Montagsblog: Neues vom BGH

Mit der rechtlichen Möglichkeit einer dauerhaften Vermietung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Wohnungsmietvertrag mit dauerhaften Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung
Urteil vom 8. Mai 2018 – VIII ZR 200/17

Der VIII Zivilsenat lässt einen dauerhaften Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung eines Wohnungsmietvertrags grundsätzlich zu.

Die Rechtsvorgänger des Klägers hatten an die Beklagten eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus vermietet. In dem Mietvertragsformular hatten die Vertragsparteien eine Klausel angekreuzt, wonach beide Parteien nicht berechtigt sind, das Vertragsverhältnis ordnungsgemäß zu kündigen. Die im Formulartext enthaltene Passage, wonach dies nur für die ersten vier Jahre gilt, hatten sie durchgestrichen. Zwei Jahre später erwarb der Kläger das Anwesen. Er kündigte den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs. Seine Räumungsklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten zur Räumung.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Dieses hat Vortrag der Beklagten übergangen, aus dem sich ergibt, dass die Vereinbarung über den Ausschluss des Kündigungsrechts individuell vereinbart wurde. Die Entscheidung des LG, das in der Klausel eine unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung gesehen hat, kann deshalb keinen Bestand haben. In einer Individualabrede kann das Recht zur ordentlichen Kündigung eines Wohnungsmietvertrags grundsätzlich dauerhaft ausgeschlossen werden. Eine Grenze bildet lediglich § 138 BGB. Nicht abschließend entschieden hat der BGH die Frage, ob entsprechend § 544 BGB nach Ablauf von dreißig Jahren eine außerordentliche Kündigung zulässig ist.

Praxistipp: Wenn die Wirksamkeit einer Vereinbarung davon abhängt, ob sie als Individualvereinbarung oder als Allgemeine Geschäftsbedingung einzustufen ist, sollte die begünstigte Partei die Umstände, die für eine Individualvereinbarung sprechen, möglichst umfassend vortragen und unter Beweis stellen.

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Um den Widerruf eines Prozessvergleichs geht es in dieser Woche.

Nachträgliche Vereinbarung eines Rechts zum Widerruf eines Prozessvergleichs
Urteil vom 19. April 2018 – IX ZR 222/17

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen für den wirksamen Widerruf eines Prozessvergleichs.

Der klagende Insolvenzverwalter nahm die Beklagte im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung erhaltenen Werklohns in Anspruch. Vor dem LG schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Zahlung der Hälfte des Klagebetrags verpflichtete. Der Kläger erhielt das Recht, den Vergleich innerhalb von zwei Wochen durch Schriftsatz an das Gericht zu widerrufen. Nach dem Verhandlungstermin vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte den Vergleich innerhalb eines Monats widerrufen könne. Die Beklagte erklärte innerhalb dieser Frist den Widerruf. Das LG setzte den Rechtsstreit fort und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der vollen Klagesumme. Das OLG stellte hingegen fest, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist.

Die Revision des Klägers bleibt erfolglos. Mit dem OLG hält der BGH die nachträgliche Vereinbarung eines Widerrufsrechts zugunsten der Beklagten für nicht wirksam. Die Parteien können einen Prozessvergleich zwar auch nach dessen Wirksamwerden ändern. Auf die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs hat eine solche Vereinbarung aber keinen Einfluss. Eine bei Abschluss vereinbarte Widerrufsfrist kann allerdings vor deren Ablauf einvernehmlich und ohne Mitwirkung des Gerichts verlängert werden. Durch nachträgliche Vereinbarung zusätzlicher Wirksamkeitserfordernisse kann die prozessbeendigende Wirkung hingegen nur dann abgewendet werden, wenn der Vergleich noch nicht wirksam geworden ist und wenn die Änderungsvereinbarung den formellen Voraussetzungen für einen Prozessvergleich genügt. Im Streitfall konnten die Parteien ohne Mitwirkung des Gerichts deshalb nur die zugunsten des Klägers vereinbarte Widerrufsfrist verlängern, nicht aber ein zusätzliches Widerrufsrecht für die Beklagte begründen.

Praxistipp: Um die aufgezeigten Probleme zu vermeiden, sollte von der Vereinbarung eines nur einseitigen Widerrufsrechts abgesehen werden, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die betroffene Partei es sich anders überlegen könnte.

