OLG Düsseldorf zum notwendigen Hinweis auf Prozesskostenhilfe

Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 28.2.2023 – 24 U 335/20) hat einmal mehr betont, dass ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet ist, den Mandanten auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe zu verweisen, wenn er über die entsprechenden finanziellen Verhältnisse des Mandanten in Kenntnis gesetzt wird.

Im konkreten Fall vor einem LAG war dem Rechtsanwalt bekannt geworden, dass der Mandantin die finanziellen Mittel ausgegangen waren und sie demgemäß für das Verfahren vor dem LAG sogar Anspruch auf ratenfreie Prozesskostenhilfe gehabt hätte. Gleichwohl wurde das Mandat auf der Grundlage einer Stundenlohnvereinbarung durchgeführt. Die anschließende Honorarklage in nicht unerheblicher Höhe war im Wesentlichen erfolglos.

Der Rechtsanwalt schuldet dem Mandanten aus dem Mandatsvertrag eine umfassende Aufklärung über den gesamten Fall und muss alle Nachteile für den Mandanten verhindern. Das gilt auch im Hinblick auf die entstehenden Kosten. Dabei muss der Rechtsanwalt zur Not auch seine eigenen Vergütungsinteressen hinten anstellen. Erkennt er, dass der Mandant Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, muss er den Mandanten darauf hinweisen. Unterlässt er dies, begründet dies einen Schadensersatzanspruch des Mandanten.

Zwar gibt es im Dienstvertragsrecht keine Kürzung der Vergütung oder Minderung wegen einer schlechten Dienstleistung. Demgemäß hat der Rechtsanwalt grundsätzlich Anspruch auf sein Honorar. Der Mandant kann jedoch dem Rechtsanwalt die Belastung mit dieser Verbindlichkeit im Wegen der Einrede nach § 242 BGB entgegenhalten. Wie man dies im Einzelnen dogmatisch begründet, kann offenbleiben, denn jedenfalls führt dieser Gesichtspunkt dazu, dass der Mandant das Honorar nicht bezahlen muss. Bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätte der Rechtsanwalt gegen den Mandanten nämlich gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keinen durchgreifenden Honoraranspruch gegen den Mandanten gehabt.

Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die vorstehenden Grundsätze auch für die Beratungshilfe gelten (OLG Hamm, Urt. v. 30.4.2015 – 28 U 88/14).

Blog powered by Zöller: Ziviljustiz im übergesetzlichen Notstand

Massenverfahren machen der Ziviljustiz schwer zu schaffen. Wenn zeitgleich Tausende von Klagen eingereicht, manchmal mit dem Lkw herangekarrt werden, bereitet schon die Lagerung auf den Geschäftsstellen große Probleme – von der richterlichen Sachbearbeitung ganz zu schweigen. Die Richterpensen sind auf solche Fluten nicht zugeschnitten, Richterstellen nicht ohne weiteres vermehrbar. Es kommt hinzu, dass sich in diesen Verfahren oft neuartige, schwierige Sach- und Rechtsfragen stellen. Das Gebot einer gleichrangigen Bearbeitung des Geschäftsanfalls ist dann unerfüllbar – und letztlich auch sachwidrig. Denn es ist unökonomisch, wenn sich mehrere Spruchkörper parallel mit denselben Fragen beschäftigen, u.U. divergierend judizieren, bis durch ein Obergericht wieder Rechtseinheit hergestellt werden kann. Es böte sich an, in solchen Sachen ein Musterverfahren zu betreiben und die Parallelverfahren bis zu dessen rechtskräftiger Entscheidung auszusetzen. Doch ein solches Vorgehen lässt § 148 ZPO nur für den Fall zu, dass eine klagebefugte Einrichtung eine Musterfeststellungsklage erhoben hat (s. Zöller/Greger, § 148 ZPO Rn. 5a).

