Keine Gebührenermäßigung für Vergleich bei gerichtlich vorbehaltener Kostenentscheidung

Die Beklagten schlossen in der Berufungsinstanz einen Vergleich, konnten sich aber offenbar über die Kostenverteilung nicht einig werden. Sie überließen daher die Kostenentscheidung dem Gericht, verzichteten aber auf eine Begründung der zu treffenden Entscheidung. Das Gericht erließ demgemäß einen entsprechenden Kostenbeschluss.

Nach Abschluss der Instanz wurden vom Kostenbeamten alle vorgesehenen Gebühren (in der Berufungsinstanz vier) in Rechnung gestellt. Der Kostenschuldner wollte aber nur zwei Gebühren zahlen. Bekanntlich ermäßigen sich die vier Gebühren auf zwei wenn ein Vergleich geschlossen wird, der allerdings das gesamte Verfahren erledigen muss. Dies war hier nicht der Fall, da die Kostenregelung offen blieb. Gemäß Nr. 1223 KV GKG fallen allerdings nur drei Gebühren an, wenn das gesamte Verfahren durch ein Urteil beendet wird, das wegen eines Verzichtes der Parteien nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO keine schriftliche Begründung enthält. Die Voraussetzungen des Wortlautes dieser Vorschrift waren hier ersichtlich nicht erfüllt, da kein Urteil, sondern ein Beschluss ergangen war. Der enttäuschte Kostenschuldner warf aber im Erinnerungsverfahren nach § 66 GKG die Frage auf, ob nicht eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt geboten sei.

Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 16.8.2016 – I-10 W 229/16) greift diese Frage auf, verneint sie aber. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Im Gesetzgebungsverfahren wurden verschiedene Fallkonstellationen von Gebührenermäßigungen erörtert. Alsdann wurde ausdrücklich von einer Ermäßigung nur ausgegangen, wenn das gesamte Verfahren durch den Ermäßigungstatbestand erledigt wird. In der hier vorliegenden Konstellation war das gesamte Verfahren gerade nicht durch den Vergleich erledigt worden. Für derartige Fälle wollte der Gesetzgeber eben keine Ermäßigung anerkennen.

Das OLG Celle (Beschl. v. 19.4.2011 – 2 W 89/11) hatte dies übrigens noch anders gesehen und eine analoge Anwendung befürwortet! Dem OLG Düsseldorf war vor kurzer Zeit das OLG Braunschweig gefolgt (Beschl. v. 2.6.2015 – 2 W 19/15). Interessant ist, dass das OLG Düsseldorf beide Entscheidungen gar nicht erwähnt.

Praxistipp: Damit bleibt hier die Erinnerung des Kostenschuldners erfolglos. Wer auf eine Gebührenermäßigung wert legt, sollte daher auf eine Gesamterledigung des Verfahrens durch einen Vergleich oder ein Urteil nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO achten und sich damit erst gar nicht auf diese Kontroverse einlassen.

Erwähnenswert ist noch ein kleiner Nebenaspekt der Entscheidung: Da sich der Kostenschuldner auch noch über in Rechnung gestellte Sachverständigenkosten beschwert hatte, sah sich das OLG Düsseldorf zu folgenden Anmerkungen veranlasst: „Soweit die Einwendungen des Kostenschuldners sich auf die Qualität der Sachverständigenleistung beziehen, hat diese auf die Höhe der zu gewährenden Vergütung keinen Einfluss. Der vom Gericht bestellte Sachverständige handelt nicht im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags. Seine Vergütung bezieht sich nicht auf das Werk des Sachverständigen, sondern auf seine Tätigkeit als Gehilfe des Gerichts, die er in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht erbringt (…). Deshalb sind sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens kein Maßstab für die Höhe der dem Sachverständigen zu gewährenden Vergütung; es kommt lediglich darauf an, dass diese Leistung überhaupt erbracht wurde, nicht etwa auch darauf, wie das Gericht oder die Parteien das Gutachten inhaltlich beurteilen (…).“ Kann man das schöner sagen?

 

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Reichweite der Kondiktionssperre bei Steuerverkürzung
Urteil vom 14. Dezember 2016 – IV ZR 7/15

Mit der Frage, in welchem Umfang den Parteien eines wegen versuchter Steuerverkürzung nichtigen Vertrags Bereicherungsansprüche zustehen können, befasst sich der IV. Zivilsenat.

