Schriftsatz des Kanzleikollegen per beA versenden? Das BAG erklärt, wie es geht.

Immer neue Rechtsfragen wirft das besondere elektronische Anwaltspostfach auf. Das BAG (Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 8 AZN 589/19) hatte kürzlich den Fall zu entscheiden, dass unter einem per beA übersandten Dokument der Namenszug des Rechtsanwalts A. aufgebracht war, das Dokument aber aus dem Anwaltspostfach des in derselben Kanzlei tätigen Rechtsanwalts B. übermittelt wurde.

Nach § 130a Abs. 3 Alt. 2 ZPO ist die Form als elektronisches Dokument gewahrt, wenn es „von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist“. Als sog. einfache Signatur reicht in diesem Fall die Wiedergabe des Namenszugs am Ende des Textes aus (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 130a ZPO Rn. 9) aus. Das beA ist gem. § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO ein sicherer Übermittlungsweg. Alles wäre also in Ordnung, wenn nicht § 130a Abs. 3 ZPO die Signatur der „verantwortenden“ Person verlangen würde. Darunter wird bisher ganz überwiegend verstanden, dass zwischen der signierenden und der das Anwaltspostfach verwendenden Person Identität bestehen muss (OLG Braunschweig, Beschluss vom 08. April 2019 – 11 U 146/18, MDR 2019, 1019; kritisch Lapp jurisPR-ITR 17/2019 Anm. 3). Rechtsanwalt B. hätte daher ebenfalls noch seinen Namenszug unter das Dokument setzen müssen, um die Form zu wahren, was sich in der Praxis aber als schwierig darstellen könnte, wenn ihm das Dokument „versandfertig“ als pdf-Datei vom Kollegen zur Verfügung gestellt wurde.

Das BAG musste diese Frage nicht entscheiden, denn Rechtsanwalt B. hatte das Dokument vor der Versendung außerdem mit seiner eigenen qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Da diese die gleiche Rechtswirkung wie seine handschriftliche Unterschrift hat, sah es die Form des § 130a Abs. 3 Alt. 1 ZPO als gewahrt an: Rechtsanwalt B. habe die Verantwortung für das Dokument übernommen. Dass Rechtsanwalt A. unter dem Schriftsatz genannt wurde, hat das BAG zutreffenderweise nicht gestört.

Möchte also Rechtsanwalt B. einen Schriftsatz für den Kollegen A. aus seinem Anwaltspostfach versenden, den dieser nicht selbst qualifiziert elektronisch, sondern lediglich „einfach“ signiert hat, empfiehlt es sich dringend, ihn qualifiziert elektronisch zu signieren! Dann ist nur noch darauf zu achten, dass auch Rechtsanwalt B. Prozessvollmacht hat.

 

 

BGH zum stillschweigenden Wiedereinsetzungsantrag

Im Rahmen eines Teilungsversteigerungsverfahrens hatte die Antragsgegnerin gegen einen am 25.1.2018 zugestellten Beschluss am 21.2.2018 Beschwerde eingelegt. Die Frist zur Begründung wurde antragsgemäß bis zum 20.4.2018 verlängert. Mit Schriftsatz vom 16.4.2018 bat die Verfahrensbevollmächtigte um eine weitere Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist, weil noch eine ausführliche Besprechung mit der Antragsgegnerin notwendig sei, diese aber krankheitsbedingt noch nicht durchgeführt werden konnte. Die Antragsgegnerin befinde sich in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, die voraussichtlich vier Wochen (12.4. bis 10.5.2018) andauern werde. Am 11.5.2018 teilte das OLG der Antragsgegnerin mit, die Frist könne mangels Zustimmung des Gegners nicht nochmals verlängert werden und sei damit versäumt. Mit Schriftsatz vom 29.5. begründete die Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde ausführlich und teile nochmals ergänzend weitere Umstände zur Erkrankung der Antragsgegnerin mit. Nach einem weiteren Hinweis des OLG beantragte die Antragsgegnerin am 22.6.2018 schließlich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist. Dies wurde u.a. damit begründet, der Antragsgegnerin sei durchgängig von ärztlicher Seite geraten worden, sich während der Rehabilitation nicht mit Prozessen zu befassen. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerde verworfen.

