OLG Frankfurt a. M.: Gewinnspielteilnahme durch Bewertung wettbewerbswidrig

Bewertungen verleihen gerade Unternehmen im E-Commerce Rückenwind beim Absatz, da der Verkehr sie als neutrale Bewertung von echte Kundenerfahrungen auffasst.  Fälle gekaufter Bewertungen sind dabei bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung gewesen und in der Regel für unlauter befunden worden.

für Ein Unternehmen ist auf die Idee gekommen, durch ein Gewinnspiel (auch) mehr Bewertungen von echten Bewertenden zu erlangen. Neben Kommentaren und social media Postings und Likes war eine Teilnahme auch durch Bewertungsabgabe möglich. Mit den Bewertungen hat das Unternehmen dann später geworben, was nun – auch in der Berufungsinstanz – vom OLG Frankfurt a. M. untersagt wurde. Grund hierfür sei, dass eine Irreführung über die Umstände der Bewertungsabgabe vorläge.

Das Gericht nimmt nicht nur an, dass sich Bewertende im Rahmen eines Gewinnspiels – ohne dazu aufgefordert worden zu sein – eher dazu verpflichtet sehen, das Unternehmen positiv zu bewerten. Auch die reine Anzahl der Bewertungen, die durch das Gewinnspiel massiv gesteigert würde, führe in die Irre, da dadurch der Eindruck eines größeren Geschäftsbetriebes erweckt würde.

Praxistipp

In der Beratungspraxis wäre eine solche Kampagne vermutlich bisher mit eher geringen Risiken bewertet worden und in vielen Fällen – gerade wegen des positiven Effekts – für vertretbar gehalten worden. Die Argumentation des OLG Frankfurt ist aber gut nachvollziehbar. Wer gleichwohl solche Kampagnen durchführt, könnte prüfen, ob ein Hinweis im Rahmen der Nutzung des Bewertungsergebnisses auf die Umstände der Bewertungen möglich ist, was in vielen Fällen – Beispiel Google My Business – schwierig sein dürfte. Für Unternehmer werden die Möglichkeiten, ihr Bewertungsprofil aufzubessern, schwieriger. Selbst für Bewertungen, die erst auf Nachfrage(n) von tatsächlichen Kunden erstellt wurden, könnte eine Gefahr ausgehen, da diese eben nicht ohne Einwirkung des Unternehmers zustande kamen. Die Branchenüblichkeit solcher Bewertungsnachfragen dürfte aber auch den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt sein, es scheitert dann an einer Irreführung.

OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.08.2020, 6 U 270/19 hier im Volltext.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Kündigung eines Wohnungsmietvertrags wegen Eigenbedarfs.

Familienangehörige trotz Scheidung
Urteil vom 2. September 2020 – VIII ZR 35/19

Mit der Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a BGB befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten sind seit 2001 Mieter eines Einfamilienhauses. Im Jahr 2015 veräußerte der Vermieter das Grundstück an seinen Sohn und dessen Ehefrau, die damals bereits seit zwei Jahren getrennt lebten. Die Ehe wurde im Jahr 2016 geschieden. Im Jahr 2017 kündigten die Kläger den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs. Sie begründeten dies damit, die Klägerin wolle das Haus mit den beiden aus der Ehe stammenden Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten beziehen. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der vom LG rechtsfehlerfrei bejahte Eigenbedarf der Klägerin bildet einen hinreichenden Grund für die Kündigung. Dass die Klägerin nur Miteigentümerin ist und in der Person des Klägers kein Eigenbedarf besteht, ist unschädlich. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Regelung in § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB, die eine Eigenbedarfskündigung nach Veräußerung des Wohnraums an mehrere Erwerber für die Dauer von drei Jahren ausschließt, der Kündigung im Streitfall nicht entgegen. Zugunsten der Kläger greift die in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB vorgesehene Ausnahme zugunsten von Erwerbern, die derselben Familie angehören. Als Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift sieht der BGH denselben Personenkreis an, für den der Vermieter gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB Eigenbedarf geltend machen darf. Hierzu zählt der BGH in Anlehnung an die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) Ehegatten auch dann, wenn sie getrennt leben oder geschieden sind.

