Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Heilung eines Verfahrensmangels bei der Zustellung eines Urteils – und um eine auf den ersten Blick überraschende Konsequenz der Zustellung an das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).

Zustellung eines Urteils in nicht beglaubigter Abschrift
Urteil vom 11. April 2022 – V ZR 15/21

Mit den Voraussetzungen des § 189 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Herausgabe eines Autos. Die Beklagte erschien nicht zur mündlichen Verhandlung. Am Ende des Sitzungstages diktierte der Richter den Tenor des beantragten Versäumnisurteils in das Protokoll. Eine nicht beglaubigte Abschrift dieses Protokolls wurde nebst elektronischem Empfangsbekenntnis in das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt. Dieser sandte das Empfangsbekenntnis zurück und bestätigte darin den Erhalt des Protokolls am 11.5.2020. Am 9.6.2020 machte er geltend, das im Protokoll wiedergegebene Versäumnisurteil sei nicht wirksam zugestellt. Das LG stellte am Tag darauf eine beglaubigte Abschrift zu. Am 10.6.2020 später ging der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das LG verwarf diesen als unzulässig. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Die Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der Einspruch ist verspätet eingelegt worden, weil das Versäumnisurteil bereits am 11.5.2020 wirksam zugestellt wurde.

Die Zustellung war zwar fehlerhaft, weil das Gericht eine beglaubigte Abschrift des Urteils hätte übersenden müssen. Ein solcher Verfahrensmangel wird aber – ebenso wie bei Schriftsätzen der Gegenseite – auch bei einem Urteil gemäß § 189 ZPO geheilt, wenn das Dokument mit Zustellungswillen versandt wird und dem Empfänger tatsächlich zugeht und wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen.

Im Streitfall ergeben sich der Zustellungswille des Gerichts aus der Übersendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses und der Zugang beim Empfänger aus der Vervollständigung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses durch den Prozessbevollmächtigten. Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen jedenfalls deshalb nicht, weil das Dokument an das beA versandt worden ist, das gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO einen sicheren Übermittlungsweg darstellt.

Praxistipp: Der Streitfall zeigt, dass ein Urteil auch dann wirksam zugestellt ist, wenn das Dokument im Begleitschreiben nur als „Protokoll“ bezeichnet ist. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Zustellung eine Frist auslöst, ist deshalb stets der gesamte Inhalt des zugestellten Dokuments zu überprüfen.

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Diese Woche geht es um die Befugnis zur Geltendmachung von Abwehransprüchen gegen Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums in einer Wohnungseigentumsanlage

Geltendmachung von Abwehransprüchen bei Wohnungseigentum
Urteil vom 28. Januar 2022 – V ZR 106/21

Mit der Abgrenzung der Befugnisse einzelner Eigentümer und der Gemeinschaft sowie mit den Übergangsregeln für Altfälle befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung im Dachgeschoss des Hinterhauses einer Wohnungseigentumsanlage. Die Beklagte betreibt im Erdgeschoss des Vorderhauses als Mieterin einen Supermarkt. Im Jahr 2008 erlaubte die Wohnungseigentümergemeinschaft der Beklagten durch einstimmigen Beschluss, die Durchfahrt zum Hinterhaus täglich für einige Stunden zum Abstellen von Lieferfahrzeugen zu benutzen. Die Wohnung der Klägerin ist diesen Zeiträumen nur über einen Fußweg mit Treppenstufen zu erreichen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verbot der Beklagten antragsgemäß das Abstellen von Fahrzeugen in der Durchfahrt.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, weil sie ihre Klage vor Inkrafttreten von § 9a WEG (d.h. vor dem 01.12.2020) erhoben und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer der weiteren Geltendmachung des Anspruchs nicht widersprochen hat.

Nach § 9a Abs. 2 WEG ist die Klägerin nur dann zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen befugt, wenn das beanstandete Verhalten zumindest auch ihr Sondereigentum beeinträchtigt. Diese Voraussetzung wäre im Streitfall nur dann erfüllt, wenn die Wohnung der Klägerin in den betroffenen Zeiträumen nicht mehr zugänglich wäre. Im Streitfall bleibt der Zugang über den Fußweg möglich. Dass dieser nicht barrierefrei ist, führt jedenfalls deshalb nicht zu einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung des Sondereigentums, weil die Wohnung ohnehin nur über das Treppenhaus erreichbar ist.

