Der VGH München hat noch einmal klargestellt, dass eine Festsetzung des Streitwerts nur erfolgt, wenn sich die in Betracht kommende Gerichtsgebühr nach einem Streitwert richtet (Beschluss v 24.02.2017, Az: M 5 V 16.5324). Insofern kommt eine Streitwertfestsetzung nicht in Betracht, wenn keine Gerichtsgebühren entstehen oder wenn die Gerichtsgebühr nur in Höhe eines Festbetrages entsteht.

Nur auf Antrag hat das Gericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit festzusetzen.

BGH: Kein Anspruch gegen Anschlussinhaber, wenn Kind Zahlungen per Handy durchführt

In einer aktuellen Entscheidung lehnt der BGH (Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16) einen Zahlungsanspruch gegen einen Verbraucher ab, mit dessen Telefon ein 13-jähriges Kind über 0900-Premiumrufnummern Zahlungen für ein Onlinespiel durchgeführt wurden.

Der BGH lehnt eine Stellvertretung ab, insbesondere soll nicht die Figur der Anscheinsvollmacht zur Anwendung gelangen. Die speziellen Regelungen des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG, die die Beweislast auf den Anschlussinhaber verlagern, sollen ebenfalls nicht zur Anwendung gelangen, da es hier primär um einen Zahlungsvorgang geht, der vorrangig durch z.B. § 675u BGB geregelt wird. Nach § 675u BGB scheidet ein Anspruch jedoch aus.

Unter dem Strich ist dies eine äußerst verbraucherfreundliche Entscheidung. Sie darf aber nicht verallgemeinert werden: Wird das Telefon nicht als reines Zahlungsmittel verwendet, werden Leistungen direkt am Telefon erbracht (Hotline, Zugriff auf Premium-Dienste vom Handy aus) dürfte der Telekommunikationsvorgang wieder im Vordergrund stehen, sodass nicht die Regelungen zu Zahlungdiensten, sondern das TKG einschlägig ist. Auch könnte im Einzelfall durchaus die Rechtsfigur der Anscheinsvollmacht eingreifen, insbesondere bei Umsätzen, die über mehrere Abrechnungszeiträume hinweg erkennbar gewesen wären.

Hinweis: Gerade aufgrund des massiven Missbrauchs mit Premiumdiensten, ist Anschlussinhabern in den meisten Fällen dazu zu raten, diese einfach sperren zu lassen.

Quelle: Die aktuelle Meldung über die Entscheidung des BGH v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 finden Sie hier.

BGH: Fremde Bewertungen können solche des Portablbetreibers werden

Plattformbetreiber haften für fremde Meinungsäußerungen nur beschränkt. Rechtsprechung und Literatur haben ein ausgewogenes System entwickelt, das einerseits die Rechte des Bewerteten, andererseits aber auch die Meinungsfreiheit der Bewertenden wahrt.

In einem jüngst vom BGH entschiedenen Fall berief sich ein Plattformbetreiber auf diese lediglich vermittelnde Stellung zwischen Nutzer und bewertetem Unternehmen. Ausnahmsweise soll der Plattformbetreiber hier jedoch als unmittelbarer Störer doch haften.

Was ist passiert?

Der Plattformbetreiber hat auf eine Beschwerde hin eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem Bewertenden die Bewertungsformulierung angepasst, die Bewertung hiernach veröffentlicht.

„Bei der gebotenen objektiven Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Umstände hat der Beklagte somit die inhaltliche Verantwortung für die angegriffenen Äußerungen übernommen. Da es sich bei den Äußerungen um unwahre Tatsachenbehauptungen und um Meinungsäußerungen auf unwahrer Tatsachengrundlage und mit unwahrem Tatsachenkern handelt, hat das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurückzutreten.“

Praxistipp:

Plattformbetreiber – auch abseits von Bewertungsportalen kann dies z.B. Forenbetreiber treffen – sollten im Falle von Beanstandungen die beanstandeten Inhalte zunächst sperren und den jeweiligen Nutzer zu einer Stellungnahme auffordern. Sollte diese ausbleiben, sollten die Inhalte dauerhaft gesperrt bleiben. Es ist tunlichst von einer eigenmächtigen Anpassung von Äußerungen abzusehen.

