Montagsblog: Neues vom BGH

Verjährungshemmung bei Wiederaufnahme von eingeschlafenen Verhandlungen
Urteil vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 58/16

Mit zahlreichen Detailfragen zur Auswirkung von Verhandlungen auf den Lauf der Verjährungsfrist befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der Kläger war in einem vorangegangenen Rechtsstreit wegen fehlerhafter Architektenleistungen in Anspruch genommen worden. Auf Empfehlung seiner Haftpflichtversicherung hatte er den Beklagten als Prozessbevollmächtigten bestellt. Der Prozess ging für den Kläger verloren. Noch im Laufe des Rechtsstreits hatte die Versicherung dem Kläger den Haftpflichtschutz entzogen, weil der Beklagte sie nicht über den Verlauf des Prozesses informiert hatte. Der Kläger nahm den Beklagten wegen des Verlusts des Versicherungsschutzes auf Schadensersatz in Anspruch. LG und OLG sahen die Ersatzansprüche als verjährt an.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Revision des Klägers zurück. Mit dem Berufungsgericht ist er der Auffassung, dass die Verjährung durch Verhandlungen der Parteien in den Jahren 2010, 2012 und 2014 insgesamt nur für wenige Monate gehemmt wurde und der Ersatzanspruch deshalb bei Klageerhebung bereits verjährt war. Die Verhandlungen waren in allen drei Fällen nach kurzer Zeit wieder eingeschlafen. Die Verjährung begann deshalb jeweils wieder in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem spätestens mit einer Fortsetzung der Verhandlungen zu rechnen war. Mit der erneuten Aufnahme der Verhandlungen wurde die Verjährung zwar jeweils von neuem gehemmt. Diese Rechtsfolge trat aber nicht rückwirkend ein, sondern nur mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Verhandlungsaufnahme.

Praxistipp: Bei Verhandlungen mit dem Schuldner sollte durch kurze Wiedervorlagefristen laufend überwacht werden, ob der Schuldner noch zeitnah reagiert. Wenn keine Reaktion mehr erfolgt, muss die Verjährung erforderlichenfalls umgehend durch gerichtliche Geltendmachung gehemmt werden.

Objektiver Umfang der Rechtskraftswirkung
Beschluss vom 22. September 2016 – V ZR 4/16

Mit dem objektiven Umfang der Rechtskraftwirkung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger verkauften den Beklagten unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung eine gebrauchte Eigentumswohnung. Die Beklagten rügten nach dem Einzug eine Schimmelbelastung und fochten den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an. In einem vorangegangenen Rechtsstreit hatten die Kläger die erste Kaufpreisrate eingeklagt und die Beklagten im Wege der Widerklage Ersatz von Gutachter-, Notar- und Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Dieser Rechtsstreit ging zugunsten der Kläger aus. Nunmehr verlangten die Kläger Ersatz von Verzugsschäden und die Beklagten im Wege der Widerklage Schadensersatz wegen der Unbewohnbarkeit der Wohnung. Klage und Widerklage blieben in der ersten Instanz erfolglos. Das OLG wies die (nur von den Beklagten eingelegte) Berufung zurück.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG steht die Rechtskraft des ersten Urteils der erneuten Widerklage nicht entgegen. Beide Widerklagen sind zwar auf die Behauptung gestützt, die Kläger hätten den behaupteten Schimmelbefall arglistig verschwiegen. Die Rechtskraft des Urteils aus dem früheren Rechtsstreit ergreift aber nur die Entscheidung über die dort geltend gemachten Schadensersatzansprüche, nicht hingegen die Entscheidung über die dafür relevante Vorfrage, ob die Kläger eine arglistige Täuschung begangen haben. Die Beklagten sind deshalb nicht gehindert, anderweitige Schadensersatzansprüche geltend zu machen, auch wenn deren Bestand von derselben Vorfrage abhängt.

