BGH: Widerlegung eines Empfangsbekenntnisses und zur Unterzeichnung „i. V.“

Der BGH (Beschl. v. 25.9.2018 – XI ZB 6/17) hatte über einen Rechtsstreit zu entscheiden, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Eine Berufungsbegründung ging am 16.11.2016 ein, das Empfangsbekenntnis (EB) des erstinstanzlichen Urteils datierte allerdings vom 15.9.2016. Unterschrieben war die Begründung mit „i. V.“ und einer unleserlichen Unterschrift. Der Rechtsanwalt teilte auf gerichtlichen Hinweis dazu folgendes mit: Das Urteil sei am 15.9.2016 in der Kanzlei eingegangen und das EB habe von einer Mitarbeiterin den entsprechenden Stempel erhalten. Er selbst sei erst am 19.9.2016 wieder in die Kanzlei gekommen, habe unterschrieben, jedoch vergessen, den Stempel mit dem Datum vom 15.9.2016 abzuändern. Die Berufungsbegründung sei daher rechtzeitig eingegangen, hilfsweise werde Wiedereinsetzung beantragt. Die Berufungsbegründung sei von Rechtsanwältin P für ihn unterzeichnet worden.

Das OLG hatte die Berufung verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Rechtsanwalt nicht möglicherweise telefonisch von dem Urteil bereits am 15.9.2019 Kenntnis erlangt habe. Darüber hinaus sei unklar gewesen, wer die Berufungsbegründung unterzeichnet habe.

Der BGH sieht dies anders. Der Darstellung des Rechtsanwaltes sei vielmehr mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass er erst am 19.6.2016 von dem Urteil Kenntnis genommen habe. Die Unterzeichnung „i. V.“ bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass der Unterzeichner in Untervollmacht unterzeichnet und die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Wer tatsächlich unterschrieben hat, muss erst zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sein, nicht schon beim Ablauf der einschlägigen Frist.

Freilich bedeutet dies für den Berufungskläger zunächst nur einen Etappensieg: Das Berufungsgericht muss jetzt durch Vernehmung des Rechtsanwalts und seiner Mitarbeiterin Beweis erheben und dann würdigen, ob diese Aussagen wirklich ausreichen, um den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des EB zu führen. Dies wird sicherlich nicht einfach werden. Dennoch scheint der BGH die Anforderungen für die Einhaltung der Fristen immer weiter zu lockern. Ob dies der richtige Weg ist, sei hier einmal dahingestellt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei äußerst unterschiedliche, aber wohl gleichermaßen praxisrelevante Fragen geht es in dieser Woche.

Rechtskraftwirkung zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 20. November 2018 – VI ZR 394/17

Mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der damals 13 Jahre alte Beklagte befand sich im Jahr 2006 wegen Verhaltensauffälligkeiten in stationärer Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten. In einem ersten Rechtsstreit wurden der Beklagte und die Betreiberin der Klinik antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 Euro an den Geschädigten verurteilt. Der Haftpflichtversicherer der Klinikbetreiberin zahlte das Schmerzensgeld und nahm den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs auf vollständigen Regress in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet das Urteil aus dem ersten Rechtsstreit im Verhältnis zwischen den damaligen Beklagten keine Rechtskraftwirkung. Wenn ein Kläger mehrere Personen gemeinsam verklagt und diese – wie insbesondere im Falle der Inanspruchnahme als Gesamtschuldner – nur einfache Streitgenossen sind, kann Rechtskraftwirkung nur innerhalb der einzelnen Prozessverhältnisse entstehen, also nur zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Beklagten, nicht aber im Verhältnis der beiden Beklagten untereinander. Das LG muss nach Zurückverweisung deshalb klären, ob der Beklagte entsprechend seinem nunmehrigen Vorbringen im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.

Praxistipp: Jeder Gesamtschuldner kann eine weitergehende Bindungswirkung herbeiführen, indem er im ersten Rechtsstreit den jeweils anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet.

Keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Urteil vom 6. Dezember 2018 – VII ZR 285/17

Eine seit langem diskutierte Frage entscheidet der VII. Zivilsenat.