Nach altem Recht konnte ein einzelner Eigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum geltend machen, solange die Gemeinschaft diese Befugnis nicht durch Beschluss an sich gezogen hat.

Diese Befugnis des einzelnen Eigentümers bleibt nach den vom BGH entwickelten Übergangsregeln bei Klagen, die vor dem 01.12.2020 erhoben sind, grundsätzlich bestehen. Sie fällt aber weg, wenn die Gemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, der weiteren Geltendmachung im Hinblick auf die eingetretene Rechtsänderung widerspricht. Ob ein solcher Widerspruch auf einem wirksamen Beschluss beruht, ist unerheblich. Im Streitfall hat die Verwalterin lediglich auf den Beschluss aus dem Jahr 2008 verwiesen. Darin liegt kein auf das neue Recht gestützter Widerspruch.

Mit dem Beschluss aus dem Jahr 2008 hat die Gemeinschaft die Geltendmachung der Ansprüche schon auf der Grundlage des alten Rechts an sich gezogen. Dieser Beschluss steht der Klage – anders als ein auf das neue Recht gestützter Widerspruch – aber nur dann entgegen, wenn er wirksam ist. Hieran fehlt es im Streitfall, weil die Durchfahrt zugleich als Feuerwehrzufahrt dient und deshalb nach den einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung ständig freigehalten werden muss. Ein Eigentümerbeschluss, der gegen diese Vorschriften verstößt, ist nichtig, weil die verletzte Norm der Gefahrenabwehr und dem Brandschutz dient und ein Verstoß zugleich den Versicherungsschutz im Brandfall gefährden kann.

Wegen der Nichtigkeit des im Jahr 2008 gefassten Beschlusses ist die Klage nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Ohne Zustimmung der Eigentümer darf die Beklagte die Durchfahrt nicht zum Abstellen von Fahrzeugen nutzen.

Praxistipp: Auf der Grundlage des neuen Rechts ist ein einzelner Eigentümer in solchen Fällen auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Gemeinschaft beschränkt. Lehnt diese ein Vorgehen gegen den Dritten rechtswidrig ab, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.

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Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen Prozesszinsen und Darlehenszinsen

Anrechnung von Prozesszinsen auf zu erstattende Darlehenszinsen
Urteil vom 2. Juli 2021 – V ZR 95/20

Mit dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatten von der Beklagten im März 2007 für rund 130.000 Euro eine Eigentumswohnung gekauft. Zur Finanzierung nahmen sie einen Bankdarlehen über einen Gesamtbetrag von rund 140.000 Euro auf. Im Juli 2015 wurde die Beklagte wegen fehlerhafter Beratung zur Erstattung des gesamten Darlehensbetrags nebst Prozesszinsen seit Dezember 2012 verurteilt. Nach Rechtskraft des Urteils zahlte die Beklagte den Darlehensbetrag zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von rund 27.000 Euro an die Klägerin. Im nunmehr anhängigen Rechtsstreit verlangt die Klägerin Ersatz der an die Bank gezahlten Zinsen und weiterer Finanzierungskosten in Höhe von insgesamt rund 36.000 Euro. Die Klage war in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolgreich.

Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung des OLG sind die zugesprochenen Prozesszinsen auf den Anspruch auf Ersatz für die im gleichen Zeitraum angefallenen Darlehenszinsen anzurechnen. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen über die Vorteilsanrechnung. Prozesszinsen dienen dem Ausgleich von Nachteilen, die der Gläubiger erleidet, weil er einen ihm zustehenden Geldbetrag nicht nutzen kann. Dieser Nachteil ist im Streitfall deckungsgleich mit dem Nachteil, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass sie weiterhin Zinsen auf das zur Finanzierung des Wohnungserwerbs aufgenommene Darlehen zahlen musste. Die Prozesszinsen sind deshalb auf den Anspruch auf Ersatz der ab Dezember 2012 angefallenen Darlehenszinsen anzurechnen. Welcher Betrag danach verbleibt, hat das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu klären.

