„Diese Frage ist so Unsinn“, sprach der Sachverständige und wurde als befangen abgelehnt.

Bei einer Sachverständigenanhörung in einem selbständigen Beweisverfahren betreffend ein Gewerbegebäude hatte sich laut Protokoll folgendes ereignet: „Hinsichtlich der Tür, die eine Schwelle aufweist, ist in der Baubeschreibung keine Ausführung vereinbart worden, weder eine schwellenlose noch eine mit Schwelle. Für ein Gebäude, das als Büroverwaltungsgebäude genutzt wird, gibt es keine anerkannte Regel der Technik, die eine Ausführung der Eingangstüren in schwellenloser Ausführung vorschreiben würde. Die Ausführung mit einer Schwelle ist allerdings nicht rollstuhlgerecht. Allerdings ist im Bauvertrag auch nicht angegeben, dass das Gebäude rollstuhlgerecht oder barrierefrei herzustellen ist.“ Der Antragstellervertreter fragt den Sachverständigen, ob nicht unter Berücksichtigung dessen, dass ab einer bestimmten Betriebsgröße ein Arbeitgeber verpflichtet ist, Schwerbehinderte einzustellen, doch eine Ausführung ohne Türschwelle den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Daraufhin entgegnete der Sachverständige: Diese Frage ist so Unsinn. Solche arbeitsrechtlichen Themen interessieren mich nicht. Für mich ist entscheidend, ob im Bauvertrag eine rollstuhlgerechte oder barrierefreie Ausführung vereinbart wurde oder eben nicht.“ Nach kurzer Unterbrechung der Sitzung stellt der Antragstellervertreter den Antrag, den Sachverständigen als befangen abzulehnen und begründet dies damit, dass seine Frage als unsinnig bezeichnet wurde.

Während das LG den Antrag ablehnte, gab das OLG Stuttgart dem Befangenheitsantrag statt! Klar ist, dass unsachliche, unangemessene oder herabsetzende oder gar beleidigende Äußerungen des Richters grundsätzlich dazu geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, zumal von einem Richter gesteigerte Zurückhaltung erwartet wird. Dabei ist das hier von Sachverständigen verwendete Wort „Unsinn“ härter als das Wort „unsinnig“, da letzteres oftmals eher meint: „sinnwidrig“, „inkonsequent“ oder „zweckwidrig“. Dies wurde bereits so entschieden (z. B. LSG Nordrhein-Westphalen, Beschl. v. 16.6.2003 – L 11 AR 49/03 AB, NJW 2003, 2933).

Für den Sachverständigen als „Gehilfen“ des Richters soll nichts anderes gelten als für den Richter. Mit der beanstandeten Äußerung wird der Fragesteller herabgewürdigt und der Sachverständige hat gezeigt, dass er nicht gewillt ist, die Frage sachgerecht zu beantworten. Es sind hier auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Sachverständige provoziert oder heftig angegriffen wurde, was die Äußerung in einem milderen Licht hätte erscheinen lassen können.

Während sich die Parteien und ihre Bevollmächtigte vor Gericht (und auch im Vorfeld!) – auch nach der Rechtsprechung des BVerfG – durchaus „austoben“ dürfen, gilt für die Richter und die Sachverständigen anderes. Von ihnen wird immer erwartet, dass sie sich sehr zurückhalten und nie zu viel Engagement zeigen. Ist dies nicht ein Widerspruch, über den man einmal näher nachdenken müsste?

Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.7.2017 – 13 W 13/17, NJW-RR 2017, 1088

