Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs

Feststellungsinteresse bei mehreren Methoden zur Schadensberechnung
Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20

Mit den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat in einem sogenannten Dieselfall.

Der Kläger kaufte im Jahr 2011 bei einem Vertragshändler der Beklagten einen neuen VW Touran mit einem Dieselmotor des Typs EA189. Im Jahr 2015 gab das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten auf, die in der Software zur Steuerung des Motors enthaltene Abschalteinrichtung zu entfernen, und drohte anderenfalls den Widerruf der Typgenehmigung an. Der Kläger hat das hierfür erforderliche Softwareupdate bislang nicht vornehmen lassen. Im Jahr 2018 forderte er die Beklagte vergeblich zur Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs auf. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren. Hilfsweise verlangt er unter anderem Zahlung von 34.000 Euro Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Das LG wies die Klage ab. Das OLG sprach die begehrte Feststellung aus.

Der BGH weist die Feststellungsklage als unzulässig ab und verweist den Rechtsstreit (nur) zur Entscheidung über die Hilfsanträge an das OLG zurück.

Der BGH verneint das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil es dem Kläger zumutbar ist, sofort Leistungsklage zu erheben.

Das Interesse des Klägers, sich weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen kleinem und großem Schadensersatz offenzuhalten, also hinsichtlich der Frage, ob er das Fahrzeug behält und lediglich eine Wertdifferenz ersetzt verlangt oder es zurückgibt und den Kaufpreis abzüglich der erlangten Nutzungsvorteile fordert, ist nach Auffassung des BGH nicht schutzwürdig. Dem Kläger ist zuzumuten, diese Entscheidung bereits bei Erhebung der Klage zu treffen.

Dem Kläger ist es ferner möglich, den Schaden zu beziffern. Die Ermittlung der Wertdifferenz und die Ermittlung der Nutzungsvorteile sind zwar mit Unsicherheiten verbunden. Diese kann der Kläger aber jedenfalls dadurch überwinden, dass er die Bemessung dieser Beträge in das Ermessen des Gerichts stellt.

Ein hinreichendes Feststellungsinteresse ergibt sich nach Auffassung des BGH schließlich auch nicht daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Zwar besteht die Möglichkeit, dass weitere Schäden entstehen, etwa in Gestalt von Steuernachforderungen oder Stilllegungskosten. Diese sind aber nur für den großen Schadensersatz relevant. Diesbezügliche Unsicherheiten rühren demnach entscheidend daher, dass sich der Kläger bewusst nicht für eine der beiden Berechnungsarten entschieden hat.

Praxistipp: Zulässig sein dürfte nach dieser Entscheidung jedenfalls die Kombination einer Leistungsklage auf großen Schadensersatz verbunden mit einem Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller weiteren Schäden.

BGH zum ergänzungsbedürftigen Wiedereinsetzungsvortrag

Zwei interessante Entscheidungen des BGH von zwei verschiedenen Senaten (Beschl. v. 11.5.2021 – VIII ZB 65/20, MDR 2021, 1085) und Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) beschäftigen sich mit der Frage, wann ein Wiedereinsetzungsvorbringen ausreichend, aber ergänzungsbedürftig ist oder eben nicht ausreichend und dann auch nicht mehr ergänzungsfähig ist.

In beiden Fällen ging es um den Verlust einer Sendung auf dem Postweg. Insoweit entspricht folgende Sicht der Dinge der ständigen Rechtsprechung des BGH: Die Partei, die wegen Verlusts eines fristgebundenen Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten auf dem Postweg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer Fristversäumung begehrt, muss auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft machen, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist.

In ersten Fall (VIII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages eine Schilderung des Ablaufes vorgenommen worden, jedoch nicht vorgetragen worden, dass der Schriftsatz ausreichend frankiert wurde. Der entsprechende Wiedereinsetzungsantrag wurde vom Berufungsgericht deswegen zurückgewiesen. Der BGH beanstandet dies. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei der Frankierung bei ansonsten vollständiger Darstellung des Sachverhaltes lediglich um eine ergänzungsbedürftige Angabe, die auf gerichtlichen Hinweis hin noch nachgeholt werden kann, und zwar auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz.

