Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Anordnung einer gerichtlichen Betreuung trotz erteilter Vorsorgevollmacht.

Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt trotz Vorsorgevollmacht
BGH, Beschluss vom 11. Januar 2023 – XII ZB 106/21

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 1896 Abs. 2 Satz 2 und § 1903 BGB.

Der 85jährige Betroffene leidet an einer leichten senilen Demenz. Nachdem er mehrfach über erhebliche Geldbeträge verfügt hatte und dabei Betrügern zum Opfer gefallen war, wurde seine Ehefrau im Dezember 2019 zur Betreuerin im Bereich der Vermögenssorge bestellt und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Diese Anordnungen hat das AG im vorliegenden Verfahren verlängert. Die dagegen eingelegten Beschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Die Beschwerdeentscheidung unterliegt der Aufhebung, weil bereits das AG einen Verfahrenspfleger für den Betroffenen hätte bestellen müssen. Das LG hat diese Bestellung zwar nachgeholt. Es hätte den Betroffenen aber in Anwesenheit des Verfahrenspflegers erneut anhören müssen. Die ohne Verfahrenspfleger erfolgte Anhörung durch das AG ist nicht ausreichend.

Ergänzend weist der BGH unter Bezugnahme auf zwei frühere Entscheidungen darauf hin, dass die erteilte Vorsorgevollmacht der Anordnung einer Betreuung nicht entgegensteht, wenn die Voraussetzungen für einen Einwilligungsvorbehalt im Sinne von § 1903 BGB vorliegen. Eine Vorsorgevollmacht kann nicht verhindern, dass der Betroffene Rechtsgeschäfte ohne Zustimmung des Bevollmächtigen abschließt.

Praxistipp: Beide vom BGH zitierten Entscheidungen betonen, dass ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden darf, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten besteht (BGH, Beschluss vom 18.11.2020 – XII ZB 179/20, NJW 2021, 229 Rn. 12 [insoweit nicht in MDR 2021, 316]; Beschluss vom 27. Juli 2011 – XII ZB 118/11, MDR 2011, 1039, juris Rn. 17).

BGH zu den Anforderungen an anwaltliche Unterschriften

Der BGH hat zwei neuere Entscheidungen zur Frage der Unterschrift von Rechtsanwälten getroffen (Urt. v. 20.12.2022 – VI ZR 279/21 und Beschl. v. 6.12.2022 – VIII ZA 12/22, MDR 2023, 183):

Im ersten Fall wurde auf dem Briefkopf der M. Rechtsanwaltskanzlei (bestehend aus M. und J.) Berufung eingelegt, und zwar durch Rechtsanwalt B., der auch den Schriftsatz unterzeichnet hatte. Unter der Unterschrift war vermerkt „B. Rechtsanwalt“. Das LG hatte die Berufung verworfen. Der BGH akzeptiert dies nicht.

Grundsätzlich spricht die Vermutung dafür, dass Rechtsanwalt B mit seiner Unterzeichnung die vollständige Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat. Erschüttert wäre diese Vermutung z. B. dann, wenn er mit „i. A.“ unterzeichnet hätte. Da die Berufung mit dem Briefkopf der M. Rechtanwaltskanzlei eingelegt wurde, spricht hier alles dafür, dass B. in Vertretung dieser Rechtsanwälte tätig werden wollte. Diese Sichtweise entspricht auch dem Grundsatz, dass im Zweifel gewollt ist, was vernünftig ist und was der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Ein besonderer Vertretungszusatz ist nicht erforderlich.

Mithin ist davon auszugehen, dass B. in Vertretung für die Kanzlei M. und J. Berufung eingelegt hat. Der BGH hebt daher den Verwerfungsbeschluss auf und weist darauf hin, dass das Berufungsgericht noch zu prüfen haben wird, ob B. tatsächlich Vertretungsmacht gehabt hat. Diese Prüfung wird zweifelsohne positiv ausgehen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass B. für M. und J. tätig geworden ist, ohne dass diese ihn damit beauftragt und damit jedenfalls gleichzeitig konkludent bevollmächtigt haben sollten.

Im zweiten Fall hatte ein Rechtsanwalt eine Berufungsbegründung für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, und zwar mit dem Zusatz „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter“.  Auch hier hatte das Berufungsgericht die Berufung verworfen.