Der Kläger hatte im März 2008 zum Zweck der Steuerersparnis Beteiligungen an mehreren vom Beklagten gegründeten Kommanditgesellschaften erworben. Weil der Kläger die aus dem Erwerb resultierenden steuerlichen Vorteile bereits für das Jahr 2007 geltend machen wollte, wurde der Vertrag auf dieses Jahr rückdatiert. In einem ergänzenden, ebenfalls rückdatierten Vertrag wurde vereinbart, dass der Beklagte dem Kläger ein Darlehen in Höhe des Kaufpreises gewähre, das bis Ende März 2008 zurückzuzahlen sei. Nachdem die Kommanditgesellschaften einige Zeit später in Insolvenz gefallen waren, verlangte der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung der auf den Darlehensvertrag erbrachten Zahlungen. Seine Klage blieb in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt die Auffassung des OLG, dass die geschlossenen Verträge nach § 134 BGB nichtig sind, weil die Rückdatierung dem gesetzeswidrigen Zweck diente, einen Beteiligungserwerb bereits im Jahr 2007 vorzutäuschen, und der Kläger die Verträge ohne diese Abrede nicht geschlossen hätte. Entgegen der Auffassung des OLG steht dies einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags jedoch nicht vollständig entgegen. Gemäß § 817 Satz 2 BGB ist eine Rückforderung zwar ausgeschlossen, wenn der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Dieses Rückforderungsverbot bezieht sich aber grundsätzlich nur auf diejenigen Leistungen, die aus den vom Gesetz missbilligten Vorgängen geschuldet sind. Dies wäre im Streitfall nur ein (zusätzliches) Entgelt gerade dafür, dass die Verträge rückdatiert wurden, nicht aber der gesamte als Darlehen ausgewiesene und der Sache nach als Kaufpreis fungierende Betrag. Die weiterreichende Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zu Verstößen gegen das Verbot der Schwarzarbeit beruht auf den Besonderheiten des betreffenden Gesetzes und kann nicht ohne weiteres auf andere Gesetzesverstöße übertragen werden.

Praxistipp: Auch wenn § 817 Satz 2 BGB nicht entgegensteht, bleibt ein auf § 134 BGB gestütztes Rückforderungsbegehren ein zweischneidiges Schwert. Zumindest der Steuerschuldner setzt sich mit der Offenlegung des steuerlichen Verstoßes der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus.

Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens bei Nichtzahlung des Auslagenvorschusses
Beschluss vom 14. Dezember 2016 – VII ZB 29/16

Der VII. Zivilsenat ergänzt die Rechtsprechung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen sind.

Das AG hatte antragsgemäß die Einholung eines Gutachtens im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet. Die Antragstellerin zahlte den festgesetzten Auslagenvorschuss nicht ein. Das AG stellte nach vorheriger Ankündigung fest, dass das Beweisverfahren beendet sei. Ein vom Gegner gestellter Antrag, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, hatte in der Beschwerdeinstanz Erfolg.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach im selbständigen Beweisverfahren ausnahmsweise eine Kostenentscheidung zu ergehen hat, wenn der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen oder für erledigt erklärt hat und ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig ist. Dieselbe Rechtsfolge hat in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch dann einzutreten, wenn der Antragsteller den angeforderten Auslagenvorschuss trotz Erinnerung nicht einzahlt und eine Beweiserhebung deshalb unterbleibt. Ein solches Verhalten kann zwar nicht ohne weiteres als konkludente Antragsrücknahme angesehen werden. Die Interessenlage ist aber vergleichbar. Ob der Antragsteller finanziell in der Lage war, den Vorschuss zu erbringen, ist hierbei grundsätzlich unerheblich.

Praxistipp: Wenn Zweifel bestehen, ob der Antragsteller einen angeforderten Vorschuss aufbringen kann, sollte schon vor Antragstellung geklärt werden, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

2017: Pflicht des Rechtsanwalts zur Einreichung von Schutzschriften beim elektronischen Schutzschriftenregister

Zum 01.01.2017 tritt § 49c BRAO in Kraft. Nach dieser Vorschrift sind Rechtsanwälte verpflichtet, Schutzschriften ausschließlich zum Schutzschriftenregister nach § 945a ZPO einzureichen.

Wird gegen diese Vorschrift von dem Rechtsanwalt verstoßen und eine Schutzschrift bei Gericht eingereicht, bleibt die eingereichte Schutzschrift verfahrensrechtlich wirksam und muss vom Gericht beachtet werden. Jedoch muss der Rechtsanwalt den Verstoß berufsrechtlich verantworten.

