Hervorstehendes Gehwegpflaster als Stein des Anstoßes: Das OLG Hamm zu den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht gegenüber Fußgängern

Unebenes Pflaster als „Stolperfalle“: gar kein seltener Fall

Es ist wohl jedem schon passiert: man geht – oder schlendert – dahin, oft in Gedanken versunken, da stößt man mit den Fuß auf einen (mehr oder minder leicht) hervorstehenden Pflasterstein. Meist geht es ja gut (und man schimpft über sich selbst, weil man nicht besser auf den Weg geachtet hat). Tatsächlich scheint die Stolperfalle Pflaster gar nicht so selten aufgestellt zu sein: Recherchen im Internet ergeben jedenfalls ohne Aufwand pressewirksame Fälle  aus Lohr am Main (2013), Ebrach (2016), Ratingen (2016), Germering (2019) oder Meschede (2019).

OLG Hamm: Urt. v. 16.10.2019 – 11 U 72/19

Auch in einem jüngst vom OLG Hamm entschiedenen Fall wurde ein hervorstehender Pflasterstein einer Passantin zum Verhängnis. Die damals 64jährige Klägerin fiel im August 2017 auf dem Alten Markt in Bochum-Wattenscheid hin und brach sich dabei mehrfach den linken Oberarmknochen.

Sie warf der beklagten Stadt vor, ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben, weil sie einen 4 bis 5 cm über das Straßenniveau hinausragenden Pflasterstein, der nicht ohne weiteres erkennbar war, nicht beseitigt hat. Die Stadt dagegen berief sich darauf, dass sie die Pflasterung und den Plattenbelag auf dem Alten Markt regelmäßig (einmal pro Woche) durch geschultes Personal überprüfen lasse.

Das LG Bochum hatte die Klage mit Urt. v. 7.6.2019 – 5 O 338/18 abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es nicht darauf ankomme, in welcher Höhe der Pflasterstein herausgestanden habe, weil die beklagte Stadt den Markplatz jedenfalls ausreichend kontrolliert habe.

Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil war nicht erfolgreich. Zwar bestünden – so das OLG Hamm – keine Zweifel daran, dass die Klägerin zur angegebenen Zeit an der angegebenen Stelle über einen hochstehenden Pflasterstein gestolpert sei und sich durch den Sturz eine Fraktur des linken Oberarmknochens zugezogen habe. Auch sei klar, dass dieser Pflasterstein eine Gefahrenstelle dargestellt habe, die zu beseitigen gewesen sei. Dennoch hafte die beklagte Stadt nicht, weil sie ihre Kontrollpflicht nicht verletzt habe. Dabei müsse eine Stadt oder Gemeinde allerdings Straßen und Wege auf ihrem Gebiet überprüfen, um neue Schäden oder Gefahren zu erkennen und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Hierzu gehöre es, die Straßen und Wege – in Abhängigkeit von ihrer Verkehrsbedeutung – regelmäßig zu beobachten und in angemessenen Zeitabschnitten zu befahren oder zu begehen. Nicht verlangt werden könne aber, dass eine Straße oder ein Weg ständig völlig frei von Mängeln und Gefahren sei, da sich ein solcher Zustand nicht erreichen lasse. Diesen Anforderungen habe die beklagte Stadt genügt, indem sie rund fünf Tage vor dem Unfall die spätere Unfallstelle bei einer ihrer wöchentlichen Kontrollen noch durch einen Straßenbegeher habe überprüfen lassen. Für eine nicht ausreichende Kontrolle der Wegstrecke bestünden keine Anhaltspunkte. Der Pflasterstein könne sich auch kurz vor dem Unfall der Klägerin gelockert haben. Die Ungewissheit bezüglich der Ursache und dem Zeitpunkt der Lockerung gehe zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Klägerin.

