Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Schadensersatzpflicht des Vermieters nach Entzug des vertragsgemäßen Gebrauchs.

Ersatz von Mehrkosten für Unterbringung in Notunterkunft
BGH, Urteil vom 21. Juni 2023 – VIII ZR 303/21

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von Ersatzansprüchen nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB.

Die Beklagte hatte eine knapp 70 m² große Wohnung für rund 900 Euro inklusive Nebenkostenvorauszahlung an einen arbeitslosen Flüchtling untervermietet, der darin mit seiner insgesamt vierköpfigen Familie wohnte. Die Miete einschließlich Nebenkosten zahlte die Klägerin auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Einige Monate nach Abschluss des Untermietvertrags kündigte der Hauptvermieter den Mietvertrag mit der Beklagten wegen unerlaubter Untervermietung und Zahlungsrückständen. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte zur Herausgabe der Wohnung.

Der Untermieter kam dem Räumungsverlangen des Hauptvermieters nach. Er wurde mit seiner Familie in einer von einem öffentlich-rechtlichen Träger betriebenen Unterkunft untergebracht. Hierfür wurden pro Person 590 Euro pro Monat in Rechnung gestellt, insgesamt also 2.360 Euro pro Monat. Die Klägerin übernahm diese Kosten. Ihre Klage auf Ersatz der Mehrkosten hatte vor dem AG überwiegend Erfolg. Das LG wies die insoweit zuletzt auf Zahlung von rund 37.000 Euro gerichtete Klage ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass dem Untervermieter gegen die Beklagte wegen schuldhaften Entzugs des vertragsgemäßen Gebrauchs der untervermieteten Wohnung ein Schadensersatzanspruch nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB zusteht und dass dieser Anspruch in Höhe der erbrachten Sozialleistungen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen ist.

Entgegen der Auffassung des LG steht einem Anspruch auf Ersatz von Mehrkosten für die Unterbringung in der Notunterkunft nicht der Schutzzweck der verletzten Norm entgegen. Die Unterbringung ist eine Folge der Gefahr, die die Beklagte durch den unberechtigten Entzug der untervermieteten Wohnung geschaffen hat.

Dass die Unterbringung mit Kosten verbunden ist, die die vereinbarte Miete deutlich übersteigen, ist allenfalls bei der Bemessung der Schadenshöhe zu berücksichtigen. Nach der Zurückverweisung der Sache wird das LG die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Die zu erstattenden Mehrkosten sind nach § 249 BGB auf den Zeitraum bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder bis zum ersten möglichen Kündigungstermin begrenzt. Ferner sind sie nur insoweit ersatzfähig, als sie für eine anderweitige Unterbringung erforderlich waren. Hierfür ist von Bedeutung, welche Möglichkeiten zum Anmieten einer anderen Wohnung bestanden und wieviel Zeit für die Suche nach einer solchen Wohnung erforderlich war.

Das LG wird ferner zu prüfen haben, inwieweit die nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II erforderliche Personenidentität zwischen Anspruchsberechtigtem und Leistungsempfänger besteht.

Praxistipp: Während Ersatzansprüche gegen Dritte bei Zahlung von Bürgergeld und Grundsicherung gemäß § 33 Abs. 1 SGB II kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergehen, bedarf es bei Zahlung von Sozialhilfe gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich einer Überleitung durch Verwaltungsakt. Einen gesetzlichen Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger sehen § 94 Abs. 1 SGB XII für Unterhaltsansprüche, § 115 Abs. 1 SGB X für Ansprüche auf Arbeitsentgelt und § 116 Abs. 1 SGB X für Schadensersatzansprüche vor.

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Diese Woche geht es um die Erstattung von Kosten für den Einbau einer mangelhaften Kaufsache.

Erstattung von Einbaukosten
BGH, Urteil vom 21. Juni 2023 – VIII ZR 105/22

Der VIII. Zivilsenat befasst sich erneut mit der Auslegung von § 439 Abs. 3 BGB.

Die Klägerin kaufte bei der Beklagten für rund 800.000 Euro Edelstahlrohre zum Einbau in zwei Kreuzfahrtschiffe. Nach der Lieferung zeigte die Klägerin Materialfehler an. Die Beklagte lieferte neue Rohre.

Die Klägerin verlangt ergänzend den Ersatz von Kosten für das Auseinanderbauen von bereits zusammengeschweißten Rohren und für das Wiederaufbereiten von Verbindungsstücken. Die auf Zahlung von rund 1,4 Millionen Euro gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Das OLG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind, weil die Beklagte für ein etwaiges Verschulden der Herstellerin nicht gemäß § 278 BGB einzustehen hat.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich aus dem Tatsachenvortrag der Klägerin jedoch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Das Tatbestandsmerkmal „in eine andere Sache eingebaut“ setzt nicht voraus, dass die Kaufsache unselbständiger Bestandteil einer anderen Sache wird. Es reicht vielmehr eine körperliche Verbindung.

