Anwaltsblog: Wann beginnt bei einer Urteilsberichtigung die Berufungsfrist?

Wann beginnt die Rechtsmittelfrist, wenn die dem Rechtsmittelführer zugestellte Ausfertigung des Urteils einen Mangel aufweist und das Gericht auf entsprechenden Hinweis des Rechtsmittelführers diesem – nach Rückgabe der mangelbehafteten Ausfertigung – eine mit dem Original des Urteils übereinstimmende Ausfertigung zustellt? Diese Frage stellte sich dem X. Zivilsenat:

Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde am 2. September 2021 eine beglaubigte Abschrift eines Urteils des Patentgerichts zugestellt, in der im Tatbestand die beiden letzten Absätze des Hilfsantrags 1 nach der (aus drei Zeilen bestehenden) Bezugnahme auf weitere Hilfsanträge stehen. Mit Schriftsatz vom Tag darauf teilte der Prozessbevollmächtigte dem Patentgericht mit, die Ausführungen auf der betreffenden Seite erweckten den Anschein, dass etwas fehle, und bat um einen Hinweis, wie die Begründung hier zu lesen sei. Das Patentgericht hat die ursprünglich zugestellten Abschriften zurückgefordert und mit dem Original übereinstimmenden Abschriften zugestellt. Die berichtigte Fassung ist der Klägerin am 27. September 2021 zugestellt worden. Ihre Berufungsschrift ist am 27. Oktober 2021 beim BGH eingegangen, der gem. § 110 PatG Berufungsgericht ist.

Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat eingelegt worden ist. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist hat im Streitfall mit der Zustellung vom 2. September 2021 begonnen. Dem steht nicht entgegen, dass die damals zugestellte Abschrift des Urteils auf Seite 9 von der Urschrift abweicht. Die Wirksamkeit einer Zustellung wird nicht dadurch berührt, dass die zugestellte Ausfertigung von der Urschrift abweicht, sofern der Mangel, wäre er bei der Urteilsabfassung selbst unterlaufen, nach § 319 ZPO berichtigt werden könnte. Entscheidend ist, ob die zugestellte Ausfertigung formell und inhaltlich geeignet war, der Partei die Entschließung über die Notwendigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu ermöglichen, weil sich ein Fehler in der Sphäre des Gerichts nicht als Beeinträchtigung oder Vereitelung der Rechtsmittelmöglichkeit auswirken darf. Im Interesse einer klaren und praktikablen Handhabung ist hierbei auf eine typisierende Betrachtungsweise abzustellen. Als typischerweise wesentlicher Mangel ist vor allem das Fehlen ganzer Seiten anzusehen. Grundsätzlich führt danach schon das Fehlen einer einzigen Seite zur Unwirksamkeit der Zustellung. Eine Berichtigung gemäß § 319 ZPO setzt eine Rechtsmittelfrist nur dann erneut in Gang, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden. Dies ist etwa der Fall, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer erkennen lässt oder ergibt, dass die Entscheidung überhaupt einem Rechtsmittel zugänglich ist, oder wenn erst aus dieser Fassung hervorgeht, gegen wen das Rechtsmittel zu richten ist. Im Streitfall hat bereits die Zustellung der fehlerhaften Fassung die Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt. Der in der zugestellten Abschrift enthaltene Fehler ist nicht als typischerweise wesentlich anzusehen. Die zugestellte Abschrift enthielt alle Seiten des angefochtenen Urteils. Die am 2. September 2021 in Gang gesetzte Berufungsfrist ist durch die Einlegung der Berufung am 27. Oktober 2021 nicht eingehalten worden.

(BGH, Urteil vom 17. Oktober 2023 – X ZR 96/21)

 

Fazit: Die Berichtigung eines Urteils gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit hat grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Gegen das berichtigte Urteil findet nur das gegen das ursprüngliche Urteil zulässige Rechtsmittel statt, und die Frist zu seiner Einlegung läuft (schon) von der Zustellung der unberichtigten Urteilsfassung an. Den Parteien wird zugemutet, im Rahmen ihrer Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels eine offenbare Unrichtigkeit des Urteils zu berücksichtigen, schon bevor dieses gemäß § 319 ZPO berichtigt wird (BGH, Beschluss vom 9. November 2016 – XII ZB 275/15 –, MDR 2017, 228).

