Neues Zahlungsverbot in § 15b InsO-E und Streichung des § 64 GmbHG – Positive Überraschung im Regierungsentwurf eines SanInsFoG –

Berlin erhöht die Schlagzahl bei der Modernisierung des Sanierungsrechts. Erst kürzlich hatte das BMJV den Referentenentwurf eines Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) vorgelegt. Dessen Kern besteht in der Einführung eines neuen Gesetzes zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen (StaRUG), mit welchem die EU-Richtlinie zur Restrukturierung umgesetzt werden soll (dazu Thole, ZIP 2020, 1985 ff.). Nun hat das Bundeskabinett am 14.10.2020 bereits den Regierungsentwurf des SanInsFoG verabschiedet, der mit weiteren Überraschungen aufwartet. Dazu gehört der Plan, die bislang in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen verstreuten Zahlungsverbote (§ 64 GmbHG und die Parallelregelungen in § 92 Abs. 2 AktG, § 130a Abs. 1, auch i.V.m. § 177 Satz 1 HGB, § 99 GenG) in die Insolvenzordnung zu verlagern und dabei rechtsformneutral auszugestalten. Damit wird wieder zusammengeführt, was historisch zusammengehört: die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) und die Zahlungsverbote (§ 15b InsO), welche seinerzeit durch das MoMiG voneinander getrennt wurden (vgl. zur Historie Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 1 ff.).

Doch belässt es der Entwurf nicht bei der Zusammenführung der Zahlungsverbote im neuen § 15b InsO-E. Vielmehr schreitet er mutig und kraftvoll voran und packt jene Kritikpunkte an, welche der Verfasser vor einigen Jahren formuliert hatte (Bitter in Festheft Knauth, Beilage zu ZIP 22/2016, S. 5 ff.; ausführlich jetzt auch die o.g. Kommentierung des § 64 GmbHG im Scholz).

1. Begrenzung des Haftungsumfangs durch § 15b Abs. 4 InsO-E

Seit der „Entdeckung“ des § 64 GmbHG durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH vor gut 20 Jahren gibt es bekanntlich einen Grundlagenstreit zu der Frage des Haftungsumfangs (vgl. Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 20 ff. und Rz. 99 ff.): Soll der Geschäftsführer – wie es der Wortlaut zunächst nahelegt und die h.M. demgemäß vertritt – auf den Ersatz jedes einzelnen (!) Vermögensabflusses nach Insolvenzreife, also letztlich auf den danach getätigten Umsatz haften (Einzelbetrachtung) oder sind nicht im Gegenzug auch die während der Insolvenzreife eingetretenen Vermögenszuflüsse zu berücksichtigen, sodass der Geschäftsführer nur für die insgesamt eingetretene Masseschmälerung verantwortlich ist (Gesamtbetrachtung). Mit der neuen Regelung zur Rechtsfolge in § 15b Abs. 4 InsO-E will sich der Regierungsentwurf zwar nicht endgültig zu dieser Streitfrage positionieren. Er entfernt sich aber doch einen deutlichen Schritt von der im Grundsatz von einer Einzelbetrachtung ausgehenden Rechtsprechung des BGH und nähert sich damit der Gegenansicht an, die seit jeher vor allem von Karsten Schmidt, Altmeppen und vom Verfasser vertreten wird:

Im Grundsatz soll es zwar nach § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO-E bei der bisherigen Pflicht zur Erstattung der nach Insolvenzreife getätigten Zahlungen bleiben. Sodann heißt es jedoch in Satz 2: „Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“ Damit wird der „haftungsrechtliche Kampfhund“ (Karsten Schmidt, NZG 2015, 129) nunmehr gezähmt und dabei ein Weg eingeschlagen, den der Oberste Gerichtshof Österreichs bereits vor drei Jahren in einem in Deutschland wenig beachteten Urteil beschritten hat (OGH Wien v. 26.9.2017 – 6 Ob 164/16k unter Ziff. 2.3.3. bis 2.3.5. mit Hinweis auf Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 64 Rz. 16, 63, 68 f.; dazu Trenker, JBl 2018, 434, 437 ff.). Die einzelnen Zahlungen dienen danach nur als Vermutungstatbestand für die eigentlich relevante Masseschmälerung, den Gesamtschaden der Gläubiger. Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist insoweit mit Recht auf eine frühe Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG v. 30.11.1938 – II 39/18, RGZ 159, 211, 229 f.), auf welche der Verfasser jüngst aufmerksam gemacht hatte, die ansonsten aber nur in Österreich zur Kenntnis genommen wurde (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 108).

2. Der Gegenbeweis des § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO-E als Schritt in die richtige Richtung

Die vom OGH Wien vorgezeichnete und nunmehr in § 15b Abs. 4 Sätze 1 und 2 InsO-E enthaltene Lösung ist als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen. Zwar taugen die einzelnen Zahlungen korrekterweise nicht einmal als Vermutungstatbestand für die insgesamt seit der Insolvenzreife eingetretene Masseschmälerung (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 202). Doch ist es allemal besser, dem Geschäftsführer zumindest den Gegenbeweis eines geringen Schadens zu ermöglichen als ihn stets erbarmungslos auf den Ersatz aller einzelnen Zahlungen haften zu lassen, obwohl der von ihm angerichtete Gesamtschaden der Gläubiger ggf. weit dahinter zurückbleibt. Den letzten Schritt auf dem jetzt eingeschlagenen Weg (mit einer Streichung des Vermutungstatbestandes) wird der Gesetzgeber wohl erst dann gehen wollen, wenn für die Bemessung des Gesamtverlustes ein rechtssicheres und praktikables Konzept gefunden ist (vgl. zu dem insoweit noch bestehenden Gesprächsbedarf Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 103).

3. Korrektur der BGH-Rechtsprechung zu § 64 Satz 2 GmbHG

Mit begrüßenswerter Kraft korrigiert der Regierungsentwurf in § 15b Abs. 2 und 3 InsO-E auch die vom Verfasser seit jeher kritisierte Rechtsprechung des BGH zu der bislang in § 64 Satz 2 GmbHG geregelten Sorgfaltsausnahme (dazu eingehend Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 162 ff.).

a) Änderung der sog. Notgeschäftsführung

Die vom BGH entwickelten Grundsätze sind nämlich einerseits zu weit, da auch Zahlungen im Zustand der Insolvenzverschleppung als privilegiert angesehen werden, andererseits zu eng, weil im Zustand fehlender Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz Insolvenzreife nicht nur Zahlungen zur Nachteilsabwendung im engeren Sinne (sog. Notgeschäftsführung) erlaubt sein sollten. Ein derartiger Zustand fehlender Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz Insolvenzreife besteht zum einen während der laufenden Drei- bzw. Sechs-Wochen-Frist i.S.v. § 15a Abs. 1 und 2 InsO-E, zum anderen nach der Erfüllung der Insolvenzantragspflicht im Eröffnungsverfahren (Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 170; Bitter, ZIP 2020, 685, 690 f.). In diesen Fällen sollen nun überzeugend und in Übereinstimmung mit der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG bereits enthaltenen Regelung alle Zahlungen privilegiert werden, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen.

b) Verhältnis des Zahlungsverbots zu § 266a StGB und §§ 34, 69 AO

Mit dem geplanten § 15b Abs. 2 und 3 InsO-E soll die Rechtsprechung des BGH auch insoweit korrigiert werden, als sie die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung i.S.v. § 266a StGB sowie haftungs- und bußgeldbewerte Steuerzahlungen allgemein als privilegiert angesehen hat (BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422, Rz. 12). Dafür besteht im Zeitraum einer Insolvenzverschleppung kein Anlass, weil die Pflichtenkollision zwischen dem Massesicherungsgebot und der Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in diesem Fall vom Geschäftsleiter selbst verursacht ist (Bitter, Beilage zu ZIP 22/2016, S. 5, 6 f.; Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 176 f.). Im Zustand der Insolvenzverschleppung entspricht nicht die Fortführung des Unternehmens unter Inkaufnahme weiterer Zahlungen, sondern allein die Einreichung des Eröffnungsantrags der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Die Geschäftsleiter unterliegen daher im Zeitraum der Insolvenzverschleppung sowohl dem Gebot der Massesicherung als auch den Sanktionen aus § 266a StGB und den steuerrechtlichen Haftungs- und Bußgeldvorschriften. Aus dieser selbstgeschaffenen Pflichtenkollision hat sich der Geschäftsleiter durch die Einreichung des Eröffnungsantrags zu befreien.