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Verjährung bei Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 8. November 2016 – VI ZR 200/15

Mit einer grundlegenden Frage zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs zwischen Gesamtschuldnern befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Arzt hatte im Jahr 1993 einen Patienten im Gefolge eines Arbeitsunfalls wegen einer Wunde am Unterarm behandelt. Sowohl ihm als auch den mit der Erstbehandlung betrauten Ärzten waren dabei Fehler unterlaufen, die später die Amputation des Unterarms erforderlich machten. Der Geschädigte nahm die erstbehandelnden Ärzte erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch. Deren Haftpflichtversicherung erbrachte unter anderem Ersatzzahlungen an die zuständige Berufsgenossenschaft. Deswegen nahm sie den Beklagten im Jahr 2012 aus übergegangenem Recht auf Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch. LG und OLG verurteilten den Beklagten antragsgemäß, soweit es um Leistungen an die Berufsgenossenschaft aus der Zeit ab 1.1.2009 ging. Dagegen wendete sich der Beklagte mit Nichtzulassungsbeschwerde und Revision.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, nach der Gesamtschuldnern im Innenverhältnis ein eigenständiger Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht, der bereits mit der Bgründung der Gesamtschuld im Außenverhältnis entsteht und der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB unterliegt. Entgegen der Auffassung des OLG erfasst die Verjährung alle aus dem Haftungsfall resultierenden Schadensfolgen, mit denen bereits beim Auftreten des ersten Schadens gerechnet werden muss. Deshalb ist nicht ausschlaggebend, wann die einzelnen Schadensfolgen eingetreten sind oder wann daraus resultierende Zahlungen an die Berufsgenossenschaft erbracht wurden. Vielmehr beginnt die Verjährung hinsichtlich des gesamten Ausgleichsanspruchs, sobald der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner die den Ausgleichsanspruch begründenden Umstände und die Person des anderen Gesamtschuldners kennt und seinen Ausgleichsanspruch mit Aussicht auf Erfolg im Wege der Feststellungsklage geltend machen kann.

Praxistipp: Wenn die Haftung im Außenverhältnis Gegenstand eines Rechtsstreits ist, muss der in Anspruch genommene Schuldner unter Umständen noch während des Prozesses verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber potentiellen Mitschuldnern ergreifen, um bestehende Regressmöglichkeiten nicht zu verlieren.

Fälligkeit der Miete für Wohnraum
Urteil vom 5. Oktober 2016 – VIII ZR 222/15

Mit Fragen, die für fast jeden Wohnraummietvertrag von Bedeutung sind, befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hat an die Beklagten eine Wohnung vermietet. Nach dem Mietvertrag ist die Miete spätestens am dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen; für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es auf den Eingang des Geldes an. Die Beklagten zahlten über mehrere Monate hinweg die Miete jeweils am dritten Werktag bei der Deutschen Post AG ein und erteilten gleichzeitig einen Überweisungsauftrag. Die Klägerin machte geltend, das Geld sei ihrem Konto nicht rechtzeitig gutgeschrieben worden, und erklärte deshalb die fristlose Kündigung des Mietvertrags. Ihre Räumungsklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Berufung der Klägerin zurück. Er sieht die Formularklausel über die Fälligkeit der Miete als unwirksam an, weil sie dem gesetzlichen Leitbild widerspricht. Nach § 556b Abs. 1 BGB ist die Miete bei monatlicher Zahlung zwar jeweils bis zum dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen. Bei Zahlung durch Überweisung ist aber nicht der Eingang auf dem Konto des Vermieters, sondern die Erteilung des Überweisungsauftrags maßgeblich. Die hiervon abweichende Klausel sieht der BGH jedenfalls deshalb als unwirksam an, weil sie bei der kundenfeindlichsten Auslegung dahin verstanden werden kann, dass der Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung trägt. Die Frage, ob dem Mieter formularmäßig auferlegt werden darf, die Überweisung so rechtzeitig zu veranlassen, dass bei normalem Verlauf mit einem rechtzeitigen Eingang beim Vermieter gerechnet werden darf, wird in der Entscheidung nicht ausdrücklich beantwortet, dürfte angesichts der vom BGH gewählten Begründung aber eher zu bejahen sein.

Praxistipp: In gewerblichen Mietverträgen darf dem Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung auch in Formularverträgen auferlegt werden.

