Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine wohl des Öfteren auftretende Frage aus dem Bereich der Rechtsschutzversicherung.

Herausgabe zurückgezahlter Gerichtskosten an den Rechtsschutzversicherer
Beschluss vom 10. Juni 2021 – IX ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen Anwalt, Mandant und Rechtsschutzversicherer bei Erstattung unverbrauchter Gerichtskosten befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Beklagten, eine Rechtsanwaltssozietät und ein für diese tätiger Anwalt, hatten ein bei der Klägerin rechtsschutzversichertes Ehepaar bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Bank gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klägerin hatte eine Deckungszusage zunächst abgelehnt und später nur für das Klageverfahren in erster Instanz erteilt, nicht aber für die außergerichtliche Vertretung. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Das Gericht überwies unverbrauchte Gerichtskosten in Höhe von rund 2.800 Euro an die Sozietät. Von der Bank erhielt sie die Hälfte der den Mandanten entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Darin enthalten war eine hälftige Verfahrensgebühr in Höhe von rund 900 Euro. Von dem Gesamtbetrag von rund 3.700 Euro zogen die Beklagten die nach dem Vergleich von den Mandanten zu tragende zweite Hälfte der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Kosten für die Einholung der Deckungszusage – insgesamt rund 2.100 Euro – ab. Insoweit erklärten sie namens der Mandanten die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung dieser Kosten. Die auf Zahlung des Abzugsbetrags gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagten waren gemäß § 667 BGB verpflichtet, die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge an die Mandanten herauszugeben. Dieser Anspruch ist gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Pflicht zur Zahlung der Gerichtsgebühren und der Anwaltsvergütung für die gerichtliche Tätigkeit war ein versicherter Schaden, dessen Ausgleich die Leistung der Klägerin diente. Die Mandanten dürfen die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge nicht aufgrund eines Quotenvorrechts dafür einsetzen, um die von der Klägerin nicht übernommenen Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Einholung der Deckungszusage abzudecken. Dieser Schaden ist nicht kongruent mit dem versicherten Risiko. Die namens der Mandanten erklärte Aufrechnung ist schon deshalb unwirksam, weil diese nicht Schuldner der geltend gemachten Forderung sind.

Praxistipp: Eine Aufrechnung mit offenen Vergütungsforderungen gegen die Mandanten ist in der in Rede stehenden Konstellation nach Maßgabe von § 406 und § 407 BGB möglich. Im Streitfall schied diese Möglichkeit aus, weil die Mandanten die gesamte Vergütung bereits bezahlt hatten.

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Diese Woche geht um einen Fall der Staatshaftung, der möglicherweise nicht so ungewöhnlich ist, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag.

Beratungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung
Urteil vom 11. März 2021 – III ZR 27/20

Mit der Pflicht zum Hinweis auf eher überraschende Gestaltungsmöglichkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die im Jahr 1950 geborene Klägerin, die schwerbehindert ist, erhielt im Januar 2014 eine Rentenauskunft, nach der die zu erwartende Rente auf der Basis der bisherigen Beiträge rund 922 Euro und bei Weiterzahlung der bisherigen Beiträge bis zur Regelaltersgrenze im April 2016 rund 985 Euro betrug. In einem persönlichen Beratungstermin bei dem beklagten Rentenversicherungsträger überreichte der Berater eine als unverbindlich bezeichnete Probeberechnung, nach der bei einem Rentenbeginn am 1. Juli 2014 eine monatliche Rente von rund 935 Euro zu erwarten war. Auf Antrag der Klägerin vom 15. Juli 2014 bewilligte die Beklagte eine monatliche Altersrente ab 1. Dezember 2014 in Höhe von rund 890 Euro. Grund hierfür war, dass die Kalendermonate mit vollwertigen Beiträgen aufgrund des Hinausschiebens des Rentenbeginns einen gesetzlich festgelegten Durchschnittswert überstiegen und damit die zuvor gegebenen Voraussetzungen für die Anrechnung zusätzlicher (fiktiver) Entgeltpunkte entfallen waren. Ein Widerspruch und eine Klage vor den Sozialgerichten blieben erfolglos. Die auf Zahlung der Differenz von monatlich 45 Euro gerichtete Amtshaftungsklage blieb in den ersten beiden Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen war die Beklagte jedenfalls ab 15. Juli 2014 verpflichtet, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sie weniger Rente bekommt, wenn sie erst zum 1. Dezember 2014 in Ruhestand geht. Die gesetzliche Beratungspflicht soll sicherstellen, dass die nach dem Sozialgesetzbuch bestehenden sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Hierzu muss der Rentenversicherungsträger insbesondere auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen. Entgegen der Auffassung des OLG widerspricht ein solcher Hinweis nicht dem Zweck der hier maßgeblichen Regelung, wonach zusätzliche Entgeltpunkte nur unterhalb eines bestimmten Durchschnittswerts angerechnet werden. Die Ausübung dadurch eröffneter Entscheidungsspielräume ist legitim. Der Rentenversicherungsträger darf sie deshalb nicht verschweigen.