Für den Zeitraum nach dem Eröffnungsantrag besteht zwar eine nicht mehr durch Antragstellung auflösbare Pflichtenkollision, jedoch ebenfalls kein Anlass für eine Privilegierung nach der Ausnahme sorgfaltsgemäßen Handelns. Die Pflichtenkollision lässt sich nämlich insoweit nach der für den Drei-Wochen-Zeitraum des früheren § 64 Abs. 1 GmbHG entwickelten Rechtsprechung des BGH zu § 266a StGB dahingehend auflösen, dass das Abführungsgebot hinter der Massesicherungspflicht zurücktritt (BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307 = GmbHR 2004, 112; näher Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 177, 184). Dann erledigen sich auch die Probleme, welche uns die BGH-Rechtsprechung bei den im Eröffnungsverfahren geleisteten Steuerzahlungen bereitet hat (dazu eingehend Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020 [Stand: Oktober 2020], § 64 Rz. 181 ff. ).

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band III erscheint Anfang November 2020, Band II erscheint Anfang 2021. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die in diesem Blog vielfach zitierte topaktuelle Kommentierung von Prof. Dr. Georg Bitter zu § 64 GmbHG.

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Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes

Lesenswert für alle Mandatsträger und Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutsche Corporate Governance Kodex

Die Bundesregierung hat am 16.9.2020 die Neufassung der Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes 2020 beschlossen. Diese lösen mit Bekanntmachung durch das Bundesministerium der Finanzen vom selben Tag (VIIII B 1 – FB 0203/20/100002:003) die Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes vom 1. Juli 2009 (GMBl. 2011, 409 ff.) ab.

War der „alte“ Public Corporate Governance Kodex des Jahres 2009 nur ein schwacher Aufguss des damaligen Deutschen Corporate Governance haben sich nun 2020 die Vorzeichen verkehrt. Während sich die Regierungskommission bei ihrem „großen“ Neuaufschlag 2018/20 vorrangig in kleinteiligen Versuchen verzettelte, Corporate Germany eine bestimmte Vorstellung der Vorstandsvergütung aufzuzwingen und damit lediglich breitflächige Proteste auf Seiten vieler Unternehmen auslöste (unverändert nachlesbar https://www.dcgk.de/de/konsultationen/archiv/konsultation-2018/19.html), schreitet die Bundesregierung richtungsweisend nach vorn.

Während die Europäische Union noch de lege ferenda fragt, ob die Unternehmensleitung  bei ihren Entscheidungen neben den finanziellen Interessen der Gesellschafter auch Faktoren wie Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung oder den Klimawandel berücksichtigen sollte (https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/2020-sustainable-finance-strategy-consultation-document_en.pdf, question 46) und Studien über „directors duties and sustainable corporate governance“ in Auftrag gibt bzw. „Sustainablitiy, duty of care and due diligence“ auf die Agenda der ICLEG setzt (vgl. Jessica Schmidt, BB 2020, 1794, 1799), formuliert die Bundesregierung bereits eine klare Antwort und setzt erste Standards:

Der gesamte Abschnitt 5.5 des Public Corporate Governance Kodex 2020 handelt nämlich von nichts anderem als „nachhaltiger Unternehmensführung“. Das bemerkenswerte daran ist, dass es die Bundesregierung nicht bei einer Auflistung plakativer Schlagworte belässt, sondern weit über ein Dutzend Einzelempfehlungen ausspricht und konkrete Verpflichtungen für die Geschäftsführung formuliert.

Sie im Einzelnen nachzuzeichnen würde hier den Rahmen dieses Blogs sprengen; die Überlegungen der Bundesregierung sind aber (nicht nur insoweit) gewiss lesenswert für alle Mandatsträger in Vorstand und Aufsichtsrat, aber auch eine Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.

Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes sind im Einzelnen nachlesbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik/Beteiligungspolitik/grundsaetze-guter-unternehmens-und-aktiver-beteiligungsfuehrung.html.

COVID-19-Sonderregelungen zu Gesellschafterversammlungen und virtuellen Hauptversammlungen – Verlängerung bis Ende 2021 geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat einen Referentenentwurf für eine Verordnung veröffentlicht, nach der die bestehenden COVID-19-Erleichterungen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und (virtuellen) Hauptversammlungen bis Ende 2021 verlängert werden sollen. Im Referentenentwurf sind auch einige Hinweise enthalten, wie Gesellschaften künftig mit den Ausnahmeregelungen umgehen sollen.

Hintergrund
Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hatte der Gesetzgeber am 27. März 2020 durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I S. 569, 570) verschiedene Maßnahmen eingeführt, um Gesellschafterversammlungen und Hauptversammlungen trotz der Pandemie durchführen zu können. Sämtliche Instrumente waren dabei bis zum 31. Dezember 2020 befristet. Von hoher praktischer Relevanz waren vor allem die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen und / oder eine ordentliche Hauptversammlung bis zum Ende des Geschäftsjahres (und nicht in den ersten acht Monaten) abzuhalten sowie GmbH-Beschlüsse in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Insbesondere von der Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung haben nahezu alle Publikums-Aktiengesellschaften Gebrauch gemacht.

Erleichterungen für Hauptversammlungen auch in 2021
Der nun vorgelegte Verordnungsentwurf verlängert die bestehenden COVID-19-Sonderregelungen bis zum 31. Dezember 2021.

Das betrifft zum einen folgende Erleichterungen für die AG, die KGaA, den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) und die Europäische Gesellschaft (SE):

Möglichkeit der „virtuellen“ Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsrechten, alternativ Online-Teilnahme an der Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung, Möglichkeit einer präsenzlosen Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten, Möglichkeit der Verkürzung der Einberufungsfrist auf 21 Tage, Möglichkeit, Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn auch ohne Satzungsregelung vorzunehmen, sowie (dies nicht für die SE) Ermöglichung der Durchführung der Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres) bis zum 31. Dezember 2021.

Virtuelle Hauptversammlungen nur noch bei Erforderlichkeit aufgrund der Pandemie im Einzelfall möglich
Der Referentenentwurf begrenzt in seiner Begründung die Option der virtuellen Hauptversammlung allerdings: Unternehmen können von diesem Instrument nur „im Einzelfall“ Gebrauch machen, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens erforderlich erscheint. Ziel sei es, durch die Verlängerung für diejenigen Unternehmen Planungssicherheit zu schaffen, die ihre ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlungen in den ersten Monaten des Kalenderjahres 2021 abhalten wollen. Sollten Großveranstaltungen wieder möglich sein, seien die Gesellschaften keineswegs zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung gezwungen, sondern könnten wieder zur Präsenzversammlung zurückkehren oder hybride zweigleisige Formate wählen. Interessant ist zudem der Hinweis im Entwurf, wonach Gesellschaften auch Gelegenheiten zur entsprechenden Anpassung ihrer Satzungen oder Statute nutzen sollen. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass auch künftig zumindest Mischformen der Normalfall sein werden.

