BGH: Unerlaubter Werbeanruf (B2B) steht nicht einem Vertragsschluss (oder einer Forderung hieraus) entgegen

Der BGH hatte sich in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Urteil vom 21. 4. 2016 – I ZR 276/14 – Lebens-Kost) mit einem Fall von Telefonwerbung und einem nachfolgenden Vertragsschluss auseinanderzusetzen. Ein Unternehmer wurde von einem anderen Unternehmer telefonisch kontaktiert. In einem ersten Telefonat willigte der Angerufene ein, nochmals kontaktiert zu werden, in einem Folgegespräch wurde dann ein Vertrag geschlossen. Gegen den Zahlungsanspruch aus dem Vertrag wandte der Angerufene nunmehr ein, unzulässigerweise telefonisch belästigt worden zu sein.

Das Landgericht Bonn (LG Bonn Urteil vom 05.08.2014 Az.: 8 S 46/14) hat in der Vorinstanz lehrbuchmäßig die diversen Einwendungen des Angerufenen geprüft und abgelehnt (§ 138 BGB, § 134 BGB, § 142 BGB), dann aber einen aufrechenbaren Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG angenommen (unerlaubte Handlung in Form des Werbeanrufs), deren kausaler Schaden die nun geltend gemachte Forderung aus dem geschlossenen Vertrag sei. Wenn auch eine Kausalität eindeutig vorliegt (ohne Anruf kein Vertrag) sind hierbei aus meiner Sicht bedeutende Prüfungspunkte des Schadensersatzanspruchs wortlos übergangen worden.

Der BGH geht zweistufig vor. Zunächst wird der erste Anruf behandelt, in dem lediglich eine Einwilligung für einen weiteren Anruf abgefragt wurde. Dieser erfolgte zwar möglicherweise unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Mangels Abschlusses eines Zahlungspflichtigen Vertrages ergab sich hieraus aber noch kein Schaden. Der zweite Anruf erfolgte nicht entgegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, da im ersten Anruf eine Einwilligung erklärt worden sei. Diese scheitere insbesondere nicht an den Umständen des ersten Anrufs, da § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nur vor Belästigungen, nicht aber vor möglichen Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit durch eine eventuelle Überrumpelungssituation schütze.

Die Zergliederung in zwei Anrufe, insbesondere die letztgenannten Ausführungen des BGH sind eigentlich obsolet. Selbst wenn hier nur ein einziger Anruf erfolgt wäre, würde § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nur vor Belästigungen, nicht jedoch vor Mängeln der Entscheidungsfreiheit schützen, sodass aus diesem Grunde bereits kein aufrechenbarer Gegenanspruch bestünde.

 

 

Für die Praxis bedeutet dies, dass es grundsätzlich bei dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ bleibt. Einmal abgeschlossene Verträge im B2B-Bereich sind grundsätzlich zu erfüllen, selbst wenn die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Telefonanrufs nicht vorliegen.

BGH: Beschwer bei Schmerzensgeld im Wege des unbezifferten Antrages

Die Klägerin verlangte von ihrer Krankenversicherung neben materiell-rechtlichem Schadensersatz u. a. Schmerzensgeld wegen einer angeblich zu Unrecht versagter Kostenübernahme. Die Klägerin hatte keinen bezifferten Antrag gestellt, sondern im Klageantrag nur ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt (vgl. § 92 Abs. Nr. 2 ZPO). In der Klagebegründung ließ sie allerdings ausführen, dass dabei ein Betrag in Höhe von 3.000 € nicht unterschritten werden sollte. Nachdem die Klage insgesamt abgewiesen und die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wurde, versuchte die Klägerin die Zulässigkeit der Revision herbeizuführen, indem sie eine Beschwer von über 20.000 € begründen wollte, und zwar durch „Aufblasen“ des abgewiesenen Schmerzensgeldes. Dieser Versuch war beim BGH (Beschl. v. 24.3.2016 – III ZR 52/15) erfolglos.