Ersatzfähig sind auch Kosten, die im Rahmen eines mehrstufigen Einbauvorgangs entstanden sind, bevor es zur Verbindung der Kaufsache mit der anderen Sache gekommen ist. Im Streitfall bildete das Zusammenschweißen der Rohre einen Bestandteil des Einbauvorgangs. Dass die Rohre wegen der Entdeckung der Mängel nicht in die Schiffe eingebaut wurden, steht einem Ersatzanspruch mithin nicht entgegen.

Unerheblich ist ferner, ob die die zusammengeschweißten Rohre als neue Sache im Sinne von § 950 BGB anzusehen sind. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, stünde dies einem Ersatzanspruch nur dann entgegen, wenn die Verbindung nicht mehr gelöst werden könnte. Im Streitfall können die Rohre – wenn auch mit großem Aufwand – wieder voneinander getrennt werden.

Das OLG wird nach der Zurückverweisung zu klären haben, ob der bestrittene Tatsachenvortrag der Klägerin zutrifft.

Praxistipp: Zum 1. Januar 2022 hat § 439 Abs. 3 BGB eine veränderte Fassung erhalten. Nach altem Recht war der Ersatzanspruch ausgeschlossen, wenn der Mangel dem Käufer im Zeitpunkt des Einbaus bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt war. Nach neuem Recht schadet es, wenn der Mangel vor dem Einbau offenbar geworden ist.

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Diese Woche geht es um die Bemessung des Hinterbliebenengeldes.

Bemessung des Hinterbliebenengeldes nach einem Verkehrsunfall
BGH, Urteil vom 23. Mai 2023 – VI ZR 161/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit grundlegenden Fragen zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes nach § 10 Abs. 3 StVG.

Bei einem Verkehrsunfall im September 2020 wurde der Vater der im Juni 2001 geborenen Klägerin getötet. Die volle Haftung der Beklagten zu 1, die mit ihrem Auto in einer Kurve auf die Gegenfahrbahn geraten war und den auf seinem Motorrad entgegenkommenden Vater der Klägerin frontal erfasst hatte, steht dem Grunde nach außer Streit. Die Beklagte zu 2, bei der das Auto haftpflichtversichert war, hat der Klägerin außergerichtlich ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 7.500 Euro gezahlt. Die auf Zahlung weiterer 22.500 Euro gerichtete Klage ist in den beiden ersten Instanzen nur in Höhe von 4.500 Euro erfolgreich gewesen.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Die Bemessung der nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und § 10 Abs. 3 StVG geschuldeten Hinterbliebenenentschädigung unterliegt gemäß § 287 ZPO dem Ermessen des Tatrichters. Nicht alle vom OLG angestellten Erwägungen sind jedoch frei von Rechtsfehlern.

Bei der Bemessung ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des Betroffenen zu bewerten. Hierbei sind alle Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Dennoch ist es nicht zu beanstanden, den in den Gesetzesmaterialien (BT-Dr. 18/11397 S. 11) genannten Betrag von 10.000 Euro als Orientierungshilfe heranzuziehen.

Wie der BGH schon zuvor entschieden hat (Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 73/21, BGHZ 235, 254 Rn. 14 f. [insoweit nicht in MDR 2023, 295]), dient das Hinterbliebenengeld dem Ausgleich für immaterielle Nachteile. Maßgeblich sind insbesondere die Intensität und die Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Relevante Indizien bilden in der Regel die Art des Näheverhältnisses, die Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und die Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung.

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht danach die wirtschaftliche Abhängigkeit der Beklagten von ihrem Vater aufgrund eines kurz nach dem Unfall aufgenommenen Studiums nicht als erhöhenden Faktor herangezogen. Der Verlust von Unterhaltsansprüchen stellt einen materiellen Schaden dar, der nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 StVG zu ersetzen ist.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das OLG sich nicht mit dem Grad des Verschuldens befasst hat. Dem insoweit maßgeblichen Parteivortrag lässt sich nicht entnehmen, dass das Maß des Verschuldens im Streitfall prägende Wirkung hat. Dass die Beklagte ihre strafrechtliche Verantwortung abgestritten hat, rechtfertigt eine Erhöhung des Hinterbliebenengeldes für sich gesehen nicht.

Zu Unrecht hat das OLG jedoch den Vortrag der Klägerin zu den Auswirkungen des Unfalltods auf deren autistischen Bruder als unerheblich angesehen.

