Montagsblog: Neues vom BGH

Unrichtige Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssache
Beschluss vom 9. März 2017  – V ZB 18/16

Mit einer potentiell haftungsträchtigen Frage befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger hatten die Beklagten vor dem AG auf Rückschnitt einer Thujahecke in Anspruch genommen. Der zunächst mit der Sache befasste, für allgemeine Zivilsachen zuständige Richter gab das Verfahren an die für Wohnungseigentumssachen zuständige Kollegin ab. Diese verurteilte die Beklagten antragsgemäß. In der Rechtsmittelbelehrung wurde als zuständiges Berufungsgericht das LG bezeichnet, zu dessen Bezirk das AG gehört. Der Rechtsanwalt der Beklagten legte bei diesem Gericht fristgerecht Berufung ein. Das angerufene Gericht wies auf seine Unzuständigkeit hin. Die daraufhin – nach Ablauf der Berufungsfrist – eingelegte Berufung bei dem für Wohnungseigentumssachen zuständigen LG am Sitz des OLG wurde wegen nicht rechtzeitiger Einlegung als unzulässig verworfen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Abweichend von der Vorinstanz hält er den gestellten Wiedereinsetzungsantrag für begründet, weil der Irrtum über das zuständige Berufungsgericht als unverschuldet anzusehen ist. Der Anwalt der Beklagten hätte zwar bei einer rechtlichen Überprüfung feststellen können, dass für Berufungen in Wohnungseigentumssachen gemäß § 72 Abs. 2 S. 1 GVG eine Sonderregelung gilt und dass das betroffene Land von der gesetzlichen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung eine andere Regelung zu treffen, keinen Gebrauch gemacht hat. Er durfte aber darauf vertrauen, dass die vom AG erteilte Rechtsmittelbelehrung zutreffend ist, und hatte deshalb keinen Anlass, eine eigene Überprüfung vorzunehmen.

Praxistipp: In Fällen, in denen eine Sonderzuständigkeit nach § 72 Abs. 2 S. 1 GVG in Betracht kommt, sollte die Berufung grundsätzlich auch dann bei dem in der Rechtsmittelbelehrung benannten Gericht eingelegt werden, wenn der Berufungskläger ein anderes Gericht für zuständig hält. Fehlt es an einer Rechtsmittelbelehrung, so sollte das Rechtsmittel in Zweifelsfällen bei beiden in Frage kommenden Gerichten innerhalb der Frist eingereicht werden.

Besitzverhältnisse bei Probefahrt
Urteil vom 17. März 2017  – V ZR 70/16

Dass vermeintlich einfache alltägliche Situationen immer wieder schwierige Rechtsfragen aufwerfen können, belegt eine andere Entscheidung des V. Zivilsenats.

Die Kläger hatte einen ihr gehörenden Audi A6 einem Herrn P. zur Nutzung überlassen. Dieser hatte den Beklagten, der eine Kfz-Werkstatt betreibt, mit dem Einbau eines Austauschmotors beauftragt. Nach Abschluss der Arbeiten unternahm Herr P. zusammen mit dem Sohn des Beklagten eine Probefahrt. Nach deren Abschluss kam es zum Streit über angeblich noch ausstehende Zahlungen. Die Begegnung endete damit, dass der Sohn des Beklagten in das Fahrzeug einstieg und davonfuhr. In der Folgezeit baute der Beklagte den Austauschmotor wieder aus. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß auf Herausgabe des Fahrzeugs und des Austauschmotors. Das OLG wies die Klage hinsichtlich des Austauschmotors ab, weil dieser im Eigentum des Beklagten verblieben sei und ein Anspruch aus § 861 ZPO mangels verbotener Eigenmacht nicht bestehe.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Mit dem OLG gelangt er zu dem Ergebnis, dass der Sohn des Beklagten keine verbotene Eigenmacht begangen hat, weil Herr P. durch die Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt nicht dessen unmittelbarer Besitzer geworden war. Abweichend vom Berufungsgericht sieht der BGH einen Auftraggeber, der ein Fahrzeug nach einer Reparatur zur Probefahrt erhält, allerdings nicht als Besitzdiener des Werkunternehmers an. Er verneint einen Besitzerwerb durch Herrn P. aber deshalb, weil der Besitz des Werkunternehmers durch eine Probefahrt, die in seinem Beisein stattfindet, nur gelockert wird. In gleichem Sinne hatte bereits das Reichsgericht im Jahre 1908 entschieden.