Diese Entscheidung billigt der BGH. Durch den Zusatz hat der Rechtsanwalt zum Ausdruck gebracht, dass er – wiewohl er den Schriftsatz unterzeichnet hat – denselben nicht verantworten möchte. Gleichzeitig wurde der Schriftsatz aber durch den Rechtsanwalt, der ihn verantwortet hat, gar nicht unterzeichnet. Es ist aber notwendig, dass derjenige, der den Schriftsatz unterzeichnet, ihn auch vollständig verantwortet. Eine tatsächliche Prüfung des Schriftsatzes ist dafür nicht erforderlich, die Unterschrift alleine reicht aus. Der Anwalt darf also „auf volles Risiko gehen“! Der hier angebrachte Zusatz stellt die Einhaltung dieses Erfordernisses jedoch in Frage. Damit ist die Berufung zu Recht verworfen worden, weil es an dem Erfordernis der Unterschrift fehlt.

Fazit: Man kann nicht oft genug betonen, dass bei Zusätzen zu Unterschriften große Vorsicht geboten ist.

 

 

 

 

 

 

BGH: Separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 17.11.2022 – V ZB 38/22) hat entschieden, dass eine separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich ist. Jedoch muss diese Entscheidung gesondert mit der Rechtsbeschwerde gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO angefochten werden, um sie nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Folgender Fall lag der Entscheidung zugrunde: Der Kläger hatte den Prozess in erster Instanz verloren. Er beantragte sodann Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Der Antrag wurde zurückgewiesen, weil er seine Bedürftigkeit nicht ordnungsgemäß dargelegt hatte. Danach legte er die Berufung auf eigenes Kostenrisiko ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Gut fünf Wochen später verwarf das OLG dann die Berufung. Der Kläger beantragte nunmehr Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss.

Diesen Antrag weist der BGH zu Recht zurück. Grundsätzlich ist das Verfahren über die Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachzuholende Prozesshandlung zu verbinden (§ 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, separat darüber zu entscheiden (§ 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dann aber ist diese Entscheidung auch gesondert anzufechten (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 2 ZPO). Erfolgt keine Anfechtung, wird der Beschluss für das weitere Verfahren bindend und kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden, jedenfalls was den beschiedenen Sachverhalt betrifft.

Genauso liegen die Dinge hier. Zwar hatte sich das OLG bei dem Verwerfungsbeschluss erneut mit der Frage der Wiedereinsetzung auseinandergesetzt. Dies war jedoch genauso unnötig wie unschädlich. Die Wiedereinsetzung, vor allem im Rahmen von Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz, ist ein sehr schwieriges Feld. Hier kann sehr viel falsch gemacht werden. Der Rechtsanwalt muss sehr vorsichtig sein und jede Entscheidung eines Gerichts stets genau auf ihre Richtigkeit und eventuelle Anfechtbarkeit prüfen.

BGH: Unpfändbarkeit des Pflegegeldes

In einem Verfahren vor dem BGH (Beschl. v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22, MDR 2023, 187) ging es um die Einkommensberechnung einer Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Sohn der Schuldnerin ist pflegebedürftig. Die Schuldnerin selbst übernimmt die Pflege. Das Pflegegeld, das dem Sohn zusteht, wird von diesem an die Schuldnerin weitergeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Geld bei der Schuldnerin als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehört sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht gepfändet werden darf, nicht zur Insolvenzmasse. Damit wird über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch § 850e ZPO anwendbar, insbesondere die Nrn. 2. und 2a (Arbeitseinkommen wird mit Sozialleistungen zusammengerechnet soweit diese der Pfändbarkeit unterworfen sind).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Unpfändbarkeit von Geldleistungen, die Körperschaden ausgleichen) nicht einschlägig ist, denn die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig (vgl. auch § 14 SGB XI). Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung an den Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld bleibt bei Unterhaltsansprüchen und -verpflichtungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt. Daraus folgt, dass es im Übrigen an sich den allgemeinen Vorschriften der ZPO unterfällt.

Allerdings bejaht der BGH sodann die Voraussetzungen des § 851 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 399 BGB. Das Pflegegeld unterfällt § 399 Abs. 1 BGB. Die Leistung kann nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen, da hier die Leistung mit der Person so verknüpft ist, dass sie, würde sie ein anderer erbringen, als eine andere Leistung erscheinen wird. Eine andere Sicht der Dinge würde zudem auch den Zielen der Pflege, eine Betreuung in der häuslichen Atmosphäre zu ermöglichen, entgegenlaufen. Hinzu kommt, dass der Pflegebedürftige in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei ist.

