Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen öffentlichem Baurecht und Zivilrecht.

Überfahrtbaulast und zivilrechtliches Wegerecht
BGH, Urteil vom 24. Januar 2025 – V ZR 51/24

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen eines Notwegrechts und mit den zivilrechtlichen Wirkungen einer Baulast.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die durch Teilung entstanden sind. Auf dem Grundstück der Klägerin stehen ein Wohnhaus und zwei Garagen. Die Zufahrt erfolgt über einen gepflasterten Weg, der über das Grundstück der Beklagten verläuft. Auf diesem Grundstück ruht eine Überfahrtbaulast zur Gewährung der Zufahrt zum Grundstück der Klägerin. Diese verlangt von der Beklagten die Instandsetzung des beschädigten Wegs durch fachgerechtes Pflastern, dessen Instandhaltung und die Entfernung jeglicher Gegenstände, welche die Überfahrt beeinträchtigen.

Die Klage ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Ein Notwegrecht aus § 917 BGB besteht nicht, weil das Abstellen von Kraftfahrzeugen für die ordnungsgemäße Benutzung eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks nicht erforderlich ist.

Die Überfahrtbaulast begründet lediglich eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung, nicht aber ein zivilrechtliches Wegerecht.

Praxistipp: Zur Sicherung des Überfahrtsrechts sollte in solchen Fällen schon bei der Teilung des Grundstücks eine Dienstbarkeit im Sinne von § 1018 BGB bestellt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine Frage aus dem Sachenrecht.

Umwandlung eines dinglichen Vorkaufsrechts
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2025 – V ZB 10/24

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen von § 877 BGB.

Ein dem Beteiligten zu 1 gehörendes Grundstück ist mit einem Vorkaufsrecht zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines benachbarten Grundstücks belastet. Eigentümer des herrschenden Grundstücks ist die Beteiligte zu 2. Die Beteiligten haben vereinbart, das Recht dahin zu ändern, dass es der Beteiligten zu 2 künftig persönlich zusteht. Das Grundbuchamt hat den Antrag auf Eintragung dieser Änderung zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 877 BGB kann der Inhalt eines im Grundbuch eingetragenen Rechts an einem Grundstück geändert werden. Ein Wechsel des Rechtsinhabers ist jedoch nur gemäß § 873 BGB zulässig. Der sachenrechtliche Typ des Rechts darf nur geändert werden, wenn das Gesetz dies vorsieht.

Die von den Beteiligten angestrebte Änderung ist danach aus zwei Gründen nicht zulässig:

Dem Beteiligten zu 2 steht das Recht derzeit nur in seiner Eigenschaft als Eigentümer des herrschenden Grundstücks zu. Die Änderung zu einem ihm persönlich zustehenden Recht würde deshalb zu einem Wechsel des Rechtsinhabers führen.

Darüber hinaus sind ein subjektiv-dingliches und ein subjektiv-persönliches Vorkaufsrecht nicht typengleich. Ein subjektiv-dingliches Recht kann nach § 1103 Abs. 1 BGB nicht vom Eigentum am herrschenden Grundstück getrennt werden. Diese Bindung ginge durch eine Umwandlung in ein subjektiv-persönliches Recht verloren.

Die angestrebte Rechtsänderung ist deshalb nur dergestalt möglich, dass das bestehende subjektiv-dingliche Recht aufgehoben und ein neues subjektiv-persönliches Recht begründet wird. Das neue Recht geht dann aber allen in der Zwischenzeit eingetragenen Rechten im Rang nach, sofern die Inhaber dieser Rechte einer Rangänderung nach § 880 BGB nicht zustimmen.

Praxistipp: Nach § 1198 BGB ist die (rangwahrende) Umwandlung einer Hypothek in eine Grundschuld und umgekehrt zulässig.

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Diese Woche geht es um die Geltendmachung von höchstpersönlichen Ansprüchen.

Geltendmachung eines höchstpersönlichen Anspruchs durch Stellvertreter
BGH, Urteil vom 6. Dezember 2024 – V ZR 159/23

Der V. Zivilsenat differenziert zwischen höchstpersönlichen Ansprüchen und höchstpersönlichen Willenserklärungen.

