Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei äußerst unterschiedliche, aber wohl gleichermaßen praxisrelevante Fragen geht es in dieser Woche.

Rechtskraftwirkung zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 20. November 2018 – VI ZR 394/17

Mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der damals 13 Jahre alte Beklagte befand sich im Jahr 2006 wegen Verhaltensauffälligkeiten in stationärer Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten. In einem ersten Rechtsstreit wurden der Beklagte und die Betreiberin der Klinik antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 Euro an den Geschädigten verurteilt. Der Haftpflichtversicherer der Klinikbetreiberin zahlte das Schmerzensgeld und nahm den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs auf vollständigen Regress in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet das Urteil aus dem ersten Rechtsstreit im Verhältnis zwischen den damaligen Beklagten keine Rechtskraftwirkung. Wenn ein Kläger mehrere Personen gemeinsam verklagt und diese – wie insbesondere im Falle der Inanspruchnahme als Gesamtschuldner – nur einfache Streitgenossen sind, kann Rechtskraftwirkung nur innerhalb der einzelnen Prozessverhältnisse entstehen, also nur zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Beklagten, nicht aber im Verhältnis der beiden Beklagten untereinander. Das LG muss nach Zurückverweisung deshalb klären, ob der Beklagte entsprechend seinem nunmehrigen Vorbringen im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.

Praxistipp: Jeder Gesamtschuldner kann eine weitergehende Bindungswirkung herbeiführen, indem er im ersten Rechtsstreit den jeweils anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet.

Keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Urteil vom 6. Dezember 2018 – VII ZR 285/17

Eine seit langem diskutierte Frage entscheidet der VII. Zivilsenat.

Der Kläger, der ein Beton- und Natursteinwerk betreibt, hatte einen betrieblich genutzten Lkw in der Werkstatt des Beklagten reparieren lassen. Wegen mangelhafter Durchführung der Reparatur entstand ein Motorschaden, der einen weiteren Werkstattaufenthalt erforderlich machte. Der Kläger konnte das Fahrzeug über einen Zeitraum von vierzehn Monaten (!) hinweg nicht nutzen. Ungefähr für die Hälfte der Zeit stand ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung. Die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von rund 10.000 Euro für die gesamten vierzehn Monate gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch nur noch für die sieben Monate ohne Ersatzfahrzeug weiterverfolgte, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs kann zwar einen Schaden darstellen, wenn der Ausfall mit einer fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung einhergeht. Dem Geschädigten steht aber nur dann ein Ersatzanspruch in Geld zu, wenn er ein Ersatzfahrzeug anmietet, wenn er den Verlust durch Rückgriff auf ein Reservefahrzeug auffängt oder wenn der Verlust zu einer sonstigen Vermögensminderung geführt hat. Anders als bei privat genutzten Fahrzeugen darf der Schaden hingegen nicht abstrakt anhand einer pauschalierten Nutzungsausfallentschädigung berechnet werden.

Praxistipp: Wenn weder ein Ersatzfahrzeug angemietet noch ein Reservefahrzeug eingesetzt wird, ist es empfehlenswert, alle aufgrund des Ausfalls entstandenen Mehraufwendungen, etwa für die Beauftragung Dritter oder für den Einsatz anderer Geräte oder Arbeitskräfte, zeitnah zu dokumentieren.

Verlag Dr. Otto Schmidt bringt neue „Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ)“ heraus

Der Verlag Dr. Otto Schmidt hat sein Programm um eine Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) erweitert. Im Fokus der GVRZ steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Prozessrechts der großen Teilbereiche des Öffentlichen Rechts, Strafrechts und Zivilrechts. Die Online-Zeitschrift erscheint 2-mal jährlich und ist über das juris Zusatzmodul Hochschulen verfügbar.

Die rechtswissenschaftliche Forschung beschränkt sich ganz überwiegend auf ihr jeweiliges Fachgebiet. Intradisziplinäre Auseinandersetzungen finden demgegenüber selten, wenn auch in zunehmendem Maße statt. Dabei sind alle oder zumindest mehrere Verfahrensordnungen vielen Herausforderungen gleichermaßen ausgesetzt, so dass ein Blick auf die Lösung des anderen Rechtsgebiets oder gar gleich die verfahrensrechtsübergreifende Betrachtung lohnt. Dementsprechend stellt die Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) den Dialog zwischen den mittlerweile nahezu ausschließlich in den jeweiligen Fachsäulen verankerten Prozessrechtswissenschaftlern her.

Entsprechend diesem Anliegen haben Organisatoren/-innen der bisherigen Jahrestagungen der jungen Prozessrechtswissenschaftler die Herausgeberschaft der Zeitschrift übernommen. Das Öffentliche Recht wird von Prof. Dr. Birgit Peters und Dr. Ralph Zimmermann vertreten, für das Strafrecht sind Prof. Dr. Anna H. Albrecht, Prof. Dr. Paul Krell und PD Dr. Anne Schneider zuständig, und der Bereich des Zivilrechts wird von PD Dr. Daniel Effer-Uhe, Prof. Dr. Olaf Muthorst, Prof. Dr. Jens Prütting und Dr. Dominik Schäfers abgedeckt.

Die ersten Veröffentlichungen der GVRZ sind seit Oktober 2018 verfügbar. Folgende Beiträge bilden den Auftakt: Prof. Dr. Reimer zeigt die Relevanz des Verfahrens für die Rechtswissenschaften auf. Prof. Dr. Popp liefert einen Beitrag zur Theorie des Strafverfahrens und der Verfahrenswissenschaft. Prof. Dr. Heiderhoff erläutert, wie allgemeine verfahrensrechtliche Erwägungen über den Instanzenzug für das Familienverfahrensrecht fruchtbar gemacht werden können, und PD Dr. Effer-Uhe widmet sich der fachsäulenübergreifenden Frage des digitalen Verfahrens. Einem ähnlichen säulenübergreifenden, verfahrensrechtlichen Thema widmet sich Dr. Korves mit seinem Beitrag über die Zwecke von Formularzwängen. Mit Beweisverboten im Arbeitsrecht und Strafrecht nach der Videoüberwachung von Arbeitnehmern befasst sich Prof. Dr. Mitsch Hüttmann beschäftigt sich mit dem Bayes-Theorem und damit einer Grundlagenfrage der Beweiswürdigung, die in jedem Rechtsgebiet relevant werden kann. Die Beitragsauswahl endet rechtsvergleichend mit einem Blick auf Polen, der sich der polnischen Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zur überlangen Verfahrensdauer widmet (Dr. Łukańko und Zboralska). Ergänzt werden die Aufsätze durch umfassende Entscheidungsanmerkungen (Dr. Walser), eine Übersicht relevanter, verfahrensrechtlicher Literatur (Prof. Dr. Muthorst) sowie durch die Rezension einer Neuerscheinung zu gebietsübergreifend relevanten Fragen der Beweiswürdigung (Mohnert).

Weitere Informationen zur Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) finden Sie hier: www.otto-schmidt.de/gvrz