Für Personen, die von rechtverletzenden Äußerungen betroffen sind, erhöht dies die Rechtsschutzmöglichkeiten, da Bewertende sich teils nach einer solche Bewertung „den Frust von der Seele geschrieben“ haben und Tage, Wochen oder Monate später oft nur eine sehr geringe Bereitschaft besteht, sich mit den Inhalten nochmals auseinanderzusetzen. Die Löschung von Äußerungen wäre dann die Folge.

 

BGH Urteil vom 4. April 2017 – VI ZR 123/16 (Pressemitteilung)

BGH: Eltern müssen Namen der rechtsverletzenden Kinder nennen

In Filesharingfällen besteht zunächst die Vermutung, dass der Anschlussinhaber zugleich auch Verletzer der fremden Urheberrechte ist. Es ist Aufgabe des Anschlussinhabers im Rahmen de sekundären Darlegungslast, diese Vermutung zu erschüttern.

In einem typischen Filesharingfall hatte der Anschlussinhaber mitgeteilt, dass ein volljähriges Kind die Verletzung begangen habe, ohne aber den Namen zu nennen. Der Beklagte berief sich auf den grundrechtlichen Schutz der Familie, teilte aber zugleich mit, den Verletzer zu kennen.

Das reichte dem BGH nicht aus, der auch die Eigentumsrechte der Rechteinhaber berücksichtigte, sodass es bei der Haftung des Anschlussinhabers verblieb.

Jens Ferner weist zutreffend darauf hin, dass sich aus den Entscheidungsgründen noch weitere wichtige Erkenntnisse ergeben könnten, die zum Stand der Veröffentlichung dieses Beitrages noch nicht vorlagen.

Praxistipp:
Der Praxistipp ergibt sich aus der Quintessenz des Urteils: Kennt der Anschlussinhaber den Täter namentlich, muss dieser auch angegeben werden. Nachforschungen auf fremdem PCs z.B. sind nicht vom Anschlussinhaber geschuldet. Anschlussinhaber sollten möglichst wenig zur Sachverhaltsaufklärung unternehmen. Beckmann und Norda kommentieren den Fall zutreffend: „Leider ist der Anschlussinhaber im vorliegenden Fall bei der Abwehr der Ansprüche nicht sonderlich geschickt vorgegangen.“
Aufgrund der höchstrichterlichen Klärung dieser Fallgestaltung, dürfte es in Zukunft nur noch in wenigen Fällen zu einer identischen Konstellation kommen, da das Aufklärungsinteresse des kundigen Anschlussinhabers gegen null tendieren dürfte.
BGH , Urteil vom 30.03.2017 – I ZR 19/16

Montagsblog: Neues vom BGH

Berufungsbegründung per Telefax
Beschluss vom 26. Januar 2017  – I ZB 43/16

Grenzen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht bei der Einreichung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax zeigt der I. Zivilsenat auf.

Der Prozessbevollmächtigte der in erster Instanz unterlegenen Beklagten hatte am letzten Tag der Frist von 23:28 Uhr an mehrfach vergeblich versucht, die sieben Seiten umfassende Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Alle Sendeversuche brachen mit der Meldung „Übertragungsfehler“ ab. Eine nachträgliche Überprüfung ergab, dass es beim Faxgerät des Berufungsgerichts am besagten Tag mehrfach zu vergleichbaren Übermittlungsfehlern gekommen war. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag dennoch als unbegründet zurück. Es bejahte ein Verschulden, weil die Möglichkeit bestanden habe, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln, dessen Nummer auf den Internetseiten des Gerichts veröffentlicht war.