Die Kläger haben ihrem Sohn im Jahr 2012 ein Hausgrundstück übertragen. Nach dem Vertrag ist der Veräußerer berechtigt, den Grundbesitz zurückzuverlangen, wenn der Erwerber vor dem Letztversterbenden der beiden Veräußerer verstirbt. Der Vertrag enthält ferner folgende Regelung:

„Der Anspruch ist höchstpersönlicher Natur und nur übertragbar und vererblich, wenn er vom Veräußerer zu Lebzeiten geltend gemacht wurde.
Der Anspruch kann nur mittels eingeschriebenem Brief binnen eines Jahres nach Kenntnis vom Vorliegen des Anspruchsgrundes geltend gemacht werden.“

Der Sohn der Kläger verstarb im Jahr 2021. Er wurde von der Beklagten – seiner Ehefrau – beerbt. Knapp vier Wochen später forderten die Kläger von der Beklagten mit eingeschriebenem Brief einer Rechtsanwältin die Rückübertragung des Grundstücks.

Die auf Auflassung und Bewilligung der Eintragung im Grundbuch gerichtete Klage ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG steht der rechtzeitigen Geltendmachung des Klageanspruchs nicht entgegen, dass das im Jahr 2021 übersandte Schreiben von einer Vertreterin stammt.

Eine Stellvertretung bei der Abgabe einer Willenserklärung ist allerdings ausgeschlossen, wenn eine höchstpersönliche Abgabe vorgeschrieben ist. Eine solche Vorgabe kann sich nicht nur aus dem Gesetz ergeben (z.B. für Eheschließung, letztwillige Verfügungen oder Erbverträge). Sie kann vielmehr auch vertraglich vereinbart werden.

Im Streitfall sieht der Vertrag jedoch lediglich vor, dass der Anspruch auf Rückübertragung höchstpersönlich ist. Höchstpersönliche Ansprüche sind, wie dies im Vertrag auch ausdrücklich vorgesehen ist, grundsätzlich nicht übertragbar und nicht vererbbar. Sie können aber, sofern nichts anderes bestimmt ist, durch einen Stellvertreter geltend gemacht werden.

Eine höchstpersönliche Geltendmachung sieht der Vertrag im Streitfall nicht vor. Deshalb war die Geltendmachung durch eine Stellvertreterin ausreichend, wenn diese wirksam bevollmächtigt war.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das OLG unter anderem zu klären haben, ob der Kläger zu 2 bei der Erteilung der Vollmacht wegen fortgeschrittener Demenz geschäftsunfähig war.

Praxistipp: Die Geltendmachung eines Anspruchs ist eine geschäftsähnliche Handlung, auf die § 174 BGB entsprechend anwendbar ist. Um eine Zurückweisung zu vermeiden, sollte der Erklärung deshalb ein Original oder eine Ausfertigung der Vollmachtsurkunde beigefügt werden.

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Diese Woche geht es um die Verjährung von verhaltenen Ansprüchen.

Beginn der Verjährung des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung
BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 245/23

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit dem Beginn der Verjährung eines Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung aus § 648a Abs. 1 BGB.

Die Beklagten beauftragten die Klägerin im Oktober 2015 mit Planungsleistungen für den Umbau eines gewerblich genutzten Gebäudes. Im Oktober 2018 verlangte die Kläger eine Bauhandwerkersicherung in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro. Die Beklagten kamen diesem Begehren nicht nach. Sie kündigten den Vertrag fristlos und machten Ansprüche auf Herausgabe von Planungsunterlagen geltend. Im Juni 2021 legte die Klägerin ihre Schlussrechnung und forderte die Beklagten zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung in Höhe von rund 3,6 Millionen Euro auf. Auch dem kamen die Beklagten nicht nach.

Mit ihrer im November 2021 erhobenen Klage verlangt die Klägerin eine Bauhandwerkersicherung in Höhe von rund 4,3 Millionen Euro. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück, soweit diese zur Stellung einer Sicherung in Höhe von rund 2,9 Millionen Euro verurteilt worden sind. Wegen des darüber hinausgehenden Betrags stellt er das klageabweisende Urteil des LG wieder her.

Zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass es sich bei dem Anspruch aus § 648a Abs. 1 BGB um einen verhaltenen Anspruch handelt. Dies bedeutet, dass der Schuldner die Leistung nicht bewirken darf, bevor der Gläubiger sie verlangt. Wie der BGH schon früher entschieden hat, folgt daraus, dass die Verjährung frühestens beginnt, wenn der Gläubiger die Leistung verlangt (BGH, U. v. 25.3.2021 – VII ZR 94/20 Tz. 16 ff. – MDR 2021, 740).

Der BGH entscheidet nunmehr, dass die Verjährung nicht gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch geltend gemacht worden ist, sondern bereits am Tag der Geltendmachung.

Der BGH stützt diese Auffassung auf eine Analogie zur Regelung des Verjährungsbeginns für die Ansprüche auf Rückgabe einer entliehenen Sache (§ 604 Abs. 5 BGB) und auf Rückgabe (§ 695 Satz 2 BGB) bzw. Rücknahme (§ 697 Satz 3 BGB) einer in Verwahrung gegebenen Sache. Alle diese Ansprüche sind verhaltene Ansprüche. Den genannten Regelungen ist zu entnehmen, dass sich der Verjährungsbeginn für solche Ansprüche nicht nach § 199 Abs. 1 BGB richtet. Für den Anspruch aus § 648a BGB kann nichts anderes gelten, weil sich die Interessenlage nicht unterscheidet.

Die Verjährung beginnt jeweils nur in der Höhe zu laufen, in der der Anspruch geltend gemacht ist. Im Streitfall ist der Anspruch danach (nur) hinsichtlich desjenigen Teils der Sicherheit verjährt, den die Klägerin schon im Oktober 2018 verlangt hat, also in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro. Die weitergehenden Forderungen wurden weniger als drei Jahre vor Klageerhebung erstmals geltend gemacht.

Praxistipp: Bei aufschiebend bedingten Ansprüchen beginnt die Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem die Bedingung eingetreten ist (BGH, U. v. 4.5.2017 – I ZR 113/16, Tz. 24 ff. –MDR 2017, 1314).

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Diese Woche geht es um die Zuständigkeit des so genannten Großen Familiengerichts. Der Bundesgerichtshof hat hierzu am 18. September 2024 gleich zwei Entscheidungen getroffen.

Gläubigeranfechtung als sonstige Familiensache
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZB 25/24

In der ersten Entscheidung geht es (erneut) um die Zuständigkeit nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte zu 1, seine geschiedene Ehefrau, titulierte Forderungen auf Zahlung von Unterhalt und Erstattung von Prozesskosten zu. Die Beklagte zu 1 hat nach der Scheidung Vermögenswerte auf den Beklagten zu 2 , ihren Vater, übertragen. Dieser ist zudem als Inhaber eines von ihr betriebenen Gewerbes angemeldet.

Der Kläger macht geltend, diese Vorgänge dienten der Vereitelung der Zwangsvollstreckung. Mit seiner Ende 2019 erhobenen Stufenklage begehrt er Auskunft über das Ergebnis der Geschäftstätigkeit und über weitere Zahlungen an den Beklagten zu 2 sowie Zahlung von noch zu bezifferndem Wertersatz.

Das vom Kläger angerufene LG hat den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist das Familiengericht zuständig für Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe. Grund hierfür ist die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Der dafür erforderliche Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe liegt vor, wenn der Rechtsstreit durch die familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist.

Im Streitfall liegt der erforderliche Zusammenhang vor, weil es um die Durchsetzung titulierter Forderungen geht, die aus der geschiedenen Ehe resultieren. Dem Umstand, dass die nach Auffassung des Klägers zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung dienenden Handlungen erst nach Scheidung stattgefunden haben, kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.

Der BGH lässt allerdings offen, ob nach der seit 2020 geltenden, im Streitfall noch nicht anwendbaren Rechtslage die Landgerichte zuständig sind. Hintergrund sind ein mit Wirkung vom 1.1.2020 in § 348 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingefügter Verweis auf § 72a GVG, der unter anderem die Einrichtung von Spezialkammern für Anfechtungssachen bei den Landgerichten vorsieht und eine in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorgesehene Ausnahme für Verfahren nach § 348 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis k ZPO. Anfechtungssachen fallen nicht unter die Auflistung in den Buchstaben a bis k, wohl aber unter § 72a GVG.