Montagsblog: Neues vom BGH

Grenzen der Rechtskraft
Urteil vom 30. Juni 2017 – V ZR 134/16

Mit grundlegenden Fragen zur Rechtskraft und zum Verhältnis zwischen Rücktritt und Schadensersatz bei Mängeln der Kaufsache befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte vom Kläger ein Wohnhaus gekauft. Später hatte er den Rücktritt vom Vertrag erklärt, weil für die Terrasse keine Baugenehmigung vorlag, und den Kläger in einem vorangegangenen Rechtsstreit erfolgreich auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz eines Teils seiner Aufwendungen in Anspruch genommen. Nunmehr verlangte der Kläger Nutzungsersatz für die gesamte Dauer des Besitzes. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Das OLG wies die Klage ab, soweit es um die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess geht.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision des Klägers an das OLG zurück. Entgegen der Vorinstanz kommt er zu dem Ergebnis, dass die Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess der Klageforderung nicht entgegensteht. Der Kläger wäre zwar an der Geltendmachung von Ansprüchen auf Nutzungsersatz gehindert, wenn diese im Vorprozess im Wege der Saldierung oder der Vorteilsausgleichung auf die dort eingeklagten Ansprüche hätten angerechnet werden müssen. Eine Saldierung findet aber nur bei der Rückabwicklung eines Vertrags nach Bereicherungsrecht statt, nicht bei der Rückabwicklung nach erklärtem Rücktritt. Eine Anrechnung im Wege der Vorteilsausgleichung war nach dem bis Ende 2001 geltenden Kaufrecht geboten, wenn der Käufer den so genannten großen Schadensersatz begehrte, den er nach altem Recht nur anstelle des Rücktritts geltend machen konnte. Nach dem neuen Schuldrecht kann der Käufer Rücktritt und Schadensersatz nebeneinander geltend machen. Daraus zieht der BGH nunmehr die Schlussfolgerung, dass sich der Käufer die von ihm erlangten Nutzungsvorteile nicht automatisch auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Hinsichtlich der Ansprüche des Verkäufers auf Nutzungsersatz hätte es im Vorprozess deshalb nur dann zur Rechtskraft kommen können, wenn diese Ansprüche im Wege der Widerklage oder Aufrechnung geltend gemacht worden wären und das Gericht über sie inhaltlich entschieden hätte.

Praxistipp: Um mögliche Verjährungsprobleme zu vermeiden, kann es sich dennoch anbieten, Ansprüche auf Nutzungsersatz bereits im ersten Prozess geltend zu machen.

Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung beim Werkvertrag
Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17

Mit der beiderseits interessengerechten Auslegung eines Werkvertrags befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Beklagte erwog, in der Produktionshalle einer Großbäckerei Malerarbeiten vornehmen zu lassen. Hierzu ließ er die Klägerin eine Probefläche mit der Farbe „schneeweiß“ streichen. Nach Besichtigung dieser Fläche beauftragte er die Klägerin mit dem Anstrich der Halle. Schon vor Fertigstellung der Arbeiten, die aufgrund von Differenzen für einige Monate unterbrochen wurden, beanstandete der Beklagte, die bereits bearbeiteten Flächen seien vergilbt und wiesen Flecken auf. Das LG wies die auf Zahlung des vereinbarten Werklohns gerichtete Klage als derzeit unbegründet ab. Das OLG erklärte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Abweichend von der Vorinstanz sieht er das Werk nicht schon deshalb als vertragsgerecht an, weil die eingesetzte Farbe für den Einsatz in einer Großbäckerei geeignet und eine dauerhafte Farbstabilität bei weißen Farbtönen in dieser Umgebung generell nicht realisierbar ist. Nach dem Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung ist der Werkvertrag zwischen den Parteien dahin auszulegen, dass der Beklagte mangels eines abweichenden Hinweises davon ausgehen durfte, die eingesetzte Farbe werde über längere Zeit hinweg farbstabil bleiben. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu klären haben, ob und in welcher Weise die Klägerin vor oder bei Vertragsschluss auf das Risiko des Vergilbens hingewiesen hat.

Praxistipp: Sofern die Möglichkeit besteht, sollte ein Mandant darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Erteilung und der Inhalt eines vor Vertragsschluss erteilten Hinweises möglichst deutlich dokumentiert werden sollte – am besten durch ausdrückliche Aufnahme in das schriftliche Vertragsangebot.

Nebenpflicht des Werkunternehmers zum Hinweis auf mögliche Folgekosten
Urteil vom 14. September 2017 – VII ZR 307/16

Einen weiteren Aspekt der Pflichten eines Werkunternehmers behandelt der VII. Zivilsenat in einer zwei Wochen später ergangenen Entscheidung.

Der Kläger suchte wegen atypischer Motorgeräusche an seinem Auto die Werkstatt der Beklagten auf. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt sechseinhalb Jahre alt und hatte eine Laufleistung von über 200.000 km. Die Beklagte stellte einen Defekt an den Einspritzdüsen fest. Der Kläger ließ diese für rund 1.700 Euro auswechseln. Dies führte nicht zur Beseitigung der atypischen Geräusche. In einem selbständigen Beweisverfahren stellte sich heraus, dass bereits bei Erteilung des Auftrags auch die Pleuellager des Motors beschädigt waren. Der Aufwand für deren Austausch überstieg den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Die auf Rückzahlung der gezahlten Reparaturkosten gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Mit den Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die Beklagte vor der Reparatur darauf hätte hinweisen müssen, dass weitere Motordefekte vorliegen können. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn die in Betracht kommenden anderen Ursachen zwar nicht häufig auftreten, aber auch nicht als völlig entfernte und deshalb vernachlässigenswerte Möglichkeit anzusehen sind. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hätte der Kläger den Reparaturauftrag im Falle eines pflichtgemäßen Hinweises nicht erteilt. Deshalb muss die Beklagte die Reparaturkosten zurückzahlen.