Es wirkt daher wie ein Fall übergesetzlichen Notstands, wenn der BGH es als vertretbare, nicht unangemessene Sachbehandlung bewertet, dass die Terminierung derartiger Parallelprozesse zurückgestellt und zunächst nur ein sog. Pilotverfahren betrieben wird (BGH v. 9.3.2023 – III ZR 80/22, ZIP 2023,  R4). Selbst wenn dadurch Klagen jahrelang „auf Eis“ liegen, soll dies keine Entschädigungsansprüche wegen unangemessener Verzögerung begründen.

So verständlich diese Praxis ist: Im Gesetz findet sie keine Stütze, und eine echte Lösung stellt sie auch nicht dar, denn irgendwann müssen die eingefrorenen Verfahren doch aufgetaut und weiter betrieben werden. Wie sollte auch die Verständigung auf ein Pilotverfahren zwischen verschiedenen Gerichten zustande kommen?  Abhilfe könnte nur durch völlig neue Formen der Verfahrensbündelung geschaffen werden; von dem sich abzeichnenden Gesetz über die Verbandsklage (BR-Drucksache 145/23) ist insoweit jedoch nichts zu erwarten.

BGH zur Befangenheit bei Ehegatten als Richter

Der BGH (Beschl. v. 26.7.2022 – I ZR 142/22) hat sich mit der Besorgnis der Befangenheit eines Richter befasst, ist begründet, wenn die Ehe­frau des abgelehnten Richters an der Entscheidung der Vorinstanz als Berufungsrichterin mitgewirkt hat.

Das LG hatte der Klage der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Provisionen stattgegeben. Das OLG wies alsdann die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurück. Im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde erreichte der Rechtsstreit anschließend den BGH. Ein Richter am BGH zeigte an, dass seine Ehefrau an der Entscheidung des OLG mitgewirkt hatte. Die Klägerin lehnte den Richter am BGH daraufhin wegen Befangenheit ab. Der BGH gibt dem Antrag statt!

Klar ist, dass eine tatsächliche Befangenheit des Richters nicht erforderlich ist, vielmehr ist der „böse Schein“ ausreichend. Dafür kommen nur objektive Gründe aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in Betracht. Derartige Gründe können sich auch aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen Richtern, die an derselben Sache beteiligt sind bzw. waren, ergeben.

Grundsätzlich hat der BGH allerdings bereits entschieden, dass die Mitwirkung eines Ehegatten an einer angefochtenen vorinstanzlichen Entscheidung eines Kollegialgerichts keinen durchgreifenden Befangenheitsgrund gegen einen „übergeordneten“ Richter begründen kann. Es bleibt unbekannt, ob und wie der Ehepartner entschieden hat, möglicherweise ist er überstimmt worden. Anders verhält es sich, wenn der Ehegatte als Einzelrichter entschieden hat. Hier ist klar, was der Ehegatte gemeint hat. Da vorliegend die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen wurde, lag gleichfalls – wie bei der Einzelrichterentscheidung – offen zu Tage, was der Ehegatte gemeint hat. Damit liegt hier ein Fall vor, der der Einzelrichterentscheidung vergleichbar. Folglich hat der Befangenheitsantrag Erfolg.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin, die den Antrag gestellt hat, in der Vorinstanz obsiegt hatte. Denn auch wenn es vielleicht näherliegt, dass der abgelehnte Richter seiner Ehefrau zustimmt, so bleibt doch auch die Möglichkeit, dass er sich besonders kritisch zu dem ergangenen Urteil positioniert, um seine Unvoreingenommenheit zu zeigen.

Im hier zu beurteilenden Fall musste der Richter am BGH daher aus dem Verfahren ausscheiden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach dem missglückten Versuch einer beA-Einreichung in letzter Minute.

Wiedereinsetzung nach vorübergehendem Funktionsausfall eines Computers
BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, wann ein Verschulden des Anwenders bei einem kurzfristig aufgetretenen Computerfehler mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Der Antragsgegner wurde in erster Instanz zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die von seinem Prozessbevollmächtigten über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichte Beschwerdebegründung ging drei Minuten nach Fristablauf bei Gericht ein. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg.

Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags geht nicht hinreichend deutlich hervor, dass ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten als Ursache für die verspätete Einreichung ausgeschlossen werden kann. Das Vorbringen, bei dem für den beA-Versand eingesetzten Computer sei es um 23:50 Uhr zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Problem gekommen, das erst durch Neustart habe behoben werden können, lässt die Möglichkeit offen, dass das Problem durch einen Bedienungsfehler verursacht worden ist. Dass der Prozessbevollmächtigte mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen beim beA-Versand vertraut war, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Angesichts des im Streitfall bestehenden Zeitdrucks ist nicht auszuschließen, dass auch einem erfahrenen Benutzer ein Fehler passiert.

Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass es an einer Darlegung fehle, weshalb der Schriftsatz nicht innerhalb der Frist im Wege der Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 ZPO übermittelt worden sei.

Praxistipp: Beim Versand per beA sollte stets eine Karenzfrist eingeplant werden, um auf „unerklärliche“ technische Probleme rechtzeitig reagieren zu können. Wer weniger als 30 Minuten vor Fristablauf mit dem Versand beginnt, kann im Falle eines zur Fristversäumung führenden Fehlers kaum auf Wiedereinsetzung hoffen.

KG: Konkurrierende Sonderzuständigkeiten nach dem GVG

Das KG hatte über die Zuständigkeit einer „Baukammer“ bzw. „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 7 GVG) zu entscheiden und zur Auflösung des Konflikts auf den Schwerpunkt des Rechtsstreit abgestellt (Beschl. v. 16.1.2023 – 2 AR 2/23).

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger schlossen mit einer GmbKG, H & Co. KG einen Grundstückskaufvertrag mit Bauverpflichtung. Aufgrund des Vertrages wurden zu Gunsten der Kläger Auflassungsvormerkungen eingetragen. Die GmbH & Co. KG wurde insolvent. Die Kläger verlangten im hiesigen Verfahren vom Insolvenzverwalter mit der Klage die Erklärung der Auflassungen sowie Bewilligung der Eintragungen der Kläger als Eigentümer. Die Sache wurde bei der „Baukammer“ des LG eingetragen (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG). Der Insolvenzverwalter erhob eine Widerklage, womit er die Kläger zur Löschung der Vormerkungen verurteilen lassen wollte. Dies stützte er auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung.

Die Frage ist nunmehr, ob die „Baukammer“ oder die „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG) zuständig ist. Das KG ermittelte – sachgerecht – dazu folgendes: Für die Entscheidung derartiger Streitigkeiten ist in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO das übergeordnete Gericht zuständig. Auf Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des LG kann es hier nicht ankommen. Die Auslegung der §§ 72a, 119a GVG kann nicht durch das jeweilige Gerichtspräsidium erfolgen. Der Gesichtspunkt der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) kann gleichfalls keine Rolle spielen, weil sich durch die Widerklage der Streitgegenstand geändert hat (bzw. ergänzt wurde). Bei möglichen Missbrauchsfällen ist im Übrigen eine Abtrennung der Widerklage möglich (§ 145 ZPO). Da das Gesetz für derartige Fälle keine direkte Lösung vorsieht, bleibt damit nur noch, auf den Schwerpunkt des Rechtsstreites abzustellen.

Im hiesigen Fall kam das KG zu dem Schluss, dass bauvertragliche Gesichtspunkte im Laufe des Rechtsstreites aller Voraussicht nach keine besondere Rolle mehr spielen werden. Vielmehr wird es maßgeblich um insolvenzrechtliche Fragestellungen gehen. Letztlich ist damit die „Insolvenzkammer“ für dieses Verfahren zuständig.

Fazit: Dem KG ist es damit gelungen, ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium zu finden. Man sieht hier wieder einmal, dass gut gemeinte Neuregelungen immer wieder zu neuen Schwierigkeiten und Abgrenzungsproblemen führen.

