Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Versagung des Zuschlags in einer Zwangsversteigerung.

Unzulässige Einwirkung auf Teilungsversteigerung
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2024 – V ZB 43/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Versagungstatbestand des § 83 Nr. 6 ZVG.

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 Euro festgesetzt. Bei der Feststellung des geringsten Gebots wurden bestehenbleibende Rechte in Höhe von 370.000 Euro und ein Bargebot von 10.211,47 Euro berücksichtigt.

Im Versteigerungstermin teilte der Beteiligte zu 1 den übrigen Bietinteressenten mit, er habe einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO gestellt. Im Temin legte er Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über einzelne Räume des Hauses und erklärte, die Räume seien an Ausländer vermietet und würden für gewerbliche Zwecke genutzt. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte mit, wegen der Zerstrittenheit der Eigentümer seien Probleme bei der Ermittlung der Bankverbindung des Grundschuldgläubigers zu erwarten. Dadurch könnten zusätzliche Grundschuldzinsen bis zu 200.000 Euro anfallen, für die der Erwerber dinglich hafte.

Der Beteiligte zu 1 gab in dem Termin ein Bargebot in Höhe von 10.212 Euro ab – also 53 Cent über dem geringsten Gebot. Weitere Gebote erfolgten nicht. Das zuschlagfähige Meistgebot für vergleichbare Objekte lag im maßgeblichen Zeitraum meist bei 150 % des Schätzwerts.

Das AG hat dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt. Dessen Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der Zuschlag gemäß § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen ist, weil die gemäß Art. 14 Abs. 1 GG zu beachtenden rechtsstaatlichen Anforderungen an eine faire Verfahrensführung nicht eingehalten sind.

Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten im Versteigerungstermin andere Interessenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben.

Im Streitfall reichen die Anträge und Äußerungen des Beteiligten zu 1 jeweils für sich genommen nicht aus, um eine Manipulation in diesem Sinne zu bejahen. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht angenommen, dass das Verhalten des Beteiligten zu 1 bei einer Gesamtwürdigung die maßgebliche Grenze überschreitet. Die tatrichterliche Würdigung, dass die anderen Bietinteressenten wegen dieses Verhaltens von der Abgabe eines Gebots abgesehen haben, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Praxistipp: Nach § 57a ZVG kann der Erwerber ein bestehendes Miet- oder Pachtverhältnis zum ersten zulässigen Termin mit der gesetzlichen Frist kündigen. Bei einer Teilungsversteigerung besteht dieses Recht gemäß § 183 ZVG nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um formelle Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung.

Gläubigeridentität in der Zwangsvollstreckung
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – VII ZB 54/21

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit dem Erfordernis einer Titelumschreibung nach einer Ringabtretung.

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem im Jahr 2005 erlassenen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung in Höhe von 525 Euro. Nach ihrem Vorbringen ist die titulierte Forderung im Laufe der Jahre ohne Umschreibung des Titels insgesamt dreimal abgetreten worden: von ihr an eine erste Zessionarin, von dieser an eine zweite, inzwischen insolvente Zessionarin und von dieser wieder an die Gläubigerin.

Das AG hat den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses abgelehnt, weil Zweifel daran bestünden, ob die dritte Abtretung wirksam sei. Die Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sind die Voraussetzungen des § 750 Abs. 1 ZPO gegeben. Die darin normierten Anforderungen an die Angabe des Gläubigers sind im Streitfall schon deshalb erfüllt, weil der Vollstreckungsantrag durch diejenige (juristische) Person gestellt wird, die in dem Titel als Gläubigerin bezeichnet ist.

Dass die titulierte Forderung zwischendurch an Dritte abgetreten war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der Verlust der Aktivlegitimation steht einer Vollstreckung durch den im Titel bezeichneten Gläubiger formell nicht entgegen. Darauf gestützte Einwendungen kann der Schuldner nur mit einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend machen.

Praxistipp: Eine Vollstreckungsabwehrklage gegen den bisherigen Gläubiger ist unbegründet, wenn der neue Gläubiger diesem die materiellrechtliche Ermächtigung zur Einziehung der abgetretenen Forderung erteilt hat (BGH, Urt. v. 9.12.1992 – VIII ZR 218/91, MDR 1993, 473). Eine nur prozessuale Ermächtigung reicht hingegen nicht aus (BGH, Urt. v. 26.10.1984 – V ZR 218/83, MDR 1985, 309).