Die zuvor streitige Frage ist daher nunmehr für die Praxis abschließend geklärt. Pflegegeld, das von dem Pflegebedürftigen an einen Pflegenden weitergeleitet wird, die die Pflege erbringt, ist bei diesem Pflegenden unpfändbar. Es ist bei der Einkommensberechnung daher nicht mit anderem Einkommen des Pflegenden zusammenzurechnen.

Blog powered by Zöller: § 68 FamFG – Niederschrift bei Geschäftsstelle? Nicht für Rechtsanwälte!

Entscheiden sich Rechtsanwälte, schriftlich Beschwerde gemäß § 68 FamFG einzulegen, muss die Übermittlung ans Gericht per beA erfolgen. Die Möglichkeit der Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle entbindet Rechtsanwälte davon nicht.

Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs führt neben den allgemeinen (zu diesen z.B. der Beitrag im „Blog powered by Zöller“ von Prof. Dr. Reinhard Greger vom 30.1.2023) zu speziellen Anwendungsproblemen und Haftungsrisiken im Bereich des FamFG. Dieses enthält in § 14b FamFG eine § 130d ZPO vergleichbare Regelung. Danach sind insbesondere von Rechtsanwälten „bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen“ als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Welche Erklärungen von dem Begriff „schriftlich einzureichende“ erfasst sind, ist im Verfahren des FamFG nicht unproblematisch, da die Beteiligten in den vielen FamFG-Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, gemäß § 25 Abs. 1 FamFG Anträge und Erklärungen auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgeben können. Besondere Bedeutung erlangt dies für die Einlegung der Beschwerde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann diese – außer in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) sowie in Scheidungsfolgesachen, auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 3/16, FamRZ 2017, 1151 [Anm. Fischer] = FamRB 2017, 290 [Anm. Stockmann]) – auch durch entsprechende Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden.

Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass auch ein Rechtsanwalt von der Form des § 14b FamFG freigestellt ist und z.B. eine Beschwerde schriftlich oder per Telefax einlegen darf, wenn das Verfahren keinem Anwaltszwang unterliegt. Das hat der BGH mit einer aktuellen Entscheidung klargestellt, in der in einem (nicht dem Anwaltszwang unterliegenden) Sorgerechtsverfahren durch einen Rechtsanwalt die Beschwerdeschrift per Post eingereicht wurde (BGH, Beschl. v. 7.12.2022 – XII ZB 200/22; ohne nähere Begründung auch schon BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22, MDR 2022, 1426 [Anm. Vossler] in einer Betreuungssache). Der BGH hat die die Beschwerde verwerfende Entscheidung des OLG bestätigt. Denn die Möglichkeit einer Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle solle anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten einen erleichterten Zugang zur Beschwerdeinstanz verschaffen. Werde die Beschwerde aber schriftlich eingelegt, muss sie den entsprechenden Formerfordernissen genügen, wozu auch die Einreichung als elektronisches Dokument gemäß § 14b FamFG durch die von der Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs erfassten Personen gehört.

Nutzungspflichtig in diesem Sinn sind im Übrigen gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Behörden. Dazu gehören insbesondere auch die „Staatskasse“, z.B. bei Einlegung einer sofortigen Beschwerde im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe (OLG Bamberg v. 4.11.2022 – 2 WF 167/22, FamRZ 2023, 210), die Deutsche Rentenversicherung in Versorgungsausgleichssachen (OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22, FamRZ 2022, 1049 = MDR 2022, 789) und das Jugendamt (OLG Frankfurt v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22, FamRZ 2022, 802 [Anm. Müther], dazu auch Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 14b FamFG Rz. 15 ).

Mehr dazu und topaktuell im Zöller: § 14b FamFG Rn. 2

 

 

 

Blog powered by Zöller: § 130d ZPO – Wohltat oder Fallgrube?