Der BGH hebt die Entscheidung des OLG auf und gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax am letzten Tag der Frist kein Verschulden begründet, sofern ein ausreichender Zeitpuffer eingeplant wird, um eine vorübergehende Belegung des Anschlusses zu kompensieren. Diese Anforderung war für die Übersendung von sieben Seiten um 23:28 Uhr gewahrt. Aufgrund der vom OLG getroffenen Feststellungen war ferner davon auszugehen, dass die Übermittlung aufgrund eines technischen Fehlers am Empfangsgerät gescheitert ist. Bei dieser Ausgangslage brauchte sich der Anwalt entgegen der Auffassung des OLGs nicht auf das Wagnis einzulassen, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln. Dessen Nummer war zwar auf den Internetseiten des OLG veröffentlicht. Daraus ging aber nicht hervor, dass der Anschluss zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen dient.

Praxistipp: Wenn das zuständige Gericht einen bestimmten Faxanschluss ausdrücklich zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen benannt hat, ist die Übermittlung an einen anderen, nicht für diesen Zweck eingerichteten Anschluss nicht ohne weiteres zur Fristwahrung geeignet – selbst dann, wenn sie innerhalb der maßgeblichen Frist erfolgt.

Formwahrung durch gerichtlich festgestellten Vergleich
Beschluss vom 1. Februar 2017  – XII ZB 71/16

Die seit langem umstrittene Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellter Vergleich entsprechend § 127a BGB zur Wahrung der notariellen Form geeignet ist, bejaht der XII. Zivilsenat in einer ausführlich begründeten Entscheidung.

In einem Scheidungsverfahren hatten die Beteiligten einen vom Gericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich geschlossen, der unter anderem einen gegenseitigen Verzicht auf Zugewinn und Unterhalt enthielt. Später focht der Antragsteller den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an und begehrte im Wege der Stufenklage Auskunft und Zugewinnausgleich. Das Begehren blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde zurück. Er teilt die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Vergleich dem in § 1410 BGB vorgesehenen  Erfordernis der notariellen Beurkundung genügt. § 127a BGB, wonach ein gerichtlich protokollierter Vergleich die notarielle Beurkundung ersetzt, ist für Vergleiche, deren Zustandekommen das Gericht durch Beschluss gemäß § 278 Abs. 6 ZPO feststellt, zwar nicht unmittelbar anwendbar. Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten aber eine analoge Anwendung, und zwar unabhängig davon, ob der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts oder aufgrund übereinstimmender Schriftsätze der Beteiligten zustande gekommen ist.

Praxistipp: Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich zur Formwahrung auch dann geeignet ist, wenn das Gesetz die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile vorschreibt, wie etwa in § 925 BGB für eine Auflassung.

Bundestag hat Einrichtung von Spezialkammern bei den Landgerichten beschlossen

Am 09.03.2017 hat der Bundestag die Einrichtung von Spezialkammern bei den Landgerichten beschlossen (vgl. Art. 5 zu BT-Drs. 18/11437). Eine entsprechende Regelung soll es für Spezialsenate bei den Oberlandesgerichten geben. Einzurichten sind Spezialkammern bzw. Spezialsenate für die Sachgebiete:

1. Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften,

2. Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen,

3. Streitigkeiten über Ansprüche aus Heilbehandlungen und

4. Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen.

Den Spezialkammern bzw. Spezialsenaten können neben den Spezialsachgebieten auch allgemeine Streitigkeiten zugewiesen werden. Die Regelungen sollen zum 1.1.2018 in Kraft treten. Zunächst ist aber abzuwarten, wie der Bundesrat abstimmt.

BGH: Käufer muss bei eBay gesamte Artikelbeschreibung lesen

Um Gebühren bei eBay zu sparen, hat ein Verkäufer sein E-Bike für 100,00 EUR zum Verkauf angeboten, im Beschreibungstext aber deutlich darauf hingewiesen, dass der Kaufpreis 2.600,00 EUR beträgt. Mit diesem Preis war der spätere Käufer nicht einverstanden und klagte auf Erfüllung des Kaufvertrages gegen Zahlung von 100,00 EUR.