Praxistipp: Auch diese Entscheidung belegt, dass eine hinreichende Dokumentation bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Ausgang des Rechtsstreits von zentraler Bedeutung sein kann.

Können Gläubiger auf die Pokale eines Sportlers zugreifen?

Aus gegebenem Anlass

 

Pokale eines Sportlers gehören zu dessen beweglichen Vermögen. Dieses ist grundsätzlich in vollem Umfang pfändbar. Die Pfändung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher, anschließend werden die gepfändeten Gegenstände versteigert oder anderweitig verwertet. Es gibt allerdings, vorausgesetzt das Verfahren läuft nach deutschem Recht, eine Reihe von Pfändungsverboten.

 

Nach wie vor aktuell ist etwa das Verbot der Pfändung von Gegenständen, die Personen für die Fortsetzung ihrer körperlichen oder geistigen Erwerbstätigkeit benötigen (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Dazu würde wohl der Tennisschläger, kaum aber der Pokal des Sportlers gehören. Sind Pokale aber vielleicht Orden oder Ehrenzeichen? Diese genießen ebenfalls Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO, übrigens gemeinsam mit den Haushaltungs- und Geschäftsbüchern, den Familienpapieren sowie den (in Gebrauch befindlichen) Trauringen.

 

Nur die von einer inländischen oder ausländischen staatlichen Gewalt verliehenen Auszeichnungen sind aber nach dieser Regel unpfändbar (Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Kindl ZPO § 811, Rn 29 mwN). Soweit es sich um eine private Auszeichnung handelt, sind Pokale sehr wohl pfändbar. Und das ist der Regelfall: Hinter Wimbledon steht ein privater Tennisclub, ebenso sind FIFA und DFB private Verbände. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass etwa die Trophäen von Wimbledon traditionell durch ein Mitglied der königlichen Familie überreicht werden.

 

Die Pfändung eines Pokals wird für den Sportler auch keine sittenwidrige Härte darstellen (§ 765 a ZPO). Es ist dann nur noch daran zu denken, ob aus der Verwertung der zu pfändenden Gegenstände ein Überschuss über die Kosten der Zwangsvollstreckung zu erwarten ist (§ 803 Abs. 2 ZPO). Dafür wird es auf den Sportler und den Trophäengeber ankommen. Für die Pokale eines sechsfachen Grandslamtourniersiegers gilt dann anderes als für das Stadtteiltournier im Torwandschießen. Erstere werden einigen Ertrag bringen. Grundsätzlich sind damit Pokale und Trophäen eines Sportlers pfändbar. Damit unterfallen sie auch dem Insolvenzbeschlag (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO).

Montagsblog: Neues vom BGH

Kosten des Vergleichs
Beschluss vom 14. Juni 2017 – I ZB 1/17

Mit der Auslegung einer Kostenregelung in einem gerichtlichen Vergleich befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte den Beklagten im Wege der Teilstufenklage auf Zahlung von Maklerhonorar für die Vermittlung von Kaufverträgen in Anspruch genommen. Vor dem LG schlossen die Parteien einen umfassenden Vergleich, in den auch nicht rechtshängige Ansprüche einbezogen wurden. Darin wurde u.a. vereinbart, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits trägt und die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden. Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der Kläger eine Terminsgebühr aus dem vollen Vergleichswert geltend. Die Rechtspflegerin setzte nur eine Gebühr aus dem Wert der eingeklagten Forderungen an. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er als „Kosten des Rechtsstreits“ nur diejenigen Kosten an, die durch die Geltendmachung der bereits vor dem Vergleichsabschluss rechtshängigen Ansprüche entstanden sind. „Kosten des Vergleichs“ sind demgegenüber alle Mehrkosten, die durch den Vergleichsabschluss und durch die Einbeziehung weiterer Forderungen in den Vergleich entstanden sind. Hierzu gehört nicht nur die Vergleichsgebühr, sondern auch die Terminsgebühr, soweit sich diese aufgrund der Einbeziehung dieser Forderungen erhöht hat.

Praxistipp: Um Schwierigkeiten bei der Kostenfestsetzung zu vermeiden, sollten die Parteien darauf hinwirken, dass der Wert der eingeklagten und der Wert der zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Ansprüche im Streitwertfestsetzungsbeschluss separat ausgewiesen werden.

Haftung des anwaltlichen Mediators
Urteil vom 21. September 2017 – IX ZR 34/17

Eine grundlegende Entscheidung zur Haftung eines anwaltlichen Mediators trifft der IX. Zivilsenat.

