Euro erhielt. Bei Abschluss der Versicherung bestimmte die Erblasserin ihren Lebensgefährten widerruflich zum Bezugsberechtigten im Todesfall. Im Februar 2019 erklärte die Erblasserin die Kündigung der Versicherung zum 1. April. Im Kündigungsschreiben bat sie um Überweisung des Restbetrags auf ihr Konto. Die Klägerin zahlte bereits im März rund 16.000 Euro an die Erblasserin aus. Einen Tag nach Gutschrift dieses Betrags verstarb die Erblasserin. Ihre Alleinerbin ist die Beklagte. Von dieser verlangt die Klägerin die Rückzahlung des ausgezahlten Betrags.

Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage bis auf einen Restbetrag von rund 950 Euro ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Wie die Vorinstanzen qualifiziert der BGH den Versicherungsvertrag als Lebensversicherung, weil er eine Auszahlung für den Todesfall vorsieht. Da die Erblasserin vor Beendigung des Vertrags verstorben ist, steht der im Todesfall zu zahlende Betrag dem Bezugsberechtigten zu. Dies war ursprünglich nicht die Erblasserin, sondern deren Lebensgefährte. Entgegen der Auffassung des OLG hat die Erblasserin dieses Bezugsrecht nicht konkludent widerrufen.

Das OLG hatte angenommen, eine Kündigungserklärung sei im Regelfall dahin auszulegen, dass der Versicherungsnehmer konkludent auch ein zu Gunsten eines Dritten bestehendes Bezugsrecht widerrufe. Dies entspreche der regelmäßigen Interessenlage. Ähnlich hat mehrfach der IX. Zivilsenat des BGH für den Fall entschieden, dass ein Insolvenzverwalter die weitere Erfüllung eines Lebensversicherungsvertrags ablehnt.

Der IV. Zivilsenat tritt dieser Auffassung für die Konstellation des Streitfalls nicht bei.

Sofern aus dem Kündigungsschreiben nicht hervorgeht, aus welchen Gründen die Kündigung erfolgt, ist für den Versicherer nicht erkennbar, welche Dispositionen der Versicherungsnehmer für den Fall seines Todes treffen möchte. Ein konkludenter Widerruf der Bezugsberechtigung kann bei dieser Ausgangslage nur dann angenommen werden, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben selbst oder aus sonstigen für den Versicherer erkennbaren Umständen konkrete Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Willen ergeben. Solche Anhaltspunkte gab es – anders als bei der Erfüllungsverweigerung durch einen Insolvenzverwalter – im Streitfall nicht. Deshalb steht die für den Todesfall vorgesehene Zahlung dem früheren Lebensgefährten der Erblasserin zu.

Praxistipp: Für den Widerruf eines Bezugsrechts sehen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Regel eine besondere Form vor. Im hier entschiedenen Fall war Schriftform vorgeschrieben. Nach neueren Verträgen reicht oft Textform.

Blog powered by Zöller: Urkundenvorlage und Datenschutz

Wenn das Gericht gem. § 142 ZPO die Vorlage einer Urkunde anordnet, kann dies nicht nur Geheimhaltungsinteressen des Urkundenbesitzers tangieren (s. dazu Zöller/Greger, § 142 ZPO Rn. 9). Enthält die Urkunde auch personenbezogene Daten Dritter, stellt sich des Weiteren die Frage, ob nicht die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Herausgabe der Urkunde verbietet, weil die Daten zu anderen Zwecken als für den betr. Rechtsstreit erhoben wurden. Der EuGH hat diese Frage soeben auf Vorlage eines schwedischen Gerichts entschieden. Da die dortige Regelung mit § 142 ZPO übereinstimmt, ist die Entscheidung auch für die deutsche Prozesspraxis von größter Bedeutung.

Der Entscheidung zufolge ist die DSGVO in derartigen Fällen zwar anwendbar. Sie hindere das Gericht aber nicht, eine Vorlegung der Urkunde anzuordnen, denn der in Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta verbürgte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz dürfe nicht beeinträchtigt werden. Zu beachten seien indessen die Grundsätze der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Datenminimierung. So sei zu prüfen, ob die Sachaufklärung auch mit milderen Mitteln, etwa der Vernehmung ausgewählter Zeugen, erreicht werden könnte. Falls die Vorlegung des Dokuments angeordnet wird, seien besondere Datenschutzmaßnahmen in Betracht ziehen, etwa die Anonymisierung der Daten, die Beschränkung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Akten oder eine Anordnung an die Parteien, diese Daten nicht zu verfahrensfremden Zwecken zu verwenden.

Ausführliche Besprechung des EuGH-Urteils v. 2.3.2023 – C-268/21 demnächst im ‚Blickpunkt‘ der MDR und bereits als Kurzbeitrag in ZIP 2023, R4.