Im zweiten Fall (XII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages nur vorgetragen worden, dass der Schriftsatz an einem bestimmten Tag bei der Post aufgegeben wurde. Die Zurückweisung dieses Wiedereinsetzungsantrages hatte in diesem Fall auch beim BGH Bestand. Nachdem hier nicht nur die Angaben zur Frankierung des Umschlages fehlten, sondern überhaupt alle Angaben zu den Fragen, wann und wie der Schriftsatz fertiggestellt, ausgefertigt und (wo?) abgegeben war, geht der BGH davon aus, dass die Angaben zur Wiedereinsetzung nicht ausreichend waren. Auf eine denkbare Hinweispflicht kam es nicht mehr an, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Damit konnten die fehlenden Angaben auch nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden. Dieser Prozess war verbindlich zu Ende.

Fazit: Die Fälle zeigen, dass man bei Wiedereinsetzungsanträgen, wenn schon zuvor die Frist versäumt wurde, wirklich sorgfältig vorgehen sollte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Obliegenheit zur Schadensminderung durch Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit

Obliegenheit zur Schadensminderung nach Unfallverletzungen
Urteil vom 21. September 2021 – VI ZR 91/19

Mit den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der 1969 geborene Kläger litt seit seiner Geburt an genetisch bedingten Krankheiten. Der Grad der Behinderung betrug 60%. Im Jahr 2004 erlitt er bei einem Motorradunfall schwere Verletzungen, die gesundheitliche Komplikationen und depressive Störungen zur Folge hatten. Ab 2007 erhält er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Von der beklagten Versicherung, die für die Folgen des Unfalls einzustehen hat, begehrt er Ersatz von Verdienstausfall in Höhe von rund 1.500 Euro pro Monat. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich. Das OLG sprach dem Kläger für den Zeitraum ab Januar 2013 nur 25 % des geltend gemachten Betrags zu und wies die weitergehende Klage ab.

Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Der BGH erachtet schon die Erwägungen, mit denen das OLG einen Verstoß gegen die Obliegenheit zur Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB bejaht hat, als nicht tragfähig. Der Kläger ist zwar gehalten, eine zumutbare Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich zumutbaren Behandlungen zur Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit zu unterziehen. Das OLG hat sich aber nicht mit der Frage befasst, welche konkreten therapeutischen Maßnahmen im Streitfall in Betracht kommen. Es hätte ferner dem Vortrag des Klägers nachgehen müssen, die behandelnden Ärzte hätten eine zukünftige Besserung der Leistungsfähigkeit ausgeschlossen. Selbst wenn eine bestimmte Therapie indiziert wäre, hätte der Kläger für die Verweigerung oder Verzögerung derselben grundsätzlich nicht einzustehen, wenn dies eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung wäre. Darüber hinaus hätte das Berufungsgericht nicht ohne weiteres unterstellen dürfen, dass der Kläger bei vollständiger oder teilweiser Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit eine neue Beschäftigung gefunden hätte.

Die Art und Weise, in der das OLG dem von ihm bejahten Verstoß gegen die Obliegenheit zur Schadensminderung berücksichtigt hat, hält der rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand. Hätte der Kläger bei Einhaltung aller zumutbaren Maßnahmen Einkünfte erzielen können, muss er sich diese in voller Höhe anrechnen lassen. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung ist in dieser Konstellation nicht zulässig.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für die Möglichkeit zur Erzielung von Einkünften liegt beim Schädiger. Den Verletzten trifft aber eine sekundäre Darlegungslast. Er muss darlegen, was er unternommen hat, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden, oder was dem gegebenenfalls entgegenstand.

OLG Schleswig zu einem „Doppelurteil“

Mit einer nicht alltäglichen Fallkonstellation hatte sich das OLG Schleswig (Beschl. v. 23.6.2021 – 5 U 58/21) zu befassen. Dieser Fall zeigt wieder einmal, was so alles in der Praxis an Merkwürdigkeiten passieren kann, nicht zuletzt aufgrund der teilweise enormen Überlastung der Gerichte bzw. der Richterinnen und Richter.