Im Vorfeld eines Scheidungsverfahrens hatten sich die betroffenen Eheleute an eine von der beklagten Rechtsanwältin betriebene Schlichtungsstelle gewandt, um eine einvernehmliche und kostengünstige Scheidung zu ermöglichen. Die Eheleute erteilten ihr unter anderem eine Vollmacht zur Einholung von Auskünften bei den zuständigen Trägern der Rentenversicherung. Im Scheidungstermin trat für die Ehefrau der Kläger als Prozessbevollmächtigter auf. Er war kurz zuvor – ebenso wie die Anwältin des Ehemannes – auf Vermittlung der Beklagten eingeschaltet worden und mit Einzelheiten nicht vertraut. Kurz vor dem Termin teilte die Beklagte der Anwältin der Ehefrau per E-Mail mit, ein Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs solle nicht protokolliert werden, sofern mit der Mandantin nichts anderes besprochen werde. Dem Kläger teilte sie mit, die angestrebte Vereinbarung über die Scheidungsfolgen liege bislang lediglich als Entwurf vor. Im Termin erschien der Kläger erst zur Erörterung des Versorgungsausgleichs. Er ließ sich von der Ehefrau, mit der er zuvor noch nie zusammengetroffen war, mündlich mandatieren und stimmte in deren Namen dem Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu. Später eingeholte Auskünfte der Versorgungsträger ergaben, dass der Ehefrau ein Ausgleichsanspruch in Höhe von mehr als 90.000 Euro zugestanden hätte. In einem Haftungsprozess mit der Ehefrau verpflichtete sich der Kläger vergleichsweise zur Zahlung von rund 64.000 Euro. Zwei Drittel dieses Betrags verlangte er im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs von der Beklagten erstattet. Das LG wies die Klage ab. Das OLG sprach dem Kläger die Hälfte des an die Ehefrau gezahlten Betrags zu.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Er qualifiziert das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und den Eheleuten als Mediationsvertrag in der Form des mehrseitigen Anwaltsdienstvertrags, weil es die Beklagte übernommen hat, rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln und dies eine Rechtsdienstleistung darstellt. Aus diesem Dienstvertrag haftet die Beklagte nach anwaltsrechtlichen Grundsätzen. Eine Pflichtverletzung sieht der BGH darin, dass die Beklagte den Kläger nicht darüber informiert hat, dass noch keine Auskünfte zum Versorgungsausgleich vorliegen. Ob ein entsprechender Hinweis an die Anwältin des Ehemanns ausgereicht hätte, lässt er offen, weil die Beklagte im Streitfall auch insoweit keine hinreichend deutlichen Informationen erteilt hatte. Dass der Kläger ebenfalls seine anwaltlichen Pflichten verletzt hat, führt nicht zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufs, sondern lediglich zu einer gleichmäßigen Verteilung der Haftung im Innenverhältnis.

Praxistipp: Um eine Haftung in solchen Konstellationen zu vermeiden, sollte der Mediator von der Durchführung des Scheidungstermins vor endgültiger Klärung aller für die angestrebte Vereinbarung relevanter Fragen dringend abraten. Wollen die Mandanten diesem Rat nicht folgen, sollten die Prozessbevollmächtigten detailliert und unmissverständlich über den Verfahrensstand informiert werden. Zusätzlich sollten die Mandanten persönlich eingehend über die drohenden Risiken belehrt werden.

BGH: Prüfpflichten zur Unternehmereigenschaft für B2B- Onlineshops – oder – Unmöglichkeit vieler UWG-Testkäufe?

Onlineshops unterliegen vielfältigen Informationspflichten im Rahmen des Angebots- und Bestellprozesses. Dabei bestehen einige gewichtige Unterschiede bei reinen B2B-Onlineshops gegenüber solchen Shops, die (zumindest auch) an Verbraucher gerichtet sind. Dies fängt bei der Verpflichtung an, Preise inklusive Umsatzsteuer auszuweisen, auf etwaige zusätzliche Versandkosten hinzuweisen(§ 1PAngV)  und führt bis zu detaillierten Informations- und Gestaltungsvorgaben des § 312j BGB, zum Beispiel der Buttonlösung in § 312j Abs. 3 BGB. Im reinen B2B-Verkehr sind auch weitgehende Gewährleistungsausschlüsse möglich (§ 475 BGB), ein Widerrufsrecht besteht nicht von Gesetzes wegen (§ 312g BGB). Zuletzt sind viele Regelungen des UWG (direkt) nur auf Sachverhalte mit Verbraucherberührung anwendbar, so zum Beispiel die „schwarze Liste“ im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG.

