Montagsblog: Neues vom BGH

Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung ist nicht vererblich
Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 261/16

Der VI. Zivilsenat entwickelt seine Rechtsprechung zur Nichtvererblichkeit von Ansprüchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts fort.

Der ursprüngliche Kläger war wegen vielfacher Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Treblinka angeklagt. Der Beklagte berichtete in den Jahren 2010 und 2011 in einem Internetportal laufend über das anhängige Verfahren unter voller Namensnennung. Mit einer im November 2011 zugestellten Klage nahm ihn der Kläger wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts auf Zahlung einer Geldentschädigung in Anspruch. Im März 2012 verstarb der Kläger. Seine Witwe führte den Rechtsstreit fort. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Witwe zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Ansprüche auf Geldausgleich wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ungeachtet der Aufhebung von § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. nicht vererblich sind, und entscheidet nunmehr, dass dies auch dann gilt, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtshängig ist.

Praxistipp: Vor einer Erledigungserklärung sollte sorgfältig geprüft werden, ob der Anspruch auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder auf einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit beruht. Im zuletzt genannten Fall ist der Anspruch vererblich – unabhängig davon, ob er bereits rechtshängig war.

Unterwerfung des Mieters unter die sofortige Zwangsvollstreckung
Urteil vom 14. Juni 2017 – VIII ZR 76/16

Eine strenge Ausgestaltung eines Mietvertrags billigt der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte eine Wohnung an eine GmbH und deren Geschäftsführer vermietet. Beide Mieter hatten sich entsprechend einer im Mietvertrag vorgesehenen Verpflichtung in notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Miete unterworfen. Nach Beendigung des Mietverhältnisses betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde. Die daraufhin erhobene Vollstreckungsgegenklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die Zwangsvollstreckung hingegen für unzulässig.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er lässt offen, ob es sich um ein Mietverhältnis über Wohnraum handelt, und hält die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung auch für einen solchen Mietvertrag für zulässig. Unerheblich ist auch, ob der Mieter eine Kaution geleistet hat. Die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ist nicht als Sicherheitsleistung im Sinne von § 551 Abs. 1 BGB anzusehen und deshalb bei der Prüfung, ob die danach geltende Höchstgrenze überschritten ist, nicht zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 138 sieht der BGH im Streitfall als nicht gegeben an.

Praxistipp: Um unnötige Streitigkeiten über die Wirksamkeit der notariellen Unterwerfungserklärung zu vermeiden, sollte in diese die Klarstellung aufgenommen werden, dass eine Umkehr der Beweislast nicht eintreten soll.

Mietstreitigkeit mit dem früheren Schwiegersohn als Familiensache
Beschluss vom 12. Juli 2017 – XII ZB 40/17

Dass die Zuständigkeit für sonstige Familiensachen durchaus weit sein kann, zeigt eine Entscheidung des XII. Zivilsenats.

Die Kläger hatten eine Wohnung an ihre Tochter und deren Ehemann vermietet. Im Jahr 2011 trennten sich die Ehegatten, der Ehemann zog aus der Wohnung aus. Die Kläger nahmen den Ehemann später auf Zahlung der Miete für März 2012 bis Januar 2016 in Anspruch. Der Beklagte rügte unter anderem die funktionelle Zuständigkeit der Zivilabteilung. Das AG erklärte den Zivilrechtsweg für zulässig. Die sofortige Beschwerde des Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das Familiengericht. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Mietstreitigkeiten zwischen (geschiedenen) Ehegatten als Streitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG anzusehen sein können, und entscheidet nunmehr, dass dies auch für Mietstreitigkeiten zwischen einem Ehegatten und dessen (ehemaligen) Schwiegereltern gilt. Im Streitfall bejaht er den erforderlichen Zusammenhang, weil das Bestehen der Ehe für den Abschluss des Mietvertrags ausschlaggebend gewesen war, der trennungsbedingte Auszug des Beklagten die Ursache für die geltend gemachten Mietforderungen bildet, und die Kläger nicht widerlegt haben, dass die Klage eine Reaktion auf die zerrissene Familiensituation darstellt.

Praxistipp: Wenn Zweifel an der Zuständigkeit bestehen, sollten beide Parteien darauf bedacht sein, eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 1 oder 2 GVG herbeizuführen, damit diese Frage verbindlich geklärt ist. Nach § 17a Abs. 6 GVG ist eine solche Vorabentscheidung nicht nur im Verhältnis zwischen Gerichten unterschiedlicher Rechtswege zulässig, sondern auch im Verhältnis zwischen den Spruchkörpern für Zivilsachen, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

BGH: Unterlassung im Wettbewerbsrecht kann Rückruf von Produkten erfordern

Ein Unterlassen umfasst nicht nur das schlichte Nichttun. Wie weit aber Handlungspflichten reichen können, war im Lauterkeitsrecht nach der Rechtsprechung nicht klar, wobei durch eine jüngere BGH-Entscheidung der Umfang der möglichen Handlungspflichten erweitert wird.