Praxistipp: Um die Klage schlüssig zu machen, muss der Kläger im Einzelnen darlegen, welche Darlehenszinsen in dem Zeitraum angefallen sind, für den ihm Prozesszinsen zugesprochen wurden.

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Diese Woche geht es um eine fast immer auftretende, aber nur selten im Fokus stehende Frage des Schadensersatzrechts.

Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten
Urteil vom 22. Juni 2021 – VI ZR 353/20

Mit den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkw mit nicht regelkonformem Dieselmotor (Typ EA189) geltend. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zum überwiegenden Teil zurück, wies die Klage jedoch ab, soweit der Kläger Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten begehrt.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Vorgerichtliche Anwaltskosten für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gehören zu dem zu ersetzenden Schaden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Zum einen muss die Beauftragung eines Anwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung aus der Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen sein. Hierzu hat das OLG im Streitfall keine Feststellungen getroffen.

Darüber hinaus müssen die Kosten tatsächlich entstanden sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Mandat zunächst auf eine außergerichtliche Tätigkeit beschränkt ist oder wenn ein Prozessauftrag nur bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilt wird. Erteilt der Mandant von Beginn an den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, fällt eine Geschäftsgebühr für außergerichtliche Tätigkeit (Nr. 2300 RVG) hingegen nicht an.

Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist das Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und dessen Anwalt. Das Auftreten des Rechtsanwalts gegenüber dem Schuldner kann aber ein Indiz bilden. Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich beim Geschädigten. Im Streitfall hatte der Anwalt des Klägers im ersten Schreiben an die Beklagte mitgeteilt, es werde Klage erhoben, wenn innerhalb der gesetzten Frist keine Zahlung erfolge. Dies durfte das OLG als Indiz für die Erteilung eines unbedingten Klageauftrags werten. Es lag am Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass er seinen Anwalt zunächst nur mit der vorgerichtlichen Vertretung betraut hat.

Praxistipp: Um Probleme bei der Beweisführung zu vermeiden, sollte das Mandat schriftlich erteilt oder bestätigt werden.

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Diese Woche geht es um die Organisations- und Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts beim Versand von Schriftsätzen über beA.

Eingang eines über beA eingereichten Dokuments
Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20

Mit der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Gebrauchtwagenkauf geltend. Ihre Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Die Beklagte legte fristgerecht Berufung ein. Nach Ablauf der Frist für die Begründung des Rechtsmittels wies das OLG darauf hin, dass eine Begründung nicht eingegangen sei. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung und machte geltend, die dafür zuständige Fachangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten habe die Begründung am letzten Tag der Frist über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermittelt. Bei der durch Arbeitsanweisung vorgeschriebenen Überprüfung hinsichtlich Versand und Fehlermeldungen seien Fehler nicht zu erkennen gewesen. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde der Klägerin als unzulässig, weil alle relevanten Rechtsfragen bereits geklärt sind.

Das OLG hat zu Recht entschieden, dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegangen ist. Aus dem von der Klägerin vorgelegten beA-Übermittlungsprotokoll ergibt sich, dass die vor Fristablauf versandte Nachricht mit der Berufungsbegründung zwar an den Rechner der Bundesrechtsanwaltskammer übermittelt, von dort aber nicht an den Empfangsrechner des OLG, den so genannten Intermediär, weitergeleitet worden ist. Der BGH hat bereits entschieden, dass der Eingang auf dem für das Gericht bestimmten Intermediär ausreichend, aber auch erforderlich ist (MDR 2020, 1272).

Ebenfalls zu Recht hat das OLG die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Ein Rechtsanwalt muss seine mit dem Versand von Dokumenten über beA betrauten Mitarbeiter anweisen, nach dem Versand zu überprüfen, ob die automatisierte Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO vorliegt. Dies hat das BAG bereits vor einiger Zeit entschieden (NJW 2019, 2793). Eine solche Überprüfung war in der im Streitfall maßgeblichen Arbeitsanweisung nicht vorgeschrieben. Wäre sie erfolgt, so wäre der Übermittlungsfehler zu Tage getreten.