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Nach der Auffassung des BGH (Beschl. v. 12.6.2019 – XII ZB 432/18, MDR 2019, 1149 = MDR 2019, 1299 [Elzer]) hat das OLG mit der angefochtenen Entscheidung das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes der Antragsgegnerin verletzt. Die Wiedereinsetzung sei nicht verspätet beantragt worden. Der Schriftsatz vom 29.5.2018 sei vielmehr als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag anzusehen. Ausreichend dafür sei bereits, dass in dem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht werde, dass das Verfahren trotz einer verspäteten Einreichung eines Schriftsatzes fortgesetzt werden solle. Die erforderliche, aus sich heraus verständliche und geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich die Gründe für die Fristversäumnis ergeben, sei in dem Schriftsatz enthalten. Der ausdrückliche Wiedereinsetzungsantrag vom 22.6.2018 enthalte nur noch ergänzende Angaben.

Damit stehe allerdings noch nicht fest, dass die beantragte Wiedereinsetzung auch bewilligt werden kann. Die Erkrankung des Rechtsmittelführers kann grundsätzlich eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, wenn dieser nicht dazu in der Lage ist, den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen und diesen sachgemäß zu unterrichten. Notwendig dafür ist allerdings, dass selbst eine telefonische Verständigung über eine fristgerecht vorzulegende Beschwerdebegründung mit einem Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich war. Der BGH gibt dem OLG dann auf, zu prüfen, ob dies vorliegend wirklich glaubhaft gemacht wurde. Insbesondere dränge es sich hier auf, unter Umständen weitere ärztliche Bescheinigungen anzufordern. Die Antragsgegnerin hat somit nur einen Etappensieg errungen. Ob sie tatsächlich Wiedereinsetzung bewilligt bekommt, bleibt zunächst offen.

Für den Rechtsanwalt ist es wichtig, die Fristen für einen Wiedereinsetzungsantrag immer im Auge zu behalten. Sobald diesbezüglich etwas auffällt, ist die Frist zu berechnen und im Kalender – auffällig (!) – zu notieren. Lediglich als Notanker muss in Zweifelsfällen noch geprüft werden, ob ein anderer, noch fristgemäß eingereichter Schriftsatz unter Umständen schon als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden kann. Dies kann dann vielleicht eine „Rettung“ sein. Verlassen sollte man sich darauf jedoch besser nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer einseitigen Erledigungserklärung.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Urteil vom 7. November 2019 – III ZR 16/18

Ein sich abzeichnender Konflikt zwischen dem III. und dem XII. Zivilsenat ist beigelegt.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Nach Begleichung des Klagebetrags und der Nebenforderungen hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Die Revision der Beklagten bleibt hinsichtlich der Nebenforderungen erfolglos. Hinsichtlich der Hauptforderung verweist der BGH die Sache hingegen an das OLG zurück.

Der für die Entscheidung zuständige III. Zivilsenat hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass die Erledigung der Hauptsache auch dann auszusprechen ist, wenn die Klage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bei einem nicht zuständigen Gericht anhängig ist. Dies hätte einer Entscheidung des XII. Zivilsenats widersprochen. Dieser teilte auf eine Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG (Beschluss vom 28. Februar 2019, dazu Montagsblog Nr. 127) mit, er halte an seiner Auffassung fest (Beschluss vom 22. Mai 2019, MDR 2019, 1012).

Der III. Zivilsenat sieht von einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen ab und tritt nunmehr der Auffassung des XII. Zivilsenats bei. Er greift aber einen Hinweis in der Mitteilung vom 22. Mai 2019 auf und hält eine einseitige Erledigungserklärung für begründet, wenn der Kläger im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bereits die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht beantragt hat. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall hinsichtlich der Nebenforderungen zweifelsfrei vor. Zu der Frage, ob die Hauptforderung ebenfalls erst nach Stellung des Verweisungsantrags erfüllt wurde, fehlt es hingegen an tatrichterlichen Feststellungen. Diese muss das OLG in der wieder eröffneten Berufungsinstanz nachholen.