Der BGH führt aus:

Ist der Unterlassungsschuldner danach zur Vornahme von Handlungen verpflichtet, kann dies, wie das Beschwerdegericht mit Recht angenommen hat, die Verpflichtung umfassen, auf Dritte einzuwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (vgl. BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel). Er ist verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist (BGH, GRUR 2015, 258 Rn. 70 – CT-Paradies). Danach muss ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dassbereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden[…].

Praxistipp

Dem Unterlassungsgläubiger ist daher nach Zustellung eines Unterlassungstitels (oder Zustandekommen einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung) dazu zu raten, sofort auch an seine Abnehmer heranzutreten, um Produkte zurückzurufen. Dies sollte unbedingt auch gewissenhaft dokumentiert werden. Gelingt ein vollständiger Produktrückruf trotz ausreichender Bemühungen nicht, dürfte die Festsetzung eines Ordnungsgeldes oder die Fälligstellung einer Vertragsstrafe am fehlenden Verschulden scheitern. Vor Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung sollten, wenn dem Schuldner durch ein unbefristetes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstünden und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung der Wettbewerbswidrigkeit nicht unzumutbar beeinträchtigt werden,mit dem Unterlassungsgläubiger auch die Möglichkeiten einer angemessenen Aufbrauchfrist erörtert werden.

BGH Beschluss vom 29.09.2017 I ZB 34/15

Neues Auftragsformular für Gerichtsvollzieher und neue Vollstreckungsregeln

Mit Inkrafttreten der Gerichtsvollzieherformular-Verordnung am 1.10.2015 ist für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zur Vollstreckung von Geldforderungen das in der Verordnungsanlage bestimmte Formular eingeführt worden (siehe Salten, MDR 2016, 125). Das Gerichtsvollzieher-Auftragsformular hat nunmehr – mit Wirkung zum 1.12.2016 – durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung (EuKoPfVODG) vom 21.11.2016, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 2016, Teil I, Nr. 55 vom 25.11.2016 einige Änderungen erfahren. Außerdem enthält das Gesetz neue Vollstreckungsregeln.

Die Änderungen bzw. Neuerungen im Überblick:

  • Das alte Formular darf noch bis zum 28.2.2017 weiterverwendet werden; ab dem 1.3.2017 darf nur noch das neue Formular verwendet werden.
  • Das neue Formular ist seit dem 1.12.2016 gültig und darf und sollte auch ab sofort ausschließlich verwendet werden.
  • Das neue Formular sieht zwei neue Felder zur Einholung von Adressauskünften für Firmen vor (das bisherige Modul L7 wird L9):
    • L7 (neu): Ermittlung der gegenwärtigen Anschriften, des Ortes der Hauptniederlassung oder des Sitzes des Schuldners durch Einsicht in das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts-, Unternehmens- oder Vereinsregister
    • L8 (neu): Ermittlung der gegenwärtigen Anschriften, des Ortes der Hauptniederlassung oder des Sitzes des Schuldners durch Einholung einer Auskunft bei den nach Landesrecht für die Durchführung der Aufgaben nach § 14 Absatz 1 der Gewerbeordnung (GewO) zuständigen Behörden.
  • Die Beschränkung der Möglichkeiten der Adressermittlung und der Einholung von Drittauskünften auf Forderungen ab 500 € entfällt; es besteht keine Betragsgrenze mehr.
  • Im Rahmen von Adressermittlungen oder Dritt-Vermögensauskünften erhobene Daten, die innerhalb der letzten drei Monate bei dem Gerichtsvollzieher eingegangen sind, darf dieser auch einem weiteren Gläubiger übermitteln, wenn die Voraussetzungen für die Datenerhebung auch bei diesem Gläubiger vorliegen.
  • Durch eine gütliche Erledigung entstehen zukünftig auch dann (allerdings ermäßigte) Kosten, wenn die Verhandlungen im Rahmen der Abnahme der Vermögensauskunft oder Sachpfändung erfolgen.
  • Klarstellung in § 882c ZPO:
    Die Anordnung der Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis ist Teil des Vollstreckungsverfahrens. Daraus folgt, dass es sich bei den Kosten der Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis um Vollstreckungskosten handelt.
  • Einführung der Möglichkeit der elektronischen Einreichung von Gerichtsvollzieher- Vollstreckungsaufträgen aus einem Vollstreckungsbescheid (soweit die elektronische Einreichung überhaupt nach jeweiligem Landesrecht zulässig ist)

Vertiefungshinweis: Eine ausführliche Darstellung der Änderungen des Gerichtsvollzieher-Auftragsformulars und neuen Vollstreckungsregeln enthält der aktuelle Aufsatz Salten, MDR 2017, 61 (Heft 2/2017).