Praxistipp: Im beA gibt es zusätzlich zu der Eingangsbestätigung auch ein Prüfprotokoll und ein Übermittlungsprotokoll. Aus diesen Protokollen können zwar bestimmte Fehler ersichtlich sein. Hinreichende Sicherheit, dass die Nachricht beim Gericht eingegangen ist, liefert aber nur die Eingangsbestätigung. Wo diese zu finden ist, wird erläutert im beA-Newsletter 31/2019.

Stornoentschädigung bei sog. Angstkündigung vor Corona-Beeinträchtigung entfällt bei späterer Reiseabsage durch Veranstalter

Das LG Frankfurt/M hat jüngst in einer Wettbewerbssache entschieden, dass eine Pauschalreise auch dann kostenfrei storniert werden kann, wenn Reisende aus Angst vor Corona-Beeinträchtigungen zunächst vorsorglich storniert und sich diese Beeinträchtigungen dann im Nachhinein bestätigt. Bei der Regelung der Verpflichtung zur unverzüglichen Rückerstattung des Reisepreises im Fall des Rücktritts handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung gem. § 651h Abs. 5 BGB, § 3aUWG (LG Frankfurt, Urt. v. 04.05.2021 – 3-06 O 40/20, BeckRS 2021, 10387, www.reiserechtfuehrich.com). Damit kommt auch in dieser Entscheidung zum wiederholten Male die Rechtsfrage vor Gericht, ob im Falle eines verfrühten Rücktritts des Reisenden aus Angst wegen der Ungewissheit der weiteren Beeinträchtigung durch das Coronavirus der Anspruch des Veranstalters auf die Stornoentschädigung nachträglich entfällt, wenn er die Reise später selbst durch seinen Rücktritt absagt. Insoweit verweise ich auf meinen Überblicksaufsatz zur Entwicklung des Pauschalreiserechts im Jahre 2020 im neuen Heft 13 der MDR in Führich, MDR 2021, 777.

Der Entscheidung des LG Frankfurt/M ist zuzustimmen. Harke (RRa, 2020, 207, 211; BeckOGK/BGB/Harke, (Stand: 1.11.2020), § 651h Rz. 47) weist zutreffend darauf hin, dass im Falle einer solchen überholenden Kausalität weder der Wortlaut des § 651h BGB noch der zugrunde liegende Art. 12 Abs. 2 der neuen Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 einer Auslegung widerspricht, dass dem Veranstalter keine Entschädigung zusteht, wenn die Reise sich später wegen der Dynamik der Pandemie doch für den Veranstalter als undurchführbar oder für den Reisenden wegen der Gefährdung seiner Gesundheit als unzumutbar erweist. Richtigerweise sollte für die notwendige Prognoseentscheidung des Reisenden grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung abgestellt werden. Wegen des verbraucherschützenden Charakters des Art. 12 Abs. 2 und des ihn umsetzenden § 651h BGB darf der Reisende auf seine negative Prognose vertrauen, ist aber ausnahmsweise nicht an eine positive Prognose gebunden. Insoweit kann der Reisende auch bei einem frühzeitigen Rücktritt mit einer dadurch begründeten Pflicht zur Zahlung einer Stornoentschädigung hoffen, dass dieser Nachteil für ihn bis zum vertraglichen Reisebeginn wegen des außergewöhnlichen Umstandes wieder entfällt. Es entspricht weder der Natur des Entschädigungsanspruchs und noch dem nicht abgeschlossenen Rückgewährschuldverhältnis für den gezahlten Reisepreis nach § 651h Abs. 5 BGB, wenn dem Reiseveranstalter nach seiner Reiseabsage wegen Unmöglichkeit der Reise durch Corona-Beeinträchtigungen noch ein Entschädigungsanspruch zustehen soll (so auch AG Stuttgart, Urt. v. 23.10.2020 – 3 C 2852/20, RRa 2021, 73).