Der Kontext der Entscheidung

Wer sein Grundstück der Öffentlichkeit zugänglich macht, muss auch dafür sorgen, dass die Benutzung ohne Gefahren möglich ist – er hat eine Verkehrssicherungspflicht. Ausgangspunkt für die Anerkennung von Verkehrssicherungspflichten ist die Überlegung, dass ein Geschädigter grundsätzlich nur dann Ansprüche hat, wenn seine Rechtsgüter aktiv durch Handlungen eines Anderen verletzt wurden. Nur in Ausnahmefällen kann ein Unterlassen zum Schadensersatz verpflichten, nämlich dann, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand. Eine solche (Verkehrssicherungs-)Pflicht ergibt sich daraus, dass der Verfügungsberechtigte seine Gefahrenquelle beherrscht und deshalb auch entsprechende Vorkehrungen für eine (möglichst) gefahrlose Benutzung zu sorgen hat.

Die praktisch völlige Gefahrlosigkeit von Straßen oder Plätzen kann allerdings mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht und deshalb vom Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden. Die Verkehrssicherungspflicht geht deshalb auch nicht weiter, als dass der Verpflichtete in geeigneter und zumutbarer Weise diejenigen Gefahren auszuräumen hat oder gegebenenfalls vor ihnen warnen muss, die der „normale“ Verkehrsteilnehmer nicht erkennen kann und auf die er sich auch nicht einstellen muss. Es werden also nur die Vorkehrungen geschuldet, die im Rahmen der berechtigten Sicherheitserwartungen des in Betracht kommenden Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von den Verkehrsteilnehmern abzuwehren.

Die Rechtsprechung zu „Stolperfallen“

Fußgänger etwa müssen kleinere Mängel des Pflasters in Form von Unebenheiten hinnehmen, weil sie sich durch eine entsprechende Gehweise darauf einrichten können. Sind die Unebenheiten vom Fußgänger nicht mehr zu beherrschen, muß der Verkehrssicherungspflichtige sie beseitigen (OLG Thüringen, Urt. v. 29.7.1997 – 3 U 1464/96, juris). Eine Erhebung von lediglich 1,2 cm hat der BGH nicht als Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht angesehen (BGH, Urt. v. 13.7.1989 – III ZR 122/88, MDR 1989, 1084). Unter Berücksichtigung des Gesamtbilds wurde bei einem Gehweg eine Unebenheit von 2 cm als hinnehmbar angesehen (OLG Hamm v. 2208.1989 – 9 U 318/88, VersR 1991, 1415). Allgemein kann einem Fußgänger, wenn keine besonderen Umstände hinzukommen, eine Unebenheit von 2 cm zugemutet werden (OLG Celle, Urt. v. 23.12.1997 – 9 U 120/97, MDR 1998, 1031). Ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht liegt aber vor, wenn ein Pflasterstein auf von Fußgängern benutzten Verkehrsräumen mehr als 4 cm über das sonstige Niveau hinausragt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.12.1989 – 14 U 159/88,  MDR 1990, 722). Bei scharfkantigen Unebenheiten können bereits Höhenunterschiede von mehr als 2 cm vom Verkehrssicherungspflichtigen die Beseitigung dieses Zustands verlangen (OLG Hamm v. 18.7.1986 – 9 U 328/85, VersR 1988, 467 f.; OLG Hamm v. 7.5.1993 – 9 U 227/921, VersR 1993, 1030; ebenso OLG Köln v. 21.11.1991 – 7 U 52/91, VersR 1992, 355, für eine 2,5 cm hohe Aufkantung). Besteht die Gefahr einer Ablenkung durch Schaufenster kann bereits eine Vertiefung von 1,5 cm für den Fußgänger unzumutbar sein (BGH v. 27.10.1966 – III ZR 132/65, MDR 1967, 387).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Verkehrssicherungspflichtige gehalten ist, Straßen und Wege in einem Zustand zu erhalten, der verhindert, dass durch Schadstellen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dieser Pflicht trägt die Gemeinde Rechnung, indem sie Straßen, Wege und Gehwege regelmäßigen Kontrollen unterzieht und Schadstellen ausbessert (zum Ganzen: LG Essen, Urt. v. 12.05.2005 – 4 O 370/04, juris)

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um zwei nahezu klassische Fragen, die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder stellen.

