Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine nicht ganz einfache prozessuale Situation in der Berufungsinstanz.

Übergang von einem bedingten zu einem unbedingten Widerklageantrag
Urteil vom 7. Juli 2020 – XI ZR 320/18

Mit § 524 Abs. 4 ZPO befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagte nach dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags auf Rückzahlung der erbrachten Leistungen in Anspruch. Die Beklagte machte geltend, der Widerruf sei unwirksam, und erklärte vorsorglich die Aufrechnung mit den ihr zustehenden Ansprüchen auf Erstattung der ausgezahlten Darlehenssumme. Für den Fall, dass die Klage zumindest teilweise Erfolg hat, erhob sie ferner Widerklage auf Zahlung des von ihr errechneten Saldos. Das LG wies die Klage wegen Unwirksamkeit des Widerrufs ab. In der Berufungsinstanz erklärte die Beklagte nach einem Hinweis des OLG, sie stelle die Wirksamkeit des Widerrufs nicht mehr in Abrede. Zugleich beantragte sie die Zurückweisung der Berufung und die Verurteilung der Kläger zur Zahlung des errechneten Saldos. Die Kläger zahlten einen Teil des geforderten Betrags und schlossen sich insoweit einer Erledigungserklärung der Beklagten an. Mit ihrer Berufung verfolgten sie fortan nur noch einen Teil ihrer Klageansprüche weiter. Das OLG verwarf die Berufung der Kläger als unzulässig und wies die Widerklage als unbegründet ab.

Die Revision der Beklagten bleibt im Wesentlichen erfolglos. Das OLG hat die Höhe des der Beklagten zustehenden Zahlungsanspruchs zwar unzutreffend berechnet. Dies bleibt im Ergebnis aber weitgehend folgenlos, weil das Berufungsgericht über den Widerklageantrag inhaltlich nicht entscheiden durfte. Der in zweiter Instanz erfolgte Übergang von einer bedingten zu einer unbedingten Widerklage stellt eine Klageänderung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO dar. Da die Beklagte durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert ist, war hierfür eine wirksame Anschlussberufung erforderlich. Die hierfür maßgeblichen, in § 524 Abs. 1 bis 3 ZPO normierten Voraussetzungen hat die Beklagte zwar eingehalten. Gemäß § 524 Abs. 4 ZPO hat die Anschließung aber ihre Wirkung verloren, weil die Berufung der Kläger teilweise zurückgenommen und im Übrigen als unzulässig verworfen worden ist. Die vom OLG ausgesprochene Klageabweisung ist deshalb durch die (klarstellende) Feststellung zu ersetzen, dass die Anschlussberufung der Beklagten ihre Wirkung verloren hat.

Praxistipp: Die Einlegung einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde ist in solchen Fällen sinnvoll, wenn der Beklagte sich die Möglichkeit vorbehalten will, seinen Anspruch erneut geltend zu machen. Nach der Entscheidung des OLG wäre dies im Streitfall ausgeschlossen gewesen; nach der Entscheidung des BGH bleibt es – vorbehaltlich einer möglicherweise eingetretenen Verjährung – möglich.

Thesenpapier zur umfassenden Modernisierung des Zivilprozesses

Jedes Jahr treffen sich die Präsidentinnen und Präsidenten der ordentlichen Obergerichte (OLG, KG, BayObLG und BGH) an wechselnden Orten zu einer Tagung, zuletzt zur 71. Jahrestagung im Mai 2019 in Bamberg. Dort wurde die altehrwürdige ZPO in den Blick genommen. Diese nutzt bisher die vorhandenen  technischen Möglichkeiten kaum aus, um Gerichtsverfahren bürgerfreundlich und effizient zu gestalten. Der elektronische Rechtsverkehr und die e-Akte bilden letztlich nur die Papierwelt digital nach. Um eine echte Transformation zivilgerichtlicher Verfahren ins digitale Zeitalter zu ermöglichen, bedarf es grundlegenderer Überarbeitungen des Verfahrensrechts. Diesen Reformbedarf haben die Präsidentinnen und Präsidenten erkannt und die Einsetzung einer mit Richterinnen und Richtern aller Ebenen besetzten Arbeitsgruppe beschlossen, die nunmehr ihren Zwischenbericht vorgelegt hat. Auch wenn es sich hierbei nur um einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem rechtspolitischen Forderungskatalog handelt, lohnt sich doch ein Blick in das vom Präsidenten des OLG Nürnberg Dr. Dickert als Vorsitzendem der Arbeitsgruppe veröffentlichte Thesenpapier.

