BGH: Bei Wetlease haftet Vertragspartner auf Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung

Der Zeitpunkt der Entscheidung könnte besser nicht passen: Nachdem im aktuellen Trubel um Air Berlin gestern und heute eine Vielzahl von Flügen gestrichen wurden, befanden sich auch viele Fluggäste unter den Betroffenen, die ihren Flug eigentlich bei Eurowings gebucht haben. Deren Flüge sollte zu großen Teilen im sogenannten Wetlease-Verfahren von Air Berlin durchgeführt werden.

Nach der Europäischen Fluggastrechteverordnung 261/2004 ist Schuldner der dortigen Leistungen, insbesondere der in vielen Fällen zu zahlenden Entschädigung, die ausführende Airline. Wie ist dies nun beim Wetleaseverfahren, bei dem Crew und Fluggerät von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden?

Der BGH geht davon aus, dass sämtliche Pflichten hier nicht das Luftfahrtunternehmen, dessen Flugzeug und Besatzung aufgrund der „Wet-Lease-Vereinbarung“ eingesetzt wurden treffen, sondern das in dem Fall beklagte Luftfahrtunternehmen treffen.

Bei einem – vermutlich seit gestern laufenden- wilden Streik liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor (beispielsweise AG Erding, 20.03.2017 – 13 C 3778/16), sodass Eurowings auch für „operated by Air Berlin“-Flüge, die derzeit annuliert werden, auf Entschädigungsleistungen haften dürfte, sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind.

BGH Urteile vom 12. September 2017 Az.: X ZR 102/16 und X ZR 106/16 Link zur Pressemitteilung

LG Berlin: (Bregrenzte) Haftung des Tor-Exit-Node Betreibers für Urheberrechtsverletzungen

Das TOR-Netzwerk ermöglicht es den Nutzern, weitgehend anonym im Internet zu surfen. Der gesamte Datenverkehr wird dabei über einige sogenannte Exit-Nodes abgewickelt, Personen die ihren Internetanschluss hierfür unentgeltlich bereitstellen (weiter zum technischen Hintergrund). Für Dritte sieht es so aus, als habe dieser Anschlussinhaber gehandelt.

Über einen solchen TOR- Exit-Node wurde nun eine Urheberrechtsverletzung begangen, für die der Anschlussinhaber auf Unterlassung und Erstattung der Kosten der anwaltlichen Vertretung in Anspruch genommen wurde. Das Landgericht Berlin geht davon aus, dass eine Haftung als Störer in Frage kommt, wobei die Störerhaftung hier erst dadurch begründet wurde, dass mehrere Urheberrechtsverletzung durch Abmahnungen dem Anschlussinhaber bekannt wurden, dieser aber nicht handelte (z.B.  bestimmte Datenpakete sperrte).

Die Rechtsprechung ist gut nachvollziehbar und auch durchaus zu begrüßen: Exit-Node-Betreiber geraten erst dann in Probleme, wenn ihnen bekannt wird (werden muss), dass rechtswidrige Dinge über ihren Anschluss ablaufen. Exit-Nodes zu betreiben ist daher zunächst einmal unproblematisch, wenn im Falle von bekannt gewordenen Rechtsverletzungen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, Rechtsverletzungen einzudämmen, z. B. durch eine Exit Policy (ein Beispiel hierfür findet sich hier)

Exkurs

Wie sich diese Rechtsprechung mit der teilweise extrem urheberfreundlichen Rechtsprechung zur Haftung von Wlan-Betreibern in Übereinstimmung bringen lässt, ist nicht zu erklären. Jüngst hat das LG München I basierend auf einer Entscheidung des EuGH angenommen, dass ein Passwortschutz in einem Wlan vorhanden sein müsse, wobei das Passwort erst nach Identifikation des Nutzers herausgegeben werden dürfe. Das Gericht führt hierzu aus:

„Dabei hat der EuGH festgestellt, dass die Verpflichtung zur Passwortsicherung hinreichend wirksam ist, wenn die Nutzer des WLAN-Anschlusses gleichzeitig ihre Identität offenbaren müssen, wenn sie das Passwort zu erhalten wollen (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 96 – McFadden/Sony Music). Denn es reicht aus, dass die getroffenen Maßnahmen bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände zumindest erschwert werden (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 95 – McFadden/Sony Music). Passwortsicherung mit Identitätsfeststellung ist auch verhältnismäßig (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 91 – McFadden/Sony Music).“
(LG München I Endurteil v. 20.4.2017 – 7 O 14719/12)