Reichweite der Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs
Urteil vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 158/19

Mit den Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die klagende Versicherung nimmt die Beklagte wegen eines Brandschadens in der Autoreparaturwerkstatt ihres Versicherungsnehmers in Anspruch. Die Beklagte hatte einen Lkw in die Werkstatt gebracht, um die Hinterreifen auszutauschen und am nächsten Tag eine TÜV-Untersuchung durchzuführen. In der Nacht vor der Untersuchung geriet das Werkstattgebäude in Brand. Als Ursache wurde ein Defekt des in der Werkstatt abgestellten Lkw festgestellt. Unklar blieb, ob der Defekt am Motor oder an einem in der Fahrerkabine eingebauten Kühlschrank entstanden war. Die Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

Die Beklagten unterliegt auch in der dritten Instanz.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Schaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden ist, wenn das Schadensgeschehen auf eine defekte Betriebseinrichtung zurückzuführen ist. Zu den Betriebseinrichtungen gehören nicht nur Teile, die für die Transport- und Fortbewegungsfunktion von Bedeutung sind, sondern alle Bestandteile, die dazu bestimmt sind, dem Betrieb des Fahrzeugs zu dienen, indem sie dessen Benutzung sicherer, leichter oder komfortabler gestalten sollen. Dazu gehört auch ein in das Fahrzeug eingebauter Kühlschrank.

Praxistipp: Nicht von § 7 Abs. 1 StVG erfasst sind Schäden, die dadurch verursacht worden sind, dass ein Kraftfahrzeug als Arbeitsgerät eingesetzt worden ist, ohne am öffentlichen Verkehr teilzunehmen.

Bereicherungsausgleich in Dreiecksverhältnissen
Urteil vom 29. Oktober 2020 – IX ZR 212/19

Mit den Folgen einer fehlerhaften Anweisung befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Klägerin, eine Publikums-KG, begehrt vom Beklagten, dem Insolvenzverwalter einer anderen KG, die Feststellung einer Darlehensforderung zur Insolvenztabelle. Nach dem Vortrag der Klägerin wurde das Darlehen vom damaligen Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH, der zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der späteren Insolvenzschuldnerin war, gewährt und die Darlehenssumme unmittelbar an eine Gläubigerin der Insolvenzschuldnerin ausgezahlt. Die Komplementärin der Schuldnerin war von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Nach dem Gesellschaftsvertrag bedurfte die Gewährung von Krediten unter bestimmten Voraussetzungen aber der Einwilligung der Gesellschafterversammlung. Nach dem Vortrag der Beklagten fiel das in Streit stehende Darlehen unter diese Bestimmung. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der Darlehensvertrag nicht schon deswegen unwirksam, weil er ohne Einwilligung der Gesellschafterversammlung geschlossen wurde. Die Komplementärin der Insolvenzschuldnerin hat durch den Abschluss dieses Vertrags zwar ihre internen Befugnisse überschritten. Bei einem Insichgeschäft eines von § 181 BGB befreiten Vertreters führt ein solcher Verstoß aber nur dann zur Unwirksamkeit des Vertrags wegen Missbrauchs der – im Außenverhältnis wirksamen – Vertretungsmacht, wenn der Vertrag für den Vertretenen nachteilig ist. Hierzu fehlt es an tatrichterlichen Feststellungen.