Der Kläger, der ein Beton- und Natursteinwerk betreibt, hatte einen betrieblich genutzten Lkw in der Werkstatt des Beklagten reparieren lassen. Wegen mangelhafter Durchführung der Reparatur entstand ein Motorschaden, der einen weiteren Werkstattaufenthalt erforderlich machte. Der Kläger konnte das Fahrzeug über einen Zeitraum von vierzehn Monaten (!) hinweg nicht nutzen. Ungefähr für die Hälfte der Zeit stand ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung. Die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von rund 10.000 Euro für die gesamten vierzehn Monate gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch nur noch für die sieben Monate ohne Ersatzfahrzeug weiterverfolgte, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs kann zwar einen Schaden darstellen, wenn der Ausfall mit einer fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung einhergeht. Dem Geschädigten steht aber nur dann ein Ersatzanspruch in Geld zu, wenn er ein Ersatzfahrzeug anmietet, wenn er den Verlust durch Rückgriff auf ein Reservefahrzeug auffängt oder wenn der Verlust zu einer sonstigen Vermögensminderung geführt hat. Anders als bei privat genutzten Fahrzeugen darf der Schaden hingegen nicht abstrakt anhand einer pauschalierten Nutzungsausfallentschädigung berechnet werden.

Praxistipp: Wenn weder ein Ersatzfahrzeug angemietet noch ein Reservefahrzeug eingesetzt wird, ist es empfehlenswert, alle aufgrund des Ausfalls entstandenen Mehraufwendungen, etwa für die Beauftragung Dritter oder für den Einsatz anderer Geräte oder Arbeitskräfte, zeitnah zu dokumentieren.

Der Zivilprozess – Hurra, schon wieder eine neue Reform!

Bekanntlich gehen die Eingänge in Zivilprozesssachen schon seit Jahren zurück. Viele kundige Menschen, mitunter auch Juristen, haben sich mit dieser Tendenz beschäftigt. Aber keiner weiß so richtig genau, warum dies der Fall ist. Sicherlich gibt es dafür viele Ursachen. Oder wie man sagt: Es handelt sich um ein multikausales Phänomen.

Anstatt diese Tendenz auf sich beruhen zu lassen und sich zu freuen, dass die Rechtsgenossen sich offenbar weniger streiten (wollen), entfaltet man vielmehr neue Aktivitäten. Die Justizministerinnen und –minister wollen den Zivilprozess wieder attraktiver machen (vgl. den Bericht von Rebehn in DRiZ 2018, 370 ff.). Ist es wirklich die Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass die Eingänge in der Zivilgerichtsbarkeit wieder steigen?

So ist einiges geplant: Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde soll endlich festgeschrieben und unter Umständen sogar ein wenig erhöht werden. Das Kammerprinzip soll wieder gestärkt werden. Weitere Spezialkammern sollen errichtet werden. Die Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO soll hingegen erhalten bleiben. Für die Amtsgerichte wird sich allerdings praktisch nichts ändern, ein Glück.

Wie die geplanten Maßnahmen dafür sorgen sollen, dass die Eingänge wieder steigen, bleibt allerdings im Wesentlichen das Geheimnis der Konferenz. Sachgerecht wäre es jedenfalls, die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde endlich festzuschreiben und auch ein wenig zu erhöhen, immerhin ist diese Grenze schon jahrelang nicht mehr verändert worden. Dies wird den Zivilprozess zwar nicht gerade attraktiver machen! Aber an dieser „Front“ muss endlich einmal Ruhe einkehren. Auch die Erhaltung des § 522 Abs. 2 ZPO ist zu begrüßen.

Alles andere kann und sollte man einfach beibehalten und die Praxis in Ruhe arbeiten lassen. Sie wird ihre Aufgaben so gut wie es angesichts der teilweise widrigen Verhältnisse und Umstände möglich ist auch ohne die Reformen bzw. Reförmchen erfüllen. So wie schon seit Jahrzehnten. Und so wie schon vor Jahrzehnten. Und so wie voraussichtlich noch in weiteren Jahrzehnten. Jedoch: Alles fließt, das einzig Konstante ist auch hier der Wille zur Veränderung mit wie stets mäßigen Konsequenzen. Es kreiste der Berg und gebar ein Mäuschen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine immer wieder diskutierte prozessuale Frage geht es im Silvester-Blog.