 

Blog powered by Zöller: Tücken der elektronischen Signatur

„Doppelt genäht hält besser“, sagt der Volksmund. Für den elektronischen Rechtsverkehr gilt dies aber nicht unbedingt. Wenn ein Anwalt nämlich einen über sein beA versandten Schriftsatz – unnötigerweise – mit qualifizierter elektronischer Signatur (qeS) versehen hat, ist die Einreichung gleichwohl unwirksam, sofern der Schriftsatz die einfache Signatur (d.h. die Namensangabe) eines anderen Rechtsanwalts trägt. So haben es jedenfalls ein Strafsenat des BGH (3 StR 262/22) und das BayObLG (207 StRR 2/23) unter Verweis darauf entschieden, dass die den Schriftsatz verantwortende und die versendende Person identisch sein müssen. Dies kann man allerdings auch anders sehen.  So hat das BAG entschieden, dass der versendende beA-Inhaber durch die Anbringung seiner qeS, die ja die frühere handschriftliche Unterschrift ersetzt, die Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernimmt, also „verantwortende Person“ i.S.d. § 130a Abs. 3 ZPO (BAG v. 24.10.2019 – 8 AZN 589/19, MDR 2020, 240) wird. Ob sich diese Auffassung durchsetzen wird, ist freilich ungewiss. Vorsorglich sollten daher die sicheren Wege beschritten werden, d.h. das Schriftstück entweder mit der qeS des Verfassers oder mit der einfachen Signatur des beA-Versenders, ggf. mit Vertretungszusatz; versehen werden (s. Zöller/Greger, § 130a  ZPO Rn. 11). Ob die Doppelnaht alleine hält, ist ungewiss.

Was aber beim elektronischen Rechtsverkehr sicher nicht geht, ist das Zusammennähen mehrerer Dokumente. Dies musste ein Anwalt leidvoll erfahren, der beim Versand einer Berufungsschrift versehentlich nicht den Schriftsatz, sondern die beizufügende Urteilsabschrift mit seiner qeS versehen hat. Seinem Argument, dass man die Sendung doch als Einheit sehen müsse und nach früherem Recht die fehlende Unterschrift durch die Unterzeichnung einer Anlage ersetzt werden konnte (s. Zöller/Greger, § 130 ZPO Rn. 19), hielt der BGH entgegen, dass § 4 Abs. 2 ERVV eine gemeinsame Signatur mehrerer Dokumente ausschließt; die (unnötige) Signatur der Anlage lasse nicht erkennen, dass der Versender des Schriftsatzes die Verantwortung für diesen übernehmen wollte (BGH, Beschl. v. 19.1.2023 – V ZB 28/22).

Wie immer: Die wichtigste aktuelle Rechtsprechung finden Sie im Zöller s. § 130a ZPO Rn. 8, 9 und 11.

Blog powered by Zöller: § 68 FamFG – Niederschrift bei Geschäftsstelle? Nicht für Rechtsanwälte!

Entscheiden sich Rechtsanwälte, schriftlich Beschwerde gemäß § 68 FamFG einzulegen, muss die Übermittlung ans Gericht per beA erfolgen. Die Möglichkeit der Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle entbindet Rechtsanwälte davon nicht.

Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs führt neben den allgemeinen (zu diesen z.B. der Beitrag im „Blog powered by Zöller“ von Prof. Dr. Reinhard Greger vom 30.1.2023) zu speziellen Anwendungsproblemen und Haftungsrisiken im Bereich des FamFG. Dieses enthält in § 14b FamFG eine § 130d ZPO vergleichbare Regelung. Danach sind insbesondere von Rechtsanwälten „bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen“ als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Welche Erklärungen von dem Begriff „schriftlich einzureichende“ erfasst sind, ist im Verfahren des FamFG nicht unproblematisch, da die Beteiligten in den vielen FamFG-Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, gemäß § 25 Abs. 1 FamFG Anträge und Erklärungen auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgeben können. Besondere Bedeutung erlangt dies für die Einlegung der Beschwerde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann diese – außer in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) sowie in Scheidungsfolgesachen, auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 3/16, FamRZ 2017, 1151 [Anm. Fischer] = FamRB 2017, 290 [Anm. Stockmann]) – auch durch entsprechende Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden.

Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass auch ein Rechtsanwalt von der Form des § 14b FamFG freigestellt ist und z.B. eine Beschwerde schriftlich oder per Telefax einlegen darf, wenn das Verfahren keinem Anwaltszwang unterliegt. Das hat der BGH mit einer aktuellen Entscheidung klargestellt, in der in einem (nicht dem Anwaltszwang unterliegenden) Sorgerechtsverfahren durch einen Rechtsanwalt die Beschwerdeschrift per Post eingereicht wurde (BGH, Beschl. v. 7.12.2022 – XII ZB 200/22; ohne nähere Begründung auch schon BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22, MDR 2022, 1426 [Anm. Vossler] in einer Betreuungssache). Der BGH hat die die Beschwerde verwerfende Entscheidung des OLG bestätigt. Denn die Möglichkeit einer Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle solle anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten einen erleichterten Zugang zur Beschwerdeinstanz verschaffen. Werde die Beschwerde aber schriftlich eingelegt, muss sie den entsprechenden Formerfordernissen genügen, wozu auch die Einreichung als elektronisches Dokument gemäß § 14b FamFG durch die von der Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs erfassten Personen gehört.

Nutzungspflichtig in diesem Sinn sind im Übrigen gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Behörden. Dazu gehören insbesondere auch die „Staatskasse“, z.B. bei Einlegung einer sofortigen Beschwerde im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe (OLG Bamberg v. 4.11.2022 – 2 WF 167/22, FamRZ 2023, 210), die Deutsche Rentenversicherung in Versorgungsausgleichssachen (OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22, FamRZ 2022, 1049 = MDR 2022, 789) und das Jugendamt (OLG Frankfurt v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22, FamRZ 2022, 802 [Anm. Müther], dazu auch Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 14b FamFG Rz. 15 ).

Mehr dazu und topaktuell im Zöller: § 14b FamFG Rn. 2