Dem BGH zufolge ist der Verkäufer im Recht. Zwar sei grundsätzlich das Angebot durch Auslegung der Marktplatzregeln (= AGB von eBay) zu deuten. Weicht der Verkäufer hiervon aber ab, so hat diese Abweichung als speziellere Ausgestaltung Vorrang, es gilt damit der Kaufpreis von 2.600,00 EUR. Da der Käufer erklärt hatte, nicht an den Preis von 2.600,00 EUR gebunden sein zu wollen, läge hier zudem eine konkludente Anfechtung des geschlossenen Kaufvertrages vor.

Dem Kläger stand der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe und Übereignung des E-Bikes gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB nicht zu. Zwar war – wenn auch zu einem Kaufpreis von 2.600 € – zwischen den Parteien ursprünglich ein Kaufvertrag zustande gekommen, so dass der Kläger – den (Fort-)Bestand dieses Vertrages vorausgesetzt – die Übergabe und Übereignung des gekauften E-Bikes, allerdings nur Zug um Zug gegen Zahlung des zwischen den Parteien gem. § 433 Abs. 2 BGB vereinbarten (Rest-) Kaufpreises i.H.v. 2.500 €, hätte verlangen können. Aus dem Sachverhalt ergab sich aber zugleich, dass der Kläger seine nach dem Empfängerhorizont des Beklagten objektiv auf einen Kaufpreis von 2.600 € lautende Annahmeerklärung anschließend gem. § 119 Abs. 1, § 121 Abs. 1, § 143 Abs. 1, 2 BGB wirksam wegen eines Inhaltsirrtums angefochten hatte, so dass es wegen der dadurch als von Anfang an als nichtig anzusehenden Annahmeerklärung gem. § 142 Abs. 1 BGB letztlich an einem die Klageforderung tragenden Vertragsschluss der Parteien fehlte.

[…]

Die Auslegung des vom Beklagten geschalteten Angebots in seiner
Gesamtheit ergibt, dass das E-Bike nicht für 100 € zum Verkauf gestellt war.
Zwar mag ein Kaufinteressent aufgrund der Gestaltung der Angebotsseite nach
seinem Empfängerhorizont zunächst davon ausgehen, dass der neben der
Schaltfläche „Sofort-Kaufen“ erscheinende und optisch hervorgehobene Festpreis
betragsmäßig dem Angebot des Verkäufers entspricht. Dabei darf er jedoch
nicht stehenbleiben. Vielmehr muss er zur Bestimmung des wirklichen
Erklärungstatbestands stets die insgesamt abgegebenen Erklärungen berücksichtigen
und darf nicht nur einzelne Erklärungsbestandteile als vermeintlich
maßgebend herausgreifen.

[…]

Sind bei Verkaufsaktionen auf der eBay-Internetplattform die Erklärungen der Teilnehmer nicht aus sich heraus verständlich oder lückenhaft und bedürfen sie deshalb der Auslegung, ist grundsätzlich zwar der Aussagegehalt der eBay-AGB ergänzend in die Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen einzubeziehen. Rückt jedoch einer der Teilnehmer von den Regelungen der eBay-AGB erkennbar in bestimmter Hinsicht ab, kommt deren Heranziehung insoweit zur Bestimmung des Vertragsinhalts nicht mehr in Betracht. Es ist dann vielmehr das individuell Vereinbarte maßgeblich.

Praxishinweis

Auf Verkäuferseite könnte sich ein wenig aufrichtiges Vorgehen nach Ansicht des BGH offenbar lohnen. Unternehmer, die so handeln, verhandeln sich lauterkeitsrechtlich jedoch rechtswidrig, § 5 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

Käufern ist in jedem Fall zur sorgfältigen Durchsicht sämtlicher Angebotsdetails zu raten. Im Falle eines Irrtums sollte unverzüglich eine Anfechtung erklärt werden. Dem Käufer, der dem Verkäufer mitteilt, er habe in Kenntnis der widersprüchlichen Preise den Kauf getätigt, wobei er nunmehr Lieferung begehrt, dürfte die Möglichkeit der Anfechtung mangels Irrtums nicht offen stehen.