Praxistipp: Der (Wider-)Beklagte kann die Geltendmachung von weiteren Ansprüchen aufgrund desselben Sachverhalts verhindern, indem er widerklagend die Feststellung beantragt, dass dem (Wider-)Kläger aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts auch keine weitergehenden Ansprüche zustehen.

Neues Auftragsformular für Gerichtsvollzieher und neue Vollstreckungsregeln

Mit Inkrafttreten der Gerichtsvollzieherformular-Verordnung am 1.10.2015 ist für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zur Vollstreckung von Geldforderungen das in der Verordnungsanlage bestimmte Formular eingeführt worden (siehe Salten, MDR 2016, 125). Das Gerichtsvollzieher-Auftragsformular hat nunmehr – mit Wirkung zum 1.12.2016 – durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung (EuKoPfVODG) vom 21.11.2016, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 2016, Teil I, Nr. 55 vom 25.11.2016 einige Änderungen erfahren. Außerdem enthält das Gesetz neue Vollstreckungsregeln.

Die Änderungen bzw. Neuerungen im Überblick:

  • Das alte Formular darf noch bis zum 28.2.2017 weiterverwendet werden; ab dem 1.3.2017 darf nur noch das neue Formular verwendet werden.
  • Das neue Formular ist seit dem 1.12.2016 gültig und darf und sollte auch ab sofort ausschließlich verwendet werden.
  • Das neue Formular sieht zwei neue Felder zur Einholung von Adressauskünften für Firmen vor (das bisherige Modul L7 wird L9):
    • L7 (neu): Ermittlung der gegenwärtigen Anschriften, des Ortes der Hauptniederlassung oder des Sitzes des Schuldners durch Einsicht in das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts-, Unternehmens- oder Vereinsregister
    • L8 (neu): Ermittlung der gegenwärtigen Anschriften, des Ortes der Hauptniederlassung oder des Sitzes des Schuldners durch Einholung einer Auskunft bei den nach Landesrecht für die Durchführung der Aufgaben nach § 14 Absatz 1 der Gewerbeordnung (GewO) zuständigen Behörden.
  • Die Beschränkung der Möglichkeiten der Adressermittlung und der Einholung von Drittauskünften auf Forderungen ab 500 € entfällt; es besteht keine Betragsgrenze mehr.
  • Im Rahmen von Adressermittlungen oder Dritt-Vermögensauskünften erhobene Daten, die innerhalb der letzten drei Monate bei dem Gerichtsvollzieher eingegangen sind, darf dieser auch einem weiteren Gläubiger übermitteln, wenn die Voraussetzungen für die Datenerhebung auch bei diesem Gläubiger vorliegen.
  • Durch eine gütliche Erledigung entstehen zukünftig auch dann (allerdings ermäßigte) Kosten, wenn die Verhandlungen im Rahmen der Abnahme der Vermögensauskunft oder Sachpfändung erfolgen.
  • Klarstellung in § 882c ZPO:
    Die Anordnung der Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis ist Teil des Vollstreckungsverfahrens. Daraus folgt, dass es sich bei den Kosten der Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis um Vollstreckungskosten handelt.
  • Einführung der Möglichkeit der elektronischen Einreichung von Gerichtsvollzieher- Vollstreckungsaufträgen aus einem Vollstreckungsbescheid (soweit die elektronische Einreichung überhaupt nach jeweiligem Landesrecht zulässig ist)

Vertiefungshinweis: Eine ausführliche Darstellung der Änderungen des Gerichtsvollzieher-Auftragsformulars und neuen Vollstreckungsregeln enthält der aktuelle Aufsatz Salten, MDR 2017, 61 (Heft 2/2017).