Bezugnahme auf Anlagen zur Substantiierung des Klageanspruchs
Beschluss vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 213/17

Mit der richterlichen Pflicht zur Berücksichtigung von vorgelegten Anlagen befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1999 schwerst verletzt und bezieht von der beklagten Haftpflichtversicherung eine monatliche Rente von 900 Euro wegen vermehrter Bedürfnisse. Im Rechtsstreit begehrt sie unter anderem eine zusätzliche Rente von rund 500 Euro pro Monat wegen des Haushaltsführungsschadens. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, weil dieses eine von der Klägerin vorgelegte Aufstellung ihres Tagesablaufs vor dem Unfall unberücksichtigt gelassen hat. Ein Gericht muss zwar nicht von sich aus umfangreiche Aktenkonvolute durcharbeiten, um den geltend gemachten Anspruch zu konkretisieren. Es muss aber Anlagen zur Kenntnis nehmen, die aus sich heraus verständlich sind und auf die die Partei zur Konkretisierung ihres Vorbringens ausdrücklich Bezug genommen hat. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt.

Praxistipp: Damit über die Frage, ob eine Anlage aus sich heraus verständlich ist, möglichst kein Streit entsteht, empfiehlt es sich, den Inhalt jeder Anlage im Rahmen der Bezugnahme kurz zu erläutern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine prozessuale und eine materiell-rechtliche Frage geht es im Weihnachts-Blog.

Berufungsbegründung bei zwei selbständig tragenden Erwägungen
Beschluss vom 29. November 2018 – III ZB 19/18

Mit den formellen Anforderungen an eine Berufungsbegründung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die klagende Krankenkasse nahm die Beklagte, die ein Pflegeheim betreibt, aus übergegangenem Recht eines gesetzlich versicherten Heimbewohners auf Ersatz der Kosten für einen Krankenhausaufenthalt in Anspruch. Das LG wies die Klage ab, weil es nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass die beim Patienten festgestellten Druckgeschwüre durch pflegerische Versäumnisse verursacht wurden und dass die Druckgeschwüre für die Einweisung in das Krankenhaus mitursächlich waren. Das OLG verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig, weil sich die Berufungsbegründung nahezu ausschließlich mit dem ersten Aspekt befasse und hinsichtlich des zweiten Aspekts lediglich eine pauschale Rüge enthalte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er stellt klar, dass sich auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf den verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz berufen kann. Diesen Anspruch hat das OLG verletzt, weil es zu strenge Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung gestellt hat. Die Klägerin hatte geltend gemacht, die vom LG angeführten Gründe – eine größere Anzahl von Vorerkrankungen und eine auf „akute Bronchitis“ lautende Diagnose im Vorfeld der Einweisung – reichten nicht aus, um Zweifel an der Mitursächlichkeit der Druckgeschwüre zu begründen. Diese Rügen lassen einen hinreichenden Bezug zum Streitfall und zur angefochtenen Entscheidung erkennen und genügen deshalb den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO.

Praxistipp: Bei der Anfertigung einer Berufungsbegründung ist stets sorgfältig darauf zu achten, dass alle Hilfs- und Nebenbegründungen, die geeignet sind, das erstinstanzliche Urteil selbständig zu tragen, in der nach § 520 Abs. 3 ZPO erforderlichen Weise angegriffen werden.

Instandhaltung einer Telefonleitung in einer Mietwohnung
Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 17/18