Dieses enthält eine ganze Reihe von weitreichenden Vorschlägen, die – im Falle ihrer Umsetzung – die zivilprozessuale Welt ganz erheblich umkrempeln werden. Die folgende Aufzählung ist längst nicht abschließend:

  • Ein neues Beschleunigtes Online-Verfahren soll für „massenhaft auftretende Streitigkeiten“ – hier wird an Fluggastrechte oder Mieterhöhungen zu denken sein – ein formularbasiertes Verfahren anbieten, das vollständig online durchgeführt wird. Es werden spezielle Online-Gerichte eingerichtet werden können, die nötigenfalls im Wege der Video- oder Telefonkonferenz verhandeln.
  • Der seit Jahrzehnten diskutierte „strukturierte Parteivortrag“ kann (im Anwaltsprozess) endlich Wirklichkeit werden. Der Parteivortrag zum Lebenssachverhalt wird von den Parteivertretern in einer Relationstabelle niedergelegt. Dazu bearbeiten die Rechtsanwälte ein gemeinsames elektronisches Dokument, das sog. Basisdokument. Dieses soll später die Funktion des Tatbestands übernehmen.
  • Nicht nur in Pandemiezeiten interessant wird die Möglichkeit sein, „virtuelle Verhandlungen“ im Wege der Videokonferenz zu führen, bei denen sich auch das Gericht nicht mehr in einem Sitzungssaal aufhalten muss.
  • Auch die Protokollierung soll moderner, d.h. genauer und einfacher werden. Zu diesem Zweck soll ab 2026 das schriftliche Wortprotokoll von Beweisaufnahmen zwingend sein. Die Verschriftlichung soll computergestützt – auch auf Grundlage von vorläufigen Videoaufzeichnungen – erfolgen.
  • Erweitert werden sollen auch die Kommunikationsmöglichkeiten: Für den Bürger soll ein Online-Portal eingerichtet werden, dass die Funktion einer Rechtsantragsstelle wahrnimmt und zugleich dem Zugang zum Mahnverfahren und Beschleunigten Online-Verfahren dient. Rechtsanwälte und Gericht sollen auch über einen elektronischen Nachrichtenraum – ähnlich der bekannten Messenger-Dienste – kommunizieren können, z.B. Terminsabsprechen treffen, Verzögerungen mitteilen oder Vergleichsverhandlungen anregen oder sich darüber austauschen.

Die Thesen werden nunmehr zunächst mit der Richterschaft dann mit Anwaltschaft und Rechtspolitik diskutiert werden. Man kann gespannt sein, wie es weiter geht!

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die analoge Anwendbarkeit von § 839a BGB.

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen bei Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Urteil vom 25. Juni 2020 – III ZR 119/19

Mit der Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 839a BGB befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte in einem Vorprozess gegen Gewährleistungsansprüche wegen Sachmängeln einer Druckmaschine geltend gemacht. Das LG hatte den Beklagten mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, die Druckgeschwindigkeit der Maschine sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. Das LG wies die Klage daraufhin ab. In der Berufungsinstanz äußerte das OLG Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens. Auf Vorschlag des Gerichts einigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin Eigentümerin der Maschine wird und alle anderen Ansprüche erledigt sind. Die Klägerin nahm daraufhin den Beklagten wegen Erstattung eines unrichtigen Gutachtens auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen für fehlerhafte Gutachten in § 839a BGB abschließend geregelt ist. Deshalb kommen konkurrierende Ansprüche aus § 823 oder § 826 BGB nicht in Betracht. Eine unmittelbare Anwendung von § 839a BGB setzt voraus, dass das Verfahren durch eine gerichtliche Entscheidung erledigt wird. Ein Vergleich wird davon auch dann nicht erfasst, wenn er auf einem Vorschlag des Gerichts beruht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kommt im Falle eines Vergleich aber eine entsprechende Anwendung von § 839a BGB in Betracht. Wie im Falle einer gerichtlichen Entscheidung setzt die Haftung voraus, dass der Inhalt des Vergleichs durch das Gutachten beeinflusst worden ist. Ob diese und die weiteren Voraussetzungen vorliegen, wird das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben.

Praxistipp: Bei einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich wird sich in der Regel die Frage stellen, ob der Geschädigte den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels – d.h. durch Weiterführen des Prozesses – hätte abwenden können, was nach § 839a Abs. 2 und § 839a Abs. 3 BGB zum Wegfall des Ersatzanspruchs führt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast für eine arglistige Täuschung.