Dass es beim elektronischen Rechtsverkehr technische Probleme geben kann und dass diese bei fristgebundenen Schriftsätzen zu fatalen Folgen führen können, hat der Gesetzgeber bedacht. Deshalb hat er in § 130d ZPO zugelassen, dass ein Schriftsatz in einem solchen Fall auf herkömmlichem Wege (z.B. schriftlich oder per Telefax) übermittelt wird. Doch diese im Kleide der Wohltäterin daherkommende Vorschrift ist tückisch. Sie bewirkt nämlich, dass der von der Technik im Stich gelassene Anwalt sich nicht mit dem Gedanken an eine Wiedereinsetzung beruhigen oder seinen von der Elektronik verweigerten Schriftsatz einfach aufs Faxgerät legen darf. Eine Wiedereinsetzung scheidet vielmehr aus, wenn er die Frist noch mittels einer solchen Ersatzeinreichung wahren könnte – und wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, darf er nicht versäumen, die technische Störung gleichzeitig mit dieser glaubhaft zu machen. Dies folgt aus Satz 3 der Vorschrift, wonach die Störung „bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach“ glaubhaft zu machen ist.

Zwar klingt das so, als stünde es ihm frei, ob er die Glaubhaftmachung sogleich beifügt oder – ohne schuldhafte Verzögerung – nachreicht. So ist es aber nicht zu verstehen, hat der BGH vor kurzem entschieden (Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22). Die Möglichkeit der unverzüglichen Nachreichung wollte der Gesetzgeber nämlich, wie sich aus den Materialien ergibt, nur für den Fall einräumen, dass die Glaubhaftmachung zum Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes noch nicht möglich war. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall war die Störung aber schon lange vor Fristablauf bekannt, sodass der Anwalt dem Schriftsatz einen Beleg hierfür, etwa durch eidesstattliche Versicherung, hätte beifügen können. Die nachgereichte Glaubhaftmachung konnte das Rechtsmittel nicht mehr retten. So kann die Wohltat des § 130d ZPO zur Fallgrube werden.

Pluspunkt im Online-Auftritt des Zöller: Diesen Hinweis finden Sie jetzt schon bei § 130d ZPO Rn. 2. – ebenso wie andere Hinweise zu aktueller Rechtsprechung an vielen anderen einschlägigen Zöller-Stellen.

BGH: Verpflichtung zur Terminsvertretung

Die beklagte Rechtsanwaltskammer nahm die Zulassung des klagenden Rechtsanwalts zurück. Dagegen ging dieser vor. Da in der Sache wohl wenig zu erreichen war, hatten der Rechtsanwalt und sein Prozessbevollmächtigter offensichtlich versucht, durch das Geltendmachen von Terminsverlegungsgründen, vor allem (Vor)Erkrankungen etc., den Anwaltsgerichtshof zu Verfahrensfehlern zu zwingen, um diese anschließend in der Berufungsinstanz vor dem BGH geltend machen zu können.

In der Berufungsinstanz vor dem BGH wurden dann diese angeblichen Verfahrensfehler auch gerügt. Der BGH ging dem Kläger jedoch nicht „auf den Leim“, sondern ließ die Berufung nicht zu. In diesem Zusammenhang hat der BGH (Beschl. v. 12.9.2022 – AnwZ (Brfg) 10/22) einige wichtige Grundsätze aufgestellt, die für die Behandlung derartiger Sachverhalte wichtig sind.

Im Einzelnen: Selbst eine schwere Vorerkrankung gebietet – auch im Rahmen der Corona-Virus-Pandemie – nicht ohne weiteres die Verlegung eines Termins, sondern stellt lediglich einen Umstand dar, der bei der Abwägung, ob ein erheblicher Grund (§ 227 ZPO) vorliegt, zu berücksichtigen ist. Gegen eine Verlegung sprechen zum Beispiel Maßnahmen, die das Gericht ergriffen hat, um die Verfahrensbeteiligten zu schützen. Genauso wie bei einer längeren Erkrankung muss ein Prozessbevollmächtigter, der davon ausgeht, Termine wegen eines Erkrankungsrisikos nicht wahrnehmen zu können, im Übrigen notfalls einen Unterbevollmächtigten,z.B. einen Kanzleikollegen, bestellen, vor allem dann, wenn die Sache nicht sehr komplex ist und eine Vertretung ohne weiteres möglich ist. Die Ablehnung der Durchführung einer Videoverhandlung ist nicht anfechtbar und kann demgemäß auch nicht in der nächsten Instanz gerügt werden. Zwar hätte der entsprechende Antrag von dem Gericht und nicht von der Vorsitzenden alleine beschieden werden müssen (§ 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies ist jedoch im Endeffekt unschädlich, da lediglich eine willkürliche Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften relevant ist und die Vorsitzende die einschlägige Regelung schlichtweg versehentlich übersehen hatte.