Anfechtung einer Ergänzungsentscheidung über die Kosten
Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZR 59/14

Mit einer nicht alltäglichen, aber dennoch interessanten prozessualen Frage befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Antragsteller hatte beantragt, einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid auf ihn als neuen Gläubiger umzuschreiben. Das LG wies den Antrag zurück, die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Später beantragte der Schuldner, den Beschluss des LG um eine Kostenentscheidung zu ergänzen. Das LG berichtigte daraufhin den Ausgangsbeschluss gemäß § 319 ZPO dahin, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Das OLG wies die dagegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers mit der Maßgabe zurück, dass die Beschlussergänzung auf § 321 ZPO beruhe, und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach ein allein gegen eine Kostenentscheidung gerichtetes Rechtsmittel gemäß § 99 Abs. 1 ZPO auch dann unzulässig ist, wenn die Kostenentscheidung im Wege der Urteils- oder Beschlussergänzung gemäß § 321 ZPO ergangen ist. Die Ergänzungsentscheidung kann deshalb nur dann angefochten werden, wenn auch die Ausgangsentscheidung angefochten wurde und das diesbezügliche Verfahren noch anhängig ist. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde nicht statthaft. Die vom OLG ausgesprochene Zulassung vermag hieran nichts zu ändern. Ihre Bindungswirkung beschränkt sich auf die Frage, ob ein Zulassungsgrund (grundsätzliche Bedeutung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) vorliegt.

Praxistipp: Um die Anfechtungsmöglichkeit zu wahren, müsste der Antragsteller noch während des Beschwerdeverfahrens gegen die Ausgangsentscheidung seinerseits eine Beschlussergänzung beantragen. Ob dies taktisch sinnvoll ist, hängt davon ab, wie wahrscheinlich ein späterer Ergänzungsantrag der Gegenseite erscheint.

BAG: Unzulässigkeit der Anhörungsrüge gegen verkündete, aber noch nicht zugestellte Entscheidung

Im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BAG haben Beteiligte gegen eine Entscheidung, die verkündet, aber in schriftlicher Abfassung noch nicht zugestellt war, Anhörungsrüge erhoben. Dies ist unzulässig, meint das BAG (Beschluss v. 29.11.2016 – 10 BABR 68/16 (F)).

Ein Beteiligter könne eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nur darlegen, wenn er die Gründe der beanstandeten Entscheidung kenne. Einer Anhörungsrüge, die vor Bekanntgabe der mit Gründen versehenen Entscheidung erhoben sei, fehle zwangsläufig der ordnungsgemäße Vortrag einer Gehörsverletzung und deren Entscheidungserheblichkeit. Allein die schriftliche, von allen Senatsmitgliedern unterschriebene Entscheidungsfassung sei maßgebend. Demgegenüber hätten die mündlich mitgeteilten Gründe nur die Bedeutung einer vorläufigen Information. Welche Erwägungen für die Entscheidung tatsächlich tragend seien, könne den mündlich mitgeteilten Gründen verbindlich ebenso wenig entnommen werden, wie einer Presseerklärung.

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Überprüfung des Telefaxgeräts
Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZB 35/14

Mit den Folgen einer missglückten Telefaxübermittlung befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wollte eine Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist gegen 23:30 Uhr per Telefax an das Gericht übermitteln. Das für den Versand vorgesehene Faxgerät war eine Woche zuvor installiert worden und hatte beim letzten Sendevorgang – vier Tage vor dem gescheiterten Sendeversuch – einwandfrei funktioniert. Das Berufungsgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin zurück, weil der Prozessbevollmächtigte die Funktionsfähigkeit des Geräts am Tag des beabsichtigten Versands nicht rechtzeitig überprüft habe.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, nach der ein Rechtsanwalt, der einen fristgebundenen Schriftsatz am letzten Tag der Frist per Telefax übermitteln will, erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Die Sorgfaltspflicht geht aber nicht so weit, das zum Versand vorgesehene Faxgerät täglich einer Funktionsprüfung zu unterwerfen.

Praxistipp: Das nach der Rechtsprechung erforderliche erhöhte Maß an Sorgfalt umfasst unter anderem die Pflicht, einen ausreichenden Zeitpuffer für den Fall einzuplanen, dass der Telefaxanschluss des Gerichts durch andere Sendungen vorübergehend belegt ist.