Berufungszuständigkeit für sonstige Familiensachen
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZR 116/23

In der zweiten Entscheidung befasst sich der XII. Zivilsenat mit der Frage, welcher OLG-Senat für die Berufung zuständig und welche Verfahrensordnung maßgeblich ist, wenn in erster Instanz ein Landgericht über eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 FamFG entschieden hat.

Die Parteien waren verheiratet und sind seit Mai 2017 geschieden. Im Rahmen der Scheidung trafen sie eine Vereinbarung über die Aufteilung ihres gemeinsamen Immobilienbesitzes. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, die Beklagte im Innenverhältnis von bestimmten Kreditverbindlichkeiten freizustellen. Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung räumte er der Beklagten ein Rücktrittsrecht eing. Nach Tilgung der Kredite verlangte der Kläger die Löschung der zur Sicherung des Rücktrittsrechts eingetragenen Auflassungsvormerkung. Die Beklagte machte ein Zurückbehaltungsrecht wegen anderweitiger Ansprüche aus dem Vertrag geltend.

Der Kläger hat die Beklagte vor dem Familiengericht auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat das Verfahren an das LG verwiesen. Dieses hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, aber einer in zweiter Instanz erhobenen Widerklage stattgegeben.

Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Das Rechtsmittel war allerdings zulässig, obwohl es sich um eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt.

Der nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erforderliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben, weil der Vertrag, aus dem die Parteien ihre Ansprüche herleiten, im Zusammenhang mit der Scheidung geschlossen wurde und ehemals gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten betrifft.

Das Familiengericht hätte die Sache also nicht an das LG verweisen dürfen. Die erfolgte Verweisung war aber gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das LG bindend. Ob diese Bindungswirkung sich nur auf die Zuständigkeit bezieht oder auch auf das einzuhaltende Verfahren, war umstritten. Der BGH bejaht eine umfassende Bindungswirkung. Aufgrund der Verweisung war das LG also nicht nur gehalten, die Sache zu entscheiden, sondern auch, das Verfahren nach den für Zivilsachen geltenden Vorschriften zu führen. Dasselbe gilt für die nachfolgenden Instanzen. Da der Wert der Beschwer mehr als 20.000 Euro beträgt, war deshalb gemäß § 544 ZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde statthaft.

Der BGH stellt jedoch klar, dass diese Rechtsfolgen nur im Falle einer bindenden Verweisung nach § 17a GVG eintreten. Ist die Klage beim Landgericht erhoben worden und hat dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht, muss das Berufungsgericht nach den Regeln des FamFG verfahren. Anders als nach der bis Ende 2001 geltenden Rechtslage ist in solchen Fällen zwar ein Zivilsenat des OLG zuständig, weil ein Rechtsmittel nicht darauf gestützt werden darf, dass die erste Instanz sich zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Nach Auffassung des BGH hat dies aber – anders als ein Verweisungsbeschluss – keine Auswirkungen auf die anzuwendende Verfahrensordnung. Der zuständige Zivilsenat des OLG muss in solchen Fällen mithin über die Berufung gemäß den Regeln des FamFG durch Beschluss entscheiden. Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur statthaft, wenn das OLG sie zulässt. Letzteres gilt auch dann, wenn das OLG fehlerhaft die Regeln der ZPO angewendet und durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entschieden hat.

In der Sache bleibt die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg. Der BGH hält sie für unbegründet und sieht insoweit von einer näheren Begründung ab.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollten bei Klagen gegen geschiedene Ehegatten oder deren Eltern beide Parteien frühzeitig darauf hinwirken, dass das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 3 GVG vorab über seine Zuständigkeit entscheidet. Verweist das Gericht die Sache an ein anderes Gericht, steht das einzuhaltende Verfahren für alle Instanzen bindend fest. Erklärt es sich für zuständig, besteht immerhin für die erste Instanz Klarheit.

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Diese Woche geht es um die die Frage, was Gegenstand einer Teilungsversteigerung sein kann.

Teilungsversteigerung eines Grundstücks
BGH, Beschluss vom 26. September 2024 – V ZB 8/24

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Unterschied zwischen Grundstücken und Flurstücken.