Wie ein Passwortschutz mit vorheriger Identifikationspflicht Rechtsverletzungen erschweren soll, dafür hat der EuGH keine Antwort.  Gerade bei einem öffentlichen Wlan ist es naheliegend, dass viele Nutzer gleichzeitig unter einer öffentlichen (= ermittelbaren) IP-Adresse im Internet surfen. Was bringt es Rechteinhabern, im Falle einer festgestellten Urheberrechtsverletzung eine Liste von beispielsweise 20 oder 30 zu dem Zeitpunkt im Wlan verweilenden Gästen zu erhalten? Es stellt sich hier schon die Frage, ob eine Übermittlung der Nutzerdaten überhaupt rechtskonform wäre. Diese Hürde dürfte das Eigentum der Urheber nur äußerst begrenzt schützen, schränkt aber Wlan-willige Bürger massiv ein.

LG Berlin, Urt. v. 13.6.201716 O 270/16

Montagsblog: Neues vom BGH

Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung ist nicht vererblich
Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 261/16

Der VI. Zivilsenat entwickelt seine Rechtsprechung zur Nichtvererblichkeit von Ansprüchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts fort.

Der ursprüngliche Kläger war wegen vielfacher Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Treblinka angeklagt. Der Beklagte berichtete in den Jahren 2010 und 2011 in einem Internetportal laufend über das anhängige Verfahren unter voller Namensnennung. Mit einer im November 2011 zugestellten Klage nahm ihn der Kläger wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts auf Zahlung einer Geldentschädigung in Anspruch. Im März 2012 verstarb der Kläger. Seine Witwe führte den Rechtsstreit fort. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Witwe zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Ansprüche auf Geldausgleich wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ungeachtet der Aufhebung von § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. nicht vererblich sind, und entscheidet nunmehr, dass dies auch dann gilt, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtshängig ist.

Praxistipp: Vor einer Erledigungserklärung sollte sorgfältig geprüft werden, ob der Anspruch auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder auf einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit beruht. Im zuletzt genannten Fall ist der Anspruch vererblich – unabhängig davon, ob er bereits rechtshängig war.

Unterwerfung des Mieters unter die sofortige Zwangsvollstreckung
Urteil vom 14. Juni 2017 – VIII ZR 76/16

Eine strenge Ausgestaltung eines Mietvertrags billigt der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte eine Wohnung an eine GmbH und deren Geschäftsführer vermietet. Beide Mieter hatten sich entsprechend einer im Mietvertrag vorgesehenen Verpflichtung in notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Miete unterworfen. Nach Beendigung des Mietverhältnisses betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde. Die daraufhin erhobene Vollstreckungsgegenklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die Zwangsvollstreckung hingegen für unzulässig.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er lässt offen, ob es sich um ein Mietverhältnis über Wohnraum handelt, und hält die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung auch für einen solchen Mietvertrag für zulässig. Unerheblich ist auch, ob der Mieter eine Kaution geleistet hat. Die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ist nicht als Sicherheitsleistung im Sinne von § 551 Abs. 1 BGB anzusehen und deshalb bei der Prüfung, ob die danach geltende Höchstgrenze überschritten ist, nicht zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 138 sieht der BGH im Streitfall als nicht gegeben an.

Praxistipp: Um unnötige Streitigkeiten über die Wirksamkeit der notariellen Unterwerfungserklärung zu vermeiden, sollte in diese die Klarstellung aufgenommen werden, dass eine Umkehr der Beweislast nicht eintreten soll.

Mietstreitigkeit mit dem früheren Schwiegersohn als Familiensache
Beschluss vom 12. Juli 2017 – XII ZB 40/17

Dass die Zuständigkeit für sonstige Familiensachen durchaus weit sein kann, zeigt eine Entscheidung des XII. Zivilsenats.