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Diese Woche geht es um schuldrechtliche Vereinbarungen im Zusammenhang mit einer Sicherungsgrundschuld.

Änderung des Sicherungszwecks einer Grundschuld
BGH, Urteil vom 20. Oktober 2023 – V ZR 9/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Rechten des Erwerbers eines mit einer Sicherungsgrundschuld belasteten Grundstücks.

Der Kläger hatte ein mit einem Hotel bebautes Grundstück im Jahr 1999 an eine GbR veräußert. Später begehrte er die Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen Zahlungsverzuges.

Anfang 2003 stellte der BGH (durch Abweisung einer negativen Feststellungsklage der GbR) der Sache nach fest, dass der Kaufvertrag rückabzuwickeln ist. Wegen des Begehrens des Klägers auf Rückauflassung verwies er die Sache an das OLG zurück, weil noch die Höhe des Zug um Zug geschuldeten Wertausgleichs zu bestimmen war (BGH, Urt. v. 7.2.2003 – V ZR 42/02, MDR 2003, 619). Wenige Tage später bestellte die GbR an dem Grundstück zugunsten einer Bank eine Grundschuld in Höhe von 2 Millionen Euro, und zwar zur Sicherung eines Darlehens für den Erwerb eines Nachbargrundstücks. Einige Monate danach wurde zugunsten des Klägers eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen.

Im Jahr 2008 wurden die Verbindlichkeiten der GbR umgeschuldet. Eine D. AG gewährte der GbR ein Darlehen in Höhe von 2,4 Millionen Euro. Zur Sicherheit wurde die Grundschuld an sie abgetreten.

Im Jahr 2010 wurde der Kläger wieder als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen.

Im Jahr 2013 übernahm eine GmbH durch Vertrag mit der D. AG anstelle der GbR die Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag. Im Jahr 2014 trat die D. AG die Darlehensforderung und die Grundschuld in Höhe von 500.000 Euro an die Beklagte ab.

Die Beklagte betreibt aus der Grundschuld die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Der Kläger tritt dem im Wege der Vollstreckungsgegenklage entgegen. Die Beklagte begehrt widerklagend die Duldung der Zwangsvollstreckung.

In erster Instanz (damals noch in getrennten Verfahren vor zwei unterschiedlichen Kammern des LG) hatten beide Anträge Erfolg. Das OLG hat die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt und die Widerklage abgewiesen.

Der BGH weist die Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen und Anwaltskosten ab und stellt die erstinstanzliche Verurteilung gemäß der Widerklage wieder her.

Entgegen der Auffassung des OLG steht dem Kläger keine Einrede nach § 1192 Abs. 1a BGB zu. Dem Kläger kann auf Grund des über die Grundschuld geschlossenen Sicherungsvertrags schon deshalb keine Einrede zustehen, weil er an diesem Vertrag nicht beteiligt ist.

Ob die Rückübereignung des Grundstücks im Jahr 2010 als stillschweigende Abtretung eines der GbR zustehenden Anspruchs auf Rückgewähr der Grundschuld anzusehen ist, kann offen bleiben. Ein möglicherweise durch Tilgung des ersten Darlehens im Jahr 2008 entstandener Rückgewähranspruch der GbR wäre jedenfalls dadurch erfüllt worden, dass die Grundschuld zum Zwecke der Umschuldung an die D. AG abgetreten worden ist.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die im Jahr 2008 getroffene neue Sicherungsabrede mit der D. AG nicht nach § 883 Abs. 2 BGB unwirksam. Die zugunsten des Klägers eingetragene Vormerkung schützt nur gegen Verfügungen über das Grundstück. Die Änderung einer Sicherungsabrede ist keine Verfügung und kann einer solchen auch nicht gleichgestellt werden.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Schuldübernahme durch die GmbH nicht entsprechend § 418 Abs. 1 Satz 2 BGB als Verzicht auf die Grundschuld anzusehen. Die unmittelbar nur für Hypotheken geltende Regelung ist zwar auf eine Sicherungsgrundschuld grundsätzlich entsprechend anwendbar. Sie schützt den Grundstückseigentümer aber nur, wenn dieser den Sicherungsvertrag selbst geschlossen hat oder in den Vertrag eingetreten ist.

Praxistipp: Insolvenzrechtlich ist die Änderung des Sicherungszwecks einer Grundschuld als Verfügung im Sinne von § 81 Abs. 1 InsO anzusehen.