Aktionärsfreundliche Umsetzung virtueller Hauptversammlung gefordert
Einen von der Praxis als wesentlich empfundenen Vorteil der virtuellen Hauptversammlung schafft die Begründung aber faktisch ab: Die Unternehmen sollen in Bezug auf Aktionärsfragen möglichst aktionärsfreundlich verfahren. Es sollte – im Rahmen der im Einzelfall zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten – gegebenenfalls ermöglicht werden, dass Fragen auch noch während der Hauptversammlung eingereicht werden können und nicht nur – wie bislang zumeist – bis zwei Tage vor der Versammlung. Zudem solle der Vorstand das ihm zustehende pflichtgemäße und freie Ermessen dahingehend ausüben, möglichst viele der eingereichten Fragen auch zu beantworten und nicht nur ausgewählte Fragen. Letzteres entsprach allerdings sowieso der überwiegenden Praxis in 2020.

Verlängerung der Einberufungsfrist für SE noch offen
Mangels nationaler Gesetzgebungskompetenz kann die Frage, ob auch die Einberufungsfrist für Europäische Aktiengesellschaften auf zwölf Monate (SE) verlängert wird, hingegen nur auf europäischer Eben entschieden werden (siehe zur Problematik in 2020 unseren Blog-Beitrag).

Auch GmbH-Beschlussfassungen in Textform weiterhin möglich

Der Verordnungsentwurf sieht zudem eine Verlängerung der Möglichkeit vor, abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG, Beschlüsse der GmbH-Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Daneben sollen auch die bestehenden Erleichterungen im Recht der Genossenschaften sowie im Vereins- und Stiftungsrecht verlängert werden.

Längere Frist für Stichtagsbilanz bei Verschmelzungen / Spaltungen
Ebenfalls bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden soll die derzeitige Sonderregelung für Verschmelzungen und Spaltungen, wonach es abweichend von § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG für die Zulässigkeit der Handelsregistereintragung genügt, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.

Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch zu Änderungen kommt. Der Referentenentwurf ist noch nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und erste Kritik an den aktienrechtlichen Vorschriften von Fraktionen bereits vernehmbar. Länder und Verbände können bis zum 25. September 2020 Stellung nehmen. Auch wenn es zu keinen weiteren Anpassungen mehr kommen sollte, ist zu erwarten, dass Aktionärsschützer und Stimmrechtsberater auf eine aktionärsfreundliche Umsetzung der Sonderregelungen im Jahr 2021 drängen werden. Dies gilt umso mehr, als im regulierten Markt notierte Gesellschaften erstmals über das Vergütungssystem für den Vorstand und damit eine wesentliche Neuerung durch das ARUG II abstimmen müssen. Gesellschaften sollten daher in jedem Fall das Erfordernis einer virtuellen Hauptversammlung sorgfältig abwägen und frühzeitig nach technischen Möglichkeiten einer aktionärsfreundlichen Umsetzung Ausschau halten. Die geplante Verlängerung der bestehenden Erleichterungen im GmbH- und Umwandungsrecht ist ausdrücklich zu begrüßen.

Weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG, aber nur für die Überschuldung – Ein politischer Kompromiss mit enormen Fallstricken

Die Insolvenzantragspflicht für haftungsbeschränkte Gesellschaften aus § 15a InsO ist derzeit in vielen Fällen gemäß § 1 COVInsAG bis zum 30.9.2020 ausgesetzt (dazu ausführlich Bitter, GmbHR 2020, 797 ff. und GmbHR 2020, 861 ff.). Lange war spekuliert und auch diskutiert worden, ob wohl das Ministerium von der in § 4 COVInsAG enthaltenen Möglichkeit, den Aussetzungszeitraum per Rechtsverordnung bis zum 31.3.2021 zu verlängern, Gebrauch machen würde.

Mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 zeichnet sich nun eine ganz andere Lösung ab: Die Verlängerung der Aussetzung soll per Gesetz erfolgen, allerdings zeitlich bis zum 31.12.2020 befristet und sachlich auf den Insolvenzgrund der Überschuldung beschränkt. Wörtlich heißt es in den Beschlüssen: „Die Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung wird bis zum 31.12.2020 weiterhin ausgesetzt.“ Eine weitere Option zur Verlängerung per Rechtsverordnung ist offenbar nicht geplant.

Mit der sachlichen Beschränkung auf den Tatbestand der Überschuldung werden Ideen aufgegriffen, die auf dem 16. Mannheimer Insolvenzrechtstag am 23.6.2020 von Seiten der Praxis entwickelt wurden (vgl. den Veranstaltungsbericht im INDat-Report 06_2020, S. 60 ff.). Doch die Verkürzung auf das Jahresende ist sehr bedauerlich, weil damit der von der Praxis geforderte nahtlose Übergang zu den neuen Sanierungsinstrumenten, die in Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie geschaffen werden, nicht gesichert ist. Es ist also zu befürchten, dass nun die Insolvenzwelle spätestens zum 1.1.2021 kommt.

Die Geschäftsführungen haftungsbeschränkter Gesellschaften (insbesondere der GmbH) müssen sich jedenfalls auf die neue Sachlage einstellen: Wer zum 1.10.2020 zahlungsunfähig i.S.v. § 17 InsO ist, profitiert nicht weiter von der Aussetzung der Antragspflicht. Zudem ergibt sich aus der Vermutungsregelung des § 1 COVInsAG eine Vorwirkung, die schon jetzt zum Antrag zwingen kann: Die Antragspflicht ist nach jener Vorschrift nicht voraussetzungslos ausgesetzt, sondern die Aussetzung entfällt nach Satz 2, wenn keine Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 799 ff.). Die zeitliche Dimension dieser „Aussichten“ beschränkt sich nach h.M. auf den Aussetzungszeitraum, bis zu dessen Ende die Liquiditätslücke geschlossen werden muss (Thole, ZIP 2020, 650, 653; Born, NZG 2020, 521, 523). Eine weitere Ausdehnung auf die Zeit nach Ablauf des Aussetzungszeitraums macht nämlich wenig Sinn, weil dann wieder die Antragspflicht eingreift (vgl. Bitter, ZIP 2020, 685, 690; im Ergebnis auch Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1 unter Ziff. III 3 b bb).

Genau hier wirkt sich nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 aus. Während vor diesem Beschluss oft darauf hingewiesen wurde, an die Stelle des 30.9.2020 trete bei einer Verlängerung der 31.3.2021 und je wahrscheinlicher eine Verlängerung bis zum 31.3.2021 werde, umso eher gehe es um „Aussichten“ bis zu jenem Datum (Bitter, GmbHR 2020, 797, 802, Rz. 21 m.w.N.), hat sich diese Einschätzung nun erledigt. Der Verlängerungszeitraum ist verkürzt und gilt zudem nur für die Überschuldung i.S.v. § 19 InsO. Damit muss eine Zahlungsunfähigkeit bis zum 30.9.2020 beseitigt sein, weshalb sich nun auch die „Aussichten“ i.S.v. § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG auf diesen Endpunkt beschränken. Daraus folgt: Wer jetzt schon nicht mehr die Aussichten hat, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit bis Ende September beseitigen zu können, darf nicht bis zum 1.10.2020 mit dem Insolvenzantrag warten. Er verliert vielmehr sofort die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Satz 2 Alt. 2 COVInsAG und muss folglich jetzt Insolvenzantrag stellen.

Selbst wenn aber nach dem großzügigen Maßstab jener Regelung (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 801 f., Rz. 16 ff.) derzeit noch von entsprechenden Aussichten auszugehen ist, greift jedenfalls ab dem 1.10.2020 die Regelung des § 17 InsO wieder mit voller Schärfe der außerhalb der Corona-Krise anerkannten Grundsätze ein (dazu ausführlich Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 6 ff.).