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Um die Abwägung zwischen dem Recht auf Rechtsverfolgung oder -verteidigung in staatlich geregelten Verfahren und dem Persönlichkeitsrecht Betroffener geht es in dieser Woche.

Unterlassungsklage eines Dritten gegen Einreichung von Fotos in gerichtlichen und behördlichen Verfahren
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 86/16

Der VI. Zivilsenat setzt die Rechtsprechung fort, wonach Vorbringen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren nur unter engen Voraussetzungen mit einer gesonderten Klage angegriffen werden darf.

Der im Jahr 2002 geborene Kläger lebte bis zu seinem fünften Lebensjahr bei den Großeltern. Ende 2007 verbrachte ihn das zum Vormund bestellte Stadtjugendamt in ein Heim. Die Großeltern waren damit nicht einverstanden und wendeten sich an einen Verein um Hilfe, dessen stellvertretender Vorsitzender der Beklagte war. Dieser erhob Anfang 2009 gegenüber verschiedenen Institutionen den Vorwurf, der Kläger werde im Heim misshandelt. Zum Beleg übersandte er mehrere Fotos, auf denen der Kläger mit Beulen am Kopf sowie Hämatomen an Bauch und Rücken zu sehen war. Zu den Adressaten dieser Schreiben gehörten der Petitionsausschuss der Europäischen Union, das Europäische Parlament, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, der für die Aufsicht über das Heim zuständige Landschaftsverband, ein Landgericht, bei dem zwei für den Vormund tätige Anwälte den Beklagten wegen unzulässiger Veröffentlichung von Schriftsätzen im Internet in Anspruch nahmen, und ein Amtsgericht, bei dem der Kläger vom Beklagten die Erstattung der Kosten für eine Abmahnung wegen unzulässiger Veröffentlichung anderer Fotos im Internet begehrte. Das LG verbot dem Beklagten die weitere Einreichung solcher Fotos hinsichtlich aller sechs Institutionen. Das OLG wies die Klage hinsichtlich des Landschaftsverbands und der beiden Gerichte ab. Dagegen wandte sich die Revision des Klägers.

Der BGH weist die Revision zurück, soweit es um den Landschaftsverband geht. Hinsichtlich der beiden Gerichte stellt er das erstinstanzliche Urteil wieder her. Zur Begründung knüpft er an seine ständige Rechtsprechung an, wonach für eine zivilrechtliche Klage gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Diese Grundsätze gelten mit gewissen Einschränkungen auch insoweit, als ein Dritter betroffen ist, der an dem anderen Verfahren nicht beteiligt ist. Sie sind entsprechend heranzuziehen, wenn es nicht um schriftlichen oder mündlichen Vortrag, sondern um Vorlage von Fotos oder dergleichen geht. Eine Klage ist danach nur dann zulässig, wenn die Fotos der Intimsphäre des Betroffenen zuzuordnen sind oder wenn ihr Inhalt keinen hinreichenden sachlichen Bezug zu dem Verfahren aufweist. Im Streitfall betrafen die Bilder (noch) nicht die Intimsphäre des Klägers. Ihre Weitergabe führte aber zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Privatsphäre. Deshalb muss ein besonders enger sachlicher Bezug zu dem jeweiligen Verfahren bestehen. Diese Voraussetzung war hinsichtlich des Landschaftsverbands gegeben, weil dieser dem Vorwurf der Kindesmisshandlung in dem von ihm beaufsichtigten Heim nachgehen muss. Hinsichtlich der beiden Gerichte fehlte es hingegen an dem erforderlichen Zusammenhang, weil es in den dort anhängigen Verfahren um andere Fotos bzw. Äußerungen ging und der Beklagte die Fotos nicht als Beweismittel für konkreten Sachvortrag benannt, sondern nur pauschal in Bezug genommen hatte.

Praxistipp: Soweit eine Klage nach den aufgezeigten Grundsätzen unzulässig ist, stehen dem Betroffenen auch nach Abschluss des Verfahrens, in dem die Bilder eingereicht wurden, deswegen keine Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz zu.

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Um die Abgrenzung zwischen Miteigentums- und Mietrecht geht es in dieser Woche.

Überlassung von gemeinschaftlichen Räumen an einen Miteigentümer
Urteil vom 25. April 2018 – VIII ZR 176/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der rechtlichen Einordnung eines Vertrags, mit dem einem Miteigentümer gegen Entgelt die alleinige Nutzung einer Wohnung auf dem gemeinschaftlichen Grundstück gestattet wird.