Keine Umkehr der Beweislast für Arglist aufgrund von vertraglichen Erklärungen
Urteil vom 6. März 2020 – V ZR 2/19

Mit den Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten den Klägern ein Grundstück mit einem Wochenendhaus und einer ebenfalls zu Wohnzwecken genutzten Motorradgarage verkauft. Der notarielle Vertrag enthält die Erklärung, den Verkäufern seinen keine unsichtbaren Mängel bekannt. Nach Veräußerung und Übergabe teilte die Baubehörde den Klägern mit, die Garage dürfe nicht zu Wohnzwecken genutzt werden. Die Kläger fochten daraufhin den Kaufvertrag an. Ihre Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises und Zahlung von Schadensersatz war in den beiden ersten Instanzen erfolgreich.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Wie auch die Vorinstanz im Ansatz zutreffend angenommen haben, liegt die Beweislast dafür, dass die Beklagten ihnen bekannte Mängel verschwiegen haben, bei den Klägern. Entgegen der Auffassung des OLG rechtfertigt die in dem Vertrag enthaltene Erklärung, den Verkäufern seinen keine unsichtbaren Mängel bekannt, keine Abweichung von diesem Grundsatz. Wenn die Beklagten die Kläger vor Vertragsschluss über die baurechtliche Unzulässigkeit informiert haben, liegt es nahe, dass sie nicht länger von einem unsichtbaren Mangel ausgegangen sind. Der Grundsatz der Vollständigkeit und Richtigkeit einer Vertragsurkunde führt nicht zu einer abweichenden Erklärung. Er gilt nur für den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen, nicht aber für Informationen, die bei Besichtigungen und Vertragsverhandlungen erteilt wurden.

Praxistipp: Den Verkäufer trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast bezüglich des Inhalts der erteilten Informationen sowie des Orts und des Zeitpunkts ihrer Erteilung.

Montagsblog: Neues vom BGH

Nach längerer Pause geht es diese Woche um eine Frage aus dem Werkvertragsrecht.

Keine Fälligkeit des Werklohnanspruchs wegen Verjährung des Herstellungsanspruchs
Urteil vom 28. Mai 2020 – VII ZR 108/19

Mit einer auf den ersten Blick kuriosen Argumentation hatte sich der VII. Zivilsenat zu befassen.

Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Jahr 2010 mit der Erweiterung eines Fachwerkhauses zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro. Nach Ausführung der Arbeiten lehnte die Beklagte im Januar 2012 die Abnahme unter Hinweis auf offene Restarbeiten und zahlreiche Mängel ab. Nach Beseitigung einiger Mängel übersandte die Klägerin eine Schlussrechnung über einen noch offenen Betrag von rund 117.000 Euro. Die Beklagte machte weiterhin Mängel geltend und errechnete einen Rückzahlungsanspruch zu ihren Gunsten von rund 170.000 Euro. Das LG wies die Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrags als derzeit unbegründet ab. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Vergütungsanspruch der Klägerin nicht fällig geworden, weil die Beklagte das Werk nicht abgenommen hat und hierzu wegen wesentlicher Mängel des Werks auch nicht verpflichtet war. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Anspruch auch nicht deshalb fällig geworden, weil der Anspruch der Beklagten auf Herstellung des Werks mittlerweile verjährt ist. Nach der Rechtsprechung des BGH wird der Vergütungsanspruch zwar fällig, wenn der Besteller Minderung oder Schadensersatz verlangt oder weitere Arbeiten des Unternehmers ernsthaft und endgültig ablehnt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht erfüllt. Auf den Fall der Verjährung des Vergütungsanspruchs kann die in Rede stehende Rechtsprechung nicht übertragen werden. Anders als in den genannten Konstellationen steht es dem Unternehmer hier frei, seine Leistung noch zu erbringen.

Praxistipp: Trotz Abweisung der Klage bleibt dem Unternehmer die Möglichkeit, die vom Gericht festgestellten Mängel zu beheben und ggf. erneut auf Zahlung des Werklohns zu klagen. Ob dies wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

OLG Frankfurt: Übersendung von Schriftsätzen an die Anwaltskammer

In einem Lauterkeitsverfahren vor dem OLG Frankfurt (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.2.2020 – 6 W 19/20, MDR 695) stritten zwei Rechtsanwälte über Unterlassungsansprüche. Der Antragsgegner nahm dies zum Anlass, mehrere Schriftsätze des Antragstellers an die Anwaltskammer zu schicken und auf das seiner Ansicht nach standeswidriges Verhalten des Antragstellers hinzuweisen. Später erteilte der Vorstand der Anwaltskammer dem Antragsteller tatsächlich eine Rüge.

