Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Grenzen der Schutzwirkung eines Anwaltsmandats.

Schutzwirkung eines Rechtsberatungsvertrags
Urteil vom 9. Juli 2020 – IX ZR 289/19

Mit den Pflichten eines Rechtsanwalts befasst sich – anlässlich eines überaus tragischen Falls – der IX. Zivilsenat.

Die Mutter der im Jahr 1994 und 1997 geborenen Klägerinnen ist seit einem Verkehrsunfall im Jahr 2006 schwerstbehindert und dauerhaft pflegebedürftig. Die Klägerinnen erlitten bei dem Unfall nur leichte Verletzungen. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bestätigte gegenüber der Mutter ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach. Im Dezember 2007 beauftragte die Mutter den beklagten Rechtsanwalt mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche. Ab 2013 begaben sich die Klägerinnen in psychotherapeutische Behandlung. Die Versicherung lehnte eine Erstattung der dafür anfallenden Kosten wegen Verjährung ab. Die Klägerinnen verlangen deshalb vom Beklagten Schadensersatz. Sie machen geltend, der Beklagte hätte im Rahmen des von ihrer Mutter erteilten Mandats auch auf die den Klägerinnen zustehenden Ansprüche hinweisen müssen. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerinnen hat ebenfalls keinen Erfolg. Ein Anwaltsvertrag kann zwar auch ohne ausdrückliche Regelungen Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfalten. Im Streitfall ist das Berufungsgericht aber rechtsfehlerfrei zu der Beurteilung gelangt, dass es an der erforderlichen Leistungsnähe fehlte. Der Beklagte war nur mit der Geltendmachung von Ansprüchen der Mutter betraut. Zudem war damals nicht offenkundig, dass die bei dem Unfall nur leicht verletzten Klägerinnen Spätfolgen erleiden könnten, die Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung angezeigt erscheinen lassen.

Praxistipp: Auch wenn der BGH im konkreten Fall eine Haftung verneint hat, erscheint es in vergleichbaren Situationen ratsam, bei der Übernahme des Mandats nachzufragen, ob mögliche Ansprüche von Angehörigen, die ebenfalls durch den Unfall geschädigt worden sind, bereits in Betracht gezogen worden sind.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der deliktischen Haftung eines Kfz-Sachverständigen.

Eigene Haftung eines beim Haftpflichtversicherer angestellten Kfz-Sachverständigen
Urteil vom 7. Juli 2020 – VI ZR 308/19

Mit den Voraussetzungen einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Am Auto der Klägerin war ein Motorschaden aufgetreten, weil bei einer von ihm in Auftrag gegebenen Überprüfung des Fahrzeugs an einer Tankstelle der Deckel des Kühlwasserausgleichsbehälter nicht wieder aufgeschraubt worden war. Der mit der Reparatur beauftragte Werkunternehmer schlug vor, Zylinderkopf, Zahnriemen und Zusatzriemen auszutauschen. Der bei der Haftpflichtversicherung der Tankstelle als Kfz-Sachverständiger beschäftigte Beklagte hielt den Austausch des Zusatzriemens für nicht erforderlich. Der Werkunternehmer fügte sich dieser Vorgabe, obwohl er sie für sachlich unzutreffend hielt. Kurze Zeit später kam es zum Riss des Zusatzriemens, der zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führte. Die Klägerin nahm den Werkunternehmer und den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz erfolgreich. Der Werkunternehmer ersetzte daraufhin den Schaden in vollem Umfang. Der Beklagte legte hingegen Berufung ein. Das LG wies diese mit der Maßgabe zurück, dass der Rechtsstreit aufgrund der Zahlung in der Hauptsache erledigt sei.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Die Vorinstanzen haben zu Recht eine eigene Haftung des Beklagten für den zweiten Motorschaden aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin war diese allerdings nicht in den Schutzbereich des Angestelltenverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Versicherung einbezogen. Es bestand auch kein konkludenter Auskunftsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Werkunternehmer. Durch sein Dazwischentreten hat der Beklagte aber den Austausch des Zusatzriemens verhindert und damit die mit dem zweiten Motorschaden eingetretene Eigentumsverletzung adäquat verursacht. Der Beklagte handelte auch widerrechtlich. Eine Rechtspflicht zum Schutz des Eigentums der Klägerin traf ihn zwar nicht schon aufgrund seiner Tätigkeit für die Versicherung oder aufgrund deren Einstandspflicht für den ersten Motorschaden. Eine Rechtspflicht, die Interessen der Klägerin nicht zu gefährden, ergab sich aber daraus, dass er sich ohne Rücksprache mit der Klägerin in den Reparaturprozess eingeschaltet und maßgeblichen Einfluss auf den Umfang der Reparaturarbeiten genommen hat. Der Beklagte hat auch fahrlässig gehandelt, weil er sich über den Hinweis des Werkunternehmers hinweggesetzt hat.