Selbst wenn der Vertrag unwirksam wäre, ergäbe sich aus dem Klägervorbringen ein gegen die Beklagte gerichteter Bereicherungsanspruch. Der Darlehensbetrag ist nach dem Vortrag der Klägerin zwar an einen Dritten geflossen. Der Bereicherungsanspruch richtet sich ggf. aber gegen die Schuldnerin, weil die Zahlung auf ihre Weisung erfolgt ist und der Tilgung einer ihr obliegenden Verbindlichkeit gedient hat. Dass die Weisung im Falle eines Vollmachtsmissbrauchs ebenfalls unwirksam ist, steht dem nicht entgegen. Der Zahlungsempfänger, für den der Missbrauch nicht erkennbar war, ist in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Weisung geschützt. Ausschlaggebend dafür ist, dass der Geschäftsführer im Außenverhältnis zur Vertretung der Schuldnerin befugt war und nur gegen Beschränkungen im Innenverhältnis verstoßen hat.

Praxistipp: Aufgrund der Sonderregelung in § 675u BGB ist das Vertrauen des Zahlungsempfängers nicht geschützt, wenn die Leistung durch einen Zahlungsdienstleister erfolgt und der zugrunde liegende Zahlungsauftrag zuvor storniert worden ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Grenzen der Schutzwirkung eines Anwaltsmandats.

Schutzwirkung eines Rechtsberatungsvertrags
Urteil vom 9. Juli 2020 – IX ZR 289/19

Mit den Pflichten eines Rechtsanwalts befasst sich – anlässlich eines überaus tragischen Falls – der IX. Zivilsenat.

Die Mutter der im Jahr 1994 und 1997 geborenen Klägerinnen ist seit einem Verkehrsunfall im Jahr 2006 schwerstbehindert und dauerhaft pflegebedürftig. Die Klägerinnen erlitten bei dem Unfall nur leichte Verletzungen. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bestätigte gegenüber der Mutter ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach. Im Dezember 2007 beauftragte die Mutter den beklagten Rechtsanwalt mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche. Ab 2013 begaben sich die Klägerinnen in psychotherapeutische Behandlung. Die Versicherung lehnte eine Erstattung der dafür anfallenden Kosten wegen Verjährung ab. Die Klägerinnen verlangen deshalb vom Beklagten Schadensersatz. Sie machen geltend, der Beklagte hätte im Rahmen des von ihrer Mutter erteilten Mandats auch auf die den Klägerinnen zustehenden Ansprüche hinweisen müssen. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerinnen hat ebenfalls keinen Erfolg. Ein Anwaltsvertrag kann zwar auch ohne ausdrückliche Regelungen Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfalten. Im Streitfall ist das Berufungsgericht aber rechtsfehlerfrei zu der Beurteilung gelangt, dass es an der erforderlichen Leistungsnähe fehlte. Der Beklagte war nur mit der Geltendmachung von Ansprüchen der Mutter betraut. Zudem war damals nicht offenkundig, dass die bei dem Unfall nur leicht verletzten Klägerinnen Spätfolgen erleiden könnten, die Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung angezeigt erscheinen lassen.

Praxistipp: Auch wenn der BGH im konkreten Fall eine Haftung verneint hat, erscheint es in vergleichbaren Situationen ratsam, bei der Übernahme des Mandats nachzufragen, ob mögliche Ansprüche von Angehörigen, die ebenfalls durch den Unfall geschädigt worden sind, bereits in Betracht gezogen worden sind.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der deliktischen Haftung eines Kfz-Sachverständigen.