Praxistipp: Solange unklar ist, ob die Sperrfrist greift, sollte nach Ablauf der Frist vorsorglich eine erneute Kündigung ausgesprochen werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Grenzen der Schutzwirkung eines Anwaltsmandats.

Schutzwirkung eines Rechtsberatungsvertrags
Urteil vom 9. Juli 2020 – IX ZR 289/19

Mit den Pflichten eines Rechtsanwalts befasst sich – anlässlich eines überaus tragischen Falls – der IX. Zivilsenat.

Die Mutter der im Jahr 1994 und 1997 geborenen Klägerinnen ist seit einem Verkehrsunfall im Jahr 2006 schwerstbehindert und dauerhaft pflegebedürftig. Die Klägerinnen erlitten bei dem Unfall nur leichte Verletzungen. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bestätigte gegenüber der Mutter ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach. Im Dezember 2007 beauftragte die Mutter den beklagten Rechtsanwalt mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche. Ab 2013 begaben sich die Klägerinnen in psychotherapeutische Behandlung. Die Versicherung lehnte eine Erstattung der dafür anfallenden Kosten wegen Verjährung ab. Die Klägerinnen verlangen deshalb vom Beklagten Schadensersatz. Sie machen geltend, der Beklagte hätte im Rahmen des von ihrer Mutter erteilten Mandats auch auf die den Klägerinnen zustehenden Ansprüche hinweisen müssen. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerinnen hat ebenfalls keinen Erfolg. Ein Anwaltsvertrag kann zwar auch ohne ausdrückliche Regelungen Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfalten. Im Streitfall ist das Berufungsgericht aber rechtsfehlerfrei zu der Beurteilung gelangt, dass es an der erforderlichen Leistungsnähe fehlte. Der Beklagte war nur mit der Geltendmachung von Ansprüchen der Mutter betraut. Zudem war damals nicht offenkundig, dass die bei dem Unfall nur leicht verletzten Klägerinnen Spätfolgen erleiden könnten, die Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung angezeigt erscheinen lassen.

Praxistipp: Auch wenn der BGH im konkreten Fall eine Haftung verneint hat, erscheint es in vergleichbaren Situationen ratsam, bei der Übernahme des Mandats nachzufragen, ob mögliche Ansprüche von Angehörigen, die ebenfalls durch den Unfall geschädigt worden sind, bereits in Betracht gezogen worden sind.

BGH: Beginn der Beschwerdefrist bei einer fehlerhaften Zustellung

In einer Familienstreitsache (BGH, Beschl. v. 22.4.2020 – XII ZB 131/19, MDR 2020, 1081) ging es um Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht verkündete am 18.11.2016 eine begründete Entscheidung, wonach der Antragsgegner an die Antragstellerin u. a. 333 Euro monatlich zahlen sollte. Den Beteiligten wurde hingegen eine Ausfertigung ohne Gründe zugestellt, wonach der Antragsgegner u. a. 524 Euro monatlich zahlen musste. Der Antragsgegner zahlte die 524 Euro. Erst bei einem weiteren Termin am 14.9.2018 (mithin fast zwei Jahre später!) fiel dieses Versehen auf. Daraufhin wurde der (richtige) Beschluss vom 18.11.2016 dem Antragsteller am 24.09.2018 zugestellt. Am 23.10.2018 wurde daraufhin Beschwerde eingelegt und später begründet. Gleichwohl wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen und auch die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

Es ist nahezu unglaublich, was alles in der gerichtlichen Praxis passiert und was davon mitunter von den Beteiligten hingenommen wird, und zwar sogar ohne Rückfragen. Und die Konsequenzen sind mitunter auch wenig befriedigend. Dies zeigt auch der vorliegende Fall. Die entscheidende Frage hier war: Wurde durch die Verkündung die Fünfmonatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG in Lauf gesetzt, obwohl ein falscher Beschluss ohne Gründe zugestellt wurde? Wenn ja, hätte der Antragsgegner sein Glück nämlich nur über eine Wiedereinsetzung versuchen können. Diese war zwar nicht beantragt worden, das Oberlandesgerichts hatte einen entsprechenden konkludenten Antrag jedoch unterstellt.