 

Blog powered by Zöller: Urkundenvorlage und Datenschutz

Wenn das Gericht gem. § 142 ZPO die Vorlage einer Urkunde anordnet, kann dies nicht nur Geheimhaltungsinteressen des Urkundenbesitzers tangieren (s. dazu Zöller/Greger, § 142 ZPO Rn. 9). Enthält die Urkunde auch personenbezogene Daten Dritter, stellt sich des Weiteren die Frage, ob nicht die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Herausgabe der Urkunde verbietet, weil die Daten zu anderen Zwecken als für den betr. Rechtsstreit erhoben wurden. Der EuGH hat diese Frage soeben auf Vorlage eines schwedischen Gerichts entschieden. Da die dortige Regelung mit § 142 ZPO übereinstimmt, ist die Entscheidung auch für die deutsche Prozesspraxis von größter Bedeutung.

Der Entscheidung zufolge ist die DSGVO in derartigen Fällen zwar anwendbar. Sie hindere das Gericht aber nicht, eine Vorlegung der Urkunde anzuordnen, denn der in Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta verbürgte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz dürfe nicht beeinträchtigt werden. Zu beachten seien indessen die Grundsätze der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Datenminimierung. So sei zu prüfen, ob die Sachaufklärung auch mit milderen Mitteln, etwa der Vernehmung ausgewählter Zeugen, erreicht werden könnte. Falls die Vorlegung des Dokuments angeordnet wird, seien besondere Datenschutzmaßnahmen in Betracht ziehen, etwa die Anonymisierung der Daten, die Beschränkung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Akten oder eine Anordnung an die Parteien, diese Daten nicht zu verfahrensfremden Zwecken zu verwenden.

Ausführliche Besprechung des EuGH-Urteils v. 2.3.2023 – C-268/21 demnächst im ‚Blickpunkt‘ der MDR und bereits als Kurzbeitrag in ZIP 2023, R4.

 

BGH zu den Anforderungen an anwaltliche Unterschriften

Der BGH hat zwei neuere Entscheidungen zur Frage der Unterschrift von Rechtsanwälten getroffen (Urt. v. 20.12.2022 – VI ZR 279/21 und Beschl. v. 6.12.2022 – VIII ZA 12/22, MDR 2023, 183):

Im ersten Fall wurde auf dem Briefkopf der M. Rechtsanwaltskanzlei (bestehend aus M. und J.) Berufung eingelegt, und zwar durch Rechtsanwalt B., der auch den Schriftsatz unterzeichnet hatte. Unter der Unterschrift war vermerkt „B. Rechtsanwalt“. Das LG hatte die Berufung verworfen. Der BGH akzeptiert dies nicht.

Grundsätzlich spricht die Vermutung dafür, dass Rechtsanwalt B mit seiner Unterzeichnung die vollständige Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat. Erschüttert wäre diese Vermutung z. B. dann, wenn er mit „i. A.“ unterzeichnet hätte. Da die Berufung mit dem Briefkopf der M. Rechtanwaltskanzlei eingelegt wurde, spricht hier alles dafür, dass B. in Vertretung dieser Rechtsanwälte tätig werden wollte. Diese Sichtweise entspricht auch dem Grundsatz, dass im Zweifel gewollt ist, was vernünftig ist und was der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Ein besonderer Vertretungszusatz ist nicht erforderlich.

Mithin ist davon auszugehen, dass B. in Vertretung für die Kanzlei M. und J. Berufung eingelegt hat. Der BGH hebt daher den Verwerfungsbeschluss auf und weist darauf hin, dass das Berufungsgericht noch zu prüfen haben wird, ob B. tatsächlich Vertretungsmacht gehabt hat. Diese Prüfung wird zweifelsohne positiv ausgehen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass B. für M. und J. tätig geworden ist, ohne dass diese ihn damit beauftragt und damit jedenfalls gleichzeitig konkludent bevollmächtigt haben sollten.

Im zweiten Fall hatte ein Rechtsanwalt eine Berufungsbegründung für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, und zwar mit dem Zusatz „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter“.  Auch hier hatte das Berufungsgericht die Berufung verworfen.