Eigene Haftung eines beim Haftpflichtversicherer angestellten Kfz-Sachverständigen
Urteil vom 7. Juli 2020 – VI ZR 308/19

Mit den Voraussetzungen einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Am Auto der Klägerin war ein Motorschaden aufgetreten, weil bei einer von ihm in Auftrag gegebenen Überprüfung des Fahrzeugs an einer Tankstelle der Deckel des Kühlwasserausgleichsbehälter nicht wieder aufgeschraubt worden war. Der mit der Reparatur beauftragte Werkunternehmer schlug vor, Zylinderkopf, Zahnriemen und Zusatzriemen auszutauschen. Der bei der Haftpflichtversicherung der Tankstelle als Kfz-Sachverständiger beschäftigte Beklagte hielt den Austausch des Zusatzriemens für nicht erforderlich. Der Werkunternehmer fügte sich dieser Vorgabe, obwohl er sie für sachlich unzutreffend hielt. Kurze Zeit später kam es zum Riss des Zusatzriemens, der zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führte. Die Klägerin nahm den Werkunternehmer und den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz erfolgreich. Der Werkunternehmer ersetzte daraufhin den Schaden in vollem Umfang. Der Beklagte legte hingegen Berufung ein. Das LG wies diese mit der Maßgabe zurück, dass der Rechtsstreit aufgrund der Zahlung in der Hauptsache erledigt sei.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Die Vorinstanzen haben zu Recht eine eigene Haftung des Beklagten für den zweiten Motorschaden aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin war diese allerdings nicht in den Schutzbereich des Angestelltenverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Versicherung einbezogen. Es bestand auch kein konkludenter Auskunftsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Werkunternehmer. Durch sein Dazwischentreten hat der Beklagte aber den Austausch des Zusatzriemens verhindert und damit die mit dem zweiten Motorschaden eingetretene Eigentumsverletzung adäquat verursacht. Der Beklagte handelte auch widerrechtlich. Eine Rechtspflicht zum Schutz des Eigentums der Klägerin traf ihn zwar nicht schon aufgrund seiner Tätigkeit für die Versicherung oder aufgrund deren Einstandspflicht für den ersten Motorschaden. Eine Rechtspflicht, die Interessen der Klägerin nicht zu gefährden, ergab sich aber daraus, dass er sich ohne Rücksprache mit der Klägerin in den Reparaturprozess eingeschaltet und maßgeblichen Einfluss auf den Umfang der Reparaturarbeiten genommen hat. Der Beklagte hat auch fahrlässig gehandelt, weil er sich über den Hinweis des Werkunternehmers hinweggesetzt hat.

Praxistipp: Eine deliktische Haftung der an einer fehlerhaften Reparatur oder Wartung beteiligten Personen kommt auch gegenüber Dritten in Betracht, wenn das fehlerhafte Handeln eine Gefahr für deren Rechtsgüter begründet hat.

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die analoge Anwendbarkeit von § 839a BGB.

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen bei Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Urteil vom 25. Juni 2020 – III ZR 119/19

Mit der Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 839a BGB befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte in einem Vorprozess gegen Gewährleistungsansprüche wegen Sachmängeln einer Druckmaschine geltend gemacht. Das LG hatte den Beklagten mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, die Druckgeschwindigkeit der Maschine sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. Das LG wies die Klage daraufhin ab. In der Berufungsinstanz äußerte das OLG Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens. Auf Vorschlag des Gerichts einigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin Eigentümerin der Maschine wird und alle anderen Ansprüche erledigt sind. Die Klägerin nahm daraufhin den Beklagten wegen Erstattung eines unrichtigen Gutachtens auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen für fehlerhafte Gutachten in § 839a BGB abschließend geregelt ist. Deshalb kommen konkurrierende Ansprüche aus § 823 oder § 826 BGB nicht in Betracht. Eine unmittelbare Anwendung von § 839a BGB setzt voraus, dass das Verfahren durch eine gerichtliche Entscheidung erledigt wird. Ein Vergleich wird davon auch dann nicht erfasst, wenn er auf einem Vorschlag des Gerichts beruht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kommt im Falle eines Vergleich aber eine entsprechende Anwendung von § 839a BGB in Betracht. Wie im Falle einer gerichtlichen Entscheidung setzt die Haftung voraus, dass der Inhalt des Vergleichs durch das Gutachten beeinflusst worden ist. Ob diese und die weiteren Voraussetzungen vorliegen, wird das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben.