Die einmonatige Beschwerdefrist beginnt allerdings nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Erlass der Entscheidung auch dann, wenn die Zustellung ganz unterblieben ist oder die zugestellte Fassung vom Original abweicht. Auf die fehlende oder fehlerhafte Zustellung kommt es nicht an. Dies gilt aus Gründen der Rechtssicherheit. Die Verkündung war auch wirksam, insbesondere war die Unterschrift der Richterin ordnungsgemäß. Demgemäß war die Beschwerdefrist sechs Monate nach der Verkündung abgelaufen.

Das Oberlandesgericht war von einem konkludenten Wiedereinsetzungsantrag ausgegangen, hat diesen aber als verspätet angesehen. Dies war richtig. Zwar war die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO trotz deren Ablauf gewahrt, weil der Fehler nur dem Gericht zuzurechnen war. Die Wiedereinsetzungsfrist begann hier aber am 14.9.2018, weil der Antragsgegner an diesem Tag von dem Geschehen erfahren hatte. Die Beschwerde erst am 23.10.2018 war damit verspätet.

Fazit: Der kluge und sorgfältige Anwalt notiert immer die Sechsmonatsfrist, wenn eine Entscheidung nicht bekannt wird oder nicht begründet wurde. Und: Manchmal hilft schon eine Rückfrage bei der zuständigen Geschäftsstelle, um ein derartiges Missverständnis aufzuklären. Zur Not muss in besonderen Fällen Einsicht in die Gerichtsakte genommen werden.

BGH: Verlust eines Schriftsatzes auf dem Postweg und Anforderungen an den folgenden Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 28.4.2020 – VIII ZB 12/19) hat sich mit den Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beschäftigt und insbesondere deutlich gemacht, dass ein Anwalt nicht zwingend zu den Leerungszeiten des Briefkastens vortragen muss.

Sachverhalt: Eine Berufungsbegründung war ausgeblieben. Die antragsgemäß verlängerte Berufungsbegründungsfrist war am 10.9.2018 abgelaufen. Nach dem entsprechenden Hinweis des Gerichts wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist gestellt. Zur Begründung wurde vorgetragen: Die Berufungsbegründung sei am 28.8.2018, einem Freitag (tatsächlich war der 28.8.2018 allerdings ein Dienstag!) vom Rechtsanwalt an seinem letzten Arbeitstag vor dem Jahresurlaub nach Büroschluss „persönlich ausgefertigt, unterzeichnet, in einen Briefumschlag verpackt und ausreichend frankiert in einen Briefkasten der Deutsche Post AG eingelegt“ worden. Sie müsse auf dem Postweg verloren gegangen sein. Eine Berufungsbegründung vom 28.8.2018 war beigefügt worden. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung. Begründung: Es sei kein Vortrag zum Standort des Briefkastens sowie dessen Leerungszeiten erfolgt. Der 28. August sei kein Freitag gewesen, sondern ein Dienstag. Die ordnungsgemäße Adressierung des Umschlages sei nicht nicht dargelegt worden. Die Schilderung sei auch deswegen nicht glaubhaft, da zuvor die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis weit in den Urlaub hinein verlängert worden war.

Anforderungen an Vortrag: Der BGH akzeptiert diese Entscheidung nicht, sondern hebt sie auf und bewilligt selbst die beantragte Wiedereinsetzung! Das OLG hat zu strenge Anforderungen gestellt und darüber hinaus gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen. Der Vortrag genügt grundsätzlich den Anforderungen. Im Hinblick auf den erheblichen Zeitraum zwischen Einwurf und Fristende bedurfte es keiner näheren Angaben zum Ort und zu den Leerungszeiten. Die ordnungsgemäße Adressierung ergab sich aus der dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügten Berufungsbegründung. Bei der falschen Tagesangabe habe es sich, wie später ausführt worden war, um eine Verwechslung gehandelt. Gemeint gewesen, sei natürlich Freitag, der 31.8.2018. Der Schriftsatz sei am Dienstag verfasst, aber eben erst am Freitag verschickt worden.