Unklar ist dabei, ob mit dem Ende des Aussetzungszeitraums und dem grundsätzlichen Wiedereinsetzen der Insolvenzantragspflicht die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO erneut zu laufen beginnt oder nicht (dazu Bitter, GmbHR 2020, 797, 803, Rz. 24). Nach der bisherigen Fassung des COVInsAG wäre es im Regelfall nicht auf diesen Streitpunkt angekommen, weil die Drei-Wochen-Frist ohnehin keine Antragsfrist, sondern eine Höchstfrist für letzte Sanierungsbemühungen ist. Ist es während des Aussetzungszeitraums nicht gelungen, das Unternehmen finanziell zu stabilisieren, so dürften in aller Regel auch die weiteren drei Wochen dazu nicht ausreichen, sodass der Antrag direkt zum Ende des Aussetzungszeitraums zu stellen ist (Schülke, DStR 2020, 929, 933; Born, NZG 2020, 521, 522).

Wird nun der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.8.2020 wie geplant umgesetzt, könnte der Streitpunkt doch relevanter werden als bisher gedacht, weil dann zum 1.10.2020 nur die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) wieder in Kraft tritt, nicht aber jene wegen Überschuldung (§ 19 InsO). Deshalb müsste nur die kurzfristige Zahlungsfähigkeit innerhalb der (ggf. zusätzlichen) drei Wochen wiederhergestellt werden, nicht aber die längerfristige, auf die es im Rahmen der Fortführungsprognose i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ankommt (vgl. zu den deutlich unterschiedlichen zeitlichen Horizonten der Betrachtung bei § 17 und § 19 InsO Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25 einerseits, Rz. 57 f. andererseits). Diese kurzfristige Zahlungsfähigkeit lässt sich in der Praxis wohl einfacher darstellen als die längerfristige, weshalb insoweit die Drei-Wochen-Frist eher ausreichen könnte.

Doch sollte man sich auf zusätzliche drei Wochen nicht verlassen. Bislang ist nämlich nicht einmal geklärt, ob die vom BGH bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu Grunde gelegte Drei-Wochen-Frist zur Frist des § 15a Abs. 1 InsO hinzukommt oder sie mit dieser identisch ist (vgl. die Nachweise bei Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 25). Schon angesichts dieser Unsicherheiten sollte man sich als Geschäftsführer im Zweifel auf die strengere Sichtweise einstellen, will man sich nicht der Strafbarkeit und der Haftung wegen Insolvenzverschleppung aussetzen (dazu in Kürze eingehend die Kommentierung des § 64 GmbHG von Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020). Das bedeutet im Ergebnis: Die Zahlungsfähigkeit ist auf den 1.10.2020 zu bestimmen. Fehlt sie nach den Maßstäben von BGHZ 163, 134 an diesem Tag, ist spätestens dann Insolvenzantrag zu stellen!

Weiterhin ist das zeitnahe Auslaufen der kompletten Aussetzung zum Jahresende 2020 schon jetzt in den Blick zu nehmen. Da der Überschuldungstatbestand des § 19 InsO ab dem 1.1.2021 nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen ist und insoweit oft die Fortführungsprognose entscheidet (dazu Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 Rz. 51 ff.), ist mit deren Erstellung schon rechtzeitig vor dem Jahresende zu beginnen. Auf die insolvenzberatenden Kanzleien und Wirtschaftsprüfer kommt also in den kommenden Monaten viel Arbeit zu. Dass dieser Aufwand zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist, mag man bezweifeln, zumal viele Prognosen immer noch auf wackligen Füßen stehen werden. Doch die Koalition hat so entschieden – ein politischer Kompromiss, kein sachlich berechtigter.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden noch in 2020 erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Vorstandsvergütung – ein heißes Eisen in der Corporate Governance Diskussion

Wie werden Vorstände angemessen bezahlt? Wie hoch soll die Vergütung sein? Wie sieht die richtige Incentivierung des Vorstands aus? Auf welche KPI‘s soll die Vergütung ausgerichtet sein? Ist sie transparent genug und nachvollziehbar und wie steht es um die gesellschaftliche Verträglichkeit? Das ist nur ein Teil der relevanten Fragestellungen. Die Diskussion ist – ganz ehrlich – praktisch nicht mehr zu überschauen. Politik, Aufsichtsräte, Vorstände, Verbände, Investoren, die Beraterindustrie – alle ringen miteinander. Keine gute Situation! Das Grundübel: Es fehlt ein allgemein anerkannter Maßstab für die Angemessenheit. Fast jeder Diskutant hat seinen eigenen Maßstab, seine eigene Wahrheit.

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Werfen wir zunächst einen Blick auf einige exemplarische Fakten. Im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht die Vergütung der Vorstandsmitglieder im DAX 30. Hiervon gibt es etwa 200, der Verfasser gehörte etwa 8 Jahre zu diesem Kreis. Das durchschnittliche Vorstandsgehalt lag 2018 bei 3,5 Mio. Euro p.a. (vgl. Reuters, Wirtschaftsnachrichten vom 11.6.2019). Die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden lagen deutlich höher, 2018 durchschnittlich bei 7,5 Mio Euro, Spitzengehälter bei etwa 10 Mio Euro. (Statistica: Gesamtvergütung der Vorstandsvorsitzenden im DAX – Bezugsjahr 2018). Das ist viel Geld und dessen müssen sich alle Beteiligten – einschließlich der Vorstände – bewusst sein. Die Vorstandsvergütung besteht zumeist aus drei Komponenten, einem Fixum, einer kurzfristigen variablen Komponente (Betrachtungshorizont 1 Jahr) und einer langfristigen variablen Komponente (Betrachtungszeitraum 3 – 4 Jahre).

Die Festlegung der Vorstandsvergütung fällt in die Zuständigkeit und Verantwortung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats. Die Hauptversammlung beschließt – für den Aufsichtsrat rechtlich nicht verbindlich – das System der Vorstandsvergütung und kann die vom Aufsichtsrat beschlossene Vergütung rechtsverbindlich herab – nicht aber heraufsetzen; eine durch das ARUG II neu eingeführte Regelung, die eine Merkwürdigkeit im europäischen Rechtssystem ist (Welches Aktionärsbild liegt dem eigentlich zugrunde?).

Die Vorstandsvergütung hat mehrere Ziele. So soll die Leistung des Vorstands bezahlt werden (pay for performance). Die Vorstandsvergütung soll auch Anreize zur Erreichung definierter kurzfristiger und langfristiger Unternehmensziele setzen (Incentivewirkung) und sie soll in das gesellschaftliche Umfeld passen (gesellschaftliche Akzeptanz).

Um diese Ziele zu erreichen, hat der Deutsche Corporate Governance Kodex („Kodex“) Empfehlungen zur Gestaltung einer angemessenen Vorstandsvergütung abgegeben – in allen seinen 15 Fassungen seit dem ersten Kodex in 2002. Der Kodex beinhaltet eine Selbstregulierung der deutschen Wirtschaft. Die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung richten sich an den Aufsichtsrat. Sie sind nicht bindend, haben die Diskussion aber wesentlich mitgestaltet. Die Empfehlungen betreffen u.a. Kriterien für die Angemessenheit, die individualisierte Offenlegung der Vergütung (Transparenz), Höchstgrenzen für die variablen Vergütungskomponenten, die Begrenzung von Abfindungen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Vorstand. Auslöser für die Fortentwicklung waren und sind vielfach Fehlentwicklungen in der Praxis durch extrem hohe Vergütungen, Boni, Aktienoptionen die u.a. mit den Fällen Deutsche Bank, Porsche und Volkswagen verbunden werden.