Nach einer mündlichen Verhandlung kündigte das LG letztlich eine Entscheidung in einem Verkündungstermin am 12.5.2020 an. In der Verfahrensakte befindet sich denn auch ein ordnungsgemäßes Verkündungsprotokoll von diesem Tage sowie ein Urteil mit klageabweisendem Tenor, das auch den Eingangsstempel der Geschäftsstelle trägt. Tatbestand und Entscheidungsgründe für dieses Urteil wurden allerdings nicht mehr angefertigt. Weder das Urteil noch das Protokoll wurden an die Parteien zugestellt oder übermittelt.

Im November 2020 wies das LG dann daraufhin, dass die Akte im richterlichen Bereich „außer Kontrolle“ geraten sei und regte eine Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren an (§ 128 ZPO). Nachdem diese einging, ordnete das LG das schriftliche Verfahren an und erließ später (erneut) ein klageabweisendes Urteil, dieses Mal mit Tatbestand und Entscheidungsgründen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die von dem OLG Schleswig für unbegründet gehalten wird. Für die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien ist und bleibt nämlich das erste Urteil maßgeblich. Danach steht die Unbegründetheit der Klageforderung bereits rechtskräftig fest! Das erste Urteil wurde ordnungsgemäß verkündet. Nach ständiger Rechtsprechung ändert das Fehlen des Tatbestandes sowie der Entscheidungsgründe daran nichts. Die Fünfmonatsfrist (§ 517 Alt. 2 ZPO) beginnt einen Monat nach der Verkündung der Entscheidung unabhängig davon, ob diese den Parteien mitgeteilt wurde. Auch dies ist ständige Rechtsprechung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bestenfalls dann in Betracht, wenn die Parteien nicht mit dem Erlass eines Urteils rechnen mussten. Hier hatte aber das Gericht einen Verkündungstermin bestimmt. Deswegen musste auch mit dem Erlass eines Urteils gerechnet werden. Eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Versäumung der Berufungsfrist gegen das erste Urteil kommt nicht in Betracht, da sich die Klägerin jedenfalls hätte erkundigen müssen, was bei dem Verkündungstermin herausgekommen war. Die fehlerhafte weitere Verfahrensweise des LG vermag daran nichts zu ändern.

Die Klägerin hat damit den Prozess endgültig verloren. Sie könnte allerdings unter Umständen ihren Rechtsanwalt dafür verantwortlich machen, dass er die Sechsmonatsfrist nicht notiert hatte! Hieran sollte jeder Rechtsanwalt denken, und zwar bereits dann, wenn er von dem Termin zurück in die Kanzlei kommt. Denn: Wann das Protokoll bzw. die Entscheidung eingehen wird, weiß man nicht, es kann auch alles verloren gehen oder – wie hier – schlichtweg beim Gericht „untergehen“.

Der Tenor des Urteils des OLG allerdings dürfte jedoch unrichtig sein! Da das erste Urteil rechtskräftig ist, hätte wohl das zweite Urteil vielmehr aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen. In der Sache hätte dies jedoch nichts geändert. Der Anspruch ist rechtskräftig aberkannt.

Dem lässt sich übrigen nicht entgegenhalten, dass ein Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe keine Rechtskraft entfalten könnte. Im Zweifel ist zur Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft des ergangenen Urteils (wie bei Anerkenntnis-, Verzichts-, oder Versäumnisurteilen, die keine Begründung enthalten) das Parteivorbringen heranzuziehen. Da die Gerichtsakten nicht ewig aufgehoben werden, empfiehlt es sich für die betroffene Partei, die Handakte lange zu behalten!