Praxistipp: Bei einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich wird sich in der Regel die Frage stellen, ob der Geschädigte den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels – d.h. durch Weiterführen des Prozesses – hätte abwenden können, was nach § 839a Abs. 2 und § 839a Abs. 3 BGB zum Wegfall des Ersatzanspruchs führt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um Hinweispflichten des Verkäufers einer Immobilie.

Keine Pflicht des Verkäufers zu Hinweis auf Kündigung der Gebäudeversicherung
Urteil vom 20. März 2020 – V ZR 61/19

Mit einer zwar nur ein Detail betreffenden, aber dennoch grundsätzlichen Frage befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte von den Beklagten im Februar 2017 ein Hausgrundstück gekauft. Die Übergabe erfolgte Anfang April. Kurz zuvor hatte die von den Beklagten unterhaltene Wohngebäudeversicherung den Versicherungsvertrag auf Anfang Mai gekündigt. Mitte Juni kam es zu einem schweren Unwetter, bei dem das Dach des Gebäudes nach dem Vorbringen des Klägers stark beschädigt wurde. Die Klage auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von rund 38.000 Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass keine Gewährleistungsansprüche bestehen, weil die Gefahr bereits bei Übergabe auf den Kläger übergegangen war. Die Beklagten waren auch nicht verpflichtet, den Kläger auf das Auslaufen des Gebäudeversicherungsvertrags hinzuweisen. Der Erwerber eines Grundstücks tritt zwar gemäß § 95 Abs. 1 VVG in die Rechte und Pflichten eines bestehenden Versicherungsvertrags ein. Dennoch liegt es in seiner Verantwortung, rechtzeitig abzuklären, ob Versicherungsschutz besteht, und zwar unabhängig davon, ob der Abschluss einer solchen Versicherung üblich ist. Der Verkäufer muss auf die Beendigung eines bestehenden Vertrags nur dann hinweisen, wenn er zuvor mitgeteilt hat, dass Versicherungsschutz besteht. Eine solche Mitteilung hatte es im Streitfall nicht gegeben.

Praxistipp: Ein Grundstückskäufer sollte darauf achten, dass die Mitteilung über das Bestehen von Versicherungsschutz in den Kaufvertrag aufgenommen wird. Der Verkäufer ist aber auch dann zu einem Hinweis auf eine spätere Veränderung verpflichtet, wenn er die Mitteilung auf anderem Wege abgegeben hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

Montagsblog: Neues vom BGH

Im ersten Blog des Jahres 2020 geht es um die Reichweite der Haftung aus einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung.

Schutzzweck einer Beratungspflicht
Urteil vom 21. November 2019 – III ZR 244/18

Mit dem Zurechnungszusammenhang nach einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte den Kläger über rund zwanzig Jahre hinweg vor allem in Versicherungsangelegenheiten beraten. Ende 2005 stellte ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger verschiedene Renten- und Lebensversicherungsprodukte zum Zwecke der Altersvorsorge vor. Der Kläger bemängelte eine zu geringe Rendite und eine zu lange Laufzeit. Ende 2006 wies derselbe Mitarbeiter den Kläger darauf hin, ein Rechtsanwalt biete kurzfristige Kapitalanlagen zu guten Festzinsen an. Zwischen Februar 2007 und März 2014 überwies der Kläger diesem Rechtsanwalt bei mehreren Gelegenheiten insgesamt 210.000 Euro. Nach dem Tod des Anwalts im Mai 2014 stellte sich heraus, dass dieser massiv überschuldet war. Das LG stellte antragsgemäß fest, dass die Beklagte dem Kläger alle aus der Anlage entstandenen Schäden zu ersetzen hat. Das OLG wies die Klage hingegen ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt den Vorinstanzen darin bei, dass der Mitarbeiter der Beklagten mit dem Hinweis auf die konkrete Anlagemöglichkeit einen stillschweigenden Beratungsvertrag geschlossen und die hieraus resultierende Pflicht zu einer objektgerechten Beratung verletzt hat. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es nicht deshalb an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang, weil der Kläger die Anlagen über einen längeren Zeitraum hinweg getätigt hat und bei einer einmaligen Anlage im Jahr 2007 das investierte Kapital nebst Zinsen zurückerhalten hätte. Die Pflichten aus einer Beratung über Anlagemöglichkeiten für einen bestimmten Geldbetrag beschränken sich zwar grundsätzlich auf diese konkrete Anlageentscheidung. Wenn der Interessent eine umfassendere Beratung wünscht und der Berater in Kenntnis dessen eine Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge aufzeigt, kann der Zurechnungszusammenhang aber alle darauf beruhenden Anlageentscheidungen umfassen. Ob und in welchem Umfang dies gilt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Die hierzu erforderlichen Feststellungen muss das OLG in der neu eröffneten Berufungsinstanz treffen.