 

BGH zu Rechthabern und Querulanten

Im Rahmen eines Verfahrens über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem LG hatte die Antragstellerin erfolglos einen Befangenheitsantrag gestellt. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des LG wurde vom OLG zurückgewiesen. Gegen den entsprechenden Beschluss des OLG legte die Antragstellerin beim BGH Rechtsbeschwerde ein. Der BGH legte diese (offensichtlich unzulässige) Rechtsbeschwerde (sachgemäß) als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG aus. Der Antrag wurde dann aber selbstredend zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsbeschwerde unzulässig gewesen wäre. Das OLG hatte eine Rechtsbeschwerde gegen seinen eigenen Beschluss nicht zugelassen. Damit war der Instanzenzug beendet. Deshalb ist eine Bewilligung von PKH für die Rechtsbeschwerde gleichfalls nicht möglich. Interessant an diesem Beschluss sind vor allem die letzten Sätze, die deswegen wörtlich zitiert werden sollen:

„Dies ist der Antragstellerin bereits aus den Verfahren III ZB 63/20 und III ZB 2/21 bekannt. Der Senat wird in Zukunft vergleichbare – offensichtlich unzulässige und erkennbar rechtsmissbräuchliche – Eingaben der Antragstellerin nicht mehr bescheiden. Er muss es nicht hinnehmen, durch sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazitäten bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert zu werden (…).“

Der Gesetzgeber hat sich des Problems der Querulanz bisher noch nicht angenommen, obwohl es höchste Zeit ist. Erst vor kurzem war eine entsprechende Gesetzesinitiative gescheitert. Danach sollte eine Regelung eingeführt werden, die „Berufskläger“ im Sozialrecht, die für eine hohe Zahl von Verfahren verantwortlich sind, „bestrafen“ sollte.

Fazit: Der BGH (Beschl. v. 15.4.2021 – III ZB 10/21) hat nunmehr einen Weg aufgezeigt, wie bei derartigen Eingaben verfahren werden kann. Es wird der betroffenen Person mitgeteilt, dass weitere Eingaben nicht mehr beschieden werden. Allerdings enthebt dies (leider) die Gerichte nicht davon, die Eingaben zur Kenntnis zu nehmen und rechtlich zu bewerten. Es ist mehr als bedauerlich, dass der Gesetzgeber die Gerichte hier „im Regen“ stehen lässt.

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Diese Woche geht es um eine erbrechtliche Fragestellung.

Grabpflegekosten und Pflichtteil
Urteil vom 26. Mai 2021 – IV ZR 174/20

Mit der Berechnung des Zusatzpflichtteils nach § 2305 BGB befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die im Jahr 1931 geborene und im Jahr 2017 verstorbene Erblasserin hat den Kläger, den sie im Jahr 1981 adoptiert hatte, in einem eigenhändigen Testament zusammen mit sechs weiteren Personen als Erben eingesetzt. Dem Kläger ist ein Anteil von 5 % zugedacht; die Summe der zugedachten Anteile beträgt 55 %. Ferner hat die Erblasserin angeordnet, dass aus dem Nachlass für zwanzig Jahre die Kosten der Grabpflege zu tragen sind. Der Bruttowert des Nachlasses beträgt rund 16.000 Euro, die unstreitigen Nachlassverbindlichkeiten belaufen sich auf rund 6.300 Euro, die Grabpflegekosten nach den Feststellungen des LG auf rund 9.500 Euro. Nach Abzug dieser Kosten verblieben für alle Erben zusammen also rund 200 Euro. Der Kläger, der bei gesetzlicher Erbfolge alleiniger Erbe gewesen wäre, verlangt einen Zusatzpflichtteil gemäß § 2305 BGB auf der Grundlage eines Nachlasswerts von rund 9.700 Euro, also ohne Abzug der Grabpflegekosten. Seine ursprünglich (unter Anrechnung eines bereits erhaltenen Betrags von 800 Euro) auf Zahlung von rund 3.600 Euro und in zweiter Instanz zuletzt auf Zahlung von rund 6.300 Euro gerichtete Klage ist vor dem AG und dem LG erfolglos geblieben.