Sollte der Warenabsatz an Verbraucher vernachlässigbar sein, so stellt sich die Frage, wie wirksam ausgeschlossen werden kann, dass Verbraucherinteressen durch einen Onlineshop betroffen werden können. Klar war bisher: Eher versteckt eingearbeitete Hinweise, womöglich noch in AGB, dass ein Vertrag lediglich mit Unternehmern abgeschlossen wird, sind nicht ausreichend (OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2016 – 12 U 52/16, MDR 2017, 76). Immer wieder sprachen Gerichte von Kontrollpflichten der Shopbetreiber, ohne konkrete Maßnahmen als ausreichend gelten zu lassen.

Durch eine jüngere Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.5.2017 – I ZR 60/16) könnte (!) nun Klarheit in die Vorgaben kommen. In dem dortigen Fall war

  • jede Seite des Shops mit einem Hinweis „Verkauf nur an Unternehmer, Gewerbetreibende, Freiberufler und öffentlicheInstitutionen. Kein Verkauf an Verbraucher i.S.d. §13 BG“ ausgestattet,
  • im Bestellprozess ein Feld „Firma“ vorgesehen und
  • im räumlichen Zusammenhang mit dem Bestellbutton der Text „Hiermit bestätige ich, dass ich die Bestellung als Unternehmer und nicht als Verbraucher i.S.d. §13 BGB tätige und die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis genommen habe.“ aufgenommen.

Der Shopbetreiber hatte zuvor eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, wobei ein vom Unterlassungsgläubiger beauftragter Rechtsanwalt nun eine Testbestellung ausführte, die bestätigt wurde. In das Feld „Firma“ wurde dabei „Privat“ geschrieben. Die auf diesen Vorfall gestützte Geltendmachung einer Vertragsstrafe blieb erfolglos.

Der BGH geht davon aus, dass der den Testkauf durchführende Rechtsanwalt gerade nicht ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abgeschlossen hat, die überwiegend weder seiner gewerblichen noch seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Testkauf erfolgte hier in anwaltlicher Eigenschaft. Es läge damit kein Verkauf an einen Verbraucher vor. Durch die bewusst wahrheitswidrigen Angaben im Kaufprozess sei der Beklagten eine Berufung auf die Grundsätze von Treu und Glauben möglich, was einem Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe entgegenstünde.

An mancher Stelle wird diese Entscheidung als Paukenschlag bezeichnet, andere meinen zumindest in einem Teil der Ausführungen nunmehr klare Vorgaben für Shopbetreiber zu erkennen. Insbesondere die Ausführungen des BGH

„Der Testkauf der Klägerin war damit darauf angelegt, Vorsorgemaßnahmen der Beklagten zur Verhinderung eines Wettbewerbsverstoßeszu umgehen und dadurch einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung zu provozieren. Das ist rechtsmissbräuchlich.“

lassen aber daran zweifeln. Warum hätte sonst noch das Erfordernis der „Verstoßprovokation“ genannt werden müssen? Es scheint vielmehr so, als wolle sich der BGH noch Türen offenhalten, was den Unterlassungsanspruch angeht, zumindest aber der provozierten Testbestellung zur Geltendmachung einer Vertragsstrafe nicht zum Erfolg verhelfen. Führt man diesen Gedanken zu Ende, dürften Testbestellungen im Bereich von verbraucherschützenden Wettbewerbsregelungen in Zukunft zumindest deutlich schwieriger werden. Unterlassungsverpflichtungen würden konsequenterweise massiv an Gewicht verlieren, da Verstöße hiergegen nur noch durch „Zufallsberichte“ von Verbrauchern aufgedeckt werden könnten, handeln doch sowohl Unterlassungsgläubiger, als auch deren Beauftragte in aller Regel nicht als Verbraucher, wenn eine Testbestellung erfolgt.

Praxistipp: Die in der Entscheidung angesprochenen Vorgaben sollten B2B-Shopbetreiber unbedingt einhalten. Ein Restrisiko, ob Shopbetreiber damit in ausreichendem Maße ihren Prüfpflichten nachkommen, ist aber auch durch die jüngste Entscheidung nicht abschließend geklärt. In sonstigen B2C-Sachverhalten sollte die Ausgestaltung von Testbestellungen überdacht werden, die nach dieser Rechtsprechung vor neue Anforderungen gestellt werden dürfte. An die Rechtsprechung verbleibt der Wunsch, die möglicherweise lediglich misslungene Formulierung in der Entscheidung des BGH durch sicher handhabbare Vorgaben an Shopbetreiber zu korrigieren.