Die Kläger hatten eine Wohnung an ihre Tochter und deren Ehemann vermietet. Im Jahr 2011 trennten sich die Ehegatten, der Ehemann zog aus der Wohnung aus. Die Kläger nahmen den Ehemann später auf Zahlung der Miete für März 2012 bis Januar 2016 in Anspruch. Der Beklagte rügte unter anderem die funktionelle Zuständigkeit der Zivilabteilung. Das AG erklärte den Zivilrechtsweg für zulässig. Die sofortige Beschwerde des Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das Familiengericht. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Mietstreitigkeiten zwischen (geschiedenen) Ehegatten als Streitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG anzusehen sein können, und entscheidet nunmehr, dass dies auch für Mietstreitigkeiten zwischen einem Ehegatten und dessen (ehemaligen) Schwiegereltern gilt. Im Streitfall bejaht er den erforderlichen Zusammenhang, weil das Bestehen der Ehe für den Abschluss des Mietvertrags ausschlaggebend gewesen war, der trennungsbedingte Auszug des Beklagten die Ursache für die geltend gemachten Mietforderungen bildet, und die Kläger nicht widerlegt haben, dass die Klage eine Reaktion auf die zerrissene Familiensituation darstellt.

Praxistipp: Wenn Zweifel an der Zuständigkeit bestehen, sollten beide Parteien darauf bedacht sein, eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 1 oder 2 GVG herbeizuführen, damit diese Frage verbindlich geklärt ist. Nach § 17a Abs. 6 GVG ist eine solche Vorabentscheidung nicht nur im Verhältnis zwischen Gerichten unterschiedlicher Rechtswege zulässig, sondern auch im Verhältnis zwischen den Spruchkörpern für Zivilsachen, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Montagsblog: Neues vom BGH

Sozialversicherungsrechtliche Vorfragen
Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 501/16

Dass Fragen des Sozialversicherungsrechts auch in vermeintlich einfachen Haftungsfällen eine Rolle spielen können, zeigt eine Entscheidung des VI. Zivilsenats.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin war beim Anliefern von Kies auf einer Baustelle verunglückt. Die Klägerin machte geltend, die auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer der Beklagten hätten den Unfall durch unzureichende Sicherung einer Leiter verursacht, und verlangte von der Beklagten, die zugleich die Lieferung des Kieses in Auftrag gegeben hatte, Ersatz  fortgezahlten Arbeitsentgelts aus Vertrag und Delikt. Das AG wies die Klage ab. Das LG bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, eine Haftung der Beklagten sei jedenfalls nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen, weil im Innenverhältnis der Gesamtschuldner die Arbeitnehmer der Beklagten allein verantwortlich seien, diese aber unter das Haftungsprivileg nach § 106 Abs. 3 Fall 3 und § 105 Abs. 1 SGB VII fielen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er tritt dem LG darin bei, dass die Arbeitnehmer der Beklagten im Innenverhältnis der Gesamtschuldner den Schaden alleine zu tragen haben, stützt dieses Ergebnis aber nicht auf § 840 Abs. 2, sondern auf § 254 BGB und den Grundsatz, dass ein Gesamtschuldner, der eine Pflicht verletzt hat, sich im Innenverhältnis nicht darauf berufen darf, er sei in der Erfüllung dieser Pflicht nicht genügend überwacht worden. Dennoch hebt der BGH das Berufungsurteil auf, weil das LG keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob Entscheidungen von Unfallversicherungsträgern oder Sozialgerichten zu der Frage ergangen sind, ob die beteiligten Arbeitnehmer der Klägerin und der Beklagten Versicherte in der gesetzlichen Unfallversicherung waren und ob ein Versicherungsfall vorliegt. Entscheidungen zu diesen Fragen sind gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII für die Zivilgerichte bindend. Solange eine bindende Entscheidung der zuständigen Stellen nicht vorliegt, muss das Zivilgericht gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII das Verfahren aussetzen, sofern die betreffenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen für dessen Entscheidung relevant sind.

Praxistipp: Die Partei, die sich auf eine ihr günstige Rechtsfolge aus §§ 104 bis 107 SGB VII beruft, sollte möglichst frühzeitig darauf hinwirken, dass die für diese Fragen zuständigen Stellen eine Entscheidung treffen.