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Diese Woche geht es um die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Verwertung eines Wohnungsrechts.

Pfändbarkeit eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück
BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – V ZB 64/21

Der V. Zivilsenat stellt klar, dass ein zugunsten des Insolvenzschuldners eingetragenes Wohnungsrecht am eigenen Grundstück stets in die Insolvenzmasse fällt.

Der spätere Insolvenzschuldner übertrug im Jahr 2006 ein ihm gehörendes Grundstück an eine GbR, die er zusammen mit einer weiteren Gesellschafterin gegründet hatte. Vor der Übertragung bewilligte er zu seinen Gunsten ein Wohnungsrecht. Dieses wurde zusammen mit der Eigentumsumschreibung im Grundbuch eingetragen.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2009 nahm der Insolvenzverwalter die GbR im Wege der Insolvenzanfechtung erfolgreich auf Rückgewähr des Grundstücks in Anspruch. Auf seinen Antrag wurde der Insolvenzschuldner wieder als Eigentümer eingetragen und das Wohnungsrecht gelöscht. Die gegen die Löschung des Wohnungsrechts gerichtete Beschwerde des Insolvenzschuldners blieb ohne Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde des Insolvenzschuldners hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der BGH bestätigt alte Rechtsprechung, dass die Bestellung eines Wohnungsrechts zugunsten des Eigentümers des betroffenen Grundstücks zulässig ist, obwohl dies nicht dem gesetzlichen Leitbild entspricht, und dass die Wirksamkeit der Bestellung nicht davon abhängt, ob im Einzelfall ein berechtigtes Interesse an einer solchen Gestaltung besteht.

Die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild hat allerdings zur Folge, dass der Eigentümer die Pfändbarkeit des Wohnungsrechts nicht ausschließen kann. Ein Wohnungsrecht ist wie jede persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht übertragbar. Gemäß § 857 Abs. 3 ZPO sind solche Rechte nur insoweit pfändbar, als ihre Ausübung einem anderen überlassen werden kann. Letzteres ist bei Dienstbarkeiten gemäß § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB nur zulässig, wenn der Eigentümer dies gestattet. Dieses Gestattungserfordernis dient dem Schutz des Eigentümers bei einer Dienstbarkeit zugunsten eines anderen. Wenn der Eigentümer selbst der Berechtigte der Dienstbarkeit ist, muss er sich stets so behandeln lassen, als habe er die Gestattung erteilt – selbst dann, wenn er die Überlassung der Ausübung an Dritte in der Bestellungsurkunde ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Folge der Pfändbarkeit ist, dass das Wohnungsrecht gemäß § 35 Abs. 1 InsO zu Insolvenzmasse gehört und vom Insolvenzverwalter verwertet werden darf. Die Verwertung darf zwar nicht durch Veräußerung des Rechts erfolgen, wohl aber durch dessen Löschung, etwa zu dem Zweck, das von der Belastung frei gewordene Grundstück zu veräußern.

Die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters besteht unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Vereinigung von Eigentum und Wohnungsrecht in einer Person eingetreten ist. Deshalb steht der Verwertungsbefugnis im Streitfall nicht entgegen, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch keine Personenidentität bestanden hat.

Praxistipp: Ein Insolvenzverwalter, der die Übertragung eines Grundstücks erfolgreich im Wege der Insolvenzanfechtung angreift, kann vom Gegner die Rückübertragung des Grundstücks an den Schuldner verlangen und das Grundstück sodann als Teil der Insolvenzmasse verwerten (BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 153/15, MDR 2016, 1230 Rn. 24; Urteil vom 22. März 1982 – VIII ZR 42/81, WM 1982, 674, juris Rn. 8).

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Der Montagsblog meldet sich nach längerer Pause zurück. Diese Woche geht es um eine eher entlegene Materie, die allgemeine Fragen zu den Voraussetzungen einer Analogie aufwirft.

Vergütung des Zwangsverwalters bei Fortführung eines Betriebs
BGH, Beschluss vom 11. Januar 2023 – V ZB 23/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit § 18 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 der Zwangsverwalterverordnung (ZwVwV).

Der Beteiligte zu 1 ist seit 2018 als Zwangsverwalter eingesetzt. Er führt seither den Betrieb eines auf dem Grundstück eingerichteten Biomassekraftwerks. Für das Jahr 2020 begehrt er eine Vergütung in Höhe von rund 240.000 Euro. Dies entspricht 12 % der in diesem Jahr erzielten Einnahmen zuzüglich 2,4 % des Werts von entstandenen, aber nicht eingezogenen Forderungen.