Praxistipp: Die Entscheidung befasst sich nur mit den Besitzverhältnissen bei einem Werkvertrag. Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt durchführt, als Besitzdiener des potentiellen Verkäufers anzusehen ist, hat der BGH ausdrücklich offengelassen

Distanzierender Zusatz in Berufungsbegründung
Beschluss vom 14. März 2017  – VII ZB 34/16

Mit den Voraussetzungen für die Einhaltung des Anwaltszwangs befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab. Am letzten Tag der Begründungsfrist reichte der Rechtsanwalt des Klägers eine Berufungsbegründung ein, in der einleitend mitgeteilt wurde, der Kläger habe keinen Anwalt gefunden, der zur Einreichung einer Berufungsbegründung bereit sei, und habe deshalb ausdrücklich Weisung erteilt, den vorliegenden Schriftsatz einzureichen. Der Text der Begründung war in Anführungszeichen und in anderer Schriftart gesetzt als der Rest des Schriftsatzes. Er wurde eingerahmt durch die Worte: „Der Kläger lässt vortragen:“ und den abschließenden Hinweis, der in der Begründung geäußerte Verdacht einer Straftat beruhe auf einer Schlussfolgerung aus Indizientatsachen. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, weil der Rechtsanwalt für den Schriftsatz nicht die volle Verantwortung übernommen habe.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde des Klägers zurück. Mit seinen distanzierenden Zusätzen und der optischen Kennzeichnung der vom Kläger stammenden Passagen hat der Anwalt zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass er für den Inhalt des Schriftsatzes nicht die Verantwortung übernimmt.

Praxistipp: Wenn weder die Ablehnung des Mandats noch eine Einreichung ohne distanzierende Zusätze in Betracht kommt, sollte der Mandant zur Vermeidung von Haftungsrisiken zumindest in unmissverständlicher und nachweisbarer Weise darauf hingewiesen werden, dass das Rechtsmittel aufgrund der distanzierenden Zusätze aller Voraussicht nach schon aus formellen Gründen erfolglos bleiben wird.

 

Erstattungsfähigkeit von Übersetzungskosten

In einer neueren Entscheidung hat das OLG Koblenz (Beschl. v. 20.1.2017 – 14 W 22/17) daran erinnert, dass die Kosten, die durch eine Übersetzung fremdsprachlicher Urkunden (z. B. Gutachten) entstehen, im Kostenfestsetzungsverfahren erstattungsfähig sind, wenn deren Kenntnisnahme Teil einer schlüssigen Rechtsverteidigung ist. Dabei ist nicht erforderlich, dass eine gerichtliche Anordnung, eine Übersetzung des fremdsprachigen Schriftstückes vorzulegen (vgl. § 142 Abs. 3 ZPO), ergangen ist. Dies ergibt sich daraus, dass gemäß § 184 GVG die Gerichtssprache Deutsch ist. Demgemäß sind derartige Übersetzungskosten regelmäßig notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO.

Folgende Grundsätze sind dabei allerdings zu beachten: Ist nicht zu erwarten ist, dass die Urkunde bestritten wird, bedarf es zunächst keiner Übersetzung, wenn derjenige, der die Urkunde vorlegt, sie selbst versteht. Anders verhält es sich, wenn dieser der Urkundssprache nicht mächtig ist. Wenn die Parteien allerdings davon ausgehen können, dass das Gericht der Urkundssprache mächtig ist, sind die Übersetzungskosten gleichfalls nicht erstattungsfähig. Generell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Übersetzungskosten fremdsprachiger Urkunden erstattungsfähig sind, wenn die Partei sie bei sorgsamer, vernünftiger Überlegung zum Zeitpunkt ihrer Anfertigung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich halten durfte (So bereits: OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 31.7.1980 – 20 W 397/80, MDR 1981, 58). Das BVerfG hat in einer älteren Entscheidung zu diesem Problemkomplex die Auffassung eines LG, Übersetzungskosten seien dann nicht erstattungsfähig, wenn es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handele, die schriftliche Übersetzung für das prozessuale Vorgehen der Parteien ohne Bedeutung ist und die Kosten außer Verhältnis zur Klageforderung stehen, für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten (Beschl. v. 30.1.1990 – 2 BvR 1085/98).