Praxistipp:  Maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der Erledigungserklärung, sondern der Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Der Kläger kann eine ihm ungünstige Kostenentscheidung in solchen Fällen deshalb nicht dadurch verhindern, dass er zunächst einen Verweisungsantrag stellt und erst danach den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

OLG Hamm zur Haftung für Unfall im Baustellenverkehr

Bei einem tragischen Unfall wurde der Kläger, der auf einer Baustelle als „Fernsteuerungskranbediener“ tätig war, von einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen angefahren und bedauerlicherweise dabei so schwer verletzt, dass er aus dem Berufsleben ausscheiden musste. Die Klage des Klägers vor den Sozialgerichten, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, wurde durch alle Instanzen abgewiesen, da der Kläger selbständiger Unternehmer gewesen sei und sich nicht freiwillig versichert habe. Im sich anschließenden Zivilprozess gegen die für den Lieferwagen Verantwortlichen, insbesondere die Haftpflichtversicherung, hatte der Kläger Erfolg.

In der sehr lesenswerten Entscheidung des OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2019 – I-9 U 56/18 widerlegt das Gericht ausführlich die zahlreichen Einwände der Beklagten gegen ihre Haftung. Die Feststellungsklage des Klägers wird zunächst als zulässig angesehen, obwohl der Kläger teilweise beziffern konnte. Es ist jedoch ausreichend für eine Feststellungsklage, dass noch weitere Schäden drohen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, vor allem § 7 StVG, sind einschlägig, da diese nicht an einen Betrieb im öffentlichen Verkehr anknüpften, sondern auch auf privaten Verkehrsflächen maßgeblich sind. Die Beklagten hatten weiterhin eingewandt, der gesamte Fall sei konstruiert worden, um dem Kläger, der keine Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft durchsetzen konnte, nunmehr Ansprüche gegen eine private Versicherung zu verschaffen. Tatsächlich sei der Kläger von einem Gerüst gefallen, ohne dass der Lieferwagen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Diesen Einwand wiederlegt das OLG mit einer ausführlichen Beweiswürdigung aufgrund von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Da danach feststeht, dass der Lieferwagen rückwärtsgefahren ist und dabei den Kläger angefahren hat, spricht der Anscheinsbeweis gegen die Beklagten. Ein Mitverschulden wurde nicht nachgewiesen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers als „Fernsteuerungskranführer“ höchste Konzentration und Präzision erfordert, habe der Kläger nicht auf andere Verkehrsteilnehmer achten müssen. Zwar hatte der Kläger keinen Helm getragen, es steht aber nicht fest, dass dies auf den eingetretenen Schaden überhaupt eine Auswirkung gehabt hat.

Schließlich scheidet auch eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII aus. Die Sozialgerichte haben bindend entschieden, (§ 108 SBG VII), dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegt. Darüber hinaus hat sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte. Hier habe es keine Verbindung zwischen dem Kläger und den Beklagten gegeben, sondern ein beziehungsloses Nebeneinander.

Festzuhalten ist daher: An die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach einem Unfall sind keine hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere steht eine teilweise Bezifferbarkeit der Ansprüche der Klage nicht entgegen. Die Vorschriften des StVG gelten letztlich praktisch überall dort, wo sich das Fahrzeug befindet, vor allem auch auf privaten Verkehrsflächen. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gilt nur, wenn tatsächlich eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt und nicht nur ein beziehungsloses Nebeneinander.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz.