Streitgegenstand bei Schadensersatzklage gegen Vertreter ohne Vertretungsmacht
Urteil vom 18. Mai 2017 – VII ZR 122/14

Mit der Bestimmung des Streitgegenstands befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Kläger schloss mit dem Beklagten einen Bauvertrag über eine Doppelhaushälfte. Während der Bauarbeiten entstand Streit darüber, ob der Beklagte bei Vertragsschluss im eigenen Namen oder im Namen der bauausführenden GmbH gehandelt hatte. Der Kläger nahm daraufhin den Beklagten als Vertreter ohne Vertretungsmacht auf Schadensersatz in Höhe von rund 200.000 Euro in Anspruch. Zur Begründung führte er zunächst aus, der Wert der erbrachten Leistungen bleibe um den genannten Betrag hinter den an den Beklagten geleisteten Zahlungen zurück. Später machte er geltend, für die Fertigstellung des Hauses seien erhebliche Mehraufwendungen erforderlich. Das LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von rund 32.000 Euro und wies die Klage im Übrigen ab. Das OLG wies die Berufung des Klägers zurück. Zur Begründung führte es aus, der Anspruch auf Ersatz von Mehraufwand sei verjährt, weil es sich um einen anderen Streitgegenstand handle und die Verjährung deshalb nicht schon durch die gerichtliche Geltendmachung der ursprünglichen Klageforderung gehemmt worden sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG geht er davon aus, dass die Verjährung durch Klageerhebung nur für den geltend gemachten Streitgegenstand gehemmt wird. Abweichend von der Vorinstanz sieht er im Übergang vom negativen zum positiven Interesse aber keine Änderung des Streitgegenstands. Zum maßgeblichen Lebenssachverhalt gehört allein, dass der Beklagte als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat und dem Kläger ein Schaden entstanden ist, nicht aber die Art und Weise, in der dieser Schaden berechnet wird.

Praxistipp: Von den unproblematischen Fällen einer bloßen Neuberechnung des Schadens zu unterscheiden sind Fälle, in denen das ursprünglich geltend gemachte Begehren auf die Verletzung einer anderen Pflicht gestützt wird.

BGH: Bearbeitungsentgelte auch bei B2B-Darlehensverträgen unwirksam

Laufzeitunabhängige Bearbeitungsentgelte in Darlehensverträgen mit Verbrauchern sind unwirksam (BGH v. 13.5.2014 – XI ZR 405/12 – Rz. 23 ff., BGHZ 201, 168 ff. = MDR 2014, 909), diese stellen eine unangemessene Benachteiligung für den Darlehensnehmer dar.

Nun hat der BGH diese Rechtsprechung auch auf Darlehensverträge mit Unternehmern ausgeweitet. Unternehmer seien nicht weniger schutzwürdig, da es bei dem beabsichtigen Schutz nicht um einen Verhandlungsnachteil ginge, der bei geschäftserfahrenen Unternehmern naturgemäß nicht vorhanden sei, sondern um die überragende Gestaltungsmacht der Kreditinstitute, die Unternehmer genau so wie Verbraucher trifft. Die durchaus ausgewogenen Argumente der bisherigen instanzgerichtlichen Entscheidungen fasst gut Wittmann in: Bankentgelte – Unzulässige und zulässige Gebühren der Kreditinstitute MDR 20017, 186 ff.  zusammen

Für die Praxis sind die Ausführungen zur Verjährung relevant, Unternehmern sei es dem BGH zufolge bereits 2011 zumutbar gewesen, eine Klage zu erheben (vgl. zu B2C-Fällen BGH Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13MDR 2015, 46). Eine große Zahl von Verträgen aus der Vergangenheit wird diese Entscheidung nicht erfassen, da lediglich für Darlehensverträge, die ab dem 01.01.2014 abgeschlossen wurden, gezahlte Bearbeitungsentgelte zurückgefordert werden können.

BGH Urteile vom 04. Juli 2017 Az.: XI ZR 562/15 und XI ZR 233/16, Link zur Pressemitteilung

LG Hagen: Zur Ersatzfähigkeit eines Internetausfalls

Nachdem der BGH grundsätzlich einen Schaden durch die Nichtverfügbarkeit eines Internetzugangs anerkannt hat (BGH Urteil vom 24. Januar 2013 Az.: III ZR 98/12) mit dem Argument, dass die Nutzbarkeit des Internets ein Wirtschaftsgut sei, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Klassisches Beispiel für einen solchen Ausfallschaden ist der Nutzungsausfall eines PKW nach einem Unfall, der ebenfalls im Falle der Nichtinanspruchnahme eines Mietwagen ersatzfähig ist.