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Normativer Schaden bei Ergebnisbeteiligung eines Arbeitnehmers
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 40/16

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistung eines Dritten an den Geschädigten dem Schädiger nicht zugutekommen soll, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen der Beklagte einzustehen hat, verletzt. Die Klägerin begehrte anteiligen Ersatz für ausgezahlte Ergebnisbeteiligung, die dem Arbeitnehmer für das betreffende Jahr unabhängig von dessen Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand. AG und LG hielten den Anspruch für unbegründet, weil die erbrachte Leistung nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Prämie mit ausschließlichem Treuecharakter anzusehen sei und deshalb nicht vom Entgeltfortzahlungsgesetz erfasst werde.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er lässt offen, ob die erbrachte Leistung unter das Entgeltfortzahlungsgesetz fällt. Das Klagebegehren ist schon deshalb schlüssig, weil der geschädigte Arbeitnehmer seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat und weil der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Ergebnisbeteiligung trotz seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand, nach dem normativen Schadensbegriff nicht dem Beklagten zugutekommen darf. Ausschlaggebend ist insoweit nicht die Anwendbarkeit des Entgeltfortzahlungsgesetzes, sondern der Umstand, dass die Ergebnisbeteiligung ungeachtet ihres Charakters als Treueprämie jedenfalls auch der Vergütung der Arbeitsleistung im Kalenderjahr des Unfalls diente und die betriebliche Regelung, wonach die Leistung auch im Falle vorübergehender Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zu erbringen ist, nicht den Schutz des Schädigers bezweckt.

Praxistipp: Wenn nicht völlig zweifelsfrei ist, dass der Ersatzanspruch schon kraft Gesetzes (§ 6 EFZG) übergegangen ist, sollte sich der Arbeitgeber spätestens vor Klageerhebung vorsorglich die Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers abtreten lassen.

Keine Anordnung der Urkundenvorlegung im selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 29. November 2016 – VIII ZB 23/16

Mit der Anwendbarkeit von § 142 Abs. 1 ZPO im selbständigen Beweisverfahren befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Eine Patientin leitete im Anschluss an eine Operation ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Krankenhausbetreiberin ein, um zu klären, ob eine eingetretene Entzündung durch einen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht wurde. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, er benötige die zum Zeitpunkt der Operation gültigen Vorschriften der Antragsgegnerin zur Aufbereitung des Instrumentariums. Das LG lehnte den Antrag, diese Unterlagen gemäß § 142 ZPO beizuziehen, ab. Das OLG wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das OLG vermag dessen Statthaftigkeit nicht zu begründen, weil bereits die Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung unzulässig war. Ein Antrag auf Erlass einer Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO ist kein Gesuch im Sinne von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, weil eine solche Anordnung von Amts wegen ergehen kann. Ergänzend führt der BGH aus, dieses Ergebnis sei aus zwei weiteren Gründen sachgerecht: Zum einem sei eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer solchen Anordnung auch in einem Hauptsacheverfahren nicht zulässig. Zum anderen sei eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO in einem selbständigen Beweisverfahren ohnehin nicht statthaft. Im Hauptsacheverfahren dürfe eine solche Anordnung nur bei schlüssigem, auf konkrete Tatsachen bezogenem Parteivortrag ergehen. Im selbständigen Beweisverfahren dürfe eine Schlüssigkeitsprüfung aber nicht erfolgen. Deshalb sei eine Entscheidung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht möglich. Damit ist die Rechtsfrage, zu deren Klärung das OLG unzulässigerweise die Rechtsbeschwerde zugelassen hatte, letztendlich doch beantwortet.

Praxistipp: Wenn sich der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren weigert, vom Sachverständigen benötigte Unterlagen vorzulegen, und der Antragsteller dennoch nicht sofort ein Hauptsacheverfahren wegen des zu sichernden Anspruchs einleiten will, kommt als Alternative in Betracht, den Antragsgegner auf Herausgabe der Unterlagen zu verklagen. Dies setzt allerdings einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch voraus.