Eigenes Gebot des Anbieters bei eBay-Versteigerung
Urteil vom 24. August 2016 – VIII ZR 100/15

Mit grundlegenden Voraussetzungen des Vertragsschlusses bei einer Versteigerung auf eBay befasst sich VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte bot auf eBay einen gebrauchten VW Golf für einen Startpreis von 1 Euro zum Verkauf an. Zugleich beteiligte er sich unter einer anderen Benutzerkennung an der Versteigerung. Die einzigen Gebote von dritter Seite gab der Kläger ab, und zwar ausgehend von einem Startpreis von 1,50 Euro bis zu einem letzten Gebot in Höhe von 17.000 Euro. Er wurde jeweils vom Beklagten überboten, dem letztendlich auch der Zuschlag erteilt wurde. In einer kurz darauf ebenfalls vom Beklagten initiierten zweiten Auktion bot ein Dritter einen Kaufpreis von 16.500 Euro. Diesen Betrag verlangte der Kläger vom Beklagten als Schadensersatz. Sein Begehren hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies die Klage ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach die Eröffnung einer Auktion auf eBay ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags darstellt und der Vertrag mit demjenigen Bieter zustande kommt, der innerhalb der Auktionsfrist das höchste wirksame Gebot abgibt. Mit dem OLG ist der BGH der Auffassung, dass die vom Beklagten unter einer anderen Benutzerkennung abgegebenen Gebote unwirksam waren, weil eine Willenserklärung gegenüber einer anderen Person abgegeben werden muss. Deshalb ist ein Kaufvertrag mit dem Kläger zustande gekommen, der als einziger wirksame Gebote abgegeben hat. Abweichend vom OLG hält der BGH nicht das letzte Gebot des Klägers (über einen Kaufpreis von 17.000 Euro) für maßgeblich, sondern das erste (über einen Kaufpreis von 1,50 Euro). Ein Kaufvertrag mit diesem Inhalt ist unter den gegebenen Umständen nicht als sittenwidrig anzusehen und die Geltendmachung von Rechten daraus nicht als treuwidrig. Im Hinblick auf das Ergebnis der zweiten Auktion billigt der BGH auch die vom LG angestellte Schätzung, wonach der Wert des Fahrzeugs mindestens 16.501,50 Euro betragen hat.

Praxistipp: Damit ein Bieter von der ihm günstigen Rechtsprechung profitieren kann, muss er beweisen, dass hinter dem anderen Bieter in Wahrheit der Verkäufer steckt. Unter welchen Voraussetzungen eBay diesbezügliche Auskünfte erteilen muss, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

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Vertrauensschutz gegenüber Rechtsnachfolge in öffentlich-rechtliche Pflichten
Urteil vom 29. September 2016 – I ZR 11/15

Mit grundlegenden Fragen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin war von der zuständigen Behörde zur Altlastensanierung eines von ihr genutzten Grundstücks verpflichtet worden. Sie verlangte von der beklagten AG, die seit ihrer Gründung im Jahr 1926 bis 1997 Eigentümerin des Grundstücks gewesen war, Gesamtschuldnerausgleich nach § 24 Abs. 2 BBodSchG. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt, weil die Beklagte entweder als Gesamtrechtsnachfolgerin der früheren Eigentümerin oder aufgrund eigener Baumaßnahmen im Jahr 1928 hafte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Nach seiner Auffassung kann die Beklagte nicht als Gesamtrechtsnachfolgerin des Verursachers in Anspruch genommen werden. Die am 01.03.1999 in Kraft getretene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sieht eine solche Haftung zwar vor. Eine zeitlich unbegrenzte Anwendung dieser Vorschrift würde aber jedenfalls für Fälle, in denen die Gesamtrechtsnachfolge bereits im Jahr 1926 eingetreten ist, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen „echten“ Rückwirkung führen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden öffentlich-rechtliche Verpflichtungen als grundsätzlich höchstpersönlich angesehen und eine Gesamtrechtsnachfolge hinsichtlich solcher Pflichten verneint. In der Literatur wurde dies erst Ende der 1960er Jahre in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte eine Gesamtrechtsnachfolge erstmals im Jahr 1971. § 4 Abs. 3 BBodSchG ist deshalb verfassungskonform zu reduzieren.

Praxistipp: Angesichts der in der Entscheidung mitgeteilten Daten dürfte die verfassungskonforme Reduktion grundsätzlich für alle Fälle gelten, in denen die Gesamtrechtsnachfolge vor Ende der 1960er Jahre eingetreten ist.