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Diese Woche geht es um die Formbedürftigkeit von Änderungen eines langfristigen Grundstücksmietvertrags

Änderung eines langfristigen Grundstücksmietvertrags
Beschluss vom 15. September 2021 – XII ZR 60/20

Mit dem Anwendungsbereich von § 550 Satz 1 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Räumung eines vermieteten Grundstücks. Der zwischen der früheren Eigentümerin des Grundstücks und der Beklagten abgeschlossene Mietvertrag war bis 31.08.2020 befristet und sieht zugunsten der Beklagten die Option vor, die Laufzeit zweimal um je fünf Jahre zu verlängern. Die Klägerin hält die Befristung für unwirksam, weil die frühere Eigentümerin mit der Beklagten bei zwei Gelegenheiten mündlich vereinbart hatte, dass die Miete für einige Monate gemindert werden darf. In der Revisionsinstanz haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der BGH legt die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auf, weil diese den Prozess ohne die Erledigungserklärung verloren hätte.

Das Formerfordernis des § 550 Satz 1 BGB, wonach die Vereinbarung einer Laufzeit von mehr als einem Jahr der Schriftform bedarf, gilt auch für eine Vereinbarung, mit der ein wirksam abgeschlossener Vertrag in wesentlichen Punkten geändert wird. Nach der Rechtsprechung des BGH unterliegen Änderungsvereinbarungen aber nur dann dem Formerfordernis, wenn sie ihrerseits einen Zeitraum von mehr als einem Jahr betreffen. Die im Streitfall getroffenen Abreden über eine Mietminderung erfüllen diese Voraussetzung nicht. Dass sie zusammengenommen einen Zeitraum von rund 15 Monaten betreffen, ist unerheblich. Maßgeblich ist jeweils die Laufzeit der einzelnen Vereinbarung.

Praxistipp: Um Zweifelsfragen zu vermeiden, sollte jede Änderung eines längerfristigen Grundstücksvertrags schriftlich vereinbart werden. Die Änderungsvereinbarung muss eine eindeutige Bezugnahme auf den ursprünglichen Vertrag und eventuelle Nachträge enthalten.

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Diese Woche geht es um die Möglichkeit zur Kündigung eines Wohnungsmietvertrags nach einer Zwangsversteigerung

Sonderkündigungsrecht nach Zwangsversteigerung einer Mietwohnung
Urteil vom 15. September 2021 – VIII ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen der gesetzlichen Regelung in § 57a ZVG und Kündigungsbeschränkungen im Mietvertrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte ist seit Mai 2005 Mieter einer Eigentumswohnung. Im Mietvertrag ist vereinbart, dass eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter ausgeschlossen ist. Im Oktober 2018 erwarben die Kläger die Wohnung durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Vier Tage später kündigten sie das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage war in den beiden ersten Instanzen erfolgreich.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Nach § 573d Abs. 1 BGB ist der Vermieter auch dann an die in § 573 und § 573a BGB normierten Beschränkungen gebunden, wenn ihm ein Recht zur außerordentlichen Kündigung mit der gesetzlichen Frist zusteht. Im Streitfall hängt die Wirksamkeit der Kündigung deshalb davon ab, ob der geltend gemachte Eigenbedarf tatsächlich besteht. Letzteres haben die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei bejaht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus § 573d BGB nicht, dass das Sonderkündigungsrecht aus § 57a ZVG durch Vereinbarungen zwischen dem (früheren) Vermieter und dem Mieter beschränkt werden kann. Nach § 566 Abs. 1 BGB tritt der Erwerber von vermietetem Wohnraum zwar grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten in den bestehenden Mietvertrag ein. Diese Regelung wird aber durch den Zuschlag als privatrechtsgestaltenden Hoheitsakt überlagert. Dessen Inhalt wird durch die Versteigerungsbedingungen bestimmt. Zu diesen gehört das in § 57a ZVG vorgesehene Sonderkündigungsrecht.

Praxistipp: Der Mieter kann im Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 59 Abs. 1 ZVG beantragen, die Versteigerung mit der Maßgabe durchzuführen, dass das Sonderkündigungsrecht ausgeschlossen ist. Er kann dieses Ziel aber nur dann erreichen, wenn alle anderen Beteiligten zustimmen oder wenn ein Zuschlag zu diesen Bedingungen die wirtschaftlich günstigste Lösung darstellt.