BGH hat Gründe zur Entscheidung des Mitwirkungsverbots einer Richterin im Mutterschutz veröffentlicht

Eine sich im nachgeburtlichen Mutterschutz befindende Richterin hat an Hauptverhandlung der Strafkammer mitgewirkt. Die Verfahrensrüge der Verteidiger griff beim BGH durch. In den jetzt veröffentlichten Entscheidungsgründen vertritt der BGH die Auffassung, dass der nachgeburtliche Mutterschutz einer Richterin zu einem Dienstleistungsverbot führe, das ihrer Mitwirkung in der Hauptverhandlung entgegenstehe. Deren Fortsetzung ohne Beachtung der Mutterschutzfrist führe zu einer gesetzeswidrigen Besetzung des Gericht. Das absolute Dienstleistungsverbot sei für eine Richterin nicht disponibel, nicht verzichtbar. Durch Art. 97 GG werde allein die sachliche Unabhängigkeit im Fall der Begründung seiner Entscheidungszuständigkeit geschützt, nicht aber eine Unabhängigkeit dahin, über die Entscheidungszuständigkeit selbst zu disponieren.

(BGH v. 07.11.2016 – 2 StR 9/15)

Kein § 9 ZPO bei Streit über Krankentagegeld

Der BGH hat sich mit dem Wert von Feststellungsanträgen im Zusammenhang mit einem Krankenversicherungsvertragsverhältnis über ein Krankentagegeld befasst (Beschluss v. 14.12.2016 – IV ZR 477/15).

Bei einem Feststellungsantrag über die fortdauernde, zeitlich nicht feststehende Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung von Krankentagegeld sei der Streitwert regelmäßig das vereinbarte Krankentagegeld auf der Basis einer halbjährigen Bezugsdauer abzüglich eines Feststellungsabschlags (20 %) zugrundezulegen. § 9 ZPO sei nicht anwendbar. Es gehe nicht um ein Recht, das seiner Natur nach und erfahrungsgemäß von der in § 9 ZPO genannten Dauer (3,5 Jahre). Die regelmäßige Dauer für den Bezug von Krankentagegeld liege deutlich unter 3,5 Jahren. Angemessen sei, auf eine Bezugsdauer von einem halben Jahr abzustellen.

Wird darüber hinaus die Feststellung der Fortdauer des Vertragsverhältnisses beantragt, sei dieser Anrag aufgrund der wirtschaftlichen Teilidentität lediglich mit 20 % des vereinbarten Krankentagegeldes für eine halbjährige Bezugsdauer zu berücksichtigen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Berührungsloser Verkehrsunfall
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15

Mit der Reichweite der Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger kam mit seinem Motorrad von der Straße ab, als er die ebenfalls auf einem Motorrad fahrende Beklagte und ein vor dieser fahrendes Auto überholen wollte. Er stützte sein Begehren nach Schadensersatz auf die Behauptung, die Beklagte sei unvermittelt und ohne Ankündigung nach links ausgeschert, als er sie schon fast überholt gehabt habe; deshalb habe er nach links ausweichen müssen. Die Beklagte behauptete hingegen, sie habe das vor ihr fahrende Auto ordnungsgemäß überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts gewesen, als der Kläger sie in zweiter Reihe überholt habe und hierbei ohne ihr Zutun dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen sei. Die Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Das OLG wies sie ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt zwar die Auffassung des OLG, dass die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle keinen die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG begründenden Tatbestand darstellt und dass dies auch für ein Motorrad gilt, das unmittelbar vor dem Unfall ein vor ihm fahrendes Auto überholt und von einem anderen Motorrad in zweiter Reihe überholt wird. Die Auffassung des OLG, ein die Haftung begründendes plötzliches Ausscheren der Beklagten könne aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, erweist sich aber als fehlerhaft. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige war zu dem Ergebnis gelangt, die Spurenlage am Unfallort lasse ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der Gegenfahrbahn weiter nach links mit einer Notbremsung erkennen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme zu einer anderen Würdigung gelangen als das Landgericht, das ein die Haftung begründendes Ausscheren der Beklagten bejaht hatte.