Klage auf Freistellung nach Abweisung einer denselben Anspruch betreffenden Vollstreckungsgegenklage
Urteil vom 18. Oktober 2016 – XI ZR 145/14

Mit dem Verhältnis zwischen einer Freistellungs- und einer Vollstreckungsgegenklage befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Zur Finanzierung hatte ihr die beklagte Bank ein mit einer sofort vollstreckbaren Grundschuld besichertes Darlehen gewährt. Später machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe arglistig verschwiegen, dass der Kaufpreis um ein Mehrfaches über dem Verkehrswert der Wohnung liege. Die Klägerin beantragte unter anderem, die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld für unzulässig zu erklären und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag freizustellen. Die Vollstreckungsgegenklage wurde im weiteren Prozessverlauf rechtskräftig abgewiesen. Der abgetrennte und an ein anderes Gericht verwiesene Freistellungsanspruch hatte hingegen in zweiter Instanz Erfolg.

Der BGH weist die auf Freistellung gerichtete Klage ab. Der Freistellungsanspruch ist schon deshalb als unbegründet anzusehen, weil er gegen eine Forderung gerichtet ist, deren Bestehen für die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage relevant war. Zwar betreffen die beiden Klagen nicht denselben Streitgegenstand. Die rechtskräftige Abweisung der Vollstreckungsgegenklage entfaltet aber eine Bindungswirkung, die den Schuldner daran hindert, Einwendungen gegen den Bestand der titulierten Forderung zu erheben, die bereits im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden konnten.

Praxistipp: Angesichts der Bindungswirkung sollte der Schuldner schon vor Prozessbeginn sorgfältig erwägen, ob es nicht sinnvoller ist, sich auf eine Vollstreckungsgegenklage zu konzentrieren und von einer zusätzlichen, denselben Anspruch betreffenden Freistellungs- oder Schadensersatzklage abzusehen.

Versetzung in den Ruhestand
Urteil vom 16. November 2016 – IV ZR 356/15

Um eine juristische Sekunde geht es in einer Entscheidung des IV. Zivilsenats.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen. Die Klägerin wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, was nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen als Eintritt des Versicherungsfalls gilt. Die Beklagte verweigerte die Leistung, weil die Versicherungsdauer mit dem 30.11.2012 geendet hatte und die Versetzung in den Ruhestand erst zum Ablauf dieses Tags erfolgt war. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er denjenigen Zeitpunkt als ausschlaggebend an, zu dem die Versetzung in den Ruhestand wirksam geworden ist. Anders als die Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die relevante Wirkung nicht erst mit dem ersten Tag des Ruhestands (also am 01.12.2012 um 0 Uhr) eingetreten ist, sondern schon mit Ablauf des Vortags, also am 30.11.2012 um 24 Uhr – gewissermaßen in letzter Sekunde.

Praxistipp: Die Unterscheidung zwischen dem Ende eines Tages und dem Beginn des Folgetags kann auch für die Einhaltung prozessualer Fristen von Bedeutung sein.

Beschwerdewert der Nichtzulassungsbeschwerde bleibt auch über 2016 hinaus bei EUR 20.000

Der Bundestag hat am 01.12.2016 beschlossen, dass die Befristung für den Wert des Beschwerdegegenstandes bei der Nichtzulassungsbeschwerde von mehr als EUR 20.000 bis zum 30.06.2018 verlängert wird (vgl. BT-Drucksache 18/10470). Der BT-Rechtsausschuss hat hierzu ausgeführt, dass es ohne die Wertgrenze bereits vor geraumer Zeit zu einer nicht mehr tragbaren Belastung des Bundesgerichtshofs gekommen wäre. Im Hinblick auf die gestiegenen Eingangszahlen bei den Nichtzulassungsbeschwerden, die insbesondere auf das am 27.10.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO zurückzuführen seien, sei die Entwicklung über einen weiteren Zeitraum von 18 Monaten zu beobachten.

Die Verlängerung der Befristung führt gleichzeitig zum Fortbestehen der Entlastung der Berufungsgerichte (Landgerichte, Oberlandesgerichte). Denn in den Fällen, in denen ein Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben ist (also wenn der eine Nichtzulassungsbeschwerde den Beschwerdewert voraussichtlich nicht erreichen würde) muss die Berufungsentscheidung keinen Tatbestand enthalten (§§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO).

Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts in der Praxis

Seit dem 12.10.2016 ist das „Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes in Kraft getreten“ (BGBl. I 2016, S. 2222). Die Seite im Bundesgesetzblatt lässt sich gut merken, die Bezeichnung des Gesetzes hingegen nicht, deswegen wurde wahrscheinlich auch darauf verzichtet, dem Gesetz eine der üblichen Abkürzung beizugeben, was eigentlich erfreulich ist. Der Praktiker tut unabhängig davon gut daran, einmal die Änderung kurz durchzuschauen.