OLG Frankfurt a.M.: Nichterhebung von Gerichtskosten

Das OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 11.2.2021 – 22 W 5/21) hat sich gegenüber einem „schwierigen“ Kläger sehr großzügig gezeigt.

Der Kläger hatte zunächst bei dem LG eine Klage gegen eine AG mit einem Streitwert in Höhe von 15 Millionen Euro erhoben. Nachdem er die Gerichtskostenrechnung über knapp 170.000 Euro erhalten hatte, beantragte er Prozesskostenhilfe. Dieser Antrag wurde durch alle Instanzen zurückgewiesen, auch eine Verfassungsbeschwerde war erfolglos. Daraufhin nahm der Kläger die Klage zurück. Es verblieb dann eine Gerichtsgebühr in Höhe von gut 55.000 Euro. Im Beschwerdeverfahren nach § 66 Abs. 2 GKG erreicht der Vorgang (erneut) das OLG. Dieses wies die Beschwerde zurück, schlug allerdings alsdann die Kosten gemäß § 21 Abs. 1 S. 3 GKG nieder. Danach kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.

Das OLG sei für die Entscheidung zuständig, weil die Sache derzeit im Rechtsmittelverfahren bei ihm anhängig sei. Eine Niederschlagung komme in Betracht, wenn eine Partei ohne postulationsfähigen Rechtsanwalt Klage erhebt. Diese Situation sei mit der einer prozessunfähigen Partei vergleichbar. Eine wirkliche Sachbehandlung sei nicht erfolgt. Lediglich mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätten sich die Gerichte beschäftigt, nicht mit der Klage. Im Normallfall hätte der Kläger die Klage sogleich mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbunden und die Erhebung der Klage von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Dann wären keine Gerichtskosten entstanden. Unerheblich sei es, dass der Kläger durch zahlreiche unbegründete PKH-Anträge erheblichen Arbeitsaufwand verursacht habe. Dies werde nicht gebührenrechtlich sanktioniert.

Fazit: Diese Entscheidung erscheint allerdings problematisch. Zum einen ist für eine Entscheidung nach § 21 GKG nach wohl überwiegender Auffassung das Gericht zuständig, bei dem die Kosten angefallen sind und nicht das Berufungsgericht. Zum anderen fehlt es in der Entscheidung bei näherer Betrachtung an einer tragfähigen Feststellung dazu, warum die Klage hier tatsächlich auf unverschuldeter Unkenntnis beruht. Aber wie dem auch sei: Der Kläger wird sich freuen. Offensichtlich sollten hier die menschlichen Auswirkungen berücksichtigt werden. Die Gebühr hätte der Kläger wohl niemals zahlen können. Dies soll keine Kritik sein. Ob die Entscheidung angemessen ist, kann man zuverlässig nur beurteilen, wenn man die gesamte Akte gelesen hat, auch zwischen den Zeilen.

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Diese Woche geht es um die Haftung eines Rechtsanwalts gegenüber dem Rechtsschutzversicherer des Mandanten

Aufklärung über die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits
Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19

Mit den Aufklärungspflichten des Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten während eines laufenden Rechtsstreits befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die beklagten Anwälte hatten sich an mehrere tausend Anleger eines Immobilienfonds gewandt, dessen Wertentwicklung nicht den Vorhersagen und Erwartungen entsprach. Im Namen zahlreicher Anleger, von denen einige bei der Klägerin rechtsschutzversichert waren, reichten sie kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist bei einer staatlich anerkannten Gütestelle rund 12 000 Güteanträge gegen den Anlagevermittler, den Fondsinitiator und eine Treuhandkommanditistin ein. Später erhoben sie rund 1 750 Klagen gegen die Rechtsnachfolgerin des Anlagevermittlers. Die Klägerin erteilte eine Deckungszusage für die erste Instanz. Das LG wies die Klage wegen Verjährung ab. Die Klägerin erteilte auch für die zweite Instanz eine Deckungszusage. Sechs Tage nach Einlegung der Berufung verkündete der BGH ein Urteil zu den Anforderungen an einen die Verjährung hemmenden Güteantrag. Diesen Anforderungen genügte der von den Beklagten verwendete Musterantrag nicht. Im Laufe des Berufungsverfahrens bestätigte der BGH seine Rechtsprechung mehrfach. Einige dieser Entscheidungen betrafen den Musterantrag der Beklagten. Im Berufungsverfahren der bei der Klägerin versicherten Mandanten erließ das OLG daraufhin einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Beklagten rieten den Mandanten nicht zur Rücknahme des Rechtsmittels. Nach Zurückweisung der Berufung erteilte die Klägerin eine Deckungszusage für die dritte Instanz. Die Nichtzulassungsbeschwerde blieb ebenfalls erfolglos.