Praxistipp: Wenn ein Berufungsgericht die in erster Instanz erhobenen Beweise ohne erneute Beweisaufnahme anders würdigt als die Vorinstanz, liegt darin eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, die je nach Fallgestaltung mit Revision, Nichtzulassungsbeschwerde oder Anhörungsrüge gerügt werden kann.

Bestimmtheit einer Kaufpreisklage
Beschluss vom 16. November 2016 – VIII ZR 297/15

Mit den Mindestanforderungen an Bestimmtheit und Schlüssigkeit einer Kaufpreisklage befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin begehrte die Zahlung restlichen Kaufpreises in Höhe von 3.639,54 Euro. In der Klageschrift führte sie aus, sie habe dem Beklagten verschiedene Waren geliefert und in Rechnung gestellt. Wegen Gegenstand und Zeitpunkt der Lieferung nahm sie auf zwei anhand von Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen Bezug, deren Vorlage sie für den Fall des Bestreitens ankündigte. Das AG wies die Klage als unschlüssig ab. Das LG wies die Berufung mit der Maßgabe zurück, dass die Klage mangels Bestimmtheit des Klagegrundes unzulässig sei. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der vom LG zugelassenen Revision.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung des LG reicht der Vortrag der Klägerin zur bestimmten Angabe von Gegenstand und Grund der Klage aus. Den Anforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist schon dann genügt, wenn der geltend gemachte Anspruch als solcher identifizierbar ist. Hierfür reicht die Bezugnahme auf zwei nach Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen, deren addierter Rechnungsbetrag sich mit der Höhe der Klagesumme deckt, auch dann aus, wenn die Rechnungen nicht beigefügt sind. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass die Kaufpreisforderung auch schlüssig dargelegt ist.

Praxistipp: Trotz der eher geringen Mindestanforderungen sollte der Kläger im eigenen Interesse darauf bedacht sein, die in Bezug genommenen Rechnungen bereits zusammen mit der Klageschrift als Kopie einzureichen. Unabhängig davon bedarf es jedenfalls dann konkretisierenden Sachvortrags, wenn nicht der gesamte Rechnungsbetrag zum Gegenstand des Klagebegehrens gemacht wird.

Europäische Kontenpfändung ab 18.01.2017

Die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuKoPfVO) tritt am 18.01.2017 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften in Kraft (EuKoPfVODG).

Das in der EuKoPfVO geregelte Verfahren ist strukturell vergleichbar mit dem Arrestverfahren gemäß den §§ 916 ff. ZPO in Verbindung mit einem Kontenpfändungsbeschluss nach § 829 ZPO. Das Konto wird lediglich vorläufig gepfändet („eingefroren“). Da die Kontenpfändung nur der Sicherung der Zwangsvollstreckung und nicht der Befriedigung des Gläubigers dient, wird der gegenüber der Bank bestehende Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Kontoguthabens dem Gläubiger nicht zur Einziehung oder an Zahlungs statt überwiesen. Die EuKoPfVO sieht den Erlass eines einheitlichen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung vor, der gemäß den Art. 23 ff. EuKoPfVO von der Bank umzusetzen ist.

Das deutsche Recht sieht hingegen im Grundsatz zwei gerichtliche Entscheidungen vor: Es unterscheidet zwischen dem Verfahren auf Anordnung des Arrests (§§ 916 ff. ZPO) und der Vollziehung des Beschlusses (§§ 928 bis 930 ZPO in Verbindung mit den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung). Hat der Antragsteller in einem ersten Schritt einen Arrestbeschluss bzw. ein Arresturteil erwirkt, muss er in einem zweiten Schritt einen Beschluss des zuständigen Gerichtes zur Pfändung des Kontos gemäß § 930 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit den §§ 829 ff. ZPO erwirken. Für die Pfändung einer Arrestforderung ist das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht zuständig, § 930 Abs. 1 S. 3 ZPO. Ein gleichzeitiger Erlass von Arrest und Pfändung in einem Beschluss ist möglich.