Der Antragsteller beantragte, nunmehr gegen den Antragsgegner eine einstweilige Verfügung, und zwar wie folgt: „Dem Antragsgegner wird bei Meidung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt, personenbezogene Daten des Antragstellers (Name, Privatanschrift, Sachverhalt, rechtliche Ausführungen, Behauptungen etc.) einschließlich Geschäftsgeheimnissen (Abmahnung, Vertragsstrafenforderung, Streitwert, Gebührenbestimmung), die in der Abmahnung des Antragstellers vom … nebst Anlagen (vorgefertigte Unterlassungserklärung und Werbe-E-Mail an das private E-Mail Postfach des Antragstellers) in dem Schriftsatz des Antragstellers vom … ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Antragstellers oder ohne überwiegende berechtigte Interessen des Antragsgegners bzw. seiner Mandantschaft durch Übermittlung offenzulegen, wie geschehen am … und … gegenüber der Rechtsanwaltskammer in …“

Das LG wies diesen Antrag zurück, die sofortige Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg. Weder aus § 3 UWG noch aus Art. 79 DS-GVO noch aus den §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB ergibt sich hier ein Unterlassungsanspruch. Es fehlt an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, und zwar, weil die Äußerung des Antraggegners gegenüber der Anwaltskammer hier als sogenannte privilegierte Äußerung anzusehen ist. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Unterlassung von Behauptungen, wie z. B. auch ehrverletzenden Äußerungen, wenn diese – ungeachtet ihres Wahrheitsgehaltes – der Rechtsverfolgung in einem Verfahren dienen. In der Bejahung eines Anspruchs läge nämlich eine unzulässige Einengung der Äußerungsfreiheit von Verfahrensbeteiligten. Diese müssen in einem rechtsstaatlichen Verfahren vortragen können, was sie zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich halten. Diese Rechtsprechung gilt auch für verfahrensbezogene Handlungen, wie hier die Übersendung von Schriftsätzen.

Zwar ist grundsätzlich noch eine Interessenabwägung geboten. Das Interesse des Betroffenen überwiegt aber nur dann, wenn es sich um bewusst unwahre oder leichtfertig aufgestellte falsche Behauptungen handelt, die in dem eingeleitete Verfahren gar nicht geklärt werden können. Dies scheidet hier jedoch schon deswegen aus, weil der Antragsteller tatsächlich von der Anwaltskammer gerügt wurde.

Schließlich hält das OLG Frankfurt den Antrag auch für unbegründet. Eine Übermittlung der Daten war jedenfalls nach § 6 Abs. 1 f DS-GVO zulässig. Der Antragsteller unterliegt damit also „in Bausch und Bogen“.

 

BGH: Gehörsverletzung durch unterbliebene Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

Der BGH hat mit Beschl. v. 21.1.2020 – VI ZR 346/18, MDR 2020, 751 über die Gehörsverletzung wegen unterbliebener Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf einen nicht nachgelassenen Schriftsatz nach erst in der mündlichen Berufungsverhandlung erteiltem Hinweis entschieden.

Sachverhalt

Die Entscheidung betrifft nur einen kleinen Ausschnitt eines sehr umfangreichen Prozesses. Der über 80 Jahre alte Kläger bezog von dem Beklagten, einem Apotheker, ein in der Apotheke hergestelltes Medikament. Eine pharmazeutisch-technische Assistentin verwendete bei der Herstellung des Medikamentes Methadon anstatt Meprobamat (bei beiden Arzneimitteln handelt es sich um Betäubungsmittel). Nachdem der Kläger das fehlerhaft hergestellte Medikament eingenommen hatte, fand ihn seine Lebensgefährtin im Koma liegend auf. Der Kläger erlitt letztlich einen schweren Hirnschaden.

Bezüglich des von dem Kläger geltend gemachten Haushaltsführungsschadens hatte das LG der Klage in Höhe von 162.513,64 Euro stattgegeben. Der Beklagte legte Berufung ein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies das OLG darauf hin, dass seitens des Klägers weiterer Vortrag dazu erforderlich sei, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für Pflege und Betreuung sowie – in Abgrenzung dazu – für die Haushaltsführung geltend mache. Entsprechender Vortrag des Klägers erfolgte im Termin nicht mehr. Ein Schriftsatznachlass (§ 139 Abs. 5 ZPO) wurde von dem Kläger nicht beantragt. Das OLG bestimmte einen Verkündungstermin. Der Kläger trug vor diesem Termin schriftsätzlich noch weiter zu den Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin vor. Das OLG wies dann die Klage bezüglich des Haushaltsführungsschadens ab und vertrat die Auffassung, eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei nicht geboten gewesen.