Natürlich wurde – nach der Ablehnung der Terminsverlegung – gleichfalls noch ein Befangenheitsantrag gestellt. Auch die Bestätigung der Zurückweisung desselben durch den BGH ist durchaus lesenswert.

Wer also häufiger mit Menschen zu hat, die einen Zivilprozess durch Terminsverlegungsanträge und Befangenheitsanträge verzögern wollen, sollte diese (recht lange!) Entscheidung einmal in Ruhe lesen.

Blog powered by Zöller: Augen auf beim beA-Versand

Es kommt immer wieder vor, dass ein fristgebundener Schriftsatz versehentlich an ein anderes als das zuständige Gericht gesandt wird, z.B. an das Ausgangs- statt an das Rechtsmittelgericht. Wenn das nicht noch rechtzeitig bemerkt und korrigiert wird, ist die Frist versäumt – in der Regel unrettbar, denn eine Wiedereinsetzung scheitert oft am Vorwurf mangelhafter Ausgangskontrolle. Einen Rettungsring hat die Rechtsprechung aber geschaffen: Wenn der Schriftsatz so frühzeitig bei dem unzuständigen Gericht einging, dass mit seiner Weiterleitung an das zuständige im üblichen Geschäftsgang gerechnet werden konnte, verneinte sie die Kausalität des Verschuldens und gewährte die Wiedereinsetzung (s. Zöller/Greger, § 233 ZPO Rn. 21).

Da Anwälte ihre Schriftsätze jetzt auf elektronischem Weg, in der Regel übers beA, übermitteln müssen, stellt sich die Frage nach Rettungsring oder Ertrinkungstod in neuem Gewand. Unverändert bleibt es zwar dabei, dass der Schriftsatz nur bei dem Gericht eingeht, an dessen elektronisches Postfach er gesandt wurde. Da hilft es auch nichts, so hat der BGH gerade entschieden, dass die Postfächer vom selben Dienstleister betrieben werden, denn es ist durch separate Posteingangsschnittstellen sichergestellt, dass die Elektronik jedes Gerichts nur auf die an dieses adressierten Nachrichten zugreifen kann (BGH, Beschl. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22; Kurzbeitrag ZIP 2022, R4).

Aber wie sieht es jetzt mit der Weiterleitung ans zuständige Gericht aus? Einen „üblichen Geschäftsgang“ gibt es derzeit nicht. Bei einem voll auf E-Akte umgestellten Gericht mag man an eine rasche Weiterleitung auf elektronischem Weg denken können, jedenfalls bei Dokumenten mit qualifizierter Signatur. Wo die elektronischen Schriftsätze erst noch ausgedruckt werden müssen, geht dagegen nicht nur Zeit verloren, sondern es ist auch fraglich, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder als Fax oder dann doch wieder als PDF ans zuständige, möglicherweise voll elektronische Gericht weiterzuleiten ist. Bacher hält die Papierform für möglich, bezweifelt aber selbst, ob die Rechtsprechung dem folgen wird (Bacher, MDR 2022, 1441, 1443); das OLG Bamberg hat schon anders entschieden (MDR 2022, 1048).  Der BGH brauchte sich dazu im vorgenannten Beschluss nicht zu äußern, denn der Schriftsatz war erst einen Tag vor Fristablauf eingereicht worden – und das erschien ihm selbst im elektronischen Zeitalter zu kurz.

Nun bietet der elektronische Rechtsverkehr allerdings noch eine Chance, versehentliche Falschadressierungen unschädlich zu machen. Nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhält der Einsender nämlich eine automatische Eingangsbestätigung. Aus dieser ist auch zu ersehen, welches Gericht den Eingang bestätigt. Daraus hat der BGH im besagten Beschluss abgeleitet, dass der versendende Rechtsanwalt überprüfen (lassen) muss, ob der Schriftsatz bei dem Gericht eingegangen ist, bei dem er eingehen sollte (sonst kann er ihn nochmals richtig versenden).

Möglicherweise hat sich die aus den Urzeiten der Papierkommunikation stammende Weiterleitungsrechtsprechung damit ohnehin erledigt. Beim Versand übers beA hilft dann nur noch eins: Augen auf!

OLG Frankfurt a. M.: Verzögerungsgebühr wegen Nichttragens einer Maske

Das OLG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 27.9.2022 – 7 WF 116/22) hatte über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 32 FamGKG bei Zuwiderhandlung und Terminsvertagung zu entscheiden.