Nach dem Vorbringen der Klägerin war der verstorbene Vater die maßgebliche Respekts- und Bezugsperson für den Bruder. Der Tod des Vaters habe zur Folge, dass die Klägerin nunmehr in erheblichem Umfang in die Betreuung ihres Bruders eingespannt sei, der aufgrund des Todesfalls massive Verhaltensauffälligkeiten zeige. Auch durch diesen Umstand werde die Klägerin täglich mit dem plötzlichen Unfalltod des Vaters und der damit verbundenen Veränderung ihrer Lebenssituation konfrontiert. Der dadurch andauernde seelische Schmerz sei nahezu unerträglich.

Damit sind entgegen der Auffassung des OLG Umstände vorgetragen, die nicht nur die Intensität und Dauer des seelischen Leids des Bruders betreffen, sondern auch desjenigen der Klägerin. Das OLG wird deshalb zu prüfen haben, ob und ggf. in welcher Höhe diese Umstände die Zubilligung eines höheren Hinterbliebenengeldes gebieten.

Praxistipp: Die Vorschriften über das Hinterbliebenengeld (u.a. § 844 Abs. 3 BGB, § 10 Abs. 3 StVG und § 5 Abs. 3 HaftPflG) sind gemäß Art. 229 § 43 EGBGB anwendbar, wenn die zum Tode führende Verletzung nach dem 22. Juli 2017 eingetreten ist.

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Diese Woche geht es um Fragen des allgemeinen Schuldrechts.

Ersatz von Kosten zur Abwendung eines Verzögerungsschadens
BGH, Urteil vom 20. April 2023 – I ZR 140/22

Der I. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen und dem Inhalt eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Schuldnerverzugs.

Eine Versicherungsnehmerin des klagenden Transportversicherers hatte die Beklagte mit dem Transport von Fahrzeugteilen von Bremen zu einer Automobilfabrik in Mexiko betraut. Ende Juni 2017 teilte die Beklagte der Versicherungsnehmerin mit, der für die Kalenderwoche 25 vorgesehene Transport von zwei Containern werde sich verzögern. Zuletzt gab sie als voraussichtlichen Ankunftstag den 25. Juli 2017 an. Die Versicherungsnehmerin verlangte am 6. Juli 2017, frühere Verschiffungsoptionen zu prüfen oder die am dringendsten benötigten Teile per Luftfracht zu versenden. Die Beklagte teilte am 10. Juli 2017 mit, eine frühere Verschiffung sei nicht möglich. Eine Versendung per Luftfracht lehnte sie ab. Die Versicherungsnehmerin ließ ab dem 20. Juli 2017 einige Teile von Dritten per Luftfracht befördern. Hierfür bezahlte sie rund 12.900 US-Dollar. Die Klägerin erstattete ihr diesen Betrag abzüglich ersparter Kosten für die Seebeförderung in Höhe von rund 300 Dollar und abzüglich eines Selbstbehalts von 5.000 Dollar.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten teils aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 VVG) und teils aufgrund einer Ermächtigung der Versicherungsnehmerin den Ersatz der Mehrkosten in Höhe von 12.600 US-Dollar. Die Klage war in den beiden ersten Instanzen mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs erfolgreich.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück, stützt den Ersatzanspruch abweichend vom OLG aber nicht auf den Aspekt der Nichterfüllung, sondern auf Verzug.

Die Leistungsaufforderung der Versicherungsnehmerin vom 6. Juli 2017 konnte keinen Verzug begründen, weil die beiden Container aufgrund der getroffenen Vereinbarungen frühestens am 13. Juli 2017 in Mexiko abzuliefern waren. Eine (erneute) Mahnung nach Fälligkeitseintritt war im Streitfall aber jedenfalls nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB entbehrlich, weil die Beklagte schon zuvor unmissverständlich zu erkennen gegeben hatte, dass die Ablieferung der Container nicht rechtzeitig erfolgen wird.

Die Aufwendungen für den Lufttransport sind als erforderliche Kosten der Schadensabwendung im Sinne von § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähig, weil durch eine verzögerte Anlieferung der betreffenden Teile ein noch höherer Verzögerungsschaden entstanden wäre.

Nach der Rechtsprechung des BGH können die Kosten eines Deckungskaufs grundsätzlich nur auf der Grundlage von § 280 und § 281 BGB ersetzt werden. Im Streitfall diente die anderweitige Beförderung der Teile aber der Abwendung eines im Falle der Verzögerung drohenden höheren Schadens. Solche Kosten sind nach derselben Anspruchsgrundlage zu ersetzen, nach der die vermiedenen Schäden auszugleichen gewesen wären – hier also nach § 286 BGB.