Aufklärung von Widersprüchen im Vortrag: Vor allem hätte das OLG dem Rechtsanwalt hier die Gelegenheit geben müssen, zu diesem Widerspruch vorzutragen, bevor es die Berufung verworfen hat. Sofern das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren einer eidesstattlichen Versicherung keinen Glauben schenken möchte, muss es dem Antragsteller zunächst die Möglichkeit geben, etwaige Lücken zu ergänzen und/oder entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Wenn insoweit noch ergänzungsbedürftige Angaben erforderlich sind, deren Aufklärung nach § 139 Abs. 1 ZPO geboten war, können diese auch noch mit einer Rechtsbeschwerde nachgeholt werden. Die Fristverlängerung bis weit nach dem Urlaubsantritt alleine sei nicht dazu geeignet, Zweifel an der Darstellung des Geschehensablaufes aufkommen zu lassen.

Fazit: Im Gegensatz zu den meisten OLG ist der BGH bei Wiedereinsetzungsfragen regelmäßig sehr großzügig (eigentlich zu großzügig) und neigt dazu, vielen Erklärungen Glauben zu schenken, denen man eigentlich durchaus mit größerer Skepsis begegnen müsste.

KG: Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage und willkürliche Verweisung

Das KG hat sich mit  Beschl. v. 17.3.2020 – 2 AR 5/20, MDR 2020, 679 mit dem Erfüllungsort bei der Feststellungsklage auf Nichtbestehen eines Anspruchs aus einem Leasingvertrag und der Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 1 GVG sowie der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses auseinander gesetzt.

Sachverhalt: Der in Berlin wohnhafte Kläger hatte mit der im Bezirk des LG Braunschweig ansässigen Beklagten einen Leasingvertrag geschlossen. Nach der Zahlung einiger Leasingraten erklärte er den Widerruf des Vertrages und erhob bei dem LG Berlin eine negative Feststellungsklage. Es sollte festgestellt werden, dass die Beklagte von dem Kläger keine weiteren Leasingraten verlangen kann. Hilfsweise – bei Erfolg dieses Antrages – machte der Kläger die Rückzahlung der bereits erbrachten Leasingraten geltend. Die Einzelrichterin einer allgemeinen Zivilkammer verwies den Rechtsstreit auf einen weiteren Hilfsantrag des Klägers hin an das LG Braunschweig, da die dortige örtliche Zuständigkeit gegeben sei. Das LG Braunschweig lehnte jedoch die Übernahme des Rechtsstreites ab, so dass das KG das zuständige Gericht bestimmten musste (§ 36 Nr. 6 ZPO).

Gerichtliche Zuständigkeit bei einer negativen Feststellungsklage: Bei einer negativen Feststellungsklage richtet sich die Zuständigkeit des Gerichts nach dem potentiellen Leistungsanspruch. Gemäß § 29 ZPO hätte die Beklagte den Kläger vor dem LG Berlin auf Weiterzahlung der Leasingraten verklagen müssen. Deswegen ist das LG Berlin auch für die negative Feststellungsklage zuständig. Dabei kommt es zunächst nur auf die Zuständigkeit für den Hauptantrag an. Sollte das Gericht, das für den Hauptantrag zuständig ist, für den Hilfsantrag nicht zuständig sein, kann eine Verweisung des Rechtsstreites erst nach der Entscheidung über den Hauptantrag erfolgen, nicht vorher.

Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses: Der Verweisungsbeschluss des LG Berlin war daher falsch. Aber bekanntlich kann auch ein falscher Verweisungsbeschluss bindend sein (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Ein Verweisungsbeschluss, der nicht von dem zuständigen Richter erlassen wurde, entfaltet jedoch keine Bindungswirkung. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Einzelrichterin der allgemeinen Zivilkammer hatte nämlich hier übersehen, dass es sich bei dem Rechtsstreit um eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften nach § 348 Abs. 1 Nr. 2. b) ZPO, § 72a Satz 1 Nr. 1 GVG handelt. Darüber hinaus handelt es sich diesbezüglich sogar um eine originäre Kammersache. Die Einzelrichterin hätte mithin gar nicht alleine entscheiden dürfen. Damit liegt ein doppelter Verstoß gegen den gesetzlichen Richter vor. Dies macht den Verweisungsbeschluss unwirksam. Das KG erklärt folglich das LG Berlin für zuständig.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der deliktischen Haftung eines Kfz-Sachverständigen.