Die Klägerin nimmt die Beklagten nunmehr auf Ersatz aller Kosten in Anspruch, die ihren Mandanten im Ausgangsrechtsstreit entstanden sind. Die Klage hatte in erster Instanz weitgehend Erfolg. Das OLG wies sie insgesamt ab.

Die Revision der Klägerin hat hinsichtlich eines Teils der zweitinstanzlichen Kosten und hinsichtlich der Kosten aus dritter Instanz Erfolg und führt insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Ansprüche der Mandanten auf Ersatz entstandener Kosten sind gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen, soweit sie diese Kosten ersetzt hat. Die Geltendmachung dieser Ansprüche ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin für jede Instanz des Ausgangsrechtsstreits eine Deckungszusage erteilt hat. Ein Rechtsschutzversicherer ist schon gegenüber dem Versicherten nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu prüfen. Gegenüber dem Anwalt des Versicherten treffen ihn insoweit erst recht keine Pflichten.

Ein Rechtsanwalt muss seinen Mandanten über die Risiken eines in Erwägung gezogenen Rechtsstreits aufklären. Hierbei muss er das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist eine Klage praktisch aussichtslos, muss er dies klar herausstellen; unter bestimmten Umständen kann er sogar gehalten sein, von der Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten.

Nach der Einleitung des Rechtsstreits muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten gegebenenfalls auf eine eingetretene Änderung der Erfolgsaussichten aufklären. In diesem Stadium kann der Anwalt unter bestimmten Umständen verpflichtet sein, von einer Fortführung des Rechtsstreits abzuraten. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der BGH eine zuvor noch ungeklärte Rechtsfrage in einem Parallelverfahren entscheidet und danach keine Aussicht auf Erfolg mehr besteht.

Diese Aufklärungspflichten bestehen auch dann, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Mandant sich beratungsgerecht verhalten, also von einer Einleitung bzw. Fortführung des Rechtsstreits abgesehen hätte, darf aber der Deckungsschutz durch eine Rechtsschutzversicherung berücksichtigt werden. Bei geringem oder fehlendem Kostenrisiko besteht in der Regel kein Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten. Ein Anscheinsbeweis ist hingegen zu bejahen, wenn die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist.

Im Streitfall ist die tatrichterliche Würdigung des OLG, dass die Beklagten zur Erhebung der Klage und zur Einlegung der Berufung raten durften, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zu Unrecht ist das OLG hingegen davon ausgegangen, dass die Mandanten den Rat, die Berufung zurückzunehmen oder von der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde abzusehen, nicht befolgt hätten. Das OLG hat sich nicht mit der Frage befasst, ob die weitere Rechtsverfolgung nach den Entscheidungen in den Parallelverfahren objektiv aussichtslos war. Nach der Zurückverweisung muss das OLG diese Frage klären.

Praxistipp: Die Haftung für den fehlerhaften Rat, ein Rechtsmittel einzulegen, wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der mit Einlegung und Durchführung dieses Rechtsmittels betraute Anwalt ebenfalls nicht davon abrät.