Für die Höhe der Entschädigung ist § 11 JVEG maßgeblich. Auch wenn der Rechtsanwalt der Partei die Übersetzung vornimmt, sind derartige Kosten erstattungsfähig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.7.2009 – 2 W 29/09).

Schwurgericht des LG München I ohne Geschäftsverteilungsplan

§ 21g GVG regelt, dass innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter zu verteilen sind. Wie für die allgemeine gerichtsinterne Geschäftsverteilung gilt auch für die kammerinterne Geschäftsverteilung das Jährlichkeitsprinzip, nach dem die Regelung der Geschäftsverteilung mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, das mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, ohne weiteres außer Kraft tritt.

 

Das Schwurgericht bei dem Landgericht München I hatte sich 2014 keinen kammerinternen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2015 gegeben. Auch zum Zeitpunkt des Eingangs einer Anklage lag ein kammerinterner Geschäftsverteilungsplan noch nicht vor.

 

Der BGH hat das spätere Urteil des Gerichts aufgehoben, weil es die Anforderungen an das Gebot des gesetzlichen Richters aus Art. 101 S. 2 GG nicht eingehalten habe (BGH v. 08.02.2017 – 1 StR 493/16).

LG Ulm: Kein virtuelles Hausrecht für Webshops

Ein Druckereidienstleister erteilte einem Nutzer ein „virtuelles Hausverbot“, da es in der Vergangenheit zu einem unerwünschten Weiterverkauf von Ware gekommen sei und auch Rechtsverletzungen aufgrund mangelnder Urheberrechte befürchtet wurden.

Als Bestellungen weiter eingingen und eine Abmahnung fruchtlos verlief, klagte der Dienstleister auf Unterlassung.

Das LG Ulm wies die Klage ab. Zur Begründung führt es aus, dass die Figur des virtuellen Hausverbots in Einzelfällen, z.B. bei Internetforen, in denen ein Betreiber für Inhalte verantwortlich gemacht werden könnte, durchaus greifen kann, ein solcher Fall hier aber nicht vorliegt. Dem Dienstleister stünde es vielmehr frei, Vertragsangebote nicht anzunehmen oder von bereits geschlossenen Verträgen zurückzutreten, wenn die Gefahr von Rechtsverletzungen droht.

Diese Entscheidung ist höchst fragwürdig: Bereits der Umstand, dass dem Kunden weiterhin das Aufgeben von Bestellung gestattet ist, führt zu dem Risiko, dass eine Bestellung „durchrutscht“ und nicht vor der Ausführung auf Rechtsverletzungen gesondert geprüft wird. Dem Shopbetreiber zu raten, von einer automatischen Vertragsannahme abzusehen (z.B. hier), hilft auch nur begrenzt weiter. So wird vertreten, dass bereits die Anforderung einer Zahlung eine konkludente Annahme des Vertragsangebots darstellen soll (AG Dieburg Urteil vom 21.02.2005 Az.: 22 C 425/04). Der Link z.B. zu Paypal, SofortÜberweisung oder ähnlichen Bezahlsystemen im Rahmen der Bestellung wäre damit bereits problematisch. Gerade aber verbleibende klassische Zahlungsmethoden „auf Rechnung“, „Lastschrift“ oder „Vorkasse per Überweisung“ verlieren aufgrund ihrer Nachteile für die Vertragsparteien zunehmen an Bedeutung. Virtuelle Hausverbote dürften trotz dieser gegenläufigen Entscheidung des LG Ulm die Methode erster Wahl sein, um unerwünschte Vertragsbeziehungen zu vermeiden.