Das AG hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die Beschwerde der Grundstückseigentümerin und der Gläubigerin hat das LG diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur Festsetzung einer nach Zeitaufwand zu berechnenden Vergütung an das AG zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Zwangsverwalters bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Beschwerde der Schuldnerin ist allerdings als unzulässig zu verwerfen, weil über ihr Vermögen schon bei Einlegung des Rechtsmittels das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Dieses führt zwar nicht zur Unterbrechung des bereits zuvor angeordneten Zwangsverwaltungsverfahrens. Die Befugnis zur Beteiligung an diesem Verfahren geht aber vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter über.

Der BGH tritt dem LG jedoch darin bei, dass die zulässige Beschwerde der Gläubigerin begründet ist.

Die Zwangsverwalterverordnung sieht eine an den Einnahmen orientierte Vergütung in § 18 Abs. 1 ZwVwV nur für den Fall der Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks vor, nicht aber für den Fall der Weiterführung eines auf dem Grundstück eingerichteten Betriebs. Mangels besonderer Regelungen ist diese Tätigkeit gemäß der Auffangregel in § 19 Abs. 1 ZwVwV nach Zeitaufwand zu vergüten. Der Stundensatz beträgt mindestens 35 und höchstens 95 Euro.

Anders als das AG sieht der BGH keine planwidrige Regelungslücke. Schon vor Erlass der Verordnung wurde die Fortführung eines Betriebs durch den Zwangsverwalter verbreitet als zulässig angesehen. Der Verordnungsgeber hat eine an den Einnahmen orientierte Vergütung dennoch nur für den Fall der Vermietung oder Verpachtung vorgesehen. Dass die Zulässigkeit einer Betriebsfortführung erst später höchstrichterlich geklärt wurde und dass ein Insolvenzverwalter in vergleichbarer Lage eine an den Einnahmen orientierte Vergütung erhält, führt nicht zu einer abweichenden Betrachtung. Die bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers ist zu respektieren.

Praxistipp: Eine Beschwerde des Schuldners im Zwangsverwaltungsverfahren bleibt zulässig, wenn über sein Vermögen nach Einlegung des Rechtsmittels das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Befugnis zur Beteiligung am Verfahren geht auch in diesem Fall auf den Insolvenzverwalter über.

KG zur Prozesskostenhilfe: Corona-Soforthilfe und Vermögensreserve

Eine interessante Entscheidung zu verschiedenen Fragen der Prozesskostenhilfe hat das KG (Beschl. v. 9.1.2021 – 16 W 154/21) getroffen. Der Antragstellerin stand ein Bankkonto mit einem recht hohen Guthaben zur Verfügung. Grundsätzlich sind Bankguthaben als Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzusetzen. Die Antragstellerin machte aber geltend, dennoch sei ihr Guthaben aus verschiedenen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Zunächst berieft sich die Antragstellerin darauf, 5.000 Euro für die Teilrückzahlung einer Corona-Soforthilfe seien kein einsatzpflichtiges Vermögen. Dem folgte das KG. Unpfändbares Vermögen ist auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht einzusetzen. Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Corona-Soforthilfe nicht pfändbar ist (BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – VII ZB 24/20, MDR 2021, 642 = MDR 2021, 661 [Meller-Hannich]). Was für die Hilfe selbst gilt, muss auch für einen erforderlichen Rückzahlungsbetrag gelten.

Einen weiteren Betrag hat das KG gleichfalls akzeptiert. Dieser Betrag betraf eine Umsatzsteuervorauszahlung, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens schließlich sogar fällig wurde.

Einen zusätzlichen Betrag, den die Antragstellerin noch berücksichtigt haben wollte, erkannte ihr das KG hingegen nicht zu. Diesen Betrag wollte die Antragstellerin für die innerhalb der nächsten fünf Wochen nach der Entscheidung fällige Einkommensteuervorauszahlung zurückhalten. In diesem Zusammenhang merkt das KG an, dass das Recht der Prozesskostenhilfe keine Vermögensreserve kennt. Die bloße Absicht eines Antragstellers, einen bestimmten Betrag für einen zukünftigen Zweck benutzen zu wollen, führt noch nicht dazu, dass dieser Betrag nicht als einsatzfähiges Vermögen angesetzt werden könnte. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die selbständige Antragstellerin bis zur Fälligkeit der Vorauszahlung weitere Einnahmen erzielen könnte.