Anwaltsblog: (Klassischer) beA-Anwendungsfehler – sicherer Übermittlungsweg nicht gewahrt!

Elektronische Dokumente, die von Rechtsanwälten an Gerichte übermittelt werden, müssen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden, wie der Kartellsenat des BGH betont:

Eine am letzten Tag der Frist als elektronisches Dokument übermittelte Beschwerdebegründung wurde nicht qualifiziert, sondern lediglich einfach signiert. Versendet wurde sie nicht aus dem beA des Rechtsanwalts B oder des Rechtsanwalts C, die beide das Dokument einfach signiert haben, sondern aus dem beA der Rechtsanwältin D, die das Dokument nicht signiert hat. Ein (einfach) signiertes Dokument muss auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 ZPO). Als sicher gilt gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem beA und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Voraussetzung ist, dass die den Schriftsatz verantwortende Person das Dokument selbst versendet. Weil dies nicht der Fall war und die Begründung somit nicht der gesetzlichen Form entspricht, wurde die Begründungsfrist nicht gewahrt.

Es ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Partei muss sich das Verschulden von Rechtsanwältin D zurechnen lassen. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Als Bevollmächtigter ist auch ein Rechtsanwalt anzusehen, der als Angestellter oder freier Mitarbeiter des Verfahrensbevollmächtigten von diesem mit der selbstständigen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden ist und der nicht als bloßer Hilfsarbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist. Nach diesem Maßstab ist Rechtsanwältin D als Bevollmächtigte anzusehen. Rechtsanwältin D hat an der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde umfangreich mitgewirkt und wurde von Rechtsanwalt B zur Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung unterbevollmächtigt. Danach hätte Rechtsanwältin D die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung signieren und aus ihrem beA versenden müssen. Sie hätte also nach außen hin den Inhalt der Beschwerdebegründung verantworten sollen. Diese Tätigkeit geht über eine bloße Hilfstätigkeit hinaus. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte Rechtsanwältin D erkennen müssen, dass die Einreichung eines nicht von ihr signierten Schriftsatzes über ihr beA nicht den Formerfordernissen des § 130a Abs. 3 ZPO entspricht.

Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer für das Versäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts, weil der gerichtliche Hinweis auf die Fristversäumnis erst ca. 1,5 Jahre nach Einreichung des Schriftsatzes erfolgt ist. Die Fristversäumnis ist nicht deshalb als unverschuldet anzusehen, weil durch die verzögerte Hinweiserteilung die für eine Wiedereinsetzung regelmäßig erforderliche Glaubhaftmachung erschwert worden wäre, was im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG nicht der Prozesspartei angelastet werden darf. Es kann dahinstehen, ob die Verzögerung eines gerichtlichen Hinweises im besonderen Einzelfall dazu führen kann, dass eine Glaubhaftmachung der den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen nicht erforderlich ist. Denn der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht aufgrund einer fehlenden Glaubhaftmachung der für eine Wiedereinsetzung relevanten Tatsachen unbegründet. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Rechtsanwältin D steht vielmehr fest. Der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder das einfach signierte elektronische Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg persönlich einzureichen, damit die Echtheit und die Integrität des Dokuments wie bei einer persönlichen Unterschrift gewährleistet sind. Dieser Verantwortung sind weder die Rechtsanwälte B und C, die die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung einfach signiert haben, noch Rechtsanwältin D, die den Schriftsatz ohne ihn zu signieren über ihr beA eingereicht hat, nachgekommen.

(BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – KVZ 64/21)

Fazit: Jeder beA-Nutzer muss sich die beiden Möglichkeiten der Übermittlung elektronischer Dokumente an Gerichte vergegenwärtigen. Wenn das Dokument nicht qualifiziert signiert ist, reicht die einfache Signatur (= Unterschrift) nur aus, wenn das Dokument aus dem beA des Signierenden versendet wird.