Mit der Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung der Mietsache befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin wohnt seit 2011 in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Im Jahr 2015 trat eine Störung am Telefonanschluss auf. Ursache war ein Defekt an einer Leitung, die vom Telefonanschluss im Untergeschoss des Gebäudes durch einen Kriechkeller bis zur Wohnung der Klägerin verläuft. Die beklagte Vermieterin kam dem Verlangen der Klägerin, die Leitung instand setzen zu lassen, nicht nach. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Instandsetzung der Leitung. Das LG verurteilte die Beklagte lediglich zur Duldung der Instandsetzung und wies die weitergehende Klage ab.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH lässt offen, ob ein funktionierender Telefonanschluss in einer Mietwohnung zu dem nach der Verkehrsanschauung geschuldeten Mindeststandard gehört. Jedenfalls dann, wenn eine sichtbare Telefonanschlussdose in der Wohnung vorhanden ist, darf der Mieter mangels abweichender Vereinbarung erwarten, dass er diese ohne zusätzliche Verkabelungsarbeiten nutzen kann. Aus dieser Überlassungspflicht ergibt sich mangels abweichender Vereinbarung zugleich eine Erhaltungspflicht des Vermieters. Dieser muss erforderlichenfalls auch für die Reparatur von Anlagenteilen sorgen, die außerhalb der Wohnung liegen.

Praxistipp: Bei der Geltendmachung entsprechender Ansprüche ist zu prüfen, ob der Mietvertrag abweichende Regelungen enthält und ob dieser einer AGB-Kontrolle standhalten.

 

BGH: Änderung des Parteivortrages

Der BGH (Beschl. v. 24.7.2018 – VI ZR 599/16 , MDR 2018, 1395) hat zum wiederholten Male entschieden, dass sich im geltenden Prozessrecht keine Grundlage dafür findet, einen Vortrag einer Partei nicht zu berücksichtigen, weil er widersprüchlich zu vorherigem Vortrag ist, wenn letzterer ausdrücklich aufgegeben wurde. Vielmehr darf die Partei  ihren Vortrag im Laufe des Prozesses grundsätzlich ändern, ergänzen oder berichtigen. Freilich kann all dies bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

Viele Prozessbeteiligte gehen mit der Wahrheit leider sehr großzügig um, wie im Prozessalltag beständig zu beobachten ist. Viel häufiger als eine bewusste Lüge findet sich eine etwas eigenwillige Darstellung der Wahrheit. Es werden z. B. offenkundig wichtige Details einfach weggelassen. Oder es wird ein Verwirrspiel mit Begriffen gespielt. Oder es wird durch die Wahl bestimmter Worte etwas assoziiert, was nicht direkt behauptet werden dürfte. Ein schönes Beispiel für eine angebliche wahre Aussage ist die bekannte Formulierung des früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika: „I did not have sexual relations with that woman, Miss …“ So ist es (leider) in der Praxis.

Ein widersprüchliches Vorbringen darf als unbeachtlich behandelt werden, wobei natürlich vorher versucht werden muss, den Widerspruch aufzuklären. Anders ist es, wenn ausdrücklich ein bisheriges Vorbringen aufgegeben und durch ein neues, anderes Vorbringen ersetzt wird. Hier gibt es in der Tat keine prozessuale Möglichkeit, eine solche Änderung nicht zu berücksichtigen. Allerdings verliert man durch ein solches Vorgehen natürlich sehr viel an Glaubwürdigkeit. Wenn es knapp wird, kann ein Prozess aus diesem Grunde ohne weiteres verloren gehen. Dann rächt sich die eigenwillige Darstellung der Wahrheit sofort.

Wenn man also gezwungen ist, den Vortrag zu berichtigen, sollte man dies im eigenen Interesse nachvollziehbar erklären, und zwar ausführlich und richtig. Das berühmte „Informationsversehen“ oder der angeblich „versehentlich eingefügte Textbaustein“ alleine wird dafür in aller Regel nicht ausreichend sein. Eine einmal verlorene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, ist ein mühsames Unterfangen. Daran wird die Entscheidung des BGH nichts ändern. Diejenigen, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, sollten sich demzufolge nicht zu früh freuen.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage geht es in dieser Woche

Berühmung durch Erwiderung auf ursprünglich unzulässige negative Feststellungsklage
Urteil vom 2. Oktober 2018 – X ZR 62/16

Mit einem eher ungewöhnlichen Prozessverlauf befasst sich der X. Zivilsenat.