Der Amtshaftungsanspruch scheitert auch nicht an dem Grundsatz, dass das Verhalten eines Beamten nicht als fahrlässig anzusehen ist, wenn ein Kollegialgericht eine Amtspflichtverletzung verneint hat. Die Beurteilung der Vorinstanzen beruht auf einer schon im Ansatz unzutreffenden Auffassung über den Zweck der maßgeblichen rentenrechtlichen Vorschriften.

Im wieder eröffneten Berufungsverfahrens wird das OLG Feststellungen zur Schadenshöhe zu treffen haben. Hierbei muss es das aufgrund des späteren Rentenbeginns bezogene Arbeitseinkommen als schadensmindernd berücksichtigen.

Praxistipp: Eine Hinweispflicht dürfte in solchen Konstellationen in der Regel nur dann in Betracht kommen, wenn die für die Rentenhöhe schädliche Planung des Versicherten für den Rentenversicherungsträger erkennbar ist.

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Diese Woche geht es um die Pflicht zur Erhaltung einer Nachbarwand nach Abbrennen eines daran angebauten Gebäudes.

Abbrennen eines an eine Nachbarwand angebauten Gebäudes
Beschluss vom 22. Januar 2021 – V ZB 12/19

Mit den Pflichten aus § 922 Abs. 3 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Parteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke, die durch Teilung entstanden sind. Schon vor der Teilung war auf dem nunmehr dem Beklagten gehörenden Grundstück eine Scheune errichtet worden. An deren Giebelwand wurde später ein nunmehr auf dem Grundstück des Klägers stehendes Wohnhaus angebaut. Im Teilungsvertrag wurde vereinbart, dass die Grundstücksgrenze durch die gemeinsame Giebelmauer verlaufen soll. Im Jahr 2011 wurde die Scheune durch einen Brand, der auch auf das Wohnhaus übergriff, stark beschädigt. Der Kläger erhielt von seiner Gebäudeversicherung 50.000 Euro zur Sanierung der Trennwand. Vom Beklagten verlangt er unter anderem, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Trennwand gegen Witterung, Wärmeverlust und Feuchtigkeitsimmissionen zu schützen. Das LG wies die Klage insoweit ab. Das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision des Beklagten an das OLG zurück – allerdings nur deshalb, weil der Umfang des dem Kläger stehenden Anspruchs näherer Klärung bedarf.

Dem Grunde nach sieht der BGH den Klageanspruch gemäß § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als begründet an. Die Trennwand war zwar weder bei ihrer Errichtung noch beim Bau des Wohnhauses eine gemeinsame Grenzanlage im Sinne von § 921 BGB. Sie erlangte diese Eigenschaft aber mit der einvernehmlichen Aufteilung des Grundstücks. Mangels abweichender Vereinbarung darf die Wand gemäß § 922 Satz 3 BGB nur einvernehmlich beseitigt oder geändert werden. Durch das Abbrennen der Scheune ist eine der Zustimmung bedürfende Änderung eingetreten, weil das Wohnhaus des Klägers nicht mehr in gleicher Weise gegen Witterungseinwirkungen geschützt ist. Hierfür ist der Beklagte als Zustandsstörer verantwortlich, und zwar – anders als hinsichtlich der am Wohnhaus eingetretenen Schäden – unabhängig davon, ob er den Brand zu verantworten hat. Der Kläger kann deshalb analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen, dass die eingetretene Störung beseitigt wird.