Die auf Zahlung von 3.200 Euro gerichtete Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Zu den vom Erben gemäß § 1968 BGB zu tragenden Beerdigungskosten nur die Kosten des Bestattungsakts. Dieser findet seinen Abschluss mit der Errichtung einer dauerhaften Grabstätte. Die Kosten für das Grabmal und für Pflege und Instandsetzung des Grabs hat der Erbe zivilrechtlich nicht zu tragen. Insoweit kann er allenfalls nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften verpflichtet sein.

Die testamentarischen Erben sind allerdings aufgrund der Anordnung der Erblasserin, die als Auflage im Sinne von § 1940 BGB zu qualifizieren ist, zur Tragung der Grabpflegekosten verpflichtet. Als testamentarischer Erbe erhält der Kläger deshalb nur einen Anteil des nach Abzug der Grabpflegekosten verbleibenden Restbetrags von rund 200 Euro. Der Anteil des Klägers daran beträgt 9,09 % (ein Elftel). Dem Kläger sind im Testament zwar nur 5 % zugewandt worden. Da die Erblasserin insgesamt nur 55 % zugeteilt hat und ihr Testament dahin auszulegen ist, dass nur die darin genannten Personen Erben sein sollen, sind die einzelnen Anteile aber entsprechend zu erhöhen.

Zusätzlich zu diesem testamentarischen Erbteil von rund 20 Euro steht dem Kläger gemäß § 2305 BGB ein Zusatzpflichtteil in Höhe von 40,91 % des Nachlasses (die Differenz zwischen dem Pflichtteil von 50 % und dem testamentarisch zugedachten Anteil von 9,09 %) zu. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Nachlasswert insoweit ohne Abzug der Grabpflegekosten anzusetzen. Die Auflage im Testament ist nicht zu berücksichtigen, weil ein Pflichtteilsanspruch durch Auflagen nicht geschmälert werden darf. Dem Kläger stehen damit rund 4.000 Euro abzüglich der bereits erhaltenen 800 Euro zu.

Eine abschließende Entscheidung ist dem BGH nicht möglich, weil die Beklagten hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch wegen eines der Erblasser gehörenden Nerzmantels aufgerechnet haben.

Praxistipp: Will der Erblasser auch gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten sicherstellen, dass die Grabpflegekosten aus dem Nachlass gezahlt werden, muss er bereits zu Lebzeiten einen Grabpflegevertrag schließen. Die sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen gehören nach § 1967 Abs. 2 BGB zu den Nachlassverbindlichkeiten.

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Diese Woche geht es um die Haftungshöchstbeträge für Ansprüche aus dem Straßenverkehrsgesetz und um die Verjährung des Anspruchs auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherung

Haftungshöchstbeträge nach § 12 StVG a.F.
Urteil vom 16. März 2021 – VI ZR 140/20

Mit der bis 17. Dezember 2007 geltenden Fassung von § 12 StVG befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der im Jahr 1983 geborene Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2000 eine Querschnittlähmung ab dem fünften Halswirbel. Ursache des Unfalls war ein Rad, das sich infolge eines Ermüdungsbruchs von einem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug löste und auf das Auto prallte, in dem der Kläger saß. Eine weitere Insassin dieses Autos wurde leicht verletzt, machte aber keine Ersatzansprüche geltend. Die Beklagte zahlte seit dem Unfall eine monatliche Rente von 1.917,34 Euro (ursprünglich 3.750 DM). Im Oktober 2018 stellte sie die Zahlungen ein. Bis dahin hatte sie insgesamt rund 388.000 Euro (rund 760.000 DM) gezahlt. Das LG verurteilte die Beklagte zur Weiterzahlung der Rente in der bisherigen Höhe. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein Anspruch auf Rentenzahlung nach den bis 17.12.2017 geltenden Fassungen von § 12 Abs. 1 StVG nur durch den Höchstbetrag für die Jahresrente begrenzt wird, nicht aber durch die separat festgelegte Höchstgrenze für Kapitalbeträge. Nach der im Streitfall maßgeblichen Fassung von § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVG haftet die Beklagte, solange die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, danach bis zu einem Rentenbetrag von jährlich 30.000 DM – unabhängig davon, ob der Gesamtbetrag ihrer Zahlungen die für Kapitalbeträge geltende Höchstgrenze von 500.000 DM überschritten hat.