Damit blieb abschließend nur noch der Freibetrag übrig. Dies sind 5.000 Euro für die Antragstellerin und weitere 500 Euro für jedes ihrer Kinder. Da jedoch nach Abzug der als Vermögen nicht zu berücksichtigenden Beträge immer noch ein recht hoher Betrag verblieb, wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da der Antragstellerin ein ausreichendes Vermögen zur Finanzierung des Prozesses zur Verfügung stand.

Fazit: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bezüglich der Corona-Soforthilfe ist dies sicherlich kaum angreifbar. Hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlung kann man sich natürlich auch der anderen Auffassung anschließen. Aber: Stichtag ist der Tag der Bewilligung oder eben der Ablehnung. Alles, was bis dahin seriös weg ist, ist eben weg. Und was noch da ist, ist eben noch da. Im Zweifel kann man auch, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, noch einen erneuten Antrag stellen. Eine ablehnende Entscheidung erwächst nicht in Rechtskraft und wenn sich die Verhältnisse geändert haben, ist er auch nicht mutwillig.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von nicht vertretbaren Handlungen gegen einen prozessunfähigen Schuldner

Zwangsvollstreckung wegen vertretbarer Handlungen gegen Prozessunfähige
Beschluss vom 23. September 2021 – I ZB 20/21

Mit den Voraussetzungen des § 888 ZPO befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Gläubigerinnen betreiben aus einem erstinstanzlichen Urteil die Zwangsvollstreckung wegen der Erteilung von Auskunft über den Bestand eines Nachlasses. Die Schuldnerin ist an Demenz erkrankt und deshalb nicht in der Lage, die Auskunft selbst zu erteilen. Sie hat ihrer Tochter und einem Dritten eine Generalvollmacht erteilt. Während des Vollstreckungsverfahrens hat das OLG änderte die Verurteilung in einzelnen Details zugunsten der Schuldnerin abgeändert. Das LG wies den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsmittels ab. Das OLG setzte gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 Euro fest.

Die Rechtbeschwerde der Schuldnerin hat aus formalen Gründen Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das OLG.

Der Zwangsvollstreckungsantrag ist allerdings zulässig. Die Schuldnerin ist zwar prozessunfähig. Sie wird aber aufgrund der erteilten Generalvollmacht gemäß § 51 Abs. 3 ZPO wirksam von den beiden Bevollmächtigten vertreten.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch schon deshalb begründet, weil die Zwangsvollstreckung nicht mehr auf der Grundlage des erstinstanzlichen Urteils erfolgen darf, sondern nur noch auf der Grundlage des (in einzelnen Details weniger weit reichenden) zweitinstanzlichen Titels.

Auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Urteils kommt (nur) die Festsetzung eines Zwangsgelds gegen die Schuldnerin in Betracht. Hierüber wird das OLG nach der Zurückverweisung entscheiden müssen.

Ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO ist auch bei Prozessunfähigkeit des Schuldners stets gegen diesen festzusetzen, nicht gegen seinen Bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreter. Dass der Schuldner persönlich nicht in der Lage ist, die Verpflichtung zu erfüllen, macht die Erfüllung nicht unmöglich, wenn die zu erwirkende Handlung durch Hilfspersonen vorgenommen werden kann. Eine Auskunft, die ein Geschäftsunfähiger zu erteilen hat, kann von dessen Bevollmächtigten erteilt werden. Nur wenn dies nicht in Betracht kommt, muss ein Betreuer bestellt werden. Sowohl bei Vertretung als auch bei Betreuung kann ein Zwangsgeld gegen den Schuldner festgesetzt werden. Dieser kann die Hilfsperson gegebenenfalls in Regress nehmen. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen einen Bevollmächtigten oder Betreuer ist nicht zulässig.

Ersatzzwangshaft und Zwangshaft können demgegenüber jedenfalls dann nicht gegen den Schuldner festgesetzt werden, wenn dieser nicht hinreichend einsichtig und steuerungsfähig ist, um die geschuldete Handlung vorzunehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann Ersatzzwangshaft und Zwangshaft zwar gegen einen gesetzlichen Vertreter festgesetzt werden, nicht aber gegen einen Bevollmächtigten. Anders als die Bestellung zum Betreuer begründet eine Vollmacht grundsätzlich keine Pflicht, zugunsten des Vertretenen tätig zu werden.