Praxistipp: Ein Anspruch auf Ersatz von Kosten für einen Deckungskauf darf nicht zusätzlich zum Anspruch auf Erfüllung geltend gemacht werden, sondern nur anstelle desselben (BGH, Urteil vom 3. Juli 2013 – VIII ZR 169/12, MDR 2013, 1021 Rn. 29).

Von der Indizwirkung der Rechnung zur Indizwirkung der Honorarvereinbarung: Die neue Linie des BGH zur Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten

Bislang hat der BGH für die Ersatzfähigkeit der Sachverständigenkosten im Rahmen von Straßenverkehrsunfällen der tatsächlichen Begleichung der Rechnung entscheidende Bedeutung beigemessen (BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 315/18, MDR 2020, 345 = NJW 2020, 1001; BGH v. 26.4.2016 – VI ZR 50/15, MDR 2016, 1137 = NJW 2016, 3092, 3094).

Das Begleichen der Rechnung bildete ein wesentliches Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO mit den beiden folgenden Konsequenzen:

  • Darlegung und Beweis des Geschädigten für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten werden erleichtert.
  • Auf Seite des Schädigers reicht in diesem Fall einfaches Bestreiten der Höhe der Forderung durch den Beklagten nicht mehr aus. Vielmehr muss er qualifiziert zur Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten vortragen (BGH v. 19.7.2016 – VI ZR 491/15, MDR 2016, 1378 = NJW 2016, 3363).

In mehreren Entscheidungen aus den Jahren 2022 und 2023 stellt der BGH für die Indizwirkung statt der Begleichung der Rechnung nun maßgeblich auf das Vorliegen einer Honorarvereinbarung ab soweit die Schadenersatzansprüche nicht an Erfüllungs statt abgetreten wurden. Darüber hinaus signalisiert der BGH in den folgenden Entscheidungen, dass das aus dem Werkvertrag mit dem Sachverständigen Geschuldete zu ersetzen ist soweit die fehlende objektive Erforderlichkeit dem Geschädigten im Rahmen der Plausibilitätskontrolle nicht erkennbar war:

  • BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 137/22, MDR 2023, 626 = NJW 2023, 1718: Die Preis- oder Honorarvereinbarung mit dem Sachverständigen bildet, wenn nicht zugleich eine Abtretung des Schadenersatzsanspruchs an Erfüllungs statt erfolgt ist, ein Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO.
  • BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 138/22, BeckRS 2023, 2753: Es obliegt der unternehmerischen Entscheidung des Sachverständigen, ob er die Kosten für die Inanspruchnahme einer Restwertbörse in sein Grundhonorar einpreist oder extra ausweist.
  • BGH v. 12.12.2022 – VI ZR 324/21, MDR 2023, 361 = NJW 2023, 1057: Die schadensrechtliche Erstattungsfähigkeit einer Corona-Desinfektionskostenpauschale des Sachverständigen richtet sich nach der werkvertraglichen Beziehung zwischen Geschädigtem und Sachverständigem. Ob die Desinfektionskostenpauschale gesondert berechnet wurde oder in das Grundhonorar des Sachverständigen eingepreist wurde, spielt keine Rolle.

Indiz für die Schätzung der Sachverständigenkosten ist damit neuerdings die Honorarvereinbarung soweit nicht Schadenersatzansprüche an Erfüllungs statt an den Sachverständigen abgetreten wurden.

Für die Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten ergab sich, auf Basis der ständigen Rechtsprechung ein Schema (Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 29.7), das nun wie folgt zu ergänzen ist (rot):

  1. Grundsatz: Geschädigter ist nicht zur Marktforschung verpflichtet.
  2. Ausnahme: Erkennbarkeit des deutlichen Überschreitens der branchenüblichen Sätze aus ex-ante-Sicht bzw. Fehlen jeglicher Erkennbarkeit des Honorars
  3. Vorliegen einer Honorarvereinbarung (ohne Abtretung der Forderung an Erfüllungs statt) oder beglichene Rechnung als Indiz für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten
  4. Ausnahme von der Indizwirkung bei Abtretung der Forderung erfüllungshalber an den Sachverständigen oder eine Verrechnungsstelle

Der BGH betont neuerdings, nach Zeiten einer eher restriktiven, sehr fein ausdifferenzierten Dogmatik zur Erstattung von Sachverständigenkosten, auffällig deutlich die indizielle Bedeutung der Honorarvereinbarung für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Diese neue Rechtsprechungslinie findet unschwer Anschluss an die aktuelle Rechtsprechung zum Werkstattrisiko bei konkreter Abrechnung von Reparaturkosten, wo ebenfalls die werkvertragliche Vereinbarung zwischen Geschädigtem und Leistungserbringer (Werkstatt) maßgebliche Grundlage der Schadensschätzung ist (BGH v. 26.4.2022 – VI ZR 147/21, MDR 2022, 1089 = NJW 2022, 2840).