Nicht ganz überraschend haben Politik und Gesetzgeber immer wieder und parallel zum Kodex neue gesetzliche Regelungen erlassen. Das hat die Autorität des Kodex nicht gestärkt. Der Gesetzgeber scheint immer weniger auf die Eigenverantwortung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats bei der Vorstandsvergütung zu vertrauen. Und zum Kodex: Er setze auf Freiwilligkeit und das sei zu wenig. Der Gesetzgeber – auch getrieben durch europäische Vorgaben (z.B. Aktionärsrechterichtlinie) – reagierte 2005 mit dem VorstOG (z.B. gesetzliche Regelung individuelle Offenlegung der Vorstandsbezüge), 2009 mit dem VorstAG ( z.B. langfristigere Ausrichtung der Vergütung in § 87 AktG als Folge der Finanzkrise) und jüngst mit dem ARUG II, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist mit dem Schwergewicht auf „say on pay“ (HV Zuständigkeit bei der Vorstandsvergütung), mit der Forderung nach einem klaren und verständlichen Vergütungssystem und weiteren Transparenzgeboten.

All das stellt Herausforderungen an den Aufsichtsrat zur richtigen Vergütung seines Vorstands. Diese Aufgabe können ihm weder Aktiengesetz noch Kodex abnehmen, sie setzen aber wichtige Leitplanken. Viel hängt jetzt von der konkreten Umsetzung der neuen Vorgaben ab. Über die Frage, was ein „klares und verständliches“ Vergütungssystem ist, scheint mir der Streit schon absehbar. Was für den Vergütungsexperten klar und verständlich ist, muss das noch lange nicht für den einfachen Aktionär sein. Und zur Gestaltung der variablen Vergütungskomponenten: Wieviele kurz- und langfristig orientierten Ziele kann man einem Vorstand eigentlich setzen, damit der Incentivierungszweck noch erreicht wird. Drei sind sicher gut, zwölf vielleicht zuviel. Und ganz aktuell, wie muss eine Vorstandsvergütung aussehen, wenn das Unternehmen infolge einer Branchenstrukturkrise oder einer Pandemie nur durch eine staatliche Intervention und Beteiligung  überleben kann? Die Diskussion um die Vorstandsvergütung wird wohl nicht abreißen.

Anmerkung der Redaktion: Frisch erschienen ist im Otto Schmidt-Verlag in 7. Auflage der Klassiker „Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats“ von Lutter/Krieger/Verse mit ARUG II und mit dem neuen DCGK. Ein Standardwerk – gut für den Praktiker, aber auch eine Bereicherung für die wissenschaftliche Diskussion. Infos und Bestellmöglichkeit hier.

VerSanG-E – Strafbarkeit für Unternehmen

Kern des Referentenentwurfes eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ vom 21.04.2020 ist das Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Totgesagte leben bekanntlich länger. Mit neuem Namen hat das BMJV die seit dem Jahr 2013 erwartete Einführung des Unternehmensstrafrechts nun in Gestalt eines Referentenentwurfes veröffentlicht.

Die wichtigsten Änderungen und Regelungen sind:

  • Die Verankerung des Legalitätsprinzips. Uneinheitliche Ermessensentscheidungen sollen damit verhindert werden.
  • Die Orientierung der Verbandsstrafe am Jahresumsatz: Der Referentenentwurf sieht bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. EUR die Möglichkeit vor, eine Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzeszu verhängen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 RefE).
  • Verbandsinterne Untersuchungen erhalten große Wichtigkeit: Sowohl für die allgemeine Strafzumessung (§ 15 Abs. 3 Nr. 6, 7 RefE), für eine mögliche Verfahrenseinstellung (§ 35 RefE) als auch für den zwingenden Strafmilderungsgrund (§ 17 RefE) ist die erfolgreiche Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen maßgeblich. Wobei für Letzteres auch notwendig ist, dass das Unternehmen dabei vollumfänglich mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert. Der Entwurf hat es leider versäumt, zu kodifizieren, wie eigentlich verbandsinterne Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Klargestellt wurde lediglich, dass die Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze des fairen Verfahrens durchgeführt werden muss. Die Befragten sollen über ihre Auskunftsverweigerungsrechte belehrt werden, ihnen muss das Recht eingeräumt werden, die Auskunft gemäß den §§ 52, 55 StPO zu verweigern (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 RefE).
  • Die Einführung einer öffentlichen Bekanntmachung (§ 14 RefE): Diese ist wegen der damit verbundenen Prangerwirkung und möglicher Rufzerstörung eine beachtenswerte Nebenfolge einer Verurteilung. Daneben soll ein Verbandssanktionenregister (§ 54 RefE), ähnlich dem Bundeszentralregister, eingerichtet werden. Auch wenn wir ähnliche Register wie z.B. das Gewerberegister schon kennen, wird die Bündelung in einem solchen Register ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlen.
  • Gänzlich aus dem Entwurf verschwunden ist die bislang viel kritisierte Unternehmensauflösung als mögliche Folge des Strafverfahrens, was wegen der angedachten Anwendungsmöglichkeit auf Unternehmen, deren Zweck in strafbaren Handlungen gelegen hätte, eher überflüssig war.
  • Ausdrücklich findet das Gesetz keine Anwendung auf gemeinnützige Verbände.
  • Beschlagnahmefrei bleiben nur Unterlagen der Verteidigung, nicht die der internen Untersuchungen durchführenden Anwälte, die nicht personengleich sein dürfen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 RefE)

Fazit: Unternehmen sind gut beraten, ihre Compliance-Maßnahmen unter die Lupe zu nehmen.

 

Corona im Sozialversicherungsrecht

Durch das Sozialschutz-Paket v. 27.3.2020 (Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2, BGBl. I 2020, 575) wurden Regelungen in einer Vielzahl von Sozialgesetzen geändert. Besonders hervorzuheben ist die übergangsweise (vom 1.3. bis 31.10.2020 geltende) Anhebung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen auf fünf Monate oder 115 Tage durch § 115 SGB IV n.F. Für kurzfristige Beschäftigungen (Nr. 2) muss anders als für geringfügig entlohnte Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Sozialbeiträge zur Renten- oder Krankenversicherung zahlen, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eingehalten werden (keine Berufsmäßigkeit der Beschäftigung oder kein monatliches Arbeitsentgelt von mehr als 450 €).

Diese Änderung bei kurzfristigen Beschäftigungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) gilt ebenfalls für ein vorübergehendes unvorhersehbares Überschreiten der Entgeltgrenze bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen von 450 € nach Nr. 1.

Grundsätzlich gilt: Überschreitet das Arbeitsentgelt regelmäßig 450 Euro im Monat, so liegt vom Tage des Überschreitens an keine geringfügige Beschäftigung mehr vor. Für die zurückliegende Zeit verbleibt es bei der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Ein nur gelegentliches und nicht vorhersehbares Überschreiten der Arbeitsentgeltgrenze führt nicht zur Beendigung der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Bis zur Neuregelung im Gesetz zum Sozialschutz-Paket war als „gelegentlich“ grundsätzlich ein Zeitraum bis zu drei Monaten innerhalb eines Kalenderjahres anzusehen. Nunmehr liegt vom 1.3. bis 31.10.2020 ein gelegentliches Überschreiten der Arbeitsentgelt-grenze vor, wenn innerhalb des für den jeweiligen Entgeltabrechnungszeitraum zu bildenden Zeitjahres maximal in fünf Kalendermonaten ein nicht vorhersehbares Überschreiten vorliegt (s. hierzu auch „Versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen“ der Spitzenverbände v. 30.3.2020).