Praxistipp: Sollte die Festsetzung von Zwangsgeld in der in Rede stehenden Konstellation nicht zum Erfolg führen, dürfte ein Betreuer zu bestellen sein, um die Möglichkeit zur Festsetzung weiterer Zwangsmittel zu schaffen und um eventuelle Regressansprüche gegen die Bevollmächtigten geltend zu machen.

Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? – Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky

Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Bereich des Zivilprozessrechts?

Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. Hervorzuheben ist zunächst die „kleine ZPO-Reform“ aus dem Dezember 2019, die anlässlich des Auslaufens der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH auf den Weg gebracht wurde, aber inhaltlich ganz verschiedene Einzelfragen neu regelt.

In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments – und zwar nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert.

Neben diesen eher allgemeinen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021, das die Gerichtsvollziehertätigkeit betrifft, betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich noch eine ganze Zeit fortsetzen.

Peters: Sie haben darauf hingewiesen, dass es auch viele Rechtsänderungen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Zivilprozess gibt. Können Sie uns relevante Beispiele nennen?

Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 werden sich auch auf den Zivilprozess massiv auswirken. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht, dass diese über ein Kanzleipostfach kommunizieren. Hier sind etwa im Bereich der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts neue Antworten zu geben.

Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG völlig umgestaltet. Ab dem 1.1.2024 wird es eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts geben. Zwar werden dadurch einige Probleme bei der Parteibezeichnung der GbR im Zivilprozess gelöst, es stellen sich aber auch Folgefragen, z.B. hinsichtlich des Gerichtsstandes und im Vollstreckungsrecht.

Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts mit der Schaffung einer vollrechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zahlreiche neue prozessuale Probleme auf.

Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller alle zwei Jahre kurz vor dem Ende des jeweiligen Jahres erscheint. Dieser feste Rhythmus hat dazu geführt, dass die 34. Auflage Ende 2021 und damit nur wenige Monate nach dem Ende der 19. Wahlperiode des Bundestags in den Buchhandel kommt. Online gestellt wurde sie bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich darin einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzesbeschlüssen des Bundestags erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Beispielsweise hat das bereits erwähnte Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs erst am 17.9.2021 den Bundesrat passiert und wurde im Bundesgesetzblatt vom 11.10.2021 verkündet.

Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng mit begleitet haben, oftmals bereits seit den ersten Diskussionsentwürfen. Wir konnten so für unsere endgültigen Kommentierungen bereits auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen.

 Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller ganz konkret um?

Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. § 53 ZPO oder § 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte – natürlich übersichtlich angeordnet – im Werk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist immer besonders hervorgehoben, so dass sich der Leser leicht orientieren kann. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Dem Praktiker soll so eine fundierte Hilfestellung beim Umgang mit den Neuregelungen gegeben werden. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten.

Peters: Neben den vielen Gesetzesänderungen – wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist neben der Auswertung der Fachliteratur ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der Prozesskostenhilfe habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal ganz erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Sie sind bereits seit 2002 im § 128a ZPO geregelt, wurden aber bis zum Beginn der Pandemie nur selten durchgeführt. Die Nachfrage ist dann 2020 sprunghaft gestiegen. Damit sind auch neue Rechtsfragen virulent geworden. Welche Anforderungen sind an die Übertragung zu stellen? Was ist zur Wahrung der Öffentlichkeit erforderlich? Wie ist mit einem fehlenden Einverständnis der Parteien umzugehen? Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden.

Die Pandemie hat auch viele andere Aktualisierungen an unterschiedlichsten Stellen nötig gemacht. Sie hat Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Gerichtsorganisation, z.B. wie die Öffentlichkeit der Verhandlungen mit den AHA-Regeln in Einklang gebracht werden kann.

Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst?

Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Bereits in der letzten Auflage sind daher bei den ABC-Aufzählungen von Stichworten Randnummern eingefügt worden, die die Auffindbarkeit erleichtern. Durch noch einmal verbesserte Gliederungen in den Überschriften haben wir in der 34. Auflage versucht, die Lesbarkeit am Bildschirm weiter zu optimieren. Zudem enthält die elektronische Ausgabe flächendeckend bei allen Kommentierungen Inhaltsübersichten – in der Printauflage müssen wir aus Platzgründen darauf leider verzichten. Wir haben bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten.