Die klagenden Eheleute bewohnten auf der Grundlage eines im Jahr 2009 geschlossenen Mietvertrags eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das der Klägerin und einigen ihrer Verwandten gemeinschaftlich gehörte. Zum Abschluss des Vertrags verwendeten die Beteiligten ein Formular für einen Wohnungs-Einheitsmietvertrag. Auf Vermieterseite unterschrieben alle Miteigentümer, auf Mieterseite die beiden Kläger. Nach dem Tod eines Miteigentümers erwarb die Beklagte vom Insolvenzverwalter einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Sie vertrat die Auffassung, der Mietvertrag sei ihr gegenüber nicht bindend. Die Kläger begehrten daraufhin die Feststellung, dass das Mietverhältnis bis auf weiteres fortbesteht und insbesondere nicht durch den Erwerb des Miteigentumsanteils durch die Beklagte beendet worden ist. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH spricht die begehrte Feststellung aus. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht einem wirksamen Abschluss des Vertrags nicht entgegen, dass die Klägerin diesen sowohl als Mieterin als auch als Vermieterin abgeschlossen hat. Etwas anderes gälte nur dann, wenn auf beiden Seiten vollständige Personenidentität bestände. Der danach wirksam geschlossene Vertrag ist rechtlich nicht als bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 745 BGB zu bewerten, sondern – jedenfalls auch – als Wohnungsmietverhältnis. Eine solche Einordnung liegt regelmäßig nahe, wenn einem einzelnen Miteigentümer eine Wohnung gegen Entgelt zur alleinigen Nutzung überlassen wird. Für diese Auslegung spricht im Streitfall zudem, dass der Umfang der eingeräumten Nutzung weit über den Miteigentumsanteil der Klägerin hinausgeht und dass die ursprünglichen Vertragsparteien ein Formular für einen Mietvertrag verwendet haben. Die Einordnung als Mietvertrag führt dazu, dass die Kläger unter dem Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts stehen und dass ein neuer Miteigentümer, der Anteile an dem Grundstück erwirbt, gemäß § 566 Abs. 1 BGB an den Mietvertrag gebunden ist. Eine bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses im Sinne von § 745 BGB ist für einen neuen Miteigentümer gemäß § 1010 BGB hingegen nur bindend, wenn sie im Grundbuch eingetragen ist. Diese Einschränkung gilt im Falle eines Mietvertrags weder für § 566 Abs. 1 BGB noch für andere Vorschriften des Mietrechts.

Praxistipp: An eine Vertragsdauer von mehr als einem Jahr ist der Erwerber nur dann gebunden, wenn der Mietvertrag den Formerfordernissen des § 550 BGB genügt. Ein nicht wirksam befristeter Wohnraummietvertrag kann allerdings nur nach Maßgabe von § 573 BGB gekündigt werden.

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Eine seit Inkrafttreten des HGB im Jahr 1900 in der Literatur umstrittene Frage ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung.

Handelsgeschäft und unerlaubte Handlung
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 121/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die von einer Mahnung unabhängige Verzinsung nach § 353 HGB auch für Forderungen aus unerlaubter Handlung gilt.

Die Klägerin zu 1 hatte bei der in Italien ansässigen Beklagten zwei Maschinen zum Mischen von Kunststoff gekauft. Knapp acht Jahre nach dem Erwerb kam es zu einem Störfall, bei dem Salzsäure austrat. Dadurch wurden unter anderem technische Einrichtungen des der Klägerin zu 2 gehörenden Fabrikgebäudes beschädigt. Die Klägerin zu 2 verlangte Ersatz der Kosten für die Schadensbeseitigung, Verzugszinsen für den Zeitraum ab der ersten Mahnung und Zinsen gemäß § 353 HGB (in Höhe von rund 112.000 Euro) für den Zeitraum zwischen Schadensentstehung und Mahnung. Die Zinsforderung blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagte auch insoweit antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des Zinsanspruchs an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanz hält er § 353 HGB, der bei beiderseitigen Handelsgeschäften eine Verzinsungspflicht ab Fälligkeit vorsieht, für nicht anwendbar, wenn die Hauptforderung auf einer unerlaubten Handlung beruht. Die Gegenauffassung, die die Vorschrift anwenden will, wenn die unerlaubte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft steht, ermöglicht nach seiner Auffassung keine konsequente Abgrenzung. Zudem hält er eine enge Auslegung der Vorschrift auch deshalb für geboten, weil die ihr zugrunde liegende Erwägung, ein Kaufmann werde ihm zustehendes Geld stets nutzbringend anlegen, unter modernen Verhältnissen ohnehin zweifelhaft sei. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu prüfen haben, ob die geltend gemachten Zinsen als eigenständiger Schadensposten zu ersetzen sind, etwa als Finanzierungskosten.