Während eines von der Beklagten eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens zur Aufklärung einer mutmaßlichen Patentverletzung erhob die Klägerin Hauptsacheklage mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagten gegen sie keine Ansprüche wegen Verletzung des Schutzrechts zustehen. Nach dem Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens, dessen Ergebnisse der Beklagten eher ungünstig waren, sprach das LG die begehrte Feststellung aus. Das OLG wies die Klage hingegen als unzulässig ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt der Vorinstanz zwar darin bei, dass die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens in der Regel kein rechtliches Interesse des Gegners an einer negativen Feststellungsklage begründet. Abweichend von der Auffassung des OLG sieht er aber eine ein Feststellungsinteresse begründende Berühmung darin, dass die Beklagte sich nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens gegenüber der negativen Feststellungsklage hilfsweise mit dem Argument verteidigt hat, ihr stünden ungeachtet der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Ansprüche wegen Patentverletzung mit gleichwertigen Mitteln zu. Die Beklagte hat damit einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen, an dessen Klärung die Klägerin ein berechtigtes Interesse hat.

Praxistipp: Geht es dem Gegner eines für den Antragsteller ungünstig verlaufenen selbständigen Beweisverfahrens nur um Ersatz der angefallenen Kosten, ist das Verfahren nach § 494a ZPO (Frist zur Klageerhebung) in der Regel ausreichend.

OLG Brandenburg: Gehörsverletzung durch nur formelhaft begründete Nichtabhilfeentscheidung

Das OLG Brandenburg hat sich mit Beschl. v. 9.8.2018 – 13 WF 126/18, MDR 2018, 1272 mit der Aufhebung einer bewilligten Verfahrenskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in einer Familiensache beschäftigt. Nach Ablauf der Frist für die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO) gab der Antragsteller (endlich) die erforderliche Erklärung ab und legte den Vordruck nebst Anlagen vor. Das AG legte dies als sofortige Beschwerde gegen den Aufhebungsbeschluss aus. Gleichwohl half das AG der sofortigen Beschwerde nicht ab, sondern nahm „auf die weiterhin zutreffende Begründung der ursprünglichen Entscheidung“ Bezug und legte die Akte dem OLG vor. Das OLG hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies die Sache an das AG zurück.

Da die sofortige Beschwerde offensichtlich verspätet war, wäre sie von dem OLG an sich zu verwerfen gewesen (§ 572 Abs. 2 ZPO). Es war jedenfalls deswegen ausgeschlossen, die ursprüngliche Entscheidung des AG in der Sache abzuändern.

Andererseits kann das Amtsgericht selbst in einer solchen Fallkonstellation der Beschwerde durchaus noch abhelfen, obwohl die sofortige Beschwerde unzulässig ist (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies wird oftmals verkannt! Mit seiner lediglich formelhaften Begründung hatte das AG diese Entscheidungsmöglichkeit jedoch gar nicht erst gesehen, geschweige denn geprüft bzw. in Betracht gezogen. Das OLG sieht darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses und Zurückverweisung der Sache nötigt! Das Amtsgericht hat mit seiner „Entscheidung“ das Nichtabhilfeverfahren vollständig des eigentlichen Sinnes beraubt, weil es keine Prüfung vorgenommen hat, obwohl ausführlich vorgetragen worden war und das Gesetz eine Prüfung verlangt.

Das AG hat damit die Gelegenheit, die ursprünglich ergangene Entscheidung jetzt in der Sache zu überprüfen, obwohl eine sofortige Beschwerde unzulässig wäre. Hier versteckt sich eine Möglichkeit, wie man eine aufhebende PKH-Entscheidung nach langer Zeit noch rückgängig machen kann!

Die vorstehenden Grundsätze gelten natürlich auch dann, wenn die sofortige Beschwerde zulässig ist. Auch dann muss das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, tatsächlich prüfen, ob der Beschwerde abgeholfen werden kann. Ist neues Vorbringen erfolgt, darf nicht einfach auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen werden. Eine Nichtabhilfeentscheidung sollte daher grundsätzlich durch einen förmlichen Beschluss erfolgen, der den Parteien mitgeteilt wird und worin auf eventuelles neues Vorbringen eingegangen wird. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Akte mit einer Aufhebungsentscheidung zurückkommt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine allgemeine Frage, die bislang nicht höchstrichterlich entschieden war, geht es in dieser Woche.