Peters: Ich danke Ihnen sehr für diese informativen Ausführungen. Online ist der neue Zöller bereits verfügbar, im Print erscheint er am 1.12.2021. Weitere Informationen und eine Leseprobe mit Beispielen für die herausragende Aktualität finden Sie unter otto-schmidt.de/zpo34.

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Diese Woche geht es um die Möglichkeit zur Kündigung eines Wohnungsmietvertrags nach einer Zwangsversteigerung

Sonderkündigungsrecht nach Zwangsversteigerung einer Mietwohnung
Urteil vom 15. September 2021 – VIII ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen der gesetzlichen Regelung in § 57a ZVG und Kündigungsbeschränkungen im Mietvertrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte ist seit Mai 2005 Mieter einer Eigentumswohnung. Im Mietvertrag ist vereinbart, dass eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter ausgeschlossen ist. Im Oktober 2018 erwarben die Kläger die Wohnung durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Vier Tage später kündigten sie das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage war in den beiden ersten Instanzen erfolgreich.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Nach § 573d Abs. 1 BGB ist der Vermieter auch dann an die in § 573 und § 573a BGB normierten Beschränkungen gebunden, wenn ihm ein Recht zur außerordentlichen Kündigung mit der gesetzlichen Frist zusteht. Im Streitfall hängt die Wirksamkeit der Kündigung deshalb davon ab, ob der geltend gemachte Eigenbedarf tatsächlich besteht. Letzteres haben die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei bejaht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus § 573d BGB nicht, dass das Sonderkündigungsrecht aus § 57a ZVG durch Vereinbarungen zwischen dem (früheren) Vermieter und dem Mieter beschränkt werden kann. Nach § 566 Abs. 1 BGB tritt der Erwerber von vermietetem Wohnraum zwar grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten in den bestehenden Mietvertrag ein. Diese Regelung wird aber durch den Zuschlag als privatrechtsgestaltenden Hoheitsakt überlagert. Dessen Inhalt wird durch die Versteigerungsbedingungen bestimmt. Zu diesen gehört das in § 57a ZVG vorgesehene Sonderkündigungsrecht.

Praxistipp: Der Mieter kann im Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 59 Abs. 1 ZVG beantragen, die Versteigerung mit der Maßgabe durchzuführen, dass das Sonderkündigungsrecht ausgeschlossen ist. Er kann dieses Ziel aber nur dann erreichen, wenn alle anderen Beteiligten zustimmen oder wenn ein Zuschlag zu diesen Bedingungen die wirtschaftlich günstigste Lösung darstellt.

Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung

Am 7. Januar 2021 hat die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätige Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“  ihr 126-seitiges Diskussionspapier vorgelegt. Mit Vorschlägen wie z. B.

  • Schaffung eines bundesweit einheitlichen Justizportals mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten“,
  • Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens,
  • Möglichkeiten der (reinen) Videoverhandlung im Zivilprozess,
  • der Protokollierung per schriftlichem Wortprotokoll,
  • einem elektronischen Titelregister für die Zwangsvollstreckung und
  • der Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens durch ein sog. Basisdokument

enthält das Werk äußerst innovative Vorschläge für einen zukünftigen, digitalen Zivilprozess die mittlerweile auch schon bei vielen Gelegenheiten (Zivilrichtertag 2021, diverse Tagungen, usw.) diskutiert worden sind.

Einzelne Punkte aus dem Diskussionspapier sollen ggf. sogar schon mittelfristig in die Praxis umgesetzt werden. Für komplexere Themen wird vorgeschlagen, diese in sog. Reallaboren in kleinerem Umfang zu erproben. Vorher sollten die Überlegungen der Arbeitsgruppe um einige Fragen ergänzt werden, die den Rahmen eines digitalen Zivilprozesses der Zukunft abstecken könnten. Zwei Fragen stechen besonders hervor:

Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess?