Praxistipp: Wenn ein Teil des entstandenen Schadens bereits bezifferbar ist, kann der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht mit einem den bezifferbaren Teil betreffenden Zahlungsantrag kombiniert werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen gegen Notare.

Verjährung des notariellen Amtshaftungsanspruchs
Urteil vom 10. Oktober 2019 – III ZR 227/18

Mit der Frage, wann ein Laie die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis von einer notariellen Pflichtverletzung hat, befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger hatte Ende 2006 eine Eigentumswohnung erworben. Im notariellen Vertrag, den der Beklagte als Notarvertreter beurkundet hat, ist vermerkt, der Käufer habe den Vertragsentwurf mehr als zwei Wochen zuvor erhalten und ausreichend Gelegenheit gehabt, ihn zu prüfen oder überprüfen zu lassen. Später betrieb der Kläger die Rückabwicklung der Verträge, weil er den Kaufpreis als überteuert ansah. Sein Versuch, die an dem Geschäft Beteiligten in Anspruch zu nehmen, schlug fehl, unter anderem wegen Insolvenz der als Schuldner in Frage kommenden Gesellschaften. Daraufhin nahm der Kläger Ende 2016 den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil ihm der Vertragsentwurf entgegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG und abweichend von den Angaben im Vertrag erst kurz vor dem Beurkundungstermin zur Verfügung gestellt worden sei. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt sind. Er knüpft an seine schon zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. ergangene Rechtsprechung an, wonach die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs bereits dann vorliegt, wenn dem Gläubiger Tatsachen bekannt oder infolge von grober Fahrlässigkeit unbekannt sind, die aus seiner Sicht auf eine Pflichtverletzung hinweisen. Abweichend von der Auffassung der Revision sieht der erkennende Senat insoweit keine Unterschiede zwischen der Rechtsprechung für Notar-, Anwalt- und Arzthaftungssachen. Im Streitfall ergaben sich für den Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung des Beklagten schon aus dem Umstand, dass die im beurkundeten Vertrag enthaltenen Angaben zur Überlassung des Vertragsentwurfs nach seinem eigenen Vortrag objektiv unzutreffend waren und damit gegebenenfalls auch für einen Laien ohne weiteres erkennbar war, dass der Beklagte möglicherweise gegen rechtliche Vorgaben verstieß. Die Verjährung begann deshalb, sobald der Kläger zusätzlich Kenntnis davon erhielt, dass keine anderweitigen Ersatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Letzteres war spätestens im Jahr 2012 der Fall. Die im Jahr 2016 erhobene Klage konnte die Verjährung deshalb nicht mehr hemmen.

Praxistipp: Etwas anderes kann gelten, wenn der Notar den Geschädigten über den Inhalt oder Umfang der ihn treffenden Pflichten unzutreffend belehrt hat und für den Geschädigten nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Belehrung fehlerhaft ist.