Der Anspruch ist nicht gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Gebäudeversicherung des Klägers übergegangen. Der Anspruch aus § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist untrennbar mit dem Eigentum am Grundstück verbunden. Zudem fehlt es an der nach § 86 Abs. 1 VVG erforderlichen Kongruenz. Die Gebäudeversicherung deckt zwar auch Schäden an der Trennwand ab. Der Anspruch aus § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist aber auf Erhalt des Bestandes und der Funktion der Wand als gemeinsame Grenzeinrichtung gerichtet, unabhängig davon, ob eine Substanzverletzung eingetreten ist.

Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist die vom OLG ausgesprochene Verurteilung aber zu weitgehend. Zum einen muss dem Beklagten die Möglichkeit offenbleiben, die vorherige Funktion in der Weise wiederherzustellen, dass er eine neue Scheune an die Wand anbaut. Zum anderen darf der Kläger eine Wärmedämmung nur verlangen, wenn und soweit die Wand durch die abgebrannte Scheune ebenfalls gegen Wärmeverlust geschützt war. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, muss das OLG nach Zurückverweisung aufklären.

Praxistipp: Die Anwendung von § 921 und § 922 BGB setzt voraus, dass die gemeinsame Einrichtung die Grundstücksgrenze überschreitet.

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Diese Woche geht es um gerichtliche Anordnungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
Beschluss vom 14. Oktober 2020 – IV ZB 4/20

Mit den Befugnissen des Gerichts gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Mit ihrer Klage wendet sie sich gegen Beitragserhöhungen. Die Beklagte reichte unter anderem ein Anlagenkonvolut ein, aus dem sich nach ihrem Vorbringen Einzelheiten zu den Grundlagen ihrer Prämienkalkulation ergeben. Zugleich beantragte sie, die Klägerin, deren Prozessbevollmächtigte, den gerichtlichen Sachverständigen und eventuell bestellte Privatgutachter der Klägerin zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Das LG übergab dem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zunächst nur die von der Beklagten eingereichte Liste der nach ihrer Ansicht geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen. Anschließend schloss es die Öffentlichkeit aus und ordnete an, dass die während des nicht öffentlichen Teils anwesenden Personen auf Klägerseite zur Geheimhaltung von Tatsachen verpflichtet sind, soweit sie die in der Liste aufgeführten Unterlagen betreffen. Die Beschwerde der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten gegen diese Anordnung blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerden der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten haben ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH bestätigt, dass ein Krankenversicherer ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der Grundlagen seiner Prämienkalkulation hat, dem die Gerichte bei der Anwendung von § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2 und § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG Rechnung tragen müssen. Die Entscheidung des LG, im Streitfall eine Geheimhaltung anzuordnen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Entgegen einer in Literatur und Instanzrechtsprechung vertretenen Auffassung ermöglicht § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG jedenfalls zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auch eine Geheimhaltungsanordnung, die sich nur an einzelne Personen richtet.

Praxistipp: Um eine ungeschützte Weitergabe von geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen an die Gegenseite sicher zu vermeiden, sollten diese grundsätzlich erst eingereicht werden, nachdem das Gericht Anordnungen zur Geheimhaltung getroffen hat.

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Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der deliktischen Haftung eines Kfz-Sachverständigen.

Eigene Haftung eines beim Haftpflichtversicherer angestellten Kfz-Sachverständigen
Urteil vom 7. Juli 2020 – VI ZR 308/19