 

LG Ulm Beschluss vom 13.01.2015 Az. 2 O 8/15

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GbR als Verbraucher
Urteil vom 30. März 2017  – VII ZR 269/16

Mit dem Begriff des Verbrauchers im Sinne von § 13 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die klagende GbR, die aus einer Freiberuflerin und einer GmbH bestand, war Bauherrin eines Einfamilienhauses, das von der Gesellschafterin und deren Ehemann als Familienheim und Büro genutzt werden sollte. Die Klägerin beauftragte die Beklagte, eine Architekten-GbR mit der Planung. Nach Errichtung des Gebäudes nahm die Klägerin die Beklagte wegen Mangeln an der Glasfassade in Anspruch. Die Beklagte berief sich unter anderem auf eine formularmäßig vereinbarte Beschränkung ihrer Haftung auf einen Höchstbetrag. Das LG stellte antragsgemäß fest, dass die Beklagten die aufgrund des Mangels entstandenen Schäden in voller Höhe zu tragen haben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das OLG sah in der vereinbarten Haftungsbeschränkung eine unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung. Dabei ließ es offen, ob die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert war. Es sah die Klägerin als Verbraucherin an und hielt eine Inhaltskontrolle deshalb gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch für den Fall für zulässig, dass die Klausel nur für einen Vertrag vorformuliert wurde.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung kann die klagende GbR schon deshalb nicht als Verbraucher angesehen werden, weil zu ihren Gesellschaftern eine juristische Person gehört. Deshalb ist unerheblich, zu welchem Zweck der Architektenvertrag geschlossen wurde.  Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats, wonach eine Wohnungseigentümergemeinschaft schon dann als Verbraucher anzusehen ist, wenn ihr mindestens eine natürliche Person angehört, die ein Rechtsgeschäft zu nicht gewerblichen Zwecken abschließt, hält der BGH für nicht einschlägig, weil der Gesellschafter einer GbR anders als ein Wohnungseigentümer grundsätzlich selbst entscheiden kann, mit wem er sich zusammenschließt.

Praxistipp: Die Entscheidung ist zu der bis 12.6.2014 geltenden Fassung von § 13 BGB ergangen. Sie dürfte aber uneingeschränkt auch für die neue Fassung gelten. Diese stellt lediglich klar, dass es bei Verträgen mit gemischter Zwecksetzung auf den überwiegenden Zweck ankommt.

Streitwert im Verfahren nach § 283a ZPO

Beantragt der Rechtsanwalt für seinen Mandanten im Rahmen eines Hauptsacheklageverfahrens zugleich eine Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO, erhält der Anwalt für diese Tätigkeit keine zusätzlichen Gebühren über die Verfahrens- und die Terminsgebühr nach dem Wert des Klageverfahrens hinaus (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG). Es ist nicht etwa dem Wert des Klageverfahrens noch ein Wert des Sicherungsanordnungsverfahrens hinzuzuaddieren. Im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Sicherungsanordnung erhält der Anwalt die Verfahrensgebühr Nr. 3500 VV RVG. Es handelt sich um einen anderen Rechtszug. Das OLG Dresden hält für das Beschwerdeverfahren einen Wert in Höhe von 50 % der verlangten Sicherheit für gerechtfertigt, weil die Anordnung nach § 283a ZPO dem einstweiligen Rechtsschutz zuzuordnen ist und es lediglich um die Sicherheit gegen eine Ausfallgefahr geht. Im Einzelfall (z.B. Uneinbringlichkeit) könne auch ein höherer Wert gegeben sein (vgl. zum Ganzen den Beschluss des OLG Dresden v. 8.1.2016 – 5 W 1212/15).

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„Blindes“ Unterschreiben eines Zeichnungsscheins
Urteil vom 23. März 2017  – III ZR 93/16

Mit den Voraussetzungen eines Verjährungsbeginns aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm die Beklagte wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit der Zeichnung von Beteiligungen an einer inzwischen insolventen Gesellschaft in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß. Es bejahte einen Beratungsfehler, weil die für die Beklagte tätige Beraterin die Anlage unzutreffend als sicher und risikolos dargestellt habe. Das OLG wies die Klage wegen Verjährung ab, weil die Klägerin schon den im Zeichnungsschein enthaltenen Risikohinweisen habe entnehmen können und müssen, dass die Beratung unzutreffend sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sieht er es nicht als grob fahrlässig an, dass die Klägerin den ihr zur Unterschrift vorgelegten Zeichnungsschein nicht durchgelesen hat. Die Klägerin durfte darauf vertrauen, dass die Auskünfte der Beraterin zutreffend sind, und musste nicht damit rechnen, dass der Text des Zeichnungsscheins hiervon substantiell abweichende Hinweise enthält. Grobe Fahrlässigkeit könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Beraterin die Klägerin ausdrücklich aufgefordert hätte, den Text vor der Unterschrift durchzulesen, und ihr die hierfür erforderliche Zeit eingeräumt hätte, oder wenn das Dokument deutlich ins Auge springende Warnhinweise enthalten hätte. Die Beraterin hatte den Zeichnungsschein indes am Ende des Gesprächs ohne weitere Hinweise zur Unterschrift vorgelegt, und die Warnhinweise waren nur im kleingedruckten Text enthalten.