Daneben weisen die Einzugsstellen auf die Möglichkeiten der Beitragsherabsetzung und Stundung hin („Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung von Arbeitgebern“ des GKV-Spitzenverband v. 25.3.2020).

Im Sozialschutz-Paket sind weiter enthalten:

  • Der Zugang in die Grundsicherungssysteme für Arbeitsuchende (SGB II/Hartz 4) und Ältere und Erwerbsgeminderte (SGB XII) wird vorübergehend erleichtert durch eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen, eine befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen und Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen in Fällen einer vorläufigen Entscheidung.
  • Die Prüfung des Kinderzuschlags soll ausnahmsweise auf das Einkommen im letzten Monat vor Antragstellung bezogen werden. Zudem soll eine befristete Aussetzung der Berücksichtigung des Vermögens erfolgen. Außerdem soll eine einmalige Verlängerung für sogenannte Bestandsfälle mit dem höchstmöglichen Kinderzuschlag eingeführt werden.
  • Die Arbeitszeit kann durch eine Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz über die bisherigen Ausnahmen erweitert werden, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge sowie die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern in der derzeitigen Situation der Corona-Pandemie sicherzustellen.
  • Die Hinzuverdienstgrenze in der Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte wird gelockert. Auch die Weiterarbeit oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung nach Renteneintritt soll erleichtert werden. Das geltende Recht sieht Beschränkungen vor, wenn neben der Rente hinzuverdient wird. Nun können im Jahr 2020 statt bisher 6.300 Euro 44.590 Euro hinzuverdient werden, ohne dass die Altersrente gekürzt wird.
  • Durch den in § 421c SGB III geregelten vorübergehenden Verzicht auf die vollständige Anrechnung des Entgelts aus einer während Kurzarbeit aufgenommenen Beschäftigung auf das Kurzarbeitergeld wird ein Anreiz geschaffen, auf freiwilliger Basis vorübergehend Tätigkeiten in systemrelevanten Bereichen, wie z.B. der Landwirtschaft, aufzunehmen.
  • Soziale Dienstleister und Einrichtungen der Fürsorge werden im Rahmen eines besonderen Sicherstellungsauftrages durch Bund, Länder und Sozialversicherungsträger finanziell unterstützt, damit sie sich an Maßnahmen zur Bewältigung von Auswirkungen der Pandemie beteiligen.
  • In das Infektionsschutzgesetz wird ein Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas zur Eindämmung der gegenwärtigen Pandemie für erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern bis zum 12. Lebensjahr aufgenommen, wenn diese ihre Kinder aufgrund der Schließung selbst betreuen müssen und daher ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können.

Corona-Krise – Das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt – Beschluss im Bundeskabinett

Die Corona-Krise führt zu raschen Maßnahmen des Bundesgesetzgebers. Erst vor einer Woche, am 16.3.2020, hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) per Pressemitteilung angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers vom 17.3.2020). Schon eine Woche später, am 23.3.2020, hat das Bundeskabinett seinen Beschluss zu dem Gesetzentwurf gefasst  und am Mittwoch, 25.3.2020, soll der Deutsche Bundestag das Gesetz beschließen.

Das geplante COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CoVInsAG) baut zwar gesetzestechnisch auf der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 auf, öffnet sich aber deutlich im Sinne der vom Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 geforderten Erweiterung durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung

I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CoVInsAG)

In § 1 Satz 1 CoVInsAG heißt es nun allgemein, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum 30.9.2020 ausgesetzt ist. Sodann werden in Satz 2 zwei Ausnahmen angeführt: (1) Die Insolvenzreife beruht nicht auf der Covid-19-Pandemie. (2) Es bestehen keine Aussichten darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Wäre es bei dieser – der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 entsprechenden – Regelung geblieben, hätte mühsam im Einzelfall geprüft werden müssen, ob die entsprechende Kausalität vorliegt und wie die konkreten Aussichten des Unternehmens sind, welche im aktuell unsicheren Umfeld schwer zu bestimmen sind. Daher hilft der Gesetzgeber mit einer neuen Vermutung in § 1 Satz 3 CoVInsAG: War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Mit dieser Vermutung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gewährleistet werden, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen „in keiner Weise“ zulasten des Antragspflichtigen gehen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein. Der jetzige Entwurf nähert sich damit der vom Verfasser im Blogbeitrag v. 17.3.2020 geforderten bedingungslosen Aussetzung der Antragspflicht sehr weit an, lässt aber – durchaus berechtigt – ein Hintertürchen offen, um eindeutige Missbrauchsfälle einzufangen. Wenig sinnvoll erscheint dabei freilich, dass die Vermutung – jedenfalls dem Wortlaut nach – auch für Unternehmen gelten soll, die am 31.12.2019 zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon überschuldet waren und sich folglich bereits seit dem Jahresanfang 2020 im Zustand der Insolvenzverschleppung befanden. Eventuell wurde hier zu Beginn von Satz 3 versehentlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit statt an die fehlende Insolvenzreife angeknüpft, weil auch die Ausnahme in Satz 2 – dort berechtigt – auf die Zahlungsunfähigkeit beschränkt ist. Eine Korrektur dieses unglücklichen Wortlauts kann dadurch erfolgen, dass man bei bereits bestehender Überschuldung zum 31.12.2019 die Vermutung des Satzes 3 als widerlegt ansieht, weil dann nämlich „die Insolvenzreife“ i.S.v. Satz 2 nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

II. Privilegien für Geschäftsleiter, Kreditgeber und sonstige Vertragspartner im Haftungs- und Anfechtungsrecht (§ 2 CoVInsAG)

In § 2 Abs. 1 CoVInsAG wird ein guter Teil der Vorschläge aufgegriffen, welche der Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 unterbreitet hatte:

In Nr. 1 wird parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG und die Parallelvorschriften) eingeschränkt: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen (§ 64 Satz 2 GmbHG und die Parallelvorschriften).

Nach Nr. 2 werden „neue“ Kredite und deren Besicherung anfechtungsrechtlich privilegiert, also solche, die zu einer effektiven Zufuhr weiterer Liquidität im Aussetzungszeitraum führen (vgl. dazu demnächst Bitter in ZIP). Auch für „neue“ Gesellschafterdarlehen wird eine im Ansatz vergleichbare Privilegierung eingeführt, die sich allerdings nicht auf die Besicherung solcher Kredite erstreckt. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 135 ff.) und die Regelung über gesellschafterbesicherte Drittdarlehen in § 44a InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 348 ff.) werden für solche „neuen“, im Aussetzungszeitraum gewährten Kredite vorübergehend bis zum 30.9.2023 abgeschafft, um in der aktuellen Krisensituation Anreize für die Gewährung neuer Kredite oder Sicherheiten von Gesellschafterseite zu setzen. Die Regelung tritt selbstständig neben die bereits vorhandene Ausnahme im Rahmen des Sanierungsprivilegs aus § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (dazu ausführlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 109 ff.).

Durch Nr. 3 soll für Kreditgeber zusätzlich auch das Risiko ausgeschaltet werden, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge eines Anspruchs geschädigter Dritter gemäß § 826 BGB (vgl. dazu die Nachweise bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Die vom BGH für das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufgestellten Anforderungen an ein substanzhaltiges und von einem objektiven Dritten überprüftes Sanierungskonzept (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123) laufen im Grundsatz parallel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Kreditgeber, wenn sie eine drittschädigende Kreditgewährung gemäß § 826 BGB und eine Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vermeiden wollen (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Da ein derartiges substanzhaltiges Sanierungskonzept in der aktuellen Krisensituation nicht zeitnah erstellt werden kann und zudem die weitere (Unternehmens-)Entwicklung nicht realistisch absehbar ist, erscheint es richtig, dass Kreditgeber durch Nr. 2 und 3 hinsichtlich aller genannten Konsequenzen Rechtssicherheit bekommen.