Vor dem Landgericht Hagen ging es nunmehr um einen Fall, in dem ein Smartphone einen Defekt aufwies, sodass der mobile Internetzugang nicht mehr nutzbar war. Gleichzeitig war ein ortsgebundener Internetzugang aber noch möglich. Einen Nutzungsausfallschaden hat das Landgericht Hagen verneint. Hierbei wird darauf verwiesen, dass sämtliche Entfaltungsmöglichkeiten auch noch durch den stationären Internetzugang möglich gewesen wären, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung. Die Nutzung zu Kommunikationszwecken sei durch ein Ersatztelefon mit (ausschließlich) einer Telefonfunktion gewährleistet gewesen.

Diese Entscheidung kann nachvollzogen werden, so wird auch die Nutzungsausfallentschädigung für ein Motorrad verneint, wenn durch einen noch vorhandenen PKW die Mobilität weiter möglich ist ( LG Dortmund, Urt. v. 7. 12. 2011 – 21 S 33/11 NZV 2014, 41).

 

LG Hagen Urteil vom 09.02.2017 Az.: 7 S 70/16

Montagsblog: Neues vom BGH

Beweislastumkehr bei grober Pflichtverletzung
Urteil vom 11. Mai 2017 – III ZR 92/16

In einer für BGHZ vorgesehenen Entscheidung, die auch Aufmerksamkeit in der Tagespresse gefunden hat, wendet der III. Zivilsenat eine aus dem Arzthaftungsrecht bekannte Beweislastregel auf einen Hausnotrufvertrag an.

Der im Laufe des Rechtsstreits verstorbene, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 75 Jahre alte, allein lebende und pflegebedürftige frühere Kläger hatte mit der Beklagten einen Hausnotrufvertrag geschlossen. Zu den Pflichten der Beklagten gehörte die unverzügliche Vermittlung einer angemessenen Hilfeleistung im Falle eines Notrufs. Zwei Jahre nach Vertragsschluss betätigte der Kläger den Notruf. Am Telefon konnte er sich nicht artikulieren, sondern nur ein Stöhnen von sich geben. Ein zur Wohnung entsandter Mitarbeiter der Beklagten fand den Kläger am Boden liegend auf. Mit Hilfe eines hinzugerufenen Kollegen setzte er ihn auf die Couch und verließ die Wohnung. Zwei Tage später fanden Mitarbeiter des Pflegedienstes den Kläger mit einer halbseitigen Lähmung am Boden liegend auf. Im Krankenhaus wurde ein ein bis drei Tage zurückliegender Schlaganfall diagnostiziert, von dem sich der Kläger bis zu seinem Tod rund drei Jahre später nicht mehr erholte. Die Klage auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Abweichend von den Vorinstanzen bejaht er eine Pflichtverletzung der Beklagten. Diese hätte aufgrund der bekannten Vorerkrankungen und der fehlenden Artikulationsfähigkeit unverzüglich nach Eingang des Notrufs den Rettungsdienst alarmieren müssen. Die Beweislast dafür, dass es dann nicht zu den schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gekommen wäre, legt der BGH der Beklagten auf. Er sieht deren Verhalten als grobe Pflichtverletzung an und leitet daraus – entsprechend den für grobe ärztliche Behandlungsfehler entwickelten Grundsätzen – eine Umkehr der Beweislast ab. Entscheidend dafür ist, dass der Notrufvertrag gerade dazu diente, den Kläger vor Gefahren für Körper und Gesundheit zu bewahren, und dass die Beweissituation des Klägers durch das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten erheblich verschlechtert wurde.

Praxistipp: Eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalitätsfrage kommt in Betracht, wenn der Schuldner eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit grob vernachlässigt hat.

Persönlich eingelegtes Rechtsmittel und Antrag auf Prozesskostenhilfe
Beschluss vom 14. März 2017 – VI ZB 36/16

Mit einer nicht selten auftretenden Verfahrensfrage befasst sich der VI. Zivilsenat.

Das AG hatte den Beklagten wegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung zur Zahlung von 1.318,36 Euro verurteilt. Hiergegen legte der Beklagte mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben fristgerecht Berufung ein. Zugleich reichte er einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ein, dem alle erforderlichen Unterlagen beigefügt waren. Das LG lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht ab und verwarf die Berufung als unzulässig. Gegen letzteres wendete sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Die vom Beklagten persönlich eingelegte Berufung war zwar unzulässig. Das LG hätte dem Beklagten nach der Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe aber Gelegenheit geben müssen, das Rechtsmittel durch einen Anwalt erneut einlegen zu lassen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Ein solches Wiedereinsetzungsgesuch hatte Aussicht auf Erfolg, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt sind.