Die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwer ist zunächst einmal formell zu bestimmen, nämlich in Gestalt der Differenz zwischen Antrag und Entscheidung. Bei einem unbezifferten Antrag auf Schmerzensgeld ist für die Beschwer des Rechtsmittelklägers die von ihm geäußerte Größenvorstellung maßgeblich. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO soll die Klageschrift die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes enthalten, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht. Der demgemäß bei derartigen Streitigkeiten anzugebende Mindestbetrag muss nicht im Klageantrag selbst angegeben werden, sondern kann im Rahmen der Begründung des Anspruchs angeführt werden. Eine Beschwer besteht dann nur, wenn dieser Antrag unterschritten wurde. Bei – wie hier – vollständiger Klageabweisung liegt eine Beschwer nur hinsichtlich des mitgeteilten Mindestbetrages vor. Eine Beschwer von über 3.000 € lässt sich daher hier nicht begründen.

Allerdings hatte die Klägerin selbst in einem Schriftsatz an das Berufungsgericht, nachdem dieses eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO angekündigt hatte, ihre Schmerzensgeldforderung auf 8.000 € erhöht. Da die Klägerin selbst vor dem Berufungsgericht jedoch nicht postulationsfähig war, war dieser Schriftsatz unbeachtlich. Allerdings hatte ihr Rechtsanwalt in einem folgenden Schriftsatz um Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin gebeten. Dies ist aber nicht ausreichend, da er sich jedenfalls den Antrag nicht ausdrücklich zu Eigen gemacht hat. Alles in allem fehlte es vorliegend jedenfalls an einer grundsätzlich denkbaren Klageerweiterung in der Berufungsinstanz. Es blieb daher bei der Beschwer von 3.000 €.

Fazit: Wer sich die Möglichkeit einer Revision erhalten will und das Kostenrisiko nicht scheut, sollte – spätestens in der Berufungsinstanz – direkt einen bezifferten Antrag in ausreichender Höhe stellen oder jedenfalls eine Größenordnung angeben, die ausreichend „Luft“ hat. Nach Erlass des Berufungsurteils lässt sich die erforderliche Beschwer nicht mehr „aufblasen“.

BGH: Für Auf-Dach-Photovoltaikanlagen kann 5-jährige Mängelverjährungsfrist anwendbar sein

In einer aktuellen Entscheidung hatte der BGH zu prüfen, welche Verjährungsfrist für eine auf einem Dach montierte Photovoltaikanlage gilt. Der Kläger war der Ansicht, die 5-jährige Frist aus § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB käme zur Anwendung, da es sich um ein Bauwerk im Sinne der Norm handele. Der BGH bejahte dies im vorliegenden Fall:

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die lange Verjährungsfrist „bei Bauwerken“, wenn das Werk in der Errichtung oder grundlegenden Erneuerung eines Gebäudes besteht, das Werk in das Gebäude fest eingefügt wird und dem Zweck des Gebäudes dient. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Photovoltaikanlage wurde durch die Vielzahl der verbauten Komponenten so mit der Tennishalle verbunden, dass eine Trennung von dem Gebäude nur mit einem erheblichen Aufwand möglich ist. Darin liegt zugleich eine grundlegende Erneuerung der Tennishalle, die einer Neuerrichtung gleich zu achten ist. Schließlich dient die Photovoltaikanlage dem weiteren Zweck der Tennishalle, Trägerobjekt einer solchen Anlage zu sein.

Für Anlagenbetreiber sollte dies aber keine übereilte Freude auslösen. Der Kläger hatte in dem Verfahren vor dem BGH ausweislich der Pressemitteilung detailliert die umfangreichen Arbeiten zur Installation der Anlage dargelegt. Tatsächlich bestand der Aufwand in mehr, als nur „Module anschrauben und Kabel einstecken„. So waren im konkreten Fall Grabungsarbeiten, und wasserdichte Verbindungen der Module mit der bestehenden Dachdeckung erforderlich. Der Pressemittelung ist zu entnehmen, darin läge zugleich eine grundlegende Erneuerung der Tennishalle, die einer Neuerrichtung gleich zu achten sei. Insbesondere für selbst montierte Module dürfte es in der Regel bei der 2-jährigen Gewährleistungsfrist bleiben.

Die verlängerten Gewährleistungsfristen müssen sowohl von Anlagenbetreibern, als auch Werkunternehmern zukünftig bei der Kalkulation berücksichtigt werden, wenn umfangreiche Installationsarbeiten in Verbindung mit der bestehenden Bausubstanz Vertragsgegenstand werden.