Es steht zu befürchten, dass die Grundgedanken dieser Entscheidung auch auf andere Konstellationen ausgeweitet werden. z.B. ist denkbar, dass ein Produkt als „neu“ eingestellt wird, um aber später im Beschreibungstext zu offenbaren, dass der Gegenstand schon mehrere Monate genutzt ist und in einem Zustand „wie neu“ ist. Dies dürfte gegen die Vorgaben eBays verstoßen, zivilrechtlich nach der Entscheidung des BGH aber zu Problemen führen.

BGH Urteil vom 15.02.2017 Az.: VIII ZR 59/16

KG Berlin: Weiter grundsätzlich Störerhaftung des Wlan-Betreibers trotz Novellierung des TMG

Zwei rechtliche „Neuerungen“ haben in der jüngeren Vergangenheit Wlan-Betreiber aufhorchen lassen:

Zunächst sollte mit § 8 Abs. 3 TMG eine Regelung geschaffen werden, die die Verbreitung freier Wlan-Zugänge fördert (zur politischen Diskussion mehr hier).

Andererseits hat der EuGH in der Mc Fadden-Entscheidung die Voraussetzungen für den Entfall des Unterlassungsanspruchs (und damit von Ansprüchen auf Ersatz von Abmahnungs- und Gerichtskosten) enger gefasst, als das geeignete Maßnahmen, wie z.B. eine Verschlüsselung und Identifikation der Nutzer getroffen werden müssten.

Auf dieser Grundlage hat sich die Freifunk-Initiative, die es Jedermann ermöglicht, für Dritte ein freies Wlan über den eigenen Anschluss anzubieten, das sog. ZAPP-Script entwickelt. Diese Softwareerweiterung verbirgt sich in der Routersoftware und sorgt dafür, dass auffälliges Nutzungsverhalten, welches bei einer Filesharing-Nutzung typisch ist, zu einer Sperrung des Internetzugriffs führt. Kann diese Einstellung dazu führen, dass ein Wlan-Betreiber nicht auf Unterlassung haftet?

Das KG Berlin ist der Ansicht, dass das ZAPP-Script grundsätzlich geeignet ist, einer Störerhaftung zu entgehen. Abschließend geklärt werden konnte dies jedoch nicht, da es nach einer Erledigungserklärung nur noch um die Kosten des Rechtsstreits ging, hier das Gericht eine Prognose stellen musste. Das Gericht führt aus:

 

Es kam also bei Beweispflicht des Klägers darauf an, ob er bei Verzicht auf einen Passwortschutz die sonstigen Sicherungsmaßnahmen im Sinne des Beweisbeschlusses vom 19. Januar 2016 (Bd. II Bl. 10 d.A.) tatsächlich und Rechtsverletzungen zumindest hinreichend erschwerend ergriffen hatte. Dies lässt sich nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt der Abgabe der Hauptsacheerledigungserklärungen nicht abschließend beantworten. Auch wenn nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen V…, der allerdings den Router des Klägers selbst in Nachhinein sinnvoll nicht mehr begutachten konnte, den Angaben der vom Kläger benannten Zeugen P… und R… und den eigenen Bekundungen des informatorisch befragten Klägers schon manches dafür spricht, dass dies der Fall gewesen sein könnte, waren noch etliche Restzweifel und Fragen offen. Anders als vom Kläger schriftsätzlich behauptet worden ist, hatte der Zeuge P… das Aufspielen der Firmware auf den Router des Klägers nicht selbst vorgenommen, der Zeuge R… ohne nicht nicht, so dass die Beweisführung mittelbarer bleiben musste, was die Beweisanforderungen im Übrigen mit prägen muss und ein weiteres Abarbeiten der ohnehin schriftsätzlich von der Beklagten zum schriftlichen Sachverständigengutachten bereits angekündigten Fragen unentbehrlich gemacht hätte. Zur Versionsnummer des verwendeten Zapp-Scripts und zum eingestellten Schwellwert ist selbst aus der Aussage des Zeugen P… wenig Honig zu saugen. Unwägbarkeit und weiteren Aufklärungsbedarf zum Schwellwert wirft auch die Angabe des Zeugen R…, der auch größere Datenmengen heruntergeladen hat, auf, im Jahre 2013 habe es bei Benutzen des klägerischen Freifunkanschlusses durch ihn zwar durchaus mal „geruckelt“, im Ergebnis habe er aber die gewünschte Datenmenge erlangt.