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Vertrauensschutz gegenüber Rechtsnachfolge in öffentlich-rechtliche Pflichten
Urteil vom 29. September 2016 – I ZR 11/15

Mit grundlegenden Fragen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin war von der zuständigen Behörde zur Altlastensanierung eines von ihr genutzten Grundstücks verpflichtet worden. Sie verlangte von der beklagten AG, die seit ihrer Gründung im Jahr 1926 bis 1997 Eigentümerin des Grundstücks gewesen war, Gesamtschuldnerausgleich nach § 24 Abs. 2 BBodSchG. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt, weil die Beklagte entweder als Gesamtrechtsnachfolgerin der früheren Eigentümerin oder aufgrund eigener Baumaßnahmen im Jahr 1928 hafte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung kann die Beklagte nicht als Gesamtrechtsnachfolgerin des Verursachers in Anspruch genommen werden. Die am 01.03.1999 in Kraft getretene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sieht eine solche Haftung zwar vor. Eine zeitlich unbegrenzte Anwendung dieser Vorschrift würde aber jedenfalls für Fälle, in denen die Gesamtrechtsnachfolge bereits im Jahr 1926 eingetreten ist, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen „echten“ Rückwirkung führen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden öffentlich-rechtliche Verpflichtungen als grundsätzlich höchstpersönlich angesehen und eine Gesamtrechtsnachfolge hinsichtlich solcher Pflichten verneint. In der Literatur wurde dies erst Ende der 1960er Jahre in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte eine Gesamtrechtsnachfolge erstmals im Jahr 1971. § 4 Abs. 3 BBodSchG ist deshalb verfassungskonform zu reduzieren.

Praxistipp: Angesichts der in der Entscheidung mitgeteilten Daten dürfte die verfassungskonforme Reduktion grundsätzlich für alle Fälle gelten, in denen die Gesamtrechtsnachfolge vor Ende der 1960er Jahre eingetreten ist.

Klage auf Freistellung nach Abweisung einer denselben Anspruch betreffenden Vollstreckungsgegenklage
Urteil vom 18. Oktober 2016 – XI ZR 145/14

Mit dem Verhältnis zwischen einer Freistellungs- und einer Vollstreckungsgegenklage befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Zur Finanzierung hatte ihr die beklagte Bank ein mit einer sofort vollstreckbaren Grundschuld besichertes Darlehen gewährt. Später machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe arglistig verschwiegen, dass der Kaufpreis um ein Mehrfaches über dem Verkehrswert der Wohnung liege. Die Klägerin beantragte unter anderem, die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld für unzulässig zu erklären und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag freizustellen. Die Vollstreckungsgegenklage wurde im weiteren Prozessverlauf rechtskräftig abgewiesen. Der abgetrennte und an ein anderes Gericht verwiesene Freistellungsanspruch hatte hingegen in zweiter Instanz Erfolg.

Der BGH weist die auf Freistellung gerichtete Klage ab. Der Freistellungsanspruch ist schon deshalb als unbegründet anzusehen, weil er gegen eine Forderung gerichtet ist, deren Bestehen für die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage relevant war. Zwar betreffen die beiden Klagen nicht denselben Streitgegenstand. Die rechtskräftige Abweisung der Vollstreckungsgegenklage entfaltet aber eine Bindungswirkung, die den Schuldner daran hindert, Einwendungen gegen den Bestand der titulierten Forderung zu erheben, die bereits im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden konnten.

Praxistipp: Angesichts der Bindungswirkung sollte der Schuldner schon vor Prozessbeginn sorgfältig erwägen, ob es nicht sinnvoller ist, sich auf eine Vollstreckungsgegenklage zu konzentrieren und von einer zusätzlichen, denselben Anspruch betreffenden Freistellungs- oder Schadensersatzklage abzusehen.

Versetzung in den Ruhestand
Urteil vom 16. November 2016 – IV ZR 356/15

Um eine juristische Sekunde geht es in einer Entscheidung des IV. Zivilsenats.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen. Die Klägerin wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, was nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen als Eintritt des Versicherungsfalls gilt. Die Beklagte verweigerte die Leistung, weil die Versicherungsdauer mit dem 30.11.2012 geendet hatte und die Versetzung in den Ruhestand erst zum Ablauf dieses Tags erfolgt war. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er denjenigen Zeitpunkt als ausschlaggebend an, zu dem die Versetzung in den Ruhestand wirksam geworden ist. Anders als die Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die relevante Wirkung nicht erst mit dem ersten Tag des Ruhestands (also am 01.12.2012 um 0 Uhr) eingetreten ist, sondern schon mit Ablauf des Vortags, also am 30.11.2012 um 24 Uhr – gewissermaßen in letzter Sekunde.