Die Gründe des BGH

Der BGH nimmt diese Entscheidung nicht hin, sondern hebt das Urteil des OLG insoweit auf und verweist die Sache zurück.

Zentraler Punkt der Entscheidung ist einmal wieder das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Bleibt der Vortrag einer Partei ohne Stütze im Prozessrecht unberücksichtigt, stellt dies eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs dar. Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine erstinstanzlich siegreiche Partei darauf vertrauen darf, sie werde von dem Berufungsgericht einen Hinweis erhalten, wenn es der erstinstanzlichen Entscheidung nicht folgen möchte oder dafür weiteren Vortrag oder einen zusätzlichen Beweisantritt für erforderlich hält. Dabei muss der Hinweis so rechtzeitig erfolgen, dass die Partei noch vor einem Termin reagieren kann. Wird dann ein Hinweis – entgegen § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO (!) – erst im Termin erteilt, muss die betroffene Partei die Gelegenheit haben, darauf zu reagieren. Wenn offensichtlich ist, dass eine Reaktion nicht sofort erfolgen kann, muss der Partei die Gelegenheit gegeben werden, noch vorzutragen, und zwar entweder durch einen Übergang in das schriftliche Verfahren oder eine Vertagung. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Partei keinen Schriftsatznachlass beantragt. Daraus folgt dann die Pflicht, aufgrund eines noch eingehenden Schriftsatzes gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

Das Verfahren des Berufungsgerichts entsprach nicht diesen Grundsätzen. Der Hinweis erfolgte erst im Termin. Der Kläger hatte sich rechtzeitig geäußert, nämlich durch einen Schriftsatz, der vor dem Verkündungstermin einging. Die Verhandlung hätte vorliegend demgemäß wiedereröffnet werden müssen.

Der Beklagte wollte dem noch entgegenhalten, ein Hinweis wäre nicht erforderlich gewesen, da er bereits in erster Instanz den von dem OLG aufgegriffenen Einwand erhoben habe. Insofern könne es für den Kläger nicht überraschend gewesen sein, dass das OLG so entschieden habe. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass das Berufungsgericht darauf hinweisen muss, wenn es den Vortrag der erstinstanzlich siegreichen Partei für nicht ausreichend hält.

Der Gehörsverstoß ist auch erheblich. Der Kläger hatte in dem erwähnten Schriftsatz weiter erheblich vorgetragen, weswegen nicht ausgeschlossen werden kann, dass das OLG bei Berücksichtigung des Vortrages abweichend entschieden hätte.

Das OLG muss sich also mit dem Haushaltsführungsschaden erneut befassen. Im Übrigen hatte das Rechtsmittel keinen Erfolg. Der BGH verfuhr insoweit nach § 544 Abs. 6 S. 2 Hs. 2.

Folgerungen für die Praxis

Die Entscheidung stellt, wie überhaupt die gesamte Rechtsprechung des BGH, sehr strenge Anforderungen an die Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Um Verfahrensfehler zu vermeiden, bleibt den Gerichten nichts anderes übrig als auf Vortrag, der auf verspätete Hinweise noch erfolgt, stets noch zu reagieren. Der BGH nimmt den Parteien die Verantwortung ab, indem sogar auf einen Antrag auf Schriftsatznachlass verzichtet wird.

Hinweis für die Beratungspraxis

Die Gerichte sollten bestrebt sein, erforderliche Hinweise, wie dies das Gesetz auch vorsieht, möglichst früh zu erteilen, jedenfalls vor einem Termin. Das praktische Problem besteht jedoch darin, dass dies wegen der hohen Arbeitsbelastung oftmals nicht möglich ist. Gerade in der zweiten Instanz ist eine sachgerechte Vorbereitung der Akte überwiegend erst kurz vor dem Termin möglich.