Praxistipp: Eine von einer Mahnung unabhängige Verzinsungspflicht sieht § 849 BGB für den Fall vor, dass wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache Wertersatz zu leisten ist.

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Um die Wahrung des rechtlichen Gehörs bei Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens geht es in dieser Woche.

Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts
Urteil vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den prozessualen Voraussetzungen für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer entscheidungserheblichen Frage.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach dem Einsetzen von Zahnimplantaten und einer Kieferbrücke auf Schadensersatz in Anspruch. Sie machte unter anderem geltend, die eingesetzte Brücke sei von ihrer Konstruktion her nicht geeignet gewesen, einen festsitzenden Zahnersatz herzustellen. Zum Beweis dafür bot sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens ein. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, soweit es um Ersatzansprüche wegen der Zahnbrücke geht. Das OLG hat insoweit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass und aus welchem Grund es selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Zu einem diesbezüglichen Hinweis ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn es aufgrund eigener Sachkunde zu der Einschätzung gelangt, dass die Einholung eines Gutachtens nicht geeignet ist, die entscheidungsrelevante Frage zu klären.

Praxistipp: Wenn das Gericht den gebotenen Hinweis erteilt, und die Partei die Darlegungen zur eigenen Sachkunde für nicht ausreichend hält, muss sie entsprechende Rügen noch in der Berufungsinstanz erheben, um einen Rügeverlust in der Revisionsinstanz zu vermeiden.

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Welche Schwierigkeiten bei der Anrechnung von Teilzahlungen auf offene Mietforderungen entstehen können, zeigt eindrucksvoll eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats

Klage auf rückständige Bruttomiete
Urteil vom 21. März 2018 – VIII ZR 68/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Bestimmtheit eines auf Zahlung rückständiger Bruttomiete gerichteten Klageantrags.

Die Klägerin hatte an den Beklagten eine Wohnung vermietet. Die monatliche Kaltmiete betrug rund 600 Euro, die Vorauszahlung auf die Nebenkosten rund 150 Euro. Die Klage war auf rückständige Miete in Höhe von rund 13.500 Euro für einen Zeitraum von rund 18 Monaten gerichtet. Zur Aufschlüsselung der Klageforderung bezog sie sich auf eine (im Tatbestand des Urteils wiedergegebene) Tabelle, in der für jeden Monat die Miete sowie angefallene Kosten für Rücklastschriften, Mahnungen und Rechtsanwälte, die (nur sehr sporadisch) erbrachten Zahlungen und der insgesamt offene Rückstand aufgelistet waren. Das AG wies die Klage als unzulässig ab. Die Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er zeigt in 55 Randnummern und mit 14 (auf drei Gliederungsebenen verteilten) Leitsätzen auf, dass der Klageantrag entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hinreichend bestimmt ist. Zentrale Bedeutung misst er hierbei der Anrechnungsvorschrift des § 366 Abs. 2 BGB bei. Wenn sich aus dem Klagevortrag nichts Abweichendes ergibt, ist davon auszugehen, dass der Kläger die Forderungen einklagt, die sich ergeben, wenn auf die aufgelisteten Ansprüche die angegebenen Zahlungen und Gutschriften nach Maßgabe dieser Vorschrift angerechnet werden. Sie ist sowohl im Verhältnis zwischen den Forderungen für die einzelnen Monate als auch – insoweit analog – im Verhältnis zwischen dem Anspruch auf Kaltmiete und dem Anspruch auf Nebenkostenvorauszahlung für einen einzelnen Monat anzuwenden. Für die Reihenfolge der Anrechnung sind zwei Kriterien maßgeblich: In erster Linie sind die Nebenkosten zu berücksichtigen, weil diese nur in beschränktem Umfang nachgefordert werden können. Innerhalb derselben Kategorie ist zunächst die älteste Forderung zu berücksichtigen.