Der BGH tritt den Vorinstanzen ferner darin bei, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht bis zu dem in § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVG a.F. für den Fall der Verletzung mehrerer Personen vorgesehenen Höchstbetrag von 45.000 DM jährlich haftet. Diese Grenze ist nur für die Summe aller Rentenzahlungen maßgeblich, die die Beklagte gegenüber Personen erbringen muss, die bei dem Unfall verletzt worden sind. Der Anspruch eines einzelnen Verletzten ist dagegen nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVG a.F. auf 30.000 DM jährlich begrenzt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen können die in der Vergangenheit erbrachten Zahlungen der Beklagten nicht ohne weiteres als Anerkenntnis einer Pflicht zur Zahlung einer Rente von jährlich 45.000 DM angesehen werden. Eine Tilgungsleistung kann nur dann als Angebot zum Abschluss eines bestätigenden Schuldanerkenntnisvertrags ausgelegt werden, wenn im konkreten Fall ein nachvollziehbarer Anlass für ein solches Anerkenntnis bestand. Letzteres kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn Streit oder Ungewissheit über Bestand oder Höhe der Forderung herrschte. Diesbezügliche Feststellungen hat das OLG nicht getroffen.

In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das OLG insbesondere dem Vortrag des Klägers nachzugehen haben, wonach sein Prozessbevollmächtigter nach dem Unfall in einer abschließenden Besprechung mit der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe, er werde von einer gerichtlichen Geltendmachung von weitergehenden Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB absehen, wenn die Beklagte im Gegenzug den Haftungshöchstbetrag von 45.000 DM pro Jahr hinnehme.

Praxistipp: Da solche Konstellationen in der Regel erst lange Zeit nach dem Schadensereignis eintreten, ist besonders sorgfältig zu prüfen, welche Fassung von § 12 StVG maßgeblich ist. Seit 18.12.2007 gilt ein einheitlicher Höchstbetrag (derzeit fünf Millionen Euro), der auch für den Kapitalwert einer zu leistenden Rente maßgeblich ist.

Verjährung des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung
Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20

Mit dem Beginn der Verjährung eines Anspruchs aus § 648a BGB a.F. (jetzt: § 650f BGB) befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Beklagte beauftragte den Kläger im Jahr 2013 mit Rohbauarbeiten für ein Mehrfamilienhaus. Nach Abschluss der Arbeiten legte die Klägerin im Juli 2014 eine Schlussrechnung über einen Gesamtbetrag von rund 220.000 Euro netto vor. Die Beklagte, die bis dahin Abschläge in Höhe von rund 110.000 Euro erbracht hatte, berief sich auf Mängel und verweigerte weitere Zahlungen. Über eine im Jahr 2015 erhobene Klage auf restliche Vergütung ist erstinstanzlich noch nicht entschieden.

Im September 2018 verlangte die Klägerin die Stellung einer Sicherheit in Höhe von 88.000 Euro. Ihre auf diese Leistung gerichtete Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt erfolglos.

Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der Anspruch auf Leistung einer Bauhandwerkersicherung als „verhaltener“ Anspruch zu qualifizieren ist, so dass die Verjährung frühestens dann beginnt, wenn der Unternehmer den Anspruch erstmals geltend macht. Der Besteller darf eine solche Sicherheit nicht von sich aus stellen. Die Entscheidung darüber liegt beim Unternehmer, weil dieser die hierfür anfallenden Kosten tragen muss. Der Unternehmer wird eine Sicherheit in der Regel nur dann verlangen, wenn ein entsprechendes Sicherungsbedürfnis besteht. Ein solches kann sich je nach Einzelfall auch erst geraume Zeit nach Entstehung des Anspruchs ergeben.

An der Geltendmachung des Anspruchs ist die Klägerin im Streitfall weder unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs noch unter dem Aspekt der Verwirkung gehindert.