Das EuKoPfVODG beinhaltet nationale Durchführungsvorschriften, insbesondere zur Klarstellung, welche Gerichte, Behörden und Personen im Inland für den Erlass und die Durchführung des Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, für die Veranlassung und die Durchführung von Zustellungen sowie für die Entscheidung über etwaige Rechtsbehelfe zuständig sind. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit dem Zwangsvollstreckungsrecht und dem Arrestverfahren werden die Regelungen zum Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Buch 8 der ZPO im Anschluss an den Abschnitt 5 (Arrest und zur einstweilige Verfügung) eingefügt. Zudem werden Änderungen im Rechtspflegergesetz und im Kostenrecht vorgenommen.

Hinweis: Eine Erstkommentierung der §§ 946 ff. ZPO (Stand 1.12.2016) von Prof. Reinhold Geimer als Nachtrag  zur 31. Auflage 2016 des Zöller (Kommentar zur Zivilprozessordnung) finden Sie hier.

Keine Gebührenermäßigung für Vergleich bei gerichtlich vorbehaltener Kostenentscheidung

Die Beklagten schlossen in der Berufungsinstanz einen Vergleich, konnten sich aber offenbar über die Kostenverteilung nicht einig werden. Sie überließen daher die Kostenentscheidung dem Gericht, verzichteten aber auf eine Begründung der zu treffenden Entscheidung. Das Gericht erließ demgemäß einen entsprechenden Kostenbeschluss.

Nach Abschluss der Instanz wurden vom Kostenbeamten alle vorgesehenen Gebühren (in der Berufungsinstanz vier) in Rechnung gestellt. Der Kostenschuldner wollte aber nur zwei Gebühren zahlen. Bekanntlich ermäßigen sich die vier Gebühren auf zwei wenn ein Vergleich geschlossen wird, der allerdings das gesamte Verfahren erledigen muss. Dies war hier nicht der Fall, da die Kostenregelung offen blieb. Gemäß Nr. 1223 KV GKG fallen allerdings nur drei Gebühren an, wenn das gesamte Verfahren durch ein Urteil beendet wird, das wegen eines Verzichtes der Parteien nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO keine schriftliche Begründung enthält. Die Voraussetzungen des Wortlautes dieser Vorschrift waren hier ersichtlich nicht erfüllt, da kein Urteil, sondern ein Beschluss ergangen war. Der enttäuschte Kostenschuldner warf aber im Erinnerungsverfahren nach § 66 GKG die Frage auf, ob nicht eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt geboten sei.

Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.8.2016 – I-10 W 229/16) greift diese Frage auf, verneint sie aber. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Im Gesetzgebungsverfahren wurden verschiedene Fallkonstellationen von Gebührenermäßigungen erörtert. Alsdann wurde ausdrücklich von einer Ermäßigung nur ausgegangen, wenn das gesamte Verfahren durch den Ermäßigungstatbestand erledigt wird. In der hier vorliegenden Konstellation war das gesamte Verfahren gerade nicht durch den Vergleich erledigt worden. Für derartige Fälle wollte der Gesetzgeber eben keine Ermäßigung anerkennen.

Das OLG Celle (Beschl. v. 19.4.2011 – 2 W 89/11) hatte dies übrigens noch anders gesehen und eine analoge Anwendung befürwortet! Dem OLG Düsseldorf war vor kurzer Zeit das OLG Braunschweig gefolgt (Beschl. v. 2.6.2015 – 2 W 19/15). Interessant ist, dass das OLG Düsseldorf beide Entscheidungen gar nicht erwähnt.

Praxistipp: Damit bleibt hier die Erinnerung des Kostenschuldners erfolglos. Wer auf eine Gebührenermäßigung wert legt, sollte daher auf eine Gesamterledigung des Verfahrens durch einen Vergleich oder ein Urteil nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO achten und sich damit erst gar nicht auf diese Kontroverse einlassen.