BGH, Urteil vom 2. Juni 2016 Az.: VII ZR 348/13 (Pressemitteilung)

KG Berlin: Fremdsprachige AGB sind unwirksam (Whatsapp-Urteil)

Das KG Berlin (Urteil vom 08.04.2016 Az.: 5 U 156/14) hatte sich in einem Rechtsstreit der Verbraucherzentrale Bundesverband mit diversen Gestaltungen des Messengerdienstes Whatsapp auseinanderzusetzen. Neben mangelnden Kontaktmöglichkeiten („Impressumspflicht“) hat sich das KG insbesondere auch mit der Frage auseinandergesetzt, welche Rechtsfolgen fremdsprachige AGB haben können. Das Gericht hat sich gem. § 32 ZPO für zuständig gehalten, wenn auch die Beklagte in Kalifornien ansässig ist.

Weiter geht das Gericht, mit der ganz herrschenden Meinung, davon aus, dass fremdsprachige AGB gegenüber mangels Transparenz gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sind. Dies gilt aber nur deshalb, weil sich die restliche Internetpräsenz erkennbar an deutsche Interessenten und Nutzer richtet. So ist diese in deutscher Sprache gehalten und verwendet auch Beispieltelefonnummern, die mit der deutschen Länderkennung +49 beginnen. Insbesondere seien die Formulierungen jenseits der Grenze des „Alltagsenglisch“ einzuordnen und damit für den durchschnittlichen Verbraucher nicht verständlich.

In der Praxis bedeutet dies für alle Unternehmen, die sich an deutsche Verbraucher richten, dass auch deutschsprachige AGB vorgehalten werden müssen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohen einerseits wettbewerbsrechtliche Maßnahmen durch Wettbewerber oder Verbände, andererseits aber auch Probleme im Rahmen des Vertragsschlusses. Im Rahmen des Vertragsschlusses dürften englischsprachige AGB bereits an der Einbeziehung gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB scheitern (so z.B. AG Köln, Urt. v. 24.09.2012, Az.: 114 C 22/12 zur Frage der Einschränkung der Stornierbarkeit von Flugtickets).

Mitteilung MDR

Entscheidung im Volltext KG Berlin Urteil vom 08.04.2016 Az.: 5 U 156/14

BGH: Fristwahrung durch zu knappe Klageschrift?

Der Kläger war Opfer einer rechtswidrigen Durchsuchung geworden. Die von ihm beantragte Entschädigung hatte die Justizverwaltung im Wesentlichen abgelehnt. Die dreimonatige Klagefrist (§ 13 Abs. 1 S. 2 StrEG) wollte der Kläger durch folgende Klageschrift wahren, der keine Anlagen beigefügt waren: „Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.280,27 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 7.2.2014 an den Kläger zu bezahlen. – Begründung: Der Vorgang wird bei der Beklagten unter dem Aktenzeichen II B 5 – 4220/E/28/2013 geführt. Eine Begründung des Antrags wird in Kürze in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen.“ Später wurde diese „Klageschrift“ nach Fristablauf ergänzt. Der Kläger verlor den Prozess durch alle Instanzen.

Der BGH (Urt. v. 17.3.2016 – III ZR 200/15 = MDR 2016, 541; mit Besprechung Conrad MDR 2016, 572) nutzt diesen Fall, um ausführlich über die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 ZPO sowie die Bezugnahme auf Schriftstücke zu referieren. Erforderlich ist nach dem Gesetzeswortlaut die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs. Dafür ist Schlüssigkeit und Substantiierung nicht erforderlich, vielmehr ist es ausreichend, wenn der Anspruch identifizierbar ist. Grundsätzlich kann diese Indentifizierbarkeit auch durch eine konkrete Bezugnahme auf Anlagen erfolgen, wobei das Gericht aber nicht dazu verpflichtet ist, umfangreiche und ungeordnete Anlagen durchzuarbeiten. Anlagen dienen nur zur Erläuterung und Konkretisierung, nicht aber der Ersetzung von Vortrag. Wenn die Anlagen dazu erforderlich sind, die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 ZPO herbeizuführen, müssen sie von einem Rechtsanwalt stammen, auf Schreiben der Partei selbst darf nicht Bezug genommen werden. Wendet man diese Maßstäbe auf die hier vorliegende Klageschrift an, so ergibt sich, dass sie den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO nicht entspricht. Die Klageschrift enthält keinerlei Ausführungen, woraus sich ein Anspruch auf Zahlung von 33.280,27 € ergeben soll. Die Bezugnahme in der Klageschrift enthält keine Bezugnahme auf konkrete Urkunden, sondern nur einen allgemeinen Bezug auf eine Akte. Dies ist nicht ausreichend, zumal die Akte – oder wenigstens Auszüge daraus – auch nicht beigefügt waren. Damit war die Frist versäumt. Die Nachholung der Angaben entfaltet keine Rückwirkung.