Praxistipp: Geltend gemachte Mängel haben gemäß § 650f Abs. 1 Satz 4 BGB auf die Höhe der zu leistenden Sicherheit grundsätzlich keinen Einfluss, soweit daraus resultierende Ansprüche nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind.

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Diese Woche geht es um eine eher selten einschlägige Vorschrift aus dem Wohnungsmietrecht – und um den Umgang einer Kirche mit langjährigen Bediensteten

Auflösende Bedingung in einem Wohnungsmietvertrag
Urteil vom 11. November 2020 – VIII ZR 191/18

Mit § 572 Abs. 2 BGB und der Geschäftsgrundlage einer Räumungsvereinbarung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin, eine kirchliche Organisation, vermietete im Jahr 1977 an die Beklagte und deren Ehemann, der seit 1969 als Diakon im Dienst der Klägerin tätig war, ein Reihenhaus. In einer Anlage zum Mietvertrag war vermerkt, das Mietverhältnis ende ohne weiteres mit dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst. Als der Ehemann im Jahr 2002 in den Ruhestand trat, wurde das Mietverhältnis fortgesetzt, weil die Beklagte ebenfalls im kirchlichen Dienst tätig war. Im März 2015 bat die Klägerin im Hinblick auf den am 31. Mai desselben Jahres anstehenden Eintritt der Beklagten in den Ruhestand um baldige Vereinbarung eines Rückgabetermins. Ende April unterschrieb die Beklagte anlässlich eines Besichtigungstermins eine Vereinbarung, wonach das Mietverhältnis bis 31.05.2016 zu denselben Konditionen fortgesetzt wird. In der Folgezeit trat sie von der Vereinbarung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage zurück. Ferner erklärte sie deren Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Die Vorinstanzen haben die geschlossene Vereinbarung zwar ohne Rechtsfehler als verbindlich angesehen. Mit der vom LG gegebenen Begründung kann aber weder ein wirksamer Rücktritt wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage noch eine wirksame Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung verneint werden.

Aus den Feststellungen des LG ergibt sich, dass beide Parteien davon ausgingen, der Mietvertrag ende mit dem Eintritt in den Ruhestand. Diese Annahme war unzutreffend, weil sich der Vermieter von Wohnraum gemäß § 572 Abs. 2 BGB auf eine Vereinbarung, nach der das Mietverhältnis auflösend bedingt ist, nicht berufen kann. Entgegen der Auffassung des LG gehörte die Frage, ob das Mietverhältnis über den 31.05.2015 hinaus fortbesteht, nicht zum Inhalt der getroffenen Räumungsvereinbarung (was einen Rücktritt gemäß § 779 Abs. 1 BGB ausgeschlossen hätte). Die gemeinsame Fehlvorstellung über das bevorstehende Ende bildete vielmehr die Geschäftsgrundlage der Räumungsvereinbarung.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich ferner eine widerrechtliche Drohung seitens der Klägerin. Die von der Beklagten behauptete Ankündigung der Klägerin, ohne Einigung werde sie am 31.05.2015 mit einem Rechtsanwalt vor der Türe stehen und die Beklagte müsse ausziehen, ist angesichts der kurzen Zeit, die der Beklagten bis zu der angedrohten Räumung verblieben wäre, und der angespannten Situation auf dem betreffenden Wohnungsmarkt als widerrechtlich anzusehen.

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LG zu prüfen haben, ob der Beklagten trotz Fehlens der Geschäftsgrundlage ein Festhalten an der Räumungsvereinbarung zumutbar ist und ob die Klägerin die behauptete Drohung tatsächlich ausgesprochen hat.

Praxistipp: Einen Mietvertrag über Wohnraum, der mit Rücksicht auf ein Dienstverhältnis abgeschlossen worden ist, kann der Vermieter nach Beendigung des Dienstverhältnisses gemäß § 576 BGB mit relativ kurzer Frist kündigen. Ansonsten gelten die allgemeinen Bestimmungen, d.h. der Vermieter muss ein berechtigtes Interesse an der Kündigung haben (typischerweise Bedarf für einen neuen Mitarbeiter) und der Mieter kann der Kündigung nach Maßgabe von § 574 BGB widersprechen.