Anwaltsblog: beA – Rechtsmittel unwirksam wegen falschen Dateiformats

Welche Rechtsfolgen die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift im falschen Dateiformat hat, musste das Bundesverwaltungsgericht klären:
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 30. Juni 2022 zugestellten Beschluss am 1. Juli 2022 beim Sächsischen OVG Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat „docx“ über das besondere Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am 4. Juli 2022 beim OVG eingegangen. Das OVG hat die Beschwerde am 13. Juli 2022 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 28. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt worden sei, das Dokument aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gelte, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht reagiert.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen nicht formgerecht eingereicht worden ist. Bis Fristablauf ist die Beschwerde weder beim OVG, dessen Entscheidung angefochten wird, noch beim BverwG als zuständigem Beschwerdegericht formgerecht eingereicht worden. Die postalische Einlegung der Beschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2022 ist unwirksam. Denn nach dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. Auch die elektronische Einreichung der Beschwerdeschrift beim OVH durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Juli 2022 entspricht nicht den Formvorgaben. Zwar war die Beschwerdeschrift mit dem maschinenschriftlichen Namenszug (einfach) signiert und wurde vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach (§ 31a BRAO) und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO an die elektronische Poststelle des Gerichts gesandt. Jedoch ist der elektronisch übermittelte Beschwerdeschriftsatz nicht zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet, weil er im falschen Dateiformat eingereicht wurde. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung) ist das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Grund hierfür ist, dass sich dieses Dateiformat im Rahmen des elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs zum Standardformat entwickelt hat und für die Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr besonders geeignet ist. Die Festlegung eines einheitlichen Dateiformates ermöglicht die reibungslose Weiterverarbeitung und elektronische Aktenführung durch die Gerichte, Behörden und anderen Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments im Dateiformat PDG zwingend.
Der Formmangel ist auch nicht geheilt worden. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen (§ 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Trotz Hinweises ist das nicht geschehen.
(Beschluss des Fachsenats vom 4. Oktober 2022 – BVerwG 20 F 15.22)

Fazit: Auch die anderen Verfahrensordnungen kennen eine entsprechende Heilungsmöglichkeit. Voraussetzung ist jeweils, dass der Absender das elektronische Dokument „unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.“ (vgl. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO).

Anwaltsblog: Wann ist ein Grundurteil zulässig?