Aus diesen Ausführungen könnte man entnehmen, dass entscheidend die Einstellung des ZAPP-Scriptes ist, der Schwellenwert, den der Nutzer beeinflussen kann, muss niedrig genug angesetzt werden. Auch sollten Nutzer ausreichend dokumentieren, wann sie welche Einstellungen vorgenommen haben, um im Falle eines Rechtsstreits dies zumindest ausreichend substantiiert darlegen zu können.

 

Praxistipp

§ 8 Abs. 3 TMG hat seinen Zweck verfehlt, da er nach Ansicht des KG Berlin zu keiner Privilegierung für Unterlassungsansprüche führt, die in der Praxis für Anschlussinhaber gravierender sind, als Ansprüche auf Schadensersatz.

Wer weiterhin ein anonymes und unverschlüsseltes Wlan für Jedermann anbieten möchte, dürfte derzeit nur dadurch weitgehende Rechtssicherheit erlangen, dass er den gesamten Datenverkehr über Server Dritte leitet. Diese sind dann im Falle von Rechtsverletzungen erster Ansprechpartner für Rechteinhaber und können sich i.d.R. auf die Privilegierung für Accessprovider zurückziehen. Die Freifunk-Initiative bietet hierzu eine kostenfreie Lösung an, bei der der Datenverkehr über Server von Freifunk geleitet werden (mehr Details hier).

Verbände oder Anwälte – wer klagt besser?

Obwohl der Referentenentwurf des BMJV für eine Musterfeststellungsklage noch „geheim“ ist, hat sich der Deutsche Anwaltverein in der letzten Woche in einer Stellungnahme dazu positioniert: Stellungnahme 14/17 DAV. Grundsätzlich begrüßt der DAV das Vorhaben, bemängelt aber, dass nur Verbänden, insbesondere Verbraucherorganisationen und Industrie- und Handelskammern, ein Klagerecht zustehen soll. Die Anwälte würden dadurch benachteiligt.

In der Tat soll die Klage wohl getreu der deutschen Tradition als Verbandsklage konzipiert werden. Nähere Details sind noch nicht öffentlich bekannt. Die derzeit muntere Aktivität von inländischen und ausländischen Kanzleien, Prozesse in der „Abgasaffäre“ zu bewerben, zu sammeln und vorzufinanzieren zeigt jedenfalls ein gewisses strukturelles Defizit unseres Zivilprozesses. Wir haben in Deutschland für die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen kaum Klageinstrumente. Vor allem fehlt es an Möglichkeiten zur effektiven Bündelung individueller Ansprüche auf Kompensation.

Der Vorteil der Geltendmachung durch Verbände besteht immerhin darin, dass dann kein individueller Musterkläger mit den Mühen und dem Aufwand eines Musterverfahrens belastet wird, obwohl es doch letztlich um überindividuelle Interessen geht. Dennoch sollten mit Blick auf Massenschäden auch ad hoc (durch Anwälte) gebildete Interessengemeinschaften als Musterkläger zugelassen werden. Zudem sollte dem einzelnen Geschädigten auch ohne eigene Klage eine verjährungshemmende Registrierung möglich sein und eine Bindungswirkung des Musterentscheids zu Gute kommen.

Der problematische Aspekt der geplanten Musterfeststellungsklage ist insofern ein ganz anderer und weiterer: Wie kommt der einzelne Verbraucher an sein Geld? Eine Musterfeststellungsklage verschafft dem einzelnen Geschädigten keinen Titel gegen den Beklagten. Es muss eine individuelle Leistungsklage nachfolgen. Warum nicht auch hier gesetzgeberisch Hilfe leisten, etwa durch eine anschließende vergleichsweise Bereinigung von Gesamtschadensereignissen oder eine anschließende kollektive Titulierung von Leistungsansprüchen?

Montagsblog: Neues vom BGH

Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.