Nach Nr. 4 werden schließlich auch andere im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen, die nicht in einer Kreditgewährung i.S.v. Nr. 2 bestehen, anfechtungsrechtlich privilegiert. Dies betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Bei Nr. 4 wird es eine Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur sein, durch eine restriktive Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine zu weitgehende Anwendung auszuschließen, insbesondere nicht solche Zahlungen zu privilegieren, durch welche schlicht Altforderungen bedient werden, ohne dass ein Beitrag des Gläubigers zur Überwindung der Krise des Unternehmens geleistet wird (vgl. die Bedenken des Gravenbrucher Kreises in seiner Stellungnahme v. 22.3.2020).

In § 2 Abs. 2 werden die Regelungen der vorgenannten Nummern 2 bis 4 auch auf nicht insolvenzreife Unternehmen ausgedehnt. Diese sollen in der aktuellen Krise nicht schlechter als die bereits insolvenzreifen stehen.

III. Aussetzung von Gläubigeranträgen (§ 3 CoVInsAG)

Durch § 3 CoVInsAG wird für drei Monate auch die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen (vgl. zu den Insolvenzantragsrechten Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 117 ff.). Durch diese Regelung soll nach der Begründung des Entwurfs für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert werden, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können. Hierdurch wird zum einen die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (oben I.) flankiert; zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit Hilfe von Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen und sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.

IV. Verordnungsermächtigung (§ 4 CoVInsAG)

Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, wird das BMJV in § 4 CoVInsAG ermächtigt, die o.g. Maßnahmen bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat per Pressemitteilung vom 16.3.2020 angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen. Damit reagiert die Bundesregierung – sehr verständlich – auf die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur für uns alle zu deutlichen Einschränkungen des privaten und beruflichen Lebens führt, sondern auch weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits gravierend beeinflusst: Den Fluggesellschaften, Messebauern, Reise- und Kulturveranstaltern, dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie vielen anderen Unternehmen, die unmittelbar von den angeordneten Beschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind, geht derzeit in finanzieller Hinsicht die Luft aus. In einer zweiten Welle werden weitere Wirtschaftsbereiche folgen, weil allgemein von einem deutlichen Rückgang des Konsums auszugehen ist: Jede nicht dringend erforderliche Investition wird derzeit im Zweifel zurückgestellt, sodass sich eine wahre Insolvenzwelle durchs Land fressen könnte, die das Ausmaß der Finanzkrise noch übersteigt.

Im Grundsatz sollen insolvenzreife Gesellschaften vom Markt ferngehalten werden, wozu die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und das Gebot der Massesicherung (insbes. § 64 GmbHG) beitragen (dazu Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 573 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 646 ff.). Die zugrunde liegenden Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) werden von der Rechtsprechung mit Recht streng angewendet (Details bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 38 ff.; ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 578 ff.). Darüber hinaus hat der Verfasser dazu aufgerufen, die Fortführungsprognose im Zweifel strikter als bisher zu handhaben, um zu verhindern, dass eine Unternehmensfortführung oder Sanierung auf Kosten der Neugläubiger geht (Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 51 ff., insbes. Rz. 60 ff.).

Doch können diese allgemeinen Grundsätze auch jetzt in der Corona-Krise gelten? Sie ist durch die Besonderheit geprägt, dass Unternehmen gänzlich unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten. Umsätze brechen von heute auf morgen zu großen Teilen oder vollständig weg, ohne dass den Unternehmenslenkern irgendein Vorwurf gemacht werden könnte. Die Geschäftsmodelle sind tauglich und die Insolvenzreife allein durch die nicht vorhersehbaren, extremen äußeren Rahmenbedingungen verursacht.

In einer solchen Situation ist es richtig, die Insolvenzantragspflicht zu suspendieren, um den Unternehmen eine Schonfrist zu gewähren. Sanierungen können dann auf gesichertem Boden stattfinden. Eine seriöse Fortführungsprognose (auf der Basis eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts, vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 59) kann derzeit kein Berater erstellen, weil die weiteren Konsequenzen der Corona-Krise für niemanden abschätzbar sind. Dann jedoch sollte man erwägen, über die Ankündigung in o.g. Presseerklärung des BMJV hinaus die Antragspflicht (und die korrespondierende Massesicherungspflicht) ohne weitere Voraussetzungen für solche Unternehmen zu suspendieren, die nicht schon vor der aktuellen Corona-Krise insolvenzreif waren. Im Zweifel beruht nämlich jede in den kommenden Wochen und Monaten eintretende Insolvenz zumindest mittelbar auf den gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen. Dann aber sollte man die ex post in Strafverfahren oder Haftungsprozessen entscheidenden Gerichte nicht mit der im Einzelfall streitigen Frage belasten, ob und in welchem Maße der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht. Den redlichen und durch die Corona-Krise überrumpelten Geschäftsleitern muss jetzt der straf- und haftungsrechtliche Druck genommen werden, damit sie sich voll auf die wirtschaftliche Erholung ihrer Betriebe konzentrieren können. Sie sollen ihre Zeit (und das restliche Geld der Betriebe) nicht damit verschwenden, ggf. schwer beweisbare Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch anwaltliche oder sonstige Gutachten zu belegen, die ohnehin auf äußerst schwankendem Boden erstellt werden (ebenso Prof. Dr. Stephan Madaus; restriktiver Thole, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2020).

Der Gläubigerschutz ist damit nicht vollständig suspendiert, sondern die Grenze des (Kredit-)Betrugs und die daran anknüpfende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265b StGB bestehen fort (vgl. dazu Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 641 f.). Wer bedingt durch die Corona-Epidemie ernsthafte Zweifel an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit hat, muss also seine Lieferanten und sonstigen Gläubiger darüber aufklären. Und die Gläubiger müssen derzeit ohnehin wachsam sein und sich selbst sichern (etwa durch die Umstellung auf Vorkasse), weil selbst jahrzehntelang seriös geführte Unternehmen (unverschuldet) in Schieflage geraten.

Auch über weitere Maßnahmen wie die Erleichterung von Finanzierungen in der Krise durch Reduzierung der Anfechtungsgefahr aus § 133 InsO und eine partielle Aussetzung des Gesellschafterdarlehensrechts für echte Neukredite ist nachzudenken. Es muss nun jeglicher Anreiz gesetzt werden, trotz gänzlich unsicherer wirtschaftlicher Lage von Gläubiger- und Gesellschafterseite in Unternehmen mit im Grundsatz soliden Unternehmenskonzepten zu investieren, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. dazu die Vorschläge von TMA Deutschland in der Pressemitteilung vom 13.3.2020 und Lürken in Börsenzeitung v. 14.3.2020, S. 9).

Zusätzlich könnte eine Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums auf 6 Monate solchen Unternehmen helfen, die trotz Suspendierung der Antragspflicht den Weg ins Insolvenzverfahren gehen müssen, weil ihnen schlicht das Geld ausgeht, um weiter wirtschaften zu können. Auch im Insolvenzverfahren ist diese längere Schonfrist erforderlich, weil sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit in den kommenden Monaten kein Käufer für insolvente Unternehmen finden wird. Die Alternative wäre dann allein die Betriebsstilllegung mit Verlust aller Arbeitsplätze, obwohl das Unternehmenskonzept eigentlich stimmt. Das muss verhindert werden.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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2019 – Ein ertragreiches Jahr für das Recht der Gesellschafterdarlehen

Das vor gut 10 Jahren durch das MoMiG neu konzipierte Recht der Gesellschafterdarlehen hatte schon in den letzten Jahren die Rechtsprechung des BGH in besonderem Maße beschäftigt. So hat der IX. Zivilsenat etwa im Urteil vom 15.11.2018 – IX ZR 39/18 (ZIP 2019, 182 = GmbHR 2019, 170) seine Grundsätze zur Anwendung des Gesellschafterdarlehensrechts im Unternehmensverbund präzisiert und ausgesprochen, dass der (mittelbare) Gesellschafter nur an einer finanzierenden Schwestergesellschaft maßgeblich beteiligt sein muss, weil insoweit der Einfluss auf die Kreditvergabe von Bedeutung sein soll. An der finanzierten Gesellschaft reicht hingegen ganz allgemein eine die Kleinbeteiligungsschwelle überschreitende Beteiligung, welche sich auch über mehrere Stufen im Konzern erstrecken kann. Insoweit ist sauber zwischen der horizontalen und vertikalen Konzernverbindung zu trennen (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 322 ff., 343 ff.).