Mit den Voraussetzungen einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Am Auto der Klägerin war ein Motorschaden aufgetreten, weil bei einer von ihm in Auftrag gegebenen Überprüfung des Fahrzeugs an einer Tankstelle der Deckel des Kühlwasserausgleichsbehälter nicht wieder aufgeschraubt worden war. Der mit der Reparatur beauftragte Werkunternehmer schlug vor, Zylinderkopf, Zahnriemen und Zusatzriemen auszutauschen. Der bei der Haftpflichtversicherung der Tankstelle als Kfz-Sachverständiger beschäftigte Beklagte hielt den Austausch des Zusatzriemens für nicht erforderlich. Der Werkunternehmer fügte sich dieser Vorgabe, obwohl er sie für sachlich unzutreffend hielt. Kurze Zeit später kam es zum Riss des Zusatzriemens, der zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führte. Die Klägerin nahm den Werkunternehmer und den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz erfolgreich. Der Werkunternehmer ersetzte daraufhin den Schaden in vollem Umfang. Der Beklagte legte hingegen Berufung ein. Das LG wies diese mit der Maßgabe zurück, dass der Rechtsstreit aufgrund der Zahlung in der Hauptsache erledigt sei.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Die Vorinstanzen haben zu Recht eine eigene Haftung des Beklagten für den zweiten Motorschaden aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin war diese allerdings nicht in den Schutzbereich des Angestelltenverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Versicherung einbezogen. Es bestand auch kein konkludenter Auskunftsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Werkunternehmer. Durch sein Dazwischentreten hat der Beklagte aber den Austausch des Zusatzriemens verhindert und damit die mit dem zweiten Motorschaden eingetretene Eigentumsverletzung adäquat verursacht. Der Beklagte handelte auch widerrechtlich. Eine Rechtspflicht zum Schutz des Eigentums der Klägerin traf ihn zwar nicht schon aufgrund seiner Tätigkeit für die Versicherung oder aufgrund deren Einstandspflicht für den ersten Motorschaden. Eine Rechtspflicht, die Interessen der Klägerin nicht zu gefährden, ergab sich aber daraus, dass er sich ohne Rücksprache mit der Klägerin in den Reparaturprozess eingeschaltet und maßgeblichen Einfluss auf den Umfang der Reparaturarbeiten genommen hat. Der Beklagte hat auch fahrlässig gehandelt, weil er sich über den Hinweis des Werkunternehmers hinweggesetzt hat.

Praxistipp: Eine deliktische Haftung der an einer fehlerhaften Reparatur oder Wartung beteiligten Personen kommt auch gegenüber Dritten in Betracht, wenn das fehlerhafte Handeln eine Gefahr für deren Rechtsgüter begründet hat.

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Diese Woche geht es um eine Rechtsfrage, die nur in Küstennähe auftreten dürfte.

Schäden durch Sturmflut
Urteil vom 26. Februar 2020 – IV ZR 235/19

Mit der Frage, wann ein Gebäudeschaden durch Sturmflut verursacht wurde, befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Leistungen aus einem Gebäudeversicherungsvertrag. Das versicherte Gebäude liegt im Rostocker Stadthafen direkt an der Warnow, 16 km einwärts von deren Mündung in die Ostsee. Das Gebäude wurde beschädigt, als das Wasser der Warnow aufgrund einer schweren Sturmflut zurückgestaut wurde und in Rostock über die Ufer trat. Die Beklagte beruft sich auf einen im Versicherungsvertrag vorgesehenen Leistungsausschluss für Schäden durch Sturmflut. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Schaden durch Sturmflut nur dann vorliegt, wenn er als unmittelbare Folge einer Sturmflut eingetreten ist. Dazu gehören zwar auch Überschwemmungen infolge eines Dammbruchs, nicht aber Überschwemmungen durch rückgestautes Wasser in einem viele Kilometer von der Küste entfernen Fluss. Entscheidend für diese Auslegung spricht der Grundsatz, dass Risikoausschlussklauseln eng auszulegen sind. Den Einwand, die Unterwarnow zwischen dem Rostocker Stadthafen und der Küste sei hydrologisch als Ostseebucht anzusehen, weist der BGH zurück, weil die Beklagte ihn erstmals in der Revisionsinstanz erhoben hat.

Praxistipp: Der Grundsatz, dass eine enge Auslegung geboten ist, gilt nur für Klauseln, die den Versicherungsschutz in bestimmten Konstellationen ausschließen, nicht aber für Klauseln, die die primäre Leistungsbeschreibung enthalten.

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Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

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Um grundlegende Pflichten eines Rechtsanwalts geht es in dieser Woche.

Kein Anspruch auf Anwaltshonorar bei Vertretung widerstreitender Interessen
Beschluss vom 10. Januar 2019 – IX ZR 89/18

Mit dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und den Auswirkungen eines Verstoßes auf den Vergütungsanspruch befasst sich der IX. Zivilsenat.