Erwähnenswert ist noch ein kleiner Nebenaspekt der Entscheidung: Da sich der Kostenschuldner auch noch über in Rechnung gestellte Sachverständigenkosten beschwert hatte, sah sich das OLG Düsseldorf zu folgenden Anmerkungen veranlasst: „Soweit die Einwendungen des Kostenschuldners sich auf die Qualität der Sachverständigenleistung beziehen, hat diese auf die Höhe der zu gewährenden Vergütung keinen Einfluss. Der vom Gericht bestellte Sachverständige handelt nicht im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags. Seine Vergütung bezieht sich nicht auf das Werk des Sachverständigen, sondern auf seine Tätigkeit als Gehilfe des Gerichts, die er in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht erbringt (…). Deshalb sind sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens kein Maßstab für die Höhe der dem Sachverständigen zu gewährenden Vergütung; es kommt lediglich darauf an, dass diese Leistung überhaupt erbracht wurde, nicht etwa auch darauf, wie das Gericht oder die Parteien das Gutachten inhaltlich beurteilen (…).“ Kann man das schöner sagen?

 

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Reichweite der Kondiktionssperre bei Steuerverkürzung
Urteil vom 14. Dezember 2016 – IV ZR 7/15

Mit der Frage, in welchem Umfang den Parteien eines wegen versuchter Steuerverkürzung nichtigen Vertrags Bereicherungsansprüche zustehen können, befasst sich der IV. Zivilsenat.

Der Kläger hatte im März 2008 zum Zweck der Steuerersparnis Beteiligungen an mehreren vom Beklagten gegründeten Kommanditgesellschaften erworben. Weil der Kläger die aus dem Erwerb resultierenden steuerlichen Vorteile bereits für das Jahr 2007 geltend machen wollte, wurde der Vertrag auf dieses Jahr rückdatiert. In einem ergänzenden, ebenfalls rückdatierten Vertrag wurde vereinbart, dass der Beklagte dem Kläger ein Darlehen in Höhe des Kaufpreises gewähre, das bis Ende März 2008 zurückzuzahlen sei. Nachdem die Kommanditgesellschaften einige Zeit später in Insolvenz gefallen waren, verlangte der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung der auf den Darlehensvertrag erbrachten Zahlungen. Seine Klage blieb in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt die Auffassung des OLG, dass die geschlossenen Verträge nach § 134 BGB nichtig sind, weil die Rückdatierung dem gesetzeswidrigen Zweck diente, einen Beteiligungserwerb bereits im Jahr 2007 vorzutäuschen, und der Kläger die Verträge ohne diese Abrede nicht geschlossen hätte. Entgegen der Auffassung des OLG steht dies einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags jedoch nicht vollständig entgegen. Gemäß § 817 Satz 2 BGB ist eine Rückforderung zwar ausgeschlossen, wenn der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Dieses Rückforderungsverbot bezieht sich aber grundsätzlich nur auf diejenigen Leistungen, die aus den vom Gesetz missbilligten Vorgängen geschuldet sind. Dies wäre im Streitfall nur ein (zusätzliches) Entgelt gerade dafür, dass die Verträge rückdatiert wurden, nicht aber der gesamte als Darlehen ausgewiesene und der Sache nach als Kaufpreis fungierende Betrag. Die weiterreichende Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zu Verstößen gegen das Verbot der Schwarzarbeit beruht auf den Besonderheiten des betreffenden Gesetzes und kann nicht ohne weiteres auf andere Gesetzesverstöße übertragen werden.

Praxistipp: Auch wenn § 817 Satz 2 BGB nicht entgegensteht, bleibt ein auf § 134 BGB gestütztes Rückforderungsbegehren ein zweischneidiges Schwert. Zumindest der Steuerschuldner setzt sich mit der Offenlegung des steuerlichen Verstoßes der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus.

Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens bei Nichtzahlung des Auslagenvorschusses
Beschluss vom 14. Dezember 2016 – VII ZB 29/16

Der VII. Zivilsenat ergänzt die Rechtsprechung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen sind.