Interessant für den Zivilrechtspraktiker ist vor allem, dass nunmehr verbindlich dem Sachverständigen eine Frist zu setzen ist, bis zu deren Ablauf er das Gutachten vorzulegen hat. Es wird einige Zeit dauern, bis sich dies herumgesprochen haben wird. In geeigneten Fällen kann der Rechtsanwalt das Gericht – falls er es überhaupt für erforderlich hält – dann auf diese neue Vorschrift hinweisen, freilich am besten ohne Besserwisserei (vgl. hierzu auch die Karikatur am Ende der MDR 22/16, S. R 20!).

Die qualifizierten Sachverständigen sind fast alle überlastet. Die Parteien sind aber oftmals dazu bereit, dies hinzunehmen, wenn sie dafür ein ordentliches Gutachten erhalten, welches in der Sache weiterhilft. Wird dann eine zu kurze Frist gesetzt, muss der Sachverständige den Auftrag ablehnen oder um Verlängerung der Frist bitten. Dann muss allen Beteiligten rechtliches Gehör gewährt und sodann entschieden werden. Da Fristen unter zwei Wochen (eigentlich eher drei Wochen) für einen Rechtsanwalt überwiegend nicht darstellbar sind, führt allein dies schon wieder zu einer Verzögerung von ungefähr einem Monat. Andererseits könnten echte „schwarze Schafe“ vielleicht schon durch die Fristsetzung ausgeschaltet werden, wenn sie denn überhaupt darauf reagieren.

Welche Frist sollte nun in der Praxis gesetzt werden? Nach der bisherigen Erfahrung dürften sich in Standardfällen Fristen von nicht unter drei Monaten bis vier Monaten anbieten. In komplexen und komplizierten Fällen sind freilich auch viel längere Fristen denkbar. Auch die Sachverständigen lesen meistenteils nicht das Bundesgesetzblatt. Auch hier wird es daher dauern, bis sich diese Änderung herumgesprochen hat. Es könnte sich daher empfehlen, ein Musterschreiben zu entwerfen, um dem Sachverständigen die neue Regelung vorzustellen und ihm mitzuteilen, was nunmehr die Handlungsalternativen sind.

Ein solches Schreiben könnte z. B. wie folgt lauten: „Sehr geehrter … anbei erhalten Sie die Gerichtsakte mit der Bitte, das Gutachten zu erstatten. Gemäß § 411 Abs. 1 ZPO n. F. ist das Gericht dazu verpflichtet, Ihnen eine Frist zu Erstattung des Gutachtens zu setzen. Ich gehe davon aus, dass die von mir gesetzte Frist angemessen ist und Sie das Gutachten in dieser Zeit fertig stellen können, zumal Ihnen sonst ein Ordnungsgeld droht. Sollte dies nicht der Fall sein, teilen Sie mir dies bitte entsprechend mit, damit über die weitere Verfahrensweise sogleich, gegebenenfalls im Zusammenwirken mit den betroffenen Parteien, entschieden werden kann. Unter Umständen kommt auch eine Verlängerung der Frist in Betracht.“

Ob diese weitere Bürokratisierung des Verfahrens tatsächlich zu einer Beschleunigung desselben führen wird, erscheint jedoch fraglich.

Am pragmatischsten und sinnvollsten wäre allerdings wohl folgende Verfahrensweise: Der Richter ruft den Sachverständigen zuerst an, und fragt, welche Frist in diesem Fall wohl realistisch ist. Dann wird die entsprechende Frist gesetzt bzw. – falls es wirklich zu lange dauert – ein anderer Sachverständiger gesucht.

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Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO nach zweitinstanzlicher Klageerweiterung
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15

Eine seit längerer Zeit umstrittene Frage beantwortet der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. In zweiter Instanz erweiterte der Kläger sein Begehren um einen weiteren Schadensersatzbetrag. Das Berufungsgericht wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe zurück, dass auch die in zweiter Instanz erweiterte Klage abgewiesen werde.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er stellt klar, dass das Berufungsgericht durch die in zweiter Instanz erfolgte Klageerweiterung nicht gehindert war, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Eine solche Entscheidung darf aber nur hinsichtlich des erstinstanzlichen Streitgegenstands ergehen. Die zweitinstanzliche Klageerweiterung des Berufungsklägers wird mit dem Zurückweisungsbeschluss entsprechend der (für eine Anschlussberufung geltenden) Regelung in § 524 Abs. 4 ZPO unwirksam. Soweit das Berufungsgericht über den erstmals in zweiter Instanz geltend gemachten Teil des Anspruchs entschieden hat, unterliegt sein Beschluss folglich schon deshalb der Aufhebung.