Mit den Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils hatte sich der VIII. Zivilsenat des BGH zu befassen:
Der Kläger als ehemaliger Mieter und die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin nehmen die Vermieterin auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger erlitt am 23. Dezember 2011 während des Badens einen Atemstillstand. Er behauptet, diese Vergiftung sei durch aus der Gastherme im (fensterlosen) Bad ausströmendes Kohlenmonoxid verursacht worden, deren letzte Wartung unzureichend gewesen sei. Der Kläger ist seitdem arbeitsunfähig und bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit seiner Klage hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Verdienstausfall, einer monatlichen Entschädigungsrente sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes zu verurteilen. Zudem hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm die Schäden aus dem Gasthermenunfall vom 23. Dezember 2011 zu ersetzen. Die Klägerin hat aus übergegangenem Recht beantragt, die Beklagte zur Zahlung von erbrachten Leistungen und entgangener Beiträge zu verurteilen. Ferner hat sie u.a. beantragt festzustellen, dass die Beklagte die künftigen Erwerbsunfähigkeitsleistungen sowie die künftigen Heilbehandlungskosten wegen des Unfalls vom 23. Dezember 2011 zu erstatten habe. Das Landgericht hat ein Grundurteil erlassen, wonach die Klage dem Grunde nach berechtigt ist. Die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht zurückgewiesen.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das vom Landgericht erlassene und vom Berufungsgericht bestätigte Grundurteil ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig und lediglich der Streit über den Anspruchsgrund entscheidungsreif ist. Dies erfordert, dass grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht. Eine entsprechende Trennung in ein Grund- und Betragsverfahren setzt einen Anspruch voraus, der auf die Zahlung von Geld gerichtet ist. Deswegen scheidet ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag aus. Daher durfte über die Feststellungsanträge der Kläger nicht durch Grundurteil entschieden werden. Selbst wenn man annähme, das Berufungsgericht habe lediglich über die Zahlungsanträge der Kläger entscheiden wollen, würde dies an der Fehlerhaftigkeit der Entscheidung nichts ändern. Denn es läge dann ein unzulässiges Teilurteil vor, weil bei objektiver Klagehäufung von Leistungs- und Feststellungsbegehren, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, aufgrund der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht durch Teilurteil gesondert über einen Teil der Ansprüche entschieden werden darf.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist überdies deshalb verfahrensfehlerhaft, weil es den Mangel der Mietsache, der ursächlich für den Austritt von Kohlenmonoxid und damit für die Gesundheitsverletzung des Klägers gewesen sei, (allein) in der Verschmutzung des Wärmetauschers der Gastherme gesehen hat, ohne den Vortrag der Beklagten hinreichend zu berücksichtigen. Die Beklagte hat bestritten, dass der Wärmetauscher am Unfalltag verschmutzt gewesen sei und dies durch die Vernehmung des Bezirksschornsteinfegermeisters sowie des Notfallschornsteinfegers unter Beweis gestellt. Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, ist der Vortrag der Beklagten hinreichend substantiiert. Ein Sachvortrag ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Gemessen hieran hat die Beklagte ausreichend dargelegt, dass nach ihrer Auffassung der Wärmetauscher am Unfalltag nicht verschmutzt gewesen sei, weil derartige Verschmutzungen von den benannten, am Unfalltag in der Mietwohnung anwesenden Zeugen nicht festgestellt worden seien. Näheren Vortrag zum genauen Verschmutzungszustand und zu der Art der Untersuchung des Wärmetauschers durch die Zeugen konnte und musste die Beklagte, die im Gegensatz zu den beiden als Zeugen benannten Schornsteinfegern selbst am Unfalltag nicht vor Ort war, nicht halten. Sie musste insbesondere keine Ausführungen dazu machen, welche konkreten Untersuchungen die Zeugen an der Gastherme vorgenommen hatten. Die weitergehende Annahme des Berufungsgerichts, es erscheine „unwahrscheinlich“, dass am Unfalltag eine genaue Untersuchung des Wärmetauschers auf Verschmutzungen stattgefunden habe, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.
(BGH, Urteil vom 20. September 2023 – VIII ZR 432/21)

Fazit: Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Insoweit ist größte Zurückhaltung geboten (BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – VI ZR 371/21).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Übergehen eines Beweisangebots.

Erheblichkeit eines Beweisangebots
BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – VI ZR 371/21

Der VI. Zivilsenat hebt ein OLG-Urteil wegen Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG auf. 

Der im Jahr 2007 geborene Kläger verlangt von den Beklagten – einem Klinikum und einer dort tätigen Hebamme – Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung seiner Mutter bei seiner Geburt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro zugesprochen und die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz aller weiteren Schäden festgestellt.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 9 ZPO an das OLG zurück. 

Das OLG hat Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es von der Vernehmung von drei behandelnden Ärzten abgesehen hat. Die Beklagten haben die Zeugen zum Beweis der Tatsache benannt, dass die Mutter des Klägers erst beim Hinzutreten der Ärzte von einer zu Hause aufgetretenen vaginalen Blutung berichtet habe, nicht hingegen schon bei der Aufnahme durch die beklagte Hebamme. Wenn die unter Beweis gestellte Behauptung zutrifft, kann der Hebamme nicht vorgeworden werden, die Ärzte zu spät hinzugezogen zu haben. 