Praxistipp: Wenn das Berufungsgericht zutreffend verfährt und die betroffene Partei nach Versagung von Prozesskostenhilfe anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss die Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags beachtet werden. Diese beträgt, wenn es um die Einlegung der Berufung geht, gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen nach Zugang des Beschlusses über die Versagung von Prozesskostenhilfe.

BGH: Widerruf muss nicht als solcher bezeichnet werden

Alter Wein in neuen Schläuchen. Eine neue Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.1.2017 Az.: I ZR 198/15) zu „falsa demonstratio non nocet„.

In einem Fall zum alten Widerrufsrecht im Fernabsatz („ewiges Widerrufsrecht“) erklärte ein Verbraucher vor Gericht, er würde den geschlossenen Maklervertrag anfechten. Das Gericht wertet dies auch als die Erklärung eines Widerrufs:

Mit Erfolg macht die Revision geltend, der Beklagte zu 2 habe dadurch den Widerruf des Maklervertrags erklärt, dass er in der Klageerwiderung vom 8.11.2013 die Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung angefochten habe. Er habe damit deutlich gemacht, er wolle einen etwaigen Vertragsschluss von Anfang an nicht gelten lassen.

Diese Anfechtungserklärung bezieht sich zwar auf eine nach Behauptung der Klägerin von dem Beklagten zu 2 unterzeichnete schriftliche Bestätigung, nach der sich dieser verpflichtet haben soll, ihr eine Käuferprovision bei Abschluss eines Kaufvertrags über das Objekt zu zahlen.(2) Diese Erklärung ist jedoch dahingehend auszulegen, der Beklagte zu 2 wolle einen etwa mit der Klägerin geschlossenen Maklervertrag widerrufen. Wird eine auf einen bestimmten Vertrag gerichtete Erklärung durch die Vertragspartei wegen arglistiger Täuschung angefochten, wird damit hinreichend deutlich gemacht, dass der Anfechtende einen etwaigen Vertrag nicht gegen sich gelten lassen will (BGH, Urt. v. 2.5.2007 – XII ZR 109/04, MDR 2007, 1004, NJW 2007, 2110 Rn. 28; insoweit zutreffend OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 1438, 1439). Da zwischen den Parteien nur ein einziges Vertragsverhältnis in Streit steht, muss die Anfechtungserklärung des Beklagten dahin verstanden werden, dass er an einem etwa mit der Klägerin zustande gekommenen Maklervertrag nicht festgehalten werden will.

Auf den ersten Blick eine sehr verbraucherfreundliche Entscheidung, die den Eindruck erweckt, eine einseitige Parteiergreifung des Gerichtes sei zulässig.

Andererseits ist es durchaus begrüßenswert, dass das Gericht den wahren Willen des Erklärenden ermittelt (keine Bindung von Anfang an) und die rechtlichen Schlüsse daraus zieht (wo wir heute schon dabei sind: iura novit curia). Dass die Erklärung hier von einem Rechtsanwalt stammte, der BGH dennoch großzügig auslegt, verwundert im Lichte einer früheren Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648) in der ein hoher Maßstab an Rechtsanwälte angelegt wird:

„Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt; dazu darf es der Rechtsanwalt regelmäßig gar nicht kommen lassen.“

Hinweis: Für die Praxis dürfte es in Zukunft ratsamer sein, möglichst weite Formulierungen zu finden, wenn es um die Beseitigung der Rechtswirkungen von Verträgen geht, sollte nicht ein ganz bestimmter Rechtsbehelf aufgrund seiner Rechtsfolgen gewünscht sein. Fraglich bleibt auch, welche Gestaltungserklärung ein Gericht durchgreifen lässt, wenn mehrere Gestaltungserklärungen einen teilweise identischen Erfolg, aber darüber hinaus noch unterschiedliche Rechtsfolgen hervorbringen (z.B. Wertersatz bei einem Widerruf oder Schadensersatz bei einer Anfechtung).

LG Ulm: Kein virtuelles Hausrecht für Webshops

Ein Druckereidienstleister erteilte einem Nutzer ein „virtuelles Hausverbot“, da es in der Vergangenheit zu einem unerwünschten Weiterverkauf von Ware gekommen sei und auch Rechtsverletzungen aufgrund mangelnder Urheberrechte befürchtet wurden.