Neues Vorbringen im Verfahren nach § 522 Abs. 1 ZPO
Beschluss vom 24. September 2019 – VI ZB 517/18

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht eine Berufung durch Beschluss als unbegründet zurückweisen darf, obwohl es die Begründung der Vorinstanz für unzutreffend hält, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt vom beklagten Insolvenzverwalter, Schadensersatzansprüche aus der Vermittlung einer Kapitalanlage zur Insolvenztabelle festzustellen. Das LG wies die Klage als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an, wies die Berufung aber dennoch gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil es die Klage mangels Kausalitätsnachweis als unbegründet ansah. Ein auf Vernehmung eines Zeugen gerichtetes Beweisangebot der Klägerin zu diesem Thema wies es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO und hilfsweise gemäß § 296 Abs.1 ZPO als verspätet zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Zurückweisung des Beweisangebots nach § 531 Abs. 2 ZPO ist im Streitfall schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin es bereits in der Klageschrift unterbreitet und in der Berufungsinstanz lediglich wiederholt hat. Aus diesem Grund kommt auch eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht den Zeugen auch dann hätte vernehmen müssen, wenn die Klägerin ihn erstmals in der Berufungsinstanz benannt hätte. Das Berufungsgericht war gehalten, die Klägerin auf seine vom Landgericht abweichende Rechtsaufassung hinzuweisen, und ihr Gelegenheit zu geben, zu dem nach Auffassung des LG nicht relevanten Thema der Kausalität ergänzende Angriffsmittel vorzubringen.

Praxistipp: Nach § 522 Abs. 3 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO (ab 1.1.2020: § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Wert der mit dem Rechtsmittel geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen Prozesskostenhilfe und Ehegattenunterhalt.

Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehegatten
Beschluss vom 27. August 2019 – VI ZB 8//18

Mit der Frage, wann eine persönliche Angelegenheit im Sinne von § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB vorliegt, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Das OLG bewilligte dem Beklagten für die Berufungsinstanz antragsgemäß Prozesskostenhilfe, allerdings mit der Maßgabe, dass er monatliche Raten von 1.000 Euro zu zahlen hat.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten, der Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung begehrt, bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der Beklagte gegen seine Ehefrau gemäß § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss hat und diesen für die Finanzierung des Rechtsstreits einsetzen muss. Die dafür erforderliche Voraussetzung, dass der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit des Beklagten betrifft, ist gegeben, obwohl die Klageforderung auf die berufliche Tätigkeit des Beklagten gestützt ist. Ausschlaggebend ist, dass der Kläger dem Beklagten auch strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorwirft. Dieser Vorwurf trifft den Beklagten in seiner persönlichen Sphäre. Die daraus resultierende Pflicht der Ehefrau zur Zahlung eines Vorschusses entfällt nicht deshalb, weil dem Beklagten ähnliche Klagen von Seiten anderer Anleger sowie ein Strafprozess drohen. Die anderen Verfahren könnten die (vom Beklagten grundsätzlich nicht in Abrede gestellte) Leistungsfähigkeit der Ehefrau allenfalls dann mindern, wenn sie dafür bereits Vorschusszahlungen erbringen würde.

Praxistipp: Für die Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren hat ein finanziell leistungsfähiger Ehegatte gemäß § 1360a Abs. 4 Satz 2 BGB ebenfalls einen Vorschuss zu leisten.

Bundestag beschließt Änderungen der ZPO und des GVG

Der Bundestag hat am 14.11.2019 in 2. und 3. Lesung eine dauerhafte Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, Regelungen zur Schaffung von Spezialkammern und -senaten sowie einige weitere Änderungen der Zivilprozessordnung beschlossen (BT-Drs. 19/15167). Anlass war das drohende Auslaufen der bereits mehrfach verlängerten Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO zum 31.12.2019, wonach die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € übersteigt.

Bei einem ersatzlosen Auslaufen der Wertgrenze wäre es zu einer Vervielfachung der schon bisher den BGH stark belastenden Nichtzulassungsbeschwerden gekommen.  Da sowohl zweckmäßige wie auch praktisch umsetzbare Alternativen zu der Wertgrenze seit deren erstmaligen Inkrafttreten am 1.1.2002 nicht gefunden werden konnten, entschloss sich der Gesetzgeber nunmehr, mit Wirkung vom 1.1.2020 an, die Wertgrenze von 20.000 € dauerhaft in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festzuschreiben.