Die Bauvertragsrechtsreform zwischen Euphorie und Kritik

Ab dem 1.1.2018 gilt für alle neu geschlossenen Werkverträge das BGB in der durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts geänderten Fassung. Bisher kannte das Gesetz nur ein allgemeines Werkvertragsrecht. Für den Bauvertrag gab es keine speziellen Sondernormen. Damit wurde der Bauvertrag rechtlich nicht anders behandelt als z.B. die Reparatur eines defekten Kfz in einer Werkstatt oder die Maßanfertigung eines Anzugs durch einen Schneider.

Durch das „Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren“ vom 28.4.2017 (BGBl. I 2017, 969; eine Synopse zu den Änderungen, s. hier) werden zukünftig als besondere Vertragstypen des Werkvertragsrechts

  • der Bauvertrag (s. Schwenker/Wessel, MDR 2017, 1096, Heft 19)
  • der Architekten- und Ingenieurvertrag (s. Schwenker/Wessel, MDR Heft 20 – erscheint am 20.10.2017)
  • der Verbraucherbauvertrag und der Bauträgervertrag  (s. Schwenker/Wessel, MDR Heft 21- erscheint am 3.11.2017)

näher geregelt.

Neben diesen Neuregelungen sind im allgemeinen Werkvertragsrecht wichtige Änderungen vorgenommen worden (s. Schwenker/Wessel, MDR 2017, 1093, Heft 19).

Die Reaktionen auf das Gesetz sind gemischt. Der Präsident des Deutschen Baugerichtstags e.V. lässt seine Freude darüber verlauten, „ein schon fast verloren gegangenes Vertrauen in funktionierende parlamentarische und ministerielle Entscheidungsmechanismen wieder gefunden“ zu haben. In der Literatur wird dagegen der „autoritäre, bevormundende Geist des Gesetzes“ beklagt: „Vorschriften statt Vertragsfreiheit, Anordnungsrechte, Terminbestimmungsrechte, der Gesetzgeber will sogar darauf Einfluss nehmen, wann Personen Verträge abschließen und hinterher zur Not durch Dritte bestimmen lassen, was deren Inhalte sind.“ (Deckers, ZfBR 2017, 545).

Fazit: Zu Euphorie besteht kein Anlass. Dem Gesetzgeber darf konstatiert werden, eine Vielzahl überflüssiger und in sich inkonsistenter Vorschriften geschaffen zu haben. Der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis wird es wieder einmal überlassen bleiben, dem neuen Bauvertragsrecht eine ihren Bedürfnissen gerecht werdende Auslegung zukommen zu lassen. So ist es ihm gelungen, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen den Verbraucherschutz zu reduzieren. Denn bisher musste der Erbauer eines Einfamilienhauses dem Unternehmer keine Bauhandwerkersicherheit stellen. Nach neuem Recht gilt das Verbraucherprivileg nur für den Verbraucherbauvertrag, der aber den „Bau eines neuen Gebäudes“ verlangt. Bei Einzelvergaben muss der Verbraucher zukünftig (ihn finanziell belastende) Sicherheiten stellen. Davon ist er aber befreit, wenn er Mehrfamilienhäuser baut! Mehr als eine gesetzgeberische Fehlleistung ist es auch, wenn § 650p BGB unter „Vertragstypischen Pflichten aus Architekten- und Ingenieurverträgen“ lediglich die Pflichten des Planer beschreibt, die Vergütungspflicht des Bestellers aber vollständig vergisst. Diese muss über die Verweisungsnorm des § 650q Abs. 1 BGB aus § 631 Abs. 1 BGB hergeleitet werden, was den nicht rechtskundigen Nutzer des Gesetzes überfordern dürfte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Divergenz innerhalb eines Oberlandesgerichts
Beschluss vom 15. August 2017 – X ARZ 204/17

Eine Detailfrage zur Vorlagepflicht im Verfahren zur Gerichtstandbestimmung nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheidet der X. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten auf der Grundlage des Anfechtungsgesetzes auf Duldung der Zwangsvollstreckung in zwei Grundstücke in Anspruch. Das zuerst angerufene LG am Sitz der Beklagten erklärte sich für unzuständig, weil es den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand des § 24 ZPO für einschlägig hielt, und verwies die Sache auf Antrag der Kläger an das nach dieser Vorschrift zuständige LG. Dieses hielt § 24 ZPO für nicht einschlägig und ersuchte das OLG Hamm um Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Das OLG hielt § 24 ZPO ebenfalls für nicht einschlägig und die abweichende Auffassung des zuerst angerufenen LG mangels detaillierter Begründung für willkürlich, sah sich aber an einer Zuständigkeitsbestimmung gehindert, weil ein anderer Zivilsenat desselben OLG in einer früheren Entscheidung § 24 ZPO in einer vergleichbaren Konstellation für einschlägig erachtet hatte.