Oftmals gilt der Satz: „Hier wäre weniger mehr gewesen.“ Im hiesigen Fall verhält es sich anders: Hier wäre „mehr“ unbedingt erforderlich gewesen. Im Zeitalter des „Bearbeiten-Kopieren-Einfügens“ dürfte es eigentlich keine Probleme bereiten, eine den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechende Klageschrift vorzulegen, mitunter kann auch ein Scanner helfen. In einer Klageschrift, die zur Fristwahrung erforderlich ist, ist grundsätzlich Vorsicht bei Bezugnahmen angebracht, da eine Heilung wegen der zu wahrenden Frist nicht möglich ist.

 

 

 

Vereinheitlichung der Beschwerdefrist in Kostenfestsetzungsverfahren geplant

Das BMJV schlägt in einem veröffentlichten Referentenentwurf die Vereinheitlichung der Beschwerdefrist in Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen auf zwei Wochen vor. Sachliche Gründe für die bisherigen unterschiedlichen Fristen bestünden nicht.

Auf das Kostenfestsetzungsverfahren einschließlich der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss statthaften Rechtsbehelfe sind nach § 464b S. 3 StPO die Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden.  Das Verfahren der sofortigen Beschwerde richtet sich wegen der lediglich entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO überwiegend nach den §§ 304 ff. StPO. Somit kommt – nach streitiger Auffassung – auch § 311 Abs. 2 StPO zur Anwendung, wonach die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde eine Woche beträgt. Andere Stimmen haben vertreten, dass die Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 ZPO von zwei Wochen vorrangig gelte. Zudem beträgt die Frist zur Erhebung der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG zwei Wochen.

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens ist einsehbar unter:

www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Gesetz_zur_effektiveren_und_praxistauglicheren_Ausgestaltung_des_Strafverfahrens.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Verfassungswidrige Erhebung einer Gerichtsgebühr für Anhörungsrüge

Sieht eine Verfassungsordnung die Kostenfreiheit des Verfahrens vor, stellt sich die Frage, ob die Kostenfreiheit auch das Anhörungsrügeverfahren erfasst. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 02.05.2016 – Az.: 2 BvR 1267/15 – die Frage für das Verfahren auf Prüfung der Rehabilitierung nach dem StrRehaG bejaht.

Nr. 3920 KV GKG sieht für die Anhörungsrüge in strafgerichtlichen Verfahren eine Gebühr von EUR 60,- vor. Das Verfahren nach dem StrRehaG ist dort nicht ausdrücklich genannt.  Indessen bestimmt § 14 StrRehaG klar, dass das gerichtliche Verfahren von Kosten freigehalten wird. Dies war, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, auch der Wille des Gesetzgebers.

Das BVerfG hat die gegenteilige Auffassung als unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar angesehen und die Entscheidung des OLG Rostock aufgehoben. Das OLG Rostock meinte noch, dass das Anhörungsrügeverfahren ein selbständiges Nachverfahren und nicht mehr Teil des Verfahrens nach dem StrRehaG sei.