Praxistipp: Eine deliktische Haftung der an einer fehlerhaften Reparatur oder Wartung beteiligten Personen kommt auch gegenüber Dritten in Betracht, wenn das fehlerhafte Handeln eine Gefahr für deren Rechtsgüter begründet hat.

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.

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Diese Woche geht es um die analoge Anwendbarkeit von § 839a BGB.

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen bei Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Urteil vom 25. Juni 2020 – III ZR 119/19

Mit der Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 839a BGB befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte in einem Vorprozess gegen Gewährleistungsansprüche wegen Sachmängeln einer Druckmaschine geltend gemacht. Das LG hatte den Beklagten mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, die Druckgeschwindigkeit der Maschine sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. Das LG wies die Klage daraufhin ab. In der Berufungsinstanz äußerte das OLG Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens. Auf Vorschlag des Gerichts einigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin Eigentümerin der Maschine wird und alle anderen Ansprüche erledigt sind. Die Klägerin nahm daraufhin den Beklagten wegen Erstattung eines unrichtigen Gutachtens auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen für fehlerhafte Gutachten in § 839a BGB abschließend geregelt ist. Deshalb kommen konkurrierende Ansprüche aus § 823 oder § 826 BGB nicht in Betracht. Eine unmittelbare Anwendung von § 839a BGB setzt voraus, dass das Verfahren durch eine gerichtliche Entscheidung erledigt wird. Ein Vergleich wird davon auch dann nicht erfasst, wenn er auf einem Vorschlag des Gerichts beruht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kommt im Falle eines Vergleich aber eine entsprechende Anwendung von § 839a BGB in Betracht. Wie im Falle einer gerichtlichen Entscheidung setzt die Haftung voraus, dass der Inhalt des Vergleichs durch das Gutachten beeinflusst worden ist. Ob diese und die weiteren Voraussetzungen vorliegen, wird das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben.

Praxistipp: Bei einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich wird sich in der Regel die Frage stellen, ob der Geschädigte den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels – d.h. durch Weiterführen des Prozesses – hätte abwenden können, was nach § 839a Abs. 2 und § 839a Abs. 3 BGB zum Wegfall des Ersatzanspruchs führt.

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Diese Woche geht es um Hinweispflichten des Verkäufers einer Immobilie.

Keine Pflicht des Verkäufers zu Hinweis auf Kündigung der Gebäudeversicherung
Urteil vom 20. März 2020 – V ZR 61/19

Mit einer zwar nur ein Detail betreffenden, aber dennoch grundsätzlichen Frage befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte von den Beklagten im Februar 2017 ein Hausgrundstück gekauft. Die Übergabe erfolgte Anfang April. Kurz zuvor hatte die von den Beklagten unterhaltene Wohngebäudeversicherung den Versicherungsvertrag auf Anfang Mai gekündigt. Mitte Juni kam es zu einem schweren Unwetter, bei dem das Dach des Gebäudes nach dem Vorbringen des Klägers stark beschädigt wurde. Die Klage auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von rund 38.000 Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass keine Gewährleistungsansprüche bestehen, weil die Gefahr bereits bei Übergabe auf den Kläger übergegangen war. Die Beklagten waren auch nicht verpflichtet, den Kläger auf das Auslaufen des Gebäudeversicherungsvertrags hinzuweisen. Der Erwerber eines Grundstücks tritt zwar gemäß § 95 Abs. 1 VVG in die Rechte und Pflichten eines bestehenden Versicherungsvertrags ein. Dennoch liegt es in seiner Verantwortung, rechtzeitig abzuklären, ob Versicherungsschutz besteht, und zwar unabhängig davon, ob der Abschluss einer solchen Versicherung üblich ist. Der Verkäufer muss auf die Beendigung eines bestehenden Vertrags nur dann hinweisen, wenn er zuvor mitgeteilt hat, dass Versicherungsschutz besteht. Eine solche Mitteilung hatte es im Streitfall nicht gegeben.

Praxistipp: Ein Grundstückskäufer sollte darauf achten, dass die Mitteilung über das Bestehen von Versicherungsschutz in den Kaufvertrag aufgenommen wird. Der Verkäufer ist aber auch dann zu einem Hinweis auf eine spätere Veränderung verpflichtet, wenn er die Mitteilung auf anderem Wege abgegeben hat.

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Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

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Im ersten Blog des Jahres 2020 geht es um die Reichweite der Haftung aus einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung.