Die Beteiligten sind Miteigentümer eines Grundstücks, das aus insgesamt vierzehn Flurstücken in drei Fluren besteht. Die Antragstellerin strebt die isolierte Teilungsversteigerung eines dieser Flurstücke an. Das AG hat den Antrag abgelehnt. Das LG hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Gegenstand der Immobiliarvollstreckung sind nach § 864 und § 866 ZPO Grundstücke. Die Vollstreckung in den Bruchteil eines Grundstücks ist gemäß § 864 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur zulässig, wenn es sich dabei um einen Miteigentumsanteil handelt.

Eine Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft ist nach § 180 und § 181 Abs. 2 ZVG nur hinsichtlich eines Grundstücks zulässig, nicht aber hinsichtlich eines Bruchteils davon.

Aus rechtssystematischer Sicht ist ein Grundstück eine buchungstechnische Einheit des Grundbuchs. Nach ständiger Rechtsprechung ist es definiert als ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes unter einer besonderen Nummer eingetragen ist.

Ein Flurstück ist hingegen eine buchungstechnische Einheit des Liegenschaftskatasters. Es ist definiert als ein zusammenhängender, abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der in der Flurkarte unter einer besonderen Nummer aufgeführt ist. Ein Grundstück kann aus einem oder mehreren Flurstücken bestehen. Ein Teil eines Flurstücks kann hingegen kein Grundstück bilden.

Ein Grundstück, das aus mehreren Flurstücken besteht, kann nach dieser Systematik nur in seiner Gesamtheit Gegenstand einer Teilungsversteigerung sein.

Dies steht in Einklang mit dem Zweck einer Teilungsversteigerung. Dieser besteht darin, die Auseinandersetzung einer Eigentümergemeinschaft zu ermöglichen, indem der gemeinschaftliche Gegenstand insgesamt veräußert wird.

Eine Aufteilung des gemeinschaftlichen Gegenstands bedarf demgegenüber der Zustimmung aller Miteigentümer. Dass es hierbei zu einer Blockade kommen kann, wenn die Miteigentümer sich nicht einigen können, ist kein zureichender Grund, einem einzelnen Miteigentümer das Recht einzuräumen, ohne oder gegen den Willen der übrigen Berechtigten einzelne Teile des Grundstücks abzutrennen.

Praxistipp: Die rechtsgeschäftliche Veräußerung einzelner Flurstücke eines Grundstücks ist zulässig. Für die Eigentumsumschreibung muss das veräußerte Flurstück aber als eigenständiges Grundstück im Grundbuch eingetragen werden. Zulässig ist auch die Veräußerung sonstiger Teilflächen eines Grundstücks. Für diese muss vor der Eintragung im Grundbuch ein eigenes Flurstück angelegt werden.

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Diese Woche geht es um die Beweiskraft einer notariellen Urkunde.

Beweiskraft einer notariellen Urkunde
BGH, Beschluss vom 28. August 2024 – XII ZR 62/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von § 415 ZPO.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Verletzung von Pflichten als Betreuer in Anspruch.

Der Beklagte war von September 2015 bis Februar 2016 als vorläufiger Betreuer und von März 2016 bis März 2017 als Betreuer für seine im Jahr 1935 geborene und im Laufe des Rechtsstreits verstorbene Großmutter (nachfolgend: Erblasserin) eingesetzt. Am 30. Dezember 2015 veräußerte er die Wohnung der Erblasserin in einem notariell beurkundeten Kaufvertrag für 120.000 Euro an eine Bekannte seiner Mutter. Nach dem Kaufvertrag hat die Erblasserin alle mit dem Vertrag verbundenen Kosten und die Grunderwerbsteuer zu tragen.

Das Betreuungsgericht teilte dem Beklagten mit Verfügung vom 31. März 2016 mit, gegen die Veräußerung der Wohnung bestünden im Grundsatz keine Bedenken. Die Angemessenheit des Kaufpreises sei aber durch ein Gutachten eines vereidigten Sachverständigen zu belegen. Die vom Beklagten vorgelegte Wertermittlung durch einen Immobilienmakler reiche nicht aus.

Daraufhin genehmigte die (unstreitig geschäftsfähige) Erblasserin den Kaufvertrag am 5. April 2016 in einer notariellen Urkunde. Diese Urkunde enthält unter anderem die Erklärung, der Notar habe der Erblasserin den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrages erklärt und insbesondere darauf hingewiesen, dass der vereinbarte Kaufpreis 120.000 Euro beträgt und dass dieser Betrag einer gutachterlichen Stellungnahme des Maklers H. entspricht.