Im Rahmen einer Sitzung des Familiengerichts ordnete der Richter am Amtsgericht an, dass die Beteiligten eine Maske zu tragen haben. Eine Rechtsanwältin war dazu nicht bereit. Der Richter bestimmte daher einen neuen Termin. Das Gericht legte der Partei gemäß § 32 S. 1 FamGKG eine Verzögerungsgebühr auf. Dagegen richtet sich die unbefristete Beschwerde der Partei nach § 60 FamGKG, die allerdings erfolglos bleibt.

Gemäß § 176 Abs. 1 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Eine Maskenanordnung fällt darunter, da eine Infektion der Beteiligten mit dem Corona-Virus verhindert werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auch gegenüber den Prozessvertretern möglich. Die erfolgte Anordnung ist von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt. Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG liegt darin nicht. Die Befugnis des § 176 Abs. 1 GVG ist von dem Hausrecht unabhängig. Der Umstand, dass andere Richter abweichende oder gar keine Anordnung treffen, macht die vorliegende Anordnung der Richterin weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass eine Maske dazu geeignet ist, die weitere Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Selbst wenn der Rechtsanwältin die Verzögerung vorzuwerfen ist, so ist die Gebühr gleichwohl gegen die Partei festzusetzen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 FamGKG ergibt. Die Rechtsanwältin wird diese Gebühr jedoch der Partei erstatten müssen, da sie diese Rechtsprechung kennen musste und gehalten ist, die Festsetzung derartiger Gebühren gegen die Partei von vornherein zu verhindern, um unnötige finanzielle Belastung der Mandantschaft zu vermeiden. Als Anspruchsgrundlage dürfte § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mandatsvertrag  heranzuziehen sein.

Blog powered by Zöller: Fußangeln beim beA

Sieht man von gelegentlichen technischen Pannen ab, hat sich die Übermittlung von Anwaltsschriftsätzen an die Gerichte über das besondere elektronische Anwaltspostfach gut eingespielt. Der Nutzer muss aber auch umsichtig mitspielen, so z.B. beim Signieren des Schriftstücks.

Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO genügt bei der Nutzung des beA die einfache Signatur, d.h. die Namensangabe der verantwortenden Person. Diese ist aber auch erforderlich. Es genügt nicht, den Schriftsatz – wie zu früheren Zeiten – mit der Angabe „Rechtsanwalt“ und einer unleserlichen (eingescannten) Unterschrift zu versehen. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf Rückschlüsse auf den Unterzeichner ziehen lassen (z.B. weil dort nur ein Rechtsanwalt oder nur eine Rechtsanwältin aufgeführt ist), liegt keine wirksame Einreichung des Schriftsatzes vor (so BGH v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22, MDR 2022, 1362). Das BAG hat zwar kurz zuvor entschieden, dass bei einem Rechtsanwalt, der im Briefkopf als Einzelanwalt ausgewiesen wird, regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ für die einfache Signierung ausreicht (BAG v. 25.8.2022 – 2 AZN 234/22, NJW 2022, 3028). Ob sich diese Auffassung durchsetzt, ist aber ungewiss. Man sollte nicht darauf vertrauen und vorsichtshalber den Namen angeben oder eine Unterschrift einscannen. Aber auch dabei ist Vorsicht geboten: Die Unterschrift muss leserlich sein, d.h. auch ohne Sonderwissen den Namen des Urhebers erkennen lassen (BSG v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21 B, NJW 2022, 1334).

Vorsicht ist ferner am Platze, wenn man sich des für eine Berufsausübungsgesellschaft eingerichteten beA bedient (was seit August dieses Jahres möglich ist; s. Zöller § 130a ZPO Rn. 11a). Die BRAK hat mitgeteilt, dass es aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz derzeit nicht möglich ist, die Identität der Person zu übermitteln, die im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am Gesellschafts-beA angemeldet war. Das Gericht kann daher nicht feststellen, ob die den Schriftsatz verantwortende Person mit der ihn versendenden Person identisch ist.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen BRAK und Deutscher Anwaltverein, Schriftsätze, die aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft eingereicht werden sollen, qualifiziert elektronisch zu signieren oder zumindest darauf zu achten, dass der verantwortende Rechtsanwalt sich selbst am Kanzlei-beA anmeldet und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lasse sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

 


Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.