 

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Diese Woche geht es um die Haftung für Veränderungen des Wasserabflusses von einem Grundstück.

Wasserabfluss von landwirtschaftlich genutztem Grundstück
BGH, Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22

Der III. Zivilsenat befasst sich mit den Grenzen der Haftung aus § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG.

Die Kläger sind Miteigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Etwa 800 m oberhalb liegen Ackerflächen, die der Beklagte seit rund 20 Jahren landwirtschaftlich nutzt. Im Jahr 2014 baute der Beklagte erstmals nach längerer Zeit wieder Kartoffeln statt Getreide an. Hierzu zog er Ackerfurchen, die nach dem Vortrag der Kläger längs zum Gefälle verliefen. Nach zwei Starkregenereignissen im Juli und August 2014 drang in das Kellergeschoss des den Klägern gehörenden Gebäudes Wasser ein. Die Kläger machen geltend, hierfür sei ein verstärkter Wasserabfluss infolge der vom Beklagten angelegten Furchen ursächlich.

Die auf Ersatz der durch eindringendes Wasser verursachten Schäden gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das nachbarliche Verhältnis zwischen den Parteien bestimmt sich nach § 37 WHG. Die im Streitfall maßgebliche Regelung in § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG, wonach der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden darf, ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

Im Ansatz zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG einschränkend dahin auszulegen ist, dass Änderungen des Ablaufs, die sich im Rahmen der bestimmungsgemäßen Benutzung halten, von den Nachbarn grundsätzlich hinzunehmen sind. Bei einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück gilt dies auch für einen Wechsel der Anbauart.

Auch die landwirtschaftliche Nutzung unterliegt jedoch dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Bei einer Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung darf der Abfluss wild ablaufenden Oberflächenwassers deshalb nur insoweit verstärkt werden, als dies eine notwendige Folge dieser Nutzungsänderung ist. Diese Grenze wäre im Streitfall überschritten, wenn die für den Anbau von Kartoffeln erforderlichen Ackerfurchen auch quer zum Gefälle hätten angelegt werden können und dies dem Abfluss des Oberflächenwassers entgegengewirkt hätte. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu klären haben.

Praxistipp: Erweist sich das Verhalten des Störers als rechtswidrig, aber nicht schuldhaft, kommt ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 BGB in Betracht, sofern der Betroffene keine zumutbare Möglichkeit hatte, gegen die Beeinträchtigung schon vor dem Schadensereignis mit einem Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB vorzugehen.

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Diese Woche geht es um die Einstandspflicht für Schäden an einem Leasingfahrzeug aufgrund eines Unfalls mit ungeklärter Ursache.

Regress gegen Fahrer und Halter des bei einem Unfall beschädigten Leasingfahrzeugs
BGH, Urteil vom 18. April 2023 – VI ZR 345/21

Der VI. Zivilsenat beleuchtet eine weitere Facette einer häufig kritisierten Haftungsregelung.

Ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Klein-Lkw war bei einem Verkehrsunfall mit einem Pkw kollidiert, den der Beklagte zu 1 von einer Leasinggesellschaft geleast hat. Fahrer des Pkw im Unfallzeitpunkt war der Beklagte zu 2. Der Unfallhergang konnte nicht geklärt werden. Die Klägerin erstattete der Leasinggeberin als Eigentümerin des Pkw die daran entstandenen Schäden vollständig. Im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs verlangt sie die Hälfte dieses Betrags von den Beklagten ersetzt. Sie stützt sich insbesondere auf Regelungen im Leasingvertrag, wonach der Leasingnehmer für Untergang und Beschädigung des Fahrzeugs unabhängig von Verschulden haftet und Ersatzansprüche gegen Versicherungen und Dritte an den Leasingnehmer abtritt.

Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls erfolglos.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin gegenüber der Leasinggeberin zum vollständigen Ersatz des am Leasingfahrzeug entstandenen Schadens verpflichtet war. Der BGH bestätigt seine ständige Rechtsprechung, wonach der Eigentümer eines Fahrzeugs, der nicht zugleich dessen Halter ist, sich auf einen Anspruch auf Ersatz von am Fahrzeug entstandenen Schäden aus § 7 StVG nur ein eigenes Verschulden anrechnen lassen muss, nicht aber die Betriebsgefahr des Fahrzeugs oder ein Verschulden des Fahrers.