Der BGH entscheidet, dass weiterhin das LG zuständig ist, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde. Er hält die Vorlage der Sache durch das OLG für zulässig, obwohl der Wortlaut des § 36 Abs. 3 ZPO hierfür eine Abweichung von der Entscheidung eines anderen OLG vorsieht. Der Sinn und Zweck der Vorschrift erfordert eine Vorlage auch bei drohender Divergenz innerhalb eines OLG. Die vom zuerst angerufenen LG ausgesprochene Verweisung beurteilt der BGH als inhaltlich unzutreffend, weil eine auf das Anfechtungsgesetz gestützte Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung keine Klage ist, durch die das Eigentum oder eine dingliche Belastung geltend gemacht wird. Dennoch hält der BGH die Verweisung für wirksam. Das verweisende LG hat seine Auffassung zwar nur kurz begründet, aber erkennen lassen, dass es der damals veröffentlichten OLG-Rechtsprechung folgen wollte; dies kann nicht als willkürlich angesehen werden.

Praxistipp: Wenn der BGH das im Rechtszug zunächst höhere Gericht im Sinne von § 36 Abs. 1 ZPO ist, hat an dessen Stelle nach § 36 Abs. 2 ZPO das OLG zu entscheiden, zu dessen Bezirk das mit der Sache zuerst befasste Gericht gehört. Der BGH kann in solchen Sachen nur aufgrund einer Divergenzvorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheiden. Diese Regelung gilt seit 01.04.1998, wird in der Praxis dennoch mitunter übersehen.

Möglichkeit des Rechtswegrüge nach § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG

Mit einer sehr interessanten Möglichkeit zur Verzögerung von Verfahren beschäftigt sich das LG Köln (Urt. v. 9.11.2016 – 13 S 37/16) in einer Entscheidung, die der Begriffsjurisprudenz wieder zu einem unerwarteten Sieg verholfen hat.

Der Beklagte war ins Ausland verzogen. Nachdem er dann wegen eines Geschehens (er hatte ein Auto gemietet), das sich noch zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes hier ereignet hatte, auch hier verklagt wurde, rügte er den von der Klägerin beschrittenen Rechtsweg. § 17a Abs. 3 GVG lautet nun in der Tat wie folgt: „Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt“.

Das AG hatte nicht vorab entschieden, sondern ein Versäumnisurteil erlassen, anschließend dann auch ein zweites Versäumnisurteil. Dieses hob das LG Köln auf die Berufung des Beklagten hin auf und verwies den Rechtsstreit zurück, da das AG gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verstoßen habe. Vom Wortlaut her ist diese Entscheidung natürlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hatte die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Das AG hätte durch Beschluss vorab entscheiden müssen. Dieser Beschluss wäre gemäß § 17a Abs. 4 GVG dann auch noch im Wege der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewesen. Das Verfahren hätte sich – mindestens – um drei Monate verzögert, je nach Belastung der Spruchkörper und Geschäftsstellen sogar noch deutlich länger.

Es besteht aber – wie auch das LG Köln in der Entscheidung selbst ausführt (!) – Einigkeit darüber, dass die Rechtswegrüge im hier zu beurteilenden Fall schlichtweg abwegig ist. Bestenfalls geht es vorliegend um eine Frage der internationalen Zuständigkeit, die aber auch eher trivial ist, weil der Beklagte erst nach dem Entstehen der Streitigkeit und Abschluss des maßgeblichen Lebenssachverhaltens ins Ausland verzogen war und vorher hier gewohnt hatte.

Hier hätte es sich wirklich angeboten, „klassisch“ nach dem Sinn und Zweck des § 17a Abs. 3 GVG zu fragen und die Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nicht anwendbar ist, wenn die Rechtwegrüge ersichtlich abwegig ist. Alles andere ist eine Einladung an die immer zahlreicher werdenden Querulanten, den Justizorganen durch immer neue sinnlose Eingaben und Rechtsmittel ihre Tätigkeit zu erschweren und damit zu verhindern, dass andere Personen zeitnahe zu ihrem Recht kommen können. Solches Vorgehen sollte die obergerichtliche Rechtsprechung nicht durch begriffsjuristische Argumentationen unterstützen.

Der Staat zahlt jetzt auch für Schmerzen

In einer Grundsatzentscheidung (Urt. v. 7.9.2017 – III ZR 71/17) hat der BGH festgestellt, dass der Anspruch auf Entschädigung für rechtmäßige hoheitliche Eingriffe in Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (Aufopferungsanspruch) auch ein Schmerzensgeld umfasst.