Praxistipp: Mit der Entscheidung steht fest, dass die (auch im Streitfall vom Kläger verfolgte) Taktik, einen drohenden Zurückweisungsbeschluss durch Klageerweiterung abzuwenden, nicht erfolgversprechend ist.

Formunwirksamer Heil- und Kostenplan
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15

Mit der Vergütungspflicht für medizinisch nicht notwendige Arztleistungen befasst sich ebenfalls der III. Zivilsenat.

Die klagende Zahnärztin hatte für die Beklagte einen Heil- und Kostenplan für Keramikverblendungen erstellt, der einen Eigenanteil von knapp 7.000 Euro auswies. Die Beklagte gab den Plan mit einem von ihrer Krankenversicherung erteilten Genehmigungsvermerk an die Klägerin zurück und ließ die Behandlung durchführen. Den ihr nach Abschluss in Rechnung gestellten Eigenanteil von knapp 4.000 Euro bezahlte sie trotz Mahnung nicht. Im Zahlungsprozess machte sie unter anderem geltend, der Heil- und Kostenplan sei unwirksam, weil er von keiner der Parteien unterschrieben sei. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß; das LG wies die Klage wegen des Formmangels ab.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Er sieht die Bestimmung in § 2 Abs. 3 Satz 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte, wonach medizinisch nicht notwendige Leistungen nur dann berechnet werden dürfen, wenn sie in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden, als gesetzliches Formerfordernis im Sinne von § 126 BGB an. Aus dem Zweck der Vorschrift leitet er ferner ab, dass bei Nichteinhaltung der Form nicht nur ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes ausgeschlossen ist, sondern auch ein Anspruch auf Wertersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag. Dennoch sieht er das Klagebegehren als begründet an, weil die erstmals im Prozess erfolgte Berufung auf den Formmangel eine besonders schwere Treueverletzung darstellt.

Praxistipp: Um Auseinandersetzungen über die Anwendbarkeit von § 242 BGB zu vermeiden, liegt es wohl im Interesse beider Seiten, vor Beginn der Verhandlung besonders sorgfältig auf die Einhaltung der Schriftform zu achten.

Vermutung beratungsgerechten Verhaltens
Urteil vom 15. Juli 2016 – V ZR 168/15

Der V. Zivilsenat gleicht seine Rechtsprechung zur Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers in Kapitalanlagesachen an neuere Entscheidungen der anderen mit dieser Materie befassten Senate an.

Der Kläger hatte von der Beklagten eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Den Kaufpreis finanzierte er in voller Höhe durch einen Bausparvertrag. Später verlangte er Rückabwicklung des Vertrags mit der Begründung, das mit dem Vertrieb betraute Vermittlungsunternehmen habe ihn unzutreffend über die zu erwartende monatliche Belastung informiert. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit diesem ist er der Auffassung, dass nicht völlig zweifelsfrei ist, ob der Kläger bei zutreffender Beratung vom Kauf Abstand genommen hätte. Eine zutreffende Beratung hätte dahin gehen müssen, dass dem Kläger nicht der in Aussicht gestellte monatliche Überschuss von 50 Euro, sondern eine monatliche Belastung von rund 225 Euro verbleibt. Diesen Betrag hätte der Kläger aufbringen können und der Erwerb konnte sich auch unter diesen Umständen als wirtschaftlich sinnvoll darstellen. Dennoch kommt der V. Zivilsenat abweichend vom OLG (und abweichend von seiner früheren Rechtsprechung) zu dem Ergebnis, dass die Ursächlichkeit des Beratungsfehlers für den Kaufentschluss nicht verneint werden kann. In Angleichung an die neuere Rechtsprechung der anderen mit Kapitalanlagefällen befassten Senate bejaht er eine Kausalitätsvermutung nunmehr auch für solche Fälle, in denen der Kunde bei ordnungsgemäßer Beratung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil es mehrere sinnvolle Entscheidungsmöglichkeiten gegeben hätte.

Praxistipp: Für andere Konstellationen, insbesondere für die Haftung von Rechtsanwälten und Steuerberatern, hält der BGH bislang weiterhin an seiner früheren Rechtsprechung fest.