Diese Entscheidung billigt der BGH. Durch den Zusatz hat der Rechtsanwalt zum Ausdruck gebracht, dass er – wiewohl er den Schriftsatz unterzeichnet hat – denselben nicht verantworten möchte. Gleichzeitig wurde der Schriftsatz aber durch den Rechtsanwalt, der ihn verantwortet hat, gar nicht unterzeichnet. Es ist aber notwendig, dass derjenige, der den Schriftsatz unterzeichnet, ihn auch vollständig verantwortet. Eine tatsächliche Prüfung des Schriftsatzes ist dafür nicht erforderlich, die Unterschrift alleine reicht aus. Der Anwalt darf also „auf volles Risiko gehen“! Der hier angebrachte Zusatz stellt die Einhaltung dieses Erfordernisses jedoch in Frage. Damit ist die Berufung zu Recht verworfen worden, weil es an dem Erfordernis der Unterschrift fehlt.

Fazit: Man kann nicht oft genug betonen, dass bei Zusätzen zu Unterschriften große Vorsicht geboten ist.

 

 

 

 

 

 

BGH: Separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 17.11.2022 – V ZB 38/22) hat entschieden, dass eine separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich ist. Jedoch muss diese Entscheidung gesondert mit der Rechtsbeschwerde gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO angefochten werden, um sie nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Folgender Fall lag der Entscheidung zugrunde: Der Kläger hatte den Prozess in erster Instanz verloren. Er beantragte sodann Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Der Antrag wurde zurückgewiesen, weil er seine Bedürftigkeit nicht ordnungsgemäß dargelegt hatte. Danach legte er die Berufung auf eigenes Kostenrisiko ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Gut fünf Wochen später verwarf das OLG dann die Berufung. Der Kläger beantragte nunmehr Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss.

Diesen Antrag weist der BGH zu Recht zurück. Grundsätzlich ist das Verfahren über die Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachzuholende Prozesshandlung zu verbinden (§ 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, separat darüber zu entscheiden (§ 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dann aber ist diese Entscheidung auch gesondert anzufechten (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 2 ZPO). Erfolgt keine Anfechtung, wird der Beschluss für das weitere Verfahren bindend und kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden, jedenfalls was den beschiedenen Sachverhalt betrifft.

Genauso liegen die Dinge hier. Zwar hatte sich das OLG bei dem Verwerfungsbeschluss erneut mit der Frage der Wiedereinsetzung auseinandergesetzt. Dies war jedoch genauso unnötig wie unschädlich. Die Wiedereinsetzung, vor allem im Rahmen von Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz, ist ein sehr schwieriges Feld. Hier kann sehr viel falsch gemacht werden. Der Rechtsanwalt muss sehr vorsichtig sein und jede Entscheidung eines Gerichts stets genau auf ihre Richtigkeit und eventuelle Anfechtbarkeit prüfen.

BGH: Unpfändbarkeit des Pflegegeldes

In einem Verfahren vor dem BGH (Beschl. v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22, MDR 2023, 187) ging es um die Einkommensberechnung einer Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Sohn der Schuldnerin ist pflegebedürftig. Die Schuldnerin selbst übernimmt die Pflege. Das Pflegegeld, das dem Sohn zusteht, wird von diesem an die Schuldnerin weitergeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Geld bei der Schuldnerin als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehört sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht gepfändet werden darf, nicht zur Insolvenzmasse. Damit wird über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch § 850e ZPO anwendbar, insbesondere die Nrn. 2. und 2a (Arbeitseinkommen wird mit Sozialleistungen zusammengerechnet soweit diese der Pfändbarkeit unterworfen sind).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Unpfändbarkeit von Geldleistungen, die Körperschaden ausgleichen) nicht einschlägig ist, denn die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig (vgl. auch § 14 SGB XI). Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung an den Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld bleibt bei Unterhaltsansprüchen und -verpflichtungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt. Daraus folgt, dass es im Übrigen an sich den allgemeinen Vorschriften der ZPO unterfällt.