Das AG hatte antragsgemäß die Einholung eines Gutachtens im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet. Die Antragstellerin zahlte den festgesetzten Auslagenvorschuss nicht ein. Das AG stellte nach vorheriger Ankündigung fest, dass das Beweisverfahren beendet sei. Ein vom Gegner gestellter Antrag, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, hatte in der Beschwerdeinstanz Erfolg.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach im selbständigen Beweisverfahren ausnahmsweise eine Kostenentscheidung zu ergehen hat, wenn der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen oder für erledigt erklärt hat und ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig ist. Dieselbe Rechtsfolge hat in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch dann einzutreten, wenn der Antragsteller den angeforderten Auslagenvorschuss trotz Erinnerung nicht einzahlt und eine Beweiserhebung deshalb unterbleibt. Ein solches Verhalten kann zwar nicht ohne weiteres als konkludente Antragsrücknahme angesehen werden. Die Interessenlage ist aber vergleichbar. Ob der Antragsteller finanziell in der Lage war, den Vorschuss zu erbringen, ist hierbei grundsätzlich unerheblich.

Praxistipp: Wenn Zweifel bestehen, ob der Antragsteller einen angeforderten Vorschuss aufbringen kann, sollte schon vor Antragstellung geklärt werden, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

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Alles Gute im neuen Jahr!

Zum Jahreswechsel hält sich der Umfang der Montagspost in überschaubaren Grenzen. Dies gibt mir Gelegenheit, allen Lesern des Montagsblogs alles Gute für das Jahr 2017 zu wünschen.

Gefälligkeitsverhältnis und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14

Einen tragischen Unfall hatte der III. Zivilsenat kurz vor Ende des alten Jahres zu beurteilen.

Der Beklagte hatte auf Bitte der Nießbrauchsberechtigten eine an einem Wohnhaus angebrachte Außenleuchte sowie die Anschlussleitung bis zur nächsten Verteilung ausgewechselt. Ein halbes Jahr später erlitt der Kläger, dessen Arbeitgeber vom Eigentümer des Anwesens mit Putzarbeiten beauftragt worden war, beim Berühren der Leuchte einen Stromschlag, der zu einem irreparablen Hirnschaden führte. Als Unfallursache wurde ein vom Inneren des Gebäudes in die Wand geschlagener Nagel ermittelt. Dieser hatte die Zuleitung zu der Verteilung beschädigt, an die der Beklagte die Leuchte angeschlossen hatte. Der Schadensersatzklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG erklärte den Anspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt.

BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er legt ausführlich dar, unter welchen Voraussetzungen die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags zu bejahen ist: Leistungsnähe, Einbeziehungsinteresse, Erkennbarkeit, Zumutbarkeit, Schutzbedürfnis. Anders als das OLG hält er im Streitfall ein erkennbares Einbeziehungsinteresse für nicht gegeben – insbesondere deshalb, weil die Vertragspartnerin des Beklagten (die Nießbrauchsberechtigte) keine vertraglichen Schutzpflichten gegenüber dem (vom Eigentümer beauftragten) Arbeitgeber des Klägers trafen. Für die nach Zurückverweisung noch zu klärende Frage, ob der Beklagte aus § 823 BGB haftet, weist der BGH vorsorglich darauf hin, dass die Beweislast hinsichtlich der Frage, ob die Zuleitung bei Auswechseln der Leuchte bereits beschädigt war, beim Kläger liegt.

Praxistipp: Bei Ansprüchen wegen Gesundheits- oder Eigentumsverletzung gegen die unmittelbar handelnde Person ist die Frage, ob der Geschädigte in den Schutzbereich eines Vertrags einbezogen war, in der Regel müßig, weil sich die Haftung aus § 823 BGB in Voraussetzungen und Folgen nicht nennenswert unterscheidet. Anderes gilt, wenn es um reine Vermögensschäden oder um die Haftung für Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB geht.