Praxistipp: Um unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden, dürfte es in der Regel zweckmäßig sein, dass der Kläger die Zuordnung der Zahlungen selbst vornimmt und nicht darauf hofft, dass ihm das Gericht diese Arbeit abnehmen wird. Ergänzend empfiehlt sich die Klarstellung, dass die Anrechnung nach § 366 Abs. 2 BGB erfolgen soll, sofern sich die vorgenommene Zuordnung als unzureichend erweisen sollte.

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Mit den Anforderungen an die Form eines längerfristigen Grundstücksmietvertrags befasst sich der XII. Zivilsenat.

Formwirksamer Mietvertrag in zwei Urkunden mit je einer Unterschrift
Urteil vom 7. März 2018 – XII ZR 129/16

Der XII. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur zweckorientierten Auslegung des Formerfordernisses in § 550 BGB aus.

Die Parteien stritten über den Fortbestand eines Vertrags über Errichtung und Betrieb einer Photovoltaikanlage. Der Vertrag sah eine Laufzeit von dreißig Jahren und ein einmaliges Nutzungsentgelt von einem Euro vor. Er wurde in zwei Ausfertigungen niedergelegt, von denen jede Vertragspartei nur diejenige unterschrieb, die in ihrem Besitz verblieb. Sieben Monate nach Abschluss kündigte der Vermieter den Vertrag. Kurz darauf veräußerte er das Grundstück an die Beklagte. Diese verweigerte dem Mieter den weiteren Zutritt. Die unter anderem auf Feststellung des Fortbestands des Vertrags gerichtete Klage des Mieters blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er billigt zwar die von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichende Auffassung der Vorinstanz, dass es sich nicht um einen Pacht- sondern um einen Mietvertrag handelt. Anders als das OLG kommt er jedoch zu dem Ergebnis, dass die für die Vereinbarung der Laufzeit erforderliche Form des § 550 BGB eingehalten ist. Wenn ein Vertrag in zwei Ausfertigungen erstellt wird, von denen jede Partei nur eine unterschreibt, genügt dies zwar der gesetzlichen Schriftform nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB nur dann, wenn jeder Partei die vom jeweils anderen Teil unterschriebene Ausfertigung zugegangen ist. Die besondere Formvorschrift in § 550 BGB dient aber anderen Zwecken, im Wesentlichen der Dokumentation des Mietverhältnisses für den Fall einer Veräußerung des Grundstücks. Hierfür reicht es nach Auffassung des BGH aus, wenn jede Partei die von ihr unterschriebene Ausfertigung behält.

Praxistipp: Wegen des unterschiedlichen Zwecks von § 126 und § 550 BGB darf Rechtsprechung zur einen Vorschrift nie unbesehen auf die anderen übertragen werden – weder in die eine Richtung noch in die andere.

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Mit einem besonderen Unfall im Straßenverkehr befasst sich der VI. Zivilsenat

Kein Direktanspruch des mitfahrenden Kfz-Diebs
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 109/17

Über einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer im Gefolge eines ungewöhnlichen Verkehrsunfalls hatte der VI. Zivilsenat zu entscheiden.