Im Zusammenhang mit dem Bau eines Fernbahntunnels hatten die Bauherrn gegen das mit der Bauausführung beauftragte Unternehmen ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet und drei Planungsgemeinschaften, die mit der Entwurfsplanung, der Objektüberwachung und der Überprüfung der Entwurfsplanung betraut waren, den Streit verkündet. Die drei Planungsgemeinschaften beauftragten gemeinsam den Kläger mit ihrer rechtlichen Vertretung in dem Verfahren. Die Beklagte, bei der die mit der Objektüberwachung und die mit der Überprüfung betraute Planungsgemeinschaft gegen Haftpflicht versichert waren, stimmte der Mandatierung zu und beglich zwei Vorschussrechnungen. Weitere Zahlungen lehnte sie ab. Die Klage auf Zahlung restlichen Honorars in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Honoraransprüche unmittelbar gegen die Beklagte bestehen schon deshalb nicht, weil das Mandat nicht von dieser, sondern von den Planungsgemeinschaften erteilt worden war. Dass die Beklagte gegenüber zwei Mandanten aufgrund des Versicherungsvertrags zur Abwehr von unbegründeten Ansprüchen verpflichtet war, begründet für sich gesehen keine vertraglichen Beziehungen zum Kläger. Erstattungsansprüche aus abgetretenem Recht bestehen ebenfalls nicht, weil der Kläger von den Planungsgemeinschaften keine Vergütung verlangen kann. Zwischen den drei Mandanten bestand ein Interessenkonflikt, weil sie gegenüber den Bauherrn unterschiedliche Aufgaben übernommen hatten und jede von ihnen bestrebt sein musste, die Feststellung von Fehlerursachen aus ihrem jeweils eigenen Verantwortungsbereich zu vermeiden. Dass zwei Mandanten denselben Haftpflichtversicherer hatten, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dem Kläger war es deshalb gemäß § 43a Abs. 4 BRAO verboten, mehr als eine der drei Planungsgemeinschaften zu vertreten. Der Verstoß gegen diese Vorschrift führt gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit des Anwaltvertrags. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Interessenwiderstreit für den Kläger auf der Hand lag.

Praxistipp: Von der Vertretung mehrerer potentieller Gesamtschuldner sollte abgesehen werden, wenn sich der Kreis der möglicherweise verletzten Pflichten nicht vollständig deckt.

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Um zwei äußerst unterschiedliche, aber wohl gleichermaßen praxisrelevante Fragen geht es in dieser Woche.

Rechtskraftwirkung zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 20. November 2018 – VI ZR 394/17

Mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der damals 13 Jahre alte Beklagte befand sich im Jahr 2006 wegen Verhaltensauffälligkeiten in stationärer Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten. In einem ersten Rechtsstreit wurden der Beklagte und die Betreiberin der Klinik antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 Euro an den Geschädigten verurteilt. Der Haftpflichtversicherer der Klinikbetreiberin zahlte das Schmerzensgeld und nahm den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs auf vollständigen Regress in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet das Urteil aus dem ersten Rechtsstreit im Verhältnis zwischen den damaligen Beklagten keine Rechtskraftwirkung. Wenn ein Kläger mehrere Personen gemeinsam verklagt und diese – wie insbesondere im Falle der Inanspruchnahme als Gesamtschuldner – nur einfache Streitgenossen sind, kann Rechtskraftwirkung nur innerhalb der einzelnen Prozessverhältnisse entstehen, also nur zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Beklagten, nicht aber im Verhältnis der beiden Beklagten untereinander. Das LG muss nach Zurückverweisung deshalb klären, ob der Beklagte entsprechend seinem nunmehrigen Vorbringen im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.

Praxistipp: Jeder Gesamtschuldner kann eine weitergehende Bindungswirkung herbeiführen, indem er im ersten Rechtsstreit den jeweils anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet.

Keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Urteil vom 6. Dezember 2018 – VII ZR 285/17

Eine seit langem diskutierte Frage entscheidet der VII. Zivilsenat.

