Diese Woche geht es um die formellen Anforderungen an einen Pflichtteilsverzicht.
Keine Vertretung des Erblassers bei Pflichtteilsverzicht
BGH, Urteil vom 20. November 2024 – IV ZR 263/23
Der IV. Zivilsenat befasst sich mit den Folgen eines Verstoßes gegen § 2347 Satz 1 BGB.
Die Klägerin nimmt den beklagten Notar wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch.
Der verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer eines Hofs im Sinne der Höfeordnung. Im Dezember 2005 setzte er die Klägerin als Hofes- und Alleinerbin ein. Im Februar 2006 beurkundete der Beklagte einen Vertrag, in dem die Schwester der Klägerin gegenüber dem Vater auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und gegenüber der Klägerin und dem Vater auf die Geltendmachung von Abfindungsansprüchen aus § 12 der Höfeordnung verzichtete. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klägerin gegenüber ihrer Schwester zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 30.000 Euro. Der Erblasser war bei der Beurkundung durch eine Mitarbeiterin des Beklagten vollmachtlos vertreten. Er genehmigte die Vereinbarung später mit einer vom Beklagten beglaubigten Unterschrift.
Nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2020 machte die Schwester der Klägerin Pflichtteilsansprüche geltend. Die Klägerin begehrt deshalb die Feststellung, dass der Beklagte den Schaden zu ersetzen hat, dass die beurkundeten Verzichtserklärungen unwirksam sind.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die begehrte Feststellung ausgesprochen.
Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.
Zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass der Beklagte seine Amtspflichten verletzt hat, weil er die Regelung in § 2347 Satz 1 BGB (damals noch: § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.) übersehen hat, wonach der Erblasser einen Vertrag über den Verzicht auf ein gesetzliches Erbrecht oder einen Pflichtteil nur persönlich schließen kann. Der Beklagte hätte darauf hinwirken müssen, dass der Erblasser persönlich an der Beurkundung des Vertrags teilnimmt oder dass die beiden Töchter ein notarielles Angebot unter Abwesenden abgeben, das der Vater durch notarielle Erklärung annimmt. Diese Amtspflicht bestand auch gegenüber der Klägerin, weil diese von dem Pflichtteilsverzicht begünstigt war.
Zu Recht hat das OLG einen Schaden der Klägerin bejaht, für den sie nicht anderweitig Ersatz erlangen kann.
Der entgegen § 2347 Satz 1 BGB durch eine Vertreterin des Erblassers geschlossene Vertrag konnte durch die Genehmigung des Erblassers nicht wirksam werden. Ob sich aus dem Vertrag zumindest eine Pflicht zum Verzicht auf das Pflichtteilsrecht ergibt, bedarf keiner Entscheidung, weil eine Erfüllung dieser Pflicht nur vor dem Tod des Vaters möglich war.
Eine ergänzende Auslegung des Vertrags dahin, dass sich die Schwester der Klägerin dieser gegenüber verpflichtet hat, nach dem Erbfall keine Pflichtteilsansprüche geltend zu machen (was nach § 311b Abs. 5 BGB zulässig wäre), scheidet aus, weil der Verzicht auf den Pflichtteil nur gegenüber dem Vater erklärt wurde.
Der Verzicht auf Ansprüche aus der Höfeordnung ist ebenfalls unwirksam, weil der vereinbarte Abfindungsanspruch sowohl diesen Verzicht als auch den Pflichtteilsverzicht abgelten sollte und die beiden Verzichtserklärungen deshalb in untrennbarem Zusammenhang stehen.
Der Ersatzanspruch ist nicht verjährt. Er ist erst mit dem Erbfall entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt der relevante Vermögensschaden eintrat, nämlich der Anfall eines um den Pflichtteilsanspruch geminderten Erbschaft.
Praxistipp: Eine Erklärung durch den Erblasser persönlich schreibt das Gesetz auch für Testamente (§ 2064 BGB) sowie für Erbverträge (§ 2274 BGB) und deren Aufhebung (§ 2290 Abs. 2 BGB) vor.