Praxistipp: Lässt das Berufungsgericht schon in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erkennen, dass es bestimmte Beweisangebote nicht berücksichtigen wird, muss dies noch in der Berufungsinstanz gerügt werden, und zwar innerhalb der Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis. Ansonsten besteht die Gefahr, dass eine auf diesen Gesichtspunkt gestützte Nichtzulassungsbeschwerde schon aus Gründen der Subsidiarität erfolglos bleibt.

Anwaltsblog: Wann muss ein Rechtsanwalt überprüfen, ob eine Mitarbeiterin einen fristgebundenen Schriftsatz beim richtigen Gericht eingereicht hat?

 

Wann sich ein Rechtsanwalt für die Versendung einer Berufungsbegründung nach Entdeckung einer falschen beA-Adresse mit einer Einzelanweisung an die mit der Versendung befasste Mitarbeiterin begnügen darf und wann er deren Ausführung persönlich überprüfen muss, hatte der III. Zivilsenat zu entscheiden:

 

Nachdem ihre Berufungsbegründung verspätet eingegangen war, hat die Klägerin Wiedereinsetzung beantragt. Ihr Rechtsanwalt habe die seit Januar 2017 in seiner Kanzlei tätige, stets sorgfältig, zuverlässig und beanstandungsfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte D. am letzten Tag der Frist mit der Einreichung des an das „Hanseatische Oberlandesgericht, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg“ adressierten Berufungsbegründung beauftragt. Da aber im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer dieses nicht als „Hanseatisches Oberlandesgericht“, sondern als „Oberlandesgericht Hamburg“, und mit dem Zusatz „Hanseatisches“ nur das „Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen“ aufgeführt sei, habe Frau D. irrtümlich letzteres als Empfänger ausgewählt. Nachdem dem Rechtsanwalt dies bei der Vornahme der qualifizierten elektronischen Signatur aufgefallen sei, habe er sie angewiesen, „noch einmal den Adressaten der Nachricht zu prüfen und zu korrigieren“. Da Frau D. im beA-Verzeichnis aber wiederum nur das „Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen“ gefunden und deshalb angenommen habe, dass Bremen und Hamburg ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden, habe sie die Berufungsbegründung schließlich (doch) an diesen Empfänger versandt. Die Klägerin meint, der Rechtsanwalt habe auch ohne Kontrolle darauf vertrauen dürfen, dass Frau D. die ihr erteilte konkrete Einzelweisung befolgen oder sich bei auftretenden Zweifeln zur Rücksprache an ihn wenden würde.

Das Wiedereinsetzungsgesuch wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil die Klägerin ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht dargelegt hat. Aus ihrem Wiedereinsetzungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Fristversäumung durch die möglicherweise irreführende Benennung des Berufungsgerichts im Empfängerverzeichnis des beA entscheidend verursacht wurde. Denn nicht diese Gerichtsbezeichnung, sondern vielmehr das (Fehl-)Verhalten der Mitarbeiterin hat den maßgeblichen Kausalbeitrag für die Übermittlung der richtig adressierten Berufungsbegründung an das unzuständige OLG in Bremen am Tag des Fristablaufs geleistet. Nach den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen hatte der Rechtsanwalt Frau D. nämlich auf das von ihr aus dem beA-Verzeichnis zunächst ausgewählte OLG in Bremen angesprochen und sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eigentlich das „Berufungsgericht in Hamburg“ zuständig sei. Trotz dieses Hinweises wiederholte Frau D. nachfolgend ihren Fehler. Stattdessen hätte sie, da sie nach eigenen Angaben auch bei der nochmaligen Suche im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer kein anderes Hanseatisches Oberlandesgericht als das in Bremen gefunden hatte, die Arbeitsanweisung befolgen müssen, sich bei Unklarheiten bei der Ermittlung des richtigen beA-Empfänger-Postfachs an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu wenden. Insbesondere hätte sie ohne vorherige Rückfrage nicht einfach davon ausgehen dürfen, dass Hamburg und Bremen ein gemeinsames OLG mit Sitz in Bremen unterhalten würden.