Wenn vom Gericht in einem Termin ein Hinweis erfolgt und eine sofortige Reaktion nicht möglich ist, muss der Rechtsanwalt darauf hinwirken, dass er noch eine Möglichkeit zur Reaktion erhält. Entweder durch Vertagung oder durch Übergang in das schriftliche Verfahren oder – wenigstens – durch einen Schriftsatznachlass. Mit dem Schriftsatznachlass sollte vorsorglich auf die geschilderte Rechtsprechung hingewiesen werden, damit der Vortrag auch berücksichtigt wird. Besonders gefährlich wird es natürlich, wenn das Gericht keinen Verkündungstermin bestimmt, sondern eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ankündigt. Dann muss sofort im Termin reagiert werden!

AG Leipzig: Anrechnung von Kosten eines Inkassobüros

In einem Verfahren vor dem AG Leipzig (Beschl. v. 7.1.2020 – 108 C 2014/19) hatte der Kläger  ein Inkassobüro (vgl. § 10 Abs. 1 RDG) mit der außergerichtlichen Beitreibung seiner Forderung gegen den Beklagten beauftragt. Die Bemühungen des Inkassobüros waren nicht erfolgreich. Es fielen jedoch Inkassokosten ungefähr in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr eines Rechtsanwalts an (vgl. auch § 4 EGRDG). Daraufhin klagte ein Rechtsanwalt die Forderung nebst der Inkassokosten ein. Der Kläger gewann den Prozess. Im Kostenfestsetzungsverfahren meldete der Klägervertreter eine 1,3-Geschäftsgebühr zur Festsetzung an.

Der Beklagte widersprach und meinte, es habe eine Anrechnung nach Vorb. 3 IV VV-RVG zu erfolgen. Hätte der Kläger nämlich sogleich einen Rechtsanwalt beauftragt, der vorgerichtlich tätig geworden wäre, wäre anzurechnen gewesen.

Mit diesem Einwand hatte der Beklagte jedoch keinen Erfolg. Die Voraussetzungen einer Anrechnung liegen schon ihrem Wortlaut nach nicht vor. Anzurechnen ist nur dann, wenn derselbe Anwalt außergerichtlich und alsdann gerichtlich tätig geworden ist. Findet hingegen zwischendurch ein Anwaltswechsel statt, kommt eine Anrechnung nicht in Betracht. Dies hat der BGH bereits ausdrücklich entschieden (Beschl. v. 10.12.2009 – VII ZB 41/09, MDR 2010, 293). Die Anrechnungsvorschrift dient nicht dem Schutz des Prozessgegners. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass außergerichtlich ein Inkassobüro tätig geworden war, zumal dieser Fall noch nicht einmal von dem Wortlaut der Vorschrift überhaupt erfasst wird. Eine fiktive Anrechnung findet eben nicht statt.

Letztlich bedeutet dies: Der Beklagte hat bei der Einschaltung eines Inkassobüros sowohl die Inkassokosten zu erstatten als auch die anwaltliche Geschäftsgebühr in voller Höhe. Eine fiktive Anrechnung kommt nicht in Betracht.

 

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft.

Vergemeinschaftung von Unterlassungsansprüchen einzelner Wohnungseigentümer
Urteil vom 24. Januar 2020 – V ZR 295/16

Der V. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur Vergemeinschaftung von Ansprüchen aus.

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung. Der Beklagte ist Mieter der direkt darunter gelegenen Wohnung. Er vermietet diese an Personen weiter, die sich in einer nahe gelegenen Klinik behandeln lassen. Verschiedene Eigentümer bemängelten Geruchs- und Geräuschimmissionen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschloss deshalb, Ansprüche auf Unterlassung solcher Immissionen und auf Unterlassung der Nutzung der Wohnung als Pensionsbetrieb im eigenen Namen geltend zu machen. Die Klägerin ging dennoch individuell gegen den Beklagten vor. Das LG wies die Klage als unzulässig ab. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung an das OLG, soweit sich die Klage gegen Immissionen richtet. Der BGH tritt den Vorinstanzen zwar darin bei, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft Ansprüche auf Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung des Wohnungseigentums an sich ziehen kann, mit der Folge, dass die Klage eines einzelnen Eigentümers unzulässig ist. Nicht zulässig und unwirksam ist aber die Vergemeinschaftung von Ansprüchen auf Unterlassung von Störungen des Sondereigentums. Im Streitfall darf die Klägerin deshalb weiterhin gegen Geruchs- und Geräuschimmissionen vorgehen, die in ihrer eigenen Wohnung auftreten.

Praxistipp: Eine Klage auf Unterlassung von Störungen kann auch gegen den Mieter der Wohnung erhoben werden, von der die Störungen ausgehen.