Allerdings bejaht der BGH sodann die Voraussetzungen des § 851 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 399 BGB. Das Pflegegeld unterfällt § 399 Abs. 1 BGB. Die Leistung kann nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen, da hier die Leistung mit der Person so verknüpft ist, dass sie, würde sie ein anderer erbringen, als eine andere Leistung erscheinen wird. Eine andere Sicht der Dinge würde zudem auch den Zielen der Pflege, eine Betreuung in der häuslichen Atmosphäre zu ermöglichen, entgegenlaufen. Hinzu kommt, dass der Pflegebedürftige in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei ist.

Die zuvor streitige Frage ist daher nunmehr für die Praxis abschließend geklärt. Pflegegeld, das von dem Pflegebedürftigen an einen Pflegenden weitergeleitet wird, die die Pflege erbringt, ist bei diesem Pflegenden unpfändbar. Es ist bei der Einkommensberechnung daher nicht mit anderem Einkommen des Pflegenden zusammenzurechnen.

Blog powered by Zöller: § 68 FamFG – Niederschrift bei Geschäftsstelle? Nicht für Rechtsanwälte!

Entscheiden sich Rechtsanwälte, schriftlich Beschwerde gemäß § 68 FamFG einzulegen, muss die Übermittlung ans Gericht per beA erfolgen. Die Möglichkeit der Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle entbindet Rechtsanwälte davon nicht.

Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs führt neben den allgemeinen (zu diesen z.B. der Beitrag im „Blog powered by Zöller“ von Prof. Dr. Reinhard Greger vom 30.1.2023) zu speziellen Anwendungsproblemen und Haftungsrisiken im Bereich des FamFG. Dieses enthält in § 14b FamFG eine § 130d ZPO vergleichbare Regelung. Danach sind insbesondere von Rechtsanwälten „bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen“ als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Welche Erklärungen von dem Begriff „schriftlich einzureichende“ erfasst sind, ist im Verfahren des FamFG nicht unproblematisch, da die Beteiligten in den vielen FamFG-Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, gemäß § 25 Abs. 1 FamFG Anträge und Erklärungen auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgeben können. Besondere Bedeutung erlangt dies für die Einlegung der Beschwerde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann diese – außer in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) sowie in Scheidungsfolgesachen, auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 3/16, FamRZ 2017, 1151 [Anm. Fischer] = FamRB 2017, 290 [Anm. Stockmann]) – auch durch entsprechende Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden.

Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass auch ein Rechtsanwalt von der Form des § 14b FamFG freigestellt ist und z.B. eine Beschwerde schriftlich oder per Telefax einlegen darf, wenn das Verfahren keinem Anwaltszwang unterliegt. Das hat der BGH mit einer aktuellen Entscheidung klargestellt, in der in einem (nicht dem Anwaltszwang unterliegenden) Sorgerechtsverfahren durch einen Rechtsanwalt die Beschwerdeschrift per Post eingereicht wurde (BGH, Beschl. v. 7.12.2022 – XII ZB 200/22; ohne nähere Begründung auch schon BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22, MDR 2022, 1426 [Anm. Vossler] in einer Betreuungssache). Der BGH hat die die Beschwerde verwerfende Entscheidung des OLG bestätigt. Denn die Möglichkeit einer Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle solle anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten einen erleichterten Zugang zur Beschwerdeinstanz verschaffen. Werde die Beschwerde aber schriftlich eingelegt, muss sie den entsprechenden Formerfordernissen genügen, wozu auch die Einreichung als elektronisches Dokument gemäß § 14b FamFG durch die von der Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs erfassten Personen gehört.

Nutzungspflichtig in diesem Sinn sind im Übrigen gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Behörden. Dazu gehören insbesondere auch die „Staatskasse“, z.B. bei Einlegung einer sofortigen Beschwerde im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe (OLG Bamberg v. 4.11.2022 – 2 WF 167/22, FamRZ 2023, 210), die Deutsche Rentenversicherung in Versorgungsausgleichssachen (OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22, FamRZ 2022, 1049 = MDR 2022, 789) und das Jugendamt (OLG Frankfurt v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22, FamRZ 2022, 802 [Anm. Müther], dazu auch Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 14b FamFG Rz. 15 ).

Mehr dazu und topaktuell im Zöller: § 14b FamFG Rn. 2