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trifft daran, dass die Berufungsbegründung trotz seines Hinweises nicht rechtzeitig vor Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht in Hamburg übermittelt wurde, ein eigenes, seiner Partei zurechenbares Überwachungsverschulden. Zwar ist ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts an der Fristversäumung nicht gegeben, wenn dieser einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Denn ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolgt, und ist unter diesen Umständen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Allerdings hat die Klägerin nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine Mitarbeiterin konkret und bestimmt angewiesen hätte, den Berufungsbegründungsschriftsatz nur an dasjenige OLG, das in Hamburg unter der im Schriftsatz angegebenen Adresse ansässig ist, zu versenden.

(BGH, Beschluss vom 31. August 2023 – III ZB 72/22)

 

Fazit: Fällt einem Rechtsanwalt auf, dass eine Mitarbeiterin trotz richtiger Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf eines fristgebundenen Schriftsatzes fehlerhaft ein anderes Gericht als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hat, kann er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr „in einem zweiten Anlauf“ eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen. Er muss daher die Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen.

Anwaltsblog: Nachträgliche Unzulässigkeit einer Berufung

Mit den Anforderungen an die Zulässigkeit einer bereits fristgemäß begründeten Berufung hatte sich der XI. Zivilsenat des BGH zu befassen:
Der Kläger verlangte von der beklagten Bank nach von ihm erklärten Widerruf die Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags und begehrte Feststellung, dass seine primären Leistungspflichten zur Zahlung von Zinsen und Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs erloschen seien. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Nachdem er das Darlehen vollständig abgelöst hatte, hat er den Feststellungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und (stattdessen) Rückzahlung der auf das Darlehen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen verlangt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung setzt voraus, dass der Angriff des Rechtsmittelführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist. Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden. Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, die die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen – bisher noch nicht geltend gemachten – Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig. Daher ist die Berufung des Klägers unzulässig, weil er sein erstinstanzliches Begehren nicht weiterbetrieben, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet hat. Die auf die positive Feststellung eines bestimmten Saldos aus einem Rückgewährschuldverhältnis gerichtete und die auf die Feststellung des Wegfalls von Primärpflichten des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag zielende Klage betreffen unterschiedliche Streitgegenstände. Aufgrund dessen handelt es sich beim Übergang von dem einen zu dem anderen Antrag um eine Klageänderung iSd. § 263 ZPO und nicht bloß um eine Antragsbeschränkung oder -erweiterung iSd. § 264 Nr. 2 ZPO. Dies gilt gleichermaßen für den vom Kläger in erster Instanz verfolgten negativen Feststellungsantrag und dem in zweiter Instanz geltend gemachten Anspruch auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Denn der Zahlungsantrag stellt in Form der Leistungsklage die Fortsetzung der positiven Feststellungsklage dar und wäre im Fall des Übergangs als Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen. Gegenüber der negativen Feststellungsklage betrifft die Zahlungsklage dagegen einen anderen Streitgegenstand.

(BGH, Beschluss vom 19. September 2023 – XI ZB 31/22)


Fazit: Eine Berufung ist nur zulässig, wenn der Berufungskläger noch bei Schluss der letzten mündlichen Verhandlung die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen will. Eine Berufung ist danach unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – XII ZR 112/03 –, MDR 2006, 828).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Rückgabe einer nicht bestellten Leistung.

Leistung in der irrigen Vorstellung einer Bestellung
BGH, Urteil vom 26. September 2023 – XI ZR 98/22

Der XI. Zivilsenat befasst sich mit der Auslegung von § 241a Abs. 2 Fall 2 BGB.

Im März 2019 überwies die klagende Bank 3.490 Euro auf ein gemeinsames Konto des Beklagten und dessen damaliger Ehefrau. Aus Sicht der Klägerin erfolgte die Zahlung auf der Grundlage eines Darlehensvertrags. Diesen Vertrag hatte die damalige Ehefrau des Beklagten unter dessen Namen, aber ohne dessen Wissen geschlossen. Im weiteren Verlauf erfolgten Teilzahlungen in Höhe von rund 1.050 Euro.