Praxistipp: Je eindeutiger die Warnhinweise in den unterzeichneten Dokumenten sind, umso größer sind die erforderlichen Anstrengungen, um eine hiervon abweichenden Beratungsinhalt beweisen zu können. Im Streitfall hatte die Anlegerin das Glück, dass die als Zeugin vernommene Beraterin ihren Vortrag bestätigt hat.

Nutzung justizinterner Postübermittlung für fristgebundene Schriftsätze
Beschluss vom 29. März 2017  – XII ZB 567/16

Mit den Sorgfaltsanforderungen eines Anwalts bei der Einreichung fristgebundener Schriftsätze befasst sich der XII. Zivilsenat.

In einem Berufungsverfahren hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Berufungsklägers die Berufungsbegründung nach seinem Vorbringen zwei Tage vor Ablauf der Frist kurz vor 8 Uhr morgens in ein beim örtlichen AG eingerichtetes Postaustauschfach eingelegt. Der Schriftsatz ging erst einen Tag nach Ablauf der Frist beim zuständigen OLG ein. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig. Nach Auskunft des AG werde das Postaustauschfach zwar grundsätzlich jeden Vormittag geleert und sein Inhalt an das OLG übermittelt. Ohne entsprechende Nachfrage habe der Prozessbevollmächtigte aber nicht auf eine rechtzeitige Weiterleitung seines Schriftsatzes vertrauen dürfen, zumal durch Aushang ausdrücklich darauf hingewiesen werde, in das Fach sollten keine Fristsachen eingelegt werden.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bestätigt die vom OLG herangezogene Rechtsprechung, wonach ein Anwalt, der einen Schriftsatz am letzten Tag der Frist in ein solches Austauschfach einlegt, nur dann auf eine rechtzeitige Weiterleitung vertrauen darf, wenn ihm dies von Seiten des Gerichts auf Nachfrage ausdrücklich zugesichert wird. Im Streitfall gelten jedoch geringere Anforderungen, weil der Schriftsatz schon zwei Tage vor Ablauf der Frist eingelegt wurde und damit noch drei volle Arbeitstage für die Weiterleitung zur Verfügung standen. Der Anwalt musste zwar damit zu rechnen, dass es aus dienstlichen Gründen zu Verzögerungen bei der Weiterleitung kommen könnte. Er durfte aber darauf vertrauen, dass die Übermittlung jedenfalls an einem der drei noch zur Verfügung stehenden Tage erfolgen würde. Aus dem Hinweis, in das Fach sollten keine Fristsachen eingelegt werden, ergaben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es zu weitergehenden Verzögerungen kommen könnte.

Praxistipp: Auch wenn ein Verschulden im konkreten Fall verneint wurde, wäre es in der beschriebenen Situation wohl weitaus wirtschaftlicher und sicherer, das Porto für eine Übermittlung per Post nicht zu scheuen.

Der VGH München hat noch einmal klargestellt, dass eine Festsetzung des Streitwerts nur erfolgt, wenn sich die in Betracht kommende Gerichtsgebühr nach einem Streitwert richtet (Beschluss v 24.02.2017, Az: M 5 V 16.5324). Insofern kommt eine Streitwertfestsetzung nicht in Betracht, wenn keine Gerichtsgebühren entstehen oder wenn die Gerichtsgebühr nur in Höhe eines Festbetrages entsteht.

Nur auf Antrag hat das Gericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit festzusetzen.