Der damals 15 Jahre alte Geschädigte entwendete zusammen mit dem 16 Jahre alten späteren Schädiger einen Motorroller. Am Tag darauf kollidierte das vom Schädiger gesteuerte Fahrzeug an einer Kreuzung mit einem vorfahrtsberechtigten Pkw. Der als Sozius mitfahrende Geschädigte erlitt dabei unter anderem ein schweres Schädelhirntrauma, das zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führte. Acht Jahre nach dem Unfall besuchte er eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die klagende Bundesagentur für Arbeit, die hierfür die Kosten zu tragen hatte, nahm den Haftpflichtversicherer des Motorrollers aus übergegangenem Recht auf Ersatz von 50 % dieser Kosten in Anspruch. Das LG wies die Klage ab, das OLG verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Mit dem OLG bejaht er einen Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger, weil dieser fahrlässig die Vorfahrt des anderen Fahrzeugs nicht beachtet hat. Er billigt auch die Einschätzung, dass das Mitverschulden des Geschädigten mit nicht mehr als 50 % zu bemessen ist. Ferner tritt er dem OLG darin bei, dass der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer aus § 3 Nr. 1 PflVG a.F. (jetzt § 115 Abs. 1 VVG) nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Geschädigte an dem Diebstahl des Fahrzeugs als Mittäter beteiligt war. Hierbei ist unerheblich, ob die Versicherung gegenüber dem Schädiger wegen der in dem Diebstahl liegenden Obliegenheitsverletzung von der Leistungspflicht frei geworden ist. Nach § 3 Nr. 4 PflVG a.F. (jetzt § 117 Abs. 1 VVG) darf dieser Umstand dem Geschädigten als Drittem nicht entgegengehalten werden. Abweichend vom OLG sieht der BGH in der Geltendmachung des Direktanspruchs jedoch einen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Mit der Zubilligung eines Anspruchs gegen die Haftpflichtversicherung würde dem Geschädigten ein Vorteil zugewendet, der sich aus der unbefugten Benutzung des Fahrzeugs ergibt und für den der Bestohlene mit den von ihm gezahlten Versicherungsprämien die Voraussetzungen geschaffen hat. Damit würde die mit dem Diebstahl einhergehende Vermögensverschiebung weiter vertieft.

Praxistipp: Die Verjährung des Direktanspruchs endet gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 VVG spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an.

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Mit der rechtlichen Qualifikation eines nicht alltäglichen Vertragstyps befasst sich der III. Zivilsenat

Laufzeit eines Fernüberwachungsvertrags
Urteil vom 15. März 2018 – III ZR 126/17

Der III. Zivilsenat hatte die Wirksamkeit einer AGB-Klausel zu beurteilen, die für einen Fernüberwachungsvertrag eine Laufzeit von sechs Jahren vorsah.

Die Beklagte schloss mit der Klägerin für zwei Geschäftsstandorte einen so genannten Fernüberwachungsvertrag. Zu den von der Klägerin zu erbringenden vertraglichen Leistungen gehörten Lieferung, Installation und Instandhaltung von Bewegungsmeldern, einer Alarmtaste und einem Bedienteil, die Bereithaltung einer permanent besetzten Notruf- und Serviceleitstelle und die Benachrichtigung der Beklagten oder der zuständigen öffentlichen Stellen im Falle eines Alarms. Das monatliche Entgelt betrug rund 300 Euro inklusive Umsatzsteuer. Für die Laufzeit sah das Vertragsformular Ankreuzfelder für 24, 36, 48, 60 und 72 Monate vor; im Streitfall war das Feld für 72 Monate angekreuzt. Einen Tag nach Vertragsschluss kündigte die Beklagte die Vereinbarung. Die Klägerin verlangte das vertraglich vorgesehene Entgelt für die gesamte Laufzeit von sechs Jahren, rund 21.000 Euro. Das LG und das OLG sprachen ihr nur einen Teil des Entgelts für den ersten Monat zu, rund 70 Euro.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er den Vertrag als Dienstvertrag an. Die Klägerin hat sich zwar auch zur Gebrauchsüberlassung der vor Ort zu installierenden Geräte verpflichtet. Der Schwerpunkt der geschuldeten Leistung liegt aber auf der Überwachung der Geschäftsräume. Die – ungeachtet der mit den Ankreuzfeldern eingeräumten Wahlmöglichkeit – als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehende Vereinbarung über die Laufzeit ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Im unternehmerischen Verkehr gilt zwar nicht die in § 390 Nr. 9 Buchst. a BGB vorgesehene Höchstgrenze von zwei Jahren. Eine Laufzeit von sechs Jahren führt in der hier zu beurteilenden Konstellation aber zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden. Den von der Klägerin erhobene Einwand, nur bei dieser Vertragsdauer könne sie wirtschaftlich arbeiten, sieht der BGH mit den Vorinstanzen als nicht begründet an, weil die Klägerin ihre Kalkulation nicht offengelegt hat. Nach der gesetzlichen Regelung (§ 621 Nr. 3 BGB) durfte die Beklagte den Vertrag bis zum 15. jedes Monats zum Ende des Kalendermonats kündigen.

Praxistipp: Für die Frage, welche Laufzeit noch als angemessen angesehen werden kann, ist auch von Bedeutung, ob der Verwender im Gegenzug für eine längerfristige Bindung einen günstigeren Preis einräumt.