Eigene Haftung eines beim Haftpflichtversicherer angestellten Kfz-Sachverständigen
Urteil vom 7. Juli 2020 – VI ZR 308/19

Mit den Voraussetzungen einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Am Auto der Klägerin war ein Motorschaden aufgetreten, weil bei einer von ihm in Auftrag gegebenen Überprüfung des Fahrzeugs an einer Tankstelle der Deckel des Kühlwasserausgleichsbehälter nicht wieder aufgeschraubt worden war. Der mit der Reparatur beauftragte Werkunternehmer schlug vor, Zylinderkopf, Zahnriemen und Zusatzriemen auszutauschen. Der bei der Haftpflichtversicherung der Tankstelle als Kfz-Sachverständiger beschäftigte Beklagte hielt den Austausch des Zusatzriemens für nicht erforderlich. Der Werkunternehmer fügte sich dieser Vorgabe, obwohl er sie für sachlich unzutreffend hielt. Kurze Zeit später kam es zum Riss des Zusatzriemens, der zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führte. Die Klägerin nahm den Werkunternehmer und den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz erfolgreich. Der Werkunternehmer ersetzte daraufhin den Schaden in vollem Umfang. Der Beklagte legte hingegen Berufung ein. Das LG wies diese mit der Maßgabe zurück, dass der Rechtsstreit aufgrund der Zahlung in der Hauptsache erledigt sei.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Die Vorinstanzen haben zu Recht eine eigene Haftung des Beklagten für den zweiten Motorschaden aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin war diese allerdings nicht in den Schutzbereich des Angestelltenverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Versicherung einbezogen. Es bestand auch kein konkludenter Auskunftsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Werkunternehmer. Durch sein Dazwischentreten hat der Beklagte aber den Austausch des Zusatzriemens verhindert und damit die mit dem zweiten Motorschaden eingetretene Eigentumsverletzung adäquat verursacht. Der Beklagte handelte auch widerrechtlich. Eine Rechtspflicht zum Schutz des Eigentums der Klägerin traf ihn zwar nicht schon aufgrund seiner Tätigkeit für die Versicherung oder aufgrund deren Einstandspflicht für den ersten Motorschaden. Eine Rechtspflicht, die Interessen der Klägerin nicht zu gefährden, ergab sich aber daraus, dass er sich ohne Rücksprache mit der Klägerin in den Reparaturprozess eingeschaltet und maßgeblichen Einfluss auf den Umfang der Reparaturarbeiten genommen hat. Der Beklagte hat auch fahrlässig gehandelt, weil er sich über den Hinweis des Werkunternehmers hinweggesetzt hat.

Praxistipp: Eine deliktische Haftung der an einer fehlerhaften Reparatur oder Wartung beteiligten Personen kommt auch gegenüber Dritten in Betracht, wenn das fehlerhafte Handeln eine Gefahr für deren Rechtsgüter begründet hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine nicht ganz einfache prozessuale Situation in der Berufungsinstanz.

Übergang von einem bedingten zu einem unbedingten Widerklageantrag
Urteil vom 7. Juli 2020 – XI ZR 320/18

Mit § 524 Abs. 4 ZPO befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagte nach dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags auf Rückzahlung der erbrachten Leistungen in Anspruch. Die Beklagte machte geltend, der Widerruf sei unwirksam, und erklärte vorsorglich die Aufrechnung mit den ihr zustehenden Ansprüchen auf Erstattung der ausgezahlten Darlehenssumme. Für den Fall, dass die Klage zumindest teilweise Erfolg hat, erhob sie ferner Widerklage auf Zahlung des von ihr errechneten Saldos. Das LG wies die Klage wegen Unwirksamkeit des Widerrufs ab. In der Berufungsinstanz erklärte die Beklagte nach einem Hinweis des OLG, sie stelle die Wirksamkeit des Widerrufs nicht mehr in Abrede. Zugleich beantragte sie die Zurückweisung der Berufung und die Verurteilung der Kläger zur Zahlung des errechneten Saldos. Die Kläger zahlten einen Teil des geforderten Betrags und schlossen sich insoweit einer Erledigungserklärung der Beklagten an. Mit ihrer Berufung verfolgten sie fortan nur noch einen Teil ihrer Klageansprüche weiter. Das OLG verwarf die Berufung der Kläger als unzulässig und wies die Widerklage als unbegründet ab.