Die Vorinstanzen waren noch anderer Ansicht und hatten sich dazu auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1956 (BGHZ 20, 61) berufen. Der Kläger wollte das so nicht hinnehmen: Bei der Jagd nach einem flüchtigen Verdächtigen, der einen Schuss aus einen fahrenden Pkw abgegeben hatte, hatten Polizeibeamte ihn für den Täter gehalten. Sie hatten ihn im Rahmen der Feststellung der Identität zur Eigensicherung zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert. Der Kläger war dabei an der Schulter verletzt worden. Für die erlittenen Schmerzen sprach der BGH ihm ein Schmerzensgeld zu. Die polizeilichen Maßnahmen seinen zwar rechtmäßig gewesen, Vermögensschäden wären deshalb nach dem allgemeinen Aufopferungsanspruch auszugleichen; aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers, die durch die Streichung des § 847 BGB a. F. und durch die Neufassung des § 253 BGB im 2. Gesetz zur Änderung schadenersatzrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 2002 ihren Ausdruck gefunden hat, müsste aber nun auch der allgemeine Aufopferungsanspruch auf Nicht-Vermögensschäden erweitert werden.

Diese Entscheidung des BGH ist konsequent. § 253 Abs. 2 BGB sieht nun generell vor, dass bei einer Körperverletzung auch für Nicht-Vermögensschäden Ersatz zu leisten ist. Auch § 11 S. 2 StVG sieht für Verkehrsunfälle eine parallele Regelung vor.

Dem kann sich auch der allgemeine Aufopferungsanspruch nicht entziehen. Dieser Anspruch stellt einen der Säulen staatlicher Ersatzleistungen dar und greift speziell bei Eingriffen in nicht-vermögenswerte Rechte – also Leben, Gesundheit, Freiheit – durch staatliche Instanzen. Der Aufopferungsanspruch fand ursprünglich im Preußischen Allgemeinen Landrecht (§§ 74, 75 Einl. ALR) seinen Ausdruck, gilt aber als Gewohnheitsrecht – und zwar im Rang von Verfassungsrecht- weiter. Der einfache Gesetzgeber kann ihn zwar damit nicht beseitigen, wohl aber näher ausgestalten (siehe dazu Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Auflage, 2011, § 28 Rn. 1).  Hätte der Bundesgesetzgeber den Aufopferungsanspruch als geschriebenes Recht geregelt, hätte er ihm wohl auch auf den Ausgleich für erlittene Schmerzen erstreckt.

Eine solche (mittelbare) Form der Ausgestaltung und Modernisierung des gewohnheitsrechtlich geregelten Anspruchs erblickt der BGH deshalb zu Recht in der grundsätzlichen – und gesetzesübergreifenden – Entscheidung des Gesetzgebers, dem immateriellen Schaden bei Körperverletzungen entschädigungswerten Stellenwert zukommen zu lassen. Das ist auch Ausdruck einer grundsätzlichen Tendenz, Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit oder persönlicher Rechtsgüter vermögenswerten Stellenwert zukommen zu lassen.

BGH: Bei Wetlease haftet Vertragspartner auf Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung

Der Zeitpunkt der Entscheidung könnte besser nicht passen: Nachdem im aktuellen Trubel um Air Berlin gestern und heute eine Vielzahl von Flügen gestrichen wurden, befanden sich auch viele Fluggäste unter den Betroffenen, die ihren Flug eigentlich bei Eurowings gebucht haben. Deren Flüge sollte zu großen Teilen im sogenannten Wetlease-Verfahren von Air Berlin durchgeführt werden.

Nach der Europäischen Fluggastrechteverordnung 261/2004 ist Schuldner der dortigen Leistungen, insbesondere der in vielen Fällen zu zahlenden Entschädigung, die ausführende Airline. Wie ist dies nun beim Wetleaseverfahren, bei dem Crew und Fluggerät von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden?

Der BGH geht davon aus, dass sämtliche Pflichten hier nicht das Luftfahrtunternehmen, dessen Flugzeug und Besatzung aufgrund der „Wet-Lease-Vereinbarung“ eingesetzt wurden treffen, sondern das in dem Fall beklagte Luftfahrtunternehmen treffen.

Bei einem – vermutlich seit gestern laufenden- wilden Streik liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor (beispielsweise AG Erding, 20.03.2017 – 13 C 3778/16), sodass Eurowings auch für „operated by Air Berlin“-Flüge, die derzeit annuliert werden, auf Entschädigungsleistungen haften dürfte, sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind.

BGH Urteile vom 12. September 2017 Az.: X ZR 102/16 und X ZR 106/16 Link zur Pressemitteilung