Wahrung der Vollziehungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren

Die Vorschriften der Absätze 2 und 3 des § 929 ZPO sind für die Praxis des einstweiligen Verfügungsverfahrens sehr bedeutungsvoll und für den Rechtsanwalt, der den Gläubiger/Antragsteller/Verfügungskläger vertritt, sehr regressträchtig.

In einem Verfahren vor dem OLG Dresden (Urt. v. 7.2.2017 – 4 U 1422/16, MDR 2017, 421) berief sich die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz auf die nicht gewahrte Vollziehungsfrist. Dieser Einwand darf auch im Berufungsverfahren geltend gemacht werden.

Die angefochtene einstweilige Verfügung war hier durch Urteil ergangen, das lediglich von Amts wegen zugestellt wurde. Einige Tage später stellte der Kläger einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln, darüber hinaus leitete er der Beklagten ein formloses Aufforderungsschreiben zu. Diese Maßnahmen alleine waren allerdings nicht ausreichend, um den Anforderungen des § 929 Abs. 2 und Abs. 3 zu genügen! Es wäre hier vielmehr nach h. M. erforderlich gewesen, die einstweilige Verfügung, auch wenn sie durch ein von Amts wegen zuzustellendes Urteil ergangen ist, erneut im Parteibetrieb zuzustellen, um den Willen, von der einstweiligen Verfügung Gebrauch zu machen, ausreichend kund zu tun. Das formlose Aufforderungsschreiben reicht als Vollziehung selbstredend nicht aus.

Der Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln kann zwar als Vollziehung nach § 929 Abs. 3 S. 1 ZPO angesehen werden, bleibt aber gemäß § 929 Abs. 3 S. 2 ZPO ohne Wirkung, wenn nicht die einstweilige Verfügung in der dort genannten Frist zugestellt wird, was hier – wie bereits erwähnt – nicht geschehen ist.

Besonders zu beurteilen, sind allerdings Fälle, in denen eine Erledigung der Hauptsache eintritt. Dann muss natürlich nicht mehr zugestellt bzw. vollzogen werden. Eine solche Erledigung der Hauptsache konnte aber im konkreten Fall nicht festgestellt werden. Denn: Da weder die einstweilige Verfügung zugestellt noch die Vollziehungsfrist eingehalten wurde, war der Antrag auf Feststellung der Erledigung zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (hier: ein Verzicht auf die Ansprüche!) nicht zulässig und begründet gewesen.

BGH: Kein Anspruch gegen Anschlussinhaber, wenn Kind Zahlungen per Handy durchführt

In einer aktuellen Entscheidung lehnt der BGH (Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16) einen Zahlungsanspruch gegen einen Verbraucher ab, mit dessen Telefon ein 13-jähriges Kind über 0900-Premiumrufnummern Zahlungen für ein Onlinespiel durchgeführt wurden.

Der BGH lehnt eine Stellvertretung ab, insbesondere soll nicht die Figur der Anscheinsvollmacht zur Anwendung gelangen. Die speziellen Regelungen des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG, die die Beweislast auf den Anschlussinhaber verlagern, sollen ebenfalls nicht zur Anwendung gelangen, da es hier primär um einen Zahlungsvorgang geht, der vorrangig durch z.B. § 675u BGB geregelt wird. Nach § 675u BGB scheidet ein Anspruch jedoch aus.

Unter dem Strich ist dies eine äußerst verbraucherfreundliche Entscheidung. Sie darf aber nicht verallgemeinert werden: Wird das Telefon nicht als reines Zahlungsmittel verwendet, werden Leistungen direkt am Telefon erbracht (Hotline, Zugriff auf Premium-Dienste vom Handy aus) dürfte der Telekommunikationsvorgang wieder im Vordergrund stehen, sodass nicht die Regelungen zu Zahlungdiensten, sondern das TKG einschlägig ist. Auch könnte im Einzelfall durchaus die Rechtsfigur der Anscheinsvollmacht eingreifen, insbesondere bei Umsätzen, die über mehrere Abrechnungszeiträume hinweg erkennbar gewesen wären.

Hinweis: Gerade aufgrund des massiven Missbrauchs mit Premiumdiensten, ist Anschlussinhabern in den meisten Fällen dazu zu raten, diese einfach sperren zu lassen.

Quelle: Die aktuelle Meldung über die Entscheidung des BGH v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 finden Sie hier.