Ebenfalls ab 1.1.2020 werden vornehmlich klarstellende Änderungen der Zivilprozessordnung gelten. So sollen die Parteien Ablehnungsgesuche, bei denen der Ablehnungsgrund erst später bekannt wird, unverzüglich anbringen müssen (§ 44 Abs. 4 S. 2 ZPO). Das Gericht soll zukünftig auch den Nebenintervenienten zur Parteianhörung laden können (§ 67 S. 2 ZPO). Ebenso wird ihm nunmehr ausdrücklich gestattet, durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren zu strukturieren und den Streitstoff abzuschichten (§ 139 Abs. 1 S. 2 ZPO) sowie einen Sachverständigen als Berater hinzuzuziehen (§ 144 ZPO). Weitere Änderungen sollen Probleme beim elektronischen Rechtsverkehr lösen (§ 130a, § 169 Abs. 4 S. 1, § 174 Abs. 4 ZPO). Eine praktische Erleichterung stellt die Vereinfachung des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO dar: Die Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlags kann nun bereits durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erfolgen.

Erst ab 1.1.2021 sollen die Änderungen des GVG gelten, mit denen den Landgerichten und Oberlandesgerichten in §§ 72a, 119a GVG auch die Einrichtung von Spruchkörpern für Pressesachen, erbrechtliche Streitigkeiten und Insolvenzsachen vorgeschrieben wird. Die weitere Spezialisierung der Richter ist im Hinblick auf die immer weiter steigende Komplexität des Rechts als qualitätssicherndes Element sicher zu begrüßen, wird aber gerade in kleineren Gerichten nicht voll zum Tragen kommen können. Aus diesem Grund sieht das Gesetz weitgehende Konzentrationsmöglichkeiten durch Landesrecht vor.

Hinweis: Ein umfassender Beitrag, in dem die Neuregelungen und ihre praktische Bedeutung vorgestellt werden, ist für MDR Heft 1/2020 vorgesehen. Auch sind die Regelungen in der 33. Aufl. des Zöller bereits berücksichtigt; unter www.otto-schmidt.de/zoeller finden Sie auch zeitnah nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens eine Erstkommentierung. Online wird der Zöller an Ort und Stelle aktualisiert.

OLG Frankfurt: „Ende“ des selbständigen Beweisverfahrens

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 21.08.2019 – 13 W 40/19) hatte der Sachverständige nach Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens ein Ergänzungsgutachten vorgelegt. Dieses ging den Parteien am 14.3.2019 zu. Mit Schriftsatz vom 13.5.2019 beantragte der Antragsgegner, dem Antragsteller eine Frist zur Klageerhebung zu setzen und den Streitwert festzusetzen. Der Antragsteller erhielt diesen Schriftsatz mit der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen. Mit Schriftsatz vom 29.5.2019 (also innerhalb der eingeräumten Frist) beantragte der Antragsteller jedoch, dem Sachverständigen weitere Fragen zur Beantwortung vorzulegen. Das Landgericht wies diesen Antrag zurück. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

Diese sofortige Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig, da das Landgericht ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen hatte. Die entscheidende Frage war, ob das selbständige Beweisverfahren bereits beendet war oder nicht. Eine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO hatte das Landgericht nicht gesetzt. Demgemäß kam es darauf an, ob hier der in § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO maßgebliche angemessene Zeitraum, um Einwendungen gegen das Gutachten mitzuteilen, schon abgelaufen war. Zur Bestimmung dieses Zeitraums kann keine verbindliche Frist herangezogen werden. Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wie z. B. den Umfang und die Schwierigkeit der Sache sowie die Verständlichkeit des Gutachtens oder auch die bisherige Dauer des Verfahrens. Für den angemessenen Zeitraum sind Fristen von ein bis sechs Monaten in der Diskussion, jedoch in der Regel nicht mehr als drei Monate. Hier waren seit der Mitteilung des Gutachtens elf Wochen vergangen, mithin weniger als drei Monate. Außerdem ging der Antrag innerhalb der eingeräumten Stellungnahmefrist zu dem Antrag des Antragsgegners ein. Das Landgericht hatte seinerseits zuvor auf eine Fristsetzung verzichtet. Vor diesem Gesamthintergrund war der angemessene Zeitraum hier gerade noch nicht abgelaufen, als der Antrag des Antragstellers einging.