Die Klage auf Rückzahlung des Restbetrags von rund 2.440 Euro war in erster Instanz erfolgreich, nicht aber in der Berufungsinstanz.

Der Bundesgerichtshof stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Der Beklagte ist durch die Zahlung auf das gemeinsame Konto bereichert worden. Dies erfolgte ohne Rechtsgrund. Der in seinem Namen, aber ohne sein Wissen geschlossene Vertrag ist unwirksam. Die damalige Ehefrau war nicht bevollmächtigt. Der Beklagte hat den Vertragsschluss nicht genehmigt. Er hat auch nicht die erfolgten Teilzahlungen veranlasst.

Entgegen der Auffassung des OLG ist der auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB gestützte Rückzahlungsanspruch nicht nach § 241a BGB ausgeschlossen. Der Beklagte hat die Leistung zwar nicht bestellt. Es greift aber der Ausnahmetatbestand des § 241a Abs. 2 BGB. Die Leistung erfolgte in der irrigen Vorstellung einer Bestellung. Der Beklagte hat dies zwar nicht erkannt. Er muss sich aber entsprechend § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnis seiner damaligen Ehefrau zurechnen lassen, weil er dieser die Erledigung der finanziellen Angelegenheiten der Familie überlassen und sich um die Verwaltung des gemeinsamen Kontos nicht gekümmert hat. Aus demselben Grund kann er sich gemäß § 819 Abs. 1 BGB nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.

Praxistipp: Eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB kommt auch dann in Betracht, wenn der Repräsentant die ihm im Innenverhältnis zustehenden Befugnisse vorsätzlich überschreitet.

Blog Update Haftungsrecht: Bei Unfall mit Leasingfahrzeug haftet der Gegner voll

Wenn bei einem Unfall ein geleastes Fahrzeug beschädigt wird, bereitet die Schadensabwicklung besondere Komplikationen, weil Eigentum und Halterstellung auseinanderfallen. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs kann die Leasingfirma als Eigentümerin ersetzt verlangen, ohne dass sie sich die Betriebsgefahr anrechnen lassen muss, denn § 17 Abs. 2 StVG regelt nur die Mithaftung des Halters. Halter ist aber der das Fahrzeug auf eigene Rechnung nutzende Leasingnehmer. Nur wenn diesen ein Verschulden am Unfall trifft, kann es nach § 9 StVG zu einer Kürzung der Ansprüche des Eigentümers kommen; ansonsten muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer vollen Ersatz leisten. Die Vertragsgestaltung des Leasings geht also zu seinen Lasten.

Dies lässt sich, wie der BGH kürzlich entschieden hat (Urt. v. 18.4.2023 – VI ZR 345/21, VersR 2023, 851 = MDR 2023, 771), auch nicht dadurch vermeiden, dass der Haftpflichtversicherer den Halter und den Fahrer des Leasingfahrzeugs im Wege eines Gesamtschuldnerausgleichs in Regress nimmt. Diese stehen nämlich nicht zusammen mit dem Unfallgegner in einem Gesamtschuldverhältnis gegenüber der Leasingfirma. Eine Haftung aus Betriebsgefahr scheidet aus, weil die §§ 7 und 18 StVG nicht bei Beschädigung des selbst genutzten Fahrzeugs gelten. Da der Unfallhergang unaufgeklärt blieb, kam auch eine deliktische oder vertragliche Haftung nicht in Betracht. Die AGB des Leasingvertrags sahen eine verschuldensunabhängige Haftung nur für die Zahlung der Leasingraten vor und begründeten eine Schadensersatzpflicht lediglich für den Fall, dass der Schaden nicht von dritter Seite (wie hier der Haftpflichtversicherung) reguliert wird.