Die Revision der Beklagten bleibt im Wesentlichen erfolglos. Das OLG hat die Höhe des der Beklagten zustehenden Zahlungsanspruchs zwar unzutreffend berechnet. Dies bleibt im Ergebnis aber weitgehend folgenlos, weil das Berufungsgericht über den Widerklageantrag inhaltlich nicht entscheiden durfte. Der in zweiter Instanz erfolgte Übergang von einer bedingten zu einer unbedingten Widerklage stellt eine Klageänderung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO dar. Da die Beklagte durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert ist, war hierfür eine wirksame Anschlussberufung erforderlich. Die hierfür maßgeblichen, in § 524 Abs. 1 bis 3 ZPO normierten Voraussetzungen hat die Beklagte zwar eingehalten. Gemäß § 524 Abs. 4 ZPO hat die Anschließung aber ihre Wirkung verloren, weil die Berufung der Kläger teilweise zurückgenommen und im Übrigen als unzulässig verworfen worden ist. Die vom OLG ausgesprochene Klageabweisung ist deshalb durch die (klarstellende) Feststellung zu ersetzen, dass die Anschlussberufung der Beklagten ihre Wirkung verloren hat.

Praxistipp: Die Einlegung einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde ist in solchen Fällen sinnvoll, wenn der Beklagte sich die Möglichkeit vorbehalten will, seinen Anspruch erneut geltend zu machen. Nach der Entscheidung des OLG wäre dies im Streitfall ausgeschlossen gewesen; nach der Entscheidung des BGH bleibt es – vorbehaltlich einer möglicherweise eingetretenen Verjährung – möglich.

Thesenpapier zur umfassenden Modernisierung des Zivilprozesses

Jedes Jahr treffen sich die Präsidentinnen und Präsidenten der ordentlichen Obergerichte (OLG, KG, BayObLG und BGH) an wechselnden Orten zu einer Tagung, zuletzt zur 71. Jahrestagung im Mai 2019 in Bamberg. Dort wurde die altehrwürdige ZPO in den Blick genommen. Diese nutzt bisher die vorhandenen  technischen Möglichkeiten kaum aus, um Gerichtsverfahren bürgerfreundlich und effizient zu gestalten. Der elektronische Rechtsverkehr und die e-Akte bilden letztlich nur die Papierwelt digital nach. Um eine echte Transformation zivilgerichtlicher Verfahren ins digitale Zeitalter zu ermöglichen, bedarf es grundlegenderer Überarbeitungen des Verfahrensrechts. Diesen Reformbedarf haben die Präsidentinnen und Präsidenten erkannt und die Einsetzung einer mit Richterinnen und Richtern aller Ebenen besetzten Arbeitsgruppe beschlossen, die nunmehr ihren Zwischenbericht vorgelegt hat. Auch wenn es sich hierbei nur um einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem rechtspolitischen Forderungskatalog handelt, lohnt sich doch ein Blick in das vom Präsidenten des OLG Nürnberg Dr. Dickert als Vorsitzendem der Arbeitsgruppe veröffentlichte Thesenpapier.

Dieses enthält eine ganze Reihe von weitreichenden Vorschlägen, die – im Falle ihrer Umsetzung – die zivilprozessuale Welt ganz erheblich umkrempeln werden. Die folgende Aufzählung ist längst nicht abschließend:

  • Ein neues Beschleunigtes Online-Verfahren soll für „massenhaft auftretende Streitigkeiten“ – hier wird an Fluggastrechte oder Mieterhöhungen zu denken sein – ein formularbasiertes Verfahren anbieten, das vollständig online durchgeführt wird. Es werden spezielle Online-Gerichte eingerichtet werden können, die nötigenfalls im Wege der Video- oder Telefonkonferenz verhandeln.
  • Der seit Jahrzehnten diskutierte „strukturierte Parteivortrag“ kann (im Anwaltsprozess) endlich Wirklichkeit werden. Der Parteivortrag zum Lebenssachverhalt wird von den Parteivertretern in einer Relationstabelle niedergelegt. Dazu bearbeiten die Rechtsanwälte ein gemeinsames elektronisches Dokument, das sog. Basisdokument. Dieses soll später die Funktion des Tatbestands übernehmen.
  • Nicht nur in Pandemiezeiten interessant wird die Möglichkeit sein, „virtuelle Verhandlungen“ im Wege der Videokonferenz zu führen, bei denen sich auch das Gericht nicht mehr in einem Sitzungssaal aufhalten muss.
  • Auch die Protokollierung soll moderner, d.h. genauer und einfacher werden. Zu diesem Zweck soll ab 2026 das schriftliche Wortprotokoll von Beweisaufnahmen zwingend sein. Die Verschriftlichung soll computergestützt – auch auf Grundlage von vorläufigen Videoaufzeichnungen – erfolgen.
  • Erweitert werden sollen auch die Kommunikationsmöglichkeiten: Für den Bürger soll ein Online-Portal eingerichtet werden, dass die Funktion einer Rechtsantragsstelle wahrnimmt und zugleich dem Zugang zum Mahnverfahren und Beschleunigten Online-Verfahren dient. Rechtsanwälte und Gericht sollen auch über einen elektronischen Nachrichtenraum – ähnlich der bekannten Messenger-Dienste – kommunizieren können, z.B. Terminsabsprechen treffen, Verzögerungen mitteilen oder Vergleichsverhandlungen anregen oder sich darüber austauschen.

Die Thesen werden nunmehr zunächst mit der Richterschaft dann mit Anwaltschaft und Rechtspolitik diskutiert werden. Man kann gespannt sein, wie es weiter geht!

LG Traunstein: Steht in Scheidung lebenden Eheleuten ein Hinterbliebenengeld zu?

Im Jahre 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld in Gestalt des § 844 Abs. 3 BGB eingeführt (BGBl. I 2421). Es regelt einen Sonderfall der sogenannten Schockschäden. Gerichtsentscheidungen hierzu sind – soweit ersichtlich – kaum ergangen. Und wenn, ging es meistenteils um die Höhe der zu zahlenden Beträge.

Im hier zu beurteilenden Fall vor dem LG Traunstein (Urt. v. 11.2.2020 – 1 O 1047/19) hatten sich Eheleute im Jahre 2014 getrennt. Im Jahre 2017 reichte der Ehemann die Scheidung ein. Im Jahre 2018 befand sich der Ehemann bereits in einer Beziehung mit seiner späteren neuen Ehefrau. Gleichfalls im Jahre 2018 verstarb die „Noch-Ehefrau“ bei einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangte von den unstreitig Eintrittspflichtigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 Euro.

Er stützte dies darauf, dass er sich trotz der Trennung noch um seine Ehefrau gekümmert habe, und zwar sowohl persönlich als auch finanziell. Er habe eine Arztrechnung und die Miete bis zur Kündigung der Wohnung bezahlt sowie die Beerdigungs- und Überführungskosten in das Heimatland übernommen.

Dem LG Traunstein reicht dies allerdings nicht. Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde die Klage abgewiesen. Die Eheleute hätten bereits jahrelang getrennt gelebt. Das Scheidungsverfahren war anhängig. Der Kläger sei im Mietvertrag als Mitmieter aufgeführt gewesen. Bei der Bezahlung der Beerdigungskosten handele sich um einen Gefallen gegenüber der Tochter der Ehefrau, die die Beerdigungskosten nicht bezahlen konnte. Ein persönlicher Kontakt nach der Trennung begründe noch kein Näheverhältnis, zumal der Kläger auch eine neue Partnerin hatte. Ein rein freundschaftliches Verhältnis sei dafür nicht ausreichend. Unter diesen Umständen ist die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hier widerlegt. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis, wie es § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt, liegt im hier zu beurteilenden Fall damit nicht vor. Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Fazit: Man wird daher sagen können: Das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eheleuten liegt nach einer (endgültigen?) Trennung, spätestens aber mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, nicht mehr vor.