Seit März 2017 war die Erblasserin durch einen Berufsbetreuer vertreten. Dieser machte geltend, der Marktwert der Wohnung sei bedeutend höher gewesen, und nahm den Beklagten im Namen der Erblasserin auf Schadensersatz in Höhe von rund 58.000 Euro in Anspruch. Seit dem Tod der Erblasserin verfolgt deren Erbe – ein Cousin des Beklagten – den Anspruch weiter.

Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass die notarielle Urkunde vom 5. April 2016 gemäß § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis dafür erbringt, dass die beurkundete Erklärung abgegeben worden ist. Ebenfalls zutreffend hat das OLG angenommen, dass der Kläger – der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt – weder behauptet noch unter Beweis gestellt hat, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist.

Das OLG hat aber verkannt, dass sich die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht auf die inhaltliche Richtigkeit der abgegebenen Erklärung erstreckt.

Im Streitfall ist durch die Urkunde nur bewiesen, dass die Erblasserin den Kaufvertrag genehmigt und bestätigt hat, dass ihr der Notar den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrags erklärt hat. Ob diese Bestätigung inhaltlich zutrifft, hat der Tatrichter hingegen auf der Grundlage von § 286 ZPO zu beurteilen.

Deshalb hätte das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nachgehen müssen, der Notar habe die Erblasserin nicht darauf hingewiesen, dass die Übernahme aller Kosten und Steuern durch den Veräußerer unüblich ist und dass hinsichtlich des Werts der Wohnung nur die Stellungnahme eines Maklers, nicht aber ein Wertgutachten eines Sachverständigen vorliege.

Dieses Vorbringen ist erheblich. Ein Betreuer muss vor dem Verkauf eines Grundstücks grundsätzlich ein Verkehrswertgutachten einholen. Diese Pflicht besteht nicht, wenn der Betreute sein Einverständnis mit der abweichenden Verfahrensweise erklärt. Auf ein solches Einverständnis kann sich der Betreuer aber nicht berufen, wenn er die Betreute nicht hinreichend über den Inhalt und die Bedeutung des Geschäfts aufgeklärt hat.

Praxistipp: Auch wenn die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht greift, kann die Darlegungs- und Beweislast bei der Partei liegen, die die Richtigkeit der Urkunde angreift. So muss im Streitfall der Kläger darlegen und beweisen, dass der Beklagte die ihm gegenüber der Erblasserin obliegende Aufklärungspflicht verletzt hat.

Anwaltsblog 35/2024: Nichtigkeit eines Immoblienkaufvertrages bei nicht beurkundeter Vorauszahlungsabrede?

Die Nichtigkeit eines Teils eines Vertrags führt im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 139 BGB). Der BGH hatte zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen diese Vermutung widerlegt ist, wenn Parteien eines Grundstückskaufvertrages eine formunwirksame Vorauszahlungsabrede getroffen haben (BGH, Urteil vom 14. Juni 2024 – V ZR 8/23):

 

Der verstorbene Vater der Beklagten (Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. 975) vom 23. März 2017 zu einem Kaufpreis von 40.000 € einen hälftigen Grundstücksmiteigentumsanteil an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Dieser überwies am 6. April 2017 an den Erblasser 70.000 € unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie am 15. Mai 2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „Restzahlung 975/23.3.2017“. Der Kaufvertrag wurde vollzogen. Am 8. November 2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen notariellen Kaufvertrag über die – weitere – Miteigentumshälfte des Erblassers zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Anschließend übertrug die GmbH ihren von dem Erblasser erworbenen Miteigentumsanteil auf den Kläger.