Bindung des Rechtsnachfolgers an einen nach Rechtsübergang geschlossenen Vergleich
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 267/17

Mit den Wirkungen eines vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Prozessvergleichs befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte in einem Vorprozess seinen Nachbarn wegen der Blendwirkung einer Photovoltaikanlage in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich der Nachbar verpflichtete, bestimmte Teile der Anlage zu entfernen. Nachdem der Beklagte die Vollstreckung eingeleitet hatte, erhob die Ehefrau des Nachbarn Vollstreckungsgegenklage. Sie legte (erstmals) offen, dass ihr Ehemann das Eigentum an dem betroffenen Grundstück schon während des Vorprozesses im Wege der Schenkung auf sie übertragen hatte, und machte geltend, sie sei an den von ihrem Ehemann nach der Übereignung geschlossenen Vergleich nicht gebunden. Die Vollstreckungsgegenklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Er verweist auf frühere Rechtsprechung, wonach eine Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit in entsprechender Anwendung von § 265 ZPO auch dann keinen Einfluss auf den Rechtsstreit hat, wenn ein Grundstückseigentümer, der nach § 906 und § 1004 BGB wegen Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück in Anspruch genommen wird, das Eigentum nach Rechtshängigkeit auf einen Dritten überträgt. Aus § 265 ZPO ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass der Rechtsnachfolger auch an einen vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Vergleich gebunden ist, soweit dieser eine Rechtsfolge vorsieht, die auch das Ergebnis eines Urteils in dem anhängigen Rechtsstreit sein könnte. Eine in der Literatur (auch vom Montagsblogger) vertretene Gegenauffassung, wonach § 265 ZPO keine materiell-rechtlichen Wirkungen entfalten kann, lehnt er ab, weil ein Prozessvergleich eine Einheit bilde und das Gesetz dem Veräußerer eine umfassende gesetzliche Prozessstandschaft einräume. Den in § 325 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Vorbehalt zugunsten eines gutgläubigen Erwerbers hält der Senat nicht für einschlägig, weil dieser nur einen (doppelt gutgläubigen) Erwerb von einem Nichtberechtigten betreffe.

Praxistipp: Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sollte sich der Erwerber eines Grundstücks vergewissern, dass keine das Anwesen betreffenden Rechtsstreitigkeiten anhängig sind. Im Falle einer unrichtigen Auskunft ist er allerdings auch dann nicht vor einem Rechtsverlust geschützt; immerhin stehen ihm aber Ersatzansprüche gegen den Veräußerer zu.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten in der Berufungsinstanz geht es in dieser Woche.

Anwaltsbestellung nach Berufungsrücknahme
Beschluss vom 10. April 2018 – VI ZB 70/16

Der VI. Zivilsenat beurteilt die Erforderlichkeit von Anwaltskosten anhand des jeweiligen Kenntnisstands der Partei.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin hatte zunächst Berufung eingelegt, das Rechtsmittel aber rund eine Woche später wieder zurückgenommen. Einen Tag nach Zustellung der Rücknahmeerklärung ging beim Gericht ein Schriftsatz ein, in dem der Anwalt des Beklagten die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragte. Im Kostenfestsetzungsverfahren begehrte der Beklagte den Ansatz einer Verfahrensgebühr für die Berufungsinstanz. Das LG wies den Antrag zurück, das OLG gab ihm statt.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt erfolglos. Der BGH hält die Kosten für erforderlich im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO, weil der Anwalt des Beklagten seine Tätigkeit zu einem Zeitpunkt aufnahm, als er von der (bereits bei Gericht eingegangenen, aber noch nicht zugestellten) Rücknahme noch nichts wusste. In dieser Situation durfte der Beklagte die Beauftragung eines Anwalts (noch) für sachdienlich erachten. Dass die Tätigkeit aus „objektiver“ Sicht nicht notwendig war, steht dem nicht entgegen.

Praxistipp: Um unnötige Kosten zu vermeiden, bietet es sich an, den Gegner möglichst umgehend auf direktem Weg über die Rücknahme eines Rechtsmittels zu informieren.