Schutzzweck einer Beratungspflicht
Urteil vom 21. November 2019 – III ZR 244/18

Mit dem Zurechnungszusammenhang nach einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte den Kläger über rund zwanzig Jahre hinweg vor allem in Versicherungsangelegenheiten beraten. Ende 2005 stellte ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger verschiedene Renten- und Lebensversicherungsprodukte zum Zwecke der Altersvorsorge vor. Der Kläger bemängelte eine zu geringe Rendite und eine zu lange Laufzeit. Ende 2006 wies derselbe Mitarbeiter den Kläger darauf hin, ein Rechtsanwalt biete kurzfristige Kapitalanlagen zu guten Festzinsen an. Zwischen Februar 2007 und März 2014 überwies der Kläger diesem Rechtsanwalt bei mehreren Gelegenheiten insgesamt 210.000 Euro. Nach dem Tod des Anwalts im Mai 2014 stellte sich heraus, dass dieser massiv überschuldet war. Das LG stellte antragsgemäß fest, dass die Beklagte dem Kläger alle aus der Anlage entstandenen Schäden zu ersetzen hat. Das OLG wies die Klage hingegen ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt den Vorinstanzen darin bei, dass der Mitarbeiter der Beklagten mit dem Hinweis auf die konkrete Anlagemöglichkeit einen stillschweigenden Beratungsvertrag geschlossen und die hieraus resultierende Pflicht zu einer objektgerechten Beratung verletzt hat. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es nicht deshalb an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang, weil der Kläger die Anlagen über einen längeren Zeitraum hinweg getätigt hat und bei einer einmaligen Anlage im Jahr 2007 das investierte Kapital nebst Zinsen zurückerhalten hätte. Die Pflichten aus einer Beratung über Anlagemöglichkeiten für einen bestimmten Geldbetrag beschränken sich zwar grundsätzlich auf diese konkrete Anlageentscheidung. Wenn der Interessent eine umfassendere Beratung wünscht und der Berater in Kenntnis dessen eine Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge aufzeigt, kann der Zurechnungszusammenhang aber alle darauf beruhenden Anlageentscheidungen umfassen. Ob und in welchem Umfang dies gilt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Die hierzu erforderlichen Feststellungen muss das OLG in der neu eröffneten Berufungsinstanz treffen.

Praxistipp: Wenn ein Teil des entstandenen Schadens bereits bezifferbar ist, kann der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht mit einem den bezifferbaren Teil betreffenden Zahlungsantrag kombiniert werden.

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Diese Woche geht es um die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen gegen Notare.

Verjährung des notariellen Amtshaftungsanspruchs
Urteil vom 10. Oktober 2019 – III ZR 227/18

Mit der Frage, wann ein Laie die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis von einer notariellen Pflichtverletzung hat, befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger hatte Ende 2006 eine Eigentumswohnung erworben. Im notariellen Vertrag, den der Beklagte als Notarvertreter beurkundet hat, ist vermerkt, der Käufer habe den Vertragsentwurf mehr als zwei Wochen zuvor erhalten und ausreichend Gelegenheit gehabt, ihn zu prüfen oder überprüfen zu lassen. Später betrieb der Kläger die Rückabwicklung der Verträge, weil er den Kaufpreis als überteuert ansah. Sein Versuch, die an dem Geschäft Beteiligten in Anspruch zu nehmen, schlug fehl, unter anderem wegen Insolvenz der als Schuldner in Frage kommenden Gesellschaften. Daraufhin nahm der Kläger Ende 2016 den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil ihm der Vertragsentwurf entgegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG und abweichend von den Angaben im Vertrag erst kurz vor dem Beurkundungstermin zur Verfügung gestellt worden sei. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt sind. Er knüpft an seine schon zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. ergangene Rechtsprechung an, wonach die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs bereits dann vorliegt, wenn dem Gläubiger Tatsachen bekannt oder infolge von grober Fahrlässigkeit unbekannt sind, die aus seiner Sicht auf eine Pflichtverletzung hinweisen. Abweichend von der Auffassung der Revision sieht der erkennende Senat insoweit keine Unterschiede zwischen der Rechtsprechung für Notar-, Anwalt- und Arzthaftungssachen. Im Streitfall ergaben sich für den Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung des Beklagten schon aus dem Umstand, dass die im beurkundeten Vertrag enthaltenen Angaben zur Überlassung des Vertragsentwurfs nach seinem eigenen Vortrag objektiv unzutreffend waren und damit gegebenenfalls auch für einen Laien ohne weiteres erkennbar war, dass der Beklagte möglicherweise gegen rechtliche Vorgaben verstieß. Die Verjährung begann deshalb, sobald der Kläger zusätzlich Kenntnis davon erhielt, dass keine anderweitigen Ersatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Letzteres war spätestens im Jahr 2012 der Fall. Die im Jahr 2016 erhobene Klage konnte die Verjährung deshalb nicht mehr hemmen.