Der auf Übertragung des verbliebenen (zweiten) Miteigentumsanteils gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Das OLG hat sie abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils. Der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 sei formunwirksam und damit nichtig. Soweit der Kläger behaupte, die mittels der beiden Überweisungen geleistete Gesamtzahlung von 80.000 € hätte in Höhe von 40.000 € vereinbarungsgemäß auf den Kaufpreis aus dem erst nachfolgend geschlossenen Kaufvertrag vom 8. November 2018 verrechnet werden sollen, handele es sich um eine beurkundungsbedürftige Vorauszahlungsabrede, die mangels Beurkundung nichtig sei. Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB ziehe die Nichtigkeit dieses Vertragsteils die Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages nach sich.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils kann sich aus dem Kaufvertrag vom 8. November 2018 über den zweiten Miteigentumsanteil ergeben; dass dieser Vertrag insgesamt unwirksam ist, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht. Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 125 Satz 1 BGB nichtig wäre, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung ist beurkundungsbedürftig. Die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung unterliegt dem Beurkundungszwang, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher – ohne eine dahingehende Vereinbarung – nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Danach wäre die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und – mangels Beurkundung – nichtig.

Damit steht aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Zwar ist dies nach der Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein. Das kommt auch hier in Betracht. Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag. Denn dann kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt. Entscheidend ist danach der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht bestehende Schuld; dagegen kann nicht verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages beweist. Weist der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung nach, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Daran gemessen ist es möglich, dass der Kläger die Vermutung der Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages vom 8. November 2018 durch einen entsprechenden Zahlungsnachweis widerlegen kann. Ein Beleg der Kaufpreiszahlung ergibt sich allerdings nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen. Hier fehlt es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise beziehen sich ausdrücklich auf den Kaufvertrag vom 23. März 2017 über den ersten Miteigentumsanteil. Diese Belege enthalten damit auch aus Sicht des Klägers keine Tilgungsbestimmung, die sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den zweiten Miteigentumsanteil bezieht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber die als „Immobilien-Übergabeprotokoll“ bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15. Mai 2017 aus Sicht des Klägers geeignet sein, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für den zweiten Miteigentumsanteil nachzuweisen. Darin haben die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 € als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung die Echtheit des „Immobilien-Übergabeprotokolls“ zu klären haben und auf dieser Grundlage würdigen müssen, ob der Kläger aus seiner Sicht davon ausgehen konnte, dass er die Zahlung auf die noch nicht bestehende Forderung nachweisen kann.

 

Fazit: Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist bereits dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag (BGH, Urteil vom 17. März 2000 – V ZR 362/98 –, MDR 2000, 874). Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

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Diese Woche geht es um die Versagung des Zuschlags in einer Zwangsversteigerung.

Unzulässige Einwirkung auf Teilungsversteigerung
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2024 – V ZB 43/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Versagungstatbestand des § 83 Nr. 6 ZVG.

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 Euro festgesetzt. Bei der Feststellung des geringsten Gebots wurden bestehenbleibende Rechte in Höhe von 370.000 Euro und ein Bargebot von 10.211,47 Euro berücksichtigt.

Im Versteigerungstermin teilte der Beteiligte zu 1 den übrigen Bietinteressenten mit, er habe einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO gestellt. Im Temin legte er Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über einzelne Räume des Hauses und erklärte, die Räume seien an Ausländer vermietet und würden für gewerbliche Zwecke genutzt. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte mit, wegen der Zerstrittenheit der Eigentümer seien Probleme bei der Ermittlung der Bankverbindung des Grundschuldgläubigers zu erwarten. Dadurch könnten zusätzliche Grundschuldzinsen bis zu 200.000 Euro anfallen, für die der Erwerber dinglich hafte.

Der Beteiligte zu 1 gab in dem Termin ein Bargebot in Höhe von 10.212 Euro ab – also 53 Cent über dem geringsten Gebot. Weitere Gebote erfolgten nicht. Das zuschlagfähige Meistgebot für vergleichbare Objekte lag im maßgeblichen Zeitraum meist bei 150 % des Schätzwerts.

Das AG hat dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt. Dessen Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der Zuschlag gemäß § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen ist, weil die gemäß Art. 14 Abs. 1 GG zu beachtenden rechtsstaatlichen Anforderungen an eine faire Verfahrensführung nicht eingehalten sind.

Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten im Versteigerungstermin andere Interessenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben.