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Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen Prozesszinsen und Darlehenszinsen

Anrechnung von Prozesszinsen auf zu erstattende Darlehenszinsen
Urteil vom 2. Juli 2021 – V ZR 95/20

Mit dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatten von der Beklagten im März 2007 für rund 130.000 Euro eine Eigentumswohnung gekauft. Zur Finanzierung nahmen sie einen Bankdarlehen über einen Gesamtbetrag von rund 140.000 Euro auf. Im Juli 2015 wurde die Beklagte wegen fehlerhafter Beratung zur Erstattung des gesamten Darlehensbetrags nebst Prozesszinsen seit Dezember 2012 verurteilt. Nach Rechtskraft des Urteils zahlte die Beklagte den Darlehensbetrag zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von rund 27.000 Euro an die Klägerin. Im nunmehr anhängigen Rechtsstreit verlangt die Klägerin Ersatz der an die Bank gezahlten Zinsen und weiterer Finanzierungskosten in Höhe von insgesamt rund 36.000 Euro. Die Klage war in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolgreich.

Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung des OLG sind die zugesprochenen Prozesszinsen auf den Anspruch auf Ersatz für die im gleichen Zeitraum angefallenen Darlehenszinsen anzurechnen. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen über die Vorteilsanrechnung. Prozesszinsen dienen dem Ausgleich von Nachteilen, die der Gläubiger erleidet, weil er einen ihm zustehenden Geldbetrag nicht nutzen kann. Dieser Nachteil ist im Streitfall deckungsgleich mit dem Nachteil, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass sie weiterhin Zinsen auf das zur Finanzierung des Wohnungserwerbs aufgenommene Darlehen zahlen musste. Die Prozesszinsen sind deshalb auf den Anspruch auf Ersatz der ab Dezember 2012 angefallenen Darlehenszinsen anzurechnen. Welcher Betrag danach verbleibt, hat das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu klären.

Praxistipp: Um die Klage schlüssig zu machen, muss der Kläger im Einzelnen darlegen, welche Darlehenszinsen in dem Zeitraum angefallen sind, für den ihm Prozesszinsen zugesprochen wurden.

BGH zum verloren gegangenen Fristverlängerungsantrag

Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist hat sich der BGH (Beschl. v. 22.6.2021 – VIII ZB 56/20, MDR 2021, 1082) recht ausführlich geäußert und die maßgeblichen Grundsätze zusammengefasst.

Eine Berufung wurde fristgemäß eingelegt. Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beantragte der Rechtsanwalt wegen akuter Arbeitsüberlastung eine Fristverlängerung von einem Monat. Einige Zeit später erhielt er einen Hinweis des Berufungsgerichts. Darin wurde ausgeführt, dass die Berufungsbegründungsfrist abgelaufen sei, eine Begründung jedoch nicht eingegangen wäre, weswegen eine Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigt sei. Daraufhin begründete er die Berufung und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung und machte die erforderlichen Angaben zum Verlust des Verlängerungsantrages auf dem Postweg glaubhaft. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gleichwohl! Dies geschah mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe es versäumt, sich bei dem Berufungsgericht nach dem Eingang des Verlängerungsantrages und dessen Schicksal zu erkundigen.

Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung akzeptiert der BGH dies nicht. Vielmehr ist der BGH der Auffassung, dass sich ein Rechtsanwalt bei einem ordnungsgemäß begründeten (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) erstmaligen Verlängerungsantrag im Allgemeinen darauf verlassen darf, dass diesem stattgegeben wird. Das bedeutet wiederum, dass er sich bei einem solchen erstmaligen Antrag nicht innerhalb der ursprünglich laufenden Begründungsfrist danach erkundigen muss, ob der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist und positiv beschieden wurde. Auch ist dabei zu berücksichtigen, dass bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag keine hohen Anforderungen an dessen Bewilligung gestellt werden dürfen.

Fazit: Dieser Sichtweise ist auch aus praktischen Gründen zuzustimmen. Angesichts der häufigen Überlastung von Geschäftsstellen der Gerichte gibt es zahlreiche Gründe dafür, warum über gestellte Anträge erst verspätet entschieden wird und warum bereits vom Gericht getroffene Entscheidungen darüber hinaus erst mit sehr großer Verzögerung die Verfahrensbeteiligten erreichen. Von daher wäre es zu viel verlangt, wenn man es den Rechtsanwälten aufbürden würde, sich bereits bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag nach dessen Schicksal zu erkundigen.