Im Zuge einer Diskussion des digitalen Zivilprozesses stellt sich unweigerlich die Frage, welcher Grad an Technikeinsatz erstrebenswert ist. Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat bewusst technikoffen gearbeitet. Es ist richtig, dass nicht vorschnell eine bestimmte IT-Technik oder gar ein Anbieter ausgewählt wurden. Dies darf aber nicht bedeuten, die Digitalisierung des Zivilprozesses unter Ausblendung technischer Rahmenbedingungen zu denken. Das Dilemma zwischen juristischer Ebene und technischer Ebene zeigt sich besonders an der kontrovers ausgetragenen Diskussion über die Strukturierung von Schriftsätzen. Der Sachvortrag wird vielfach als zu unstrukturiert und oft zu wenige Wechselbezüge aufweisend bezeichnet („Die Parteien schreiben aneinander vorbei.“). Auf Basis des neuen § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist bereits heute in vielen Fällen eine Strukturierung des Parteivortrags denkbar (sh. dazu Zwickel, MDR 2021, 716-723). Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat darüber hinausgehend vorgeschlagen, dass die Parteien künftig in einem elektronischen Basisdokument (idealerweise auf dem Justiz-Server) ihren Tatsachenvortrag (eine Pflicht zu Rechtsausführungen soll nicht eingeführt werden!) kollaborativ in einer Relationstabelle gegenüberstellen sollen. Die Parteien sollen also an einem einzigen digitalen Dokument arbeiten, in dem sie den Vortrag anhand des Strukturierungskriteriums des Lebenssachverhalts selbst ordnen. Die Strukturierung findet zwar mit einem digitalen Tool, aber nach rein juristischen Vorgaben anhand der Chronologie des Lebenssachverhalts statt.
Möglicherweise decken sich solche juristischen Strukturen nicht mit den Strukturen, mit denen IT-Systeme arbeiten, so dass die IT mit der gewonnenen Struktur nicht weiterarbeiten kann. Techniken der digitalen Inhaltserschließung der Eingaben in das Basisdokument (von der automatischen Verlinkung von Treffern in juristischen Datenbanken bis hin zum digitalen Entscheidungsvorschlag) wären, bei einer zu wenig kleinteiligen Struktur wohl vielfach ausgeschlossen. Liegt nicht genau an dieser Stelle, d.h. bei der digitalen Erleichterung der richterlichen Arbeit auf dem Weg zum Urteil, der wahre Mehrwert einer digitalen Strukturierung des Parteivortrags? In anderen Bereichen/Rechtsordnungen ist diese Frage schon entschieden: Das ELSTER-System der Steuerverwaltung und Legal Tech-Anbieter schaffen es auf Basis der strukturierten Daten, IT auch im Prozess der (teil-)automatisierten juristischen Entscheidungsfindung einzusetzen.

Zu Möglichkeiten und Grenzen der analogen und digitalen Strukturierung und Abschichtung im zivilgerichtlichen Verfahren sh. ausführlich Zwickel, MDR 2021, 716-723.

In anderen Rechtsordnungen wie in der kanadischen Provinz British Columbia mit seinem Civil Resolution Tribunal ist das Verfahren selbst so strukturiert, dass es vollständig im digitalen Raum ablaufen kann und digitale Tools umfassend ausnutzt.

In China schließlich gibt es, ebenfalls auf Basis des Einsatzes strukturierter Daten, mit dem Internet Court in Hangzhou sogar maschinell entscheidende Internetgerichte (Automatisierung der Entscheidung selbst).

Wollen wir einen derart umfassenden Technikeinsatz auch für den Zivilprozess?

Es liegt auf der Hand, dass die Frage nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten ist, sondern einer sorgfältigen Abwägung auch unter Einbeziehung von Informatikern bedarf.

Digitale Kommunikation im Zivilprozess?

Eng in Zusammenhang mit der Frage nach der Reichweite des Technikeinsatzes steht die These, dass die Kommunikation im digitalen Raum „virtuell verengt“ (sh. Harnack, ZKM 2021, 14-18) und damit anders geartet ist als die herkömmliche Kommunikation im Gerichtssaal. Man wird daher nicht umhinkommen, über den juristischen Tellerrand zu blicken und Kommunikationspsychologen, Fachleute für IT-Sicherheit usw. zu hören, ehe man die mündliche Verhandlung im Zivilprozess auch nur teilweise durch digitale Videoverhandlungen ersetzt.

Niklas Luhmann soll geäußert haben „Die Rechtswissenschaft verhält sich zum Computer wie das Reh zum Auto. Manchmal kollidieren sie eben doch.“ Im Hinblick auf die Digitalisierung des Zivilprozesses scheint dies nicht zu gelten, ist doch die Wissenschaft gerne bereit, die von der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ ausgehende Aufforderung zum Diskurs aufzunehmen. So bilden die beiden oben angerissenen Fragen nach der Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess und der Kommunikation im digitalisierten Zivilverfahren mit der Digitalisierung der Zwangsvollstreckung die Leitmotive einer wissenschaftlichen Online-Tagung „Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 1./2. Juli 2021, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind.