Montagsblog: Neues vom BGH

Berufungsbegründung per Telefax
Beschluss vom 26. Januar 2017  – I ZB 43/16

Grenzen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht bei der Einreichung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax zeigt der I. Zivilsenat auf.

Der Prozessbevollmächtigte der in erster Instanz unterlegenen Beklagten hatte am letzten Tag der Frist von 23:28 Uhr an mehrfach vergeblich versucht, die sieben Seiten umfassende Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Alle Sendeversuche brachen mit der Meldung „Übertragungsfehler“ ab. Eine nachträgliche Überprüfung ergab, dass es beim Faxgerät des Berufungsgerichts am besagten Tag mehrfach zu vergleichbaren Übermittlungsfehlern gekommen war. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag dennoch als unbegründet zurück. Es bejahte ein Verschulden, weil die Möglichkeit bestanden habe, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln, dessen Nummer auf den Internetseiten des Gerichts veröffentlicht war.

Der BGH hebt die Entscheidung des OLG auf und gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax am letzten Tag der Frist kein Verschulden begründet, sofern ein ausreichender Zeitpuffer eingeplant wird, um eine vorübergehende Belegung des Anschlusses zu kompensieren. Diese Anforderung war für die Übersendung von sieben Seiten um 23:28 Uhr gewahrt. Aufgrund der vom OLG getroffenen Feststellungen war ferner davon auszugehen, dass die Übermittlung aufgrund eines technischen Fehlers am Empfangsgerät gescheitert ist. Bei dieser Ausgangslage brauchte sich der Anwalt entgegen der Auffassung des OLGs nicht auf das Wagnis einzulassen, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln. Dessen Nummer war zwar auf den Internetseiten des OLG veröffentlicht. Daraus ging aber nicht hervor, dass der Anschluss zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen dient.

Praxistipp: Wenn das zuständige Gericht einen bestimmten Faxanschluss ausdrücklich zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen benannt hat, ist die Übermittlung an einen anderen, nicht für diesen Zweck eingerichteten Anschluss nicht ohne weiteres zur Fristwahrung geeignet – selbst dann, wenn sie innerhalb der maßgeblichen Frist erfolgt.

Formwahrung durch gerichtlich festgestellten Vergleich
Beschluss vom 1. Februar 2017  – XII ZB 71/16

Die seit langem umstrittene Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellter Vergleich entsprechend § 127a BGB zur Wahrung der notariellen Form geeignet ist, bejaht der XII. Zivilsenat in einer ausführlich begründeten Entscheidung.

In einem Scheidungsverfahren hatten die Beteiligten einen vom Gericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich geschlossen, der unter anderem einen gegenseitigen Verzicht auf Zugewinn und Unterhalt enthielt. Später focht der Antragsteller den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an und begehrte im Wege der Stufenklage Auskunft und Zugewinnausgleich. Das Begehren blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde zurück. Er teilt die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Vergleich dem in § 1410 BGB vorgesehenen  Erfordernis der notariellen Beurkundung genügt. § 127a BGB, wonach ein gerichtlich protokollierter Vergleich die notarielle Beurkundung ersetzt, ist für Vergleiche, deren Zustandekommen das Gericht durch Beschluss gemäß § 278 Abs. 6 ZPO feststellt, zwar nicht unmittelbar anwendbar. Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten aber eine analoge Anwendung, und zwar unabhängig davon, ob der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts oder aufgrund übereinstimmender Schriftsätze der Beteiligten zustande gekommen ist.

Praxistipp: Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich zur Formwahrung auch dann geeignet ist, wenn das Gesetz die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile vorschreibt, wie etwa in § 925 BGB für eine Auflassung.

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Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

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Beweislastumkehr für Schadensursachen im Verantwortungsbereich des Schuldners
Urteil vom 12. Januar 2017 – III ZR 4/16

Eine allgemeine Frage der Beweislastverteilung behandelt der III. Zivilsenat im Zusammenhang mit einem Pferdepensionsvertrag.

Die Klägerin hatte ein vierjähriges Pferd bei dem Reitstall des Beklagten in Vollberitt gegeben. Nach einigen Monaten erlitt das Tier eine schwere Verletzung, als es beim Freilauf unter Aufsicht einer Praktikantin mit dem Kopf gegen eine Stahlstütze stieß. Die auf Schadensersatz gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er allerdings der Ansicht, dass der Schwerpunkt des Vertrags nicht im Verwahrungsrecht, sondern im Dienstvertragsrecht liegt, weil die Ausbildung des Pferdes im Streitfall deutlich im Vordergrund stand. Deshalb obliegt es grundsätzlich der Klägerin, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu beweisen. Im Streitfall tritt aber eine Beweislastumkehr ein, weil der Schaden im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten entstanden ist und die ungewöhnlichen Umstände, unter denen es zu dem Schaden kam, auf einen Pflichtenverstoß hindeuten.

Praxistipp: Um die Beweislastumkehr zu erreichen, muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, weshalb die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Schuldners hervorgegangen ist und weshalb ein ungewöhnlicher Kausalverlauf vorliegt.

Handlungsort bei unerlaubter Kapitalanlagevermittlung
Urteil vom 18. Oktober 2016 – VI ZR 618/15

Mit der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den in der Schweiz wohnhaften Beklagten als Alleinaktionär und Vorstand einer in Liechtenstein ansässigen Aktiengesellschaft wegen unerlaubter Erbringung von Finanzdienstleistungen in Anspruch. Die als Finanzdienstleister fungierende Aktiengesellschaft hatte in Deutschland kein Büro und keine festen Angestellten. Als Vermittler war ein in Deutschland ansässiger Versicherungsmakler aufgetreten. Der Vertragsschluss fand in der Schweiz statt. Das LG wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an und verwies die Sache in die erste Instanz zurück.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Mit dem OLG kommt er zu dem Ergebnis, dass kein inländischer Erfolgsort vorliegt, weil der Vertragsschluss in der Schweiz erfolgte und die Anlagesumme von einem Schweizer Konto des Klägers überwiesen wurde. Abweichend vom OLG verneint der BGH auch einen inländischen Handlungsort. Die Handlungen des in Deutschland aufgetretenen Vermittlers können dem Beklagten nicht zuständigkeitsbegründend zugerechnet werden. Wenn ein Schaden von mehreren Personen verursacht wurde, dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nur diejenigen Personen im Inland verklagt werden, die dort selbst tätig geworden sind.

Praxistipp: Ein die Zuständigkeit begründender Erfolgsort liegt schon dann vor, der Anlagebetrag von einem deutschen Konto überwiesen wird.

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Ablehnung eines Sachverständigen wegen vorheriger Tätigkeit als Privatgutachter oder Schlichter
Beschluss vom 13. Dezember 2016 – VI ZB 1/16
Beschluss vom 10. Januar 2017 – VI ZB 31/16

Mit den Voraussetzungen für die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen befasst sich der VI. Zivilsenat in zwei kurz aufeinander ergangenen und zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichten Beschlüssen.

Im ersten Fall hatte der in einem selbständigen Beweisverfahren vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige den Antragsteller bereits in einem vorangegangenen Verfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer begutachtet. Im zweiten Fall, in dem es um eine nach Auffassung des Klägers schon ihrer Bauart nach fehlerhafte Hüftprothese ging, hatte der vom Gericht bestellte Sachverständige anlässlich eines Rechtsstreits des Beklagten mit einem anderen Kläger im Auftrag des Beklagten ein Privatgutachten gestellt, das sich nach dem Vortrag des Klägers mit einer Hüftprothese desselben Typs befasste. In beiden Fällen hielten LG und OLG das Ablehnungsgesuch des Antragstellers bzw. Klägers für unbegründet.

Der BGH hebt beide Beschwerdeentscheidungen auf.

Im ersten Fall hält er das Ablehnungsgesuch schon deshalb gemäß § 41 Nr. 8 ZPO für begründet, weil das Verfahren vor der Landesärztekammer der außergerichtlichen Konfliktbeilegung diente. Diese Vorschrift ist kraft der Verweisung in § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch für Sachverständige anwendbar. Für eine teleologische Reduktion besteht kein Anlass, auch wenn dem Gesetzgeber der Zusammenhang zwischen den beiden Vorschriften nicht vor Augen gestanden haben mag. § 41 Nr. 8 ZPO soll eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre im außergerichtlichen Verfahren gewährleisten. Dieses Ziel wäre gefährdet, wenn ein Beteiligter befürchten müsste, dass der Sachverständige seine in diesem Verfahren gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse ins spätere gerichtliche Verfahren transportiert.

Im zweiten Fall verweist der BGH die Sache an das OLG zurück. Wenn ein gerichtlicher Sachverständiger in derselben Sache bereits ein Privatgutachten für eine Prozesspartei oder deren Versicherer erstellt hat, besteht regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO. Dasselbe gilt, wenn der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet. Entgegen der Auffassung des OLG besteht in solchen Fällen auch dann ein Ablehnungsgrund, wenn auf dem betroffenen Sachgebiet nur wenige qualifizierte Sachverständige zur Verfügung stehen. Das OLG wird deshalb nach Zurückverweisung zu klären haben, ob das Privatgutachten tatsächlich eine Hüftprothese desselben oder zumindest eines vergleichbaren Typs betraf.

Praxistipp: Gemäß § 406 Abs. 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch gegen einen gerichtlichen Sachverständigen innerhalb von zwei Wochen nach Ernennung anzubringen. Ein späteres Gesuch ist nur zulässig, wenn der Antragsteller ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.

Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall auf der Autobahn
Urteil vom 13. Dezember 2016 – VI ZR 32/16

Mit den Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin fuhr mit ihrem Motorrad auf der Autobahn auf einen Kastenwagen auf. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte der Kastenwagen auf der Überholspur plötzlich stark abgebremst und war dann ruckartig auf die rechte Fahrspur gewechselt, auf der die Klägerin fuhr. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Klägerin spricht, weil diese auf das andere Fahrzeug aufgefahren ist. Dieser Anscheinsbeweis wäre zwar erschüttert, wenn der Unfallgegner kurz zuvor die Spur gewechselt hätte. Die Beweislast für diesen Umstand liegt aber bei der Klägerin. Im Streitfall vermochte das OLG nach Beweisaufnahme einen Spurwechsel nicht festzustellen. Deshalb ist der Anscheinsbeweis nicht erschüttert.

Praxistipp: Angesichts der aufgezeigten Beweislastverteilung sollte die Partei, zu deren Ungunsten ein Anscheinsbeweis in Betracht kommt, darauf achten, schon denjenigen Tatsachenbehauptungen, die einen typischen Geschehensablauf nahelegen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten.

Vom „Zer-entscheiden“ von neuen Gesetzen

Im Rahmen eines Rechtsstreites wegen Schadensersatzes aufgrund eines angeblich nur vorgeschobenen Eigenbedarfs hat der BGH (Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, MDR 2017, 21) – obwohl im Rahmen dieser Entscheidung eigentlich gar nicht unbedingt veranlasst (!) – folgende Ausführungen vorgelegt:

„Für das weitere Berufungsverfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen im Hinblick auf die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts und auf die Darlegungslast des Vermieters bei einem im Anschluss an den Auszug des Mieters nicht verwirklichten Eigenbedarf:

  1. Die bisherigen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Umfang seiner Prüfungskompetenz lassen besorgen, dass es verkannt hat, dass diese nicht – wie die revisionsrechtliche Prüfung – auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt ist. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidung des Einzelfalles besteht (…). Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, anders als das Berufungsgericht offenbar gemeint hat, auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (…). Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es somit zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (…). Hält es das Berufungsgericht – wie hier – für denkbar, dass die von der Berufung aufgeworfenen Fragen zu einer anderen Würdigung führen können, besteht Anlass für die Überlegung, ob für die andere Würdigung zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht und deshalb Anlass zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht.“

Mit diesem Begründungsmuster lässt sich praktisch jede Entscheidung eines Berufungsgerichts – entsprechenden Vortrag durch den Revisionsanwalt unterstellt – unproblematisch aufheben. Jede Beweisaufnahme ist notwendig immer nur eine Momentaufnahme. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einer Wiederholung etwas anderes herauskommt, besteht immer. Dies liegt – wie es so schön heißt – in der Natur der Sache.

Diese Sichtweise ist ein gutes Beispiel dafür, wie es der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer wieder gelingt, echte Reformen im Sande verlaufen zu lassen. Mit der einschränkenden Prüfungskompetenz durch die Berufungsgerichte wird es in einigen Jahre voraussichtlich genauso ergehen, wie mit der Zurückweisung des verspäteten Vorbringens heute: Der Gesetzgeber hatte diese Vorschriften seinerzeit vor Jahrzehnten mit Bedacht eingeführt, um die Prozesse zu beschleunigen. Das Ergebnis nach mehreren Jahren und unzähligen Entscheidungen des BGH sowie des BVerfG: Eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist faktisch nicht mehr möglich. Eine Zurückweisung findet in der Praxis demgemäß überwiegend auch gar nicht mehr statt. Die Prognose: In spätestens zehn Jahren werden die Berufungsgerichte vom BGH, vor allem von dem Mietsenat, dazu verpflichtet werden, alle Beweisaufnahmen erster Instanz zu wiederholen. Man weiß ja schließlich nie …

So werden sinnvolle Reformversuche durch die höchstrichterliche Rechtsprechung immer wieder aufs Neue „zer-entschieden“. Der Gesetzgeber kann machen, was er will. Es bleibt im Laufe der Zeit alles beim Alten.

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Verjährungshemmung bei Wiederaufnahme von eingeschlafenen Verhandlungen
Urteil vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 58/16

Mit zahlreichen Detailfragen zur Auswirkung von Verhandlungen auf den Lauf der Verjährungsfrist befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der Kläger war in einem vorangegangenen Rechtsstreit wegen fehlerhafter Architektenleistungen in Anspruch genommen worden. Auf Empfehlung seiner Haftpflichtversicherung hatte er den Beklagten als Prozessbevollmächtigten bestellt. Der Prozess ging für den Kläger verloren. Noch im Laufe des Rechtsstreits hatte die Versicherung dem Kläger den Haftpflichtschutz entzogen, weil der Beklagte sie nicht über den Verlauf des Prozesses informiert hatte. Der Kläger nahm den Beklagten wegen des Verlusts des Versicherungsschutzes auf Schadensersatz in Anspruch. LG und OLG sahen die Ersatzansprüche als verjährt an.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Revision des Klägers zurück. Mit dem Berufungsgericht ist er der Auffassung, dass die Verjährung durch Verhandlungen der Parteien in den Jahren 2010, 2012 und 2014 insgesamt nur für wenige Monate gehemmt wurde und der Ersatzanspruch deshalb bei Klageerhebung bereits verjährt war. Die Verhandlungen waren in allen drei Fällen nach kurzer Zeit wieder eingeschlafen. Die Verjährung begann deshalb jeweils wieder in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem spätestens mit einer Fortsetzung der Verhandlungen zu rechnen war. Mit der erneuten Aufnahme der Verhandlungen wurde die Verjährung zwar jeweils von neuem gehemmt. Diese Rechtsfolge trat aber nicht rückwirkend ein, sondern nur mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Verhandlungsaufnahme.

Praxistipp: Bei Verhandlungen mit dem Schuldner sollte durch kurze Wiedervorlagefristen laufend überwacht werden, ob der Schuldner noch zeitnah reagiert. Wenn keine Reaktion mehr erfolgt, muss die Verjährung erforderlichenfalls umgehend durch gerichtliche Geltendmachung gehemmt werden.

Objektiver Umfang der Rechtskraftswirkung
Beschluss vom 22. September 2016 – V ZR 4/16

Mit dem objektiven Umfang der Rechtskraftwirkung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger verkauften den Beklagten unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung eine gebrauchte Eigentumswohnung. Die Beklagten rügten nach dem Einzug eine Schimmelbelastung und fochten den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an. In einem vorangegangenen Rechtsstreit hatten die Kläger die erste Kaufpreisrate eingeklagt und die Beklagten im Wege der Widerklage Ersatz von Gutachter-, Notar- und Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Dieser Rechtsstreit ging zugunsten der Kläger aus. Nunmehr verlangten die Kläger Ersatz von Verzugsschäden und die Beklagten im Wege der Widerklage Schadensersatz wegen der Unbewohnbarkeit der Wohnung. Klage und Widerklage blieben in der ersten Instanz erfolglos. Das OLG wies die (nur von den Beklagten eingelegte) Berufung zurück.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG steht die Rechtskraft des ersten Urteils der erneuten Widerklage nicht entgegen. Beide Widerklagen sind zwar auf die Behauptung gestützt, die Kläger hätten den behaupteten Schimmelbefall arglistig verschwiegen. Die Rechtskraft des Urteils aus dem früheren Rechtsstreit ergreift aber nur die Entscheidung über die dort geltend gemachten Schadensersatzansprüche, nicht hingegen die Entscheidung über die dafür relevante Vorfrage, ob die Kläger eine arglistige Täuschung begangen haben. Die Beklagten sind deshalb nicht gehindert, anderweitige Schadensersatzansprüche geltend zu machen, auch wenn deren Bestand von derselben Vorfrage abhängt.

Praxistipp: Der (Wider-)Beklagte kann die Geltendmachung von weiteren Ansprüchen aufgrund desselben Sachverhalts verhindern, indem er widerklagend die Feststellung beantragt, dass dem (Wider-)Kläger aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts auch keine weitergehenden Ansprüche zustehen.

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Normativer Schaden bei Ergebnisbeteiligung eines Arbeitnehmers
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 40/16

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistung eines Dritten an den Geschädigten dem Schädiger nicht zugutekommen soll, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen der Beklagte einzustehen hat, verletzt. Die Klägerin begehrte anteiligen Ersatz für ausgezahlte Ergebnisbeteiligung, die dem Arbeitnehmer für das betreffende Jahr unabhängig von dessen Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand. AG und LG hielten den Anspruch für unbegründet, weil die erbrachte Leistung nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Prämie mit ausschließlichem Treuecharakter anzusehen sei und deshalb nicht vom Entgeltfortzahlungsgesetz erfasst werde.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er lässt offen, ob die erbrachte Leistung unter das Entgeltfortzahlungsgesetz fällt. Das Klagebegehren ist schon deshalb schlüssig, weil der geschädigte Arbeitnehmer seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat und weil der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Ergebnisbeteiligung trotz seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand, nach dem normativen Schadensbegriff nicht dem Beklagten zugutekommen darf. Ausschlaggebend ist insoweit nicht die Anwendbarkeit des Entgeltfortzahlungsgesetzes, sondern der Umstand, dass die Ergebnisbeteiligung ungeachtet ihres Charakters als Treueprämie jedenfalls auch der Vergütung der Arbeitsleistung im Kalenderjahr des Unfalls diente und die betriebliche Regelung, wonach die Leistung auch im Falle vorübergehender Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zu erbringen ist, nicht den Schutz des Schädigers bezweckt.

Praxistipp: Wenn nicht völlig zweifelsfrei ist, dass der Ersatzanspruch schon kraft Gesetzes (§ 6 EFZG) übergegangen ist, sollte sich der Arbeitgeber spätestens vor Klageerhebung vorsorglich die Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers abtreten lassen.

Keine Anordnung der Urkundenvorlegung im selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 29. November 2016 – VIII ZB 23/16

Mit der Anwendbarkeit von § 142 Abs. 1 ZPO im selbständigen Beweisverfahren befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Eine Patientin leitete im Anschluss an eine Operation ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Krankenhausbetreiberin ein, um zu klären, ob eine eingetretene Entzündung durch einen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht wurde. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, er benötige die zum Zeitpunkt der Operation gültigen Vorschriften der Antragsgegnerin zur Aufbereitung des Instrumentariums. Das LG lehnte den Antrag, diese Unterlagen gemäß § 142 ZPO beizuziehen, ab. Das OLG wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das OLG vermag dessen Statthaftigkeit nicht zu begründen, weil bereits die Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung unzulässig war. Ein Antrag auf Erlass einer Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO ist kein Gesuch im Sinne von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, weil eine solche Anordnung von Amts wegen ergehen kann. Ergänzend führt der BGH aus, dieses Ergebnis sei aus zwei weiteren Gründen sachgerecht: Zum einem sei eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer solchen Anordnung auch in einem Hauptsacheverfahren nicht zulässig. Zum anderen sei eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO in einem selbständigen Beweisverfahren ohnehin nicht statthaft. Im Hauptsacheverfahren dürfe eine solche Anordnung nur bei schlüssigem, auf konkrete Tatsachen bezogenem Parteivortrag ergehen. Im selbständigen Beweisverfahren dürfe eine Schlüssigkeitsprüfung aber nicht erfolgen. Deshalb sei eine Entscheidung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht möglich. Damit ist die Rechtsfrage, zu deren Klärung das OLG unzulässigerweise die Rechtsbeschwerde zugelassen hatte, letztendlich doch beantwortet.

Praxistipp: Wenn sich der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren weigert, vom Sachverständigen benötigte Unterlagen vorzulegen, und der Antragsteller dennoch nicht sofort ein Hauptsacheverfahren wegen des zu sichernden Anspruchs einleiten will, kommt als Alternative in Betracht, den Antragsgegner auf Herausgabe der Unterlagen zu verklagen. Dies setzt allerdings einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch voraus.

Kein § 9 ZPO bei Streit über Krankentagegeld

Der BGH hat sich mit dem Wert von Feststellungsanträgen im Zusammenhang mit einem Krankenversicherungsvertragsverhältnis über ein Krankentagegeld befasst (Beschluss v. 14.12.2016 – IV ZR 477/15).

Bei einem Feststellungsantrag über die fortdauernde, zeitlich nicht feststehende Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung von Krankentagegeld sei der Streitwert regelmäßig das vereinbarte Krankentagegeld auf der Basis einer halbjährigen Bezugsdauer abzüglich eines Feststellungsabschlags (20 %) zugrundezulegen. § 9 ZPO sei nicht anwendbar. Es gehe nicht um ein Recht, das seiner Natur nach und erfahrungsgemäß von der in § 9 ZPO genannten Dauer (3,5 Jahre). Die regelmäßige Dauer für den Bezug von Krankentagegeld liege deutlich unter 3,5 Jahren. Angemessen sei, auf eine Bezugsdauer von einem halben Jahr abzustellen.

Wird darüber hinaus die Feststellung der Fortdauer des Vertragsverhältnisses beantragt, sei dieser Anrag aufgrund der wirtschaftlichen Teilidentität lediglich mit 20 % des vereinbarten Krankentagegeldes für eine halbjährige Bezugsdauer zu berücksichtigen.

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Berührungsloser Verkehrsunfall
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15

Mit der Reichweite der Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger kam mit seinem Motorrad von der Straße ab, als er die ebenfalls auf einem Motorrad fahrende Beklagte und ein vor dieser fahrendes Auto überholen wollte. Er stützte sein Begehren nach Schadensersatz auf die Behauptung, die Beklagte sei unvermittelt und ohne Ankündigung nach links ausgeschert, als er sie schon fast überholt gehabt habe; deshalb habe er nach links ausweichen müssen. Die Beklagte behauptete hingegen, sie habe das vor ihr fahrende Auto ordnungsgemäß überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts gewesen, als der Kläger sie in zweiter Reihe überholt habe und hierbei ohne ihr Zutun dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen sei. Die Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Das OLG wies sie ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt zwar die Auffassung des OLG, dass die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle keinen die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG begründenden Tatbestand darstellt und dass dies auch für ein Motorrad gilt, das unmittelbar vor dem Unfall ein vor ihm fahrendes Auto überholt und von einem anderen Motorrad in zweiter Reihe überholt wird. Die Auffassung des OLG, ein die Haftung begründendes plötzliches Ausscheren der Beklagten könne aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, erweist sich aber als fehlerhaft. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige war zu dem Ergebnis gelangt, die Spurenlage am Unfallort lasse ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der Gegenfahrbahn weiter nach links mit einer Notbremsung erkennen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme zu einer anderen Würdigung gelangen als das Landgericht, das ein die Haftung begründendes Ausscheren der Beklagten bejaht hatte.

Praxistipp: Wenn ein Berufungsgericht die in erster Instanz erhobenen Beweise ohne erneute Beweisaufnahme anders würdigt als die Vorinstanz, liegt darin eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, die je nach Fallgestaltung mit Revision, Nichtzulassungsbeschwerde oder Anhörungsrüge gerügt werden kann.

Bestimmtheit einer Kaufpreisklage
Beschluss vom 16. November 2016 – VIII ZR 297/15

Mit den Mindestanforderungen an Bestimmtheit und Schlüssigkeit einer Kaufpreisklage befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin begehrte die Zahlung restlichen Kaufpreises in Höhe von 3.639,54 Euro. In der Klageschrift führte sie aus, sie habe dem Beklagten verschiedene Waren geliefert und in Rechnung gestellt. Wegen Gegenstand und Zeitpunkt der Lieferung nahm sie auf zwei anhand von Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen Bezug, deren Vorlage sie für den Fall des Bestreitens ankündigte. Das AG wies die Klage als unschlüssig ab. Das LG wies die Berufung mit der Maßgabe zurück, dass die Klage mangels Bestimmtheit des Klagegrundes unzulässig sei. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der vom LG zugelassenen Revision.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung des LG reicht der Vortrag der Klägerin zur bestimmten Angabe von Gegenstand und Grund der Klage aus. Den Anforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist schon dann genügt, wenn der geltend gemachte Anspruch als solcher identifizierbar ist. Hierfür reicht die Bezugnahme auf zwei nach Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen, deren addierter Rechnungsbetrag sich mit der Höhe der Klagesumme deckt, auch dann aus, wenn die Rechnungen nicht beigefügt sind. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass die Kaufpreisforderung auch schlüssig dargelegt ist.

Praxistipp: Trotz der eher geringen Mindestanforderungen sollte der Kläger im eigenen Interesse darauf bedacht sein, die in Bezug genommenen Rechnungen bereits zusammen mit der Klageschrift als Kopie einzureichen. Unabhängig davon bedarf es jedenfalls dann konkretisierenden Sachvortrags, wenn nicht der gesamte Rechnungsbetrag zum Gegenstand des Klagebegehrens gemacht wird.

Europäische Kontenpfändung ab 18.01.2017

Die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuKoPfVO) tritt am 18.01.2017 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften in Kraft (EuKoPfVODG).

Das in der EuKoPfVO geregelte Verfahren ist strukturell vergleichbar mit dem Arrestverfahren gemäß den §§ 916 ff. ZPO in Verbindung mit einem Kontenpfändungsbeschluss nach § 829 ZPO. Das Konto wird lediglich vorläufig gepfändet („eingefroren“). Da die Kontenpfändung nur der Sicherung der Zwangsvollstreckung und nicht der Befriedigung des Gläubigers dient, wird der gegenüber der Bank bestehende Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Kontoguthabens dem Gläubiger nicht zur Einziehung oder an Zahlungs statt überwiesen. Die EuKoPfVO sieht den Erlass eines einheitlichen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung vor, der gemäß den Art. 23 ff. EuKoPfVO von der Bank umzusetzen ist.

Das deutsche Recht sieht hingegen im Grundsatz zwei gerichtliche Entscheidungen vor: Es unterscheidet zwischen dem Verfahren auf Anordnung des Arrests (§§ 916 ff. ZPO) und der Vollziehung des Beschlusses (§§ 928 bis 930 ZPO in Verbindung mit den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung). Hat der Antragsteller in einem ersten Schritt einen Arrestbeschluss bzw. ein Arresturteil erwirkt, muss er in einem zweiten Schritt einen Beschluss des zuständigen Gerichtes zur Pfändung des Kontos gemäß § 930 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit den §§ 829 ff. ZPO erwirken. Für die Pfändung einer Arrestforderung ist das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht zuständig, § 930 Abs. 1 S. 3 ZPO. Ein gleichzeitiger Erlass von Arrest und Pfändung in einem Beschluss ist möglich.

Das EuKoPfVODG beinhaltet nationale Durchführungsvorschriften, insbesondere zur Klarstellung, welche Gerichte, Behörden und Personen im Inland für den Erlass und die Durchführung des Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, für die Veranlassung und die Durchführung von Zustellungen sowie für die Entscheidung über etwaige Rechtsbehelfe zuständig sind. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit dem Zwangsvollstreckungsrecht und dem Arrestverfahren werden die Regelungen zum Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Buch 8 der ZPO im Anschluss an den Abschnitt 5 (Arrest und zur einstweilige Verfügung) eingefügt. Zudem werden Änderungen im Rechtspflegergesetz und im Kostenrecht vorgenommen.

Hinweis: Eine Erstkommentierung der §§ 946 ff. ZPO (Stand 1.12.2016) von Prof. Reinhold Geimer als Nachtrag  zur 31. Auflage 2016 des Zöller (Kommentar zur Zivilprozessordnung) finden Sie hier.