Auch aus ungerechtfertigter Bereicherung lässt sich in einem solchen Fall kein Anspruch des Haftpflichtversicherers gegen Halter und Fahrer des Leasingfahrzeugs herleiten, denn er hat nicht auf eine fremde Schuld, sondern auf die gegen ihn gerichtete und in voller Höhe begründete Forderung der Leasinggeberin geleistet. Im Ergebnis geht somit beim unaufgeklärten Unfall die Betriebsgefahr des Leasingfahrzeugs zu Lasten des Unfallgegners. Dies mag der Gesetzeslage entsprechen, systemgerecht ist es nicht (für Gesetzeskorrektur daher Greger, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz 25.91, m.w.N.).

Anwaltsblog: Welche Folgen hat die Überlassung von Chipkarte und PIN durch den Rechtsanwalt an Mitarbeiter?

Es soll nicht unüblich sein, dass Rechtsanwälte ihre beA-Chipkarte und den dazugehörigen PIN Mitarbeitern überlassen, um sich die Mühen der Versendung von (fristgebundenen) Schriftsätzen auf dem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 3 ZPO) zu ersparen. Welche Folgen das für Wiedereinsetzungsverfahren hat, wenn es bei der Übermittlung zu Fehlern kommt und dadurch Fristen nicht gewahrt werden, hatte der BGH in einem Dieselfall zu entscheiden.

Die Anforderungen an das besondere elektronische Anwaltspostfach nach §§ 31a und 31b BRAO sind in der RAVPV (Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer) geregelt. Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikats (Chipkarte) dieses keiner anderen Person überlassen, die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN muss geheim gehalten werden. Erfolgt der Zugang zum Anwaltspostfach verbotswidrig durch eine andere Person, z.B. durch ermächtigten Kanzleimitarbeiter, sind die damit vorliegenden Erklärungen eines Unbefugten zwar formgerecht. Über die Folgen einer verbotswidrigen Nutzung hat 2022 höchstrichterlich erstmalig das BSG entschieden. Danach muss sich ein Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, setzt er sich über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen – höchstpersönlichen – Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg, das von einem Dritten abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, wenn die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt ist. Bis zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs waren die beteiligten Rechtsanwälte wie der Rechtsverkehr geschützt durch das Schriftformerfordernis und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die höchstpersönliche und eigenhändige Unterschriftsleistung. Im elektronischen Rechtsverkehr ist dies abgelöst durch die Sicherungen entweder der qualifizierten elektronischen Signatur oder der vom Gesetzgeber im Interesse einer gesteigerten Akzeptanz der elektronischen Kommunikation begründeten Möglichkeit der Übermittlung von Dokumenten aus besonderen elektronischen Anwaltspostfächern. Im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung kann sich ein Postfachinhaber deshalb nicht auf die Unbeachtlichkeit von Erklärungen berufen, die er unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat. Verhält es sich so, hat er sich eine von Dritten abgegebene Erklärung vielmehr so zurechnen lassen, als habe er sie selbst abgegeben und im Vorhinein – durch die nicht vorgesehene Eröffnung der Nutzungsmöglichkeit für den Dritten – autorisiert (BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 R –, juris Rn. 15). Dem schließt sich nunmehr der BGH für den Zivilprozess an: „Handelt der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dem (= § 26 Abs. 1 RAVPV) zuwider und überlässt er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, muss er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben.“ Dies hat zur Folge, dass der Rechtsanwalt sich nicht damit entlasten kann, die in Frage stehende Sorgfaltspflichtverletzung sei einer erfahrenen und regelmäßig kontrollierten Mitarbeiterin unterlaufen, so dass ihn kein Verschulden träfe. Dazu hält der BGH erneut fest: Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich u.a. darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Dabei ist für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments im Sinne von § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht. Vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte. Dies rechtfertigt sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
(BGH, Beschluss vom 31. August 2023 – VIa ZB 24/22).

Fazit: Will der Rechtsanwalt die Übermittlung über beA nicht selbst vornehmen, muss er den Schriftsatz, den dann Mitarbeiter übermitteln können, zuvor qualifiziert signieren (§ 130a Abs. 3 ZPO). Durch die qualifizierte Signatur ist sichergestellt, dass eine anwaltliche Kontrolle stattfindet.