 

Reiserecht – Prof. Dr. Ernst Führich Newsletter Mai 2016

Reiserecht – Prof. Dr. Ernst Führich Newsletter Mai 2016
23. 5. 2016
– Der kostenlose, neutrale und kompetente Newsletter
zum gesamten Recht im Tourismus –

Ausgabe 5/2016

Nummer 178 17. Jahrgang
Deutsche Bibliothek: ISSN 2190-863X

Liebe Leserinnen und Leser,
am 1. 4. 2016 trat das neue Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) in Kraft, das der Umsetzung der EU-Richtlinie über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (2013/11 / EU) dient. Damit muss ich auch die Branche der Reiseveranstalter mit der außergerichtlichen Schlichtung befassen. Für den Bahn- und Luftverkehrs
existiert nach § 37 Eisenbahnverkehrsordnung bzw. § 57 LuftVG bereits eine Schlichtung durch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin (vgl. Führich, Neues Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr, MDR 2013, 749 auf meiner Website www.reiserecht-fuehrich.de). Weitere bekannte Schlichtungsstellen sind der
Ombudsmann in der Versicherungswirtschaft und die Schlichtungsstelle Energie.

Richtet die Tourismusbranche kein eigenes privates Schlichtungsverfahren ein oder schließt sich nicht einer bestehenden Schlichtungsstelle an, droht ersatzweise grundsätzlich eine behördliche Verbraucherschlichtungsstelle der Bundesländer. Die Branchenverbände des Tourismus sollten also tätig werden!

Ich wünsche Ihnen sonnige Tage und grüße Sie aus dem regnerischen Allgäu bis zum nächsten Newsletter im Juni.
Ihr
Ernst Führich

### Inhalt des Newsletters #########################

+ News
– Führich, Die neue Pauschalreiserichtlinie, NJW 2016, 1204
– Krohe, Besprechung Führich, Basiswissen Reiserecht, 3. Aufl. 2015

+ Reisevertrag
– OLG Frankfurt a.M., 17.11.2015: Örtliche Zuständigkeit
– LG Baden-Baden, 17.11.2015: Begriff des Reiseveranstalters

+ Luftverkehrsrecht
– EuGH, 17.3.2016: Nationale Durchsetzungsstelle
– BGH, 25.02.2016: Außergerichtliche Anwaltskosten
– LG Bremen, 5.6.2015: Gerichtsstand Zielflughafen
– LG Darmstadt, 19.8.2015: Wetterbedingungen
– LG Landshut, 18.5.2015: Bestätigte Buchung
– AG Hannover, Vorlagebeschl. 23.10.2015
– AG Rüsselsheim, 11.4.2015: Medizinischer Notfall
– AG Düsseldorf, 28.9.2015: Maßgebliche Entfernung

+ Reiseversicherungsrecht
– LG Hamburg, 16.10.2015: Unverzügliche Stornierung
– OLG Hamm, 29.4.2015: Medizinisch erforderlicher Rücktransport

+ Neue Literatur im Reiserecht

+ Reiserecht literarisch

Eine Reise ist wie eine Ehe: Die sicherste Art zu scheitern ist zu glauben, man habe sie fest im Griff.

John Steinbeck

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Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Zulässigkeit einer Stufenklage
Urteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 143/15

Mit dem für eine Stufenklage erforderlichen Zusammenhang zwischen der begehrten Auskunft und dem Leistungsanspruch befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Ein Mieter, dessen Wohnung veräußert worden war, nahm den Veräußerer wegen Verletzung eines Vorkaufsrechts im Wege der Stufenklage auf Auskunft über den Inhalt des Kaufvertrags und auf Zahlung der Differenz zwischen dem erzielten Kaufpreis und dem Verkehrswert in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich u.a. mit dem Argument, das Begehren könne nicht mittels Stufenklage geltend gemacht werden, weil die begehrten Auskünfte nur Aufschluss über den Kaufpreis, nicht aber über den Verkehrswert gäben und deshalb nicht ausreichten, um den Zahlungsanspruch zu beziffern.

Der BGH lässt dieses Argument nicht gelten. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach eine Stufenklage nur dann zulässig ist, wenn die begehrte Auskunft dazu dient, den Leistungsanspruch zu bestimmen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall indes erfüllt. Der Kläger benötigt Informationen über die Höhe des Kaufpreises, um seinen Ersatzanspruch beziffern zu können. Dass diese Informationen für sich gesehen nicht ausreichen, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

Praxistipp: Wenn es an dem erforderlichen Zusammenhang fehlt, ist die Klage auf Auskunft dennoch zulässig. Den noch nicht bezifferbaren Leistungsanspruch kann der Kläger dann aber nur mit einem Feststellungsantrag geltend machen. Über diese beiden Anträge muss das Gericht – anders als bei einer zulässigen Stufenklage – gemeinsam entscheiden.