Als Bestellungen weiter eingingen und eine Abmahnung fruchtlos verlief, klagte der Dienstleister auf Unterlassung.

Das LG Ulm wies die Klage ab. Zur Begründung führt es aus, dass die Figur des virtuellen Hausverbots in Einzelfällen, z.B. bei Internetforen, in denen ein Betreiber für Inhalte verantwortlich gemacht werden könnte, durchaus greifen kann, ein solcher Fall hier aber nicht vorliegt. Dem Dienstleister stünde es vielmehr frei, Vertragsangebote nicht anzunehmen oder von bereits geschlossenen Verträgen zurückzutreten, wenn die Gefahr von Rechtsverletzungen droht.

Diese Entscheidung ist höchst fragwürdig: Bereits der Umstand, dass dem Kunden weiterhin das Aufgeben von Bestellung gestattet ist, führt zu dem Risiko, dass eine Bestellung „durchrutscht“ und nicht vor der Ausführung auf Rechtsverletzungen gesondert geprüft wird. Dem Shopbetreiber zu raten, von einer automatischen Vertragsannahme abzusehen (z.B. hier), hilft auch nur begrenzt weiter. So wird vertreten, dass bereits die Anforderung einer Zahlung eine konkludente Annahme des Vertragsangebots darstellen soll (AG Dieburg Urteil vom 21.02.2005 Az.: 22 C 425/04). Der Link z.B. zu Paypal, SofortÜberweisung oder ähnlichen Bezahlsystemen im Rahmen der Bestellung wäre damit bereits problematisch. Gerade aber verbleibende klassische Zahlungsmethoden „auf Rechnung“, „Lastschrift“ oder „Vorkasse per Überweisung“ verlieren aufgrund ihrer Nachteile für die Vertragsparteien zunehmen an Bedeutung. Virtuelle Hausverbote dürften trotz dieser gegenläufigen Entscheidung des LG Ulm die Methode erster Wahl sein, um unerwünschte Vertragsbeziehungen zu vermeiden.

 

LG Ulm Beschluss vom 13.01.2015 Az. 2 O 8/15

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GbR als Verbraucher
Urteil vom 30. März 2017  – VII ZR 269/16

Mit dem Begriff des Verbrauchers im Sinne von § 13 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die klagende GbR, die aus einer Freiberuflerin und einer GmbH bestand, war Bauherrin eines Einfamilienhauses, das von der Gesellschafterin und deren Ehemann als Familienheim und Büro genutzt werden sollte. Die Klägerin beauftragte die Beklagte, eine Architekten-GbR mit der Planung. Nach Errichtung des Gebäudes nahm die Klägerin die Beklagte wegen Mangeln an der Glasfassade in Anspruch. Die Beklagte berief sich unter anderem auf eine formularmäßig vereinbarte Beschränkung ihrer Haftung auf einen Höchstbetrag. Das LG stellte antragsgemäß fest, dass die Beklagten die aufgrund des Mangels entstandenen Schäden in voller Höhe zu tragen haben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das OLG sah in der vereinbarten Haftungsbeschränkung eine unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung. Dabei ließ es offen, ob die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert war. Es sah die Klägerin als Verbraucherin an und hielt eine Inhaltskontrolle deshalb gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch für den Fall für zulässig, dass die Klausel nur für einen Vertrag vorformuliert wurde.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung kann die klagende GbR schon deshalb nicht als Verbraucher angesehen werden, weil zu ihren Gesellschaftern eine juristische Person gehört. Deshalb ist unerheblich, zu welchem Zweck der Architektenvertrag geschlossen wurde.  Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats, wonach eine Wohnungseigentümergemeinschaft schon dann als Verbraucher anzusehen ist, wenn ihr mindestens eine natürliche Person angehört, die ein Rechtsgeschäft zu nicht gewerblichen Zwecken abschließt, hält der BGH für nicht einschlägig, weil der Gesellschafter einer GbR anders als ein Wohnungseigentümer grundsätzlich selbst entscheiden kann, mit wem er sich zusammenschließt.

Praxistipp: Die Entscheidung ist zu der bis 12.6.2014 geltenden Fassung von § 13 BGB ergangen. Sie dürfte aber uneingeschränkt auch für die neue Fassung gelten. Diese stellt lediglich klar, dass es bei Verträgen mit gemischter Zwecksetzung auf den überwiegenden Zweck ankommt.