Praxistipp: Etwas anderes kann gelten, wenn der Notar den Geschädigten über den Inhalt oder Umfang der ihn treffenden Pflichten unzutreffend belehrt hat und für den Geschädigten nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Belehrung fehlerhaft ist.

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Diese Woche geht es um die entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.

Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg
Urteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 96/18

Mit den Grenzen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte zu 1 betreibt auf einem im Miteigentum der Beklagten zu 2 stehenden Grundstück ein Recyclingunternehmen für Bauschutt. Im Jahr 2014 explodierte auf dem Grundstück eine aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Bombe, die in einem Betonteil enthalten war, das zu Recyclingzwecken zerkleinert werden sollte. Dadurch kam es auf mehreren benachbarten Grundstücken zu Schäden, die die Klägerin als Gebäudeversicherin reguliert hat. Die Klage auf Ersatz der Schäden blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Beklagten nicht nach § 823 oder § 831 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sind, weil die Bombe bei einer Sichtprüfung nicht erkennbar war und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, dass der zu verarbeitende Bauschutt Blindgänger enthalten könnte. Eine verschuldensunabhängige Haftung entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB lehnt der BGH im Ergebnis ebenfalls ab. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es zwar nicht an dem erforderlichen Grundstücksbezug. Weitere Haftungsvoraussetzung ist aber ein hinreichender Zusammenhang zwischen der beeinträchtigenden Handlung und dem Risiko, das sich verwirklicht hat. Daran fehlt es im Streitfall, weil es sich um ein ungewöhnliches und fernliegendes Risiko gehandelt hat.

Praxistipp: Wenn nicht sicher ist, ob sich ein Verschulden des Beklagten belegen lässt, sollte die Klage in einschlägigen Fällen von vornherein hilfsweise auf eine entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gestützt werden. Eine spätere Geltendmachung dieses Haftungsgrundes stellt eine Klageänderung dar.

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Diese Woche geht es um die Pflicht des Gerichts, Vortrag in einem nachgelassenen Schriftsatz zu berücksichtigen.

Schriftliche Ausführungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme
Beschluss vom 21. Mai 2019 – VI ZR 54/18

Mit den Wirkungen eines gewährten Schriftsatzrechts befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung ihres verstorbenen Vaters in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, die Beklagten hätten ihren Vater bereits bei einer kurz nach Beginn der Behandlung durchgeführten Untersuchung am 8. Oktober 2009 auf mögliche Infektion der Beine hinweisen und insoweit weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG vernahm eine Praxisangestellte der Beklagten zu deren Beobachtungen bei den vorgenommenen Untersuchungen. Die Zeugin gab an, sie könne sich an die Daten der einzelnen Untersuchungen und den Zustand des Patienten nicht mehr genau erinnern. Das OLG gab den Parteien nach Abschluss der Beweisaufnahme Gelegenheit, zu deren Ergebnis schriftlich Stellung zu nehmen. In einem fristgerecht eingereichten Schriftsatz wiesen die Kläger auf ein bereits vorgelegtes Gedächtnisprotokoll hin, in dem die Zeugin festgehalten hatte, dass sich bereits am 8. Oktober 2009 Symptome einer Infektion zeigten. Das OLG ging diesem Einwand nicht nach und wies die Berufung der Kläger zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Das OLG war verpflichtet, die fristgerechte Stellungnahme der Kläger zu berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wenn diese entscheidungserheblichen Vortrag enthielt, der Anlass zu weiterer Sachaufklärung gab. Hierbei ist unerheblich, ob das OLG überhaupt verpflichtet gewesen wäre, ein Schriftsatzrecht zu gewähren. Wenn das Gericht ein solches Recht einräumt, muss es fristgerecht eingereichtes Vorbringen berücksichtigen, soweit es vom Gegenstand des eingeräumten Rechts gedeckt ist. Im Streitfall hätte das OLG das Gedächtnisprotokoll in seine Beweiswürdigung einbeziehen müssen. Dies hätte möglicherweise zu einer erneuten Vernehmung der Zeugin unter Vorhalt des Protokolls geführt.

Praxistipp: Um Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu gewinnen, sollten die Parteien in der Regel ein Recht zur schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme beantragen. Wenn dieser Antrag abgelehnt wird, bleiben sie dennoch zu einer nachträglichen Stellungnahme berechtigt, soweit eine sofortige Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung nicht möglich oder nicht zumutbar war.