Ebenfalls zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Beklagten für diesen Schaden nicht als Gesamtschuldner haften.

Ansprüche aus § 7 Abs. 1 oder § 18 Abs. 1 StVG scheiden aus, weil diese Vorschriften nur Schäden an anderen Sachen erfassen, nicht aber den Schaden am Fahrzeug des Halters bzw. Fahrers, gegen den sich der Anspruch richtet. Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheiden aus, weil ein Verschulden der Beklagten nicht feststellbar ist.

Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung von Pflichten aus dem Leasingvertrag sind ebenfalls nicht gegeben. Der Einsatz des Fahrzeugs im Straßenverkehr stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar. Entsprechendes gilt für die Beschädigung des Fahrzeugs beim Unfall. Die Beschädigung führt auch nicht dazu, dass eine Pflichtverletzung des Leasingnehmers entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vermuten ist. Eine solche Umkehr der Beweislast tritt nur dann ein, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich des Leasingnehmers liegen. An letzterem fehlt es, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Unfall allein durch Fehlverhalten des Gegners verursacht worden ist.

Die von der Klägerin herangezogenen Haftungsregelungen aus dem Leasingvertrag begründen keine Schadensersatzansprüche. Sie regeln lediglich die Gefahrtragung. Selbst wenn der Beklagte zu 1 als Leasingnehmer der Leasinggeberin nach diesen Vorschriften zum Schadensersatz verpflichtet wäre, fehlte es an dem für ein Gesamtschuldverhältnis mit dem Unfallgegner und der Klägerin erforderlichen Merkmal der Gleichstufigkeit.

Praxistipp: Die Verlagerung des üblicherweise den Halter treffenden Haftungsrisikos auf den Unfallgegner kann in solchen Situationen nur dann vermieden werden, wenn dem Fahrer des Leasingfahrzeugs ein für den Unfall ursächliches Verschulden nachgewiesen werden kann..

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Diese Woche geht es um eine seit langem etablierte Rechtsfigur des Straßenverkehrsrechts.

Verhalten eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn
BGH, Urteil vom 4. April 2023 – VI ZR 11/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes.

Der Kläger wurde als Fußgänger bei einem Verkehrsunfall mit einem vom Beklagten zu 1 gefahrenen und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug verletzt. Als sich der Beklagte zu 1 der späteren Unfallstelle näherte, wollte der Kläger die zweispurige Fahrbahn aus Sicht des Beklagten zu 1 von links kommend überqueren. Die auf Ersatz der Hälfte der entstandenen Schäden gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Schadensersatz auch gegenüber der unabhängig von Verschulden haftenden Beklagten zu 2 vollständig ausgeschlossen sein kann, wenn der Unfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Klägers verursacht worden ist. Für diese Abwägung ist von Bedeutung, ob dem Beklagten zu 1 ein für den Unfall ursächliches Verschulden zur Last fällt. Letzteres hat das OLG mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Nach dem Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. Ein Kraftfahrer muss danach grundsätzlich nicht damit rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten. Er muss auch nicht darauf gefasst sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen wird.

Der BGH lässt offen, ob ein Kraftfahrer auch darauf vertrauen darf, dass ein Fußgänger, der sich auf der gegenüberliegenden Fahrbahn bewegt, in der Straßenmitte stehen bleiben wird. Ein solches Vertrauen ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn der Fußgänger über die Fahrbahn rennt und nicht in die Richtung des auf der anderen Fahrbahn herannahenden Fahrzeugs blickt. Einen solchen Sachverhalt hat das OLG im Streitfall aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG unter anderem noch zu klären haben, ob die Sicht des Beklagten zu 1 durch ein entgegenkommendes Fahrzeug oder die A-Säule seines Fahrzeugs eingeschränkt war und er den Kläger deshalb nicht sehen konnte.

Praxistipp: Generell ist das Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten nicht gerechtfertigt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, am verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln.

Blog Update Haftungsrecht: BGH zum Schockschaden – Besondere Schwere des Schocks ist nicht mehr erforderlich!

Mit seinem Urteil vom 6. Dezember 2022 (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362) ändert der BGH seine bisherige Linie zum Ersatz von sogenannten Schockschäden. Diese neue Rechtsprechung hat auch Auswirkungen auf den Schockschadenersatz bei Haftung im Straßenverkehr.