Im Streitfall reichen die Anträge und Äußerungen des Beteiligten zu 1 jeweils für sich genommen nicht aus, um eine Manipulation in diesem Sinne zu bejahen. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht angenommen, dass das Verhalten des Beteiligten zu 1 bei einer Gesamtwürdigung die maßgebliche Grenze überschreitet. Die tatrichterliche Würdigung, dass die anderen Bietinteressenten wegen dieses Verhaltens von der Abgabe eines Gebots abgesehen haben, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Praxistipp: Nach § 57a ZVG kann der Erwerber ein bestehendes Miet- oder Pachtverhältnis zum ersten zulässigen Termin mit der gesetzlichen Frist kündigen. Bei einer Teilungsversteigerung besteht dieses Recht gemäß § 183 ZVG nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Rechte und Pflichten eines nicht befreiten Vorerben.

Verfügung des Vorerben über Gesamtgutsvermögen einer Gütergemeinschaft
BGH, Urteil vom 26. Juni 2024 – IV ZR 288/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Verfügungsbefugnis und den Verwaltungspflichten eines nicht befreiten Vorerben.

Die Beklagte ist Vorerbin nach ihrem im Jahr 2006 verstorbenen Ehemann, mit dem sie in Gütergemeinschaft gelebt hat. Nacherben sind die Kläger, nämlich der Sohn und die beiden (von ihrer verstorbenen Tochter abstammenden) Enkelinnen der Beklagten. Nach dem maßgeblichen Erbvertrag ist die Beklagte als Vorerbin von den gesetzlichen Beschränkungen befreit. Sie darf aber nicht über den zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz verfügen.

Zum Grundbesitz der Gütergemeinschaft gehörten drei mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke. Im Zeitpunkt des Erbfalls bestanden Verbindlichkeiten in Höhe von rund 330.000 Euro. Die Beklagte führte diese mit Hilfe der Mieteinnahmen aus zwei der Grundstücke bis zum Jahr 2012 auf rund 210.000 Euro zurück. Anschließend verkaufte sie diese beiden Grundstücke für insgesamt 350.000 Euro.

Die Kläger, machen geltend, durch den Verkauf seien ihnen eine Wertsteigerung in Höhe von rund 450.000 Euro sowie Mieteinnahmen in Höhe von rund 150.000 Euro entgangen. Deshalb verlangen sie Sicherheitsleistung gemäß § 2128 Abs. 1 BGB. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG allerdings angenommen, dass die Beklagte nicht von der Pflicht zur Herausgabe der Vorerbschaft in einem ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechenden Zustand gemäß § 2130 BGB und von der Pflicht zur Sicherheitsleistung gemäß § 2128 BGB befreit ist. Der Erbvertrag sieht nur eine (teilweise) Befreiung von (Verfügungs‑)Beschränkungen vor, nicht aber eine Befreiung von Verpflichtungen.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG angenommen, dass die Übereignung der beiden Grundstücke wirksam war. Die Beklagte ist im Erbvertrag zwar nicht vollständig von der in § 2113 BGB normierten Verfügungsbeschränkung befreit worden. Diese Beschränkung gilt aber nur für Grundstücke, die zum Nachlass gehören, nicht für Beteiligungen an einer Gesamthandsgemeinschaft, der Grundstücke gehören. Im Streitfall konnte die Beklagte deshalb unbeschränkt über die Grundstücke verfügen, weil diese zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehören.

Zu Recht hat das OLG ferner angenommen, dass die Beklagte den Klägern zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn die Übereignung der Grundstücke nicht einer ordnungsgemäßen Verwaltung der Vorerbschaft entsprach und deshalb eine Verletzung der Herausgabepflicht nach § 2130 BGB begründet.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung jedoch nicht verpflichtet, die Mieteinnahmen zur Tilgung der Verbindlichkeiten einzusetzen. Nutzungen aus einem zur Vorerbschaft gehörenden Gegenstand stehen dem Vorerben – der gemäß § 2124 Abs. 1 BGB die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen hat – nach der Rechtsprechung des BGH zur freien Verfügung zu. Im Streitfall hat die Beklagte deshalb gemäß §$ 2124 Abs. 2 und § 2126 BGB einen Erstattungsanspruch, soweit sie die bestehenden Verbindlichkeiten vor der Veräußerung mit Hilfe der Mieteinnahmen getilgt hat.

Das OLG wird nach Zurückverweisung zu klären haben, ob die Veräußerung der Grundstücke zur Tilgung der Verbindlichkeiten erforderlich war und in welcher Höhe der Verkaufserlös zu diesem Zweck benötigt wurde.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Verfügung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist, liegt beim Vorerben.