Am 14.2.2019 folgte eines der wichtigsten Urteile zum Gesellschafterdarlehensrecht überhaupt. Unter dem Aktenzeichen IX ZR 149/16 befasste sich der IX. Zivilsenat eingehend mit der Möglichkeit einer Besicherung von Gesellschafterdarlehen aus dem Vermögen der Gesellschaft (ZIP 2019, 666 = GmbHR 2019, 460). Er wies dabei eine in der Literatur verbreitete, u.a. auch vom Verfasser vertretene Ansicht zurück, welche zwischen anfänglicher und nachträglicher Besicherung unterschieden und erstere im Hinblick auf § 142 InsO für grundsätzlich wirksam erklärt hatte. Ob damit der Besicherung von Gesellschafterdarlehen – etwa auch beim Eigentumsvorbehalt, Factoring oder Leasing – gänzlich der Garaus gemacht wurde oder jedenfalls unter dem Gesichtspunkt fehlender Gläubigerbenachteiligung in bestimmten Konstellationen nach wie vor eine Besicherung möglich ist, wird derzeit heiß diskutiert (Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 46 ff., 168 ff., 217 ff.; Bitter, ZIP 2019, 737 ff.; Mylich, ZIP 2019, 2233 ff.).

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Im gleichen Urteil vom 14.2.2019 hat der BGH auch seine Ansicht bekräftigt, dass sich die Insolvenzanfechtung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bei einer Abtretung von Gesellschafterdarlehen und nachfolgenden Rückzahlungen an den Zessionar nicht nur gegen diesen, sondern auch gegen den Zedenten richtet. Während nach einem ersten Urteil aus dem Jahr 2013 manche noch gehofft hatten, jene Gesamtschuldlösung könne zumindest in Fällen des Unternehmenskaufs mit gleichzeitiger Abtretung von Anteil und Forderung vermieden werden, dürfte diese Hoffnung nun zerstört sein. Die M&A-Praxis muss folglich aufhorchen (vgl. Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 78).

Das Urteil vom 2.5.2019 – IX ZR 67/18 (ZIP 2019, 1128 = GmbHR 2019, 770) befasst sich mittelbar mit der höchst praxisrelevanten Frage nach dem Haftungsumfang bei Rückführung und erneuter Gewährung von Gesellschafterdarlehen. Der BGH spricht hier noch deutlicher als bisher die zutreffende Erkenntnis aus, dass die in der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen liegende Gläubigerbenachteiligung beseitigt werden kann, wenn der Gesellschafter die Darlehensmittel anschließend erneut zur Verfügung stellt (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 151 ff.). Allerdings muss die Einzahlung durch genau jene Person erfolgen, die vorher die Rückzahlung von Seiten der Gesellschaft erhalten hatte. Eine Dreieckszahlung, bei welcher der Gesellschafter das Geld aus dem zurückgezahlten Darlehen an einen Dritten weiterleitet, der es sodann seinerseits wieder in die Gesellschaft einzahlt, reicht im Grundsatz nicht.

Im Urteil vom 27.6.2019 – IX ZR 167/18 (ZIP 2019, 1577) äußert sich der BGH zu dem im Schrifttum höchst umstrittenen Normzweck des Gesellschafterdarlehensrechts und nähert sich insoweit der vom Verfasser im Scholz entwickelten These von der vermuteten nominellen Unterkapitalisierung und der „Korrektur des gestörten Risikogleichgewichts“ zwischen Gesellschaftern und Gläubigern an. Dieses ist mit der variablen Erlösbeteiligung des Gesellschafters verknüpft, welche einem Drittkreditgeber regelmäßig nicht zusteht (vgl. Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 30 ff.). Zudem stellt der BGH die Bedeutung der Einflussmacht des Gesellschafters heraus, die einem gewöhnlichen Kreditgeber fehle. Damit ist zugleich der Doppeltatbestand benannt, welcher nach h.M. für die Prüfung herangezogen wird, ob ein Nichtgesellschafter im Einzelfall einem Gesellschafter im Rahmen der wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen gleichgestellt werden kann (sog. „gesellschaftergleicher Dritter“; dazu Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 250 ff.).

Im gleichen Urteil vom 27.6.2019 hat der BGH die zuvor in der Literatur höchst umstrittene Frage geklärt, ob gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht nur die Rückzahlung des Darlehens, sondern auch die Zahlung von Darlehenszinsen anfechtbar ist. Letztere Frage hat der IX. Zivilsenat mit Recht verneint, weil die Zinsen – ähnlich wie eine Miet- oder Pachtzahlung – nur der „Finanzierungsertrag“, nicht hingegen die „Finanzierungsquelle“ sind (Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 164).

Schließlich revidiert der BGH mit jenem Urteil vom 27.6.2019 der Sache nach partiell das nur drei Jahre ältere Urteil BGHZ 212, 272 zur Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter. In dem früheren Urteil hatte der BGH überzeugend die Anfechtbarkeit des Nachrangs gemäß § 134 InsO verneint, weil insoweit die Wertung des § 135 Abs. 1 InsO vorrangig sei. Nunmehr stellt das Gericht die Anfechtbarkeit der Auszahlung eines Gesellschafterdarlehens nach allgemeinen Anfechtungsvorschriften, insbesondere nach § 133 InsO, in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und hält den daraus im Verhältnis zur Gesellschaft entstehenden Anfechtungsanspruch nicht für nachrangig. Da die fehlende Werthaltigkeit des Rückforderungsanspruchs wegen Insolvenzreife der Gesellschaft eine Anfechtung gemäß § 133 Abs. 4 InsO wegen unmittelbarer Benachteiligung begründen soll, wird das Gesellschafterdarlehensrecht bei einer Doppelinsolvenz auf diese Weise umso eher unanwendbar, je eindeutiger die Krisenfinanzierung ist (näher Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 139).

Mit der Gleichstellung von Stundungen und Darlehen befasst sich der BGH im Urteil v. 11.7.2019 – IX ZR 210/18 (ZIP 2019, 1675 = GmbHR 2019, 1051 m. Anm. Bitter, WuB 2019, 617). Er gelangt dabei zu dem überraschenden und wenig überzeugenden Ergebnis, dass die aus einem üblichen Austauschgeschäft herrührende Forderung eines Gesellschafters erst dann als darlehensgleiche Forderung angesehen werden kann, wenn sie mehr als drei Monate rechtsgeschäftlich oder faktisch zugunsten der Gesellschaft gestundet wurde. Bislang war die ganz h.M. davon ausgegangen, dass eine Stundung immer dann vorliegt, wenn die Voraussetzungen des Bargeschäfts i.S.v. § 142 InsO nicht erfüllt sind, welches bekanntlich der Abgrenzung zum Kreditgeschäft dient (vgl. dazu Scholz/Bitter, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 Rz. 208 ff.).

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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