Der Kläger, der ein Beton- und Natursteinwerk betreibt, hatte einen betrieblich genutzten Lkw in der Werkstatt des Beklagten reparieren lassen. Wegen mangelhafter Durchführung der Reparatur entstand ein Motorschaden, der einen weiteren Werkstattaufenthalt erforderlich machte. Der Kläger konnte das Fahrzeug über einen Zeitraum von vierzehn Monaten (!) hinweg nicht nutzen. Ungefähr für die Hälfte der Zeit stand ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung. Die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von rund 10.000 Euro für die gesamten vierzehn Monate gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch nur noch für die sieben Monate ohne Ersatzfahrzeug weiterverfolgte, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs kann zwar einen Schaden darstellen, wenn der Ausfall mit einer fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung einhergeht. Dem Geschädigten steht aber nur dann ein Ersatzanspruch in Geld zu, wenn er ein Ersatzfahrzeug anmietet, wenn er den Verlust durch Rückgriff auf ein Reservefahrzeug auffängt oder wenn der Verlust zu einer sonstigen Vermögensminderung geführt hat. Anders als bei privat genutzten Fahrzeugen darf der Schaden hingegen nicht abstrakt anhand einer pauschalierten Nutzungsausfallentschädigung berechnet werden.

Praxistipp: Wenn weder ein Ersatzfahrzeug angemietet noch ein Reservefahrzeug eingesetzt wird, ist es empfehlenswert, alle aufgrund des Ausfalls entstandenen Mehraufwendungen, etwa für die Beauftragung Dritter oder für den Einsatz anderer Geräte oder Arbeitskräfte, zeitnah zu dokumentieren.

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Mit einem besonderen Unfall im Straßenverkehr befasst sich der VI. Zivilsenat

Kein Direktanspruch des mitfahrenden Kfz-Diebs
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 109/17

Über einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer im Gefolge eines ungewöhnlichen Verkehrsunfalls hatte der VI. Zivilsenat zu entscheiden.

Der damals 15 Jahre alte Geschädigte entwendete zusammen mit dem 16 Jahre alten späteren Schädiger einen Motorroller. Am Tag darauf kollidierte das vom Schädiger gesteuerte Fahrzeug an einer Kreuzung mit einem vorfahrtsberechtigten Pkw. Der als Sozius mitfahrende Geschädigte erlitt dabei unter anderem ein schweres Schädelhirntrauma, das zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führte. Acht Jahre nach dem Unfall besuchte er eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die klagende Bundesagentur für Arbeit, die hierfür die Kosten zu tragen hatte, nahm den Haftpflichtversicherer des Motorrollers aus übergegangenem Recht auf Ersatz von 50 % dieser Kosten in Anspruch. Das LG wies die Klage ab, das OLG verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Mit dem OLG bejaht er einen Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger, weil dieser fahrlässig die Vorfahrt des anderen Fahrzeugs nicht beachtet hat. Er billigt auch die Einschätzung, dass das Mitverschulden des Geschädigten mit nicht mehr als 50 % zu bemessen ist. Ferner tritt er dem OLG darin bei, dass der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer aus § 3 Nr. 1 PflVG a.F. (jetzt § 115 Abs. 1 VVG) nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Geschädigte an dem Diebstahl des Fahrzeugs als Mittäter beteiligt war. Hierbei ist unerheblich, ob die Versicherung gegenüber dem Schädiger wegen der in dem Diebstahl liegenden Obliegenheitsverletzung von der Leistungspflicht frei geworden ist. Nach § 3 Nr. 4 PflVG a.F. (jetzt § 117 Abs. 1 VVG) darf dieser Umstand dem Geschädigten als Drittem nicht entgegengehalten werden. Abweichend vom OLG sieht der BGH in der Geltendmachung des Direktanspruchs jedoch einen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Mit der Zubilligung eines Anspruchs gegen die Haftpflichtversicherung würde dem Geschädigten ein Vorteil zugewendet, der sich aus der unbefugten Benutzung des Fahrzeugs ergibt und für den der Bestohlene mit den von ihm gezahlten Versicherungsprämien die Voraussetzungen geschaffen hat. Damit würde die mit dem Diebstahl einhergehende Vermögensverschiebung weiter vertieft.

Praxistipp: Die Verjährung des Direktanspruchs endet gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 VVG spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an.