Bisherige Rechtsprechung

Nicht jede durch einen Unfall ausgelöste seelische Betroffenheit kann zu einer haftungsbegründenden Gesundheitsverletzung führen. Vielmehr ist eine Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko vorzunehmen. Nach bisheriger Rechtsprechung kam daher ein Ersatz für Schockschäden, etwa bei durch Überbringen der Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen erlittenen psychischen Gesundheitsschäden, nur unter folgenden engen Voraussetzungen in Betracht (sh. dazu ausführlich Zwickel, NZV 2015, 214 und Greger in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 3.43 ff.):

  • Naher Angehöriger: Nach ständiger Rechtsprechung muss zum Verunglückten eine “enge personale Verbundenheit” bestehen.
  • Pathologische Fassbarkeit der Beeinträchtigung: Anders als beim Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB) ist für den Ersatz von Schockschäden eine eigene Gesundheitsverletzung beim Betroffenen erforderlich.
  • Besondere Schwere des Schocks: Der allgemein übliche Trauerschmerz genügte nicht. Vielmehr verlangte der BGH bisher stets, dass die Beeinträchtigungen über die erfahrungsgemäß in solchen Fällen eintretenden nachteiligen gesundheitlichen Folgen hinausgehen.
  • Tod oder schwere Verletzung: Ein Anspruch auf Ersatz von Schockschäden bestand grundsätzlich nur bei Unfalltod oder schwerer Verletzung.

Neue Rechtsprechungslinie nach dem Urteil vom 6. Dezember 2022

Nach dem Urteil des BGH vom 6. Dezember 2022 kommt es auf die beiden letztgenannten Merkmale (Besondere Schwere des Schocks und Tod oder schwere Verletzung des Opfers) nicht mehr an.

Bereits in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 (BGH v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, MDR 2015, 391) hat der BGH dem Umstand, ob der Geschädigte den Unfall miterlebt hat oder nicht maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung der besonderen Schwere des Schocks beigemessen, ohne mit der ständigen Rechtsprechung zu brechen.

In seinem Urteil vom 6. Dezember 2022 hat der BGH nun genau das getan und das Merkmal besondere Schwere des Schocks ausdrücklich aufgegeben:

„Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Der Senat hält diese Änderung im Sinne einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 I BGB für geboten.“ (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362) 

Nunmehr gilt: Ist gesichert, dass das Geschehen bei der nahestehenden Person eine pathologisch fassbare psychische Störung verursacht hat, liegt nun eine Gesundheitsverletzung unabhängig von der Schwere des Schocks vor.

Die Ersatzfähigkeit von Schockschäden ist laut BGH auch nicht von vornherein auf Fälle beschränkt, in denen das nahestehende Opfer getötet oder schwer verletzt worden ist. Im entschiedenen Fall waren die psychischen Gesundheitsschäden durch die Information über den sexuellen Missbrauch der eigenen Tochter ausgelöst worden. Feststellungen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Tochter selbst gab es nicht. Der BGH lässt aber offen, ob eine Einschränkung für Fälle vorzunehmen ist, in denen „der Geschädigte auf Ereignisse besonders empfindlich und „schockartig“ reagiert, die das objektiv nicht rechtfertigen und die im Allgemeinen ohne nachhaltige und tiefe seelische Erschütterungen toleriert zu werden pflegen“ (BGH v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, MDR 2023, 362).

Einordnung des Urteils vom 6. Dezember 2022 und Abgrenzung 

Der BGH weitet durch sein Urteil vom 6. Dezember 2022 die Rechtsprechung zum Schockschaden aus. Eine besondere Schwere des Schocks ist nun, wie von der Literatur seit langem gefordert (Bischoff, MDR 2004, 557, 558; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 8; Zwickel, NZV 2015, 214, 215) nicht mehr erforderlich. Zudem kommt ein Schockschadenersatz nicht nur bei Tod bzw. schwerer Verletzung in Frage.

Weitere einengende Elemente des Schockschadenersatzes bleiben aber erhalten. Es fehlt weiterhin am Schutzzweckzusammenhang, wenn der Geschädigte kein naher Angehöriger des Opfers ist. Auch völlig fremde Personen können aber eine psychische Gesundheitsverletzung durch ein Unfallerlebnis erleiden. Dieses Merkmal bleibt damit zweifelhaft (so auch Greger in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 3.47).

Ein Schockschadenersatz setzt zudem stets eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung voraus. Damit bleibt auch die Frage nach der Abgrenzung von Schockschadenersatz und Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB) relevant, wo eine eigene Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers gerade nicht erforderlich ist. Das Hinterbliebenengeld wird aber künftig in (etwas) größerem Umfang durch den Schockschadenersatz verdrängt (sh. dazu Zwickel in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 31.202 ff.).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast für die Ursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung für den Eintritt eines Schadens.

Schadensursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung
BGH, Urteil vom 16. Februar 2023 – III ZR 210/21

Der III. Zivilsenat befasst sich mit der Beweislast hinsichtlich der Frage, wie sich ein Dritter bei pflichtgemäßem Verhalten des in Anspruch genommenen Notars verhalten hätte.

Die als Leasinggeberin tätige Klägerin erhielt die Anfrage einer GmbH zur Finanzierung einer Digitaldruckmaschine für 129.000 Euro. Die Klägerin genehmigte die Finanzierung unter der Auflage, dass der Geschäftsführer der GmbH als Bürge eintritt und dass eine Grundschuld in Höhe von 100.000 Euro bestellt wird. Die GmbH schloss daraufhin den Kaufvertrag mit der Verkäuferin ab und reichte bei der Klägerin ein Formular ein, in dem sie den Abschluss eines Leasingvertrags anbot. Nach Lieferung der Maschine erklärte die Klägerin die Übernahme des Kaufvertrags und die Annahme des Leasingvertrags.

Eigentümer des betroffenen Grundstücks war der Sohn des Geschäftsführers. Dieser ließ kurz nach dem Abschluss der Verträge beim Beklagten seine Unterschrift auf einer von der Klägerin vorbereiteten Zweckerklärung beglaubigen. Der Beklagte sandte eine Kopie dieser Erklärung sowie eines Eintragungsersuchens an das Grundbuchamt an die Klägerin. Im Begleitschreiben teilte er mit, er habe die „beiliegende Grundschuldbestellungsurkunde“ beim Amtsgericht eingereicht. Nach dieser Mitteilung zahlte die Klägerin den Kaufpreis an die Verkäuferin der Druckmaschine.

In der Folgezeit wies das Amtsgericht den Eintragungsantrag zurück, weil lediglich die Zweckerklärung vorliege, nicht aber eine Eintragungsbewilligung. Der Beklagte entwarf daraufhin eine Grundschuldbestellungsurkunde und bat den Grundstückseigentümer, diese zu unterschreiben. Dieser lehnte ab.

Wenige Monate später starb der Geschäftsführer der Leasingnehmerin. Im weiteren Verlauf fiel die Leasingnehmerin in Insolvenz. Eine auf die Zweckerklärung gestützte Klage gegen den Sohn blieb erfolglos. Nunmehr begehrt die Klägerin vom beklagten Notar Ersatz von 100.000 Euro, weil dieser es versäumt habe, schon bei der Beglaubigung der Zweckerklärung eine Grundschuldbestellungsurkunde zu erstellen und ebenfalls zu beglaubigen, und weil er die Klägerin durch die unzutreffende Auskunft zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst habe.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Beklagte hat allerdings seine Amtspflichten verletzt, weil er bei der Beglaubigung der Zweckerklärung nicht geprüft hat, ob alle für die Bestellung der Grundschuld erforderlichen Unterlagen vorliegen.

Entgegen der Auffassung des OLG liegt die Beweislast hinsichtlich der Frage, ob der Grundstückseigentümer die Grundschuldbestellungsurkunde bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten unterschrieben hätte, nicht beim Beklagten, sondern bei der Klägerin.

Ein Notar trägt allerdings die Beweislast für eine zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führende hypothetische andere Schadensursache, wenn er schon durch die pflichtwidrige Beurkundung eines Vertrags einen Schaden verursacht hat. Im Streitfall ist der geltend gemachte Schaden nach dem Vortrag der Klägerin aber nicht durch eine Beurkundung oder Beglaubigung entstanden, sondern dadurch, dass der Beklagte pflichtwidrig von einer Beglaubigung abgesehen hat. In dieser Konstellation betrifft die Frage, ob es bei pflichtgemäßem Verhalten zu der Beglaubigung gekommen wäre, den haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang. Die Beweislast dafür liegt beim Anspruchsteller.

Ein Ersatzanspruch lässt sich auch nicht auf die unzutreffende Mitteilung des Beklagten in dem an die Klägerin übersandten Begleitschreiben stützen. Die Klägerin hat den Kaufpreis zwar im Vertrauen auf die darin enthaltene Mitteilung bezahlt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung der Grundschuld vorliegen. Sie wäre aber ohnehin zur Zahlung verpflichtet gewesen, weil sie den Leasingvertrag bereits abgeschlossen hatte, ohne dessen Wirksamkeit von der Bestellung der Grundschuld abhängig zu machen.

Praxistipp: Um die Beweislage zu verbessern, sollte der Ersatzanspruch möglichst auf Pflichtverletzungen gestützt werden, die ohne weiteres zum Eintritt des Schadens geführt haben. Der Streitfall zeigt indes, dass dies nicht immer möglich ist.