Somit hob das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts auf und gab dem Landgericht die Gelegenheit, einen sachgerechten weiteren Beschluss zu treffen.

Fazit: Ein selbständiges Beweisverfahren kann von alleine zu Ende gehen. Es empfiehlt sich daher – falls das Gericht keine Fristen setzt – eventuelle Ergänzungsfragen an den Sachverständigen zeitnah anzubringen. Höchstvorsorglich ist nach Eingang des Gutachtens eine Dreimonatsfrist zu notieren.

BGH: Berufung auf Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung

Im Rahmen eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil ging es – wie so oft – um die Wirksamkeit von Zustellungen (BGH, Beschl. v. 14.5.2019 – X ZR 94/18). Der Beklagte hatte dem klagenden Luftverkehrsunternehmen, das für ein spezielles (Bonus-)Programm einen inländischen Wohnsitz gefordert hatte, eine Anschrift in Berlin mit dem Zusatz „c/o D.“ mitgeteilt. Die Klägerin warf dem Beklagten dann vor, diverse Täuschungen begangen zu haben und verlangte von ihm die Kosten, die für zahlreiche Flüge entstanden waren. In Berlin wurden die Klageschrift und das Versäumnisurteil auch zugestellt. Seinen Wohnsitz hatte der Beklagte aber tatsächlich in Moskau. LG und KG hatten den zu spät eingelegten Einspruch als verfristet angesehen, der BGH folgte dem jedoch nicht.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die Zustellungen nicht wirksam waren. Eine Ersatzzustellung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Zustellungsempfänger am Ort der Zustellung auch tatsächlich wohnt. Es ist gerade nicht ausreichend, dass der Zustellungsempfänger nur einen zurechenbaren Rechtsschein für die Wohnung erzeugt. Eine erweiternde Auslegung der Zustellungsvorschriften dahingehend ist nicht zulässig. Diese Vorschriften haben formalen Charakter und sichern das rechtliche Gehör.

Diese Sicht der Dinge führt aber in vielen Fällen zu völlig sachunangemessenen Ergebnissen. Entsprechend dem das ganze Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben hat die Rechtsprechung deshalb schon bald Ausnahmen von diesem Grundsatz postuliert: Ein Zustellungsempfänger darf sich auf eine unwirksame Ersatzzustellung dann nicht berufen, wenn er bei dem Gericht oder einem Verfahrensbeteiligten bewusst einen Irrtum über seine tatsächlichen Lebensverhältnisse hervorruft. „Fehlt es an einem solchen Verfahrensbezug des bewusst hervorgerufenen Anscheins einer Wohnung, darf es dem Zustellungsadressaten regelmäßig nur dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.“

Hiervon vermochte der BGH nach den Feststellungen des KG nicht auszugehen. Besondere Feststellung zu einer Unredlichkeit des Beklagten im Hinblick auf das Verfahren wurde vom KG nicht getroffen. Die Umstände, dass der Beklagte gegenüber der Klägerin einmal „bei D.“ und einmal „c/o D.“ angegeben hatte, reichen nicht aus. Beiden Zusätzen kommt keine vollständig eindeutige Wirkung zu. Die Zusätze werden sowohl bei Personen verwendet, die eine Wohnung als Untermieter oder aus sonstigen Gründen mitbenutzen als auch bei Personen, die lediglich sicherstellen wollen, dass sie Post an einer bestimmten Adresse im Inland erreichen kann. Auch der Umstand, dass der Beklagte die Adresse angegeben hat, um unberechtigt an einem speziellen Programm der Klägerin teilzunehmen, reicht nicht aus, um bei der Klägerin eine Fehlvorstellung über die Zuständigkeit auszulösen, zumal der Klägerin bekannt war, dass der Beklagte sich tatsächlich in Moskau aufhält.

Fazit: Wie auch hier, scheitern in der Praxis viele Zustellungen an ihrer Wirksamkeit. Dies kann sehr unangenehme Konsequenzen haben. Eine unwirksame Zustellung kann auch nach Jahren noch geltend gemacht werden. Mitunter ist dann die Verjährungsfrist abgelaufen und es fehlt an verjährungsunterbrechenden Umständen. Für einen Gläubiger kann all dies sehr bitter sein. Das geltende Zustellungsrecht gibt jedenfalls Personen, die sich Zustellungen entziehen wollen, viele Möglichkeiten, ihre Gläubiger zum Narren zu halten.

Einmal wieder: BGH zum rechtlichen Gehör

In einer Arzthaftungssache (BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – VI ZR 54/18, MDR 2019, 1081) hatte das OLG eine Zeugin vernommen und einen Sachverständigen angehört. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung wurde alsdann den Parteien nachgelassen, zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme bis zum 28. November schriftsätzlich vorzutragen. Ein Verkündungstermin wurde auf den 12. Dezember bestimmt. Innerhalb der Frist unterbreiteten die Kläger noch rechtsrelevanten Vortrag. Das OLG verkündete ein Urteil zum Nachteil der Kläger. Der BGH sieht darin einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.

Bekanntlich gibt es Fälle, in denen eine erneute Verhandlung oder ein schriftliches Verfahren nach einer Beweisaufnahme geboten ist, dies gilt vor allem in Arzthaftungssachen. Ob hier ein solcher Fall vorlag, lässt der BGH jedoch offen. Jedenfalls wenn das Gericht nach einer Beweisaufnahme einen Schriftsatznachlass zur Stellungnahme zum Beweisergebnis einräumt, bringt es dadurch hinreichend klar zum Ausdruck, dass es eine Stellungnahme im Termin nicht erwartet, sondern fristgemäß erfolgenden Vortrag berücksichtigen wird. Dagegen hat das OLG verstoßen, sodass das rechtliche Gehör verletzt ist, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das OLG unter Berücksichtigung des Vortrags anders entschieden hätte.

Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, wie schwierig es in der Praxis ist, einen entscheidungsreifen Prozess auch einmal wirklich zu entscheiden. Es fällt den Beteiligten immer wieder etwas Neues ein. In der Praxis ist dieses Neue allerdings oftmals fernliegend, denn wenn es wirklich wichtig wäre, wäre es sicherlich schon vorgetragen worden. Aber in der gerichtlichen Praxis neigen die Parteien oftmals dazu, sich an immer neue Strohhalme zu klammern. Dies gilt vor allem dann, wenn sie merken, dass sie unterliegen werden.

Wenn ein Gericht keine Verfahrensfehler riskieren will, räumt es solche Stellungnahmefristen am besten erst gar nicht ein. Wenn die Sache wirklich so komplex ist, dass von den Parteien eine abschließende Stellungnahme nach einer Beweisaufnahme, vor allem nach umfangreichen Ausführungen eines Sachverständigen, nicht erwartet werden kann, muss eben gleich ein neuer Termin bestimmt werden oder – bei Einverständnis beider Parteien – das schriftliche Verfahren angeordnet werden (Hierzu z.B. näher Vorwerk/Fullenkamp, Prozessformularbuch, 11. Aufl. 2019, Kap. 24 Rn. 50 f. und Rehborn Kap. 80 Rn. 342 ff. mit M 80.28). Ansonsten sollten keine Stellungnahmerechte mehr eingeräumt werden, sondern auf die Möglichkeit „Hic Rhodus, hic salta!“ hingewiesen werden. Der BGH scheint mitunter nicht ausreichend zu berücksichtigen, dass mindestens eine der Parteien auch einen Anspruch darauf hat, dass ein Prozess auch einmal zu Ende geht.

Hinweis: Vgl. hierzu auch den Blog-Beitrag von Bacher zu derselben Entscheidung.