Personenverschiedenheit im Mietverhältnis
Urteil vom 27. April 2016 – VIII ZR 323/14

Ebenfalls um die Folgen eines Vorkaufsrechts geht es in einem anderen Urteil des VIII. Zivilsenats.

Das beklagte Ehepaar war Mieter einer Wohnung im Dachgeschoss eines Dreifamilienhauses. Nach dem Mietvertrag durfte es den Garten mitbenutzen. Bei der späteren Aufteilung des Anwesens in Wohnungseigentum wurde zugunsten des Eigentümers der Wohnung im Erdgeschoss ein Sondernutzungsrecht an diesem Garten begründet. Der Kläger, der diese Wohnung erwarb, gestattete die weitere Nutzung des Gartens durch die Beklagten für die Dauer des bestehenden Mietverhältnisses. Später erwarb der beklagte Ehemann die Wohnung im Dachgeschoss. Nunmehr verlangte der Kläger die Herausgabe des Gartens. AG und LG verurteilten beide Beklagten antragsgemäß.

Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Der frühere Mietvertrag über die Dachgeschosswohnung ist im Verhältnis zum Ehemann mit dem Übergang des Eigentums auf diesen durch Konfusion erloschen, weil der Eigentümer einer Sache sich diese nicht selbst als Mieter zum Gebrauch überlassen kann. Im Verhältnis zur Ehefrau ist eine Gebrauchsüberlassung zwar theoretisch möglich. Die Einräumung eines Rechts zur gemeinsamen Nutzung ist aber etwas anderes als die vom früheren Vermieter (gegenüber beiden Ehegatten) geschuldete Überlassung zum alleinigen Gebrauch. Deshalb ist der zuvor bestehende Mietvertrag auch insoweit nicht fortgesetzt worden. Mit diesem Vertrag ist auch das Recht zur Mitnutzung des Gartens entfallen.

Praxistipp: Vor dem Erwerb einer vermieteten Eigentumswohnung durch den Mieter ist sorgfältig zu prüfen, ob sich aus der Miteigentümerstellung dieselben Nutzungsbefugnisse ergeben wie aus dem Mietvertrag.

BVerfG: „Kein Auftrag“ als nichtgebührenrechtlicher Einwand (§ 11 RVG)

Das BVerfG hat durch Beschluss vom 25.04.2016 – Az.: 1 BvR 1255/14 – den Antrag eines Rechtsanwalts auf Festsetzung der Vergütung im vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG abgelehnt.

Nach § 11 Abs. 5 RVG muss die Festsetzung der Vergütung abgelehnt werden, soweit der Mandant Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Das BVerfG hat ausgeführt, dass über die Begründetheit eines solchen Einwandes ist nicht im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu entscheiden sei. Deshalb könne grundsätzlich weder eine nähere Substantiierung des Einwandes verlangt werden, noch habe das Gericht eine materiell-rechtliche Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Etwas anderes gelte ausnahmsweise nur dann, wenn der Einwand offensichtlich unbegründet sei, wenn also seine Haltlosigkeit ohne nähere Sachprüfung auf der Hand liege, substanzlos sei oder erkennbar rechtsmissbräuchlich eingesetzt werde.

Das BVerfG hat es als nichtgebührenrechtlichen Einwand bewertet, wenn eine Mandantin – wie in dem vom BVerfG entschiedenen Fall – die Erteilung eines Auftrags in Abrede gestellt. Zwar blieb unstreitig, dass die Mandantin eine Vollmacht, die ihrem Wortlaut nach auch eine Auftragserteilung enthielt, unterschrieben hatte. Jedoch trug die Mandantin vor, dass sie vor der Einlegung der Verfassungsbeschwerde darum gebeten hatte, von der Erhebung abzusehen. Dieser Vortrag genüge zur Substantiierung eines nichtgebührenrechtlichen Einwandes.