Praxistipp: Die Unterscheidung zwischen dem Ende eines Tages und dem Beginn des Folgetags kann auch für die Einhaltung prozessualer Fristen von Bedeutung sein.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Hemmung der Verjährung durch öffentliche Zustellung der Klage
Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14

Dass die öffentliche Zustellung einer Klage nicht immer ein geeignetes Mittel zur Hemmung der Verjährung darstellt, zeigt eine Entscheidung des II. Zivilsenats.

Der Beklagte war im Jahr 2006 durch Versäumnisurteil zur Zahlung von Schadensersatz wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung verurteilt worden. Klage und Urteil waren öffentlich zugestellt worden, nachdem eingeholte Auskünfte beim Einwohnermeldeamt, beim Bundeszentralregister und bei Creditreform ergeben hatten, dass der Beklagte mit unbekannter Anschrift nach Bosnien-Herzegowina verzogen war. Ende 2013 legte der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das LG hielt den Einspruch für verfristet. Das OLG sah den Rechtsbehelf als zulässig an, weil bei Erlass des Versäumnisurteils entgegen § 339 Abs. 2 ZPO keine Einspruchsfrist bestimmt worden war. In der Sache erhielt es das Versäumnisurteil aufrecht, weil es den Klageanspruch als begründet und nicht verjährt ansah.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er hält die Feststellungen zum vorsätzlichen Handeln des Beklagten und zur Hemmung der Verjährung für unzureichend. Zu letzterem knüpft er an seine Rechtsprechung an, wonach eine öffentliche Zustellung keine Fristen in Lauf setzt, wenn die Voraussetzungen des § 185 ZPO nicht erfüllt sind und dies für das anordnende Gericht erkennbar ist. Hieraus leitet er ab, dass unter den genannten Voraussetzungen auch eine Hemmung der Verjährung nicht eintritt.

Die von der Klägerin angestellten Nachforschungen zur Ermittlung des neuen Aufenthaltsorts des Beklagten hält der BGH für nicht ausreichend. Die Klägerin hätte weitere mögliche Erkenntnisquellen nutzen müssen, etwa durch Nachfragen beim Insolvenzverwalter des früheren Arbeitgebers, beim früheren Vermieter, bei früheren Nachbarn und bei eventuellen Nachmietern. In der neu eröffneten Berufungsinstanz muss das OLG klären, ob der Aufenthaltsort des Beklagten auf diesem Wege zu ermitteln gewesen wäre.

Praxistipp: Bevor eine öffentliche Zustellung beantragt wird, sollte jede auch nur entfernt in Betracht kommende Informationsquelle genutzt werden, um den Aufenthaltsort des Beklagten in Erfahrung zu bringen.

Beschwer durch nicht vollstreckbare Verurteilung zur Vorlage  von Belegen
Beschluss vom 11. Mai 2016 – XII ZB 12/16

Mit der Frage, wie der Wert der Beschwer bei einer Verurteilung zur Auskunft und zur Vorlage von Belegen zu berechnen ist, befasst sich der XII. Zivilsenat.

Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens verurteilte das AG die Ehefrau dazu, Auskunft über ihr gesamtes Vermögen zu geben und „Bestätigungen vorzulegen, insbesondere Bescheinigungen der Banken und anderer Träger der geführten Vermögenswerte“. Das OLG verwarf das dagegen eingelegte Rechtsmittel wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts als unzulässig. Den Aufwand für die die Zusammenstellung der Auskünfte schätzte es auf 435 Euro. Ein Geheimhaltungsinteresse, das werterhöhend zu berücksichtigen wäre, sah es als nicht gegeben an. Der Verurteilung zur Vorlage von Belegen maß es keine zusätzliche Beschwer bei, weil der Titel insoweit mangels Bestimmtheit nicht vollstreckbar sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung führt auch die Verurteilung zur Vorlage von Belegen zu einer Beschwer. Insoweit ist zwar mangels hinreichender Bestimmtheit des Titels eine Vollstreckung nicht zulässig. Die Ehefrau ist aber der Gefahr ausgesetzt, dass sie sich gegen Vollstreckungsversuche des Ehemanns zur Wehr setzen und hierzu einen Anwalt beauftragen muss. Je nach Gegenstandswert kann dies dazu führen, dass der Gesamtwert der Beschwer die maßgebliche Grenze von 600 Euro übersteigt. Das OLG muss deshalb klären, wie hoch der Gegenstandswert und die sich daraus ergebende Anwaltsvergütung ist.

Praxistipp: Wenn unklar ist, ob eine Verurteilung hinreichend bestimmt ist, sollte bei der Darlegung des Beschwerdewerts vorsorglich aufgezeigt werden, welche Kosten für die Abwehr von Vollstreckungsversuchen entstehen.